France (la République française)
Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf einer Pressekonferenz nach der 28. Sitzung des Außenministerrats der OSZE, Stockholm, 2. Dezember 2021
Die jetzige Sitzung des Außenministerrats der OSZE findet in Stockholm statt. Wir möchten uns bei der schwedischen Empfangsseite, persönlich der Außenministerin Schwedens, Ann Linde, ihren Mitarbeitern für eine qualitative, kreative Organisierung unserer Sitzung und zwar unter außerordentlichen Pandemie-Bedingungen bedanken. Ein Präsenz-Treffen war sehr nützlich.
Wir sprachen ausführlich und offen über die Lage in der OSZE und die aktuellsten, akutesten Fragen der Tagesordnung dieser Organisation. Die Lage in der OSZE ist nicht einfach, man kann sie sogar schwer nennen. Darin widerspiegeln sich die negativen Tendenzen, die sich im Bereich europäische Sicherheit und Zusammenarbeit entwickeln. Es bildet sich das Verständnis der Notwendigkeit der Erhöhung der Gefragtheit der OSZE via gemeinsame Anstrengungen, die darauf abzielen, dass sie die Rolle der führenden vereinigenden Organisation in europäischen Angelegenheiten zurückbekommt.
Wir drückten die Besorgnis wegen der Versuche mehrerer Länder, allen anderen folgende Konzepte aufzudrängen – „die auf Regeln beruhenden Ordnung“, ein effektiver Multilateralismus, die eine bestimmte Gruppe westlicher Länder über alle andere stellen, indem ein diskriminierendes Herangehen zu internationalen Angelegenheiten durchgesetzt wird, aus. Wir beharren auf der Notwendigkeit der Erfüllung des Völkerrechts, das eine universelle Regel für alle Länder unseres Planeten ist.
Was die militärische Sicherheit in der euroatlantischen Region betrifft, bricht sie weiterhin zusammen. Es blieb nur ein Vertrag zwischen Russland und den USA – der START-Vertrag. Der INF-Vertrag, der Vertrag über den Offenen Himmel wurden durch unsere US-Kollegen aufgelöst. Das löst bei allen Besorgnis aus, obwohl wenige es wagen, auf die wahren Gründe solcher Lage hinzuweisen. Man drückt nur Bedauern aus, dass diese Verträge nicht mehr funktionieren.
Es wird die Tätigkeit der Nato zur Eskalation der Situation an unseren Grenzen fortgesetzt. Die Allianz verzichtet auf die Erörterung unserer Vorschläge zur Aufhebung der Spannung und Verhinderung gefährlicher Vorfälle. Es wurden rein konkrete Maßnahmen zu diesen Fragen vorgeschlagen. Das militärische Potential in Osteuropa, darunter nahe russischer Grenzen, wird aktiv ausgebaut. Jeden Tag hören wir lautstarke Erklärungen mit Drohungen gegen uns. Das alles wirkt sich unvermeidlich auf die Tätigkeit der OSZE aus. Vor diesem Hintergrund wurde die größte Aufmerksamkeit beim Auftritt auf der Session und in unseren Kontakten mit den westlichen Kollegen der Erklärung und Durchsetzung der Initiative des Präsidenten Russlands Wladimir Putin gewidmet, die er erstmals auf einer erweiterten Sitzung des Kollegiums in unserem Ministerium zum Ausdruck brachte und gestern im Kreml bei der Übergabe der Ernennungsurkunden den ausländischen Botschaftern wiederholte – über die Notwendigkeit der Ausarbeitung der Garantien der Nichtzulassung der weiteren Zuspitzung der Lage und Schaffung neuer Bedrohungen für die Russische Föderation. Als konkrete Aufgabe wurde das Ziel gestellt, die Nichtzulassung der Erweiterung der Nato gen Osten und der Stationierung der neuen Waffen an unseren westlichen Grenzen, die die Sicherheit der Russischen Föderation bedrohen werden, anzustreben. Gestern wurde von Russlands Präsident hervorgehoben, und ich machte heute darauf aufmerksam, dass wir an den Vereinbarungen interessiert sind, die die Sicherheitsinteressen aller ohne Ausnahme Länder berücksichtigen. Wir wollen keine einseitigen Privilegien. Wir werden darauf beharren, dass diese Vereinbarungen ernsthaft erörtert werden, damit man sie nicht aufgibt, nicht abstößt, wie unsere westlichen Kollegen das mehrmals machten, darunter mit ihren Versprechen über die Nichterweiterung der Nato. Mit DDR (bei der Wiedervereinigung Deutschlands) wurde eine Vereinbarung erreicht, dass die militärische Infrastruktur nicht in Ostdeutschland stationiert wird. Dann war es auch mit der Russland-Nato-Grundakte u.v.m. Alles, was die Form der politischen Verpflichtungen hatte, wurde vom Westen ignoriert. Deswegen wollen wir, dass die Vereinbarungen, die von Russlands Präsident Wladimir Putin erwähnt wurden (und die wir anstreben werden), unbedingt einen rechtlichen, juridisch verbindlichen Charakter haben. In der nächsten Zeit werden wir entsprechende Vorschläge für unsere westlichen Kollegen formulieren. Wir werden mit ihrem ernsthaften Verhalten dazu rechnen.
