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Stenogramm Auftritts des russischen Aussenministers Sergej Lavrov auf der aussenpolitischen Ergebnissen des Jahres 2007 gewidmeten Pressekonferenz und seine Antworten auf Fragen, Pressezentrum Aussenministeriums Russlands, 23.Januar 2008

72-23-01-2008

Sergej Lavrov: Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren, Kollegen,

diese jaehrlichen Zusammenkuenfte sind fuer uns aeusserst wichtig, denn sie erlauben uns etwas ausfuehrlicher als innerhalb des Jahres ueber die Ergebnisse unserer aussenpolitischen Taetigkeit im vergangenen Jahr zu sprechen sowie darueber, was uns in der Aussenpolitik im neuen Jahr erwartet.

Wir strebten und streben danach, unsere Aussenpolitik auf der festen Grundlage der klaren nationalen Interessen aufzubauen, auf dem Pragmatismus, dem gesunden Menschenverstand, sie soll vom Leben kommen. In unserer Aussenpolitik gibt es keine Ideologie. Wir sind zufrieden, dass unsere grundsaetzlichen Herangehen weltweit Verstaendnis finden und verbreitet sind. Das sind vor allem Pragmatismus, Multivektoralitaet, Bereitschaft, mit allen zusammenzuarbeiten, wer es will, und unsere nationalen Interessen fest, aber ohne Konfrontation zu verfolgen.

Wir sind froh, dass unsere Beurteilung der internationalen Lage nicht nur durch das politische Geschehen belegt, sondern auch von immer mehreren Staaten geteilt wird. Es ist besonders wichtig, dass das Einverstaendnis zu den Aufgaben der russischen Aussenpolitik, russischen Diplomatie landesweit steigt. Das haben die Dumawahlen im Dezember des letzten Jahres bewiesen.

In den letzten acht Jahren unter Wladimir Putin hat unser Land seine Staatlichkeit gestaerkt, die Wirtschaft wird modernisiert, grosse soziale Aufgaben werden geloest, das Land schuetzt seine Sicherheit immer effizienter, auch durch die breite internationale Zusammenarbeit. Wir haben erstmals in der Geschichte die Moeglichkeit und finanzielle Ressourcen, all diese Aufgaben parallel zu loesen und sich dabei auf den neuen Stand Russlands zu stuetzen, das die steigende Verantwortung in internationalen Angelegenheiten tragen kann.

Wir staerken unsere Positionen in der globalen Wirtschaft, in globalen Finanzen, staerken sie als Geberland fuer die internationale Entwicklung. Unsere Leistungen werden anerkannt. Davon zeugt beispielsweise die Entscheidung, 2012 den APEC-Gipfel in Wladiwostok und Olympische Winterspiele in Sotschi 2014 zu veranstalten.

Nach unserer Ansicht verfuegen wir also ueber ein festes Fundament, auf dessen Grundlage die russische Fuehrung unsere aussenpolitische Strategie erarbeitet hatte. Sie entspricht den wichtigsten nationalen Interessen unseres Landes, den Forderungen der gegenwaertigen Etappe der Weltentwicklung. Und das Wesen dieser Etappe – ich glaube, ich brauche niemand dessen zu ueberzeugen – ist die sich objektiv entwickelnde Multipolaritaet.

Wir haben feindliche Absichten gegenueber keinem Land. Wir richten unsere Aussenpolitik, ich betone es, auf die Zusammenarbeit mit allen, wer dazu bereit ist, und diese Offenheit Russlands fuer die Aussenwelt entspricht voll und ganz dem Weltempfinden unserer Buerger. Von diesen Positionen aus werden wir auch ferner mit allen unseren internationalen Partnern arbeiten. Natuerlich sind wir bereit, nur aufgrund der vollen Gleichberechtigung, aufgrund der Beruecksichtigung der gegenseitigen Interessen, des gegenseitigen Vorteils, der gemeinsamen Beurteilung der vorhandenen Probleme und aufgrund der gemeinsam auszuarbeitenden und zu realisierenden Loesungen zusammenzuarbeiten.

Wir treten fuer die Festigung der kollektiven Rechtsgrundlagen in internationalen Angelegenheiten auf. Das entspricht auch den Forderungen der Globalisierung. Natuerlich gibt es auch Rueckgriffe auf die Blockpolitik, auf ideologisierte Herangehen, Versuche in einer Region Konfrontation aufzuzwingen, die Weltpolitik zu remilitarisieren – das alles gibt es. Aber ich bin tief ueberzeugt, dass es der Grundentwicklung der internationalen Beziehungen zuwider ist. Das Streben nach kollektivem Vorgehen, nach der Stuetze auf das Voelkerrecht liegt den gegenwaertigen Aufgaben und Interessen der ganzen Menschheit naeher.

