Bundesrepublik Deutschland
ARTIKEL DES STELLVERTRETENDEN AUßENMINISTRES RUSSLANDS A.J.MESCHKOW „BREITEN DER RUSSISCH-DEUTSCHEN PARTNERSCHAFT“, VERÖFFENTLICHT IN DER ZEITUNG „NESAWISSIMAJA GASETA“ AM 25.MAERZ 2002
Russisch-deutsche Beziehungen entwickeln sich positiv. Bemerkenswert war dabei das vergangene Jahr. Zum wichtigen Ereignis wurde der erstmalige in der Geschichte unserer Beziehungen Besuch des Präsidenten der Russischen Föderatioin W.W.Putin in Deutschland. Wir sind in verschiedenen Bereichen unserer Zusammenarbeit wesentlich vorangegangen, man sieht, dass beide Seiten gestimmt sind, verschiedenartiges Zusammenwirken auszubaün. äusserst inhaltsreich und intensiv war der politische Dialog – wir können z.B. 7 russisch-deutsche Gipfel, 14 Kontakte auf der Ebene der Außenministern erwähnen. Nicht weniger fruchtbar für unsere bilateralen Beziehungen soll auch das laufende Jahr werden. In Kürze werden in Weimar Fünfte russisch-deutsche zwischenstaatliche Beratungen stattfinden. An dieses wichtige Ereignis wird die zweite Sitzung des russisch-deutschen öffentlichkeitsforums „Petersburger Dialog" angeknüpft. Dessen Thema lautet: „Russland und Deutschland in der wandelnden Welt".
Nötig ist die Handlungsstrategie
Das Jahr 2001 geht in die Geschichte vor allem im Zusammenhang mit der schrecklichen Aggression des intrenationalen Terrorismus ein, die zur Herausforderungen an die ganze zivilisietre Menschheit wurde. Die Tragödie, von der die ganze Welt am 11. September erschüttert wurde, wurde zum dramatischen Zeugnis dessen, dass die durch Globalisierung hervorgerufenen grossen Veränderungen in allen Bereichen des Lebens der Gesellschaft nicht nur positive Folgen haben. Die Welt verändert sich immer wieder, und wir wissen nicht, wie sie in 30 Jahren aussehen wird, und die Weltgemeinschaft hat jetzt keine andere Wahl, als solidarisch zu handeln, um auf neü Drohungen und Herausforderungen erwidern zu können.
Besonders wichtig ist die Entwicklung der Strategie der gemeinsamen Handlungen, die Globalisierungsprozesse in die Bahn der gerechten Lösung der Schlüsselprobleme der Menschheit, der Festigung der gemeinsamen Sicherheit lenken kann. Das kann erst dann erzwungen werden, wenn man vielseitige Mechanismen der Zusammenarbeit vervollkommnet und das Potential der bilateralen Beziehungen mit den führenden ausländischen Partnern benutzt. Was Deutschland anbetrifft, so geht es vor allem um effizienten Einsatz von beiderseitigen Verpflichtungen im Rahmen unseres grundlegenden „Grossvertrags" von 1990.
Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist heute zum Hauptthema auf der Tagesordnung geworden. Russland, das in den letzten Jahren selbst mehrmals zum Objekt von verbrecherischen Aktionen der Terroristen wurde, tritt entschieden für die Stärkung der völkerrechtlichen Grundlage der antiterroristischen Handlungen, für die Ausrottung dieser Erscheinung, für die führende Rolle der UNO in diesem Prozess auf. In diesem Kampf sollen keine Doppelstandarde verwendet werden. Alle müssen sich dessen im Klaren sein, dass es nicht gute und schlechte Terroristen gibt, der Terrorismus ist kriminell als Erscheinung, und die Welt soll bei deren Bekämpfung einig sein.
Noch vieles ist auch für die Ausarbeitung einer gemeinsamen Erwiderung auf neü Risiken und Herausforderungen der europäischen Sicherheit zu machen. Es ist bemerkenswert, dass die in dieser Hinsicht programmatische Rede des Präsidenten Russlands gerade im Bundestag in Berlin gehalten wurde. Dessen Hauptgedanke ist es, die Möglichkeiten Europas mit dem Potential Russlands im Namen der einheitlichen sicheren friedlichen Zukunft zu vereinigen; ein wirkungsvolles Sicherheitssystems ohne „Trennlinien" aufzubaün.
Man bedarf keiner Beweise, dass gerade unsere Länder besondere Rolle spielen müssen und können. Geschichte zeugt unwiderlegbar davon, dass immer, wenn Russland und Deutschalnd normale freundliche Beziehungen unterhielten, dies zu Gunsten des ganzen Europas war.