Von anderen Fragen, die heute auf der Sitzung besprochen wurden, löst die andauernde und tiefer werdende Verletzung der Rechte der nationalen Minderheiten, vor allem Sprach- und Bildungsrechte, Besorgnis aus. Besonders besorgniserregend ist auch die Tendenz der Heroisierung des Nazismus, Manipulation der Geschichte, das Streben, die alternativen Meinungen im Medienbereich zu dämpfen, darunter die Schließung der unerwünschten Medien.
In der Organisation, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit genannt wurde, nehmen Antagonismen zu, es erweitert sich die Konfrontationsrhetorik, es werden Arbeitsprozesse in der OSZE gebremst, es wird der politische Dialog erschwert, für den diese Organisation gerade ins Leben gerufen wurde. Damit wird das Erreichen eines Kompromisses in offensichtlichen Bereichen der Übereinstimmung der Interessen aller Teilnehmerstaaten erschwert.
Ich würde ein Beispiel anführen. Auf dieser Session reichten wir zusammen mit OVKS-Kollegen einen Entwurf der Erklärung über die Notwendigkeit der Bekämpfung der Nutzung von Internet für terroristische Ziele ein. Man hätte wohl denken können, was ist ja noch aktueller? Leider entfernten unsere westlichen Partner, ohne jegliche sachliche Argumente zu unseren Vorschlägen vorzulegen, ihn von der Besprechung. Es war offensichtlich, dass ihnen nicht passte, dass gerade Russland solche Initiative einreichte.
Unter solchen Bedingungen ist ein aufrichtiges Gespräch von besonderer Bedeutung. Es ist gut, dass dieses Gespräch zustande kam. Das war nützlich. Die Einschätzungen der vorhandenen Probleme, die sowohl wir, als auch andere Teilnehmer zum Ausdruck brachten, wurden gehört. Man spürt das Interesse daran, diese Krise zu überwinden, die Wege der Erhöhung der Effizienz der OSZE zu erhöhen.
Nützlich war die Diskussion zur Situation in Afghanistan und ihre Folgen für die Region der OSZE, zentralasiatische Länder. Wir äußerten unsere Herangehensweisen zu diesem Problem, die in der OVKS und SOZ abgestimmt wurden, wenn diese zwei Strukturen einen Gipfel im September dieses Jahres in Duschanbe durchführten. Es wurde eine ganze Reihe konkreter praktischer Schritte zur Unterstützung zentralasiatischer Länder, zur Nichtzulassung ihrer Überflutung durch Migrationskrise, damit mit den Strömen der Migranten, die in die Gebiete unserer Verbündeten durchsickern, keine Terroristen u.a. kommen, ausgearbeitet. In der SOZ und OVKS gibt es Spezialmechanismen, Arbeitsgruppen für das Zusammenwirken mit Afghanistan. Heute riefen wir unsere OSZE-Kollegen dazu auf, bei der Ausarbeitung eigener Pläne unbedingt das zu berücksichtigen, was für unsere Nachbarn auf dem Boden bereits mit Nutzen gemacht wird.
Wir möchten die Effizienz der OSZE beim Kampf gegen alle grenzübergreifende Bedrohungen, Terrorismus, Drogenverkehr, organisierte Kriminalität erhöhen. Wir wollen öfter Sitzungen der entsprechenden Strukturen, vor allem des Ausschusses, der sich mit Antiterroraufgaben befasst, sehen.
