Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Tätigkeit der russischen Diplomatie 2015 am 26. Januar 2016 in Moskau
Guten Tag,
wir halten ein traditionelles Treffen ab – eine große Pressekonferenz, die den Ergebnissen des vergangenen Jahres gewidmet ist. Wir werden bereit sein, ihre Fragen zu den aktuellen Ereignissen zu beantworten.
Das Jahr war schwierig. Es wird sich wohl ins Gedächtnis mit der wachsenden globalen Konkurrenz um Einfluss auf die andauernden Prozesse der Änderung und Bildung eines neuen internationalen Systems einprägen.
In diesem Zusammenhang waren zwei Herangehensweisen zu erkennen, die miteinander kollidierten. Einerseits gab es Versuche, eine objektive Tendenz zur Bildung eines gerechteren polyzentrischen internationalen Systems zu bremsen, seine Dominanz in globalen Angelegenheiten beizubehalten, den Anderen seinen Willen aufzudrängen. Andererseits gab es mehr Streben, diese Konkurrenz in eine zivilisierte Richtung zu lenken und einen gemeinsamen Kampf gegen gemeinsame Herausforderungen in den Vordergrund zu schieben.
Die Situation in der Weltwirtschaft blieb instabil. Das spürten fast alle Länder, darunter die Russische Föderation. Darüber sprachen sehr ausführlich der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, die Mitglieder der russischen Regierung. Vor dem Hintergrund der Probleme in der Weltwirtschaft sahen wir ebenfalls Versuche, eigene Interessen auf Kosten der Anderen zu gewährleisten, handelswirtschaftliche Bündnisse zu schaffen, den globalen Wirtschaftsraum zu zerschmettern. Es gab also einen Aspekt der Entglobalisierung.
Es wurden intensive Medienkampagnen fortgesetzt. Sie wissen wohl darüber mehr als andere. In mehreren Fällen gab es wahre Informationskriege, bei denen versucht wurde, die Verbreitung von alternativen Informationen bzw. Positionen in Bezug auf aktuelle Prozesse nicht zuzulassen. Manchmal wurden harte Maßnahmen getroffen, die mit einem direkten Verbot für den Beruf des Journalisten verbunden sind. Wir wissen auch darüber.
Es gab mehrere ernsthafte Konfliktsituationen – in Syrien, im Irak, Jemen, Libyen und in der Ukraine. In Afrika bleiben viele Länder destabilisiert. Das alles verwandelte sich in „Krisenlandschaften“. Das wurde von Risiken des Wachstums von zwischenkonfessioneller Spannung und Vertiefung der zwischenzivilisatorischen Brüche begleitet, was für unsere Zivilisation im Ganzen äußerst gefährlich ist.
Das alles verlief vor dem Hintergrund eines präzedenzlosen Wachstums der Terrordrohung. ISIL, der sich zu einem Staat erklärte, andere Extremistengruppierungen behielten Kontrolle über mehrere Gebiete in Syrien und im Irak, strebten, und es gelang ihnen in vielen Fällen, sich in anderen Ländern zu festigen, darunter in Libyen, Afghanistan, mehreren Ländern der „Schwarzen Afrika“. Wir waren Augenzeugen der schrecklichen, unmenschlichen Terroranschläge gegen die Staatsbürger Russlands, die Staaten Europas, des Nahen Ostens, Afrikas, der USA, Asiens, die einen massiven Ausgang der Bevölkerung provozierten, darunter in die Europäische Union. Wie Sie wissen, verkünden Terroristen offen über ihre Pläne zur Schaffung eines Kalifats von Portugal bis Pakistan. Das ist eine reale Drohung nicht nur für regionale sondern auch für internationale Sicherheit.
Unter diesen Bedingungen strebte Russland nach aktiven Handlungen als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats, als einer der größten Staaten mit einer aktiven Außenpolitik, ging nicht nur zum Schutz der eigenen nationalen Interessen vor, sondern auch setzte seine Verantwortung für die Lage in der Welt um.
Die wichtigste Richtung unserer Anstrengungen war die Förderung der Initiative des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, zur Bildung einer umfassenden Antiterrorkoalition auf Grundlage des Völkerrechts und unter Schirmherrschaft der UNO. Die Handlungen der russischen Luft- und Weltraumkräfte als Antwort auf die Bitte der syrischen Regierung halfen tatsächlich, die Situation im Lande zu ändern, den von Terroristen kontrollierten Raum zu verringern. Im Ergebnis wurde ebenfalls geklärt, wer gegen Terroristen kämpft und wer als ihr Helfer erscheint und sie in ihren egoistischen Zielen nutzt.
Unsere aktive Teilnahme am Antiterrorkampf förderte die Verabschiedung von mehreren wichtigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die auf die Verhinderung der Finanzierung von Terrorismus und ausländischen Extremisten gerichtet waren – die Resolutionen 2199 und 2253. Wir streben ihre gewissenhafte Umsetzung und, was ebenfalls wichtig ist, faire und ausführliche Berichte des UN-Sekretariats darüber, wer und wie seine Verpflichtungen zu diesen Dokumenten erfüllt.
Es ist klar, dass der Terror alleine mit militärischen Mitteln nicht zu bekämpfen ist. Man soll bewaffnete Handlungen mit politischen Prozessen zur Konfliktregelung, Maßnahmen zur Nichtzulassung der Nutzung der Wirtschaftsinfrastruktur ergänzen, die sie ergreifen, wie es der ISIL im Irak und in Syrien durch die Lieferung von Schmuggel-Öl und anderen Waren in die Türkei machte. Es ist auch wichtig, über die wirtschaftliche Wiederbelebung von betroffenen Ländern nachzudenken, sobald die Terrorgefahr beseitigt wird, und gegen Extremistenideologie zu kämpfen.
Im September, als Russland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat hatte, führten wir eine spezielle Sitzung auf der Außenministerebene durch, die einer komplexen Analyse aller diesen Drohungen und Maßnahmen gewidmet wurde, die zu ihrer Überwindung in der Region des Nahen Ostens und Nordafrikas getroffen werden sollen. Ich denke, dass das Gespräch darüber, wie man strategisch vorgehen soll, im UN-Sicherheitsrat fortgesetzt werden soll.
Wir förderten ebenfalls aktiv, wie wir einst die Durchführung des Genfer Treffens 2012 förderten, die Verabschiedung der Genfer Erklärung vom 30. Juni 2012, die Bildung der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens und Start des so genannten „Wiener Prozesses“, der durch die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats gebilligt wurde, die strikt erfüllt werden soll. Ich bin davon überzeugt, dass Sie mich noch zu den Details dieses Prozesses befragen werden. Ich bin bereit, sie ausführlicher zu kommentieren.
Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, sagte mehrmals, dass das Finden der Lösungen von schwierigsten Problemen nur bei der Stützung auf Völkerrecht, Respekt der kulturell-zivilisatorischen Vielfalt der modernen Welt, des Rechtes der Völker, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, möglich ist.
Wir gehen davon aus, dass die umfassende Kooperation im 21. Jahrhundert nur auf Grundlage einer wahren Gleichberechtigung, der gegenseitigen Berücksichtigung der Interessen, einer gemeinsamen Arbeit im Interesse der Umsetzung von gemeinsamen Zielen aufgebaut werden kann. Gerade so erfolgt die Tätigkeit der Integrationsstrukturen im postsowjetischen Raum, darunter die Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit (OVKS), Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG), Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS). Auf diesen Prinzipien funktionieren ebenfalls solche aussichtsreiche Formate wie BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), deren Gipfel im Juli des vergangenen Jahres in Ufa stattfanden.
Wir arbeiten an den Integrationsprozessen im postsowjetischen Raum, stellen sie aber nicht anderen Integrationsbemühungen gegenüber, wovon die russische Führung oft sprach. Wir sind bereit, an der Harmonisierung der Integrationsprozesse und am „Bau von Brücken“ zu arbeiten, darunter zwischen Europa, Eurasien und dem Asien-Pazifik-Raum. Im vergangenen Jahr wurde ein wichtiges Freihandelsabkommen zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und Vietnam abgeschlossen. Zudem zeigen Dutzende Staaten ihr Interesse an ähnlichen Abkommen. Es wurde eine prinzipielle Vereinbarung über die Anpassung der Aktivitäten der Eurasischen Wirtschaftsunion und des chinesischen Projekts des Wirtschaftsgürtels „Seidenstraße“ getroffen, was uns viele Möglichkeiten zur Vereinigung unserer Bemühungen bietet.
Neben der konsequenten Entwicklung unserer strategischen Partnerschaft und allseitigen Kooperation mit der Volksrepublik China bemühten wir uns um die Förderung unserer strategischen Partnerschaft mit Indien, Vietnam und anderen Ländern des Asien-Pazifik-Raums und beteiligten uns an der Arbeit der multilateralen Mechanismen im Asien-Pazifik-Raum.
Zusätzliche Kooperationsperspektiven eröffnen sich im Zusammenhang mit der Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Beginn (gemeinsam mit unseren Partnern im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion) von Beratungen mit SCO- und ASEAN-Mitgliedern über die Gestaltung der möglichen Wirtschaftspartnerschaft. Diese Fragen werden auf der Tagesordnung eines für Mai in Sotschi angesetzten Russland-ASEAN-Gipfels stehen, der dem 20-jährigen Jubiläum unserer Beziehungen mit ASEAN gewidmet sein wird.
Immer intensiver wurde auch unser Zusammenwirken mit den Ländern Lateinamerikas und der Karibik sowie Afrikas, mit Vereinigungen und regionalen Strukturen auf diesen Kontinenten. Unter anderem lassen sich in diesem Kontext unsere traditionell engen Kontakte mit der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga, der Organisation für islamische Kooperation, mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (SELAC) erwähnen.
Indem sich die russische Diplomatie nach den Prinzipien der Interessenbilanz, der Oberhand der Völkerrechtsnormen und der Führungsrolle der UNO richtete, förderte sie die kollektiven Bemühungen in einer ganzen Reihe von äußerst wichtigen Richtungen der internationalen Tagesordnung.
Ich darf erwähnen, dass im vergangenen Jahr die Entsorgung des syrischen Chemiewaffen-Potenzials abgeschlossen wurde und dass die Situation um das iranische Atomprogramm geregelt wurde. Vor wenigen Tagen wurden die so genannten Sanktionsresolutionen des UN-Sicherheitsrats und des IAEO-Verwaltungsrats außer Kraft gesetzt, so dass die praktische Umsetzung eines Gemeinsamen allumfassenden Aktionsprogramms begann, die den friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms in Übereinstimmung mit dem Atomwaffensperrvertrag und den IAEO-Regeln zur friedlichen Verwendung der Atomenergie garantieren muss. Das ist ein wichtiger Schritt zur endgültigen Normalisierung der Situation um den Iran. Wir befürworten diese Handlungen aktiv, wie auch alle anderen Schritte zur Abschaffung von künstlichen Hürden für internationale Kontakte und für die Beteiligung jedes Staates am internationalen Leben.
Für eine riesige Errungenschaft halte ich die am 12. Februar 2015 in Minsk getroffenen Friedensvereinbarungen. Die ganze Zeit danach beharrten wir auf der Konfliktregelung in der Ukraine auf Basis der Umsetzung der Verpflichtungen, die in diesem Maßnahmenkomplex verankert sind. Wie Sie wissen, wurden nicht alle Vereinbarungen erfüllt. Ich muss sogar sagen, dass sie kaum erfüllt wurden, und das gilt vor allem für die Verpflichtungen Kiews zur Anknüpfung eines direkten Dialogs mit Donezk und Lugansk zwecks Regelung der politischen Aspekte der Ukraine-Krise. Deshalb wurde beschlossen, diese Arbeit 2016 fortzusetzen. Aber die Aufgaben bleiben dieselben, und sie alle sind eindeutig in den Minsker Dokumenten verankert. Wir werden auf ihrer strikten Erfüllung im Sinne der zusätzlichen Vereinbarungen bestehen, die unter anderem bei den Gipfeltreffen des "Normandie-Quartetts" getroffen wurden. Im Allgemeinen werden wir weiterhin auf der allumfassenden und ausschließlich friedlichen Regelung der Ukraine-Krise bestehen und dazu beitragen, dass die Ukrainer wieder ein nationales Einvernehmen erreichen und den Weg zur normalen, stabilen Entwicklung gehen.
Unser konsequenter Kurs trug meines Erachtens trotz der allgemein bekannten „Unkosten“ der Konfrontationspolitik einiger von unseren Partnern und trotz der Entstehung von neuen internationalen Problemen dazu bei, dass alle Teilnehmer der internationalen Kontakte verstanden, dass es keine Alternativen für multilaterales Zusammenwirken zwecks Suche nach Auswegen aus Krisensituationen gibt. Aber dieser Prozess entwickelt sich nicht so schnell und nicht so leicht. Es werden immer wieder Versuche unternommen, Russland einzudämmen, obwohl diese Linie schon längst der Vergangenheit angehören müsste. Dennoch werden neue Versuche unternommen, einseitig von etwas zu profitieren und uns für unsere souveräne Außenpolitik zu bestrafen.
Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf und werden das auch weiter tun. Das ist nicht unsere Wahl. Wir sind zu engstem und konstruktivstem Zusammenwirken mit unseren westlichen Partnern bereit, darunter mit Europa und den USA. Wir sind für konsequente Kooperationsentwicklung mit ihnen offen – allerdings nur unter der Bedingung, dass wir uns gegenseitig nicht in interne Angelegenheiten voneinander einmischen und unsere prinzipiellen Interessen gegenseitig respektieren.
Unsere westlichen Partner behaupten manchmal, mit Russland wäre kein „Business as usual“ mehr möglich. Ich bin überzeugt, dass es wirklich so ist, da stimmen unsere Meinungen überein: Es wird tatsächlich kein „Business as usual“ mehr geben, denn früher hatte man versucht, uns Vereinbarungen aufzuzwingen, die vor allem die Interessen der Europäischen Union oder der USA berücksichtigten. Dabei versuchte man, uns zu überzeugen, dass dies unseren Interessen nicht schaden würde. Diese Geschichte ist jedoch zu Ende gegangen. Es beginnt eine neue Geschichte, die sich nur aufgrund der Gleichberechtigung und aller anderen Völkerrechtsprinzipien entwickeln kann.
Vorerst aber sehen wir, dass diese äußerst destruktive und gefährliche Politik gegenüber Russland weiterhin ausgeübt wird. Dabei geht es, wie gesagt, um den Ausbau des militärischen Potenzials der Nato in der Nähe unserer Grenzen, um die Bildung des europäischen und des asiatischen Segments der US-Raketenabwehr. An dieser Arbeit nehmen inzwischen auch europäische und nordostasiatische Staaten teil. Wir halten dieses Vorgehen für destabilisierend und kurzsichtig. Es werden zwar Versuche zu einer Revision dieser Situation unternommen, aber eher erfolglos. So wurde beispielsweise in der OSZE vor einem Jahr die so genannte „Waisengruppe“ gebildet, die Empfehlungen zur Wiederbelebung des Geistes der Schlussakte von Helsinki erarbeiten und zu den Prinzipien der gleichen und unteilbaren Sicherheit zurückkehren sollte. Daraus wurde aber leider nichts. Die westlichen Experten richteten sich nach der Linie ihrer Regierungen, der zufolge Russland eingedämmt werden müsste, so dass unser Experte die Arbeit an diesem Dokument aufgeben musste. Am Ende wurde aus dieser im Grunde guten Idee nichts. Dennoch rechnen wir damit, dass die OSZE keine endgültig „verlorene“ Organisation ist: Sie arbeitet immerhin intensiv in der Ukraine und hat jetzt wieder gute Chancen, die Aufgaben zu erfüllen, die bei ihrer Gründung festgelegt wurden. Hoffentlich wird die Suche nach wirklich kollektiven und gleichberechtigten Vorgehensweisen zwecks Umsetzung der Ideale der gesamteuropäischen Sicherheit doch beginnen.
Zu den Prioritäten unserer außenpolitischen Aktivitäten gehörten immer die Aufgaben zur Förderung der internationalen humanitären Präsenz Russlands, zur Unterstützung unserer Landsleute im Ausland, wo sie sich als Touristen oder mit anderen Zielen aufhalten. Besonders viel Wert legten wir auf den Dialog mit Nichtregierungsorganisationen, akademischen Kreisen, den russischen Geschäftskreisen, der Zivilgesellschaft im Allgemeinen, auf das Zusammenwirken mit Massenmedien. Gestern habe ich die Statistik gesehen: Wir als russisches Außenministerium stehen immer noch auf dem zweiten Platz weltweit nach den medialen Aktivitäten. Das bedeutet, dass wir uns noch verbessern müssen. Hoffentlich wird unsere heutige Pressekonferenz uns im Sinne unserer medialen Offenheit Fortschritte zu machen.
Ich bin bereit, Ihre Fragen zu beantworten.
Frage: Das US-amerikanische strategische Zentrum Stratfor veröffentlichte seinen traditionellen Jahresbericht zu den Ergebnissen des Jahres 2015, in dem ebenfalls eine Prognose für 2016 gegeben wurde. Experten zufolge wird das neue Jahr nicht einfach für die meisten Länder sein. Welche größten Herausforderungen sehen Sie für Russland und die Welt 2016?
Sergej Lawrow: Falls man verallgemeinert spricht, ist natürlich die größte Herausforderung – die Aufgabe zur Schaffung eines gerechten demokratischen internationalen Systems. Wir können dies alleine nicht machen, das ist ein objektiver Prozess. Entstanden neue Zentren des Wirtschaftswachstums, des finanziellen und politischen Einflusses. Das internationale System soll sich dazu anpassen, was im Leben geschieht. Das sieht die Reform der Institutionen vor – sowohl derjenigen, die sich mit den internationalen Finanz- und Währungssystemen, der internationalen Wirtschaft befassen, als auch derjenigen, die sich mit der Weltpolitik befassen, ich meine die UNO und den Sicherheitsrat. Doch am wichtigsten ist, nicht einfach objektive Prozesse in der Struktur der internationalen Organisationen zu widerspiegeln, sondern die Angelegenheiten in der Welt entsprechend der neuen Situation zu führen, was die Ausarbeitung solcher Entscheidungen vorsieht, die von allen wichtigsten Ländern unterstützt werden.