Neü Ausmassen der Zusammenarbeit
Heute können und müssen unsere Länder - selbstverständlich mit anderen Partnern - der gesamteuropäischen Integration einen neuen Impuls geben. Die Baupläne eines wirklich einheitlichen Europas, in dem alle Staaten gleichermassen Sicherheit geniessen, ungefähr gleiches Wohlstandsniveau und gesellschaftlich-wirtschaftliche Struktur haben, dürfen nicht auf die Politik der kleinen Schritte und auf die Befriedigung des eigenen Egozentrismus hinauslaufen. Aus meiner Sicht besteht die Hauptlehre der Ereignisse vom 11.September 2001 darin, dass es an der Zeit ist, entschlossen zu handeln und die Trägheit der Vergangenheit loszuwerden.
In Europa soll ein stabiles System der gemeinsamen Räume in solchen Bereichen wie Sicherheit, Wirtschaft, Energie, Umweltschutz, Wissenschaft usw gebildet werden. Dabei muss betont werden, dass wir mit der Europäischen Union zusammen an entsprechende Vorschläge untersuchen. Darauf lenken uns auch die Entscheidungen des jüngsten Gipfels Russland-EU. Meiner Meinung nach wäre es doppelt so wichtig, den vorhandenen deutsch-russischen Beratungsmechanismus zur Umsetzung von gemeinsamen Erfahrungen in diesem Bereich einzusetzen. Dies würde den Interessen beider Länder sowie der europäischen Integration im allgemeinen entsprechen.
Russland bietet nicht idealistische Schemata, sondern wirklich gut durchdachte und konkrete Schritte an. Es erhebt keinen Anspruch auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union in übersehbarer Zukunft. Wir bitten auch nicht um jeweilige Begünstigungen auf Kosten von jeweiligen Interessen. Obwohl wir natürlich auch unsere Benachteiligung nicht zulassen werden. Wir bieten beiderseitig vorteilhafte Partnerschaft an. Russland kann in mancher Hinsicht sich selbst versorgen und ist ein Staat mit der sich intensiv entwickelnden Wirtschaft und aktiver vielseitigen und konseqünten Außenpolitik. Deshalb sind unsere Vorschläge in Bezug auf die Vertiefung der Beziehungen mit der Europäischen Union Bestandteil unserer Politik. Ich bin überzeugt, dass die EU nicht weniger als wir an solcher Zusammenarbeit interessiert sein soll. Und das gilt für alle Bereiche.
Es ist schon längst an der Zeit, den Marktstatus Russlands zu erkennen und dessen Beitritt zur WTO zu normalen Bedingungen zu bewilligen. Das würde die Arbeit an der Bildung der gemeinsamen Wirtschaftsraumes fördern.
Im Bereich der Außenpolitik und Sicherheit können wir aus unserer Sicht schon heute viel mehr tun, ohne zu warten bis in Brüssel das Tüpfelchen aufs i gesetzt wird. Welches internationale Schlüsselproblem man auch nimmt, ist es leicht sich zu überzeugen, dass die Herangehen Russlands und der führenden EU-Länder zu ihrer Regelung entweder ähnlich oder identisch sind. Z.B. die Suche nach dem langfristigen Frieden und der Stabilität im Nahost, wo wir eng zusammenwirken.
Auch zu den Sicherheitsfragen, wo entsprechende EU-Einrichtungen erst gebildet werden, wurden konkrete Vorschläge Russlands den EU-Partnern übergeben. Dabei gibt es keinen Widerspruch zwischen unserer Annäherung in diesem Bereich an die EU und der Entwicklung der Beziehungen zwischen Russlands und NATO. Für uns sind es parallele und nicht einander ausschliessende Prozesse.
Wir sind bereit, gleichberechtigte Beziehungen mit der Nordatlantikpakt-Organisation in solchem Masse zu entwickeln, in welchem die Allianz selbst dazu bereit ist. Chronologie des Aufbaus der deutschen Einheit Ende 80er – Anfang 90er Jahre zeugt ganz deutlich davon, dass die Geschichte ganz ungewöhnliche Aufgaben sehr schnell lösen kann. Im Dialog mit der NATO wurde viel Positives erreicht und wir stehen jetzt an der Schwelle der Ausarbeitung der neuen Philosophie unserer Beziehungen. Initiative des Zusammenwirkens im Zwanziger-Format kann zur Grundlage der Entwicklung der neuen Qualität der Beziehungen zwischen Russland und NATO werden. Der neü Mechanismus der partnerschaftlichen Zusammenarbeit soll es ermöglichen, auf der Grundlage der Gleiberechtigung gemeinsame Lösungen auszuarbeiten und gemeinsam ihre Umsetzung zu gewährleisten. Und dabei hoffen wir auf aktive interessierte Einstellung Berlins.
Von der Geschichte vorherbestimmt
Russland und Deutschland haben ein solches Niveau ihrer Beziehungen erreicht, wobei die Notwendigkeit bzw. Unumgänglichkeit der Partnerschaft zwischen ihnen durch internationale Entwicklung vorbestimmt ist. Ohne Beteiligung Russlands und Deutschlands ist es schwer die Lösung von mehr oder weniger wesentlichen Problemen des Kontinents vorzustellen. Als grösste Staaten des Kontinents können und müssen sie solchen Beitrag zur Einigung des Kontinents leisten, der ihrem politisch-wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technologischen Potential adäquat ist.
