Die Republik Abchasien
Stenogramm des Auftritts des Außenministers Russlands S.V. Lawrow und seiner Antworten auf Fragen während des Treffens mit dem Lehrkörper und den Studenten der Abchasischen Staatlichen Universität, sowie mit der Öffentlichkeit Abchasiens, Sochumi, 2. Oktober 2009
Es verging knapp ein Jahr seit dem Augenblick, als die Russische Föderation die Unabhängigkeit der Republik Abchasien und der Republik Südossetien anerkannte. Historisch gesehen ist diese Zeitspanne nicht groß, jedoch genügt sie, um der Entwicklung des heute völlig unabhängigen Abchasiens, dem Aufbau der Beziehungen zwischen Russland und eurem Staat, den Errungenschaften, sowie von den zu lösenden Aufgaben erste Einschätzungen zu geben.
Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die bilateralen Beziehungen binnen eines Jahres auf eine prinzipiell neue interstaatliche Ebene aufgestiegen sind. Die Beziehungen entwickeln sich auf der Grundlage von allgemein anerkannten Prinzipien des gegenseitigen Respekts, der Zusammenarbeit, des gegenseitigen Nutzens, sowie der beiderseitigen Anerkennung und Vorantreibung der nationalen Interessen von den beteiligten Seiten. Als Grundlage dieser Beziehungen fungiert der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe zwischen Russland und Abchasien, der in Moskau auf höchster Ebene unterschrieben wurde und praktisch alle denkbaren Formen der Zusammenarbeit vorsieht. Dazu gehört auch gegenseitige Hilfeleistung, unter anderem auch militärischer Art, im Falle wenn jemand es erneut wagt, sich an der Souveränität und Unabhängigkeit Russlands oder der Republik Abchasien zu vergreifen.
Dieser Vertrag bildete eine Grundlage für zahlreiche Vereinbarungen über militärische Zusammenarbeit, Kooperation bei der Beschützung der Grenzen von der Republik Abchasien u.a. Eine ganze Reihe solcher Vereinbarungen wurde schon unterzeichnet, die anderen werden noch vorbereitet. Heute erfolgt die Unterzeichnung eines weiteren wichtigen Dokuments – der Vereinbarung über visafreien Reiseverkehr zwischen den Bürgern Russlands und Abchasiens. Ich denke, dass es unsere Kommunikation nicht nur im Business-Bereich und beim kulturellen Austausch, sondern auch auf der puren menschlichen Ebene, bei verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen, vereinfacht.
Heute sprechen wir davon, dass die Sicherheitsfragen in Abchasien ziemlich aktuell sind. Man versucht weiterhin eine Revanche zu nehmen und die Realität, die manche immer noch nicht akzeptieren können, umzuwerten. Die Festigung unseres Bundes im Sicherheitsbereich ist, bei aller Wichtigkeit der anderen Fragen, vorrangig. Ohne einer erhöhten Aufmerksamkeit zum Thema Sicherheit kann man kaum etwas garantieren. Genau darum überwachen russische Grenzsoldaten zusammen mit ihren abchasischen Kollegen achtsam die staatliche Grenze Abchasiens, um ihre Verletzung zu vermeiden. Genau darum helfen russische Militärkräfte auf Ansuchen der abchasischen Führungsspitze die Sicherheit eurer Heimat zu gewährleisten. Genau darum müssen wir darüber nachdenken, wie wir weiterhin zu handeln haben, um keine Illusion zu schaffen, dass heute schon alles gut ist. Leider ist bei weitem noch nicht alles gut.
Die Versuche uns zu provozieren werden fortgesetzt, obwohl ihre Anzahl bemerkbar zurückgegangen ist. Besonders stark hat sie sich gesenkt, nachdem alle verstanden haben, dass die Entscheidung der Russischen Föderation über die Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens unumkehrbar ist. Die „Umwertung" der Geschichte hat immer weniger Anhänger.
