Stenogramm der Ansprache Außenministers der Russischen Föderation Sergej Lavrov und seiner Antworten auf Fragen der Medien auf der Pressekonferenz zu Ergebnissen der Tatigkeit der russischen Diplomatie 2006, Moskau, am 20. Dezember 2006
Sergej Lavrov:
Sehr geehrte Damen und Herren, Kollegen, Freunde,
Ich freü mich über unser Treffen. Traditionsmässig kommen wir im Dezember zusammen, um Ergebnisse dieses Jahres auszuwerten, und darüber zu sprechen, was auf uns im nächsten Jahr zukommen wird. Wir sind froh, dass die Entwicklung in Russland, Russlands Aktivitäten in internationalen Angelegenheiten immer grössere Aufmerksamkeit der Journalisten, der politologischen Gemeinschaft in unserem Land und in anderen Ländern erregen. Es ist für uns sehr wichtig, Ihnen über unsere Beurteilungen und Pläne zu berichten. Wir wollen unseren Gesichtspunkt auf verschiedene Geschehnisse, die sich auf Russland und dessen Außenpolitik beziehen, keinesfalls aufdrängen. Wir wollen uns auch auf keine Informationskriege einlassen, obwohl wir dazu manchmal provoziert werden, wir werden nicht zur Lautsprecherrhetorik greifen, aber wir werden uns sicherlich auch ferner bemühen, natürliches Interesse nach objektiven Informationen über Russland und russische Außenpolitik zu befriedigen.
Das Jahr, das bald zu Ende ist, war im außenpolitischen internationalen Sinne nicht einfach, aber ich hoffe, dass wir nach dessen Ergebnissen erfahrener und weiser geworden sind, dass wir das Wesen der modernen globalen Welt, ihre Probleme und Herangehen zu deren Lösung besser verstehen.
Wir haben deutlich gespürt, dass die Rolle des russischen Faktors in internationalen Angelegenheiten stark zugenommen hat, und das ist wichtig. Dies hängt nicht nur mit der inneren Stärkung Russlands, nicht mit dessen Fähigkeit zusammen, seine legitimen Interessen ehrlich und offen zu verteidigen, sondern auch damit, dass wir die Trends der gegenwärtigen Weltentwicklung im ganzen und grossen richtig beurteilt haben. Ich meine vor allem das weltweit wachsende Verständnis dessen, dass internationale Beziehungen gemeinsam aufgebaut werden müssen, und dass es dafür keine Alternative gibt. Bedaürlicherweise stützt sich dieses Verständnis auch auf traurige Erfahrungen - einseitige Gewaltanwendung auf Kosten vieler Opfer. Aber das Verständnis wächst, und wir – ich meine nicht nur Russland, sondern auch andere Staaten – sind immer mehr dessen bewusst, dass einseitige Gewaltanwendung nur zur Erweiterung des Konfliktraums in der Weltpolitik und zur Anhäufung von neuen Problemen führt, die nicht gelöst werden können. Ich würde es so ausdrücken: Es wurden Grenzen der Gewaltanwendung erkannt, und es ist offensichtlich, dass niemand ein passendes Rezept zur Lösung eines gegenwärtigen Problems allein finden oder es mit Gewalt lösen kann.
In diesem Jahr hat Russland immer mehr Verantwortung in internationalen Angelegenheiten übernommen, gemäss seinem Potential, seinen realen Möglichkeiten. Russland hat sich nicht gescheut, bei der Suche nach der Lösung gemeinsamer Probleme Leaderschaft anzubieten, auch geistige Leaderschaft. In diesem Jahr war Russland G8-Präsident, Präsident im Ministerkomitee des Europarates, in der Organisation der wirtschaftlichen Kooperation der Schwarzmeeresstaaten, im Arktischen Rat, und wir sind mit den Ergebnissen unserer Präsidentschaft in allen diesen Organisationen zufrieden.
Das wichtigste Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit mit den Partnern in G8 stellt aus meiner Sicht die Ausarbeitung der Interessenbilanz zum aktüllen Thema dar, das Lebensinteressen aller Staaten berührt, ich meine Energiesicherheit. In der Erklärung des Gipfeltreffens in Sankt-Petersburg sind Prinzipien der gemeinsamen Verantwortung der Produzenten, Verbraucher und Transitländer, Prinzipien der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Nachfrage und des Angebots genau festgelegt. Alle Bestimmungen und Erklärungen sollen in ihrem wechselseitigen Zusammenhang umgesetzt werden, wir halten es für äusserst wichtig. Dann werden wir aufgrund der in Sankt-Petersburg gelegenen Basis den gesamten Fragenkomplex in konkreten Bereichen lösen können, einschl. unsere Beziehungen zur Europäischen Union, zu den USA, zum Asiatisch-Pazifischen Raum und anderen Regionen.
Zu den Hauptaufgaben unserer Präsidentschaft im Ministerkomitee des Europarates gehörten: Der Aufbau Europas ohne Trennlinien, Steigerung der Rolle und des Ansehens des Europarates bei der Verteidigung der Rechte und Sicherung des Wohlstandes der Bevölkerung des Kontinents durch Harmonisierung des Schutzsystems der politischen und sozialen Menschenrechte in Europa, Entwicklung von effizienten Formen der Demokratie und zivilen Gesellschaft, Optimierung der Staatsführung, Entwicklung der Toleranz.
In der Organisation der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation haben wir ca. 60 multilaterale Veranstaltungen durchgeführt, u.a. das Treffen der Minister und höheren Amtspersonen für Energie, Verkehr, Katastrophen, IT. Es wurden Vereinbarungen über mehrere Infrastrukturprojekte getroffen, mit deren Umsetzung wir im kommenden Jahr beginnen werden.
Unser Hauptanliegen im Arktischen Rat: Sicherung der stabilen Entwicklung der Region in der ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Hinsicht, Schaffung von angenehmen Lebensbedingungen, Erhaltung der Natur, Zugang der Bevölkerung der Region, insbesondere der Stammvölker, zur modernen Bildung und allen sozialen Dienstleistungen.
Wie ein roter Faden zog sich durch unsere ganze Arbeit der Kampf gegen Drohungen und Herausforderungen. Von grosser Bedeutung war in diesem Sinne die Initiative Russlands und der USA über die Bekämpfung des Atomterrorismus, die auf dem G8-Gipfeltreffen in Sankt-Petersburg unterstützt wurde. Und im vorigen Monat fand auf unsere Initiative eine Sitzung des Globalen G8-Forums zur Partnerschaft der Staaten und Geschäftsleute zur Bekämpfung des Terrorismus statt. Dort wurde gemeinsame Strategie des antiterroristischen Vorgehens gebilligt, die wir schon im nächsten Jahr unter G8-Schirmherrschaft umsetzen werden, deren Präsidentschaft Deutschland übernimmt, aber wir werden auch Staaten einbeziehen, die nicht zur G8 gehören.
Ich will auch auf die unter unserer aktiven Teilnahme auf der UN-Vollversammlung angenommene globale Anti-Terror-Strategie hinweisen, die Entwicklung von zusätzlichen völkerrechtlichen Mechanismen bzw. praktischen Instrumenten zur Terrorbekämpfung fördern soll. Prioritäre Aufmerksamkeit schenken wir dem Dialog der Zivilisationen. Zu einem grossen Ereignis wurde der Weltgipfel der religiösen Führer, der Anfang Juli in Moskau stattgefunden hat. Im November wurde auf Russlands Initiative eine Resolution der UN-Vollversammlung über die Unzulässigkeit der Wiederherstellung aller Formen von Rassismus, Rassendiskrimination und Fremdenhass angenommen. Es wurde besonders stark betont, dass Wiederherstellung und Heroisierung der nazistischen Ideologie in allen Formen unzulässig seien. Unter unserer aktiven Unterstützung hat UN-Generalsekretär das Projekt „Allianz der Zivilisationen" weiter entwickelt. Ihm wurde Bericht der Hochrangigen Gruppe vorgelegt, in der auch der russische Wissenschaftler Prof. Dr. Naumkin mitgearbeitet hat. Im Bericht werden konkrete Richtungen der Arbeit der Weltgemeinschaft zur Entwicklung des Dialogs der Zivilisationen, zur Bildung einer Allianz der Zivilisationen festgelegt. Und wir werden diese Richtung als eine der vorrangigen Richtungen unserer Diplomatie betrachten.
Auf dem APEC-Gipfel in Hanoi wurde die Initiative zur Entwicklung und zum Dialog zwischen Kulturen und Religionen im Asiatisch-Pazifischen Raum gebilligt. Wir halten es für ein gutes Beispiel für alle anderen Regionen der Welt, und wir werden auch in Zukunft alles tun, um eine neü Spaltung der Welt nicht zuzulassen, diesmal nach Zivilisationen.