Gute Beispiele sind die Regelung der Situation um das iranische Atomprogramm, die chemische Abrüstung Syriens, die Schaffung einer Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens, um was wir sehr lange und beharrlich kämpften, weil viele Staaten, die direkt in den syrischen Konflikt einbezogen sind, sich weigerten, an den Verhandlungstisch beispielsweise den Iran nur aus ideologischen Gründen einzuladen. Ein großer Fortschritt ist, dass zusammen mit den USA geschaffen wurde (ich muss hier dem US-Außenminister John Kerry und seiner Position stattgeben), auf der Bildung einer wahr repräsentativen Gruppe zu bestehen.
So soll man in allen anderen Situationen vorgehen. Falls wir die Inklusivität bei allen Prozessen sichern werden, dann werden die Akteure, die die Situation beeinflussen, nicht isoliert, sondern an den Verhandlungstisch eingeladen. Das wird die Widerspiegelung der Tendenz der modernen Welt, der Notwendigkeit sein, neue Realien in der Welt, der Weltpolitik und Wirtschaft zu berücksichtigen.
Darin besteht wohl der Schlüssel zu jedem Konflikt, jeder Situation, die gelöst werden soll – die Ukraine, bleibende Aufgaben zur Syrien-Regelung, Konflikte in Afrika, Beziehungen zwischen Palästinenser und Israelis, von denen man auf keinen Fall vergessen darf. Dieses Prinzip ist bei der Lösung der heutigen Hauptaufgabe nachgefragt – Antiterrorkampf. Wenn man versucht, diesen Kampf in Abhängigkeit von Sachen zu bringen, die nicht dazu gehören (beispielsweise – falls sie dem Regimewechsel in Syrien zustimmen, werden wir gegen den Terror gemeinsam und koordiniert kämpfen), halte ich dies für einen großen Fehler der Politiker, die solche Position vertreten.
Ein weiterer Aspekt, der eine Herausforderung für die Weltpolitik ist – die Verhandlungsfähigkeit der Partner, die jegliche Abkommen unterzeichnen. In mehreren Fällen ist es ein Problem. Wir sahen mehrmals ein ähnliches Problem bei den Anstrengungen zur Syrien-Regelung, als man sich weigerte, die Genfer Erklärung nur aus dem Grund zu erfüllen, dass dorthin die Forderungen Assads Rücktritts nicht passten. Im Ergebnis wurde nach mehr als einem Jahr unser Vorschlag durchgesetzt, dieses Dokument wurde im UN-Sicherheitsrat gebilligt. Danach konnten wir lange Zeit nicht Verhandlungen wiederaufnehmen, obwohl dies vereinbart wurde, weil wie ich bereits sagte, jemand sich nicht an den Verhandlungstisch mit jemandem setzen wollte.
Solche Launen sind in der modernen Politik unzulässig und sehr gefährlich. Es gibt wichtigste Dinge, die eine Herausforderung für uns bei der Arbeit an der Bildung eines neuen internationalen Systems sind, das sich auf den UN-Statut stützen und auf Grundlage der Prinzipien des Statuts ergänzt wird, der ein sehr flexibles Dokument ist und es keine Notwendigkeit gibt, ihn zu ändern. Falls wir das systematische Herangehen bei der Arbeit der wichtigsten Akteure in der G20 sowie UN-Sicherheitsrat und der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens und den Strukturen, die sich mit der Regelung im Jemen, Afghanistan, bei der palästinensisch-israelischen Regelung, in verschiedenen Teilen Afrikas befassen, gewährleisten können, dann wird es die Vorwärtsbewegung fördern.
Frage: Im Laufe der letzten drei Jahren waren die Beziehungen zu Kanada kühl gewesen. Wie denken Sie, können sich die Beziehungen mit dem Machtantritt der neuen Regierung in Kanada verbessern? Sehen Sie irgendwelche Signale dafür?
Sergej Lawrow: Wir sind an guten Beziehungen mit allen Ländern interessiert. Wenn wir sagen, dass wir bereit und offen zur Kooperation mit dem Westen sind, darunter Europa und Nordamerika, meinen wir natürlich auch Kanada. Wir haben sehr gute lange Beziehungen. Kanada ist ein einflussreicher, respektierter Teilnehmer der internationalen Beziehungen. Wir haben in vielen Hinsichten gemeinsame Aufgaben, die übereinstimmenden Interessen, was die Erschließung der Arktis und die Zusammenarbeit in nördlichen Breiten betrifft, eine gute Erfahrung der praktischen Kooperation in vielen Bereichen – Wirtschaft, Handel, nördliche Breiten. Bei unseren Beziehungen gab es Hochs und Tiefs, doch im Ergebnis überwiegte immer der gesunde Verstand. Solche Tiefs waren in der Amtszeit der Regierung von Stephen Harper zu erkennen.
Ich denke, dass die letzten zwei Jahre die Zeit der verlorenen Möglichkeiten bei den Beziehungen mit Kanada war, als die frühere Regierung den russenfeindlichen Kurs aufnahm, Sanktionen gegen russische physische und juridische Personen einführte, die Kooperation der Zwischenregierungskommission zu handelswirtschaftlichen Fragen einstellte.
Selbstverständlich mussten wir Gegenmaßnahmen treffen. Sie wissen über den Erlass des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, zur Einschränkung des Imports von Lebensmitteln. Niemand profitierte davon. Wir wurden von einer völligen Abwesenheit von Pragmatismus bei impulsiven Handlungen überrascht, die von der vorherigen Regierung unternommen wurden, wobei der Kurs auf eine blinde Befolgung der Forderungen der Vertreter der abgebrühten ukrainischen Diaspora in Kanada genommen wurde, wobei eigene Interessen einfach ignoriert wurden.
Dass im Oktober 2015 bei der Wahl die Liberale Partei mit Justin Trudeau an der Spitze gewann, ist natürlich ein großes Ereignis, vor allem für Kanadier, für das innenpolitische Leben des Landes. Doch angesichts der Kommentare, die Trudeau und seine Kollegen in der Außenpolitik machen, könnte man damit rechnen, dass neue Möglichkeiten zur Verbesserung unserer gegenseitigen Beziehungen entstehen, die künstlich erschwert wurden. Ich wiederhole, dass die Wahlrhetorik und die Rhetorik der neuen Regierung nach der Wahl darauf hinweisen, dass sie bereit sind, den Dialog zu internationalen Problemen und die gegenseitige Kooperation wiederaufzunehmen.
Im November fand am Rande des G20-Gipfels das Gespräch des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, mit dem neuen Regierungschef Kanadas, Justin Trudeau, statt. Beide Seiten äußerten den Wunsch, die Bereitschaft und das Interesse an der Normalisierung der Beziehungen. Wir gehen davon aus, dass praktische Schritte von unseren kanadischen Partnern ausgehen sollen, die ihre Bereitschaft erklärten, die Fehler ihrer Vorgänger zu revidieren. Wir werden warten. Wir sind zu solchen positiven Änderungen immer bereit.
Frage: Ich möchte eine Frage zu den Beziehungen zwischen Russland und Deutschland stellen, die sich in der letzten Zeit leider verschlechterten. Denken Sie, dass diese Beziehungen in die Sackgasse gerierten und sich in einer Krise befinden? Was erwarten Sie von deutschen Partnern, um sie zu verbessern? Es ist kein Geheimnis, dass wir in Bezug auf Deutschland oft über die Europäische Union und in Bezug auf die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland oft über die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union sprechen, wobei Deutschland als Lokomotive Europas bezeichnet wird. Ich stelle diese Frage kurz vor Besuch eines des führenden deutschen Politikers, Horst Seehofer nach Russland und seines Treffens mit Präsident Wladimir Putin.
Sergej Lawrow: Ich würde die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland nicht als Beziehungen bezeichnen, die in einer Krise geschweige denn in einer Sackgasse stecken. Wir haben einen intensiven Dialog auf der höchsten Ebene zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und der Kanzlerin Angela Merkel, auf der Ebene der Außenminister und anderer Minister. Die Tätigkeit von mehreren Mechanismen, die unsere Vorwärtsbewegung fördern, wurde erschwert, jedoch nicht eingestellt, vor allem dank der Position der deutschen Wirtschaft, die die Tätigkeit zur Festigung der Verbindungen mit russischen Partnern fortsetzt. Ich habe gehört, dass einige Dutzende bzw. Hunderte deutsche Unternehmen ihre Tätigkeit in Russland einstellten, die Zahl der in Russland tätigen Unternehmen liegt jedoch immerhin bei mehreren Tausend. In den letzten zwei Jahren traf ich zwei bzw. dreimal führende Unternehmer Deutschlands, einmal in Moskau, einmal in München, wo wir mit Vizekanzler Sigmar Gabriel einen gemeinsamen Dialog mit den Unternehmern Deutschlands und Russlands führten. Ich sehe, inwieweit pragmatisch und vernünftig deutsche Unternehmer die Situation einschätzen.
Falls wir pragmatisch sein werden und über unsere nationalen Interessen nachdenken, die keine internationalen Verpflichtungen verletzen, ist ein positives Ergebnis zu erreichen. Eines der Beispiele ist die begonnene aktive Arbeit zur Projektierung und Schaffung der Gaspipeline Nord-Stream-2. Dieses Projekt ist absolut wirtschaftlich, kommerziell, es ist für Deutschland, ganz Europa und Russland gewinnbringend. Dass dieses Projekt ideologisch kritisiert wird und dazu aufgerufen wird, mit Russland nicht zu kooperieren, weil dies der Ukraine schaden würde (obwohl wir alle wissen, wozu die Arbeit notwendig war, die Abhängigkeit vom ukrainischen Transit abzubauen), ist es ein Versuch, unsere Beziehungen von außen zu erschweren, wobei zu irgendeiner atlantischen, EU-Solidarität aufgerufen wird.
Ich möchte, dass nicht nur in diesem, sondern auch in allen anderen Fällen Deutschland wie auch Europa und jedes andere Land Entscheidungen unabhängig davon treffen, welcher Beamte eines Nachbarlandes einreiste und empfahl, was gemacht werden soll, sondern abhängig von eigenen nationalen Interessen.
Wir sehen, inwieweit schwierig jetzt eine einheitliche Richtlinie der EU nicht nur in Bezug auf die Migrationsfrage sondern auch bei vielen anderen Fragen gestaltet wird. Wir sehen, wie groß die Rolle Deutschlands als führendes Land, Lokomotive der EU ist, inwieweit Deutschland die Berücksichtigung der Interessen aller EU-Länder will. Es wird immer schwieriger, dies zu machen. Wir sind nicht an der Abschwächung der EU interessiert, dass dort irgendwelche Brüche entstehen. Wir sind an einer einheitlichen und starken Europäischen Union interessiert, mit der es komfortabel ist, in der Wirtschaft und bei anderen Fragen zu arbeiten. Doch wir können nicht die Situation ignorieren. Wir sehen und schätzen die Anstrengungen Deutschlands ein, die darauf gezielt sind, dass die innerhalb der EU existierende aggressive Minderheit bei mehreren Fragen, nicht nur in Bezug auf die Beziehungen zu Russland, sondern auch bei anderen Fragen des inneren Aufbaus der EU, ihre Ambitionen abbaut und allgemeinen Regeln folgt, die sich sowohl in der EU als auch in jeder anderen normalen gleichberechtigten Organisation nur auf Konsens stützen können. Wir wünschen Deutschland auch Erfolg dabei, schwere Probleme zu lösen, die mit Migranten verbunden sind. Ich hoffe, dass diese Probleme nicht verschwiegen werden, es wird nicht mehr solche Situationen wie mit dem russischen Mädchen Lisa geben, wenn die Nachricht über ihre Verschwinden aus irgendwelchen Grund lange verheimlicht wurde. Jetzt arbeiten wir mit seinem Anwalt, der mit seiner Familie und unserer Botschaft arbeitet. Es ist klar, dass das Mädchen nicht freiwillig für 30 Stunden verschwand. Hier sollte Wahrheit und Gerechtigkeit siegen.
Ich hoffe, dass diese Migrationsprobleme nicht zum Versuch führen, die Wirklichkeit aus irgendwelchen innenpolitischen Gründen zu tarnen, das wäre nicht richtig. Probleme sollen fair dargelegt werden, über die den Wählern mitteilen und offene und verständliche Lösungen anbieten.
Wir sind aufrichtig daran interessiert, dass diese nicht einfache Periode in Deutschland ohne bedeutende Verluste verläuft und Lösungen zum Thema Migration sowohl im Lande als auch in der EU, bei anderen Fragen, die die EU in der nächsten Zeit erörtern wird, darunter wie das Referendum in Großbritannien sowie das Referendum in den Niederlanden zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine die Zukunft der EU beeinflussen wird, gefunden werden. Das sind ernsthafte Herausforderungen für die EU. Diejenigen, die daran interessiert sind, dass diese Struktur einig, effektiv bleibt (nur in diesem Fall kann sie ein komfortabler Partner für Russland und alle anderen sein), sollen der EU wünschen, entsprechende Lösungen zu finden, die einen Konsens sichern würden, der sich auf das Prinzip der Solidarität stützen, jedoch nicht auf Kosten der dritten Länder erreicht wird, damit sie sich auf das Gleichgewicht der nationalen Interessen der EU-Länder stützen.
Frage: Gestern nannte der UN-Beauftragte für Syrien, Staffan de Mistura, den Tag, an dem die syrisch-syrischen Verhandlungen beginnen, sagte aber nicht, wer daran teilnehmen wird. Könnten Sie vielleicht diese Frage beleuchten sowie die Medienberichte kommentieren, Russland und die USA hätten einen Kompromiss darüber erreicht? Bedeutet das etwa, dass Russland der Teilnahme an den Gesprächen solcher Gruppierungen wie „Armee des Islams“ und „Ahrar asch-Scham“ zugestimmt hat? Und zu welchen Zugeständnissen wäre dann Washington bereit?
Sergej Lawrow: Russland und die USA waren nie bevollmächtigt, die Oppositionsdelegation zu bilden. Dafür ist die UNO zuständig, und zwar der Generalsekretär und dessen Beauftragter für Syrien, Staffan de Mistura. In der Resolution 2254 steht klar und deutlich geschrieben, dass ausgerechnet er die syrischen Oppositionellen einzuladen hat, wobei er sich danach richtet, wer an den Treffen in Kairo, Moskau, anderen Orten und zuletzt in Riad teilnahm. Herr de Mistura sprach darüber mit den an der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens beteiligten Ländern, darunter auch mit Russland. Wir haben ihm unseren absolut offensichtlichen Standpunkt geschildert, dem zufolge alle Teilnehmer der früheren Treffen der syrischen Opposition in verschiedenen Städten auch diesmal eingeladen werden sollten. Er wurde mit einem großen Problem konfrontiert, denn einige Mitglieder der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens meines Wissens darauf bestehen, dass nur die Teilnehmer des Treffens im Dezember 2015 in Riad die syrische Opposition vertreten sollten, während alle anderen außerhalb der Gespräche bleiben sollten. Das ist eine große Verletzung der Resolution 2254, und das ist die Position Russlands, der USA und der UNO, die bekanntlich die Kovorsitzenden der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens sind. Ich schließe aus, dass Herr de Mistura gegen eine solche offenbare Erpressung aufgegeben haben könnte. Er bestätigte, auch gestern auf einer Pressekonferenz in Genf, dass der Kreis der Eingeladenen umfassend sein werde. Eigentlich sollte er inklusiv sein, was in der Resolution festgeschrieben ist, nämlich dass dabei die maximal große Zahl der Oppositionsstrukturen vertreten ist.
In letzter Zeit hören wir, dass ein Mitglied der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens ständig daran zweifelt, ob die syrischen Kurden eingeladen werden sollten, und zwar die Partei der demokratischen Union. Ich gehe davon aus, dass die Gespräche ohne diesen Teilnehmer nicht den für uns erwünschten Erfolg bringen können, nämlich die endgültige politische Regelung in Syrien. Die syrischen Kurden machen etwa 15 Prozent der Landesbevölkerung aus und leben auf einem großen und sehr wichtigen Territorium. Wissen Sie, welches Argument gegen ihre Teilnahme geäußert wurde? Sie müssen nicht eingeladen werden, weil sie nicht gegen Baschar al-Assad kämpfen. Ein solches Kriterium – dass nur diejenigen, die gegen Assad kämpfen, zu den Verhandlungen eingeladen werden sollen – gab es nie. Bei den Verhandlungen soll es um die Feuereinstellung gehen, um die Förderung des Anti-Terror-Kampfes sowie um politische Reformen in Syrien. Wie kann man aber über politische Reformen in diesem Land sprechen (übrigens stellen die Kräfte, die diese eher einseitige Tagesordnung bei der Syrien-Regelung voranbringen, ausgerechnet politische Reformen und nicht den Kampf gegen den Terrorismus in den Vordergrund), wobei die führende Kurdenpartei ignoriert wird – eine ziemlich starke Kraft, die den IS-Terroristen vor Ort widersteht?
