República do Cazaquistão
Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, für die internationale Nachrichtenagentur Kasinform, Moskau, 1. Dezember 2020
Frage: Herr Lawrow, wie Sie wissen, wird in Kasachstan am 1. Dezember der Tag des Ersten Präsidenten der Republik gefeiert. Wie sind aus Ihrer Sicht die Besonderheiten der Erfahrungen Kasachstans beim Aufbau des unabhängigen Staates?
Sergej Lawrow: Die Geschichte des modernen Kasachstans ist unzertrennlich mit dem Namen Nursultan Nasarbajews verbunden.
Wie ist das Unterpfand der Erfolge Präsident Nasarbajews? Meines Erachtens geht es dabei um seine „genetische“ Einstellung auf kreative Aktivitäten. Dank seinen politischen Erfahrungen, seiner Weisheit und Weitsichtigkeit ist es ihm gelungen, die Einwohner Kasachstans zu vereinigen, indem er ihnen eine vereinigende und zukunftsorientierte Tagesordnung anbot. Ihm sind beeindruckende Erfolge beim Aufbau von effizienten Machtinstitutionen gelungen, er konnte die innenpolitische Stabilität aufrechterhalten, das Einvernehmen zwischen Vertretern verschiedener Nationalitäten und Konfessionen festigen, den Wohlstand und die Lebensqualität der Menschen fördern. Etliche friedliche und umweltorientierte Initiativen Nursultan Nasarbajews haben Kasachstan großes Ansehen in der internationalen Arena beschert.
Besonders wertvoll war bzw. ist der Beitrag des ersten Präsidenten zur Entwicklung der Verbündeten- und Partnerbeziehungen mit Russland. Er war derjenige, der die Arbeit am Vertrag über gute Nachbarschaft und Verbündetenbeziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Republik Kasachstan im 21. Jahrhundert initiierte, der am 11. November 2013 unterzeichnet wurde, der übrigens eine abgesprochene Außenpolitik vorsieht. Wir arbeiten gemeinsam an der Förderung der regionalen Sicherheit und leisten unseren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Stabilität in Eurasien im Allgemeinen.
Nursultan Nasarbajew ist einer der Architekten der wirtschaftlichen Annäherung der Staaten im postsowjetischen Raum. Zum Höhepunkt wurde in dieser Hinsicht bekanntlich der Start der Eurasischen Wirtschaftsunion am 1. Januar 2015.
Dabei begnügt sich Präsident Nasarbajew nicht mit vorläufigen Errungenschaften. Als Ehrenvorsitzender der EAWU bemüht er sich weiterhin um die Vervollkommnung der Mechanismen der eurasischen Integration, um ihre Verbindung mit anderen Integrationsinitiativen.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Herrn Nasarbajew viel Gesundheit, einen hohen Wohlstand und noch viele Jahre Aktivitäten zu wünschen.
Frage: Im Rahmen der allgemeinen politischen Diskussion in der 75. Tagung der UN-Vollversammlung trat Präsident Kassym-Schomart Tokajew mit der Initiative zur Bildung einer Internationalen Agentur für Biosicherheit und eines Netzwerkes von regionalen Zentren für Kontrolle über Erkrankungen und Biosicherheit unter der UN-Ägide auf, insbesondere auf dem Territorium Kasachstans. Was denken Sie: Ist die Weltgemeinschaft bereit zur Bildung eines neuen, noch stärkeren globalen Gesundheitssystem, das ein von Kasachstan initiiertes Format hätte?
Sergej Lawrow: Wir haben die Initiative des Präsidenten Kasachstans zur Gründung der Internationalen Agentur für Biosicherheit nicht übersehen können, die der UN Rede und Antwort stünde und sich auf die Konvention über das Verbot von biologischen und toxischen Waffen stützen würde. Wir rechnen damit, in der nächsten Zeit von unseren kasachischen Partnern Informationen zum konkreten Inhalt dieser Initiative zu erhalten, insbesondere zu den Parametern und zum Arbeitsverfahren.
