Die Republik Argentinien
Rede und Antworten auf Medienfragen des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf der gemeinsamen Pressekonferenz über die Ergebnisse der Gespräche mit dem Außen- und Kultusminister der Argentinischen Republik, Héctor Timerman, Moskau, 28. Mai 2014
Verehrte Damen und Herren!
Wir besprachen den Zustand der russisch-argentinischen Beziehungen in Handel und Wirtschaft sowie im humanitären Bereich und unsere Zusammenarbeit in der internationalen Arena, wie etwa in der UNO, der „Gruppe der Zwanzig" und in anderen Formaten.
Wir einigten uns auf die Förderung der weiteren Entwicklung aller Bereiche unserer Zusammenarbeit. Wir legten die Fristen für die Abhaltung der nächsten Sitzungen der Regierungskommission für Handels- und Wirtschaftskooperation und der Regierungskommission für militärtechnische Zusammenarbeit sowie gemeinsame Schritte zur Beschleunigung der Vorbereitung von mehreren wichtigen Regierungsdokumenten fest, welche die vertragsrechtliche Basis der bilateralen Zusammenarbeit stärken sollen, darunter auch in Fragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Wir besprachen weitere Schritte zur endgültigen Annahme von Dokumenten über die Zusammenarbeit im Rechtsbereich.
Wir verfolgen aufmerksam die in Lateinamerika vor sich gehenden Entwicklungsprozesse. Wir sind interessiert an der Entwicklung von engen und freundschaftlichen Beziehungen nicht nur mit einzelnen Ländern des Kontinents, sondern auch mit den Integrationsvereinigungen – der CELAC und dem MERCOSUR, deren Mitglieder unsere argentinischen Partner sind.
Beide Seiten sind zufrieden mit der guten Zusammenarbeit unserer Vertreter im UNO-Sicherheitsrat, im UN-Menschenrechtsrat und in der „Gruppe der Zwanzig". Russland und Argentinien haben gemeinsame Positionen bezüglich der Zugänge zur globalen Situation. Wir sind uns einig, dass die sich herausbildende neue Architektur der internationalen Beziehungen polyzentrisch sein und sich auf die objektiv erstarkenden Zentren des wirtschaftlichen Wachstums und politischen Einflusses stützen muss. Wir sind daran interessiert, dass Lateinamerika eines dieser Zentren bildet.
Bei der Diskussion internationaler Fragen betonten wir die unveränderte russische Position für eine möglichst rasche Wiederaufnahme von Direktverhandlungen zwischen den Regierungen Argentiniens und Großbritanniens zur friedlichen und endgültigen Beilegung des Streits um die Souveränität der Malwinen. Es gibt entsprechende Beschlüsse der UNO-Generalversammlung und wir sind für deren Erfüllung.
Wir besprachen Fragen, welche sich auf der Agenda des UNO-Sicherheitsrats befinden: das Syrien-Problem, die Lage im Iran, in Afghanistan und Libyen sowie im Nahen Osten und in Nordafrika insgesamt. Russland und Argentinien sind einer Meinung über die Notwendigkeit einer möglichst effektiven Unterstützung für die Lösung der Probleme des Afrikanischen Kontinents. Auf Vorschlag unserer argentinischen Kollegen kamen wir überein, Überlegungen anzustellen, ob wir gemeinsam irgendwelche Initiativen setzen können, welche zur Lösung der sozialwirtschaftlichen Probleme der Länder Afrikas beitragen könnten. Ich glaube, dass das eine nützliche Idee ist, und wir werden sie sachlich durcharbeiten.
Wir erörterten die Lage in und rund um die Ukraine. Russland schätzt die unabhängige und selbständige Position Argentiniens gegenüber den Geschehnissen in diesem Land. Das ist eine objektive und unvoreingenommene Position, die von der überwältigenden Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten geteilt wird, was sich in den Märzdebatten der UNO-Generalversammlung zeigte.
Besondere Aufmerksamkeit widmen wir den sich mehrenden Informationen über Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine, über die Einschränkung der legitimen Interessen der nationalen Minderheiten und über Erscheinungen von fremdenfeindlichen und neonazistischen Strömungen. Wir vertreten die gleiche Ansicht, dass unter Berücksichtigung der am 25. Mai stattgefundenen Wahlen die Situation genutzt werden muss für die unverzügliche Beendigung des Armeeeinsatzes und von jeglicher anderer Gewalt sowie für den Beginn eines umfassenden gesamtukrainischen Dialogs unter Teilnahme aller politischen Kräfte und aller Regionen für die Durchführung der Verfassungsreform, welche die Lage stabilisieren und für alle Ukrainer annehmbare Rahmen schaffen soll.