Neulich veröffentlichte man einen Bericht der EU-Komission unter Leitung von H. Tagliavini. Letztendlich entstand ein objektives Dokument, das eindeutig das festhält, was allen unvoreingenommenen Beobachtern schon lange bekannt war, und zwar die Tatsache, dass der Krieg durch das Regime von M. Saakaschwili entfesselt wurde und dass die Russische Föderation in völliger Übereinstimmung mit dem internationalen Recht, der UNO-Charta und dem dort festgehaltenen Recht auf Selbstverteidigung antwortete.
Zweifellos, der Bericht wurde von der EU bestellt, die aus verschiedenen Staaten besteht. In einigen von ihnen existieren immer noch eine starke Inertion des „Kalten Krieges" und verschiedene Phobien. Aber das ist vergänglich, obwohl es sich auf dieser Etappe in verschiedenen Bewertungen, die im Bericht von H. Tagliavini enthalten sind, widerspiegelte, unter anderem auch in der Erklärung, als ob die Russische Föderation auf den Angriff auf Südossetien und ihre Friedenskräfte auf eine unverhältnismäßige Weise reagierte. Über welche Verhältnisse kann hier die Rede sein, wenn alle Handlungen, die von der russischen Armee unternommen wurden, darin bestanden, die Standorte auf dem Territorium Georgiens, die für den Beschuss von Zchinwali und der friedlichen Dörfer auf dem Territorium Südossetiens genutzt wurden, zu unterdrücken? Natürlich ist es uns allen bekannt, dass man nach Südossetien das selbe Schicksal für Abchasien plante. Davon zeugen die Dokumente, die in der Kodori-Schlucht gefunden wurden, Dokumente des Generalstabs. Die Tatsache, dass die Geheimdienste und die Führungskräfte Abchasiens mit der Russischen Föderation zusammenarbeiteten und dieses neue Verbrechen rechtzeitig vorbeugen konnten, ist ein großer Verdienst von uns allen, der es möglich machte, zahlreiche Menschenleben zu retten.
Das Szenario, dass sich mehr als ein Jahr her abwickelte, ist weder die Wahl Abchasiens, noch der Russischen Föderation. In den Jahren nach 1993 (als der schreckliche abchasische Krieg endete, dessen Beginn durch den Wunsch des damaligen georgischen Regimes, Abchasien gewaltsam an den georgischen Staat anzuschließen, der sich von der Sowjetischen Union abspaltete und den Völkern Abchasiens und Südossetiens entsprechend der damals geltenden Gesetze verbot, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen und zu entscheiden, ob sie in der UdSSR bleiben oder nicht) bemühten sich Abchasien und die Russische Föderation in der Rolle eines Vermittlers bei der friedlichen Regelung, Vereinbarungen auf einem friedlichen und diplomatischen Wege zu treffen und nach einer politischen Lösung zu suchen.
Als ich im Jahre 1993 als stellvertretender Außenminister tätig war, beteiligte ich mich an Verhandlungen, die mit der Unterzeichnung eines Abkommen zum Waffenstillstand zwischen W. Ardsinba und E. Schewardnadse bei Anwesenheit des Präsidenten Russlands B.N. Jelzin endeten. Später, schon in der UNO, beteiligte ich mich an der Ausarbeitung des Mandaten für die UNO-Beobachtungsmission in Georgien, die bis vor kurzem normal mit den abchasischen Vertretern zusammenwirkte. Eine Verlängerung des Mandaten fand nur deswegen nicht statt, weil unsere westlichen Partner ihn unter Druck von Tiflis mit Bestimmungen überladen wollten, die nichts mit der Lösung von praktischen „irdischen" Aufgaben zu tun hatten.
Sie wollten in der Resolution des UNO-Sicherheitsrates festhalten, dass Abchasien immer noch ein Teil Georgiens ist. Natürlich konnte es weder von Abchasien, noch von der Russischen Föderation zugelassen werden. Darum stieß der gute Wille von Sochumi und Moskau, der darin bestand, dass wir bereit waren, die Fortsetzung der Tätigkeit der UNO-Beobachter zu unterstützen, auf ausschließlich ideologisierte Ansätze. Diese Ansätze wurden nicht durch das Interesse an einer Stabilisierung der Lage und der Ruhe an der Grenze Georgiens und Abchasiens diktiert, sondern nur durch geopolitische Erwägungen.
