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Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf Medienfragen auf der gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit dem Außenminister Deutschlands, Heiko Maas, am 18. Januar 2019 in Moskau

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kollegen,

wir haben den ersten Teil unserer sehr nützlichen Verhandlungen durchgeführt, der konstruktiv verlief und sehr inhaltreich war.

Wir stellten fest, dass sich unsere Zusammenarbeit trotz der vorhandenen Kontroversen hinsichtlich bestimmter Fragen in einer ganzen Reihe von Richtungen weiter entwickelt. Wir bestätigten unser beiderseitiges Interesse an ihrer Festigung. Wir sind uns meines Erachtens einig, dass  der intensive politische Dialog zwischen Russland und Deutschland angesichts der schwierigen Situation in Europa und der ganzen Welt besonders nachgefragt ist.

Wir schätzten die Entwicklung unserer Handels- bzw. Wirtschaftsbeziehungen positiv ein. Trotz der Sanktionsspirale, die auf Washingtons Initiative weitergedreht wird, bleibt Berlin unser wichtiger Handels- bzw. Wirtschaftspartner. Zwischen Januar und Oktober 2018 ist unser gegenseitiger Handelsumsatz um 23,4 Prozent im Jahresvergleich gewachsen und hat 49,8 Milliarden US-Dollar erreicht. Wir legen viel Wert darauf, dass die deutsche Regierung das Projekt zum Bau der Gasleitung Nord Stream 2 weiterhin unterstützt und es für eine kommerzielle Initiative zwecks Diversifizierung der Gaslieferungswege und letztendlich zwecks Förderung der Energiesicherheit des europäischen Kontinents hält.

Wir stellten zufrieden fest, dass Veranstaltungen im Rahmen des im Dezember gestarteten russisch-deutschen gegenseitigen Jahres der Forschungs- bzw. Bildungspartnerschaften 2018 bis 2020 umgesetzt werden, dessen Aufgabe ist, die Kooperation auf der Universitätsebene und den gegenseitigen akademischen Austausch auszubauen. Wir gehen davon aus, dass solche Aktionen aus der Sicht der Festigung des gegenseitigen Vertrauens sehr nützlich sind, die Entfremdung der Russen und Deutschen verhindern und Kontakte zwischen den Menschen fördern.

Bei der Besprechung der wichtigsten internationalen Fragen wurde besonderes Augenmerk auf die Situation im Kontext der Entscheidung der USA zum Austritt aus dem INF-Vertrag gerichtet.  Es ist offensichtlich, dass das Scheitern des Vertrags sehr negative Folgen für die globale strategische Sicherheit hätte. Denn der Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag und jetzt auch aus dem INF-Vertrag gefährdet auch die ganze Architektur der Rüstungskontrolle, unter anderem den START-Vertrag, die Perspektiven der weiteren nuklearen Abrüstung und die Stabilität des Atomwaffensperrvertrags. Mit Herrn Maas haben wir dieses Thema heute ausführlich besprochen. Die russische Seite bestätigte, dass wir trotz des Scheiterns der russisch-amerikanischen Expertenberatungen am 15. Januar in Genf (wegen der ultimativen Position der USA) bereit sind, den hochprofessionellen und konkreten, faktengestützten Dialog fortzusetzen, um diesen äußerst wichtigen Dialog, der die strategische Stabilität großenteils sichert, doch noch zu retten. Natürlich haben wir Verständnis für die Besorgnisse der Europäer um diese Situation, denn moderne Politiker und Diplomaten erinnern sich noch an die Krise in Europa wegen der Stationierung der US-amerikanischen Pershing-Raketen in dieser Region im vorigen Jahrhundert.

Wir haben die Situation in der Ukraine besprochen, indem wir von der Notwendigkeit der konsequenten Erfüllung der Minsker Vereinbarungen ausgingen, wobei vorerst leider keine Fortschritte zu sehen sind. Es werden auch die Entscheidungen im Rahmen des "Normandie-Formats" nicht umgesetzt, insbesondere bei den Gipfeltreffen des "Normandie-Quartetts" 2015 in Paris und 2016 in Berlin, wo eine ganze Reihe von Schritten auf den Gebieten der Sicherheit und des politischen Prozesses vereinbart worden war. Aber wegen der Position der Ukraine wurden diese Schritte nicht in die Tat umgesetzt. Wir gehen davon aus, dass unsere europäischen Kollegen die groben Verletzungen der internationalen Verpflichtungen durch die ukrainischen Behörden nicht übersehen haben, vor allem zur Verteidigung der sprachlichen, religiösen und Ausbildungsrechte und -freiheiten, wie auch den gefährlichen Aufschwung nationalistischer und neonazistischer Stimmungen in diesem Land.