Natürlich hat die Corona-Pandemie deutlich gezeigt, dass die ganze Welt anfällig ist. Die Weltgemeinschaft ist an einer intensiveren Koordinierung des Zusammenwirkens im sanitären bzw. epidemiologischen Bereich interessiert. Das widerspiegelt sich in einer ganzen Reihe von UN-Dokumenten, unter anderem in den Resolutionen der Vollversammlung und des Sicherheitsrats. Diese Arbeit wurde bereits eingeleitet: Im Mai wurde in der 73. Tagung der WHO-Vollversammlung konsensweise die Konvention über unabhängige Einschätzung der Maßnahmen zum Reagieren auf die Pandemie verabschiedet.
Wir erwarten die Ergebnisse dieser Experteneinschätzung. Wir halten es für wichtig, bereits bestehende Mechanismen zu festigen, vor allem die WHO, und ihren Internationalen medizinischen und sanitären Regeln zu folgen. Wir sind zum partnerschaftlichen Zusammenwirken mit Kasachstan in dieser Richtung bereit.
Frage: Welchen Einfluss könnte der Sieg des Kandidaten der Demokratischen Partei, Joe Biden, bei der Präsidentschaftswahl in den USA (wenn man seine Erklärungen während des Wahlkampfes bedenkt) auf das Format der Beziehungen Washingtons mit den postsowjetischen Ländern, insbesondere mit Russland und Kasachstan, haben? Würde die neue US-Administration den Sicherheitszustand in Europa und Asien beeinflussen? Könnte das zu einer Herausforderung an die regionalen Interessen Moskaus und Nur-Sultans werden, vor allem in Zentralasien, im Kaspi-Raum und in Afghanistan?
Sergej Lawrow: Wir gehen davon aus, dass es noch zu früh ist, über die Folgen der US-Wahl für die internationalen Beziehungen zu sprechen, bevor die offiziellen Ergebnisse veröffentlicht worden sind. Das ist unsere grundsätzliche Position. Natürlich beobachten wir aufmerksam, was jenseits des Atlantiks vorgeht, und sind zu jeder möglichen Entwicklung der Situation bereit. Prognosen sind eine ziemlich heikle Sache, besonders in der aktuellen Phase. Dennoch ist es angesichts der Erklärungen Joe Bidens durchaus vorstellbar, dass die Außenpolitik der USA im Falle seines Siegs eher den Regeln entsprechen würde, die einst Barack Obama voranbrachte.
Wie Präsident Putin sagte, „analysieren wir alles ganz ruhig und werden jede Entscheidung des amerikanischen Volkes akzeptieren und mit jeder Administration arbeiten“. Allerdings natürlich nur aufgrund der Prinzipien des gegenseitigen Respekts und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Aus dieser Sicht dürfen wir damit rechnen, dass Washington endlich die legitimen Interessen anderer internationaler Akteure berücksichtigen wird, auch Russlands und Kasachstans und ihrer Integrationsvereinigungen.
Frage: Wie sieht Moskau die weitere Entwicklung der bilateralen Integrationsprozesse, unter anderem das Zusammenwirken Kasachstans und Russlands im Rahmen der EAWU, der OVKS und der SOZ? Welche Aufgaben gehören aus Ihrer Sicht zu den Prioritäten für die nächste Zeit?
Sergej Lawrow: Die Idee zur Bildung der Eurasischen Wirtschaftsunion gehörte bekanntlich dem ersten Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, der sie noch 1994 im Laufe seiner Vorlesung an der Moskauer Universität „Michail Lomonossow“ zum Ausdruck brachte. Seit dieser Zeit ist und bleibt Nur-Sultan eine der „Lokomotiven“ der Integrationsprozesse in Eurasien, indem es in seiner Politik auf solche Prinzipien stützt wie Freiwilligkeit, Gleichheit, Respekt für die Souveränität und die Interessen jedes Mitgliedslandes der Union, die wir voll und ganz teilen.