Außerdem möchte ich hinzufügen, dass unsere abchasischen Partner in all den Jahren, die den letzten Ereignissen von August 2008 zuvorkamen, ehrlich versuchten, zu einem Kompromiss mit Georgien zu kommen. Es gab sogar einen Moment, ich glaube, es war im Jahre 1998, als Abchasien die Vereinbarung einging, über einen Vertrag zum gemeinsamen Staat mit Georgien nachzudenken, und dazu auch bereit war. Diese Vereinbarung wurde von Tiflis aufgelöst, dem es zu wenig war.
Somit wurden alle unsere Versuche, eine Koexistenz Abchasiens mit der georgischen Seite im Rahmen eines Gebildes zu erreichen, durch einen guten Willen diktiert, jedoch stießen sie ständig auf ultimative Forderungen des jetzigen und der vorangehenden Regimes in Georgien.
Allerdings bin ich kein Pessimist. Das, was geschehen ist, wird sich nie ändern: Abchasien ist und bleibt unabhängig. Aber natürlich entspricht es den Interessen sowohl Abchasiens als auch Russlands, dass die Lage in der Region sich normalisiert und dass das weise georgische Volk bei den nächsten demokratischen Wahlen eine Entscheidung trifft, die es erlaubt, die Macht in Georgien an zurechnungsfähige Menschen zu übergeben, die sich um das Schicksal seines Volkes und um den Aufbau von gutnachbarlichen Beziehungen mit den angrenzenden Staaten kümmern werden. Ich bin sicher, dass dieser Tag kommen wird und dies wird zu einem sehr wichtigen Ereignis für den ganzen Kaukasus, unter anderem für Abchasien und Russland. Dafür haben wir genug guten Willen. Die georgische Seite muss nun die neuen Realien und die Notwendigkeit des Aufbaus von menschlichen Beziehungen mit ihren Nachbarn erkennen.
Ich möchte nun ein paar Worte über die jetzige Etappe unserer Beziehungen und über einige praktische Angelegenheiten sagen. Ich habe schon erwähnt, dass, zusätzlich zum Dutzend von bereits unterzeichneten, zur Zeit noch über 40 Dokumente ausgearbeitet werden, die eine Festigung unserer Zusammenarbeit, die Souveränität Abchasiens und seiner Position auf dem Weltarena erlauben. Nicht minder wichtig ist es, dass sie erlauben, praktische alltägliche Fragen zu lösen, die jeden von euch bewegen. Erst neulich traf man eine Vereinbarung darüber, dass Abchasien von georgischen auf russische Vorwahlnummern wechselt. Das hilft Probleme bei der Nutzung des Fest- und Mobilfunknetzes zu vermeiden. Wir werden auch weiterhin die Arbeit mit internationalen Organisationen fortsetzen, sodass Abchasien eine eigene Vorwahlnummer erhält, wie es sich für einen unabhängigen Staat gehört.
Unsere Beziehungen im humanitären und kulturellen Bereich entwickeln sich auch. Neulich traf man unter Unterstützung der russischen Außen- und Wirtschaftsbank (VEB) eine Vereinbarung über die Veranstaltung einer Wohltätigkeitsaktion, in deren Rahmen 21,7 Mio. Rubel für die Renovierung und Anschaffung von Musikinstrumenten in spezialisierten Schulen der Stadt Sochumi bereitgestellt werden. Ihr habt wunderbare Traditionen der musikalischen Ausbildung und ich denke, dass diese Aktion zu ihrer Unterstützung und Entwicklung beitragen wird.
Im Großen und Ganzen befinden sich unsere Beziehungen im Aufstieg. Wir haben eine hohe Dynamik der politischen Zusammenarbeit: nur binnen dieses Jahres fanden drei Treffen der Präsidenten unserer Staaten statt, zwei Mal traf sich der Präsident Abchasiens mit dem Regierungsvorsitzenden Russlands, auch die Zusammenarbeit auf der Ebene der Außenminister ist gut. Wir haben ein Memorandum über das gegenseitige Verständnis, in Übereinstimmung mit dem wir bei einer ganzen Reihe von praktischen Fragen, die mit den internationalen Aspekten der regionalen Situation verbunden sind, zusammenarbeiten.