Wir werden noch zusätzlich über Syrien sprechen. Da lassen sich gewisse Fortschritte beobachten. Ich rechne damit, dass die Vereinbarungen, die vor ein paar Monaten beim Gipfeltreffen Russlands, Deutschlands, Frankreichs und der Türkei in Istanbul getroffen wurden, vor allem hinsichtlich der Notwendigkeit der baldmöglichsten Aufnahme der Arbeit des Verfassungskomitees, in der nächsten Zeit erfüllt werden. Wir erzählten unseren Kollegen, dass uns am Montag der neue UN-Beauftragte für Syrien, Geir Pedersen, besuchen wird. Wir sind daran interessiert, zu hören, wie er den Arbeitsbeginn dieses Verfassungskomitees plant, zumal er eben zwei Tage in Damaskus weilte und dort mit der syrischen Führung verhandelte.

Deutschland ist in den Jahren 2019 und 2020 Mitglied des UN-Sicherheitsrats. Wir sind darauf eingestellt, mit unseren deutschen Partnern in diesem Gremium konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ich bin sicher, dass Berlins Teilnahme an der Arbeit des UN-Sicherheitsrats die Aktivitäten, die für die Erfüllung der dort getroffenen Entscheidungen noch effizienter machen wird.

Frage: Was halten Sie davon, dass die Ukraine nicht die Absicht hat, auf dem Territorium Russlands Wahllokale zu eröffnen und Russlands Vertreter in die OSZE-Beobachtungsmission bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine teilnehmen zu lassen? Wie sind die Perspektiven des "Normandie-Formats"?

Sergej Lawrow: Wir verhalten uns dazu negativ. Wir sehen in der Entscheidung, keine Wahllokale in den ukrainischen diplomatischen Missionen in Russland zu eröffnen, die Absicht, die Wahlergebnisse zugunsten der aktuellen Machthaber künstlich zu beeinflussen. Millionen Ukrainern, die in Russland leben und arbeiten, das Wahlrecht wegzunehmen, ist eine Verletzung aller Normen, die im Rahmen der OSZE angewandt werden bzw. werden sollten, unter anderem bei der Durchführung von freien, demokratischen Wahlen. Dass der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin die Entscheidung, keine Wahllokale in den diplomatischen Vertretungen der Ukraine in Russland durch mangelhafte Sicherheitsbedingungen erklärte, ist unerhört. Bei uns finden regelmäßig etliche internationale Veranstaltungen, darunter die Fußball-Weltmeisterschaft, die Hunderttausende Ausland, insbesondere viele Ukrainer, besuchten. Dabei gab es keinen einzigen Fall, wenn die nötigen Sicherheitsbedingungen gefehlt hätten. Ich kann mich an so etwas nicht erinnern. Es gab auch keine entsprechenden Beschwerden. Eine andere Sache ist, wenn Wahlen in Russland stattfinden, und dann eröffnen wir in unseren diplomatischen Einrichtungen, in der Botschaft in Kiew, in unseren Generalkonsulaten Wahllokale. Schon nicht zum ersten Mal werden unsere diplomatischen Missionen am Wahltag von Kämpfern des „Rechten Sektors“ und anderen Neonazis quasi blockiert, wobei sie die Russen, die in der Ukraine leben und abstimmen wollen, dabei behindern. Also wenn jemand über Sicherheit während der Stimmabgabe sprechen dürfte, dann sind das bestimmt nicht unsere ukrainischen Kollegen.

Was ihre Weigerung angeht, russische Beobachter an der OSZE-Mission teilnehmen zu lassen, so sollte sich dazu in erster Linie die OSZE aussprechen, insbesondere das Büro für diplomatische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), das für die Koordinierung der OSZE-Aktivitäten im Kontext von Wahlen zuständig ist.