Das Netz der partnerschaftlichen Beziehungen Russlands im bilateralen und verschiedenen multilateralen Formaten hat sich auch gestärkt. Dadurch wird Stabilität der internationale Lage des Landes gegenüber den Schwankungen der globalen außenpolitischen Konjunktur gesichert, und darin sehe ich ein wichtiges Ergebnis unserer Arbeit.
In geographischer Hinsicht war unsere führende Richtung bestimmt der GUS-Raum. Wir haben unsere Arbeit an der Reformierung der Gemeinschaft fortgesetzt, um ihren Potential voll auzunutzen, sie an neü Gegebenheiten anzupassen. Diese Fragen bildeten den Schwerpunkt des jüngsten GUS-Gipfels in Minsk. Zu dessen wichtigsten Ergebnissen gehört Beschluss über die Bildung des Rats und Fonds für humanitäre Zusammenarbeit der Unabhängigen Staaten. Dieser Bereich ist für alle Bürger der Unabhängigen Staaten besonders wichtig.
In der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EURASEC) sind wir an die Bildung der Rechtsgrundlage für die Zollunion herangegangen. In der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrags (OVKS) wurden neü Entscheidungen getroffen, zur Steigerung unserer Fähigkeit, den wachsenden Bedrohungen und Herausforderungen an die Sicherheit standzuhalten. Im OVKS haben wir useren alten Vorschlag an die Nato bekräftigt, das Zusammenwirken aufzunehmen, vor allem im Kampf gegen afghanische Drogengefahr. In der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) entwickelt sich immer aktiver neben unserer gemeinsamen Arbeit im Sicherheitsbereich die handels-wirtschaftliche Zusammenarbeit, u.a. in den von den Unternehmerkreisen der SOZ-Staaten gebildeten Einrichtungen.
Wir setzen unsere Arbeit mit der Europäischen Union aktiv fort: In diesem Jahr haben das Gipfeltreffen in Helsinki und das erste nicht formelle Treffen des russischen Präsidenten mit den Führern aller EU-Staaten stattgefunden. Auf der Tagesordnung steht die Ausarbeitung eines Dokuments, das das Abkommen über die Partnerschaft und Zusammenarbeit ersetzen soll. Unser Verhandlungsmandat ist fertig, wir warten auf das identische Mandat der EU-Kommission.
Zu einer neuen Etappe in der Entwicklung unserer strategischen Partnerschaft mit China ist das russische Jahr in China geworden. Es war sehr erfolgreich. Wie bekannt wird im nächsten Jahr das chinesische Jahr in Russland veranstaltet. Wir haben an der multilateralen Diplomatie aktiv gearbeitet. Da möchte ich vor allem auf das erste in der Geschichte Gipfeltreffen im dreiseitigen Format Russland-China-Indien - es fand im Rahmen des G8-Gipfels in Sankt-Petersburg statt – und auf das erste Treffen der Außenminister Russlands, Chinas, Indiens und Brasiliens (BRIC) im September dieses Jahres hinweisen.
Der Besuch des Präsidenten Putin in Vietnam wurde zum Meilenstein in unseren Kontakten mit den südostasiatischen Ländern. Auch unsere Beziehungen zu ASEAN und zu von dieser Einrichtung gegründeten Dialogstrukturen haben sich weiter entwickelt.
Der Besuch des russischen Präsidenten in der Südafrikanischen Republik und Marocco hat Russlands Beziehungen zu afrikanischen Staaten auf ein qualitativ neüs Niveau gebracht. Auch der russische Außenminister hat in diesem Jahr mehrere afrikanische Staaten besucht. Natürlich haben auch unsere afrikanischen Kollegen Moskau besucht.
Wir haben unserem Zusammenwirken mit lateinamerikanischen Staaten und Staatenbündnissen dieser wichtigen Region einen neuen Anstoss gegeben. Beispielsweise haben wir einen Mechanismus des politischen Dialogs mit MERCOSUR geschaffen, wir stärken die vertragsrechtliche Grundlage unserer Beziehungen zu lateinamerikanischen Staaten und erweitern unsere handels-wirtschaftliche Kooperation, und es haben sich Perspektiven der russischen Beteiligung an transkontinentalen wirtschaftlichen und infrastrukturellen Projekten abgezeichnet.
In diesem Jahr hat das Außenministerium im Auftrag vom russischen Präsident Wladimir Putin zum ersten Mal eine übersicht der Außenpolitik des Landes vorbereitet. Es war notwendig, denn in internationalen Angelegenheiten hat sich kritische Masse der Wandlungen akkumuliert, die es uns erlauben, mit grosser Zuversicht über die Trends in der Weltentwicklung zu urteilen. Wir werden diese übersicht dem Präsidenten vorlegen, und ich glaube, dass sie auch der öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wird. Sie erlaubt es uns, die Auswertung der laufenden Etappe in der Entwicklung der internationalen Beziehungen im Hinblick auf Russlands wachsende Rolle und Verantwortung in internationalen Angelegenheiten zu präzisieren. Notwendigenfalls können wir Empfehlungen vorschlagen, um unsere Arbeit in Einzelbereichen unserer Außenpolitik gemäss den Zielen und Prinzipien zu ändern, die noch 2000 im außenpolitischen Konzept der Russischen Föderation gebilligt wurden. Bei der Vorbereitung dieser übersicht haben wir mit unseren Kollegen aus anderen ämtern, mit Bereichskomiteen der Kammern der Föderalen Versammlung und mit Nichtregierungsorganisationen eng zusammengearbeitet, und ich möchte auf die wachsende Rolle der wissenschaftlichen Analyse der Außenpolitik hinweisen. Ein gutes Beispiel stellt das neulich abgeschlossene wissenschaftliche Projekt „Politischer Atlas der Gegenwart" unter MGIMO-Schirmherrschaft (Moskaür Staatliches Institut für internationale Beziehungen) dar. Die Ergebnisse wurden vor kurzem in der Zeitschrift „Expert" veröffentlicht. Es war zwar eine parallele Arbeit, die mit der unmittelbaren Vorbereitung der außenpolitischen übersicht vom Außenministerium nichts zu tun hatte, doch bestätigen die ihre Ergebnisse unsere Auffassung, dass Russland in der globalisierenden Welt mit anderen Staaten ausser der gemeinsamen Verantwortung für die gemeinsame Zukunft nichts zu teilen hat. Und wir sind bereit, an dieser kollektiven Leaderschaft, an diesem gemeinsamen Konzert der führenden Mächte teilzunehmen.
Deshalb müssen alle sich bzw. ihre Vorstellungen von der Welt ändern. Dies ist die Aufgabe aller Länder. Diese Vorstellungen müssen mit der Realität verglichen werden. Nach der Beendigung des Kalten Krieges sind etwa fünfzehn Jahre vergangen. Die Ausgangspunkte können zwar verschieden sein, aber es ist auf jeden Fall an der Zeit, zu bestimmen, wohin die Weltgemeinschaft sich bewegen soll, wenn sie das Erbe des Kalten Krieges überwinden will. Dieses Erbe ist aus unserem Leben noch nicht ganz beseitigt, es bleiben dessen politisch-psychologische Prinzipien, Vorurteile, Stereortype. Ich bin überzeugt, dass jetzt die internationale Lage klar genug ist, und wir alle - natürlich wenn wir es wollen – können die gleiche Sicht auf die gegenwärtige historische Epoche haben, denn es ist sonst unmöglich, die Steürbarkeit der Weltentwicklung wiederherzustellen. Wir möchten, dass unsere Partner das starke an sich glaubende Russland nicht als Herausforderung, sondern als Möglichkeit der breiten und gegenseitig vorteilhaften internationalen Zusammenarbeit betrachten. Wir sind dazu bereit, wir haben keine Vorurteile, die unseren Blick verschleiern oder unsere Herangehen an internationale Angelegenheiten belasten. Wir baün unsere Außenpolitik offen und aufgrund von Tatsachen im Geiste des Pragmatismus auf, wir halten niemanden für unseren Feind und wir wollen verstanden werden. Und das ist auch ein Ergebnis dieses Jahres: Dass Russland nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung, der Berücksichtigung von gegenseitigen Interessen und gegenseitigen Vorteile zusammenarbeiten wird. Wir sind dessen bewusst, dass Russlands schneller Wiederaufbau, die Wiederherstellung seiner Tatkraft als eines der führenden Staaten für einige überraschend waren. Für einige war es möglicherweise eine unangenehme überraschung. Aber wir sind für Zusammenarbeit mit allen Ländern offen, die dazu bereit sind, wir haben es nicht eilig. Wir haben auch in unserem Land viel zu tun, aber weltweite Probleme, die ohne aktive Teilnahme aller einflussreichen Staaten, einschl. Russischer Föderation, kaum zu lösen sind, können auch nicht warten. Wir weichen den internationalen Aufgaben nie aus und werden es nie tun, aber es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir an der Zusammenarbeit mehr als unsere Partner interessiert sind. Was die Meinungsverschiedenheiten anbetrifft, so kann man ohne sie wohl nie auskommen, insbesondere in den Beziehungen zwischen den Grossmächten. Wir dramatisieren diese Meinungsverschiedenheiten nicht, sie sind objektiv, durch Interessen bedingt, die nicht immer identisch sind. überhaupt wurde weltweit schon immer Kampf um den Einfluss geführt, und es wird diesen Kampf immer geben. Aber Politiker dürfen vorhandene Probleme nicht vertuschen, sie sollen ihre Interessen ehrlich darlegen und Probleme durch ihren Vergleich lösen, nach dem gleichen Nenner suchen, ehrliche Kompromisse eingehen und nicht zu verbotenen Griffen greifen. Davon lassen wir uns in unserer täglichen Arbeit leiten, und dazu rufen wir alle unsere Partner auf. Ein gutes Beispiel wäre das in Hanoi mit den Vereinigten Staaten unterzeichnete bilaterale Protokoll über Russlands WTO-Beitritt. Russland wird immer diejenigen unterstützen, wer begreift, dass kollektive Sicherheit durch kollektive Anstrengungen aufgrund von klaren und für alle verbindlichen Spielregeln gesichert werden muss. Wir werden immer gegen neü Ideologisierung, Remilitarisierung der gegenwärtigen internationalen Beziehungen auftreten. Die wichtigste Aufgabe der russischen Diplomatie und der ganzen Weltgemeinschaft ist: Einen positiven Umbruch in der internationalen Entwicklung zu erreichen. Und wenn es uns nicht gelingt – und zwar recht schnell – so laufen wir die Gefahr, in den Sog der Konfrontationsträgheit zu gelangen, und dadurch werden alle verlieren.