Falls diese Gruppe nicht eingeladen wird, wäre das ein sehr großer Fehler. Wie gesagt, werden wir nicht von unserem Vetorecht Gebrauch machen – das ist immerhin Staffan de Misturas gutes Recht. Er muss seine Verantwortung begreifen und darf sich nicht hinter Russland oder die USA verstecken. Er darf nicht den Kräften gehorchen, die anders als wir auf das Vetoinstrument in der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens zurückgreifen wollen. Wir rechnen damit, dass der UN-Generalsekretär und sein Beauftragter ihre Verantwortung voll und ganz begreifen und verstehen, dass es inakzeptabel ist, einem einzigen Mitglied der Gruppe zur Unterstützung Syriens Recht zu geben, das die Kurden aus den Verhandlungen ausschließen will.
Frage: Die Kurden kämpfen seit mehr als anderthalb Jahren gegen den "Islamischen Staat" und andere terroristische Gruppierungen in Syrien und im Irak. Viele Länder halfen ihnen dabei. Wir half Russland den Kurden, dem IS zu widerstehen? Wird Russland seine Stärke weiter ausbauen? Welche Rolle spielen die Kurden in Russlands Strategie?
Sergej Lawrow: Natürlich halten wir die Kurden für ein wichtiges Volk, das historisch auf dem Territorium mehrerer Staaten dieser Region lebt, darunter im Irak, in Syrien, im Iran und in der Türkei. Die Kurden sind derzeit eine durchaus effiziente Kraft, die gegen den IS kämpft. Wir unterstützen den Kampf der syrischen und der irakischen Regierung gegen den Terrorismus – wir taten das lange vor der Bildung der so genannten „Koalition“ mit den USA an der Spitze im August 2014. Von Anfang an nahmen wir bei unseren Waffenlieferungen nach Syrien und in den Irak Rücksicht darauf. Da wir wussten, dass im Irak gegen den IS die Regierungstruppen und das kurdische Volksheer kämpfen, berücksichtigten wir den Bedarf der Kurden an unseren Waffenlieferungen in den Irak, doch diese erfolgten nur durch die zentrale Regierung in Bagdad. Wir respektieren voll und ganz die Souveränität und territoriale Integrität des Iraks und wissen über die Prozesse Bescheid, die es in den Beziehungen zwischen Bagdad und Erbil gibt, wie auch zwischen den Arabern und Kurden, zwischen den Sunniten und Schiiten im Irak. Wir wissen, dass es gewisse Theorien über die Absicht gewisser Kräfte zur Spaltung des Iraks gibt. Ähnliche Theorien gibt es auch in Bezug auf Syrien, Afghanistan. Wir wissen auch, wer diese Theorien voranbringt – unter anderem geht es auch um einige Nachbarländer, die auf die Kurden sehr schmerzhaft reagieren. Das ist sehr gefährlich, und wir werden solchen Tendenzen widerstehen. Unsere ganze Hilfe, die unter anderem auch die Kurden erreicht, erfolgt durch die zentrale Regierung.
Dabei wissen wir, dass einige Länder, vor allem westliche Länder, den Kurden direkt helfen. Soweit ich verstehe, hat Bagdad nichts dagegen. So leistet Deutschland beispielsweise Hilfe den irakischen Kurden direkt. Die Partei der demokratischen Union von S. Muslim (es geht um die syrischen Kurden) gehört zu den Verbündeten der USA, die sie direkt aufrüsten, während US-Instrukteure die Kampfbereitschaft der Kurden fördern. Man versucht jetzt, diese Partei, die gegen den IS kämpft, ein Verbündeter der USA ist und deren Kämpfer Washingtons Unterstützung genießen, zu den syrisch-syrischen Verhandlungen nicht zuzulassen. In dieser Situation ist das erstens unser gemeinsames Problem, denn das ist nicht nur unfair, sondern auch schädlich und kontraproduktiv. Und zweitens ist das natürlich ein Problem der USA, denn, wie gesagt, sie halten diese Gruppe für einen ihrer effektivsten und nächsten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus. Hoffentlich wird Washington das nicht so einfach sein lassen.
Frage: Über Pjöngjangs Behauptungen von den Wasserstoffbombentests ist man in der Region und auch in der ganzen Welt besorgt. Das Thema wachsende Atomgefahr auf der Halbinsel Korea steht wieder im Vordergrund. Ist künftig eine Lösung des nordkoreanischen Atomproblems nach dem iranischen Muster möglich? Welche Schwierigkeiten müssten die jeweiligen Seiten in erster Linie überwinden?
Sergej Lawrow: Ich rechne damit, dass das Atomproblem auf der Halbinsel Korea – wir nennen das nicht das Atomproblem Nordkoreas, sondern das Atomproblem der Halbinsel Korea – gelöst werden kann. Es geht nicht darum, dass Nordkorea keine Atomwaffen hat, sondern darum, dass es auf der ganzen Halbinsel Korea keine Atomwaffen gibt, dass weder Nord- noch Südkorea, noch die USA sie haben, die keine Elemente ihres nuklearen Arsenals dorthin einführen dürfen.
Nach dem Atomtest Nordkoreas, der die Resolution des UN-Sicherheitsrats verletzte, haben wir eine entsprechende Erklärung gemacht. Derzeit sprechen wir mit den USA, mit unseren chinesischen Freunden, Vertretern der Republik Korea und Japans darüber, was das war. Wir sind nicht so sicher, dass tatsächlich eine Wasserstoffbombe getestet wurde, denn wenn das so gewesen wäre, dann würde das bedeuten, dass die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die die Versorgung Nordkoreas mit jeglichen Stoffen, die sein Atomprogramm betreffen, untersagen, ineffizient sind und dass die Stoffe und Technologien, ohne die eine solche Bombe nicht entwickelt bzw. getestet werden kann, in dieses Land geraten. Falls das aber ein Test eines üblichen nuklearen Geräts war (wie in den zwei oder drei früheren Fällen), dann funktionieren die von uns verhängten Beschränkungen.
Ich will jetzt nicht darüber reden, ob die Verbreitung von nuklearen Technologien generell zulässig ist. Wie gesagt, wichtig ist der folgende Faktor: Ob die vom UN-Sicherheitsrat getroffenen Entscheidungen zwecks Vorbeugung der weiteren Entwicklung des nordkoreanischen militärischen Atomprogramms funktionieren. Bei den Kontakten mit unseren Kollegen, darunter aus China, sprechen wir ausführlich über diesen Aspekt. Aus politischer Sicht besteht natürlich der einzige Weg darin, die sechsseitigen Verhandlungen wiederaufzunehmen. Versuche dazu wurden in den vergangenen drei Jahren unternommen, doch damals blieben die westlichen Teilnehmer der Sechserverhandlungen, vor allem die USA, Japan und Korea, unflexibel und bestanden kompromisslos darauf, dass Nordkorea sein Atomprogramm aufgeben müsste, und erst dann würde man mit ihm sprechen. Das wäre wohl die einfachste und allseitig akzeptable Lösung, doch das wäre unrealistisch.
Russlands und Chinas Position besteht darin, dass die Sechserverhandlungen wiederaufgenommen werden müssten. Wir haben Südkoreas Vorschlag zur Kenntnis genommen, sich zunächst im Format „Sechs minus eins“ zu versammeln, nämlich ohne Nordkorea. Ich denke aber nicht, dass dies eine gute Idee ist, denn das wäre wiederum ein Versuch, jemanden auszugrenzen. Als die so genannte Weltgemeinschaft, und zwar unsere westlichen Partner, den Iran ausgrenzte, hatte das schlimme Folgen: Dieses Land baute sein Atomprogramm in kolossalem Tempo aus. 2004, als sich die Situation relativ leicht regeln ließe und der Iran nur ein paar Dutzend Zentrifugen hatte, blieben unsere westlichen Partner stur: Die Islamische Republik müsste auf sie verzichten, und erst dann würde man mit ihr verhandeln. Am Ende aber begannen die Gespräche, als Teheran schon Tausende Zentrifugen hatte. Das alles passierte, weil man zunächst versucht hatte, den Iran zu isolieren anstatt mit ihm zu verhandeln. Dieser Fehler darf nicht in Bezug auf die Halbinsel Korea wiederholt werden.
Frage: Am Freitag hat Russland seine Grenze zu Norwegen wegen der Flüchtlinge gesperrt, die Norwegen zurück nach Russland ausweisen wollte. Beide Länder verhandeln jetzt darüber. Wie kann diese Frage geregelt werden, damit Russland die Flüchtlinge empfängt, die es ursprünglich empfangen hatte?
Sergej Lawrow: Ich weiß, warum dieses Problem entstanden ist. Ich kenne zwar keine Details, aber es geht um Menschen, die nach Russland gekommen sind, um in unserem Land zu arbeiten oder ihre Verwandten zu besuchen. Dabei gaben sie nicht an, Russland zu besuchen, um dann weiter nach Norwegen zu reisen. Das bedeutet, dass sie von Anfang an Falschinformationen bezüglich ihres Russland-Besuchs angegeben hatten. Solche Personen wollen wir aber nicht wieder empfangen, denn sie haben unsere Gesetze verletzt.
Wir haben mit den zuständigen Behörden in Norwegen vereinbart, eine Pause einzulegen und eine Lösung dieses Problems zu finden, damit sie den Interessen sowohl Russlands als auch Norwegens entspricht. Zwischen Russland und Norwegen gibt es ein Rückführungsabkommen, und unsere Migrantenbehörde verhandelt derzeit mit ihren norwegischen Kollegen über ein Zusatzabkommen, das Probleme lösen würde, die wegen solcher unfairen Reisenden entstehen.
Frage: Wie sind die Perspektiven zur Entwicklung der Handels- bzw. Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Bulgarien? Gibt es Möglichkeiten zur Ausbalancierung des gegenseitigen Warenumsatzes auf Gebieten wie Maschinenbau, Lebensmittelindustrie, Agrarsektor, Schiffbau? Negative Eindrücke sind wohl vom Projekt South Stream und vom Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe geblieben. Bulgarien und die Sowjetunion hatten auf allen diesen Gebieten zusammengearbeitet. Könnte Russland die Quoten für bulgarische Studenten erhöhen, denn es könnte so passieren, dass die Generation der 1990er- bzw. 2000er-Jahre ihre eigene Geschichte nicht mehr kennt. In Bulgarien ist man über den Ausbau der Anwesenheit der Nato-Rüstungen auf dem Territorium des Landes besorgt, darunter von Abrams-Panzern. Wozu ist das alles nötig?
Sergej Lawrow: Eine emotionale Frage. Ich verstehe diese Emotionen und teile sie in vielen Hinsichten. Ich denke, dass Russland und Bulgarien so eng historisch, kulturell, geistlich, einfach menschlich verbunden sind, dass es natürlich schade ist, wenn einige Politiker wegen ihrer konjunkturbedingten Ziele in Rahmen der nächsten Wahlzyklen bereit sind, das alles zu zerstören und ihren Bestrebungen zu Opfer zu bringen, die oft von außen bestimmt werden.
Russland war nie Initiator des Abbaus der handelswirtschaftlichen bzw. anderen Kooperation mit Bulgarien. Nie. Das betraf das Projekt Burgas-Alexandroupoli, aus dem Bulgarien einseitig bereits 2013 ausstieg, das AKW Belene, South Stream. South Stream wurde wir der Premier Bojko Borissow zugab, von der EU und zwar von Brüssel blockiert. Ich möchte den Unterschied zwischen der EU und Brüssel sehen. Es gibt EU-Kommission, die aus Kommissaren besteht – das ist so eine Struktur, die wie jede bürokratische Struktur sich reproduzieren, sich behaupten will. Wir sehen oft, wie einige Mitgliedsstaaten immer mehr Unzufriedenheit mit den Schritten äußern, die die EU-Kommission ohne Abstimmung mit Mitgliedsstaaten unternimmt. So war es übrigens im September 2014, als der erste Teil der großen Sanktionen eingeführt wurde, als EU-Kommission dies machte, ohne Vereinbarungen der Staats- und Regierungschefs erfüllt zu haben. Mehrere Anführer der EU-Länder schickten entsprechende empörende Briefe an Brüssel. Ich weiß nicht, ob dies hilft, oder nicht. Doch das Problem der Brüsseler Bürokratie entsteht immer häufiger bei Diskussionen, darunter in Bezug darauf, wie sich Deutschland in der Europäischen Union fühlt.
Wir konnten nicht auf Änderungen in den Stimmungen Brüssels in Bezug auf South Stream warten und suchten nach einer Alternative, weil Europa russisches Gas braucht. Der ukrainische Transit ist unzuverlässig, sie können sich darin jeden Tag vergewissern. Unsere ukrainische Nachbarn machen jeden Tag irgendwelche Verkündigungen – mal möchten sie um das zehnfache den Transitpreis erhöhen, obwohl der Preis im Vertrag festgeschrieben ist, u.s.w. Deswegen ist das Erreichen eines direkten Zugangs des russischen Gases in die EU notwendig, was von allen geteilt wird. Es wurde die Variante des Projekts Nord Stream-2 entdeckt, obwohl es auch South Stream hätte sein können, wenn die EU-Kommission sich ein bisschen nicht über geopolitische Spiele sondern darüber Gedanken gemacht hätte, wie man eigene Arbeit fair machen und die Energiesicherheit der EU zuverlässiger gewährleisten kann.
Sie erinnerten an die Zeiten des Rats der wirtschaftlichen gegenseitigen Hilfe, doch das war eine andere Geschichte, andere Epoche. Jetzt sprechen wir natürlich darüber, dass Projekte gegenseitig vorteilhaft, lohnend, marktorientiert sein sollen, sie sollen ebenfalls vom Staat in den Formen unterstützt werden, die heute in den globalen Wirtschaftsbeziehungen akzeptiert sind. Es gibt Möglichkeiten, solche Unterstützung zu leisten, darunter via die Internationale Investitionsbank, die aufrechterhalten wird, an der unsere Länder neben anderen Ländern Osteuropas teilnehmen.
Zur Bildung. Erasmus-Mundus und Bologna-Prozess – hier sollte man sich entgegen bewegen. Russland und unsere führende Universitäten schließen sich dem Bologna-Prozess an. Zugleich erweitern wir die Zahl der Studenten, die zu uns gemäß staatlichen Stipendium-Programmen kommen. Viele kommen auch auf kommerzieller Grundlage, auf eigene Kosten. Das zeigt ebenfalls, dass unsere Bildung einen guten Ruf hat und in der Welt nachgefragt ist. Menschen kommen nicht nur aus den Ländern, die ihre Studenten traditionell in Russland und in der Sowjetunion ausbildeten, nicht nur aus Entwicklungsländern und Ländern Osteuropas, sondern auch aus den westlichen Ländern.
Wir werden bereit sein, die Zahl der Stipendien zu erweitern, die wir Bulgarien bereitstellen, falls es solches Interesse geben wird und falls Bulgarien selbstständig seine Richtlinie bei dieser Frage bestimmen wird.
In Bezug auf die Frage, dass Russland etwas machen soll, damit Bulgarien unsere gemeinsame Geschichte vergisst, scheint mir, dass dies auch bulgarische Geschichte ist. Unter anderem Bulgaren sollen sich Gedanken darüber machen, dass diese Geschichte nicht vergessen wird und daran nicht vergessen wird, wer geholfen hat, das Osmanische Joch zu beseitigen, wer bei schwierigsten Situationen geholfen hat. Ich bin davon überzeugt, dass es in Bulgarien Politiker, Gesellschaftspersonen gibt (zumindest als ich in Sofia vor einiger Zeit war, sah ich solche Menschen), die es nicht wollen und nicht zulassen werden, dass diese Geschichte nach dem Vorbild neugeschrieben wird, wie dies von einzelnen Personen in anderen Ländern, wie im Bruderstaat, der Ukraine gemacht wird.
Und das letzte. Sie haben die Nato und die Stationierung der Militärinfrastruktur der Nordatlantischen Allianz nahe unserer Grenzen erwähnt, darunter Bulgarien. Das beunruhigt uns ebenfalls. Ich habe vor kurzem statistische Angaben gesehen, dass in der Haushaltsanfrage Pentagons für das Finanzjahr 2017 (soll im kommenden Monat Kongress vorgelegt werden) für Operationen in Europa statt den heutigen 790 Millionen US-Dollar rund vier Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden sollen – das ist mehr als um das zehnfache mehr. Das Ziel ist die Schaffung der Lager mit Technik, Ausrüstung, Rotation der US-Militärs auf ständiger Grundlage. Das bestätigte auch der Verteidigungsminister der USA, Ashton Carter, bei seinem Auftritt in Davos.
Bulgarien ist der Nato-Mitgliedsstaat, weshalb es natürlich der Disziplin folgen soll, doch ich erinnere daran, dass die Entscheidungen in der Nordatlantischen Allianz via Konsens getroffen werden. Falls die Stimmen der Kollegen, der offiziellen Vertreter der Länder summiert werden, die Besorgnisse äußern, dass die Nato erneut stützend auf der Gestalt des Feindes vorgeht, entsteht eine ernsthafte Gruppe. Doch wenn sie nach Brüssel kommen und dort abstimmen, folgen sie jedoch der Blockdisziplin statt den eigenen nationalen Interessen.
Unser Präsident Wladimir Putin sagte vor kurzem, wer die Blockdisziplin bestimmt. Das Problem besteht nicht darin, dass es sich um die Nato-Ideen und die Versuche handelt, eigenen Willen allen aufzudrängen (Europa ist das Nato-Mitglied), das Problem besteht darin, dass die Nato-Entscheidungen von den USA getroffen werden und Europa ihnen einfach folgt.
Frage: Noch eine emotionelle Frage. Wie wird die russische Diplomatie die Wortverbindung „Russische Welt“ wiederbeleben? Sie zeigten jedoch der ganzen Welt, dass es nicht die „Russische Welt“, sondern der „Russische Krieg“ und der „Russische Tod“ sind. In der Situation der Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine, wie können sich die Nachbarn Russlands sicher fühlen, wenn Russland bei Notwendigkeit alle internationalen Vereinbarungen und Verpflichtungen verletzt?