Was die Perspektiven des "Normandie-Formats" angeht, so haben wir heute darüber gesprochen. Wie Sie wissen, wurden bei den zwei „Normandie-Gipfeln“ im Oktober 2015 in Paris und im Oktober 2016 in Berlin zwei konkrete Entscheidungen getroffen. Die erste galt dem Sicherheitsbereich und bestand in der Notwendigkeit, die Vereinbarung zur Auseinanderführung der Kräfte und Technik in drei Orten zu erfüllen: Petrowskoje, Solotoje und Staniza Luganskaja. In Staniza Luganskaja hat aber die Auseinanderführung der Kräfte nicht einmal begonnen. Die ukrainische Seite verlangt, dass die absolute Waffenruhe mindestens sieben Tage dauert. Die OSZE hat schon 55 Mal registriert, dass es wochenlange Waffenruhen gab. Die Ukrainer nehmen darauf aber keine Rücksicht und weigern sich, die Auseinanderführung der Kräfte zu beginnen. Und in Petrowskoje und Solotoje fand die Auseinanderführung ziemlich schnell statt. Aber nur wenige Monate danach haben die ukrainischen Kräfte wieder ihre Positionen in diesen so genannten „grauen Räumen“ eingenommen.

Die zweite Vereinbarung, die von den Ukrainern sabotiert wird, ist die so genannte „Steinmeier-Formel“. Der aktuelle Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war damals Außenminister. Diese Formel besteht darin, dass das Gesetz über den Sonderstatus der Donbass-Region am Tag der Wahlen dort provisorisch in Kraft tritt – und ständig am Tag, wenn die OSZE den endgültigen Bericht veröffentlicht, unter der Bedingung, dass darin der freie und demokratische Charakter der Wahlen im Donezbecken verankert wird.

Die beiden Momente haben die Spitzenpolitiker des "Normandie-Quartetts" vereinbart. Es sind aber schon zweieinhalb Jahre seit dem vorerst letzten Gipfel in Berlin vergangen, aber Kiew will weder in der "Normandie-Gruppe" noch auf dem Experten- bzw. Ministerniveau, noch in der Kontaktgruppe diese beiden Vereinbarungen auf dem Papier formulieren. Ich schlug meinem deutschen Amtskollegen vor, und wir haben uns heute für die Erfüllung dieser zwei Vereinbarungen ausgesprochen, in Bezug auf die es keine Kontroversen gab – aber unsere deutschen Freunde finden, dass dies wieder im "Normandie-Format" besprochen werden sollte.

Unsere Position ist ganz einfach: Wenn man alles wieder der Ukraine überlässt (und die Ukrainer werden im Falle des neuen "Normandie-Gipfels" oder im Falle von Kontakten in einem anderen Format wieder destruktiv handeln), dann werden wir keinen Erfolg haben. Die Situation zeigt eine ganz einfache Sache, von der wir schon seit langem reden: Wer das ukrainische Regime begünstigt, sollte es zwingen, das zu erfüllen, was dieses Regime unterzeichnet hat. Denn andernfalls wäre es nichts als Zeitvergeudung, wieder im "Normandie-Format" zusammenzutreffen.  

Frage (übersetzt aus dem Deutschen): Wie schätzen Sie die Vermittlung Deutschlands bei der Regelung der Ukraine-Krise ein?  Was halten Sie von den Initiativen Deutschlands zum freien Verkehr im Asowschen Meer? Glauben Sie, dass die Situation vor den Wahlen in der Ukraine verbessert werden könnte?

Sergej Lawrow (antwortet nach Heiko Maas): Der Begriff „Vermittlung“ scheint uns inkorrekt zu sein, wenn es um das "Normandie-Format" geht. Es gibt die Minsker Vereinbarungen, die von den Spitzenpolitikern des "Normandie-Quartetts" formuliert und von den Konfliktseiten akzeptiert wurden: den ukrainischen Behörden, Donezk und Lugansk. Die Unterschriften unter den Minsker Vereinbarungen zeugen davon klar und deutlich.