Im kommenden Jahr werden wir also versuchen das Erreichte zu behalten und womöglich zu erweitern. Bestimmt werden wir eine besondere Aufmerksamkeit den Faktoren der Weltpolitik schenken, die unsere Besorgnis erregen. Zu erwähnen wäre hier der unbefriedigende Stand im Abrüstungsbereich. Trotz den langjährigen Bemühungen gelingt es uns nicht, das Wettrüsten zu stoppen. Solche Mittel, wie Einschüchterung und Isolierung, Akzent auf Gewaltanwendung in der Außenpolitik einiger Staaten veralassen einige Staaten, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen, wobei sie versuchen, den sich den Zugang zu den Mitteln der asymmetrischen Erwiderung zu verschaffen, dazu gehört auch das Streben nach Beherrschung der Atomtechnologien. All dies steigert das Risiko, und wir werden uns anstrengen, um diese Situation mit diplomatischen Mitteln zu verbessern. Es ist für uns wichtig, die Atmosphäre der internationalen Beziehungen zu gesünden, Probleme zu lösen, die diese Atmosphäre vergiften, und dazu gehören auch lange regionale Konflikte. Zugleich wollen wir allen Staaten den Zugang zu modernen Technologien auf einer diskriminationslosen Grundlage sichern, natürlich unter Einhaltung von Nichtverbreitungsregimes und unter Verstärkung dieser Regimes. In diesem Kontext will ich die im Januar unterbreitete Initiative des Präsidenten Wladimir Putin über die Bildung von Internationalen Zentren für Urananreicherung unter Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde erwähnen.
Zur Zeit wird die Frage nach dem Aufbau eines solchen Zentrums unter Kasachstans Beteiligung in der Stadt Angarsk behandelt. In der selben Bahn liegt auch der Vorschlag des US-Präsidenten George Bush über globale Partnerschaft auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Auf dem Gipfeltreffen in Sankt-Petersburg wurde Idee von der Vereinigung der beiden Initiativen unterstützt. Das ist einer unserer wichtigsten Vorränge für das nächste Jahr.
Russland wird auch ferner zur sicheren und demokratischen Weltgestaltung beitragen, die sich auf multilaterale Rechtsprinzipien stützen soll. Wir werden solidarische Anstrengungen im Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität, Drogentraffic, illegale Migration unterstützen. Im selben Kontext werden wir aktive Teilnahme an der Reform der UNO, öCD und anderer internationalen Organisationen fortsetzen, die zu den neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen.
Eine wesentliche Hilfe in unserer Arbeit stellte bzw. stellt Modernisierung des Instrumentariums der russischen Diplomatie, aktivere Einbeziehung in den Prozess der zivilen Gesellschaft dar. Ich meine Nichtregierungsorganisationen, Medien, politologische Gemeinschaft, akademische Wissenschaft, Körperschaften. Wir fühlen, dass durch Erweiterung der Beziehungen zur zivilen Gesellschaft unsere Außenpolitik und Interessen, die dahinter stehen, für unsere Partner deutlicher werden. Wir werden diese Arbeit aktivieren.
Unsere Arbeit mit den Landsleuten im Ausland wurde auf ein qualitativ neüs Niveau gehoben. In Sankt-Petersburg hat ein wichtiges Forum stattgefunden der reguläre Weltkongress der Landsleute. Auf diesem Kongress wurden unsere Pläne mit Unterstützung aller wichtigsten Diasporas strukturell gestaltet. Jetzt steigt bei der Entwicklung jeder Gesellschaft Bedeutung von kulturellen Ressourcen und Ressourcen der Zivilisation, deshalb gehört zu unseren außenpolitischen Prioritäten die Stärkung dessen, was ich „Russische Welt" nennen würde. Und damit will ich meine Ansprache beenden und bin bereit, auf Ihre Fragen zu antworten.
Frage: Heute wird Russland des Neoimperialismus beschuldigt, weil es bei Berechnungen der Preise für Energieträger auf Weltpreise übergehen will. Was meinen Sie dazu?
Sergej Lavrov: Das stimmt nicht. Und jedem unvoreingenommenen Beobachter ist es klar, dass selbst die Fragestellung, wie Sie sie formuliert haben, keine andere Antwort ausschliesst, denn der übergang zu den Prinzipien der Marktbeziehungen Grundvoraussetzung der Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit darstellt. Alle Staaten tun so, auch gegenüber ihren Verbündeten. Die Verbündeten werden anders unterstützt, nicht über entstellte Preise für Waren und Dienstleistungen. So ist es.
Frage: Gestern hat sich Herr Putin mit seinem syrischen Kollegen Assad getroffen. Davor hat sich Wladimir Putin mit dem libanesischen Premierminister Siniora getroffen. Im Hinblick auf komplizierte Beziehungen zwischen Damaskus und Beirut kann man da nicht über Russlands Vermittlerrolle sprechen? Erläutern Sie bitte Ihren Standpunkt zum internationalen Gerichtsverfahren im Falle Mord am ehemaligen Premierminister Hariri.
Sergej Lavrov: Russland hat sich an der Regelung der Nahostkrise, an der umfassenden Regelung des arabisch-isrälischen Konflikts immer aktiv beteiligt. Ohne Zweifel gehören zur umfassenden Regelung die libanesische und syrische Richtung. Als Mitglied des Nahost-Quartetts suchen wir nach Lösungen. Der Friedensfahrplan, der sich vor allem auf die palästinensisch-isrälische Regelung gerichtet ist, zeuht jedoch von der Notwendigkeit der umfassenden Vereinbarungen zu Nahost-Angelegenheiten, einschl. libanesische und syrische Probleme. Die gegenwärtige Entwicklung im Libanon ist identisch der Entwicklung auf palästinensischen Territorien, und das erregt unsere Besorgnis. Ich meine vor allem die Gefahr der inneren nationalen Konfrontation. Ich bin überzeugt, dass nationale Einheit sowohl im Libanon, als auch auf palästinensischen Territorien, auf der legalen Grundlage also im Rahmen der Verfassung gesichert werden soll. Ausgerechnet dafür treten wir auf, indem wir versuchen der libanesischen Gesellschaft, der Regierung, Politikern zu helfen, den Weg zur Wiederherstellung des Einvernehmens im Land zu finden. Dies waren auch Gesprächsthemen mit dem libanesischen Premierminister Siniora, darum ging es auch im Gespräch mit dem syrischen Präsident Assad. Ich hoffe, dass im Hinblick auf bekanntlich enge Beziehungen zwischen Syrien und dem Libanon und die zugleich vorhandenen Probleme in diesen Beziehungen, unsere Haltung für schnelle Normalisierung der syrisch-libanesischen Beziehungen, einschl. Botschafteraustausch, Delimitation der Grenze, in Damaskus richtig aufgenommen wurde. Wir haben zumindest gespürt, dass Präsident Assad mit uns übereinstimmt und zum direkten Dialog mit Premierminister Siniora bereit ist. Wir treten für diesen Dialog auf und unterstützen ihn.