Sergej Lawrow: Falls sie das Memorandum von Budapest meinen, haben wir es nicht verletzt. Es enthält die einzige Verpflichtung – gegen die Ukraine keine Atomwaffe anzuwenden. Niemand machte dies und es gab keine Drohungen der Anwendung von Atomwaffe gegen die Ukraine. Es gab eine umgekehrte Drohung. Julia Timoschenko sagte einst, dass die „Watniki“ im Donezbecken mit einer Atombombe bestraft werden sollen.
Was die „Russische Welt“ betrifft, kann ich jetzt nicht bestätigen, dass die „Russische Welt“ – eine russische Erfindung ist. Die „Russische Welt“ existiert, das ist kein Projekt, sondern eine objektive Realität, ebenso wie es objektive Realität der „ukrainischen Welt“ in Kanada und anderen Staaten gibt es gibt Realität der „armenischen Diaspora“. Es geht darum, dass es uns bis vor kurzem an Zeit und Geld mangelte, mit diesen Menschen einen stabilen Kontakt aufzunehmen, um zu sehen, wie wir ihnen helfen können, vor allem damit sie sich nicht als zweitrangige Menschen in den Ländern fühlen, wo sie wohnen, damit sie ihre Sprache nutzen können, damit sie Medien in ihrer Muttersprache haben können, damit sie sich treffen, Veranstaltungen durchführen können, die dabei helfen, die Kultur, Identität aufzubewahren, die ihre Rechte als Staatsbürger des Staates sichern, in dem sie sich erwiesen, Rechte, die sich auf allgemein anerkannten Völkerrechtsnormen stützen. Das betrifft in vollem Ausmaß auch die Russen, die in der Ukraine wohnen. Diese Russen hatten Hoffnungen. In der Ukraine wurde unter mehreren Präsidenten versprochen, die Russische Sprache zur Amtssprache zu machen. Es wurde nicht geschafft. Das Höchste, was von Viktor Janukowitsch gemacht wurde, war der Beitritt der Europäischen Charta der regionalen Sprachen bzw. Sprachen der Minderheiten, was zwar die russische Sprache nicht hervorhob, jedoch ihr und den Sprachen anderer Minderheiten entsprechende Rechte an den Orten sicherte, wo diese Minderheiten wohnen.
Wir bleiben der Erfüllung aller Verpflichtungen im Europa-Rat, der UNO treu, darunter das Prinzip des Respektierens von Souveränität, territorialer Integrität, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Staaten darunter die Erklärung der UNO von 1970 über die Völkerrechtsprinzipien. Darin steht, dass jede Regierung, die das Verhalten auf Grundlage des Respektierens des Prinzips der territorialen Integrität ihres Staates verdient, muss im Rahmen dieser territorialen Integrität die Selbstbestimmung der Völker gewährleisten, die dieses Land besiedeln, darunter in Bezug darauf, was sprachliche, kulturelle und andere Rechte betrifft. Diese Regierung muss eigene territoriale Integrität ohne Gewaltanwendung sichern.
Falls wir vor dem Hintergrund dieser Verpflichtungen, die sowohl für die Ukraine, als auch für Russland gelten, analysieren würden, was von Beginn November 2013 bis Februar 2014 geschah, wird klar, wer seine Verpflichtungen verletzte, wer die „russische Welt“ beanspruchte. Ich kann Dmitri Jarosch zitieren (ist kein großes Vergnügen). Allen sind seine Worte darüber bekannt, die er kurz vor dem Referendum auf der Krim sagte. Noch Ende Februar sagte er, dass der Russe nie den Ukrainer verstehen, nie in der ukrainischen Sprache sprechen, nie wie der Ukrainer denken, nie Bandera und Schuchewitsch rühmen werde, weshalb es auf der Krim keine Russen geben soll und die Russen von der Krim entfernt werden sollen. Er sagte meines Erachtens sogar schlimmere Worte. Danach organisierte Jarosch die „Züge der Freundschaft“ mit bewaffneten Männern, um sich auf die Krim hineinzudrängen. Danach wurde die fünfte Kolonne organisiert, die den Obersten Rat der Ukraine ergriff u.s.w. Als im Donezbecken die legitim gemäß den ukrainischen Gesetzen gewählten Leiter der Regionen einen politischen und moralischen Aufstand gegen den Staatssturz begannen, als auf ihre Plätze aus Kiew Personen geschickt wurden – Kommandeure und Kommissare, als solche Kommissare nicht akzeptiert wurden und Volksbürgermeister gewählt wurden, griff die ukrainische Führung, die an die Macht bei einem Sturz kam, zum Einsatz der Armee und Fliegerkräfte gegen das eigene Volk. Erinnern sie sich daran, wie Lugansk bombardiert wurde? Über Odessa will ich überhaupt nicht sprechen. Dies wird nie untersucht. Der Europa-Rat machte bereits einen Befund, wo er klar wird, dass die ukrainischen Behörden nie Wahrheit zulassen werden. Bei Maidan-Protesten forderten übrigens die Nato, Amerikaner, Nato-Generalsekretär uns auf, den Einfluss auf Viktor Janukowitsch auszuüben, damit er keine Armee gegen das eigene Volk einsetzt. Er nutzte nicht die Armee gegen das eigene Volk. Als Armee bei der so genannten „Antiterroroperation“ mit Fliegerkräften, schweren Waffen gegen diejenigen eingesetzt wurde, die den Putsch nicht anerkannten und dagegen protestierten, wurde auf unsere Fragen, ob man nicht auf Waffeneinsatz verzichten kann, in der Nato gesagt: „Wissen Sie, sie verteidigen doch den eigenen Staat“.
Deswegen ist jedem normalen Mensch, darunter Journalisten, die ganze Geschichte klar – wer welche Welt schützte, wer die Koexistenz der russischen, ukrainischen polnischen, ungarischen, bulgarischen, rumänischen Welten in einem Staat gewährleistete, wer die Wahlkreise bei den letzten Wahlen in der Ukraine so bildete, damit ins Parlament kein einziger Ungar einzieht, obwohl Budapest und die ungarische Gemeinde in der Ukraine darum baten, einen Kreis zu machen, der einen Vertreter in der Obersten Rada ermöglichen würde. Deswegen sind die Gespräche über die „Russische Welt“, sowie über alle anderen Welten eine vielseitige Geschichte, mit der man sich befassen kann.
Das Wichtigste, was ich zum Schluss sagen möchte, ist dass es viele Menschen gibt, die die Situation über die Prisma der „russischen Welt“ in verzerrter Deutung analysieren wollen – alleine die russische Besessenheit vom Schutz, darunter Anwendung der bewaffneten Macht, sei ihnen zufolge die Hauptbedrohung. Darauf basieren die Beschlüsse, die jetzt in der Nato zur Freude des Rüstungs- und Industriekomplexes getroffen werden. Wie ich bereits sagte, werden alleine die Ausgaben der USA zur Einrichtung der äußeren Grenzen der Nato näher an Russland nicht 700 Millionen, sondern vier Milliarden US-Dollar ausmachen.
Es stellt sich heraus, dass alle sich über eigene Bürger kümmern können, und nur Russland, wenn es macht, als Aggressor und Verletzer der Regeln und Normen der internationalen Kommunikation eingestuft wird. Wenn man davon spricht, wer und was erfüllt hat, führte ich bereits das Beispiel des Memorandums von Budapest an, das nicht verletzt wurde, weil wir uns nicht verpflichtet hatten, wie ebenso die USA und Großbritannien, Staatsstreiche im ukrainischen Staat zu unterstützen.
Was die Umsetzung der UN-Dokumente angeht, so habe ich im Allgemeinen die Deklaration geschildert, in der die Kriterien verankert sind, nach denen die territoriale Integrität dieser oder jener Staaten unter diesen oder jenen Regierungen respektiert werden muss.
Was praktische Dokumente angeht, so muss ich darauf verweisen, dass laut den Minsker Vereinbarungen vor allem die Behörden in Kiew sie umzusetzen haben. Sie können gerne diese Vereinbarungen lesen und sich davon abermals überzeugen.
Meines Erachtens muss die Umsetzung davon erreicht werden, was vereinbart wurde. Wie ich bereits bei der Antwort auf die Frage nach den wichtigsten Herausforderungen des neuen Jahres sagte, ist die Förderung der Verhandlungsfähigkeit unserer Partner eine der wichtigsten Herausforderungen, mit denen wir es derzeit zu tun haben.
Frage: Was halten Sie von der jüngsten Erklärung des ukrainischen Ministerpräsidenten Arsseni Jazenjuk über ein Referendum bezüglich eines neuen Grundgesetzes? Wie sind die Perspektiven, dass die Ukraine ihr Grundgesetz in dem Aspekt rechtzeitig novellieren kann, der die Dezentralisierung im Sinne der Minsker Vereinbarungen betrifft?
Sergej Lawrow: Es fällt mir schwer, etwas zu kommentieren, weil die Minsker Vereinbarungen vom Präsidenten der Ukraine, Pjotr Poroschenko, befürwortet und unterzeichnet wurden, der dadurch die Verantwortung für ihre Umsetzung übernommen hat. Eine andere Frage ist, wie sie eben umgesetzt werden. Darüber sprach ich auch öfter. Die ukrainischen Behörden versuchen, die Minsker Vereinbarungen nicht durch ihre faire und konsequente Umsetzung zu verteidigen, sondern dadurch, dass sie den radikalen Kräften helfen, die diese Vereinbarungen entweder infrage stellen oder pervers interpretieren.
Ich kann nicht behaupten, ich wäre ein großer Experte für die ukrainischen Gesetze. Das Grundgesetz der Ukraine wurde mehrmals novelliert, und seine aktuelle Fassung ist laut den Experten der Venegig-Kommission ziemlich verwirrend, und es ist nicht ganz klar, welche Normen die endgültigen sind. Für die ukrainische Außenpolitik ist der Präsident zuständig, und das bestreitet niemand. Präsident Poroschenko behauptet, es würde kein „Minsk-3“-Abkommen geben. Ich darf allerdings erinnern, dass von „Minsk-3“ ein gewisser Roman Bessmertny in der Kontaktgruppe sprach, der behauptete, „Minsk-2“ wäre bereits gescheitert. Nur ein paar Tage später musste Präsident Poroschenko aber ihn korrigieren und sagen, dass es außer „Minsk-2“ nichts mehr gebe und dass es kein „Minsk-3“ geben würde. Danach sagte Bessmertny, der weiterhin der ukrainische Vertreter in der Kontaktgruppe blieb und für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen verantwortlich blieb, er würde an „Minsk-2“ denken. Danach hörten wir tatsächlich eine Erklärung des ukrainischen Premiers Arsseni Jazenjuk, der sagte, es müsste ein richtiger Volksentscheid organisiert werden. Der Vorsitzende der Obersten Rada, Wladimir Groisman, sagte aber bereits, dies wäre nicht nötig. Aber wir gehen davon aus, dass für die Außenpolitik der Ukraine der Präsident zuständig ist. Premier Jazenjuk hat schon vieles gesagt: Erst vor einem Jahr machte er Europa Angst, dass der so genannten „ukrainischen Aggression“ die Überfälle auf Deutschland und Frankreich folgen würden. Es ist sehr merkwürdig, denn Jazenjuk war kein schlechter Minister (unter anderem Außenminister der Ukraine), und er schien ein durchaus vernünftiger Mann zu sein, der Argumenten zuhörte, adäquat handelte. Dann aber wurde er offenbar einem schlechten Einfluss von außerhalb ausgesetzt. Noch mehr kann ich nichts sagen.
Frage: Hat Russland Baschar al-Assad wirklich aufgefordert, zu gehen? Kam dabei ein politisches Asyl infrage?
Sergej Lawrow: Auf diese Fragen wurden bereits Antworten gegeben. In beiden Fällen lautet die Antwort „nein“. Ich habe Spekulationen gelesen, die unter Berufung auf den unlängst verstorbenen Leiter der Hauptaufklärungsverwaltung im Generalstab der russischen Streitkräfte, Igor Sergun, verbreitet wurden, er hätte extra Damaskus besucht und Baschar al-Assad zum Rücktritt aufgerufen. Das stimmt nicht. Ein solches Gespräch mit dem Präsidenten Syriens, Baschar al-Assad, war nicht nötig. Assad besuchte Moskau, sprach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, und es ist bekannt, was sie dabei vereinbarten. Wir haben öffentlich bestätigt (und Präsident Putin sprach darüber öfter), dass Präsident Assad den Verhandlungen mit den Oppositionskräften, darunter mit der bewaffneten Opposition, zugestimmt hatte, wie auch der Bildung einer umfassenderen Anti-Terror-Front in Syrien, der die syrische Armee und die Abteilungen der patriotischen Opposition angehören würden, die gegen den IS, die al-Nusra-Front usw. kämpfen würden. In Moskau wurde auch vereinbart, dass der syrische Präsident Baschar al-Assad während des politischen Prozesses, zu dem er eine Delegation schicken würde, bereit wäre, politische Reformen zu erwägen, die letztendlich in den Beschlüssen der so genannten Wiener Gruppe und in der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats verankert wurden. Aber niemand hat Asyl beantragt, und niemand bot so etwas an.
Frage: Herr Lawrow, Sie haben die Resolutionen 2199 und 2253 des UN-Sicherheitsrats erwähnt, denen zufolge die Finanzierung jeglicher Terroraktivitäten untersagt ist. Wir sehen aber, dass die Türkei und besonders Saudi-Arabien diese Resolutionen verletzen und die politischen Prozesse in Syrien hindern. Jetzt droht die so genannte „syrische Opposition“, die sich in Riad versammelte, mit einem Boykott der Genfer Gespräche am 29. Januar. Selbst wenn diese Gespräche stattfinden und dabei gewisse Vereinbarungen getroffen werden – welche Garantien gibt es dafür, dass dieses Resolutionen bzw. Vereinbarungen umgesetzt werden?
Sergej Lawrow: Wir sind auch über die Erfüllung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats besorgt, und zwar nicht nur um diese, sondern auch um viele andere. Aber in Bezug auf die Anti-Terror-Resolutionen zu Syrien sind wir entschlossen, keine solchen „Spielchen“ zuzulassen, und kontrollieren sehr streng die Arbeit des UN-Sekretariats, das einen Bericht darüber zu erarbeiten hat, welches Land diese Resolutionen umsetzt. Besonders wichtig ist das in Bezug auf die Resolution 2199, die den Informationsaustausch und die Koordinierung der Handlungen zur Entdeckung und Festnahme von ausländischen Terroristen betrifft. Dieses Problem ist für Russland, Europa, unsere Nachbarn in Zentralasien und im Kaukasus akut, wo der IS seine Banditen sucht, die in Syrien und im Irak handeln, dann aber heimkehren. Das ist ein Problem für alle, darunter für die Europäer und Amerikaner. In Syrien gibt es inzwischen auch Kämpfer aus Südostasien, Indonesien, Malaysia.
Wenn wir die Finanzbasis der Terroristen ruinieren wollen, dann ist für uns die zweite Resolution des UN-Sicherheitsrats sehr wichtig, die die Nummer 2253 trägt und den Handel mit dem Schmuggel-Öl und Artefakten mit dem IS und anderen ähnlichen Gruppierungen untersagt, darunter mit dem Öl von den Ölfeldern in Syrien und im Irak. In Libyen, nahe von Sirte, in ölreichen Gebieten sind ebenfalls diese Terroristen aufgekreuzt. Was andere Länder angeht, so wird der Einflussraum des IS auch über Afghanistan intensiv verbreitet. Die jüngste Entscheidung der USA, ihren Soldaten zu erlauben, Terroristen in Afghanistan zu verfolgen, bedeutet de facto, dass der IS auch dort inzwischen Fuß gefasst hat und immer einflussreicher wird, indem andere Kräfte, darunter die Taliban, an Einflusskraft verlieren.
Die Resolution 2253 verlangt vom UN-Generalsekretär, regelmäßig Berichte über ihre Umsetzung zu machen. Wir verfolgen die Vorbereitung des ersten Berichts. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und unseren Kollegen im UN-Sekretariat ein Zeichen zu geben: Laut unseren Informationen (vorerst inoffiziellen, und wir wollen sie gerade überprüfen) wird praktisch nichts über das Phänomen des Ölschmuggels aus Syrien in die Türkei berichtet. Überhaupt nichts. Das ist empörend. Dank Medienberichten sind aber viele solche Fakten bekannt, und sie müssten in dem Bericht erwähnt werden. Wir werden darauf bestehen und lassen nicht zu, dass diese Fakten verschwiegen werden.
Frage: 2007 sagte der russische Präsident Wladimir Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz: „Ihr braucht uns mehr als wir euch brauchen.“ In diesem Jahr werden Sie, soweit bekannt ist, Russland auf dieser Konferenz vertreten. Lässt sich diese Aussage umformulieren?
Sergej Lawrow: Wenn Sie in Moskau arbeiten, dann müssten Sie gehört haben, dass an der Spitze der russischen Delegation Ministerpräsident Dmitri Medwedew stehen wird. Ich werde auch in München weilen – als Teilnehmer einer Nebendiskussion. Ich bin überzeugt, dass Herr Medwedew unsere Position schildern wird, wie auch andere russische Teilnehmer.
Falls Sie sich extra dafür interessieren, ob wir nach wie vor der Meinung sind, dass der Westen uns mehr braucht als wir den Westen, dann sage ich Ihnen folgendes: Idealerweise brauchen wir gegenseitig und müssten einander unterstützen und gemeinsam an der Unterbindung von gemeinsamen Gefahren arbeiten. In der Tat ist es aber so, dass der Westen unsere Hilfe öfter braucht als wir die westliche Hilfe.