Es wurde eine Erklärung verabschiedet, in der die Minsker Vereinbarungen unterstützt wurden. Darin gibt es Punkte, die immer noch nicht erfüllt wurden.so verpflichteten sich Deutschland und Frankreich, Online-Banking-Dienstleistungen im Donezbecken zu gewährleisten. Das ist ihnen nicht gelungen. Die ukrainischen Behörden wollen in diesem Bereich nicht zusammenwirken.

Wenn wir einmal darüber reden, ob Vermittlung von außerhalb in der Ukraine-Situation angebracht wäre, so denke ich: ja. Wie ich schon sagte, hoffen wir sehr, dass die Länder, die die ukrainische Regierung unterstützen, ihr Verhalten besser kontrollieren werden, vor allem im Kontext des direkten Dialogs zwischen Kiew, Donezk und Lugansk, was den Kern der Minsker Vereinbarungen ausmacht. Dafür wurde die Kontaktgruppe gebildet, und das ist das einzige Format, in dem das ukrainische Regime und das Donbass-Gebiet an einem Tisch sitzen – auch wenn jemand behauptet, das wäre ein dreiseitiges Format. Aber auch im "Normandie-Format" und in der Kontaktgruppe wollen die Vertreter der ukrainischen Behörden keine Dokumente verabschieden, in denen die Auseinanderführung der Kräfte und Waffen sowie die „Steinmeier-Formel“ juristisch verankert wären. Da sind keine Vermittler nötig – man sollte einfach den Behörden in Kiew einen Befehl erteilen, das zu erfüllen, was der ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko höchstpersönlich vereinbart hat. Vorerst sehen wir nicht, dass unsere deutschen und französischen Freunde das tun wollen. Man kann das als Vermittlung oder sonst wie bezeichnen, aber das ist Fakt.

Was die Kertsch-Straße angeht, so fragten Sie mich, was ich von den Vorschlägen Deutschlands halte. Ich habe sie zum ersten Mal während der Verhandlungen gesehen, aber wenn Sie mich darüber fragen, heißt das, dass Sie darüber früher als ich erfahren haben. Das ist ja interessant. Aber ich will jetzt nicht über einzelne Details reden – das ist nicht mein Geheimnis. Das ist ein Vorschlag Deutschlands, den wir erst bekommen haben und uns überlegen müssen. Ich kann nur sagen, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel vor mehr als einem Monat den russischen Präsidenten Wladimir Putin gebeten hat, deutsche Experten die Kertsch-Straße besuchen zu lassen, damit sie sehen, wie man dieses Gebiet passiert, wenn man bedenkt, dass dabei die Sicherheitsnormen eingehalten werden müssen: Dort gibt es Lotsen, die die Schiffe begleiten, usw. Präsident Putin stimmte sofort zu. Einige Zeit später fragte Frau Merkel, ob deutsche Experten gemeinsam mit ihren französischen Kollegen kommen dürften. Auch da stimmte er zu. Es ist schon mehr als ein Monat vergangen, aber es ist noch niemand gekommen.

Heiko Maas präsentierte mir heute die Vorschläge, die diese einfache Tagesordnung in einem Dokument zusammenfassen, das mit der Ukraine vereinbart werden muss. Wir sagten ehrlich: Wenn unsere Kollegen daran interessiert sind, was der russische Präsident der deutschen Kanzlerin versprochen hat, dann können sie das jederzeit tun. Wenn die Idee darin besteht, daraus ein gewisses politisches Verfahren zu machen, wobei die ukrainische Seite diese oder jene Entscheidungen treffen würde, dann riskieren wir, in dieselbe Situation zu geraten, in der sich das "Normandie-Format" und die „Steinmeier-Formel“ befinden.

Ich hob Herrn Maas‘ Worte hervor, dass der Verkehr in der Kertsch-Straße im Moment frei ist. Ich muss betonen, dass er immer frei war. Ukrainische zivile, Fischfang- und Handelsschiffe passierten – und passieren – sie immer frei. Und im September des vorigen Jahres passierten auch ukrainische Kriegsschiffe die Kertsch-Straße. Und das gelang ihnen leicht, weil sie den Regeln folgten, die in diesem schwierigen Gebiet gelten.