Was eine besondere Vermittlerrolle betrifft, so haben wir einen Anspruch darauf. Wir schätzen die Anstrengungen der Arabischen Liga und ihres Generalsekretärs Amre Moussa, unterstützen diese Anstrengungen, unterstützen die Ideen, die er vertritt, um die innere libanesische Krise beizulegen. Wir fühlen, dass diese Ideen – die unseren Vorstellungen über die Krisenbeilegung ähnlich sind - von allen Gruppen im Libanon immer mehr unterstützt werden.
Was das Gerichtsverfahren im Fall des Mords am ehemaligen Premierminister des Libanon Hariri betrifft, so treten wir konseqünt dafür auf, die Schuldigen, einschl. Täter, Anführer, Anstifter vors Gericht zu stellen. Wir haben die Aufforderung der libanesischen Regierung unterstützt, zu diesem Zweck ein internationales Tribunal zu gründen, und nehmen an der Arbeit an dessen Gründungsdokumenten aktiv teil. Unsere Standpunkt in bezug auf diese Dokumente: Das Tribunal soll zum Organ der internationalen Justiz werden, wir dürfen keinesfalls Politisierung seiner Verfahren und Mechanismen zulassen. Unsere Vorschläge haben im Projekt des Statuts den Niederschlag gefunden. Wenn auch nicht hundertprozentig, so ist jedoch der Sinn unserer Vorschläge in die Sprache der praktischen Definitionen übersetzt. Wir sehen dieses Tribunal nur als Organ der internationalen Justiz. Den nächsten Schritt soll der Libanon tun, aufgrund der libanesischen Verfassung. Nachdem wir im Weltsicherheitsrat die Bestätigung bekommen, dass der Statut der libanesischen Verfassung entspricht und akzeptabel ist, werden wir ohne Zweifel zur praktischen Arbeit an der Gründung dieses Organs übergehen.
Frage: Sie haben in Ihrer Ansprache gesagt, Sie seien froh, dass die Rolle Russlands in diesem Jahr gewachsen ist. Ich glaube, es gibt keinen Führer, der es verneinen würde, zumindest in europäischen Ländern. Das würden alle bestätigen, aber ich glaube, sie würden auch sagen, dass es jetzt schwieriger ist, es mit Russland zu tun zu haben. Denn Russland ist selbstbewusster geworden. In diesem Zusammenhang habe ich folgende Frage. Jedesmal, wenn der russische Präsident Wladimir Putin sich mit einem westeuropäischen oder amerikanischen Führer trifft, rufen ihn Medien im Vorfeld dieses Treffens immer wieder auf, die Frage nach der Demokratie, der Pressefreiheit, nach Menschenrechten zu stellen. Jedesmal gehen diese Führer diesen Aufrufen nach, und Wladimir Putin antwortet ihnen höflich. Dabei ändert sich aber nichts, zumindest entsteht solcher Eindruck. Meine Frage lautet so. Russland beteiligt sich immer mehr an der Politik, will aber diese Aufrufe ausser Acht lassen. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass in den letzten Jahren, in den Jahren des Regierens Putins in diesen Fragen, ich meine vor allem Medien, elektronische Medien, Wahlen usw., sich die Lage verschlechtert hat. Ich möchte, dass Sie laut über diese Widersprüche laut nachdenken. Einerseits wächst Russlands Rolle, andererseits behält es das Recht, Kritik ausser Acht zu lassen.
Sergej Lavrov: Sehr bemerkenswert, dass Sie kein Beispiel der Verletzung durch Russland der Rechte seiner Bürger und seiner internationalen Verpflichtungen geführt haben. Sie sagen, dass jedesmal im Vorfeld des Gipfels zwischen Russland und westlichen Staaten in der Presse eine ganze Welle von Forderungen steigt, dem russischen Präsident Wladimir Putin Fragen nach der Demokratie, Menschenrechten, der Medienfreiheit zu stellen. Dann haben Sie gesagt, dass er jedesmal antwortet, es ändere jedoch nichts. Bevor ich auf Ihre Frage eine konkrete Antwort gebe, möchte ich verstehen, um welche Forderungen gegenüber Russland es geht.
Immer, wenn unsere Partner an uns konkrete Fragen stellen, aus der überzeugung, es stimme etwas nicht mit uns, und wenn diese Fragen an uns aufrichtig gestellt werden, wenn sie auf den freundschaftlichen Wunsch zurückzuführen sind, Russland zu helfen, einen konkreten Bereich dessen Beteiligung an internationalen Angelegenheiten bzw. einen Bereich unseres inneren Lebens zu verbessern, antworten wir auf diese Fragen immer. Wir berücksichtigen Empfehlungen unserer ausländischen Freunde oft. Da kann ich auf folgendes Beispiel verweisen: Wir haben unsere Gesetze nach Empfehlungen der Konvention des Europarates wesentlich geändert. Das ist eine Tatsache.
Wenn jedoch diese Kritik – dazu verknüpft mit den Besuchen des russischen Präsidenten Wladimir Putin – die Seiten der Zeitungen und die Bildschirme der Fernseher überschwemmt, wenn also man versucht, diese Kritik an uns über Lautsprecher und Mikrophone zu Gehör zu bringen, so hören wir erstens sowieso das, was gesagt wird, und versuchen zu verstehen, ob es da nicht vielleicht doch etwas konkretes gibt. Aber parallel entsteht das Gefühl – und wir können es nicht loswerden - dass das Hauptziel ist, nicht Russland zu helfen, etwas zu verbessern, was im Westen Besorgnis erregt, sondern für die Leser und Zuschaür des jeweiligen Landes zu arbeiten, zu versuchen, Russland aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie haben recht, dass solche Kritiken zunehmen je sicherer Russland seiner Kraft wird. Die Konkurrenz hat wohl immer den Wunsch – und einflussreiche Mächte konkurrieren immer – ihren Partner, Wettbewerber irgendwie zu schwächen. Ja, das ist ein natürlicher Wunsch, aber diese Mittel der Konkurrenz sollen fair und anständig sein.
In diesem Sinne will ich auch den zweiten Teil Ihrer Frage kommentieren, dass Russland sich in die Weltpolitik integriere, aber Aufrufe ignoriere. Wenn an uns konkrete Fragen gestellt werden, die im Westen Besorgnis erregen, geben wir auf sie konkrete Antworten. Sonst habe ich nichts mehr dazu zu sagen.
Frage: Vor zwei Tagen war unser Fernsehteam in Abchasien. Haben es russische Friedenswächter vor, in Abchasien auch nach Ablauf der jetzigen Frist zu bleiben?
Sergej Lavrov: Russische Friedenswächter haben ein von den GUS-Staatsführern gebilligtes Mandat, und es wurde auch vom Weltsicherheitsrat gebilligt, u.a. im Rahmen der engen Zusammenarbeit zwischen den Kollektiven GUS-Friedenstruppen und der UN-Beobachtermission in Georgien. Dieses Mandat ist eigentlich unbefristet. Bis die Parteien die Frage nach der Geltungsdaür dieses Mandats stellen, gilt es. Und meiner Meinung nach soll die Zusammenarbeit aller Parteien mit den GUS-Friedenswächtern gesichert, und alle Beschlüsse, die Parteien gefasst haben, u.a. über den Status der Kodori Schlucht, erfüllt werden, denn es ist im Interesse aller. Und was besonders wichtig ist, es ist wichtig für die Stabilität und Sicherheit in dieser Region. In der Kodori Schlucht werden z.Z. georgische Militärtruppen stationiert, und das ist ein Verstoss gegen die geltenden Abkommen, geltende Vereinbarungen. Die Friedenswächter haben mehrmals signalisiert, es solle gutgemacht werden. Diese Einstellung wurde in der Resolution des Weltsicherheitsrates unterstützt, die im Oktober dieses Jahres angenommen und von der georgischen Seite noch nicht erfüllt wurde. Bestimmt erregt es unsere Besorgnis, und ständige Provokationen gegen russische Friedenswächter auch, sowohl in Abchasien als auch in Südossetien.
Frage: Sergej Viktorowitsch, gestatten Sie mir die Frage meines Kollegen nach der Reaktion des Westens zu ergänzen. Hat sich Ihrer Meining nach Russlands Ruf nach Ergebnissen dieses Jahres verbessert oder verschlechtert? Und was hat dazu beigetragen bzw. was hat es gestört?