Nehmen wir einmal die Sanktionen als Beispiel. Wir erwähnen sie überhaupt nicht, ziehen aber gewisse Schlüsse darüber, wie zuverlässig und verhandlungsfähig unsere westlichen Partner sind, inwieweit sie bereit sind, den allgemein anerkannten Vorgehensweisen zu folgen, die nämlich darin bestehen, dass nur der UN-Sicherheitsrat zu Zwangsmaßnahmen bevollmächtigt ist. Indem wir für uns diese Fragen negativ beantworten, bemühen wir uns um den Importersatz, um Strukturreformen oder wie das sonst genannt werden kann. Präsident Putin sprach darüber in vielen Reden, darunter gestern in Stawropol. Es geht darum, unsere Wirtschaft eigenständig zu machen, wobei sie aber keineswegs von der ganzen Welt isoliert sein darf, sondern im Gegenteil offen für die Kooperation mit denjenigen ist, die bereit sind, mit uns gleichberechtigt zu arbeiten, ohne uns zu diktieren, was wir zu tun haben. Aber die wirtschaftliche Eigenständigkeit sieht eine technologische Entwicklung und Investitionen in humanes Kapital vor. Wir müssen alles tun, um nicht von der Launenhaftigkeit dieser oder jener Ländergruppe abzuhängen, vor allem unserer westlichen Partner – das passierte beispielsweise, als sie es uns übel nahmen, dass wir die russischsprachigen Einwohner der Ukraine unterstützt hatten, die sich den Staatsstreich nicht gefallen ließen. Ich zitierte bereits Dmitri Jarosch: Dafür wollte man diese Menschen vernichten oder wenigstens ihre Rechte beschränken. Jetzt wollen wir uns von solchen Situationen absichern.
Aber zurück zur Logik Ihrer Frage: Wir laufen jetzt keineswegs unseren europäischen Partnern hinterher mit den Aufrufen zur Abschaffung der Sanktionen. Keineswegs. Wir konzentrieren uns darauf, dass wir von solchen Zickzack-Sprüngen der westlichen Politiker nicht mehr abhängen, wie auch davon, dass Europa sich ständig den USA unterwirft. Doch unsere europäischen Kollegen sagen ständig bei bilateralen Kontakten oder auf internationalen Foren: „Lasst uns etwas einfallen, helft uns, diese Minsker Vereinbarungen zu erfüllen, denn wir tragen wegen dieser Sanktionen große Verluste und wollen, dass dieses Kapitel so schnell wie möglich beendet wird.“ Das bedeutet, dass sie uns in dieser Situation mehr brauchen als wir sie. Unter anderem auch um die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Bei den Minsker Vereinbarungen geht es um die ukrainische Regierung und die Donbass-Region. Ja, wir können tatsächlich die Donbass-Region beeinflussen und unterstützen sie. Ohne unsere Hilfe würde sich diese Region wohl in einer sehr schlechten Situation befinden. Aber man müsste auch die Behörden in Kiew beeinflussen. Wir brauchen den Westen eben aus der Sicht, dass die Kiewer Behörden beeinflusst werden müssen. Doch dazu kommt es vorerst nicht.
Oder nehmen wir auch die Situation um das iranische Atomprogramm als Beispiel. Während der entscheidenden Phasen der Verhandlungen wurden wir von Aufrufen und Bitten quasi bombardiert, als die Situation um die Ausführung des angereicherten Urans und die Einführung des natürlichen Urans geregelt werden musste, was ja die wichtigste Bedingung der Vereinbarungen war; oder auch als entschieden werden musste, wer die Anreicherungsobjekte in Fordo in Forschungsanlagen umbauen würde. Bei diesen Bitten handelte es sich auch um eine beträchtliche finanzielle Belastung. Jedenfalls konnten bzw. können wir davon auf keine Weise finanziell profitieren. Aber wir haben unseren Teil dieses Jobs gemacht. Jetzt werden wir und auch unsere chinesischen Kollegen im Kontext des nordkoreanischen Problems angesprochen: „Tut etwas, damit Nordkorea seine Verpflichtungen einhält“.
Erwähnenswert ist auch die jüngste Entwicklung der Situation um Syrien. US-Außenminister John Kerry (ich lege sehr viel Wert auf unsere Beziehungen) stößt ständig auf verschiedene Probleme mit diesen oder jenen Partnern der USA nicht der Region, darunter mit der Türkei, und bittet uns jedes Mal um Hilfe bei der Suche nach Kompromissen. So war das auch bei der jüngsten Sitzung der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens.
Dabei weiß ich gar nicht mehr, mit welchen Bitten wir uns in letzter Zeit an unsere westlichen Kollegen wandten. Unseres Erachtens ist es nicht ganz korrekt, sich an jemand mit einer Bitte zu wenden. Wir gehen davon aus, dass wenn die Verhandlungen mit der Unterzeichnung eines Dokuments beendet wurden, dann ist das kein Anlass für eine Bitte, sondern eine Verpflichtung, die erfüllt werden muss.
Ich will nicht unbescheiden wirken, habe allerdings Fakten angeführt. Und entsprechende Schlüsse dürfen Sie gerne selbst ziehen.
Frage: Herr Lawrow, in letzter Zeit wird in den Medien viel darüber spekuliert, dass auf dem Verhandlungstisch über die Konfliktregelung in Bergkarabach das so genannte „Dokument Lawrows“ liegen würde. Worum handelt es sich dabei und stimmt das überhaupt?
Sergej Lawrow: Es gibt kein „Dokument Lawrows“. Es gibt eine ganze Reihe von Dokumenten (insgesamt vier bis sechs), die die Kovorsitzenden in verschiedenen Gesprächsphasen vorbereiteten. Damals war es wichtig, die Basisprinzipien der Konfliktregelung zu bestimmen, um dann ein Friedensabkommen zu erarbeiten, das juristisch verpflichtend und nicht politisch wäre. Verschiedene Versionen dieses Dokuments (das von 2007 bis 2010 bzw. 2011 vervollkommnet wurde) wurden von den Kovorsitzenden an den OSZE-Generalsekretär in Europa deponiert. Sie befinden sich – immer noch deponiert – in den Tresoren dieser Organisation. Das sind die einzigen Papiere, die sich als Dokumente bezeichnen lassen – wenn man berücksichtigt, dass keines von diesen Dokumenten, die es offiziell gibt, eine praktische Lösung aller Komponenten der Situation in Bergkarabach gebracht hat. Die Arbeit wird geführt nach dem Prinzip „Es ist nichts vereinbart, solange etwas nicht vereinbart bleibt“.
Wie Sie wohl wissen, bemühte sich die russische Seite noch seit 2010, als Dmitri Medwedew Präsident war, um die Regelung von Fragen, über die sich die Seiten noch nicht geeinigt haben. Dadurch konnten gewisse Fortschritte gemacht werden. Dann wurde eine längere Pause eingelegt, nachdem bei einem Gipfel in Kasan im Juni 2011 wider Erwartungen keine Vereinbarung über die Basisprinzipien getroffen werden konnte. Dann wurde Wladimir Putin wieder zum Präsidenten gewählt, und er traf sich mit den Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans. Im Auftrag der drei Staatsoberhäupter bemühten wir uns um die Wiederaufnahme der Suche nach den Lösungen. Auch jetzt werden verschiedene Ideen zum Ausdruck gebracht.
Ich habe mich öfter mit meinen Amtskollegen aus Armenien und Aserbaidschan getroffen. Wir besprechen das alles auch mit den Kovorsitzenden von den USA und Frankreich. Außer den an die OSZE deponierten Dokumenten gibt es keine anderen. Alles andere ist die Suche und der ständige „Brain Storm“.
Frage: Welche Perspektiven eröffnen sich im neuen Jahr in den russisch-georgischen Beziehungen? Was könnte aktuell getan werden, damit Russland und Georgien ihre Kontroversen überwinden? Moskau hat die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens anerkannt. In Moskau gibt es die Botschaften dieser Länder. Falls es nicht um eine vollwertige Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Moskau und Tiflis geht, welche anderen Perspektiven und Formate kämen infrage? Darf man die vollständige Abschaffung der gegenseitigen Visapflicht mit Georgien erwarten? Derzeit verhandeln Tiflis und Gazprom über den Gastransit. Dabei streiten sich die Seiten über die Monetisierung dieses Transits nach Armenien. Kommt es nicht dazu, dass diese Frage, falls sie ungelöst bleibt, politische Folgen hat? Wie würde Russland in diesem Fall Gas nach Armenien transportieren?
Sergej Lawrow: Wir plädieren für normale Nachbarbeziehungen mit Georgien. Wir gehen davon aus, dass das georgische Volk nicht unter der Unterbrechung der Kontakte mit seinen russischen Nachbarn leiden sollte, an denen sowohl die Georgier als auch die Russen interessiert sind. Es ist unfair, dass sie für die kriminellen Fehler des Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili zahlen müssen. Wir waren nicht diejenigen, die die gegenseitigen diplomatischen Beziehungen unterbrochen haben. Wir handelten voll und ganz im Sinne der Völkerrechtsnormen, die unter anderem in der von mir bereits zitierten Deklaration über die Prinzipien der zwischenstaatlichen Beziehungen verankert sind. Ihnen zufolge sieht die territoriale Integrität vor, dass der jeweilige Staat die Rechte der auf seinem Territorium lebenden Völker sichert und keine Gewalt anwenden darf, um diese Völker zu zwingen, weiter in diesem Staat zu leben. All diese Prinzipien hat Michail Saakaschwili grob verletzt. Ich will jetzt nicht diese ganze Geschichte wieder erzählen, aber nach dem Überfall Saakaschwilis auf Südossetien – auf seine eigenen Mitbürger – und auf die russischen Friedensstifter haben Russland und das Volksheer Saakaschwili besiegt. Südossetien und Abchasien, die die Hoffnung verloren haben, darauf zu warten, dass ihr Schicksal am Verhandlungstisch entschieden wird (und in diesen Jahren gab es viele Varianten: Föderation, Konföderation), verkündeten ihre Souveränität. Wir hatten keine andere Wahl als diese anzuerkennen und ihre Sicherheit bzw. die Überlebensmöglichkeit des südossetischen und abchasischen Volkes zu gewährleisten. Das ist kein Gegenstand von Debatten, aber ich wiederhole, dass dies aus der kriminellen Politik Michail Saakaschwilis resultierte. Er ist für solche Provokationen bekannt, die großenteils auf seine eigene Initiative, aber oft auch im Auftrag Dritter organisiert werden.
Wir sind zufrieden, dass die Genfer Gespräche weitergehen. Vor allem sind wir an der Lösung von Sicherheitsproblemen und daran interessiert, dass es keine solchen Rückschläge mehr gibt. Es gibt Ideen, die allen Teilnehmern die Möglichkeit geben, das Dokument zu unterzeichnen, das garantiert, dass in dieser Region keine Gewalt mehr angewandt wird. Natürlich sind wir auch an der Lösung von humanitären Problemen interessiert, darunter an der Heimkehr der Flüchtlinge und Zwangsumsiedler. Die humanitären Aktivitäten werden aber von den Handlungen Georgiens gehindert, das jedes Jahr in UN-Vollversammlungen einseitig Initiativen zur Verabschiedung einer Resolution über Flüchtlinge und Zwangsumsiedler einbringt.
Wir sind bereit, darüber in der UNO zu sprechen, allerdings unter Beteiligung Abchasiens und Südossetiens, denn ausgerechnet an sie sind die Forderungen in dem Resolutionsentwurf gerichtet sind, die die georgische Seite in der UNO voranbringt. Die Vertreter Abchasiens und Südossetiens können daran aber nicht teilnehmen, weil unsere amerikanischen Kollegen ihnen keine Einreisevisa ausstellen, obwohl Vertreter des nichtanerkannten Kosovos nicht nur mit Visa versorgt werden, sondern auch auf dem Territorium der UNO besonders begünstigt werden. Da sind die Doppelstandards offensichtlich.
Neben den Genfer Gesprächen pflegen wir auch bilaterale Beziehungen mit Georgien, die allmählich wiederbelebt werden. Die Kontakte werden von den Behörden wieder angeknüpft, die sich mit Problemen der Pflanzengesundheitszertifizierung befassen. Wir freuen uns unter anderem darüber, dass der Handel mit Getränken und Lebensmitteln wiederaufgenommen worden ist.
Sie haben vollkommen richtig gesagt, dass auch Gazprom an den Verhandlungen mit der georgischen Seite beteiligt ist. Ich glaube nicht, dass diese Gespräche scheitern könnten: Das ist immerhin ein pragmatischer Prozess, der den Interessen beider Seiten entspricht. Auch für Armenien ist das günstig. Deshalb sollen meines Erachtens die Unternehmen und die zuständigen Behörden beider Länder diese Frage regeln. Ich bin überzeugt, dass sie eine Lösung finden.
Wir taten und tun unser Bestes, um die humanitären Kontakte zu erleichtern - selbst als wir auf die visafreie Reiseordnung verzichten und die Visapflicht verschärfen mussten (großenteils weil die Terrorgefahr im Pankissi-Tal nach wie vor akut bleibt). Übrigens wird auch jetzt manchmal darüber berichtet, dass die IS-Kämpfer dieses schwer zugängliche Territorium für Übungen und Erholung nutzen. In letzter Zeit können wir feststellen, dass unsere Kontakte bei der Erleichterung der Visapflicht allmählich wieder normal werden, wenn Geschäfts-, Arbeits-, Studentenvisa usw. unabhängig von gewissen Bedingungen ausgestellt werden. Selbst für ein privates Visum ist eine Einladung nicht unbedingt nötig, auch wenn es sich nicht um Verwandte handelt: Ein Freund von Ihnen kann Sie einladen, und Ihnen wird das Visum ausgestellt. Wir wären auch bereit, künftig die Visapflicht wieder abzuschaffen. Es wäre aber merkwürdig, wenn das in der Zeit besprochen würde, wenn wir keine diplomatischen Beziehungen pflegen, die allerdings, wie gesagt, nicht von uns unterbrochen wurden.
Ich betone, dass wir in der letzten Zeit ebenfalls viele Probleme auf gegenseitiger Grundlage lösen konnten, die die Registrierung der Rechte auf diplomatische Immobilien Georgiens in Moskau und Russlands in Tiflis betrifft. Das ist ebenfalls eine positive Bewegung. Es gibt auch ein Kanal, in dem jede Frage besprochen werden können – das „Karassin-Abaschidse“-Format. Sie keinen einander sehr gut, haben Vertrauensbeziehungen, wobei jede Fragen besprochen werden können. Ich bin übrigens zu Kontakten mit meinem georgischen Kollegen offen. Ich bin davon überzeugt, dass auch andere Kontakte möglich sind. Russlands Präsident Wladimir Putin, als er danach gefragt wurde, schloss solche Möglichkeit nicht aus, falls es dazu Gelegenheit geben würde.
Frage: Ich möchte eine Frage stellen, die die Beziehungen zwischen Russland und Japan betreffen. Japans Premier Shinzo Abe sagte, dass Tokio Beziehungen mit Russland aufbauen, verschiedene Aufgaben lösen wolle, mit denen die Welt konfrontiere. Welche Möglichkeiten und Aussichten sehen Sie in dieser Richtung?
Ernsthafte Auseinandersetzungen bleiben bei dem territorialen Problem. Die japanische Seite meint, dass die Abschließung des Friedensvertrags ein Synonym für die Lösung einer territorialen Frage sei. Die russische Seite meint, dass dieses Problem geschlossen sei.
Sergej Lawrow: Wir sind an engsten und guten Beziehungen mit Japan interessiert. Das ist unser wichtiger Nachbar, mit dem wir ein breites System der handelswirtschaftlichen, humanitären, kulturellen Verbindungen, viele Pläne haben. Japanische Unternehmen arbeiten aktiv auf unserem Markt im Bereich Erschließung der Verarbeitung von Kohlenwasserstoffen, Automobilbau, anderen High-Tech-Branchen. Wir wollen, dass diese Projekte im Interesse unserer beiden Länder und Völker sich mehren.
Es gibt eine Vereinbarung zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem Premier Japans Shinzo Abe, dass es unter den zu besprechenden Fragen unbedingt die Frage des Friedensvertrags präsent bleibt. Wir denken nicht, dass der Friedensvertrag ein Synonym für die Lösung des territorialen Problems ist. Das ist ein Schritt, der dazu notwendig ist, damit die Beziehungen zwischen den beiden Ländern normal nicht nur nach ihrem Wesen, sondern auch nach der juridischen Gestaltung werden. Ich erinnere daran, dass das einzige Dokument, das von beiden Ländern 1956 unterzeichnet und ratifiziert wurde, die so genannte Erklärung, die Unterzeichnung des Friedensabkommens in den Vordergrund unabhängig davon stellt, wie die Vereinbarung zu den Inseln erreicht wird. Dort steht – zuerst der Friedensvertrag und dann vielleicht nicht die Rückkehr sondern die Übergabe durch die Sowjetunion als Geste des guten Willens der zwei südlichen Inseln an Japan. Ich wiederhole – diese Erklärung ging vor allem aus der Hauptthese aus – sie stellte die Anerkennung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs durch die Sowjetunion und Japan fest. Ohne Bestätigung dieser Position und Anerkennung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs, wie sie im UN-Statut festgeschrieben sind, ist es beinahe unmöglich, weiter zu gehen. Unsere japanischen Kollegen wissen das. Auf Auftrag des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, und des Premiers Japans hielten wir im vergangenen Jahr im Rahmen der Verhandlungsrunde zum Friedensvertrag eine spezielle Diskussion ab, die den historischen Aspekten des Problems des Friedensvertrags gewidmet war. Bei diesen historischen Aspekten sollen wir zu einer gemeinsamen Schlussfolgerung kommen. Wir bitten nur eins – Japan, wie alle anderen Länder, die den UN-Statut unterzeichneten und ratifizierten, sollte sagen, dass es dem UN-Statut in allen seinen Teilen zustimmen, darunter Artikel 107, wo es steht, dass die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs nicht revidiert werden dürfen. Ich denke nicht, dass es zu hohe Forderungen sind. Japan ratifizierte dieses Dokument.