Doch im November, statt dem festgelegten Verfahren zu folgen, die sie zuvor eingehalten hatten, beschlossen die Seestreitkräfte der Ukraine, auf eine Provokation einzugehen, was ihnen gelang. Wir hoffen, dass es keine neue Provokation geben wird, obwohl aus Kiew bereits lautstarke Verkündigungen zu hören waren, dass sie demnächst einen Durchbruch durch die Straße von Kertsch organisieren, und es eine Einladung für die Seestreitkräfte der Nato geben wird, sich diesem Durchbruch anzuschließen. Die Nato schweigt.

Es liegt auf der Hand, dass das alles mit dem Ziel geplant war, die Spannung aufrechtzuerhalten und die Wähler vor den Präsidentschaftswahlen am 31. März dieses Jahres im Tonus zu halten.

Ich bin davon überzeugt, dass unsere Kollegen in Deutschland, Frankreich sowie in anderen Ländern sehr gut verstehen, um was es geht. Doch da sie seit langem beschlossen haben, die Ukraine fast in allem zu unterstützen, können wir nichts machen. Es bleibt zu hoffen, dass dem ukrainischen Regime bei nicht öffentlicher Kommunikation zwischen europäischen Kollegen und Kiewer Behörden jedoch direkt gesagt wird, was es tun soll, um seine Verpflichtungen einzuhalten, ob bei Minsker Vereinbarungen oder internationalen Menschenrechtskonventionen, Freiheit der sprachlichen, religiösen und nationalen Minderheiten.

Frage (an Heiko Maas): Wie verhalten Sie sich dazu, dass der Außenminister der Ukraine, Pawlo Klimkin, sagte, dass es in Russland keine Wahllokale geben werde, und die Ukraine gegen die Teilnahme Russlands an der OSZE sei?

Sergej Lawrow (fügt nach Heiko Maas hinzu): Ich kann hinzufügen, dass wir eine Einladung der OSZE bekommen haben, unsere Beobachter in die Mission zu schicken, die die Wahlen verfolgen wird. Wir haben also eine Einladung.

Frage (an Sergej Lawrow): Der Rat der Europäischen Union wird am 21. Januar die erste „Schwarze Liste“ im Rahmen des neuen Sanktionen-Regimes gegen jene erstellen, die als verantwortlich für die Produktion und Anwendung der chemischen Waffen bezeichnet werden. Nach Medienangaben werden da vier russische Staatsbürger sein, die als GRU-Mitarbeiter bezeichnet werden, darunter jene, die wegen Anschlags auf Sergej und Julia Skripal verdächtigt werden. Wie beabsichtigt es das Außenministerium Russlands, die russischen Staatsbürger zu verteidigen? Wird es ihren Ausschluss aus der Liste anstreben?

Wie schätzen Sie die Ereignisse im Norden Syriens ein, darunter jene, die mit einer Explosion in Manbidsch verbunden sind, die zeitlich mit dem Abzug der US-Truppen und Aufrufen zur Schaffung der Sicherheitszonen im Norden des Landes zusammenfielen?

Sergej Lawrow:  Bezüglich der Sitzung des Rats der Europäischen Union am Montag, habe ich darüber nicht gehört. Doch wenn die Medien darüber Bescheid wissen, wurde irgendeine Ankündigung gemacht.

Die EU erklärte tatsächlich vor einiger Zeit, dass eine Struktur gebildet wird, die die Frage über die Bestrafung der Beteiligten an der Anwendung der chemischen Giftstoffe, C-Waffen lösen wird. Dieser Beschluss stützt sich auf eine Resolution der UN-Vollversammlung, die durch eine Abstimmung getroffen wurde – irgendeiner unabhängiger Mechanismus der Untersuchung der Anwendung von C-Waffen. Wir stimmten dagegen zusammen mit einer großen Gruppe der Staaten, weil die Vollversammlung gemäß der UN-Charta keine Funktionen der Untersuchung und Feststellung der Schuld hat – sowie auch das Sekretariat der Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Es heißt Technisches Sekretariat. Deswegen, wenn unsere westlichen Kollegen bei einer Konferenz der Vertragsstaaten der Chemiewaffenkonvention den Angelsachsen folgten und dafür stimmten (dabei mit weniger als die Hälfte der Vertragsstaaten), dass das Technische Sekretariat die Funktionen der Feststellung der Schuld bekommen soll, drangen sie direkt in die Prärogativen des UN-Sicherheitsrats ein.