Russland und Kasachstan wirken aktiv beim Integrationsaufbau, vor allem im Interesse des Erreichens des Hauptziels der Union zusammen – die Gewährleistung von vier Freiheiten – ungehinderte Bewegung der Waren, Dienstleistungen, Kapitals und Arbeitskräfte. Die größten Anstrengungen unserer Länder sind in diesem Kontext auf den Abbau der Barrieren, Ausnahmen und Beschränkungen auf dem Binnenmarkt konzentriert. Einzelne Streitfragen werden konstruktiv gelöst, durch das Erreichen von gegenseitig annehmbaren Vereinbarungen. Als Hauptplattform für solche Arbeit dient die Eurasische Wirtschaftskommission – ein ständig funktionierendes übernationales Organ der Union, in dessen Rahmen eine pragmatische Zusammenarbeit auf den Prinzipien der Gleichberechtigung und gegenseitigen Respekts beruht.
Auf der Tagesordnung steht die Verabschiedung und anschließende Umsetzung der Strategischen Richtungen der Entwicklung der eurasischen Wirtschaftsintegration bis 2025 (Strategie). Indem die Punkte der Deklaration über die weitere Entwicklung der Integrationsprozesse im Rahmen der EAWU vom 6. Dezember 2018 konkretisiert werden, umfasst die Strategie mehr als 300 Veranstaltungen, die das Zoll-Zusammenwirken, Digitalpolitik, Kooperationsprojekte, Informationssysteme, Außenhandelstätigkeit, wissenschaftsinnovative Entwicklung betreffen. In diesem Zusammenhang rechnen wir mit den kasachischen Freunden, an die im nächsten Jahr der Vorsitz in der Eurasischen Wirtschaftskooperation übergehen wird.
Russland und Kasachstan haben wie auch andere Verbündeten gemeinsame Interessen im Rahmen des OVKS – den Frieden und Stabilität im ganzen Raum gewährleisten.
In der OVKS koordinieren und vereinigen wir die Anstrengungen beim Kampf gegen internationalen Terrorismus und Extremismus, illegalen Verkehr von Drogen und psychotropen Mitteln, grenzübergreifende organisierte Kriminalität, illegale Migration und andere Herausforderungen und Drohungen. Wir sind den kasachischen Kollegen für ihre Initiativen, die auf die Bildung und Entwicklung der Kollektiven Kräfte der Organisation, Systeme zum Reagieren auf Krisensituationen abzielen, dankbar. Wir setzen eine gemeinsame Arbeit zum Ausbau des Friedenspotentials aus. Wir sind uns bei der Wichtigkeit der Abstimmung der allgemeinen Herangehensweisen zu den wichtigsten Problemen der heutigen Zeit einig.
Russland hat den Vorsitz in OVKS in diesem Jahr. Wir spüren eine umfassende Unterstützung der russischen Prioritäten durch Kasachstan, wie das der Verbündetencharakter unserer Beziehungen vorsieht.
2018 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der Länder der Organisation in der kasachischen Hauptstadt, einen Kurs auf die Erweiterung ihrer Verbindungen mit den interessierten Staaten und internationalen Strukturen zu nehmen, indem ein Dokumentenpaket über die Einrichtung des Status des Beobachters und Partners der OVKS unterzeichnet wurde. Wie auch unsere Kollegen in Nur-Sultan halten wir die Aufgabe der Erweiterung dieses Kreises der Freunde für wichtig.
Wir wirken mit Kasachstan in allen vorrangigen Bereichen der Tätigkeit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit energievoll zusammen. Wir widmen die vorrangige Aufmerksamkeit den Fragen der Festigung der Sicherheit, Wirtschaftskooperation und humanitären Verbindungen. Die Ergebnisse des Gipfels von November bestätigten, dass unsere Länder auf eine weitere Festigung des SOZ-Potentials, Ausbau der produktiven Zusammenarbeit in verschiedenen Richtungen ihrer Arbeit gezielt sind.