Dennoch sind wir bereit und werden weiter den Dialog führen. Eine weitere Runde findet bereits im Februar auf der Ebene der stellvertretenden Außenminister statt. Wir werden die Fragen erörtern, die die japanische Seite stellen wird, wir weichen uns den Fragen nicht aus. Ich wiederhole, dass der historische Aspekt, vor allem die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs, ein Teil des Dialogs ist, der nicht umgangen bzw. verschoben werden kann. Wir werden immer auf dieses Problem stoßen, unsere japanischen Kollegen wissen das.
Russlands Präsident und Japans Premier (Vorgänger von Sindzo Abe und er selbst) stellten mehrmals fest, dass für die Lösung der Frage über den Friedensvertrag unser Zusammenwirken in allen Bereichen ohne Ausnahmen ausgebaut werden soll – handelswirtschaftlicher, humanitärer, kultureller Bereich und internationale Angelegenheiten.
Ich sprach bereits über den handelswirtschaftlichen Bereich. Das japanische Geschäft überholt übrigens die Politik. Wenn einige japanische Politiker sagen – falls der Friedensvertrag geschlossen und das territoriale Problem gelöst wird, wird auch das japanische Geschäft in die russische Wirtschaft gehen, und falls dies nicht geschieht, wird das japanische Geschäft vorsichtig vorgehen. Wir spüren jedoch nicht, dass das japanische Geschäft vorsichtig vorgeht. Vielleicht wird versucht, ihn abzuhalten. Vielleicht kann man viel mehr im Bereich der handelswirtschaftlichen und Investitionskooperation machen. Das Geschäft wartet im Ganzen nicht auf irgendwelche politische Signale, sondern funktioniert aktiv. Wir begrüßen das. Ich bin davon überzeugt, dass je enger solches Zusammenwirken ist, desto einfacher es sein wird, jede Fragen zu erörtern und zu lösen.
Wir schlugen der japanischen Regierung mehrmals vor, die Idee eines breiten Zugangs des japanischen Geschäfts auf diese Inseln zu unterstützen. Wir schlugen vor, dort ein spezielles Regime zu schaffen, eine freie Wirtschaftszone. Dort gibt es viele Varianten, die ermöglichen würden, auf diesen Inseln gemeinsam zu arbeiten, ohne auf eine völlige endgültige Lösung des Problems des Friedensvertrags zu warten. Das widerspiegelt in vielen Hinsichten nicht das Wesen, sondern die Form, weil wir de facto mit unseren japanischen Nachbarn in Frieden und Kooperation leben, also man spürt nicht das Fehlen des Friedensvertrags. Wir sind kein feindseliger Staat, obwohl das Fehlen eines Friedensvertrags technisch so gedeutet werden kann, dass wir immer noch ein feindseliger Staat sind. Das stimmt nicht. Doch natürlich wäre es gut, ihn abzuschließen.
Humanitäre Verbindungen entwickeln sich sehr gut. Jedes Jahr finden in Japan die Festivals der russischen Kultur statt, zu ihrer Eröffnung reist der Vorsitzende der russischen Staatsuma, Sergej Naryschkin. Das geschieht auch 2016. Unser Publikum wartet immer auf japanische Gruppen. Damit wir die Vereinbarung unserer Anführer erfüllen und die Beziehungen in einem qualitativ neuen Ausmaß in allen Richtungen entwickeln, darunter internationale Tätigkeit, wollen wir enger bei außenpolitischen Angelegenheiten kooperieren und ein mehr selbstständiges Japan sehen, zumal es beansprucht die Rolle des ständigen Mitglieds des UN-Sicherheitsrats. Wir nehmen diesen Wunsch mit Verständnis wahr. Wir möchten, dass die Länder, die ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats sein wollen, ein zusätzliches Element des Gleichgewichts mit sich bringen. Wenn jemand zu 100 Prozent gleiche Position wie die USA hat, wird anscheinend nicht viel Gleichgewicht dem politischen Prozess hinzugefügt. Wir sind im Prinzip dafür, dass jede Seite (Russlands Präsident Wladimir Putin sprach darüber ausführlich in Bezug auf die Europäische Union) in der internationalen Arena selbstständig ist und sich nach eigenen nationalen Interessen richtet. Das ist nicht die Isolierung und nicht die Selbstisolierung, sondern das Folgen dem Völkerrecht, damit man mit Stützung auf das Völkerrecht Entscheidungen trifft, die die Interessen des eigenen Staates und Volkes und nicht den Druck widerspiegeln, damit man auf eigenen Gewinn verzichtet und das macht, was andere wollen.
Ich hoffe, dass wir dazu kommen werden, obwohl die diplomatische Kultur der modernen Welt in der Zeit geschaffen wurde, als der historische Westen seit Jahrhunderten dominierte. Es ist sehr schwer, sich von diesen Gewohnheiten zu befreien. Ich hoffe, dass diese Zeit nicht weit weg ist.
Frage: In einem Jahr läuft die Amtszeit des US-Präsidenten Barack Obama ab. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines richtigen „Neustarts“ in den russisch-amerikanischen Beziehungen in diesem Jahr?
Sergej Lawrow: Diese Frage sollten Sie nicht an uns stellen. Unsere zwischenstaatlichen Beziehungen sind auf ein sehr niedriges Niveau geschrumpft, wenn man die hervorragenden persönlichen Beziehungen zwischen dem früheren US-Präsidenten George W. Bush und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bedenkt. Als Präsident Obama ins Weiße Haus einzog und die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton den „Neustart“ initiierte, war das ein Zeichen dafür, dass die Amerikaner es einsahen, dass eine Situation, in der Russland und die USA nicht an der Lösung von Problemen, die ohne sie nicht gelöst werden können, nicht normal war. Das war eine Zeit, die damals nicht normal zu sein schien. Wir waren durchaus positiv gegenüber dem „Neustart“ eingestellt und sagten, dass wir die Entscheidung der neuen US-Administration, die Fehler ihrer Vorgänger zu korrigieren, hoch zu schätzen wissen. Dabei wurden einige wichtige Fortschritte gemacht: Es wurde ein neuer START-Vertrag abgeschlossen, Russland trat der WTO bei, über diverse Konfliktsituationen wurden wichtige Entscheidungen getroffen. Aber bald wurde aus all dem nichts. Jetzt hören wir oft, auch von unseren amerikanischen Kollegen: „Lasst uns die Minsker Vereinbarungen bezüglich der Ukraine umsetzen, und alles wird sofort wieder in Ordnung. Dann schaffen wir im Laufe nur einer Stunde die Sanktionen ab, und zwischen Russland und den USA werden sich attraktive Kooperationsperspektiven über viel angenehmere Fragen als die Krisenregelung eröffnen. Dann wird auch ein konstruktives Partnerprogramm entstehen.“
Wir sind offen für das Zusammenwirken mit allen Seiten – auf gleichberechtigter und beiderseitig nützlicher Basis. Natürlich wollen wir nicht, dass jemand seine Politik ausübt, indem er davon ausgeht, dass Russland und nicht die Ukraine die Minsker Vereinbarungen umsetzen müsste. Darin steht geschrieben, wer sie umzusetzen hat. Hoffentlich weiß man das in den USA – jedenfalls zeugen meine jüngsten Kontakte mit US-Außenminister John Kerry und die Kontakte der US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland mit dem russischen Präsidentenassistenten Wladislaw Surkow davon, dass sich die USA in den Minsker Vereinbarungen gut auskennen. Im Grunde verstehen sie alles. Dass die westlichen Sanktionen verlängert werden, wird in Kiew als Zustimmung des Westens der Tatsache wahrgenommen, dass Kiew die Minsker Vereinbarungen nicht erfüllt. Das ist die absolute Feststellung davon, was in der ukrainischen Macht derzeit vorgeht. Wozu brauchen sie denn, diese Vereinbarungen zu erfüllen, wenn der Westen es akzeptiert, dass Kiew sie nicht umsetzt?
Ich habe eben ein Beispiel angeführt, das beweist, dass man im Grunde bereits begonnen hat, uns den neuen „Neustart“ zu bieten: Wir setzen die Minsker Vereinbarungen um, alles werde auf einmal prima, so schön, aussichtsreich und attraktiv.
Die Abkühlung unserer Beziehungen mit der Administration des Präsidenten Obama und das Ende der Zeit, die als „Neustart“ bezeichnet wurde, begann noch lange vor dem Ausbruch der Ukraine-Krise. Ich darf daran erinnern, was passiert ist. Als unsere westlichen Partner endlich die für Russland akzeptablen Bedingungen unseres WTO-Beitritts akzeptierten, sahen die Amerikaner ein, dass das Jackson-Vanik-Amendment ihren Interessen widersprach, denn sonst würden sie die Privilegien und Vergünstigungen verlieren, die mit unserer WTO-Mitgliedschaft verbunden wären, und beschlossen, es abzuschaffen. Aber sie wären keine Amerikaner gewesen, wenn sie es einfach abgeschafft und gesagt hätten: „Okay, jetzt lasst uns normal zusammenwirken“. Sie haben das so genannte Magnitski-Gesetz ausgedacht, obwohl ich mir sicher bin, dass der Schlusspunkt in der Geschichte um Sergej Magnitski noch nicht gesetzt worden ist. Ich hoffe sehr, dass die Wahrheit allgemein bekannt wird. Dennoch wurde das gemacht, und Sie wissen, wer dieses Gesetz lobbyierte. Das Magnitski-Gesetz löste quasi die Jackson-Vanik-Klausel ab. Das begann, als es noch keine Ukraine-Krise gab, obwohl man jetzt versucht, uns eine Verletzung ausgerechnet der OSZE-Prinzipien vorzuwerfen. Was zwischen dem Westen und Russland passiert, wird dadurch erklärt, dass Russland seine Verpflichtungen nicht erfüllt hätte, dass es die in Europa nach der Unterzeichnung der Helsinki-Schlussakte entstandene Weltordnung nicht respektieren würde usw. Das sind alles Versuche, die eigene Eindämmungspolitik zu rechtfertigen. Aber diese Politik wurde ja nie eingestellt.
Der Verabschiedung des Magnitski-Gesetzes folgte die absolut unangebrachte Reaktion auf die Situation um Edward Snowden, der nach Russland wider unseren Willen gekommen war. Wir wussten davon nichts, er hatte keinen Pass, denn sein Dokument wurde annulliert, während er sich in der Luft befand. Er konnte aus Russland nirgendwohin ausreisen – wegen der in Washington gefassten Beschlüsse. Wir mussten ihm die Möglichkeit geben, in Russland zu bleiben, damit er in Sicherheit bleiben konnte, denn wir wussten, welche Strafe ihm sonst drohen würde – die Amerikaner machten immerhin kein Hehl daraus. Das wurde also nur getan, um das natürlichste Recht eines Menschen auf Leben zu wahren.
Präsident Obama sagte seinen Russland-Besuch ab, es wurde ein Riesenskandal ausgelöst, wobei es Dutzende Telefonanrufe seitens der Führung der FBI, der CIA, des US-Außenministeriums gab, wie auch direkte Kontakte der Präsidenten. Man sagte uns, die gegenseitigen Beziehungen würden sehr leiden, falls wir Snowden nicht ausweisen. Die USA sagten den Besuch ab, aber Präsident Obama kam zu einem G20-Gipfel nach St. Petersburg, wo wir übrigens eine wichtige Vereinbarung getroffen haben, und zwar über die Prinzipien der chemischen Abrüstung Syriens.
Die Situation in der Ukraine war ein weiterer Vorwand. Mit der Ukraine-Krise ist weniger die gerechte Empörung über die angebliche Verletzung der Helsinki-Prinzipien durch Russland verbunden (obwohl alles noch im Kosovo begonnen hatte, als Jugoslawien bombardiert wurde, usw.), als die Verärgerung darüber, dass der Machtsturz nicht zu den Ergebnissen geführt hatte, mit denen diejenigen, die ihn unterstützten, gerechnet hatten. Ehrlich gesagt, zeigen wir uns keineswegs verletzt. Wir haben keine solchen Traditionen in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Wir verstehen, dass das Leben viel härter als jegliche ideale, romantische Schemata wie „Neustart“ oder sonst was sein kann. Wir verstehen auch, dass in der Welt, in der es manchmal zu Interessenkonflikten kommt, die Ära der totalen westlichen Dominanz zu Ende geht, so dass eine lange Übergangszeit zu einem stabileren System begonnen hat, in dem es nicht einen einzigen oder sogar nicht nur zwei Pole, sondern mehrere geben wird.
Diese Übergangszeit wird lange dauern und schmerzhaft sein, denn es ist immerhin schwer, alte Gewohnheiten aufzugeben. Das alles verstehen wir. Wir verstehen, dass die USA daran interessiert sind, möglichst wenige Konkurrenten zu haben, die mit ihnen nach der Größe, Einflusskraft, Militärkraft und Wirtschaft wären. Das ist an den Beziehungen zwischen den USA und China, zwischen den USA und der Europäischen Union zu sehen, die sie in die Transatlantische Partnerschaft einziehen wollen. Zudem wollen sie östlich von Russland die Transpazifische Partnerschaft bilden, an der sich Russland und China nicht beteiligen würden. Darüber sprach Präsident Wladimir Putin ausführlich, als er die aktuellen Prozesse in der Weltwirtschaft und Weltpolitik analysierte. Das alles verstehen wir. In jeder Epoche gibt es wohl neue Tendenzen, neue Stimmungen in diesen oder jenen Eliten, besonders in großen Ländern, die die Wege zur Verteidigung ihrer Interessen auf ihre Art sehen. Es wäre schlecht und schädlich für uns alle, wenn all diese Prozesse die allgemein anerkannten Völkerrechtsnormen verletzen würden. Dann würde, flapsig ausgedrückt, ein Durcheinander entstehen, so dass wir in Anarchie und im Chaos versinken würden – genauso wie das gerade im Nahen Osten passiert, allerdings wohl ohne Blutvergießen. Jeder würde das tun, was er für nötig hält, doch daraus würde nichts Positives entstehen. Es ist sehr wichtig, die einheitlichen Spielregeln einzuhalten. Zurück zu Ihrer Frage: Ich möchte sehr, dass die USA einen „Neustart“ mit der ganzen Welt einleiten, damit sich alle versammeln und ihre Treue der UN-Charta und den darin verankerten Prinzipien bestätigen, darunter die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten souveräner Staaten, den Respekt für die territoriale Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Recht der Völker, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden.
Wir haben bereits ein Beispiel angeführt: Mitte der 1930er-Jahre einigten sich die Sowjetunion und die USA auf die diplomatischen Beziehungen. Die Amerikaner bestanden darauf, dass dies durch den Austausch offizieller Schreiben durch die Außenminister erfolgt. Auf Verlangen der USA wurde darin die gegenseitige Verpflichtung festgeschrieben, sich in innere Angelegenheiten des Partners nicht einzumischen, seine politische Ordnung und sein Wirtschaftssystem nicht zu ruinieren. Das verlangten die USA von der Sowjetunion in den 1930er-Jahren. Der Austausch dieser Briefe fand statt. Diese Briefe sind sogar auf der Website unseres Außenministeriums zu finden.
Vor einiger Zeit riefen wir die Amerikaner auf, diese Prinzipien in unseren Beziehungen abermals zu bestätigen, doch sie verweigerten die Antwort darauf. Wie gesagt, ein solcher „Neustart“ wäre durchaus angebracht.
Frage: Wie könnten Sie die Beziehungen zwischen Russland und Großbritannien bezeichnen, nachdem Ermittlungen ergeben haben, dass der russische Geheimdienst FSB mit der Vergiftung Alexander Litwinenkos in Verbindung gestanden hatte?
Sergej Lawrow: Sie sind immerhin Medienvertreter und sollten Ihre Fragen vorsichtiger formulieren. Sie fragen, wenn ich Sie Englisch richtig verstanden habe, wie sich die Beziehungen zwischen Russland und Großbritannien angesichts des Umstand entwickeln, dass die Ermittlung ergeben hat, dass der FSB mit der Vergiftung Alexander Litwinenkos etwas zu tun hat.
Sie sind allerdings noch viel weiter gegangen als der Richter des Königlichen Gerichts von London, Robert Owen, denn als er sein Urteil vorlas, äußerte er keine einzige Beschuldigung, ohne Wörter wie „möglicherweise“, „wahrscheinlich“, „offenbar“ hinzuzufügen. Meines Erachtens sollten die Medien wenigstens das vorsichtiger ausdrücken, was Vertreter Ihrer Justiz sagen.
In der Rede Herr Owens gab es viele Begriffe wie „wahrscheinlich“ oder „möglicherweise“. Er sagte sogar, der Fall stütze sich auf gewichtige indirekte Beweise („strong substantial case“). Aus meiner Sicht ist das beispiellos für die Gerichtspraxis – jedenfalls für einen Fall, der als unvoreingenommene und objektive Ermittlung dargestellt wird. Allerdings wurden gegen die höchste russische Führung sehr ernsthafte Vorwürfe geäußert, wobei aber absolut keine Beweise angeführt wurden. Alle Schlussfolgerungen stützen sich auf Aussagen gewisser willkürlich gewählten Augenzeugen, die kaum objektiv waren, wie beispielsweise auf die von Herrn Alexander Goldfarb, dem selbst in England viele misstrauen. Noch wurden irgendwelche streng vertrauliche Aussagen angeführt, wobei es unbekannt ist, wer sie gemacht hatte.