Sergej Lavrov: Erstens lebe ich nicht im Ausland, sondern in Russland. Zwar reise ich manchmal dienstlich ins Ausland. Es ist nicht meine Sache, zu urteilen, wie Russland in der öffentlichkeit aufgenommen wird. Natürlich sehe ich, dass man versucht, diesen Ruf künstlich in dunkeln Farben darzustellen. Ich will keine Beispiele führen, alle kennen sie wohl. Aber hier ist ein wirklich krasses Beispiel. Identische Ereignisse in Russland und in anderen Ländern – Kriminalität, Korruption - werden sehr unterschiedlich dargelegt. Wenn es um ein solches Ereignis im Westen geht, so wird es ein bis zwei Tage unvoreingenommen behandelt, und dann ist es für die Zeitungen und das Fernsehen kein Thema mehr. Wenn es jedoch um Russland geht, so sieht es ganz anders aus. Einige Ereignisse werden nach einem Jahr, sogar nach zwei Jahren wieder aufgenommen und weiter behandelt. Ich habe nichts gegen das Recht der Journalisten auf eigene Darlegung und Beurteilungen, aber ich glaube, dass das Kriterium dieser Beurteilungen Objektivität sein soll, und ich hoffe, dass unser heutiges Gespräch dazu beitragen wird. Wir sind offen für die Medien. Unser Präsident zeigt dabei allen das Beispiel. Russische Führung weicht Kontakten mit der Presse überhaupt nicht aus. Sie können auf alle Fragen Antworten bekommen. Nur wenn Sie über etwas schreiben, sollen sie auch unseren Standpunkt zum Ausdruck bringen, sonst kommt es häufig vor, dass voreingenommene Beurteilungen dominieren. Die letzten Ereignisse, beispielsweise der Tod von Alexander Litwinenko, sind ein Beweis dafür. Das ist wirklich eine wunderbare Fähigkeit, über alles mögliche zu sprechen, Zeugen herauszuzaubern, die niemand in Russland je gesehen hat, die auch in England niemand kennt, und mit diesen Interviews führende westliche Medien zu füllen. Dabei werden bekannte Tatsachen, die in Russland gar zugänglich sind, ausser Acht gelassen. Ich verhalte mich sehr philosophisch dazu, was vorgeht. Ja, es ist wohl Wiederspiegelung objektiver Trends, u.a. des Trends zu Russlands Stärkung sowie des ewigen Wettbewerbtrends, der Wunsch, seine Wettbewerber zu schwächen, sie zu zwingen, sich auf den Fragen zu konzentrieren, die nicht von erstrangiger Bedeutung für die Entwicklung des Landes, für dessen Beziehungen zu den Partnern sind. Aber wenn wir unsere Wirtschaft ruhig und sicher, unsere Beziehungen und unseren Dialog mit allen Staaten und Bündnissen fair und partnerschaftlich entwickeln werden, dann wird die Versuchung, uns mit verbotenen Griffen aus dem Gleichgewicht zu bringen, allmählich schwinden.
Frage: Meine Frage bezieht sich auf das wiederholte Todesurteil des lybischen Gerichts gegen bulgarische Krankenschwestern, das gestern gefällt wurde. In diesem Zusammenhang, wie ist die Haltung Russlands gegen dieses Urteil? Wie hat Russland Bulgarien geholfen, mit dieses Problem zu lösen, denn es hat mehrmals seine Hilfe angeboten, und auch bei den letzten Verhandlungen mit Ihrem bulgarischen Kollegen haben Sie davon gesprochen. Danke.
Sergej Lavrov: Eigentlich haben Sie Ihre Frage schon beantwortet. Wir haben unseren bulgarischen Kollegen versprochen, ihnen in dieser Frage zu helfen, haben auch entsprechende Signale nach Tripoli auf verschiedenen Ebenen geschickt. Wir haben die lybische Führung aufgefordert, Barmherzigkeit zum Ausdruck zu bringen und dieses Problem auf zufriedenstellende Weise zu lösen, natürlich im Rahmen des Rechtsverfahrens. Aus meiner Sicht löst das gefällte Urteil sehr ernste Fragen aus. Ich teile die Auffassung derjenigen, wer es zu für zu hart hält und meint, dass mehrere Faktoren die im Gerichtsverfahren vorgelegt wurden, nicht berücksichtigt wurden. Ich weiss nicht, ob die lybische Gesetzgebung die Möglichkeit vorsieht, diesen Menschen das Leben zu retten, aber ich rufe dazu auf.
Frage: Sagen Sie bitte, wann soll der Vorsitzende der Regierungskommission Lettland-Russland ernannt werden? Was ist der Grund der Verzögerung. Ist es ein politischer oder technischer? Danke.
Sergej Lavrov: Ein bürokratischer. Neulich haben wir zwei Regierungsabkommen unterzeichnet: über die wirtschaftliche Zusammenarbeit und über die Bildung der Regierungskommission. Und es sind nur ein oder eineinhalb Monate vergangen. Es wird noch etwas daürn, bis wir die Kandidatur des Vorsitzenden auswählen, will nur sagen, dass wir auch diese Abkommen sehr lange nicht unterzeichnen konnten, wegen der Passivität der lettischen Seite. Und ohne diese Abkommen war es natürlich unmöglich, die Kommission zu bilden. Deshalb bin ich überzeugt, dass es eine positive Etappe war: Wir haben zwei wichtige Dokumente unterzeichnet. Ich bin überzeugt, dass die Kommission bald mit der Arbeit beginnen wird.
Frage: Sergej Viktorowitsch, unter den Hauptaufgaben für das nächste Jahr haben Sie die Stärkung der „Russischen Welt" genannt. Sagen Sie bitte in diesem Zusammenhang, wie will die russische Diplomatie Interessen der russischsprachigen Bevölkerung in den ehemaligen Sowjetrepubliken verteidigen, beispielsweise in Lettland, wo nach einigen Angaben die Botschaft eher den örtlichen Behörden als russischen Bürgern und Nichtbürgern dieses Landes hilft. Danke.
Sergej Lavrov: Ich weiss nicht, was Sie konkret meinen. Unsere Botschaft hat kein Recht, eigene Politik, „eigene Botschaftspolitik" zu führen. Wir haben eine Staatspolitik. Sie wird von unserem Präsident bestimmt, vom Außenministerium realisiert, u.a. über unsere Einrichtungen im Ausland.
Was die Mittel betrifft, mit denen wir die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion verteidigen wollen, so sind diese Mittel gut bekannt. Das sind das Völkerrecht, und die Notwendigkeit, entsprechenden Verpflichtungen nachzugehen, entsprechende Normen und Standards zu erfüllen. Sowohl mit Lettland als auch mit Estland sind es vor allem Empfehlungen, die vom Menschenrechtskommissar des Europarates und OSZE-Kommissar für nationale Minderheiten angenommen wurden. Ausserdem versuchen wir Lettland und Estland im Rahmen unserer EU-Partnerschaft zu überzeugen, diese Empfehlungen zu erfüllen. Beim Beitritt Lettlands und Estlands zur EU im Frühjahr 2004 im Rahmen der EU-Erweiterung wurde in der Gemeinsamen Erklärung Russland-EU die Aufgabe festgelegt, Rechte der nationalen Minderheiten zu sichern. Was die Bestimmung in dieser Erklärung anbelangt, die Russland erfüllen sollte, so haben wir schon alles gemacht. Aber die Europäische Union hat uns gegenüber noch eine kleine Schuld, auch in diesem Problem. Unserer Meinung nach sollte EU mehr tun, aktiver sein, damit es auf ihrem Territorium (Lettland und Estland befinden sich doch auf dem Territorium der EU) nicht solche schändlichen Erscheinungen gibt. Es darf nicht Menschen geben, in deren Ausweis in der Zeile Staatsangehörigkeit ein „Fremder" steht. Mit dem gegenwärtigen Tempo der Naturalisierung werden alle Nichtbürger in Lettland die Staatsangehörigkeit in vierzig, und in Estland in 28 Jahren bekommen.
Ich glaube, das ist ein Problem auch der EU und Nato, denn sie haben diese baltischen Länder als Länder die den höchsten demokratischen Standards entsprechen, aufgenommen.
Frage: Meine Frage bezieht sich auf die Verherrlichung des Nazismus in den Baltischen Staaten. Wie bekannt hat die estnische Führung bzw. der estnische Verteidigungsminister Russland ein feindlicher Staat genannt. Die höchsten Amtspersonen Estlands enthüllen Denkmäler zu Ehren der SS-Kommandos und reissen Gräber der Soldaten ab, die Europa vom Nazismus befreit haben. Welche diplomatischen Massnahmen will Russland treffen, um Rehabilitierung des Nazismus in Estland zu stoppen? Und noch eine Frage, wenn Sie gestatten: Welche Hoffnungen setzen Sie auf das kommende Jahr 2007 als dem chinesischen Jahr in Russland?
Sergej Lavrov: Zürst zur ersten Frage. Ich habe schon einige Schritte genannt, die wir unternehmen, um die Wiederherstellung und Verherrlichung des Nazismus, insbesondere „Waffen-SS" nicht zuzulassen. Wir handeln über internationale Organisationen, insbesondere über die ansehnlichste - die UNO, wo auf unsere Initiative entsprechende Entscheidungen getroffen wurden. Wir arbeiten auch im Europarat, in OSZE, auch mit unseren EU-Partnern und im Russland-Nato-Rat. Wir halten es für lästerlich und äusserst gefährlich, Besatzer und Befreiern Europas einander gleichzusetzen, und ausgerechnet das geschieht jetzt in Estland. Wir halten es für eine Herausforderungen an die Weltgemeinschaft. Ich bin überzeugt, dass es auch in Estland viele Kräfte gibt, die sich mit dieser Revision der Ergebnisse des Krieges nicht abfinden werden, und wir werden unsere Arbeit im Kontakt mit der estnischen Führung und auf dem internationalen Schauplatz fortsetzen.