Die vorhandenen Widersprueche in internationalen Angelegenheiten muessen durch ehrliche, direkte und aufrichtige Gespraeche geregelt werden. Ausgerechnet dafuer hat uns der russische Praesident aufgerufen, als er im Februar des vergangenen Jahres in Muenchen aufgetreten war. Wir sind ueberzeugt, dass es uns ohne offene Diskussionen nicht gelingt, vernuenftige, realistische, allgemein akzeptable Herangehen an die Loesung von aktuellen globalen Problemen auszuarbeiten. Dazu gehoeren insbesondere Bekaempfung des Terrorismus, die Verhinderung aller Moeglichkeit der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, dazu gehoert auch die globale Armut, Klimawandel und viel anderes. Die Entscheidung ist einfach: Entweder steht jeder fuer sich allein, oder wir gehen zusammen vor. Wir haben unsere Entscheidung getroffen. Das habe ich schon gesagt. Wir sind immer bereit, aufgrund von Prinzipien, die ich schon genannt habe, zusammenzuwirken. Wenn aber die Partner das gemeinsame Vorgehen ablehnen, dann werden wir natuerlich eigene Entscheidungen treffen muessen, und dabei werden wir vor allen Dingen von unseren nationalen Interessen ausgehen. Aber auch vom Voelkerrecht.

Zu den Grundtrends der gegenwaertigen Entwicklung gehoeren aus unserer Sicht die objektive Multipolaritaet, objektiv steigende Rolle der multilateralen Diplomatie. Daraus kann man schlussfolgern, dass die Behandlung der Fragen der strategischen Stabilitaet nicht mehr zum alleinigen Bereich der Beziehungen Russland-Vereinigte Staaten gehoert. Es ist objektiv an der Zeit, die Rahmen der Beziehungen im Bereich der strategischen Stabilitaet fuer andere Staaten, vor allem europaeische, zu oeffnen, fuer die gemeinsame Sicherheit. Ausgerechnet darin, in der Aufforderung, die Rahmen der Diskussion ueber die strategische Stabilitaet zu erweitern, besteht das Wesen unserer Vorschlaege bezueglich des Vertrags ueber die konventionellen Streikraefte in Europa, Raketenanbehrvertrags und Kurz- und Mittelstreckenraketenvertrags.

Im diesem Jahr gehoeren zu unseren wichtigsten Aufgaben vor allem die qualitative Umgestaltung der gesamten europaeischen Sicherheitarchitektur, deren Entledigung von der Ideologie des Sieges im Kalten Krieg (solche Rueckfaelle gibt es noch), der Aufbau eines modernen offenen Systems der kollektiven Sicherheit. Besondere Risiken in diesem Jahr sehen wir in den Versuchen, die internationale Rechtsordnung zu untergraben. Die gesamte Geschichte der Menschheit beweist, dass die Risse im Rechtsraum aeusserst ernsthafte negative, lange und kaum voraussagbare Folgen haben. Wie dem auch sei, wir werden es nicht zulassen, uns in die Konfrontation in einer Frage zu verstricken. Wir sehen keinen Grund dafuer. Wir werden immer eine gut durchdachte und auf die Einigung gerichtete Politik verfolgen, die positive Agenda zu den wichtigsten Fragen der internationalen Beziehungen durchsetzen, konstruktive Alternativen zur Loesung von vorhandenen Problemen vorschlagen und alles tun, um die Spaltung der Welt nach Religionen zu verhindern.

Wir zwingen unsere Ansichten niemandem auf und wollen nicht an Informationaskriegen teilnehmen. Ich betone: Wir sind zum offenen und ehrlichen Dialog mit allen Partnern immer bereit, aber werden in diesem Jahr gleichzeitig alles tun, um die legitime Nachfrage der russischen und internationalen Oeffentlichkeit fuer die objektive Information ueber Russland, ueber unsere Aussenpolitik zu decken. Ich hoffe, dass durch unsere heutige Zusammenkunft zu foerdern. Damit will ich meine Ansprache beenden und bin bereit auf Ihre Fragen zu antworten.


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