Ich bin davon überzeugt, dass die auf dem Gipfel der Organisation im November verabschiedete Roadmap 2021-2025 zur Umsetzung der Entwicklungsstrategie bis 2025, das Konzept der Zusammenarbeit der Teilnehmerstaaten zur Entwicklung der entfernten und ländlichen Gebiete in der digitalen Epoche, komplexer Plan der gemeinsamen Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Bedrohungen der Epidemien im Raum der Region sowie der Start des Forums der Chefs der Regionen zusätzliche Möglichkeiten zur Vertiefung unserer freundschaftlichen Partnerschaft eröffnen werden.
Eine der wichtigsten Richtungen der gemeinsamen Tätigkeit ist der Aufbau eines einheitlichen, breiten und offenen Raums der Sicherheit und gegenseitig vorteilhaften wirtschaftlichen und humanitären Zusammenarbeit im Großen Eurasien. Heute unterstützen immer mehr unsere Partner die Initiative des Präsidenten Wladimir Putin zur Bildung der Großen Eurasischen Partnerschaft unter Teilnahme der Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion, Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, Verband Südostasiatischer Nationen sowie anderer interessierter Länder und multilateraler Vereinigungen. Das ist unter anderem in den grundlegenden Dokumenten der EAWU sowie in der vor einigen Tagen verabschiedeten Moskauer Erklärung des Rats der Mitgliedsstaaten der SOZ fixiert.
Wir sind davon überzeugt, dass der Ausbau solcher Zusammenarbeit auf den Prinzipien der Gleichberechtigung, gegenseitigen Respekts und Berücksichtigung der nationalen Interessen die Gewährleistung der Stabilität, Festigung des Zusammenhangs und Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums fördern wird. Das ist gerade das, was sowohl Russland, als auch Kasachstan und andere unseren Partner in der Region akut brauchen.
Frage: Die Folgen der Ausbreitung der Coronavirus-Infektion wurden eine neue Herausforderung für die ganze Weltgemeinschaft. Kasachstan und Russland haben die längste Grenze, die Länder sind in einem einheitlichen Wirtschaftsraum, der gegenseitige Passagierverkehr war eines der wichtigsten Elemente des Zusammenwirkens. Doch derzeit erfolgen nur zwei Flüge pro Woche zwischen Kasachstan und Russland. Im September dieses Jahres erwähnten Sie beim Treffen mit dem kasachischen Kollegen Muchtar Tleuberdi die Möglichkeit der Lösung der Frage der Einreise der kasachischen Studenten, die in Russland studieren. In welcher Etappe befindet sich die Lösung dieser Frage und ob Moskau die Öffnung von einzelnen Grenzabschnitten auf dem Festland erwägt?
Sergej Lawrow: Zuallererst möchte ich betonen, dass die strategische Aufgabe des Zusammenwirkens der Russischen Föderation und der Republik Kasachstan im Bildungsbereich eine umfassende Förderung der Entwicklung der direkten Verbindungen zwischen den Bildungs- und Wissenschaftsorganisationen, Intensivierung der Austausche von Lehrkräften und Studenten, Schaffung der günstigen Bedingungen im Bereich Ausbildung der hochqualifizierten Fachkräfte ist.
Im vergangenen Studienjahr studierten an russischen Hochschulen fast 74.000 Staatsbürger Kasachstans, mehr als 30.000 von ihnen finanziert durch den russischen Staatshaushalt. Mehr als 9000 Abiturienten aus Kasachstan belegen die aus dem Haushalt finanzierten Studienplätze. Das zeugt anschaulich davon, dass russische Bildung sehr nachgefragt ist.
Was die Erhöhung der gegenseitigen Flüge betrifft, wird dieses Thema jetzt mit den kasachischen Kollegen gegenständlich besprochen. Dabei halten wir jetzt für frühzeitig, eine volle Aufhebung der Beschränkungen zu beschleunigen. Zudem soll beachtet werden, dass angesichts der nicht einfachen epidemiologischen Situation das Ministerium für Wirtschaft und Hochschulbildung der Russischen Föderation Sonderprogramme für Fern-Bildung vorbereitete, damit alle Studenten – sowohl russische als auch ausländische – die Bildung fortsetzen können. Die Schaffung von sicheren Bedingungen für die Hörer der Hochschulen ist unsere eindeutige Priorität.