Was das kommende chinesische Jahr in Russland anbetrifft, so wird es bestimmt eine einmalige Veranstaltung. Das russische Jahr in China war sehr erfolgreich. Ca. 300 verschiedene Veranstaltungen, nicht formelle Veranstaltungen, Veranstaltungen, die von der öffentlichkeit sehr positiv aufgenommen wurden, wurden in der Volksrepublik China durchgeführt. Unsere chinesischen Freunde haben alles ausgezeichnet organisiert und technische Hilfe geleistet. Wir versuchen uns zu revanchieren und gleich gute Organisation aller Massnahmen im Rahmen des chinesischen Jahres in Russland sichern. Diese Veranstaltungen sollen nicht minder interessant und inhalts- und umfangreich sein. Also werden Menschen in Russland, und zwar nicht nur in Moskau, sondern auch in vielen anderen Städten viel Interessantes erleben.
Frage: Herr Minister, erläutern Sie uns bitte den Inhalt der Iran-Resolution des Weltsicherheitsrats. Welche Meiningsverschiedenheiten gibt es in bezug auf diese Resolution zwischen Russland und den Vereinigten Staaten? Und wann findet die Abstimmung statt? Danke.
Sergej Lavrov: In der Arbeit an der Resolution findet der fortgesetzte Abstimmungsprozess der gemeinsamen Herangehen der europäischen Troika, Russlands, der USA und Chinas seinen Niederschlag. Die Arbeit in diesem Format hat fast vor einem Jahr begonnen. Der Arbeit zugrunde wurden konkrete Vereinbarungen gelegt, deren Sinn darin besteht, dass wir alle Fragen, die sich auf das iranische Atomprogramm beziehen, durch Verhandlungen, mit diplomatischen Mitteln lösen sollen, dass die Militärlösung dieses Problems keinesfalls in Frage kommt, und dass der Weltsicherheitsrat Bemühungen der Atomenergiebehörde unterstützen, und sie nicht ersetzen soll. Er soll Iran-Verhandlungen fördern und nicht den Iran bestrafen.
Wenn in dieser Arbeit alle diese Prinzipien eingehalten werden, kann die Lösung sehr schnell abgestimmt werden. Leider müssen wir Bestimmungen überwinden, die das ursprüngliche Projekt der europäischen Länder beinhaltete, und die sich von den grundlegenden Prinzipien unterscheiden, welche ich eben erwähnt habe.
Es gibt aber einen wesentlichen Fortschritt. In bezug auf die Einschränkungen auf Technologienlieferungen in den Iran wurde beispielsweise als Grundlage die russische Einstellung genommen, die darin besteht, dass die Einschränkungen nicht umfassend sein, sondern sich nur auf die Bereiche beziehen sollen, die Besorgnisse der IäA erregen. Das sind Urananreicherung, chemische Verarbeitung der abgebrannten Kernbrennstoffe, alles, was mit dem Bau des Schwerwasserreaktors notwendig ist, und Technologien, die zur Herstellung von Atomwaffenträger verwendet werden können. In dieser Hinsicht gibt es wie schon gesagt eine positive Entwicklung bei der Arbeit am Projekt, und dieses Herangehen ist darin festgelegt. Unsere Partner haben unsere Logik aufgenommen, leider versuchen sie jedoch jetzt die Situation sich zugunsten zu ändern. Sie versuchen in andere Resolutionsteile Bestimmungen aufzunehmen, die die einzuführenden Einschränkungen praktisch dimensionslos machen und somit Wege für handels-wirtschaftliche Beziehungen zu Iran auch in ganz legitimen Bereichen dichtmachen werden. Ausserdem versuchen sie diese legitimen und vom Standpunkt der IäA nicht zu verbietenden Bereiche der Zusammenarbeit unter Kontrolle des Komitee des Weltsicherheitsrates für Sanktionen zu setzen, das gegründet werden soll. Das alles verletzt eines der grundlegenden Prinzipien: Der Weltsicherheitsrat soll IäA und andere Einrichtungen nicht ersetzen, sondern der IäA helfen, Fragen zu lösen, die IäA an den Iran noch hat.
Ausserdem beinhaltet das Projekt den Versuch, auch solche IäA-Tätigkeitsbereiche einzuschränken, mit denen IäA selbst keine Probleme hat. Das ist auch falsch, denn wir haben vereinbart, IäA durch den Weltsicherheitsrat nicht zu ersetzen. Bestimmungen über das Verbot für iranische Amtspersonen ins Ausland zu reisen, beurteilen wir eindeutig als Versuch, in die Resolution eine Art Bestrafung aufzunehmen, und wir haben am Anfang vereinbart, dies nicht zu tun. Ich wiederhole: Wenn wir zurückkehren und aufgrund von Vereinbarungen ehrlich arbeiten werden, die der Tätigkeit der G6 zugrunde liegen, können wir schnell zur übereinstimmung kommen.
Frage: Ich möchte, dass Sie Russlands Einstellung zur letzten Erklärung des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas über mögliche Wahlen in Palästina erläutern. Und noch eine Frage. Was halten Sie von der Absicht einiger arabischen Länder, Atomobjekte für friedliche Zwecke zu haben, und welche Rolle könnte dabei Russland spielen? Ich meine ägypten und Staaten des Persischen Golfs. Danke.
Sergej Lavrov: Was die Entwicklung auf dem Territorium der Palästinensischen Nationalen Behörde betrifft, so habe ich schon gesagt, dass sie bei uns tiefe Besorgnis erregt. So wie im Libanon wollen wir alles tun, um die Spaltung der Gesellschaft nicht zuzulassen, und hoffen, dass die unternommenen Anstrengungen, auch die von Mahmud Abbas, zur Bildung der Regierung der nationalen Einheit, der technokratischen Regierung – man kann sie verschieden nennen - dass diese Anstrengungen fortgesetzt werden und dass sich die ganze Situation in gesetzlichen Rahmen, im Rahmen der palästinensischen Gesetzgebung entwickeln wird.
Ich muss mit tiefem Bedaürn sagen, dass die im September dieses Jahres erreichte Vereinbarung über die Bildung einer einheitlichen Regierung künstlich gestoppt wurde, und zwar nicht von Palästinensern. Es tut mir aufrichtig leid, denn im September, als ich in Ramallah war und mich mit Mahmud Abbas traf, schien es, dass wir die innenpalästinensische Konfrontation stoppen und dank den Vereinbarungen, die der Chef der Palästinensischen Nationalen Behörde mit dem Vorsitzenden der palästinensischen Regierung erreicht hat, den Regelungsprozess wiederaufnehmen werden. Ich wiederhole: Schade, dass Palästinenser damals verhindert wurden, zur übereinstimmung zu kommen. Wir müssen jedoch daraus eine Lehre ziehen und alles tun, um ihnen zu helfen, jetzt zur übereinstimmung zu kommen.
Zur Frage nach der Entwicklung der friedlichen Atomenergie. Wir sind offen für die Zusammenarbeit mit allen gewissenhaften Teilnehmerstaaten des Atomwaffensperrvertrags, mit allen Staaten, die mit IäA gewissenhaft zusammenarbeiten. Wir werden uns bemühen, zusätzliche völkerrechtliche Normen einzuführen, um das Nichtverbreitungsregime zu verstärken. Ich habe die Initiative des Präsidenten Russlands Wladimir Putin, die Initiative des Präsidenten George Bush erwähnt. Diese Initiativen ergänzen einander. Ich will auch darauf verweisen, dass immer mehr Staaten wollen, den Status des Zusätzlichen Protokolls zum Garantieabkommen mit IäA festigen. Es gibt Ideen des IäA-Generaldirektors, was gemacht werden soll, um das Nichtverbreitungsregime zu festigen. Wir werden alles tun, um den Dialog über die Ausarbeitung der entsprechenden völkerrechtlichen Vereinbarungen zu starten, und sind bereit – ich wiederhole – mit den Teilnehmern des Atomwaffensperrvertrags, mit den freiwilligen Teilnehmern der Vereinbarungen mit IäA über die friedliche Entwicklung der Atomwirtschaft zusammenzuarbeiten.
Frage: Ende dieses Jahres sind die Beziehungen in der Europäischen Union komplizierter geworden. Es gibt einige Probleme. Ich möchte fragen, sind es aus Ihrer Sicht Hauptprobleme der EU? Will Russland etwas unternehmen, um diese Situation zu lösen?