Nun werden solche illegitime, rechtswidrige Handlungen, die der Chemiewaffenkonvention widersprechen, nicht via Verhandlungen, sondern via Abstimmung, Aufdrängen der Rechtsbeugungen legalisiert. In dieser Reihe steht gerade der Beschluss der EU, dass sie nun via ihre Konfrontationshandlungen in der UNO und im Rahmen der OPCW gewisse Regeln schufen, die dem Völkerrecht widersprechen. Auf Grundlage dieser Regeln werden sie Informationen bekommen (es besteht das Risiko, dass sie voreingenommen, nicht voll und sogar für geheim erklärt sein werden), und auf Grundlage dieser geheimen Beschlüsse, geheimen Informationen werden sie die einen oder anderen Personen bestrafen.

Gerade so ist es mit den Skripals. Als sich die Tragödie in Salisbury ereignete, drängten die Briten ihre meisten damaligen EU-Partner dazu, sich den Beschlüssen über die Ausweisung der russischen Diplomaten anzuschließen. Ich frage viele meine europäischen Kollegen privat, ob die Briten ihnen etwas als Zusatz dazu, was sie öffentlich bezüglich „highly likely“ sagten, dass es Russland gewesen sei,  vorlegten. Alle, mit denen ich sprach, sagten, nein, sie legten nichts vor, versprachen aber, das später zu machen. Bislang gibt es nichts. Niemand weiß, wo die Skripals sind. Dutzende unsere Anfragen über den konsularischen Zugang bleiben ohne Antwort, oder es wird eine formelle Antwort mit Hinweis auf Sicherheitsinteressen des Vereinigten Königreichs gegeben.

Das ist nicht das erste Mal, so sieht das britische Vorgehen aus. Als Alexander Litwinenko 2006 ums Leben kam, wurde der Gerichtsprozess ebenso einfach geschlossen gemacht, alle Materialien, die die Sicherheitsdienste der Anklage vorlegten, waren selbst den Anwälten nicht zugänglich, die darin Einblick gewinnen wollten.

Was übrigens „highly likely“ betrifft, haben wir heute viel über den INF-Vertrag diskutiert. Unsere Kollegen sagen, dass wichtig ist, Fakten vorzulegen. Wir schlagen den Amerikanern seit mehreren Jahren vor, gerade das zu machen. Lange Zeit warfen sie uns die Verletzung des Vertrags vor, ohne zu erklären, worin sie bestand und um welche Rakete es konkret geht. Wir haben von ihnen vor einiger Zeit mit viel Mühe die Bezeichnung der Rakete bekommen und gleich gesagt, dass es sie gibt, sie wurde getestet, und fragten, was ihnen nicht passt. Uns wurde gesagt, dass wir sie für eine größere Reichweite testeten, als der INF-Vertrag erlaubt. Wir haben gebeten, etwas konkreter zu sagen. Einige Jahre lang gaben sie uns keine Informationen, und erst im Herbst des vergangenen Jahres wurden uns zwei Daten mitgeteilt, als nach ihrer Einschätzung die Tests stattfanden, die den Vertrag verletzt haben sollen. Wir erklärten, dass es die Tests waren, wie ihrer Reichweite war (sie war erlaubt gemäß INF-Vertrag) und baten um konkretere Beweise. Wenn sie davon überzeugt sind, dass die Reichweite verletzt wurde, haben sie anscheinend irgendwelche Satellitenaufnahmen. Sie haben uns nichts vorgelegt.

Wir treten dafür ein, dass es bezüglich der Tatsache, wie Russland den INF-Vertrag einhält und wie das die USA machen, völlige Transparenz herrscht. Wir wollten gerade darüber am 15. Januar in Genf sprechen. Uns wurde das ziemlich barsch verweigert, ein Ultimatum gestellt, dass nur sie selbst das Schicksal des Vertrags bestimmen können, weil man einfach diese Raketen, ihre Startanlagen, die ganze damit verbundene Ausrüstung vernichten und eine regelmäßige Anreise (einmal pro drei Monate) der US-Kontrolleure gewährleisten soll, damit sie dorthin gehen, sehen, was ihnen interessant ist. Es ist klar, dass das von Anfang an mit dem Ziel geplant war, einen Vorwand für ihren Austritt aus dem Vertrag zu schaffen. Es ist kein großes Geheimnis – als US-Präsident Donald Trump bereits im Oktober erklärte, dass sie aus dem INF-Vertrag aussteigen, sagten US-Kollegen bei offiziellen Kontakten zu verschiedenen Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle, dass dieser Beschluss endgültig und unwiderruflich ist. Und die Erklärungen, dass die USA aus dem INF-Vertrag aussteigen werden, sind „keine Einladung zum Dialog“. Das ist ein Zitat. Also entscheiden sie selbst, welche Motive die USA hatten und was sie in der Tat wollten.