Wir schenken große Aufmerksamkeit an Fragen, die mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens durch andere Staaten verbunden sind. Heute sind es drei Staaten: die Russische Föderation, Nikaragua und Venezuela. Aber wir verzeichnen eindeutig eine bedeutende Erweiterung der Gruppe von Staaten, die verstehen, dass die Unabhängigkeit Abchasiens eine ernsthafte und langwierige Angelegenheit ist und dass diese Entscheidung nicht geändert wird. Immer mehr Länder sind an dem Aufbau von praktischen handelswirtschaftlichen, kulturellen und anderen Beziehungen mit Abchasien und Südossetien interessiert. Diese Auffassung kommt aus dem Leben, aus der Erkennung der realen Situation. Ich bin überzeugt, dass auf einer bestimmten nicht weit entfernten Etappe diese Auffassung sich in eine politische Entscheidung transformiert. Das Leben zwingt einfach dazu, diese Realität zu akzeptieren und sie in praktischen Handlungen der Staaten aus verschiedenen Regionen der Welt wiederzuspiegeln. Das wird zur Festigung der Stabilität in der Region beitragen. Unsere Partner verstehen, dass die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und der neuen Realien in Transkaukasien, neben dem potentialen Vorteil der Entwicklung von Beziehungen mit Abchasien, auch dazu nötig ist, um irgendwelche Versuche einer Revanche seitens der jetzigen georgischen Regime aufzuhalten. In diesem Kontext ist die Rolle der Genfer Diskussionen, die entsprechend dem Medwedew-Sarkozy-Plan durchgeführt werden, offensichtlich. Die Genfer Diskussionen, wo man schon sechs Runden durchgeführt hat, ist das auffälligste internationale Forum, wo Abchasien und Südossetien als vollberechtigte Teilnehmer vertreten sind. Abchasen und Südossetier beteiligen sich an den Diskussionen mit den gleichen Rechten, wie Russland, die USA, Georgien und die europäischen Staaten. Die Versuche, die anfangs unternommen wurden, um ihren Status anderen Teilnehmern gegenüber zu senken, wurden unterbunden. Heute hat man die Grundlage vereinbart, die es den Abchasen und Südossetiern erlaubt, gleichberechtigt und würdevoll an dieser Arbeit teilzunehmen. Dabei möchte ich betonen, dass schon die ersten Runden der Diskussionen die Ausgereiftheit der abchasischen Diplomatie und ihre Fähigkeit, die feste Verteidigung der Nationalinteressen mit der richtigen Tonart den ausländischen Partnern gegenüber zu verbinden, demonstriert haben. Das erscheint als ziemlich vorteilhaft auf dem Hintergrund der hektischen und manchmal absolut unlogischen Handlungen, die von der georgischen Seite unternommen werden.
Ich möchte meinen Kollegen und Freund S.M. Schamba herzlich zu den Erfolgen der abchasischen Diplomatie sowohl im Rahmen der Genfer Diskussionen, als auch auf anderen Richtungen, unter anderem auch im Kontext des kürzlich erfolgten Besuchs der abchasischen Delegation in Lateinamerika, gratulieren.
Die Arbeit im Rahmen der Genfer Diskussionen ist nicht einfach, jedoch kommt der Progress allmählich zum Vorschein. Die Teilnehmer trafen ein wichtiges Abkommen über die Entstehung eines Mechanismus zur Vorbeugung von Inzidenzfällen. Das ist ein wichtiges Vertrauensmaß. Es beginnt sich schon praktisch zu verwirklichen. Man muss noch an den Details feilen. Auch hier stoßen wir auf Bremsungen seitens unserer georgischen Kollegen. Die westlichen Staaten sind jedoch daran interessiert, dass die getroffenen Vereinbarungen präzise verwirklicht werden. Sowohl Abchasien, als auch Russland sind als Teilnehmer dieser Vereinbarungen bereit, genau so zu handeln.