Sergej Lavrov: Wenn ich gesagt hätte, dass es in der Europäischen Union keine Probleme gibt, hätten Sie mir wohl nicht geglaubt. Andererseits sind es natürlich Probleme der Europäischen Union, und ich kann nicht zu ihrer Lösung beitragen. Ich will nur sagen, dass Russland aufrichtig interessiert ist, dass Probleme, die in der EU entstehen, gelöst werden. Wir sind daran interessiert, dass die Europäische Union sich stärkt und zu handels-wirtschaftlichen und außenpolitischen Fragen und zu Sicherheitsfragen mit einer Stimme spricht. Das ist in unserem Interesse, denn wir wollen unsere Partnerschaft mit EU noch effizienter entwickeln. Wir verfolgen aufmerksam die geführten Debatten und die Prioritäten, die die zukünftige deutsche Präsidentschaft stellt: Vereinbarung über die EU-Verfassung zu erreichen. Wir wünschen aufrichtig, dass diese Prozesse erfolgreich vor sich gehen. Ich wiederhole: Je einheitlicher die Europäische Union ist, desto effizienter wird unsere Partnerschaft bei der Krisenregelung und Gewährleistung der Sicherheit, auch im Kampf gegen terroristische Bedrohung, organisierte Kriminalität, Drogentraffic und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Wie ich schon gesagt habe, haben wir unseren Schritt zur Entwicklung unserer Beziehungen zur EU getan. Russische Haltung auf den Verhandlungen steht fest. Es ist die Haltung, die wir unserer Arbeit am neuen Vertrag über die strategische Partnerschaft zugrunde legen. Ich bin überzeugt, dass auch EU in der nächsten Zukunft Mandat ihrer Delegation auf den Verhandlungen mit uns abstimmen wird. Diese Verhandlungen über das neü Dokument, das neü Qualitäten der Zusammenarbeit wiederspiegeln soll, werden wohl den Hauptinhalt der zwei nächsten EU-Präsidentschaften im Jahre 2007 darstellen. Natürlich gehen wir davon aus, dass Anfang des Jahres die Abkommen über die Erleichterung der Visavorschriften und über Readmission in Kraft treten werden, die Russland und die Europäische Union im Mai 2006 unterzeichnet hatten.
Frage: In der letzten Zeit wurden die Verhandlungen über armenisch-aserbeidschanische Regelung intensiviert. Ist es Ihrer Meinung nach möglich, dieses Konflikt in der nächsten Zukunft beizulegen, so 2007-2008, und welche zusätzlichen Vorschläge kann die russische Seite machen? Bekrärftigt die russische Seite die offizielle Einstellung, dass sie Aserbaidschans territoriale Integrität unterstützt. Sie haben das vergangene russische Jahr in China erwähnt. Aus irgendeinem Grunde haben Sie aber nichts über das russische Jahr in Aserbaidschan gesagt. Der russische Premierminister hat unser Land besucht. Wie beurteilen Sie das russische Jahr in Aserbaidschan? Hat es einen neuen Anstoss zur Festigung der russisch-aserbaidschanischen Zusammenarbeit gegeben?
Sergej Lavrov: Was Verhandlungen über die Bergkarabach-Regelung betrifft, so sind Prognosen eine undankbare Sache. Wir sind Kopräsidenten der Minsker OSZE-Gruppe. Die anderen Präsidenten sind Vereinigte Staaten und Frankreich. Die Rolle der Präsidenten besteht darin, den Seiten zu helfen, übereinstimmungen zu erreichen. Die Schlüsselbedeutung haben direkte Kontakte zwischen Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens, zwischen ihren Außenministern. Kopräsidenten helfen bei der Vorbereitung dieser Kontakte, hören das, was die Führer sagen und versuchen zu den neuen Treffen Vorschläge vorzubereiten, die den Führern helfen sollen, weiter nach der Lösung zu suchen. 2006 haben wir bedeutenden Fortschritt im Rahmen dieser Kontakte erreicht. Kontakte zwischen Baku und Jerewan sollen fortgesetzt werden. Ich werde keine Prognosen darüber machen, wann diese Vereinbarungen geschlossen werden können, aber ich bin mit der positiven Einstellung der Führung Aserbaidschans und Armeniens in Bezug auf die Fortsetzung der Verhandlungen sehr zufrieden. Natürlich sind wir den Prinzipien des Völkerrechts treu. Wir müssen für die Führer Aserbaidschans und Armeniens in bezug auf die Etappen und Fristen der weiteren Verhandlungen maximal günstige Bedingungen schaffen.
Natürlich kann ich nicht alle außenpolitischen Ereignisse dieses Jahres erwähnen. Diese neü Form der Arbeit – das Jahr eines Landes in einem anderen – halte ich für sehr effizient, nützlich. Wir versuchen diese Form aktiv verwenden. Sie ist übrigens keinesfalls formell, verzeihen Sie mir diese Tautologie. Es geht nicht um Veranstaltungen, bei denen Reden gehalten werden und gelangweiltes offizielles Publikum sitzt. Die Veranstaltungen des russischen Jahres in Aserbaidschan und die Rückveranstaltungen stellen richtige kulturelle Ereignisse, ein Kulturfest, ein Fest der Kunst dar – so sollen die geplanten und im Rahmen dieser Jahre durchgeführten Konzerte, Ausstellungen, Treffen der Kunstschaffenden empfunden werden. Diese Form der Partnerschaft, Zusammenarbeit, freundschaftlichen Beziehungen soll entwickelt werden, dessen bin ich sicher. Die in der GUS gefassten Beschlüsse, denen sich auch Aserbaidschan angeschlossen hat, über die Entwicklung der humanitären Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinschaft, werden die gesammelten wertvollen Erfahrungen unbedingt in sich aufnehmen.
Frage: Sergej Viktorowitsch, ich bitte um Entschuldigung, dass ich wieder auf die Frage nach dem Image Russlands im Ausland stelle. Probleme mit der Ukraine, nicht einfache Beziehungen zu Georgien, Moldawien werden von einigen als Faktore für die Verschlechterung des Image unseres Landes in Europa genutzt. Was erwarten Sie in dieser Hinsicht im nächsten Jahr? Wie kann die Führung Russlands und Ihr Auswärtiges Amt die Situation verändern, das Außenministerium vertritt doch Interessen unseres Landes weltweit? Oder es hat keinen Sinn dies zu tun, und die Kampagne wird fortgesetzt? Danke.
Sergej Lavrov: Wissen Sie, ich beobachte diese Kampagne nur, ich stehe nicht an ihrem Ursprung. Deshalb weiss ich nicht, welche Pläne es in bezug auf diese Kampagne gibt, aber ich kann auf Ihre Frage anhand der von Ihnen genannten Beispiele antworten: Ukraine, Moldawien, Georgien. Uns steht ein Gipfeltreffen mit der ukrainischen Führung bevor. Das wird das erste Gipfeltreffen in der Geschichte der Regierungskommission, der sogenannten Kommission Putin – Justschenko am 22.Dezember in Kiew sein. Die Kommission wird die erste Runde von Treffen krönen, die in ihren Rahmen stattgefunden hatten, denn Sitzungen aller Gremien der Kommission haben schon stattgefunden. Ich meine das Komitee für handels-wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Komitee für internationale Angelegenheiten, Komitees für Sicherheit, für humanitäre Fragen, die Schwarzmeerkommission. Die Präsidenten werden den zusammengefassten Bericht über Ergebnisse ihrer Arbeit entgegennehmen und Aufgaben für den nächsten Zeitraum stellen. Für jede diese Richtung gibt es Fragen, und das sind keine einfachen Fragen, es gibt aber auch positive Dynamik zu ihrer Lösung. Ich hoffe, dass einige Fragen schon im Laufe der Sitzung der Regierungskommission an diesem Freitag geregelt werden.
Im ganzen und grossen sind wir mit der Entwicklung von Beziehungen mit unseren ukrainischen Partnern zufrieden. Wir haben nicht das Gefühl, dass unser Image in der Ukraine einigermassen leidet. Und wie Russlands Image in den Beziehungen zur Ukraine geschildert wird, so will keine Verantwortung über die Beurteilungen übernehmen, aber ich sehe da viel subjektives und konjunkturelles. Ein anderes Beispiel ist Moldawien. Nach den Treffen des russischen und moldawischen Präsidenten im August in Moskau und Ende November in Minsk hat sich der Trend zur Normalisierung unserer Beziehungen verstärkt. Wir führen ein ehrliches konkretes professionelles Gespräch, u.a. über die Fragen der handels-wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Diese Fragen werden konseqünt behandelt, und konseqünt wird die Grundlage für die Lösung von noch vorhandenen Fragen geschaffen. Es ist ein normales konkretes Gespräch, ohne Geschrei, ohne polemische Ausschreitungen, wie es die zwei Präsidenten vereinbart haben. Wir sind zufrieden, wie diese Vereinbarungen erfüllt werden.