Was Syrien betrifft, bestimmen die Ereignisse nicht nur im Norden, sondern auch in anderen Teilen dieses Landes, darunter der Terroranschlag in Manbidsch, die Notwendigkeit einer aktiveren Teilnahme jener, die bei der Ausrottung der Terrorgefahr helfen wollen, und natürlich der syrischen Behörden selbst.

Die USA und die Türkei besprechen seit langem die Möglichkeit der gemeinsamen Patrouillen der Gebiete, die nicht traditionell von Kurden bewohnt wurden, damit sie nicht von Kurden besiedelt werden. Die Türkei war, wie sie wissen, sehr darüber besorgt, dass die Sicherheit ihrer Grenzen von Risiken betroffen werden kann. Deswegen ist nun in diesem Gebiet eine positive Tendenz zu erkennen, darunter im Zusammenhang damit, dass die syrische Armee bei Unterstützung der russischen Militärpolizei sich nun dorthin bewegt. Es sind bestimmte Vereinbarungen zwischen den USA und der Türkei zu erkennen. In der nächsten Woche werden wir mit unseren türkischen Kollegen ausführlich über diese Pufferzonen sprechen. Doch uns alarmiert die Tatsache, dass Dschebhat an Nusra, die sich in Heyat Tahrir asch-Scham verwandelte, trotz Vereinbarungen über die Schaffung einer demilitarisierten Zone dort, dominiert und das entsprechende Regime verletzt. Rund 70 Prozent dieser Zone ist bereits von Terroristen besetzt. Sie versuchen, von dort die Stellungen der syrischen Armee, Ortschaften zu beschießen und sogar unserem Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim zu drohen. Jetzt ist es eines der scharfen Probleme, weil es unmöglich ist, den letzten größten Brandherd des Terrorismus in Syrien endlos aufrechtzuerhalten.

Die Amerikaner kündigten den Abzug aus Syrien an. Obwohl sie wissen ja, wie sie das sagen – zunächst eine Frist – zwei Monate, dann eine andere – sechs Monate, dann - bis zum endgültigen Sieg, obwohl der Sieg eigentlich schon erklärt wurde. Deswegen soll man sehen, was da real sein wird. Wir haben keine Zweifel daran, dass der einzige zuverlässige Weg, keine neuen Terrorvorfälle in Syrien zuzulassen, diese Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung der Streitkräfte der Arabischen Republik Syrien zu übergeben.

Dasselbe betrifft den Süden Syriens, Gebiet at-Tanfa, wo die Amerikaner einseitig rechtswidrig eine Zone mit einem Radius von 55 km schufen, wo sich das Flüchtlingslager Rukban befindet, das in einem Notstand ist. Dorthin kann keine humanitäre Hilfe geliefert werden, weil in der US-Enklave Banditen herrschen. Sie nehmen einfach die humanitäre Hilfe und sagen, dass sie sie selbst verteilen werden. Wie sie verteilt wird, weiß niemand. Bei Unterstützung der syrischen Regierung gab es einen Konvoi. Jetzt wird erneut versucht, uns zu überreden, dass wir zusammen mit Damaskus einen zweiten Konvoi bilden. Doch solange es keine Garantien gibt, dass diese humanitären Waren an jene gelangen, für die sie bestimmt sind – an die Flüchtlinge, kann es keine Vereinbarungen geben. Jedenfalls versorgen die Amerikaner ihre Militärs, die sich in dieser Enklave befinden, wo sich die Banditen verstecken, aus dem Irak und anscheinend aus Jordanien. Das heißt, dass es eine Route für die Lieferung dieser Waren gibt. Möge sie auch für Flüchtlinge und nicht nur für Offiziere der US-Spezialeinheiten genutzt werden.