Wird sind bereit, Abchasien bei der Wiederaufnahme der Tätigkeit der UNO-Beobachter auf ihrem Territorium zu unterstützen, und zwar unter Bedingungen, die nicht mit der Notwendigkeit verbunden sind, die nicht mehr existierende territoriale Ganzheit Georgiens in ihren ehemaligen Grenzen zu akzeptieren. Wenn unsere Partner bereit sind, diese Frage entpolitisiert anzugehen und wenn die abchasische Seite die Parameter, die die Arbeit der UNO-Leute bestimmen werden, für akzeptabel erklärt, dann gibt es keine Hindernisse für die Verabschiedung einer solchen Entscheidung. Einige versuchen uns darin zu beschuldigen, dass wir die Fortsetzung der Tätigkeit von den UNO-Leuten in Abchasien und den OSZE-Vertretern in Südossetien blockiert haben. Das ist nicht wahr.
Ich möchte auch betonen, dass der demokratische rechtliche Charakter des abchasischen Staates offensichtlich für die Weltgemeinschaft sein muss. Je mehr die Welt darum über die Ereignisse in Abchasien erfährt, desto besser. Wir wissen, welche Bemühungen Abchasien dafür unternimmt. Ich habe bereits sowohl die Genfer Diskussionen, die dem Westen in vielem die Augen öffnen, als auch die äußerst wirkungsvolle Reise nach Lateinamerika erwähnt. Wir sind bereit, den Prozess der Bekanntmachung der Weltgemeinschaft mit dem abchasischen Standpunkt auf jede Art und Weise zu unterstützen. Schon mehrere Jahre lang, noch lange bevor Abchasien unabhängig wurde, versuchen wir die Möglichkeit zu erreichen, dass Vertreter eures Staates in der UNO auftreten und die Wahrheit über die abchasisch-georgischen Beziehungen erzählen können. Leider hat die ehemalige USA-Regierung den abchasischen Delegationen einfach das Visum verweigert. Jetzt haben wir auf Antrag unserer abchasischen Freunde erneut eine Anfrage über Visen für die Delegation Abchasiens gesendet, sodass sie in das UNO-Gebäude in New-York kommen könnte, um ihren Standpunkt zu präsentieren. Hier gibt es keinen doppelten Boden: jede Organisation, in der das eine oder andere Problem behandelt wird, muss beide Seiten zum Wort kommen lassen. Wir haben diese Anfrage neulich gesendet. Die vorigen Anfragen versackten in bürokratischen Antworten. Wir werden Klarheit bezüglich der Einstellung der USA, auf deren Territorium sich das UNO-Hauptquartier befindet, zu den absolut legitimen Anfragen der abchasischen Seite nach einer Möglichkeit, ihren Standpunkt der Weltgemeinschaft näher zu bringen, anstreben.
Im Großen und Ganzen haben wir viel Arbeit. Entsprechend der bilateralen Tagesordnung ist der Umfang der vorbereiteten Vereinbarungen ziemlich groß. Man muss noch eine Menge von Details vereinbaren, denn von der Weise, in der sie angenommen werden, hängt das praktische Leben der Bürger Russlands und Abchasiens ab. Wir wollen die Bedingungen unserer Kommunikation so komfortabel wie möglich machen. Was die internationale Tagesordnung angeht, so ist die Anzahl der Fragen nicht besonders groß, jedoch gibt es hier mehr Schwierigkeiten. Wir müssen weiterhin Beharrlichkeit und Geduld demonstrieren und verstehen, dass man durch eine sprunghafte Vorgehensweise nichts klären kann. Jedoch müssen wir das wichtigste klar im Auge behalten – wir stehen auf der Seite der Gerechtigkeit und Wahrheit. Ich bin überzeugt, dass diese unbestreitbare Tatsache bald von immer mehr Staaten akzeptiert wird.