Durch den Aufenthalt des Präsidenten Russlands in Deutschland wurde den Beziehungen zwischen unseren Ländern ein neür Impul gegeben. Wie noch nie in der neuen Geschichte erleben sie einen politischen und emotionell-psychologischen Aufschwung, der durch solch hohes Mass an Inhaltsreichtum und Intensivität gekennzeichnet ist, welches den Beziehungen Russlands nur mit einer kleinen Anzahl von Staaten eigen ist.
Meiner Meinung nach ist es zum Umbruch im Wichtigsten gekommen, und zwar, in der gegenseitigen Wahrnehmung der Rußen und Deutschen. Man bedurfte 50 Jahre, um gemeinsame Befremdung und Misstraün zu überwinden, um einander „Partner" und „Freunde" zu nennen. Wir haben zusammen einen inhaltlich nicht einfachen Weg durchgemacht und historische Wahl zu Gunsten der aufrichtigen Versöhnung unserer Völker getroffen, die sich heute meiner Menung nach ganz fest im Bewusstsein der Mehrheit von Rußen und Deutschen eingewurzelt hat.
Es ist prinzipiell wichtig, dass unsere Beziehungen ausserhalb von innenpolitischen Auseinandersetzungen liegen. In Russland und hoffentlich auch in Deutschland nimmt das ganze Spektrum politischer Kräfte auf die Entwicklung der bilateralen Beziehungen positiv wahr. Kurz gesagt wurde die strategische Wahl zu Gunsten des Aufbaus der Nachbarschaftlichkeit und Partnerschaft im Interesse des ganzen Europas gemacht. Wie Sie erkennen, ist dies unsere gemeinsame Wahl.
Den Kern der russisch-deutschen Zusammenarbeit bilden heute wie früher Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Hier ist auch positive Entwicklung zu verzeichnen – konseqünt wächst der gemeinsame Warenumsatz, deutsche Investoren werden auf dem russischen Markt immer aktiver. Obwohl sich da noch mehr machen lässt.
Uns mangelt es nicht an grossangelegten vorteilhaften Projekten, zur Teilnahme an deren Realisierung wir auch deutsche Unternehmen einladen. Ich werde nur einige davon erwähnen: Modernisierung der Brennstoff- und Energiewirtschaft Russlands, was in Zukunft die energetische Sicherheit des ganzen Europas stärken würde; gemeinsamer Bau von Weltraum- Luftfahrttechnik, Verkehrs-, Nachrichten- und Telekommunikationsmitteln, Kooperation in hochtechnologischen Bereichen, wie Kernphysik, Molekularbiologie usw. Nach meiner Uberzeugung wird der Schwerpunkt unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Zukunft gerade auf solche Projekte verlegt. Zu einigen davon haben wir schon wesentliche konkrete Erfahrungen. Zu erwähnen wären da z.B. gemeinsame Forschungen, die zu 33 Grundsatzprojekten geführt werden.
Zur Palette der deutsch-russischen Zusammenarbeit gehören selbstverständlich nicht nur Geschäftsbeziehungen. Intensives Programm des Zusammenwirkens für die nächsten Jahre ist im Bereich der Kultur abgestimmt. Zu dessen Spitze gehören die russische Woche in Deutschland und die deutsche Woche in Russland in den Jahren 2003-2004.
Auf aktivste entwickelt sich die zwischenregionale und kommunale Partnerschaft, Umtausch auf der Parlamentebene und auf der Ebene der gesellschaftlichen Organisationen. Partnerschaftliche Beziehungen unterhalten 82 Paare von deutschen und russischen Städten, 330 Hochschulen haben 480 Abkommen über Zusammenarbeit. Russland und Deutschland sind durch 150 regelmässige Flüge pro Woche verbunden, und Konsulate unserer Länder stellen insgesamt bis 500 000 Visen pro Jahr aus.
All das lässt uns in die Zukunft der russisch-deutschen Beziehungen mit Optimismus schaün. Am Wichtigsten ist es heute, das vorhandene Potential konseqünt, in konkrete für beide Seiten nützliche Taten umzusetzen. Dabei möchte ich nochmals betonen, dass es auch den Interessen Europas entspricht.
Wir stellen uns das optimale Modell Europas des XXI.Jahrhunderts als Gemeinschaft von demokratischen Partnerstaaten vor, deren untrennbarer Bestandteil auch Russland ist. Wir erwarten, dass unsere Partner ihren Politik in dieser Frage identisch festlegen werden. Der russische Präsident forderte alle im deutschen Bundestag auf, die Sachen beim Namen zu nennen, einen aufrichtigen Dialog zu führen und zu lernen einander zu vertraün. Wir hoffen, dass diese Aufforderung in Deutschland wahrgenommen wird.