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Aus dem Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, für eine Sonderausgabe der TV-Sendung „Formula Wlasti“, „Vereinte Nationen – 70 Jahre“, im TV-Sender „Rossija 24“ am 14. August 2015 in Moskau

1554-14-08-2015

 

Frage: Worin besteht die Besonderheit der Jubiläumssession der UNO, die dem 70. Jahrestag seit der Gründung der Organisation gewidmet wird, ausgenommen es ist eine Jubiläumssitzung – wie ist das Format, welche Entscheidungen sollen getroffen werden? Was erwarten Sie persönlich von dieser Session?

Sergej Lawrow: Kurz vor Beginn der Diskussion über die gesamtpolitischen Fragen des Weltlebens, an denen die Staatschefs teilnehmen, findet ein Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung statt, an dem das neue 15-jährige Programm für die Zeit bis 2030 verabschiedet wird, das die internationalen Anstrengungen zur Lösung der Probleme im Bereich Umweltschutz umfasst. Russland wird im September den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernehmen. Wir bereiten eine spezielle Ministersitzung vor, die einer komplexen Analyse der Terrordrohungen gewidmet sein wird, die aus der Region Naher Osten und Nordafrika ausgehen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Thema sehr laut bei den Diskussionen in der UN-Vollversammlung lauten wird. Wir werden versuchen, auch bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats dieses Thema zu entwickeln, darunter unter Berücksichtigung der von Russlands Präsident Wladimir Putin geäußerten Initiative zur Bildung einer einheitlichen Front im Kampf gegen Terrorstrukturen wie Islamischer Staat bei einer parallelen Förderung der Prozesse zur politischen Regelung in der Region darunter Syrien.

Frage: Wie ist die Rolle der Sowjetunion und Russlands bei der Stärkung der UNO bzw. ihr mehr Ansehen zu verleihen?

Sergej Lawrow: Die Sowjetunion förderte aktiv die Prinzipien des UN-Statuts, die heute am lebensfähigsten sind – die Gleichberechtigung der Seiten, die Souveränität aller Staaten, der Respekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker als grundlegendes Prinzip der UNO und die Verpflichtung jedes Staates – die Rechte der Völker so zu sichern, damit diese Völker nicht unterdrückt werden. Dieses Prinzip ist heute sehr aktuell. Später verteidigten wir solche grundlegende UN-Prinzipien wie Kompromissfähigkeit, die Notwendigkeit, alles zu tun, damit der UN-Sicherheitsrat als Hauptorgan, der für die Sicherung des internationalen Friedens zuständig ist, auf kollektiven Grundlagen, Vereinigung der Anstrengungen funktioniert. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass das Veto-Recht, das so oft kritisiert wird, in der Tat das wichtigste Garant für die Sicherung der gegenseitigen Kontrolle ist, die in jedem demokratischen System notwendig ist. Eine andere Sache ist, dass manchmal Situationen provoziert werden, gegen die das Veto eingelegt wird, was in eigennützigen politischen Zielen gemacht wird, wie es bereits einige Male der Fall war. Wenn beispielsweise unsere westlichen Partner Resolutionen vorlegten, die keine praktische Bedeutung hatten, wie der Jahrestag der Ereignisse in Srebrenica. Bei all ihrer Tragik ist es kein Fall für den Sicherheitsrats, eine Seite bei den Erinnerungen an den Konflikten vor 20 Jahren einzunehmen. Ebenfalls ist es nicht Sache des UN-Sicherheitsrats, sich in eine strafrechtliche Verfolgung  der MH17-Katastrophe zu involvieren. Ich werde nicht auf diese Details eingehen.

Am wichtigsten ist, dass der UN-Sicherheitsrat seine Lebensfähigkeit und alles Notwendige dafür aufbewahrt, um in der Zukunft die Hauptrolle bei der Lösung der internationalen Krisen zu spielen. Es gab dort bereits Reformen – die Zahl der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats stieg von 11 auf 15 Mitgliedsstaaten. Jetzt wird von einer neuen Erweiterungswelle gesprochen. Wir unterstützen diesen Prozess. Wir denken, dass die Schwellenländer Asiens, Afrikas und Lateinamerikas im UN-Sicherheitsrat nicht ausreichend vertreten sind. Deswegen unterstützen wir die Anträge Indiens und Brasiliens zum Beitritt auf ständiger Grundlage. Wir denken, dass auf ähnliche Weise auch die ständige Präsenz des afrikanischen Kontinents gesichert werden soll. Ich betone nochmals, dass die Schwellenländer nicht ausreichend vertreten sind, ihre Rolle an der Arbeit dieses Gremiums ist nicht groß genug. Doch man soll die Reform fördern, die den Sicherheitsrat nicht zum unlenkbaren, formlosen, aufgeblasten Organ machen. Die Schnelligkeit bei der Arbeit ist ein weiteres wichtiges Prinzip neben einer angemessenen Vertretung aller Regionen, aller Zentren der Weltentwicklung. Rund etwas mehr als 20 Mitgliedsstaaten – ich denke, dass ist die Grenze, nach der man sich richten muss.