Ich bin sehr froh, dass viele der hier anwesenden über eine außenpolitische Karriere denken. Durch die Lehranstalten des Außenministeriums Russlands – das Moskauer Staatliches Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) und die diplomatische Akademie – haben wir schon begonnen, Abchasien entsprechende Hilfe bei der Vorbereitung von Kadern für die außenpolitische Sphäre zu leisten. Ich bin überzeugt, dass das Außenministerium Abchasiens mehr und mehr Kader brauchen wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Jetzt bin ich bereit, Ihre Fragen zu beantworten.
Frage: Es existiert die Meinung, dass Abchasien keine internationale Anerkennung mehr braucht. Wie ist Ihre Meinung dazu? Wie können sie Meldungen aus der türkischen Presse über die Möglichkeit der entsprechenden Anerkennung Abchasiens und der Republik Nordzypern durch die Türkei und Russland kommentieren?
S.V. Lawrow: Was die Frage betrifft, ob Abchasien die Anerkennung durch eine zusätzliche Anzahl von Staaten braucht, antworte ich so: aus der Sicht des Volkes, aus der Sicht der wirtschaftlichen Funktionierung, der Schaffung aller notwendigen Bedingungen für die Lösung von sozialen und anderen Problemen, sowie für die Sicherheitsgewährleistung im Land bedarf es keiner zusätzlichen Anerkennung, außer der von der Russischen Föderation.
Aber die Realität ist so, dass eine immer größere Anzahl von Ländern, nicht nur Nikaragua und Venezuela, die neuen Bedingungen und die Umstände, die nach dem August 2008 entstanden sind, verstehen. Sie sind objektiv an der Entwicklung ihrer Beziehungen mit Abchasien interessiert. Und das wird zwangsläufig dazu führen, dass auf irgendeiner Etappe dieses Bestreben sich in eine politische und juristische Entscheidung verwandelt.
Was den Umtausch der Anerkennung Abchasiens gegen die Anerkennung der Türkischen Republik Nordzypern durch Russland angeht, so sind wir im Prinzip nicht zum Umtausch nach der Logik im Stil des „Kalten Krieges" veranlagt: „Ich dir, Du mir", „Mach das und dann mache ich dies als Gegenleistung". Das sind völlig verschiedene Situationen. Ich werde jetzt nicht näher auf die Geschichte des Konflikts auf Zypern eingehen, sie ist gut bekannt und die entstandene Situation ist allen klar. Nehmen wir die Geschichte des abchasisch-georgischen Beieinanderlebens, und zwar nicht nur die Geschichte ab 1989, als S. Gamsachurdia verkündete: „Georgien ist für Georgier, die Osseten muss man nach Russland deportieren, den Abchasen muss man das Territorium reduzieren, und Macht soll nur die namengebende Nation bekommen". Das war schon ein Aufruf zu ethnischen Säuberungen. Aber ich greife noch tiefer: die Geschichte des Beitritts zum Russischen Reich, Ereignisse nach der Revolution von 1917, die Form des Beitritts Abchasiens zur Sowjetunion mit den gleichen Rechten, wie Georgien. Und dann änderte sich der Status Abchasiens und Südossetiens innerhalb der UdSSR voluntarisch nach den Entscheidungen von I. Stalin, und zwar ohne jegliche Berücksichtigung der Meinung des Volkes. Wenn man die ganze Geschichte nimmt und auf diesem Hintergrund die verbrecherischen Handlungen der georgischen Leitung in 2008 betrachtet, so ist es nicht der erste Angriff auf Südossetien. Im Jahre 2004 gab M. Saakaschwili schon einmal den Befehl zur Anwendung von Gewalt, jedoch damals hatte Georgien nicht genug Waffen und das südossetische Bürgermilitär mit Unterstützung durch die Friedenskräfte konnte die Situation schnell in den Griff bekommen. Dann bekam M. Saakaschwili jedoch eine solche Menge von Waffen, dass sie ihm als ausreichend erschien, um eine neue Aggression zu entfesseln. Wenn man das alles zusammen betrachtet, so sind es ganz unterschiedliche Situationen aus historischer, international-rechtlicher, moralischer und menschlicher Sicht. Ein Handel ist hier nicht angebracht. Man muss jede einzelne Situation in der heutigen Welt aufgrund von konkreten Tatsachen, die zu ihrer gehören, betrachten.