Ein Beispiel einer anderen Art ist Georgien, wo wir trotz den Treffen auf der Präsidentenebene, auf der Ebene der Außenminister keinen Einfluss auf reales Herangehen Tbilissis an die Beziehungen zu Russland spüren. Es ändert sich auch nichts zum Besseren. Mein Kollege georgischer Außenminister hat wohl gestern gesagt, das Problem bestehe darin, dass Georgien und Russland sich in Fragen des Morals und nach ihrer Mentalität unterscheiden. Wissen Sie, in diesem Falle würde ich ihm recht geben, denn wir führen Politik durch, die moralisch ist, zumindest wollen wir es. Und zur moralischen Politik gehört es – und das erwarten wir von unseren Partnern – das zu erfüllen, was vereinbart wurde. Aber es gibt Fakten - ich will sie nicht wiederholen - die überzeugend zeigen, dass Georgien allen seinen Verpflichtungen zu solchen Schlüsselfragen, wie Beilegung des südossetischen und abchasischen Konflikts, konseqünt ausweicht. Es weigert sich konseqünt, über die Nichtanwendung von Gewalt zur Beilegung dieser Konflikte zu verhandeln, schafft konseqünt alternative Strukturen gegenüber den Führern Südossetiens und Abchasiens, obwohl nach den erreichten Vereinbarungen, die auch von der UNO und OSZE gebilligt wurden, ausgerechnet die Führungen in Zchinwali und Suchumi Georgiens Partner auf den Verhandlungen sind. Anstatt mit ihnen zu verhandeln, werden parallele alternative Strukturen gebildet, das Land wird immer stärker militarisiert, es gibt ständig Provokationen gegen Friedenswächter in Südossetien, Abchasien, d.h. die von UNO und OSZE geweihten Vereinbarungen werden verletzt, und im Falle mit Abchasien wird sogar die UN-Resolution nicht erfüllt bzw. verletzt. Also kann solche Politik weder als gewissenhaft noch als moralisch anerkannt werden. Zu den Unterschieden in der Mentalität. Das gibt es wohl auch, aber nicht zwischen Mentalitäten des russischen und georgischen Volks. Es isr der Unterschied in der Mentalität einzelner Amtspersonen. Wenn man um unmoralische Politik zu führen, unbedingt einen bzw. mehrere Schirmherrn im Ausland braucht, und um solche Schirmherrn finden, muss praktisch in allen Fragen konseqünte antirussische Politik geführt werden, so kann man es auch Besonderheit der Mentalität gehen. Ich bin froh, dass wir mit meinem georgischen Kollegen in dieser Hinsicht Unterschiede haben.
Frage: Ich habe eine Frage über lateinamerikansiche Länder. Wie beurteilen Sie den politischen Dialog mit den Ländern Lateinamerikas?
Sergej Lavrov: Wir beurteilen die Beziehungen zu den Staaten Lateinamerikas als positiv. Mit vielen Einzelländern der Region, u.a. mit Kuba, haben wir extra Mechanismen zur Entwicklung des politischen Dialogs gebildet. In der letzten Zeit ergänzen wir sie durch den politischen Dialog mit Staatenbündnissen in der Region. Vorige Woche haben wir in Brasilia ein Memorandum über die Schaffung des Mechanismus des politischen Dialogs mit dem Südamerikanischen Gemeinsamen Markt – MERCOSUR unterzeichnet. Ich bin überzeugt, dass politischer Dialog ein gutes Instrument zur Entwicklung von partnerschaftlichen Beziehungen und Schaffung von Bedingungen zur Entwicklung des wirtschaftlichen Zusammenwirkens ist.
In der letzten Zeit ergänzen wir unsere Beziehungen zu Staatenbündnissen in der Region durch den politischen Dialog. Vorige Woche haben wir in Brasilien ein Memorandum über die Schaffung des Mechanismus des politischen Dialogs mit dem Südamerikanischen Gemeinsamen Markt – MERCOSUR unterzeicnhet. Ich bin überzeugt, dass politischer Dialog ein gutes Instrument zur Entwicklung von partnerschaftlichen Beziehungen und Schaffung von Bedingungen zur Entwicklung des wirtschaftlichen investitionellen Zusammenwirkens ist. Gerade in diese Richtung entwickeln sich unsere Beziehungen mit einigen Staaten Lateinamerikas und der Karibik, mit den Staatenbündnissen der Region. Ich sehe da eine gute Perspektive. Es gibt ja nicht nur gemeinsamen guten Willen der politischen Führung unserer Länder, sondern auch ein ernstes gemeinsames Interesse der Geschäftskreise Russlands und der lateinamerikanischen Ländern.
Frage: Was sind die grössten Probleme oder die wichtigsten Kräfte, die den Friedensprozess im Nahen Osten stören? Gibt es die Möglichkeit, zur Beschleunigung des Friedensprozesses, „Madrid-2" einzuberufen? Welche konkreten Massnahmen will Russland im nächsten Jahr treffen?
Und die zweite Frage. Sie führen häufig Verhandlungen mit isrälischen Führern. Und sie stellen immer die Frage nach dem Iran-Dossier. Wird auf den Verhandlungen die Frage nach dem isrälischen Atomarsenal gestellt?
Sergej Lavrov: Ich habe meine Haltung zum Nahost-Problem schon gesagt. Was stört den Friedensprozess? Vieles. Stereotype, an denen man hält, dass man den ersten Schritt nicht tun will, will nicht auf die öffentliche Rhetorik verzichten. Vieles stört, aber wir stimmen miteinander überein, dass extremistische Kräfte aller Parteien nicht entscheidende Rolle spielen dürfen. Auch in Isräl und Palästina, wenn es um palästinensisch-isrälische Regelung geht, gibt es vernünftig denkende Menschen, vernünftig denkende Politiker. Wir haben von Premierminister Ehud Olmert und Präsident Mahmud Abbas mehrmals gehört, dass sie zum direkten Treffen bereit seien. Wie halten dieses Treffen für äusserst wichtig. Sicherlich gehören zu dieser Krise schon so viele Probleme, dass der Wunsch begreiflich ist, für dieses Treffen Voraussetzungen zu schaffen. Da sich Probleme anhäufen, und die Lösung nicht in Sicht ist, wäre es wohl richtig, dass sich die zwei Führer für einverstanden erklären, sich ohne Vorausbedingungen zu treffen, und wir würden sie dabei unterstützen. Es wird immer mehr über „Madrid-2" gesprochen. Präsident Russlands hat vor langem den Gedanken über eine internationale Konferenz zu allen Aspekten der Nahost-Regelung ausgesprochen, und zwar nicht als einmalige Massnahme, sondern als Prozess. In dieser Hinsicht ist der Vergleich mit Madrid am Platze, so wie mit Oslo. Der Prozess, an dem sich unbedingt alle Staaten beteiligen müssen, die auf gewisse Weise die gegenwärtige Lage beeinflußen. In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, dass im Bericht der Baker-Hamilton-Kommission erwähnt wird, in den Dialog müssen Iran und Syrien einbezogen werden. Wir reden seit langem davon. überhaupt müssen alle Probleme der Region nicht durch Isolierung, sondern durch Einbeziehung aller Seiten in die Verhandlungen gelöst werden. Ich glaube, Versuche, jemad in der Region zu isolieren – egal ob ein Land oder eine politische Partei in diesem Land – ist eines der Haupthindernisse auf dem Wege zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses.
Was das Problem der Atomwaffen anbelangt, so stimmt Russland im Weltsicherheitsrat und auf anderen Foren immer für die Umsetzung des Konzepts der Bildung eines messenvernichtungswaffenfreien Raums im Nahen Osten.
Frage: In diesem Jahr haben Sie Dutzende Reisen ins Ausland gemacht. Welche war aus Ihrer Sicht besonders schwierig, und welche besonders überraschend im Hinblick auf deren Ergebnisse?
Antwort: Wissen Sie, da kann ich nicht etwas auswählen. Ich kann nicht sagen, dass eine Reise besonders nützlich, und eine andere überraschend war. Alle diese Reisen – und Sie haben an vielen davon teilgenommen – waren gefüllt mit Veranstaltungen und Verhandlungen. Egal ob dabei ein Dokument unterzeichnet wurde, oder es war nur ein vertrauliches Gespräch, - es war immer nützlich. Das gehört zum Netz unserer bilateralen und multilateralen Beziehungen, die es Russland gestatten mit seinen Partnern immer im Kontakt zu bleiben und Stabilität unserer Diplomatie vor den Schwankungen der außenpolitischen Konjunktur zu sichern. Dazu kann ich kaum mehr sagen. Beim Planen der Reisen für das nächste Jahr werde ich versuchen, sie nach ihrer Bedeutung und überraschung aufzugliedern.
Danke. Ein glückliches Neüs Jahr.