Ukraine
Rede des Ständigen Vertreters Russlands bei der OSZE, Alexander Lukaschewitsch, in einer Sitzung des Ständigen OSZE-Rats zur Situation in der Ukraine und zum Notwendigkeit der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen am 31. August 2017 in Wien
Sehr geehrter Herr Vorsitzende,
im Rahmen der Minsker Kontaktgruppe haben die Vertreter Kiews, Donezks und Lugansks vereinbart, am 25. August einen Waffenstillstand zum Beginn eines neuen Schuljahres auszurufen. Dieser Beschluss wurde in einer gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs des "Normandie-Quartetts" befürwortet.
Dennoch stellten die ukrainischen bewaffneten Strukturen ihre provokanten Schläge gegen die Städte und Dörfer an der Trennungslinie im Donezbecken nicht ein.
Wir rufen Kiew auf, die strikte Einhaltung der Waffenruhe durch alle an den Kriegshandlungen gegen die Donbass-Einwohner beteiligten Truppenteile zu gewährleisten, wozu es sich in der Kontaktgruppe verpflichtet hat.
Besonders beunruhigend sind die Angriffe auf die Positionen der Feuerwehr- und Rettungskräfte, die immer neuen Fälle der Verminung von Straßen und wichtigen Objekten durch Kiewer Diversanten sowie das immer aggressivere Vorgehen der Scharfschützen an der Trennungslinie. (Im Bezirk Petrowski von Donezk wurde ein Mann von ihnen verletzt.)
Wir rufen die OSZE-Beobachtungsmission auf, die Folgen von Artillerieangriffen gründlicher zu analysieren, die Statistik mit der Angabe von zivilen bzw. militärischen Zielen zu führen und die angreifende Seite möglichst festzustellen.
Wir müssen konstatieren, dass der äußerst wichtige Prozess zur Trennung der Konfliktseiten bzw. ihrer Waffen ins Stocken geraten ist. Kiew weigert sich konsequent, seine Verpflichtungen zum Abzug seiner Kräfte auf dem vereinbarten Abschnitt beim Dorf Luganskaja. Die Erfüllung dieser Vereinbarung könnte den Seiten es gestatten, die weiteren Abschnitte an der Trennungslinie zu besprechen, wo die Truppen abzuziehen wären. Wir halten den Truppenabzug für die wichtigste Bedingung für die praktische Feuereinstellung.
Wir sehen keine Bereitschaft zur praktischen Umsetzung der politischen Aspekte des „Maßnahmenkomplexes“ seitens Kiews. Diese sehen immerhin die Verleihung eines Sonderstatus der Donbass-Region vor, der in der ukrainischen Verfassung verankert werden sollte. Noch sollen mit Donezk und Lugansk die Modalitäten der dortigen Kommunalwahlen abgesprochen werden, die unter Mitwirkung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte organisiert werden sollten. Wir erinnern darüber hinaus, dass der Punkt 5 des „Maßnahmenkomplexes“ die Begnadigung bzw. Amnestie vorsieht, und zwar durch das Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Verfolgung bzw. Bestrafung von Personen in diesem Zusammenhang mit dem Konflikt vorsieht. Der nächste Punkt sieht die Befreiung der gefangenen Personen nach dem Prinzip „alle gegen alle“ vor.
Es ist nicht zu vergessen, dass die Grundbedingung für die allumfassende Regelung der Ukraine-Krise mit dem Sonderstatus der Donbass-Region verbunden ist, der in der ukrainischen Verfassung verankert werden sollte. Das Gesetz über die Besonderheiten der Selbstverwaltung in einigen Donbass-Teilen, der eine Reihe von Bestimmungen aus dem „Maßnahmenkomplex“ enthält, wurde nicht verabschiedet – es gilt immer noch provisorisch und nicht ständig. Aber selbst dieses Gesetz könnte im Oktober außer Kraft gesetzt werden, denn in der Obersten Rada wird inzwischen ein gewisses „Reintegrationsgesetz“ diskutiert. Falls er den Minsker Vereinbarungen widerspricht, könnte das den ganzen Regelungsprozess stark beeinträchtigen.