Ein gutes Beispiel für die Nähe unserer Positionen in den internationalen Angelegenheiten bildet die Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung über die Nichtstationierung von Waffen im Weltraum als erste. Diese russische Initiative gewinnt immer mehr Anhänger. Wir erwarten, dass auf der UNO-Generalversammlung 2014 eine entsprechende Resolution im multilateralen Format angenommen werden wird.
Wir sind mit dem Niveau unserer Zusammenarbeit zufrieden. Ich danke meinem Kollegen Timerman für unseren sachlichen und interessierten Zugang bei der Entwicklung aller Bereiche der russisch-argentinischen Beziehungen.
Frage (an beide Minister): Welche Bedeutung hat der jetzige Besuch für die Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Argentinien?
Lawrow (antwortet nach Timerman): Es ist sehr wichtig, das wir nicht nur an der Diversifizierung der Handelsbeziehungen interessiert sind, sondern Gewicht auf Investitionen legen wollen. Wir würden argentinische Investitionen in die russische Wirtschaft begrüßen. Heute bestätigte Außenminister Timerman das Interesse Argentiniens an einem bedeutenderen Zufluss russischer Investitionen. Das sind ziemlich realistische Pläne. Gegenständlich werden bereits die Perspektiven für unser Investment in den Energiesektor Argentiniens besprochen, darunter auch in Wasser- und Kernenergie. Wir erwarten, dass die Wettbewerbsvorteile unserer Firmen, die an einem Eintritt in diese Wirtschaftssektoren interessiert sind, von den argentinischen Kollegen gebührend bewertet werden.
Ich möchte auch den multilateralen Aspekt erwähnen. Argentinien ist Mitglied von MERCOSUR, einer Vereinigung, die zur Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unter den Teilnehmerländern und zur Entwicklung der Handels-, Wirtschafts- und Investitionsbeziehungen mit äußeren Partnern gegründet wurde. Russland stellt Arbeitskontakte mit dieser Organisation her. Wir sind daran interessiert, diese auf eine rechtliche Basis zu stellen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass morgen der Vertrag über die Schaffung einer Eurasischen Wirtschaftsunion im Troikaformat – Russland, Kasachstan und Weißrussland (und in näherer Zukunft Armenien und Kirgisien) - unterzeichnet werden soll, sind wir an der Herstellung von formalen Beziehungen zwischen diesem Integrationsprozess und dem MERCOSUR in Lateinamerika interessiert. Das ist eine sehr zukunftsträchtige Vereinigung und wir unterstützen diese Tendenzen auf jegliche Art.
Frage: Wurde die Möglichkeit des Beitritts Argentiniens zu BRICS angesprochen? Welche Schritte muss Argentinien für die Aufnahme in diese Organisation unternehmen? Wenn dieses Thema nicht in den jetzigen Gesprächen behandelt wurde, wird es auf dem nächsten Gipfel in Brasilien angeschnitten werden?
Lawrow (ergänzt nach Timerman): Wir sind interessiert an der Zunahme der Rolle der Entwicklungsländer oder, wie man sie jetzt nennt, der Länder mit wachsender Wirtschaft in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen. In der „Gruppe der Zwanzig" kooperieren die BRICS-Staaten mit vielen Gesinnungsgenossen, darunter mit Argentinien, Mexico und Indonesien sowie in mehreren Fragen mit Saudi-Arabien. In der jetzigen Etappe ist dieses Kooperationsformat optimal, umso mehr als unser gemeinsames Interesse in der Erfüllung der Abkommen der „Gruppe der Zwanzig" besteht. Ich möchte daran erinnern, dass es seit 2010, als die Entscheidungen über eine grundlegende Reform des Internationalen Währungsfonds getroffen wurden, zu überhaupt keinen Bewegungen kam. Genauer gesagt gab es in der Position des Westens Veränderungen, aber in negativer Hinsicht. Die USA hatten einfach das Interesse an einer Reform des Währungsfonds verloren und nach ihnen ließ auch der Eifer der EU-Länder ein wenig nach. Das ist keine richtige Vorgehensweise. Wir sind der Meinung, dass die damals getroffenen Entscheidungen das Ergebnis von Absprachen, Kompromissen und eines Konsenses sind. Man muss sein Wort halten. Auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2010 waren die Länder des Westens an dieser Reform interessiert, um zusätzliche Beiträge aus den Ländern mit Übergangswirtschaft zu bekommen. Jetzt, nachdem die Krise nachgelassen hat, wollen sie ihren dominierenden Einfluss ohne jegliche Veränderungen beibehalten. Eine solche Position kann nicht gerechtfertigt werden. Wir werden bei dieser und mehreren anderen Fragen im Rahmen der „Gruppe der Zwanzig" und anderen Formaten, wo die Interessen der BRICS-Länder und anderer sich entwickelnder Wirtschaften zusammenfallen (solche Bereiche gibt es sehr viele), möglichst eng zusammenarbeiten. Bezüglich der formalen Ausweitung der BRICS-Gruppe ist zu sagen, dass das in dieser Struktur eine Konsensfrage ist. Bis jetzt wurden keine Ideen zur Planung einer weiteren Ausweitung besprochen. Alles zu seiner Zeit.