Als die Coroner-Ermittlung 2011 begann, stützte man sich dabei ausschließlich auf Fakten und nicht auf Vermutungen. Das russische Ermittlungskomitee förderte diese Ermittlung. Das alles passierte, bis sie 2014 eingestellt wurde. Damit wurde der Prozess unterbrochen, der sich auf Fakten gestützt hatte und an dem sich das Ermittlungskomitee vollwertig beteiligen konnte. Möglicherweise wurde er ausgerechnet deshalb eingestellt und stattdessen die so genannte „öffentliche Ermittlung“ aufgenommen. „Öffentlich“ ist dabei aber ein täuschender Begriff, denn, wie ich verstanden habe, können dabei alle wichtigsten Komponenten vertraulich gemacht werden. So ist das auch.
Dabei stimmen mit der Version des Richters Owen so viele Fakten nicht überein, dass es überhaupt merkwürdig ist, dass davon ernsthafte Medien geschweige denn Politiker sprechen. Politiker sind nun einmal Politiker, und wir haben gehört, was der britische Premier David Cameron und auch andere Mitglieder seines Kabinetts sagten. Besonders merkwürdig fand ich, dass Herr Cameron sagte, er sei schockiert, weil die Ermittlung das bestätigt hätte, was er von Anfang an gewusst hätte.
Das erinnerte mich daran, was unsere amerikanischen Kollegen über den Absturz der malaysischen Boeing in der Ukraine sagten, als sie behaupteten, sie würden auf den endgültigen Bericht des zuständigen niederländischen Ermittlungskomitees warten, obwohl sie „auch ohnehin wissen, wer dafür verantwortlich ist“. Im Fall Boeing und im Fall Litwinenko lässt sich dieselbe Logik beobachten. Warum wurden die Ergebnisse der Autopsie des Leichnams verheimlicht? Warum wurde die Forderung der ersten Gattin, des Bruders und des Vaters von Litwinenko ignoriert, seinen Leichnam zu exhumieren und eine neue Autopsie vorzunehmen? Warum wurde das nicht gemacht? Ähnliche Fragen hatten und haben wir auch bezüglich des Falls Boeing. Darauf hatten aber weder die britische Justiz noch die niederländischen Ermittler Antworten. Dabei ist allgemein bekannt (und die Ermittlung bestreitet das nicht), dass Andrej Lugowoi zum Treffen mit Alexander Litwinenko, während dessen er ihn angeblich vergiftete, mit seinem Sohn gekommen war. Es wurde aber nicht erläutert, wie man die Gesundheit seiner eigenen Kinder gefährden könnte. Ich will jetzt nicht einmal über die Aussagen von Personen (aus dem Umfeld Boris Beresowskis) sprechen, von denen es jetzt in den Medien wimmelt, die äußerst interessante Dinge erzählen, die von der Ermittlung jedoch völlig ignoriert wurden. Und schon gar nicht will ich jetzt darüber reden, dass wir nicht wissen (und wohl auch nie erfahren werden), wie Boris Beresowski selbst gestorben ist, wie auch der Besitzer einer Bar und eines Restaurants, David West, und vieles andere. Ich denke, wenn sich mit der Analyse all dieser Fakten und der jüngsten Aussagen der britischen Regierung ein hochqualifizierter Jurist beschäftigen würde, dann könnte er sie zur Verantwortung für Verleumdung heranziehen. Dafür gibt es ja reichlich Stoff.
Sie haben mich über die Perspektiven der russisch-britischen Beziehungen gefragt. Wir möchten ebenfalls, dass in Großbritannien die immer öfteren Todesfälle russischer Staatsbürger objektiv ermittelt werden, die nicht nur in zehn Jahren, sondern schon wenige Monate danach in Vergessenheit geraten und über die nichts berichtet wird.
Ich kann nur dem zustimmen, was das britische Außenministerium gesagt hat: „Der Fall Litwinenko wird unsere bilateralen Beziehungen nur noch mehr belasten“. Ich würde aber sagen, nicht der Fall Litwinenko, sondern das ganze Theater um den Fall Litwinenko. Und dabei werden sich unsere Beziehungen ohne jegliche „möglicherweise“, „wahrscheinlich“ oder „vielleicht“ anspannen. Sie spannen sich bestimmt an.
Frage: Sie sagten, im georgischen Pankissi-Tal würden IS-Kämpfer trainieren und sich erholen. Das passiert nahe Ihrer Staatsgrenze, und zwar in der Nähe von Tschetschenien. Welche Rolle spielt dabei Tschetschenien? Welche Rolle spielt dabei das Oberhaupt der Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow? Was könnte man aus Ihrer Sicht dagegen unternehmen? Ich nehme Ihre Worte sehr ernst. Wenn das wahr ist, dann ist das sehr ernst.
Sie erwähnen ständig einen gewissen Dmitri Jarosch. Spielt er irgendeine Rolle in der ukrainischen Regierung? Er hatte nie etwas mit der Exekutive zu tun, er ist ein Nobody. Wie kann man aber in einem solchen Fall die Aussagen Ihrer Politiker zu den Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine ernst nehmen – der Personen, die bei Präsidentschaftswahlen zwei Prozent der Stimmen erhalten? Warum muss Jarosch das Maß Ihrer Beziehungen mit der Ukraine sein?
Am 28. März erklärte die UNO, Russland hätte die Krim annektiert. Sind Sie bereit, mit der Ukraine über die Rückgabe der Krim zu sprechen?
Sergej Lawrow: Machen Sie sich keine Sorgen, ich beantworte alles. Was das Pankissi-Tal angeht, so gibt es Informationen, dass der IS nicht nur in Afghanistan und anderen zentralasiatischen Ländern, sondern auch im Pankissi-Tal Fuß fassen will. Es wurden mehrere Fälle registriert, wenn Terroristen festgenommen wurden. Laut unseren Informationen waren sie mit dem IS verbunden. Diese Einsätze werden streng vertraulich vorbereitet und durchgeführt. Wenn sie durchgeführt werden, wird die Öffentlichkeit darüber informiert. Das können Sie regelmäßig aus Fernsehreportagen und anderen Medienberichten erfahren. Das ist unser gemeinsames Unglück. IS-Ableger gibt es in sehr vielen Ländern Europas. Die jüngsten Anschläge, darunter in Paris, wurden auch von IS-Anhängern verübt. Auch für die Anschläge an der Pazifikküste der USA hat der IS die Verantwortung übernommen. Deshalb müsste man wohl alle möglichen Ressourcen einsetzen, ohne zu warten, bis jemand sagt: „Lasst uns den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad beseitigen, und dann werden wir dem kollektiven Kampf gegen den IS zustimmen.“ Wir kennen ja diese Doppelstandards.
In der von den USA angeführten Koalition, an der sich auch Spanien beteiligt, gibt es gleich mehrere Länder, deren Staatsbürger mit dem IS verbunden sind. In Bezug auf das Pankissi-Tal habe ich gesagt, dass es Informationen über die Anwesenheit von IS-Kämpfern dort gibt. Wenn wir gegen sie nicht gemeinsam kämpfen, dann kann sich niemand vor ihnen retten.
Derzeit haben wir einen zuverlässigen Schutz, und jegliche Erscheinungen, die in Russland zu beobachten sind, werden rechtzeitig unterbunden. Hoffentlich werden unsere Kooperationsaufrufe nicht ignoriert, und die von den USA angeführte Koalition führt entsprechende Arbeit in ihren Reihen durch und diejenigen, die im Rahmen des Kampfes gegen den IS und andere Terroristen nicht besonders gewissenhaft kooperiert, entdeckt.
Was Dmitri Jarosch und Ihre Behauptung, er wäre ein „marginaler Politiker“, angeht, dessen Handlungen und Worte nicht ernst genommen werden dürften, so stimmt das nicht ganz. Jarosch und sein „Rechter Sektor“ waren eine der stärksten, wenn nicht die stärkste Antriebskraft des „Maidans“, und zwar nicht des „friedlichen“, sondern des „gewaltsamen Maidans“, der die Aufgabe hatte, Blutvergießen zu provozieren und unter diesem Vorwand den Machtwechsel voranzubringen. Wenn Sie sich Medienberichte zwischen November 2013 und März 2014 einmal ansehen, dann bemerken Sie, dass Jarosch alles andere als „marginaler Politiker“ in der Ukraine war. Jedenfalls war ausgerechnet er für die Zusammensetzung des so genannten „Freundschaftszugs“ in Richtung Krim zuständig. Er war durchaus populär und wurde oft zitiert. Noch mehr als das: Er ist derzeit Abgeordneter der Obersten Rada, und dabei ist er gar nicht einsam. Erst vor kurzem wurden neue Informationen darüber bekannt, was die Partei „Swoboda“ („Freiheit“) von Oleg Tjagnibok in Wahrheit ist, der Mitglied der Oppositionskoalition gewesen war und dasselbe Dokument wie der damalige Präsident Viktor Janukowitsch unterzeichnet hatte, unter dem auch die Unterschriften unserer Kollegen aus Europa, nämlich aus Deutschland, Frankreich und Polen stehen. (Das Dokument wurde von Tjagnibok, Arsseni Jazenjuk und Vitali Klitschko unterzeichnet.) Zu diesem Zeitpunkt war Tjagnibok schon als Führer der Partei bekannt, die im Dezember 2012 ins ukrainische Parlament gewählt worden war und für ein Riesenaufsehen in Europa gesorgt hatte. Die EU verabschiedete sogar eine besondere Erklärung, der zufolge die Ukrainer diese neonazistische politische Kraft aus dem Parlament verdrängen sollten (ähnlich hatte die EU 2000 darauf bestanden, dass der in Österreich erfolgreiche Jörg Haider sich aus der Politik verabschiedet.) In Österreich hat die EU das geschafft, in der Ukraine aber nicht.
Noch mehr als das: Nachdem die EU im Dezember 2012 die neonazistische Partei „Swoboda“ so charakterisiert und festgestellt hatte, man dürfte mit ihr keine gemeinsamen Geschäfte machen, befürwortete die EU ein paar Jahre später die Vereinbarungen unter Beteiligung Tjagniboks, und das französische Außenministerium sagte überhaupt, die Partei „Swoboda“ wäre „nur etwas rechter“ als der Mainstream, obwohl in ihren Gründungsdokumenten Hitlers Aussagen in Bezug auf die neue Ordnung in Europa sowie die Aussagen der ukrainischen Nationalisten zitiert wurden, die im Juni bzw. Juli 1941 Hitler die Treue schworen. So sind nun einmal die ukrainischen „Marginalen“, die, wie Sie behaupten, die ukrainische Politik kaum beeinflussen.
Was die Krim angeht, so gibt es nichts, was zurückgegeben werden könnte. Wir führen keine Verhandlungen über die Rückgabe der Krim. Die Krim ist das Territorium der Russischen Föderation – voll und ganz in Übereinstimmung mit der Willensäußerung aller Völker der Krim, auch der, die keine Rechte unter der ukrainischen Macht hatten und diese Rechte, darunter ihre Staatssprache, jetzt erhalten haben, als sich die Krim Russland anschloss – nach einem Referendum, dessen Ergebnisse Ihnen gut bekannt sind.
Man kann natürlich der Logik folgen, die unsere ukrainischen Kollegen voranbringen, indem sie behaupten, sie würden „in diesem Jahr die Donbass-Region erobern und nächstes Jahr die Krim zurückerobern“. Aber in Wahrheit müssten sie über die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen sprechen, denen zufolge die Donbass-Region Teil der Ukraine bleiben soll, allerdings mit Elementen der Dezentralisierung. Doch die Oberste Rada kann nicht das erfüllen, was der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vereinbart hat.
Was die Krim angeht, so sollte man lieber dorthin reisen anstatt sich an den Aussagen von irgendjemand zu orientieren. Viele Journalisten und europäische Politiker – Spanier, Franzosen, Italiener, Tschechen, EU-Parlamentarier – haben die Krim bereits besucht. Vor kurzem traf ich mich mit einer Gruppe von französischen Parlamentariern, die erst vor kurzem von der Krim zurückgekehrt waren. Es ist besser, die wahre Situation mit eigenen Augen zu sehen. Dann würden sich wohl auch die Leser dafür mehr interessierten, wie diese oder jene Medien die Ereignisse in der Republik Krim beschreiben, die Teil der Russischen Föderation ist.
Frage: Herr Lawrow, wie schätzen Sie die Entwicklung der russisch-chinesischen Beziehungen ein? Wie sind die Aussichten für das Jahr 2016?
Am 8. Februar wird das chinesische Neujahr gefeiert. Das ist ein sehr wichtiges Fest für China und Chinesen. Könnten Sie dem chinesischen Volk gratulieren?
Sergej Lawrow: Wir geben regelmäßig Einschätzung der russisch-chinesischen Beziehungen ein, weil wir viele Kontakte haben. Jedes Jahr gibt es einige Treffen auf der höchsten Ebene, einige Treffen der Regierungschefs im Rahmen der speziellen Besuche und verschiedener Veranstaltungen, ob die UN-Vollversammlung, G20, SOZ, BRICS, andere Formate. Das vergangene Jahr war keine Ausnahme. Am 9. Mai gab es den Besuch des Staatschefs Chinas Xi Jinping anlässlich des 70. Jahrestags des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg, am 3. September besuchte Russlands Präsident Wladimir Putin China zum Feiern des 70. Jahrestags des Endes im Zweiten Weltkrieg im Pazifischen Ozean und dem Sieg des chinesischen Volkes im Befreiungskrieg, es gab auch andere Kontakte.
Unsere Beziehungen sind die besten in der ganzen Geschichte zwischen unseren Ländern und Völkern. Wir haben eine strategische Partnerschaft, umfassendes Zusammenwirken, das sich auf dem Vertrag über gute Nachbarschaft, Freundschaft und Kooperation von 2001 stützt. Seit ersten Tagen in der Amtszeit des Präsidenten Russlands widmete Wladimir Putin eine große Aufmerksamkeit der Entwicklung von tiefen, umfangreichen Beziehungen zu unserem großen Nachbar. Wir haben mit niemandem noch so ein verbreitetes Netz der Kooperationsmechanismen – Gipfel, Treffen der Regierungschefs, vier Kommissionen, die der Arbeit in verschiedenen Richtungen gewidmet sind – Investitions-, handelswirtschaftliche, humanitäre Kooperation, die von Vizepremiers geleiteten Arbeitsgruppen. Die ganze Arbeit erfolgt systematisch und ermöglicht beeindruckende Ergebnisse.
Die jetzige Wirtschaftskrise beeinflusst natürlich den finanziellen Umfang, doch der physische Umfang sinkt nicht, sondern steigt im Handel mit China. Wir haben sehr viele Pläne neben der Energie, gemeinsame Kohlenwasserstoff-Projekte, High-Tech-Projekte. Das ist die Atomenergie, der Weltraum, moderne Fortschrittskooperation im Bereich Flugzeugbau und vieles andere.
Ich betone ebenfalls, dass das Zusammenwirken Russlands und Chinas in der internationalen Arena sehr eng, partnerschaftsbezogen und wohl einer der wichtigsten Faktoren ist, der die Stabilität bei internationalen Angelegenheiten trotz aller Erschütterungen fördert. Die Grundlage unserer Kooperation bilden das Völkerrecht und sein bedingungsloses Respektieren, Respektieren der führenden Rolle der UNO, Nichtzulässigkeit der Einmischung in innere Angelegenheiten. Aus diesen Positionen kooperieren wir eng bei allen internationalen Problemen, darunter der Nahe Osten, Nordafrika, Afghanistan, das iranische Atomprogramm, das Atomproblem der Korea-Halbinsel, Raketenabwehr. Unsere Kooperation ermöglicht die Festigung des Ansehens solcher Strukturen wie BRICS, SOZ und G20, wo wir zusammen die Durchführung der Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems durchsetzen, damit es gerechter wird. Das jetzige Währungs- und Finanzsystem soll ebenso wie die Reform der internationalen politischen Beziehungen demokratischer sein und das zugenommene Gewicht der BRICS-Länder widerspiegeln. Der erste Schritt solcher Reform wurde dank gemeinsamen Anstrengungen Russlands, Chinas, Indiens, Brasiliens und Südafrikas vor kurzem gemacht. Der fünfjährige Prozess der Erhöhung der Quoten und Stimmen unserer Staaten ging zu Ende, jetzt haben die BRICS-Länder die Möglichkeit, das Veto im IWF anzuwenden. Das ist ein wichtiges Ergebnis.
In Bezug auf menschliche Kontakte haben wir mit den chinesischen Freunden eine gute Tradition, spezielle Veranstaltungen abzuhalten. Mitte des vergangenen Jahrzehnts gab es das Jahr Russlands in China und das Jahr Chinas in Russland, danach gab es die Jahre der nationalen Sprachen, Tourismus, Jugendaustausche, die vor einigen Monaten zu Ende gingen. In der nächsten Zeit werden die Medienjahre Russlands und Chinas eröffnet. Das ist ein neues Großprojekt. Ich bin davon überzeugt, dass viele der Anwesenden ihren Platz im Veranstaltungsprogramm finden können.
Ich gratuliere allen chinesischen Freunden mit dem kommenden Neujahr nach dem chinesischen Kalender. Wie immer schicke ich eine Sonderbotschaft an meinen Kollegen und Freund, Außenminister Chinas, Wang Yi.
Frage: Sie skizzierten ein ziemlich trübes Bild unserer Beziehungen mit dem Westen. Das betrifft vor allem die Sanktionen. Viele bekannte westliche Politiker äußern eine optimistische Meinung dazu, dass Sanktionen innerhalb weniger Monaten aufgehoben werden können. Aus welchen Gründen machen sie solche Prognose? Wir haben Äußerungen von Boris Gryslow gehört, des russischen Beauftragten in der Kontaktgruppe zur Ukraine, dass einige Durchbrüche möglich seien.