Viele Dokumente unseres Außenministerrats, die hätten angenommen werden sollen, wurden von der Besprechung entfernt. Einige westlichen Kollegen versuchten ungewöhnlich beharrlich, angemessen oder unangemessen, sie mit radikalen und ultraliberalen Deutungen der Geschlechtspositionen zu füllen. Da ist auch keine Ehre für unsere Organisation. Im Ergebnis wurden ein Dokument über die Einbeziehung der OSZE in die Anstrengungen, die mit der Vorbereitung auf Klimawandel verbunden sind, und ein Beschluss zu Transnistrien-Regelung angenommen. Am Rande des Außenministerrats der OSZE nahmen die Minister Russlands, der USA und Frankreichs als Kovorsitzende der Minsker Gruppe der OSZE eine Erklärung zur Bergkarabach-Regelung an, wo unter anderem die Vermittlungsbemühungen der Russischen Föderation begrüßt werden.
Wir möchten natürlich intensivere Ergebnisse dieser Session sehen, darunter eine politische Erklärung, die man bereits seit mehr als zehn Jahren nicht annehmen kann. Denn statt sich auf gemeinsamen europäischen Aufgaben zur Festigung der Sicherheit in allen Dimensionen zu konzentrieren, wird versucht, diese politische Deklaration mit ihren kleinen Fragen bzw. einzelnen Hinweisen auf gewisse Konflikte außer Konsens-Reaktion zu füllen.
Es wurde der Beschluss getroffen, dass der OSZE-Vorsitz 2025 an Finnland übergeht. Das wird der 50. Jahrestag des historischen Gipfels von Helsinki sein. 2022 wird Polen den Vorsitz haben, eine weitere Außenministersitzung findet in Lodz statt.
Es wurde auch über die Ukraine gesprochen. Die Positionen sind bekannt. Sie alle wurden öffentlich erläutert. Es wurde besondere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, was unmittelbar die OSZE betrifft und zwar die Notwendigkeit, sich strikt nach den Minsker Abkommen, die vom UN-Sicherheitsrat und Mandat der Sonderbeobachtermission der OSZE gebilligt wurden, zu richten. In den Minsker Abkommen und im Mandat der Sonderbeobachtermission der OSZE ist direkt die Forderung enthalten, einen direkten Dialog mit Donezk und Lugansk zu führen. Leider ist die OSZE-Mission nicht immer objektiv bei der Erfüllung ihres Mandats.
Ich hoffe, dass die von uns geäußerten Bemerkungen, wir haben sie auch in der allgemeinen Diskussion dargelegt, auch auf dem Treffen mit OSZE-Generalsekretär und der amtierenden OSZE-Vorsitzenden, Außenministerin Schwedens gehört werden.
Ich betone nochmals, dass wir daran interessiert sind, dass die OSZE zum Wesen von Helsinki, den Grundlagen, die 1975 gelegt wurden, die das Gleichgewicht der Interessen aller ohne Ausnahme Länder unserer wichtigen Region widerspiegeln, zurückkehrt. Die Organisation soll nach ihrem Namen sich mit Sicherheit und Zusammenarbeit und nicht mit Entfachung der Konfrontation befassen.
Frage: In der letzten Zeit kamen die Vizeaußenministerin der USA, Victoria Nuland, und CIA-Chef William Burns nach Russland. Sie sagten, dass die Verhandlungen „ziemlich konstruktiv“ waren. Es werden die einen Erklärungen gemacht, doch die Rhetorik ist anders. Ist es ein Doppelspiel? Was verfolgt Washington?
Sergej Lawrow: Sie sagten nicht nur vor, sondern auch nach den Reisen bei „konstruktiven“ Kommentaren über die stattgefundenen bzw. bevorstehenden Kontakte trotzdem, dass Russland etwas „soll“. Zum Beispiel es „soll“ die Minsker Abkommen erfüllen.
Heute zählte der US-Außenminister Antony Blinken die Forderungen gegenüber Russland bezüglich der Erfüllung der Minsker Abkommen, einschließlich der Einhaltung der Waffenruhe, Abzug schwerer Waffen, Einstellung der wirtschaftlichen „Einmischung“ in Donezbecken auf. Während unseres bilateralen Treffens habe ich alles erklärt, zitierte konkrete Punkte der Minsker Abkommen, wo es steht, dass alle diesen Fragen via einen direkten Dialog und das Erreichen einer Einigung zwischen Kiew, Donezk und Lugansk gelöst werden. Die Besessenheit davon, alle Minsker Abkommen an die Handlungen und das Verhalten Russlands zu knüpfen, ist bei allen Nato-Ländern zu erkennen. Es gibt so eine Besessenheit zu diesem Thema.