Gleichzeitig weigern sich Kiews Vertreter in der Kontaktgruppe, die im "Normandie-Format" vereinbarte „Steinmeier-Formel“ zu fixieren. Es gibt auch keine Merkmale dafür, dass Kiew die Wirtschaftsblockade der Donbass-Region aufheben will.
Das alles zeugt davon, dass Kiew die Minsker Vereinbarungen sabotieren will und dementsprechend an der Fortsetzung des bewaffneten Konflikts interessiert ist.
Sehr geehrte Kollegen,
das Mandat der Beobachtungsmission sieht die Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte und -freiheiten vor, was unter anderem für Vertreter nationaler Minderheiten gilt, und zwar auch in anderen Regionen der Ukraine. Darauf wird zu wenig geachtet, wenn man die Ressourcen der Mission bedenkt.
Doppelstandards sind unzulässig, wenn es um Äußerungen des Neonazismus, Intoleranz und Diskriminierung geht. Wir haben Fackelmärsche, ähnliche Symbole, Losungen, die Propaganda des Hasses, die Wiederbelebung und Heroisierung der Nazis und ihrer Mithelfer in verschiedenen Ländern gesehen. In einigen Ländern werden sie verurteilt, und in anderen schweigen die Behörden nur. Die Äußerung des Extremismus und der Propaganda des Hasses durch solche Bewegungen wie „Freiheit“, UPA, Asow, „Rechter Sektor“ usw. verlangt eine vehemente und eindeutige Verurteilung. Wenn unsere Kollegen ihren Prinzipien treu sind, wie sie behaupten, dann müssten sie das tun, ohne lange zu zögern.
Es ist unzulässig, dass das Problem der Freiheit und Sicherheit von Journalisten in der Ukraine, wo man die Treue den europäischen Werten deklariert, in Wahrheit aber nur die schlimmsten Doppelstandards gegenüber Medienvertretern kopiert, unzulässig ist.
Sehr wichtig ist, dass Medienvertreter oft zu Zielscheiben und Opfer der Gewaltanwendung werden. Das vorerst letzte Beispiel dafür war der Beschuss einer Journalistengruppe am 30. August, die nach Jassinowataja kam, eine Reportage über die Waffenruhe zum Beginn des neuen Schuljahres zu machen, durch ukrainische Militärs. Medienvertreter werden für ihre berufliche Tätigkeit verfolgt. Oft werden ihre Leben verschiedenen Risiken ausgesetzt. Allgemein bekannt ist die Website „Mirotworez“ („Friedensstifter“), die vom ukrainischen Innenministerium betreut wird und persönliche Daten der für die ukrainischen Extremisten „ungünstigen“ Personen veröffentlicht. Vor kurzem wurden dort Informationen über den russischen Reporter Maxim Dodonow veröffentlicht, der am Dialog der Medienvertreter Russlands und der Ukraine teilnimmt, den der OSZE-Vertreter für Medienfreiheit fördert.
Schwierig ist und bleibt die Situation um die Ukrainische orthodoxe Kirche. Vor kurzem wurde eine weitere Kirche im Dorf Diwitschki (Gebiet Kiew) erobert.
Zum Abschluss möchten wir abermals bestätigen, dass wir die Minsker Vereinbarungen als alternativlose Variante der Krisenregelung betrachten, die in vollem Umfang erfolgen sollte, wobei das endgültige Ziel die vollständige politische Regelung wäre.
Solange die Behörden in Kiew keinen politischen Willen zeigen, in diese Richtung zu gehen, sind die Regelungsperspektiven neblig. Wir sind unsererseits bereit, unser Bestes für die Förderung des direkten Dialogs der ukrainischen Konfliktseiten im Rahmen der Kontaktgruppe zu tun sowie die Regelung der Krise im Rahmen des "Normandie-Formats" voranzutreiben. Wir rechnen damit, dass auch die anderen Teilnehmer alle nötigen Maßnahmen ergreifen werden, um die Seiten zur Zurückhaltung und zur Einhaltung der Waffenruhe zum Schuljahr zu zwingen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.