Es handelt sich darum, dass der Westen die Litwinenko-Liste zusätzlich zur Magnitski-Liste verabschieden kann, als Damoklesschwert hängen mögliche neue Beschlagnahmungen des staatlichen Vermögens wegen der angeblichen Yukos-Zahlungen. Was können sie zu einer möglichen Wende bei den Beziehungen zum Westen 2016 sagen? Gibt es ein Licht im Ende des Tunnels?
Sergej Lawrow: Ich skizzierte kein trübes Bild. Falls Sie solch einen Eindruck bekamen, als ich die Position der westlichen Partner beschrieb, sind wir daran nicht schuld. Ich versuchte, fair das zu beschreiben, was ich sehe, wenn ich mit ihnen kommuniziere. Unser Herangehen ist sehr einfach – wir bestätigen immer wieder die Offenheit zur Kooperation mit allen auf einer gleichberechtigten, fairen Grundlage. Einige westliche Partner sagen, dass Russland isoliert werden soll. Der polnische Kollege schickte vor kurzem auf eigene Initiative seinen Stellvertreter, um ein Signal über die Bereitschaft der polnischen Nachbarn zur Wiederherstellung der Kooperationsmechanismen zu übergeben, später erklärte er jedoch – falls Russen darum bitten, sind wir bereit. In der Tat war alles umgekehrt. Er fügte sofort hinzu, damit es niemandem scheint, dass die polnische Regierung Schwäche zeigt, dass Russland der Gegner der Nato und der EU sei und sie davon bei den Beziehungen mit der Russischen Föderation ausgehen würden.
Es sind nicht wir, die ein trübes Bild darstellen. Wir sehen eine helle Aussicht, wohin wir uns zusammen mit allen bewegen wollen, darunter europäischen und amerikanischen Kollegen. Die Aussichten der Bewegung zur Welt, wo man einander und die Interessen voneinander auf einer gegenseitigen Grundlage respektiert, wo alle gleichberechtigt an der Lösung verschiedener Probleme teilnehmen, niemand einander bei seiner Entwicklung stört, keine künstliche Hürden aufstellt und andere nicht dazu zwingt, so vorzugehen, wie sie das wollen statt eigenen Interessen zu folgen. Die Zukunft ist meines Erachtens ziemlich hell – möge sie nicht von einigen unseren Partnern betrüben werden.
Zur Entwicklung Ihrer Frage sage ich, dass immer mehr Partner verstehen, dass man so weiter, zum eigenen Nachteil nicht leben kann. Die Gründe, aus denen wir von irgendwelchen positiven Änderungen sprechen, bestehen darin, dass unsere westlichen Partner immer mehr verstehen, dass sie in die von ihnen selbst gemachte Falle gerieten, als sie sagten, dass Sanktionen aufgehoben werden, sobald Russland die Minsker Abkommen erfüllt. Sie verstanden, dass es wohl ein Fehlsprechen war, doch Kiew deutete alles eindeutig als eine Indulgenz, die es ermöglicht, die Minsker Abkommen nicht zu erfüllen. Ihre Nichterfüllung (neben der Tatsache, dass Kiew keine Handlungen unternehmen und keine Verpflichtungen erfüllen soll) bedeutet, dass der Westen Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten soll.
Dass der Westen selbst in seine Falle geriet, begreift man schon. Der Ausweg aus dieser Situation kann nur eins sein – Kiew dazu zu zwingen, das zu erfüllen, was er machen soll. Der Beauftragte der Russischen Föderation in der Kontaktgruppe zur Ukraine-Regelung, Boris Gryslow, mit dem ich nach der Sitzung der Kontaktgruppe sprach, fühlte die Stimmungen, die in den Handlungen der OSZE-Vermittler zu sehen sind, die die Arbeitsgruppen als Koordinatoren leiten. Ähnliche Stimmungen spürte ich, als wir im Normandie-Format auf der Außenministerebene kommunizierten. Wie Sie wissen, hielten die Staats- und Regierungschefs Russlands, Frankreichs, der Ukraine und Deutschlands eine TV-Konferenz am 30. Dezember ab. In der nächsten Zeit (vielleicht sogar am 8. Februar, am chinesischen Neujahr, ein genaues Datum steht noch nicht fest) ist ein Ministertreffen geplant. Der Westen versteht die Aussichtslosigkeit der jetzigen Situation, wenn alle so tun, als ob Russland die Minsker Abkommen erfüllen soll und die Ukraine nichts machen kann – weder die Verfassung zu ändern noch dem Donezbecken einen Sonderstatus zu gewähren noch Amnestie durchzuführen, Wahlen nach Konsultationen mit Donezbecken abzuhalten. Alle verstehen, dass diese Dinge für die Ukraine von niemandem gelöst werden. Alle verstehen, dass es eine Anomalie ist, die bei der Verwandlung der Ukraine-Krise, die bei einem absolut illegitimen verfassungswidrigen Staatsstreich entstand, in ein Maß für alle Beziehungen zwischen Russland und dem Westen entstand. Das ist eine absolut unnormale, ungesunde Situation, die künstlich aus fernen Ländern und nicht aus Europa entfacht wurde, das nicht mehr ein Geisel dieser Situation sein will. Für mich ist es offensichtlich.
Frage: Sie haben selbst gespürt, dass Russlands Außenministerium derzeit auf dem zweiten Platz nach dem Zusammenwirken mit den Medien liegt – zum ersten Mal können unsere großen regionalen Zeitungen dem russischen Außenminister eine Frage stellen, obwohl wir schon seit längerer Zeit kontaktieren. Trotz der wesentlichen Abkühlung der Beziehungen zwischen Russland und Polen bleiben die Kontakte zwischen einfachen Russen und Polen, darunter zwischen den Einwohnern des Gebiets Kaliningrad und der an Russland grenzenden Regionen, durchaus eng. Großenteils ist das mit dem Regime der Grenzkooperation verbunden. Könnte vielleicht diese „Volksdiplomatie“ zur Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen auf der Staatsebene beitragen? Welche Rolle könnten dabei die Medien spielen?
Sergej Lawrow: Natürlich kann sie das. Ihre Frage ist eher rhetorisch, denn es ist offensichtlich, dass die Kontakte zwischen einfachen Menschen unter keinen Umständen leiden dürfen. In jeder Situation, selbst wenn sich die zwischenstaatlichen Beziehungen aus irgendwelchen Gründen anspannen, wollen wir nicht, dass die Kontakte zwischen den Menschen gestört werden.
Die so genannte „kleine Grenzbewegung“ zwischen dem Gebiet Kaliningrad und den Grenzregionen Polens – das ist unsere große Errungenschaft. Ich darf abermals erinnern, dass sie dank der Beharrlichkeit meines damaligen Amtskollegen Radoslaw Sikorski möglich geworden ist, der sich persönlich viel Mühe gab, damit die Bürokraten in Brüssel, die wir heute bereits erwähnten und die nicht immer zur Entwicklung von positiven Tendenzen beitragen, eine Ausnahme an den mit dem Schengener Reiseregime verbundenen Regeln machen, so dass ein größerer Teil Polens visafrei besucht werden durfte, als die strengen Schengen-Normen vorsehen. Meines Erachtens war das einer der wichtigsten Beiträge, die Herr Sikorski gemeinsam mit uns zur Förderung der Kontakte zwischen den Menschen leistete. Je mehr die Medien darüber erzählen, wie bequem das ist, desto besser.
Dort gibt es auch viele Wirtschaftsbewegungen – die Polen und Russen sehen hin, wo sie etwas billiger kaufen können, um dann bei sich zu verkaufen: das Benzin usw. Na und? So ist das Leben, und man muss das nur regeln, was die Grenzschutzkräfte und Zollbeamten auch tun. Die meisten aber reisen, weil sie kommunizieren wollen. Sie pflegen Kontakte jenseits der Grenze. Wir begrüßen das und hoffen, dass Sie darüber öfter schreiben und erzählen werden.
Frage: Russland bemühte sich konsequent um die vollständige Umsetzung von Vereinbarungen bezüglich des so genannten „Iranischen Dossiers“, was unter anderem die Abschaffung der Sanktionen für den Rohstoffexport vorsah. Gleichzeitig aber behaupteten viele Kritiker, Russland würde sich dabei „ins eigene Fleisch schneiden“. Wie wir sehen, sind die Ölpreise beispiellos geschrumpft, und der Iran kehrt auf den Markt zurück. Als Sie eine der Fragen beantworteten, sprachen Sie auch über den finanziellen Profit. War das wirklich nötig, Ihre nationalen Wirtschaftsinteressen zu riskieren, um diesen diplomatischen Sieg zu erringen?
Vor kurzem hörten wir im US-Fernsehen, dass die USA zu gewissen Opfern unter der Zivilbevölkerung bereit wären, wenn es um die Vernichtung eines so wichtigen strategischen Objekts des IS wie das Finanzzentrum der Terrorismus gehen würde. Wäre seitens Russlands so etwas in Syrien möglich, wenn es bei der Vernichtung eines sehr wichtigen Objekts zu Opfern unter Zivilisten kommen könnte?
Sergej Lawrow: Wir haben schon öfter dieses Thema besprochen, vor allem bei den regelmäßigen Pressegesprächen, die vom russischen Verteidigungsministerium organisiert werden und bei denen ausführlich erzählt wird, wie die Ziele für unsere Luft- und Weltraumtruppen bestimmt werden. Diese Ziele werden mehrmals überprüft. Es wird alles Mögliche getan, um sich zu vergewissern, dass es im jeweiligen Gebiet keine zivile Bevölkerung gibt.
Was das Völkerrecht angeht, so untersagen die Genfer Konventionen bzw. Zusatzprotokolle, die Militärgewalt eines Staates gegen Objekte anzuwenden, wo sich Zivilisten aufhalten könnten. Wenn das, was Sie eben im Kontext der US-Pläne erwähnt haben, tatsächlich wahr ist, dann ist das eine Verletzung des internationalen humanitären Rechtes, obwohl ich nicht so sicher bin, dass sich die USA an entsprechenden internationalen Verträgen beteiligt sind. Die Vereinigten Staaten beteiligen sich nicht an gleich mehreren universalen Dokumenten bezüglich der Menschenrechte, darunter an der Konvention über die Beseitigung der Frauendiskriminierung, an der Konvention über Kinderrechte, an der Konvention über Invalidenrechte, am Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Gegen dieses Land gibt es viele Einwände, wenn es sich um die universalen Völkerrechtsnormen auf solchen Gebieten wie Menschenrechte und im humanitären Bereich handelt.
Wie gesagt, im Krieg kann vieles passieren. Das russische Verteidigungsministerium erzählt absolut offen und ausführlich über unser Vorgehen in Syrien. Wenn man sagte, wir hätten „die Falschen“ bombardiert und bei unseren Bombenangriffen wären Dutzende Zivilisten ums Leben gekommen, führte man nie entsprechende Beweise an.
Gestern sprach ich mit dem US-Außenminister John Kerry, und er sagte wieder, für den Beginn der Genfer Gespräche wären gewisse Gesten erforderlich, denn die Oppositionskräfte, deren Vertreter sich in Riad versammelt hatten, behaupten, sie würden nirgendwohin reisen, weil sie „umsonst“ Bombenangriffen ausgesetzt worden wären. Ich sagte ihm aber, dass wir noch seit dem 30. September, als wir auf Bitte der syrischen Regierung beschlossen hatte, unsere Luft- und Weltraumtruppen gegen die Terroristen in Syrien einzusetzen, die Amerikaner als Führer der von ihnen gegründeten Koalition zur Koordinierung der Handlungen unserer Militärs aufforderten. Darüber sprach auch der russische Präsident Wladimir Putin öfter. Wenn man uns sagt, wir würden „die Falschen“ bombardieren, dann fragen wir, wo sich diejenigen befinden, die bombardiert werden müssten. Man sagt uns aber, man werde uns das nicht sagen. Na gut, dann sollte man uns sagen, wen wir nicht bombardieren sollten. Aber auch das sagt man uns nicht. Dafür sagt man uns wieder, wir würden „die Falschen“ bombardieren. Ehrlich gesagt, fehlen mir manchmal die Worte, denn das ist im Grunde lächerlich und kindisch.
Gestern haben wir abermals bestätigt, dass die Initiativen des russischen Verteidigungsministeriums zur Koordinierung der Handlungen der Kräfte in Syrien weiter in Kraft bleiben. Wenn wir wirklich bereit sind, unsere Effizienz im Kampf gegen die Terroristen zu steigern, dann müssen wir diese Koordinierung fördern und nicht nur Prozeduren zwecks Vorbeugung nichtvorgesehenen Zwischenfällen durchführen.
Was den Iran und den wirtschaftlichen Profit angeht, so äußerte ich mich bereits auf Bitte eines Reporters zu diesem Thema. Es wäre wohl schön, wenn unter den aktuellen Bedingungen irgendein Land oder gleich mehrere Länder, die Erdöl gewinnen, „geschlossen“ würden, oder wenn irgendein Konflikt ausbrechen würde, so dass sie sich mit der Ölförderung bzw. mit dem Ölexport nicht mehr beschäftigen könnten, oder wenn irgendeine Katastrophe passieren würde, oder wenn gegen sie Sanktionen verhängt würden. Dann würden die Preise wieder steigen. Für einige Tage oder Monate würde sich die Situation verbessern, und alle würden wieder ruhig aufatmen. Wenn wir aber alle in einer gerechten Welt leben wollen, wie richtig ist es denn, eigene Entwicklungspläne zu hegen und sich daran zu orientieren, dass jemand in seinen Rechten verletzt wird oder dass gegen jemanden Sanktionen gelten, oder dass jemand zerbombt wird? Wer sich an solchen Szenarien orientiert, der macht vor allem seine eigene Entwicklung zu einer Art „Geisel“ von gewissen Ereignissen, die von ihm selbst nicht mehr abhängen. Und zweitens sucht man dabei nach gewissen leichten Wegen zur Lösung von alltäglichen Problemen, wenn aber strategische Entscheidungen erforderlich sind, von denen der russische Präsident Wladimir Putin gerade spricht und die für unsere Wirtschaft dringend nötig sind. Es ist fairer, aber vor allem zuverlässiger, die eigene Entwicklungsstrategie so zu gestalten, dass dabei alle Faktoren der modernen Welt bei deren normaler Entwicklung berücksichtigt werden, ohne damit zu rechnen, dass jemand für etwas bestraft wird, weshalb die Marktkonjunktur günstig für uns wird. Man sollte davon ausgehen, wovon wir laut sprechen: Alle Länder plädieren für eine freie Entwicklung der internationalen Beziehungen, für eine freie und allseitige Entwicklung jedes Staates ohne jegliche Beschränkungen. Jedenfalls ist das langfristig zu 100 Prozent nützlicher für unser Land.
Frage: Bekannt ist, dass rund 40.000 Menschen nach UN-Angaben in Madaja, das von syrischen Regierungstruppen belagert wird, hungern, es gibt Todesfälle. Ich weiß, dass die bewaffnete Opposition auch andere Städte belagerte. Moskau hat gute Kontakte zu Damaskus. Vielleicht kann es etwas unternehmen, um Damaskus zu überreden, die Belagerung aufzuheben bzw. dorthin auf ständiger Grundlage humanitäre Organisation reinzulassen?
Sergej Lawrow: Zu Madaja. Dort gab es tatsächlich eine Vereinbarung, laut der die syrische Regierung in Madaja die humanitären Güter reinlassen soll und Extremisten – in zwei andere Ortschaften. Die Vermittlerrolle übernahm die UNO. Im Ergebnis sicherte die syrische Regierung diesen Zugang, obwohl Extremisten im letzten Zeitpunkt darauf verzichteten.
Kurz vor den Genfer Vereinbarungen wurde die Situation in Madaja zu einem Fetisch. Falls in Madaja humanitäre Organisationen zugelassen werden, werden die Verhandlungen einen guten Start bekommen, wenn nicht – kann die Opposition nicht kommen. Wir sagten unseren UN-Kollegen, darunter Vertreter des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, die entsprechende Berichte erstellten, wo Madaja als beinahe einziger problematischer Ort figurierte, dass man fair als UN-Beamten und nicht Vollzieher eines Auftrags vorgehen soll, geschweige denn über die Leidenschaften der Menschen spekulieren. 200.000 Menschen können keine humanitäre Hilfe, Essen, medizinische Hilfe bekommen. Sie sind bei Deiz az-Zor eingekesselt. Über diese Stadt steht nichts in den Berichten unserer UN-Kollegen, worauf wir hingewiesen haben. Das ist der Ort, der von ISIL und anderen Terroristen eingekesselt ist, mit denen niemand über etwas spricht, als ob es keine diesen 200.000 Menschen gibt. Dorthin werden unsere humanitären Frachten mit Fallschirmen von syrischen Frachtflugzeugen abgeworfen.
Ich stimme Ihnen völlig dabei zu, dass humanitäre Aspekte sehr wichtig, sehr emotionell sind und so wahrgenommen werden. Wir gehen davon aus, dass es keine Vorbedingungen für die Aufnahme der Verhandlungen geben soll, wie es einige machen wollen. Humanitäre Aspekte sollen eines der zentralen Themen bei den Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition sein. Wir werden allumfassend so genannte lokale Frieden fördern, bislang der völlige Waffenstillstand erklärt wird. Wir sind wie die USA für den Waffenstillstand. Doch einige Golf-Staaten sagen, dass sie bereit sein würden, den Befehl zur Feuereinstellung erst dann zu geben, wenn sie spüren, dass der politische Prozess begonnen hat und es Aussichten Assads Rücktritts gibt. Sie sollten Schlussfolgerungen machen, wer sich tatsächlich Gedanken über die Leidenschaften der Zivileinwohner macht und wer um jeden Preis, sogar durch die Verschlimmerung der humanitären Katastrophe, das Regime in Syrien ablösen will.