Wir hatten ein ziemlich professionelles Gespräch mit Antony Blinken, darunter zur Ukraine. Die Amerikaner drücken die Bereitschaft, Absicht aus, bei der Erfüllung der Minsker Abkommen zu helfen. Obwohl wir auch sehen, dass sie sie nicht ganz so deuten, wie es im Text steht. Allerdings denken wir, dass man die Möglichkeiten der USA nutzen kann. Gerade sie haben einen entscheidenden Einfluss auf das Kiewer Regime. Dabei sagt Washington, dass es nicht die Untergrabung bzw. Erweiterung des Normandie-Formats beansprucht, aber seine gegenseitigen Möglichkeiten bei Kontakten mit den Teilnehmern des Prozesses nutzen will. Wir haben nichts dagegen. Dazu soll man von Anfang an eine Vereinbarung erreichen, welche Grundlagen des Zusammenwirkens wir haben. Sie können nur so sein – die Minsker Abkommen in ihrer direkten Deutung. Man soll sie sogar nicht deuten, sondern einfach lesen und das machen, was dort geschrieben steht.
Angesichts der zunehmenden kritischen Aussagen gegenüber uns, verbreiteten wir unter Teilnehmern der OSZE-Sitzung den Text der Minsker Abkommen und Erklärung der Anführer Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands. Das alles wurde durch Resolution des UN-Sicherheitsrats gebilligt. Wir baten die Kollegen direkt, bevor sie nächstes Mal die ukrainischen Angelegenheiten kommentieren, diese Dokumente aufmerksam zu lesen. Dann werden viele das Verständnis bekommen, das man eine andere Rhetorik haben soll. Wir sind zu jeden Kontakten bereit. Wir vermeiden das nicht. Am wichtigsten, es soll verstanden werden, was wir anstreben.
Frage: Betrachten Sie die Schiffe im Schwarzen Meer und Verlegung der Technik an die Grenze zum Donezbecken als Glieder einer Kette? Wozu kann das führen? Inwieweit ist diese Situation gefährlich?
Sergej Lawrow: Die Kette ist immer dieselbe – die Abschreckung Russlands. Sie wurde ausgerufen und in praktischen Angelegenheiten, darunter jenen, denen Ihre Fragen gewidmet sind, verkörpert.
Wir erinnerten unsere westlichen Kollegen daran, dass sie sich seit mehr als zwei Jahren weigern, die Vorschläge, die zur Erörterung der Nato-Mitgliedsstaaten durch den Generalstab der Streitkräfte Russlands eingereicht wurden, zu besprechen. Erstens ist es eine Vereinbarung über konkrete Entfernung, zu der unsere und Nato-Übungen von der Kontaktlinie abgezogen werden sollen. Zweitens, ist die Bestimmung einer maximal zulässigen Annäherung der Kampfflugzeuge und Schiffe. Drittens, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen im Luftraum über dem Baltikum, vor allem bezüglich der Vereinbarungen über die Flüge der Kampfflugzeuge mit eingeschalteten Transpondern. Die Nato weigert sich, das zu machen.
Solche konkrete Vorschläge sind das Zeichen unseres aufrichtigen Strebens, Deeskalation zu erreichen. Der Verzicht darauf zeigt, dass alle Gespräche darüber, dass Russland angeblich auf die Kooperation mit der Nato verzichtet und keine vertrauensbildende Maßnahmen ausarbeiten will – das sind leere Gespräche. Wir werden anstreben, dass wir gehört werden. Am wichtigsten ist unsere Sicherheit. Wenn die Nato weiterhin ein Gespräch zu diesem Thema vermeiden bzw. sich weigern wird, die Ideen, die Russlands Präsident Wladimir Putin vorlegte, zu besprechen, werden wir Maßnahmen treffen, damit unsere Sicherheit, Souveränität und territoriale Integrität nicht von jemandem abhängen.
Frage: Können die USA und ihre Verbündeten darauf verzichten, die Forderungen Russlands, die Sicherheitsgarantien zu gewährleisten, zu besprechen? Was wird in dieser Situation sein? Gibt es Plan B?
Sergej Lawrow: Wir sprechen nicht darüber, dass uns Sicherheitsgarantien gegeben werden sollen. Russlands Präsident Wladimir Putin betonte insbesondere, dass man kollektive Garantien der Gewährleistung der Sicherheit voneinander, allen Teilnehmern des gesamteuropäischen Prozesses ausarbeiten soll. Ich will nicht darüber rätseln, dass der Westen sich weigern kann, sie zu erörtern. Alle hörten den Präsidenten Wladimir Putin, begriffen, dass unsere Vorschläge ernsthaft sind. Jetzt bringen wir sie auf das Papier. Mal sehen, wie die Reaktion sein wird.