Frage: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wird seinen Posten verlassen. Er sagte in einem Interview, dass auf diesem Posten eine Frau erwartet wird. Hat Russland irgendwelche Prioritäten in Bezug auf den künftigen Generalsekretär?

Sergej Lawrow: Die zweite Amtszeit von Ban Ki-moon, den wir sehr respektieren und mit dem wir gute Beziehungen haben, geht im nächsten Jahr zu Ende. Gemäß dem UN-Statut wird er nicht mehr wiedergewählt. Es entsteht die Frage, die Universalität und Gerechtigkeit in Bezug auf die geografische Herkunft des Leiters des Sekretariats sichern soll. Es gab schon mehrmals Vertreter Westeuropas, Asiens, des Afrikanischen Kontinents (Boutros Ghali und Kofi Annan), Lateinamerikas. Es wurde kein einziges Mal die offiziell in der UN existierende regionale Gruppe wie osteuropäische Gruppe repräsentiert. Sie existiert seit der Sowjetzeit. Es wurden fünf Gruppen geschaffen – asiatische, lateinamerikanische, afrikanische, westeuropäische, wohin die USA, Australien und Neuseeland gehören, und osteuropäische. Diese Gruppen waren von Anfang an nicht als Gruppen für Abstimmungen bei politischen Fragen konzipiert, sondern um effektiver und rationeller die Zusammensetzung der beschränkten UN-Organe zu bilden. Zum Wirtschafts- und Sozialrat gehören beispielsweise 54 Länder, die gewählt werden müssen. Zum Menschenrechtsrat gehören ebenfalls nicht so viele Mitglieder, wie es alle möchten. Das sind keine universellen Organe, es gibt mehrere Strukturen, die man aus den vorhandenen UN-Mitgliedern wählen muss. Damit alle Regionen in diesen Wirtschafts- und Menschenrechtsorganen mehr oder weniger gleichermaßen vertreten sind, wurden diese Gruppen geschaffen, die untereinander Kandidaten abstimmen, darunter in dem UN-Sicherheitsrat, Wirtschafts- und Sozialrat, Menschenrechtsrat und anderen Organen.

Als die Sowjetunion und der Warschauer Vertrag nicht mehr existierten, blieb diese Gruppe bestehen, weil sie nicht politisch ist und für die Organisation solcher Wahlen äußerst notwendig ist. In der osteuropäischen Gruppe bildete sich die einheitliche Meinung (wir unterstützten sie, alle Teilnehmer dieser Gruppe, darunter Nato-Mitgliedsstaaten, unterzeichneten einen Brief, der an alle UN-Mitglieder verbreitet wurde), dass wir davon überzeugt sind, dass zum nächsten Generalsekretär der Vertreter eines osteuropäischen Landes sein muss. Es gibt einige Kandidaten.

Frage: Kandidaten von dieser Gruppe?

Sergej Lawrow: Von den Ländern – die Gruppe wird kaum eine Einigung erreichen. Es wurden rund zehn Kandidaten angekündigt, darunter Frauen. Die Gruppe wird kaum eine Einigung erreichen. Doch die Verfahren zur Wahl des Generalsekretärs und Nominierung eines Kandidaten ist sehr flexibel. Ich schließe nicht aus, dass die osteuropäische Gruppe der UN-Vollversammlung einige Kandidaten zur Erörterung vorlegt. Bei den Beratungen, die jetzt andauern, wird jemand von insgesamt rund zehn Kandidaten ausgesondert, doch es wird sicher mehr als einen Kandidat geben. Ich sehe nichts Schlimmes daran, dass die Vollversammlung eine Liste mit einigen Kandidaten bekommt.

Frage: Ist kein Konsens notwendig?

Sergej Lawrow: Unbedingt. Die erste Phase – die Liste geht in den Sicherheitsrat, der eigene Arbeitsmethoden hat – es gibt eine nicht verbindliche, eine geheime Abstimmung, damit niemand weiß, wer für wen abstimmt, man jedoch eine Vorstellung davon bekommt, welcher Kandidat die notwendigen neun Punkte erhält, und andere „schlaue“ Sachen.

In der jetzigen Situation denke ich, dass höchstwahrscheinlich beschlossen wird, im UN-Sicherheit die Frage nach der Übergabe der Liste mit einigen Kandidaten an die Vollversammlung zu erörtern. Es gab immer einen Kandidaten, weil der UN-Sicherheitsrat die Kandidaten via eigene Verfahren aussonderte. Dieses Mal, da bereits einige Kandidaten bekannt sind, weiß ich nicht, wie ein einziger Kandidat herausgefiltert werden soll, ohne die anderen ehrenvollen Kandidaten zu beleidigen.

 

 

 


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