Frage: Der Übergang der russisch-abchasischen Grenze ist sehr kompliziert. Welche konkreten Maßnahmen werden dazu unternommen und wann ist eine reale Vereinfachung des Grenzübergangs möglich?
S.V. Lawrow: Diese Frage wurde kürzlich während des Treffens von V.V. Putin mit S.V. Bagapsch besprochen. Das Problem existiert und wir sehen es. Es verschärfte sich besonders, nachdem die zwischenstaatlichen Beziehungen sich zu entwickeln begannen. Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens durch Russland stabilisierte sich die Lage und die Menschenströme in beiden Richtungen wurden größer. Der Kontrollpunkt wird umgerüstet und modernisiert, man baut eine neue Brücke. Der Regierungsvorsitzende Russlands hat den entsprechenden Befehl schon erteilt. Es werden zusätzliche Maßnahmen getroffen, um den Übergang über die Grenze maximal zu erleichtern. Ich möchte hinzufügen, dass die Vereinbarung über visafreien Reiseverkehr, die wir heute unterzeichnen, auch zur Erleichterung dieses Prozesses beitragen wird.
Frage: Die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens durch Russland ist schon über ein Jahr her. Aber auf dem Kontrollpunkt im Adlergebiet akzeptiert der Grenzdienst die Pässe der Bürger der Republik Abchasien immer noch nicht. Wann wird dieses Problem gelöst und was ist dazu notwendig?
S.V. Lawrow: Die Vereinbarung über visafreien Reiseverkehr, die wir heute unterzeichnen, wird es erlauben, die Grenze sowohl aus Russland, als auch aus Abchasien nicht nur mit diplomatischen, Dienst- und zivilen Reisepässen zu überqueren, sondern auch mit den Inlandspässen Russlands und Abchasiens.
Frage: In einem seiner letzten Interviews verkündete der Präsident Russlands D.A. Medwedew, dass unter heutiger Regierung kein Dialog mit Georgien möglich ist. Der Eintritt welcher Kräfte in Georgien wird es erlauben, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder aufzunehmen?
S.W. Lawrow: Der Präsident Russlands D.A. Medwedew hat schon mehrfach erwähnt, dass es keinen Dialog mit dem jetzigen Oberhaupt Georgiens geben kann. Dabei lehnen wir Kontakte auf anderen Ebenen, die zur Lösung von praktischen Problemen der menschlichen Leben notwendig sind, nicht ab. Vor Kurzem haben wir die Umrüstung und Modernisierung des Übergangs „Verchni Lars" abgeschlossen und sind bereit, die Frage über die Eröffnung dieses Grenzübergangpunktes zu betrachten. Nach einigen Schwankungen scheint die georgische Seite dazu bereit zu sein. Das ist besonders wichtig für Armenien, das diesen Übergang nutzen und somit das Tor zur Außenwelt weiter öffnen kann.
Wir haben die diplomatischen Beziehungen doch nicht abgebrochen. Wir wollten dies nicht machen, da wir verstehen, dass der verbrecherische Befehl des heutigen Oberhauptes Georgiens eine Sache ist, und das Volk – eine ganz andere. Beziehungen sind wichtig, damit Menschen nicht leiden. Jedoch wurde die Wahl nicht von uns, sondern von dem heutigen Oberhaupt des georgischen Staates gemacht.
Was die Frage über die Führungskräfte, die wir zur Verbesserung der Beziehungen brauchen, so werden sie von dem georgischen Volk gewählt. Anders kann es nicht sein. Nur das georgische Volk kann sein eigenes Schicksal bestimmen. Ich hoffe, dass dabei Menschen gewählt werden, die, anderes als das heutige Regime, an ihr Volk denken und Menschenrechte gewährleisten werden. Diese Rechte werden massig verletzt. Darüber sind die Experten des Europarates und anderer Organisationen, die Georgien besucht und entsprechende Vorträge vorbereitet haben, bestens im Bilde. Aus irgendeinem Grund werden diese Vorträge nicht veröffentlicht, jedoch ist es bekannt, dass sie existieren.