Man soll sehen, inwieweit ernsthaft sich dazu die westliche Gemeinschaft verhalten wird, ob sie aufrichtig an der Deeskalation und Einstellung der Versuche, eigene Vorteile einseitig auszubauen, darunter in Form der militärischen Infrastruktur, Streitkräfte und Technik, auszubauen, interessiert sind.
Frage: Die US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland sagte, dass wenn Russland Schritte zur Destabilisierung in der Ukraine unternehmen wird, werden gegen Moskau Sanktionen eingeführt, die es früher nicht gab. Wie können Sie das kommentieren? Wird es eine Antwort Moskaus im Falle der Sanktionen geben?
Sergej Lawrow: Bezüglich der Worte von Victoria Nuland, das wiederholten doch Antony Blinken und mehrere andere Delegierten (darunter Deutsche), dass es Sanktionen geben wird, die es zuvor nicht gab. Alles passiert zum ersten Mal. Zuvor hatte es auch Sanktionen gegeben, die es früher nicht gab.
Unsere westlichen Kollegen verloren die Kultur des Dialogs, diplomatischer Verhandlungen, Erreichens des Konsens, Fähigkeit, nach Gleichgewicht der Interessen zu suchen. Wenn etwas ihnen nicht passt, werden sofort Sanktionen eingeführt. Das betrifft nicht nur Russland. Fast überall, wo Verhandlungen Länder umfassen, die die eindeutigen Herangehensweisen des Westens nicht teilen, werden Sanktionen als Drohung genutzt und eingeführt, wenn jemand jemandem nicht zuhört.
Ich hoffe, dass es nicht einen betrübenden Fakt davon widerspiegelt, dass der Westen die Fähigkeit verloren hat, Verhandlungen zu führen, sondern dass eine russlandfeindliche Strömung in der Nato und EU es ihnen bislang nicht ermöglicht, an konkreten Angelegenheiten zu arbeiten, auf Konfrontation zu verzichten und sich damit zu befassen, wozu die OSZE gebildet wurde.
Wenn neue „infernale“ Sanktionen folgen werden, werden wir reagieren. Wir können nicht ohne Reaktion bleiben. Wie? Mal sehen. Ich will nicht rätseln, wozu sich der Westen entschließen wird. Es wird mit Finanzsanktionen, neuen sektoralen Repressalien gedroht. Letzten Endes werden sie sich gegen die Initiatoren der illegitimen einseitigen Maßnahmen erweisen.
Frage: Mit dem US-Außenminister Antony Blinken haben Sie das Funktionieren der diplomatischen Missionen besprochen. Es wurde vereinbart, die Expertenarbeit fortzusetzen. Bedeutet das, dass die Ausweisung der russischen Diplomaten eingestellt wird? Wenn es Expertentreffen geben wird, wann können sie stattfinden? Kann es bis zum Jahresende sein?
Sergej Lawrow: Wir erinnerten die Kollegen, dass die Spirale der gegenseitigen Restriktionen, die von Barack Obama einige Wochen vor dem Verlassen des Weißen Hauses begonnen worden war, um Donald Trump zu ärgern und ihn dieses „Erbe“ zu lassen, schon zu weit weg geht. Das ist unannehmbar, verletzt alle denkbaren diplomatischen Regeln und Konventionen. Die Amerikaner ergriffen und halten bis heute unter ihrer Kontrolle das russische diplomatische Eigentum. Wir als Besitzer werden sogar nicht reingelassen. Sie verneinen nicht den Fakt, dass wir Besitzer sind, doch lassen uns nicht in diese Objekte, damit wir sehen können, in welchem Zustand sie sind.
Die USA führten einseitige Beschränkungen ein, die allen diplomatischen Übereinkommen darüber, dass unsere Diplomaten auf dem amerikanischen Territorium nur drei Jahre arbeiten können, widersprechen. Uns wurde erklärt, dass es so eine „Praxis“ ist. Wir sagten darauf, dass bei uns die „Praxis“ ist, kein Personal „vor Ort“ anzustellen. Die USA stellten in Russland mehr als 400 russische Staatsbürger an. Gemäß ihrer Logik stoppten wir dieses „Recht“. Wir kamen in einen Teufelskreis. Wir können nicht ohne Reaktion bleiben, um für sie keine einseitigen Vorteile zu bereiten. Ich hoffe, dass unsere US-Kollegen verstehen werden, dass es weder in ihrem, noch in unserem Interesse ist, solche „Situation“ fortzusetzen.