Frage: Kann man unter Berücksichtigung der noch nie dagewesenen Intensivierung des Dialogs Russlands mit Lateinamerika in nächster Zeit Kontakte auf höchster Ebene mit Argentinien und anderen Ländern der Region erwarten?
Lawrow: Man kann. Bekanntlich findet Mitte Juni in Brasilien der BRICS-Gipfel statt. Die brasilianischen Gastgeber teilten mit, dass traditionsgemäß (wie das auf den früheren Gipfeln war) ein zusätzliches Outreach-Treffen organisiert wird, auf welches Argentinien in jedem Fall eingeladen wird. So wird es im Laufe der Lateinamerikareise des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, die Möglichkeit eines Treffens mit der Präsidentin Argentiniens, Cristina Kirchner, und politischen Führern anderer Länder der Region geben.
Frage: Es wird erwartet, dass der Präsident der USA, Barack Obama, heute militärische Hilfe für die syrische Opposition ankündigen wird. Mehrere amerikanische Medien berichten, dass Obama die Möglichkeit zur Ausbildung von syrischen Kämpfern durch amerikanische Militärspezialisten prüft. Wie wirkt sich das auf die weitere Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington in der Syrienfrage aus und beeinflusst das auch den gesamten Prozess der Syrienregelung?
Lawrow: Ich möchte abwarten, was vom Präsidenten der USA, Barack Obama, wirklich verkündet wird. Ihr Interesse ist verständlich: bereits gestern wurden Experteneinschätzungen darüber verbreitet, was konkret verkündet werden wird. Uns beunruhigen die Informationen, dass unter den angekündigten Maßnahmen auch solche sein können wie militärische Hilfe für die Opposition, die Vorbereitung von Kämpfern der syrischen Armee und die Bereitschaft der USA, die Einwände gegen die Lieferung von Einmann-Flugabwehr-Lenkwaffen aufzugeben, einer höchst gefährlichen Waffe, welche eine ernsthafte Bedrohung für die Zivilluftfahrt in dieser Region und darüber hinaus darstellen kann.
Ich wiederhole, wir wollen nicht der Zeit vorauseilen, sondern die konkreten Ankündigungen darüber abwarten, was die USA in Syrien vorhaben. Man vergisst dabei hoffentlich nicht auf bereits gemachte ähnliche Erfahrungen, als Washington auf jegliche Art die Mudschaheddin bewaffnete, unterstützte und finanzierte, aus denen die „al-Qaida" hervorging, welche ihre „besten" Vertreter zur Ausübung der Terroranschläge in New York am 11. September 2001 abkommandierte. Ich würde mir sehr wünschen, dass es zu keinen ähnlichen Wiederholungen von Fehlern der Vergangenheit kommt.
Der einzige Weg zur Beilegung der Krise in Syrien sind nur Verhandlungen und nicht das Setzen auf einem militärischen Sieg durch das Regime oder die Opposition. Uns beunruhigt, dass die schon lange ausgearbeitete Agenda für die nächste Runde der Genfer Verhandlungen vorläufig noch ungenutzt bleibt. Unsere westlichen Kollegen und gemeinsam mit ihnen die so genannte „Nationale Koalition" wollen solange nicht nach Genf fahren, bis, wie sie sagen, Präsident Baschar al-Assad nicht seinen Rücktritt ankündigt. Allen ist bereits lange bekannt, dass das eine absolut irreale und ideologisierte Position ist. In diesem Fall muss man wie bei der Reform des Internationalen Währungsfonds die Abkommen über den Beginn des Dialogs zwischen der Regierung und der Opposition über politische Reformen in Syrien und die Ausarbeitung von Übergangsstrukturen auf Basis von Konsens und allgemeinem Einverständnis einhalten. Darüber muss man sich einig werden, und nicht die einseitige Kapitulation der syrischen Regierung durch Ultimaten fordern.
Ich erwarte, dass die Dialogtür offen bleibt. Heute ist noch ein Telefongespräch mit dem US-Staatssekretär John Kerry geplant, der unter anderem auch das Syrienthema besprechen möchte.