Die zweite Eigenschaft jedes Staatsoberhauptes, der das Wohl seines Volkes anstrebt, ist die Fähigkeit mit seinen Nachbarn zusammenzuleben. Das heutige Regime in Georgien denkt nicht an sein Volk und kann mit seinen Nachbarn nicht in Frieden und Freundschaft zusammenleben.
Frage: Kürzlich verkündete die US-Staatssekretärin H. Clinton während des Treffens mit M. Saakaschwili, dass die USA nicht nur die Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens verweigern, sondern auch die weitere Anerkennung durch andere Staaten hindern werden. Wird Russland zur internationalen Anerkennung dieser Staaten beitragen und sie nicht nur bei der Möglichkeit eines Vortrags in der UNO, sondern auch bei ihrem Beitritt zu dieser internationalen Organisation unterstützen?
S.W. Lawrow: Für den Beitritt zu einer internationalen Organisation muss ein Großteil der Mitgliedsstaaten dafür stimmen. Bis dahin ist es noch weit. Gemäß der Akzeptierung der Realität auf dem Südkaukasus durch eine große Zahl von Staaten, gemäß der Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens glaube ich, dass es irgendwann dazu kommen wird.
Was die konkrete Äußerung von H. Clinton darüber, dass die USA nicht nur die Anerkennung Abchasiens verweigern, sondern auch die Anerkennung durch andere Staaten mit allen Mitteln verhindern werden, betrifft, so war unsere Entscheidung in dieser Frage sehr kompliziert, jedoch war es das einzig mögliche in der Situation. Wir haben keine politischen Projekte organisiert. Wir waren ausschließlich über die Notwendigkeit der Beschützung von Menschen, die Gewährleistung ihrer Sicherheit und das eigentliche Überleben der südossetischen und abchasischen Völker besorgt. Wir hatten dabei keine anderen Gedanken.
Erst später bekam die Situation, größten Teils aufgrund der Reaktion, die im Westen ausgelöst wurde, einen geopolitischen Kontext. Wir haben niemals versucht, jemanden zur Anerkennung von Abchasien und Südossetien zu überreden. Wir sind niemandem mit Händeringen hinterhergelaufen. Wir waren uns sicher, dass das Leben selbst zeigt, wie man in dieser Situation handeln muss. Aber wenn unsere Partner aus den USA beabsichtigen, die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch andere Staaten zu hindern, dann werden wir Gegenmaßnahmen treffen und Versuche, souveränen Staaten eine fremde Meinung aufzuzwingen und ihnen das Recht zu verweigern, eigene Entscheidungen zu treffen, unterbinden. Ganz zu schweigen davon, dass solche Versuche der Erklärung des US-Präsidenten B. Obama absolut widersprechen - bei seinem Auftritt auf der UNO- Generalversammlung sagte er, dass kein einziger Staat über andere dominieren kann. Diese These widerspiegelt eindeutig die außenpolitische Philosophie, die von dem US-Präsidenten B. Obama dargelegt wurde und die von uns unterstützt wird.
Frage: Abchasien hat ein demografisches Problem. Wir sind an der Rückkehr unserer Landsleute in ihre historische Heimat interessiert. Es existiert die Meinung, dass die russische Seite nicht am Prozess der Repatriierung interessiert sei, da sie eine überschüssige Islamisierung in den grenznahen Gebieten fürchtet. Ist es tatsächlich so?
S.V. Lawrow: Ich glaube, dass diese Frage nicht an die Russische Föderation gerichtet sein soll. Sie liegt voll in der Kompetenz des souveränen Abchasiens und ihre Regierung wird die notwendigen Entscheidungen treffen.
Was die demografische Seite der Sache angeht, so antworte ich als ein erwachsener Mensch, der nicht zum ersten Mal hierher kommt. Sie haben hier ein wunderbares Klima, schönes Meer, schöne Mädchen, starke Jünglinge. Ich glaube, dass Sie dieses Problem lösen werden.