Auf Vereinbarung der Präsidenten Wladimir Putin und Joe Biden in Genf im Juni dieses Jahres begannen Expertenkonsultationen. Geplant ist eine weitere Runde (bis Ende 2021 oder Anfang 2022). Bislang sehen wir keine Bereitschaft unserer Verhandlungspartner, konstruktive Schritte zu machen. Wir reichten einige Vorschläge ein. Perfekt wäre es (ich bestätigte das gegenüber Antony Blinken), einfach alle Beschränkungen aufzuheben, zu einem normalen, gegenseitig respektvollen Funktionieren der diplomatischen Missionen zurückzukehren.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sie sprachen heute über Georgien, seinen Wunsch, ein Nato-Mitglied zu werden. Können Sie die gestrigen Worte des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, über die Erweiterung der Nato kommentieren? Ist es eine Bedrohung? Wie sehen Sie die Beziehungen Russlands und Georgiens?
Sergej Lawrow: Ich kenne das Mantra, das die Nato wiederholt. Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte vor kurzem, dass nur die Nato-Mitglieder, Georgien und die Ukraine darüber entscheiden werden, ob diese Länder der Nato beitreten sollen oder nicht. Niemand hat das Recht, sich einzumischen. Das ist eine erklärte Position einer konkreten Gruppe der Länder.
Ich würde daran erinnern, dass es im Völkerrecht andere Postulate gibt, die von allen anerkannt werden. Das Basispostulat – jeder Staat hat das vollständige Recht, die Formen zum Schutz der legitimen Sicherheitsinteressen, Souveränität und territorialen Integrität zu wählen. In diesem Fall gibt es eine Verpflichtung, die auf der höchsten Ebene von allen westlichen Partnern, der Ukraine, Georgien unterzeichnet wurde, dass die Sicherheit unteilbar ist. Kein einziger Staat ist berechtigt, die eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit der anderen zu gewährleisten.
Vor einiger Zeit schlugen wir vor, diese politischen Erklärungen und Deklarationen auf der höchsten Ebene zu kodifizieren, das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit juridisch verbindlich zu machen. Es wurde ein Entwurf eines entsprechenden Vertrags zur Erörterung der Teilnehmerstaaten der OSZE vorgelegt. Die Nato-Kollegen weigerten sich kategorisch, das zu besprechen und sagten ein „interessantes“ Ding als Erklärung der Position. Sie sagten offiziell, dass juridisch verbindliche Sicherheitsgarantien nur Nato-Mitgliedern bereitgestellt werden können. Wir fragten, wieso ist es, wenn ihre Anführer, Präsidenten, Premierminister eine politische Verpflichtung unterzeichneten? Es stellt sich heraus, dass ihr Wort nichts wert ist? Es folgte keine Antwort.
Diese Mentalität zeigte sich seit 1990er-Jahren: „Entweder sind sie mit uns, oder mit Russland“. Jetzt zeigt sie sich in der Position der Nato gegenüber dem Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit. Das ist wieder ein Versuch, Europa zu spalten, in eigene Reihen möglich viele Länder einzubeziehen. Die Nato wird schon bald sie nicht mehr „aufschlucken“ können. Statt für mehr Sicherheit zu sorgen, wird die Allianz nicht so geschlossen aus der Sicht seiner ursprünglichen Aufgabe – Gewährleistung der territorialen Verteidigung. „Neulinge“ in Gestalt vieler osteuropäischer Länder sorgten nicht für mehr, sondern weniger Fähigkeit der Nato, eine kampffähige Einheit zu sein und sich effektiv zu verteidigen.
Es soll nicht so überlegt werden – „Ich werde da irgendwohin beitreten, auf das andere pfeife ich“. Man soll über die Prinzipien denken, die wir alle unterstützt und erklärt haben. Als man die Übernahme der Verpflichtungen im Bereich Menschenrechte durch die Sowjetunion gewährleisten musste, gingen wir auf diesen Kompromiss ein. Jetzt sieht die Nato, dass sie etwas mehr brauchen und Russland militärisch abschrecken sollen – das ist unfair. Wir schlugen vor, zu den Grundlagen zurückzukehren, auf denen die OSZE beruht – Gleichberechtigung, Konsens, Dialog und Unteilbarkeit der Sicherheit. Ich bin mir sicher, dass es Georgien in solcher Konstruktion bequem sein wird.