Wir sind an der Bewegung dazu interessiert, dass unsere gemeinsamen Positionen, die im UN-Sicherheitsrat festgeschrieben wurden – über die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung und Gewährleistung der Souveränität Syriens, in praktische Taten auf dem Boden, in allen Gebieten, die ich erwähnte, und auf dem ganzen Territorium des Landes im Ganzen umgesetzt werden.

Frage: Der INF-Vertrag wird wohl bald Geschichte sein. In welchem Umfang will die Russische Föderation dann aufrüsten, um auf die Aufrüstungspläne der Vereinigten Staaten zu antworten, oder ist das schon hinreichend erledigt worden?

Sergej Lawrow: Ich meiner Einführungsrede äußerte ich auch Besorgnis wegen des Schicksals aller Vereinbarungen im Bereich Rüstungskontrolle, die seit vielen Jahrzehnten die Grundlage der Aufrechterhaltung der strategischen Stabilität in der Welt bildeten. Die Amerikaner machen jetzt einen weiteren einseitigen Schritt, indem nach dem ABM-Vertrag auch der INF-Vertrag zerstört wird.

Ich erinnere nochmals daran, dass ich bei der Antwort auf die vorherige Frage sagte, dass sie uns während der offiziellen Verhandlungen im Oktober 2018 sagten, dass die Erklärung des Präsidenten Donald Trump über den Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag ein endgültiger und unwiderruflicher Beschluss ist, der nicht als Einladung zum Dialog betrachtet werden soll. Im Laufe der ganzen Jahre, als die Amerikaner abstrakte Ansprüche gegen uns erhoben, schlugen wir vor, einen Dialog aufzunehmen. Der 15. Januar in Genf ist der einzige Fall, als es solches Treffen gab. Ich erzählte bereits, wie sich die US-Vertreter dort benahmen.

Wir verstehen, dass auch Europa darüber besorgt ist. In zwei Jahren läuft der START-Vertrag ab. Im nächsten Jahr findet die Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) statt, in dessen Rahmen eine bedeutende Unzufriedenheit mit der Unfähigkeit vor allem des Westens zunimmt, das zu erfüllen, was bereits in den 1990er-Jahren vereinbart wurde – die Verhandlungen zur Schaffung einer Zone im Nahen Osten aufzunehmen, die frei von Massenvernichtungswaffen sein wird. Jetzt versuchen wird zusammen mit arabischen Ländern, vor allem Ägypten, die Situation zu retten, nicht zuzulassen, dass das Scheitern solcher Verhandlungen erneut von denen genutzt wird, die den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen zerstören wollen.

Es gibt viele Fragen. Wir sprachen heute darüber, dass wir die Position Deutschlands unterstützen, die darin besteht, dass man gemeinsam darüber denken soll, wie zumindest irgendwelche Verhaltensnormen vor allem im Bereich der Atomwaffen und der strategischen Stabilität im Ganzen eingehalten werden. Wir sind zu solcher Arbeit bereit.

Was unsere praktische Tätigkeit nach einem eventuellen „Tod“ des INF-Vertrags betrifft, sagte Wladimir Putin bei der Stellungnahme zur Situation bezüglich dieser Raketen, dass bei Vorwürfen gegen Russland wegen des Verstoßes gegen den Vertrag nicht berücksichtigt wird, dass wir see- und luftgestützte Raketen haben, was durch den INF-Vertrag nicht verboten ist. Als der Vertrag unterzeichnet wurde, hatten wir sie nicht, und jetzt entwickelten wir see- und luftgestützte Mittel- und Kurzstreckenraketen, die absolut legal sind. Wir brauchen es nicht, geheim bodengestützte Raketentypen zu entwickeln. Das wäre nicht rationell.

Wir sind zu einem konkreten Gespräch bereit. Im Falle des Zerfalls dieses Dokumentes werden unsere praktischen Handlungen davon abhängen, wie sich andere Länder, die über solche Waffen bereits verfügen, die USA, die de facto schon begonnen haben, an der Entwicklung der Mittel- und Kurzstreckenraketen zu arbeiten, verhalten werden.

 

 

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