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Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, dem Fernsehsender „Rossija 1“ zum 75. Jahrestag der Gründung der Moskauer staatlichen Hochschule für internationale Beziehungen (MGIMO) des Außenministeriums Russlands, Moskau, 20. Oktober 2019

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Frage: Welche drei Eigenschaften hat Ihnen das Studium an der MGIMO gegeben?

Sergej Lawrow: Solche Eigenschaften gibt es wohl viel mehr. Vor allem denke ich sofort an die Fähigkeit zu selbstständiger Arbeit und zur Kommunikation mit Menschen. Aber eigentlich ist das eine Gottesgabe – die Fähigkeit zur Freundschaft, zur Treue. Manchmal muss man im Leben mit Menschen kommunizieren, die einem nicht so interessant sind, aber aus geschäftlichen Gründen muss man das einfach tun. Diese Fähigkeiten werden an der MGIMO sehr gut beigebracht.

Am wichtigsten ist die Freundschaft. Wir haben die neue Art der Freundschaft schon nach dem Kindergarten, nach der Grund- und Oberschule gelernt. Gleich nach der Immatrikulation wurde unser Lehrgang zu den Bauarbeiten am Moskauer Fernsehzentrum „Ostankino“ geschickt. Wir gruben nämlich die Baugrube des Fernsehzentrums neben dem Fernsehturm aus, der damals gerade gebaut wurde. Diese zwei Wochen waren eine wunderschöne Zeit für mich. Ich erinnere mich ziemlich oft daran.

Frage: Der Rektor der MGIMO, Anatoli Torkunow, erinnerte sich auch sehr gerne an Ihre Abenteuer als Mitglieder von Baubrigaden. Ich denke, das war eines der schönsten Erlebnisse während des Studiums. Was war aber besonders schwierig?

Sergej Lawrow: Besonders schwer war wohl, sich selbst zu  zwingen, die Vorbereitung auf Prüfungen rechtzeitig zu beginnen. Die schönsten Erlebnisse waren die Baubrigaden und natürlich unsere Studentenkonzerte – so genannte „Kohlkonzerte“. Damals studierten bei uns überwiegend junge Männer. Und solche Konzertabende wurden bei uns regelmäßig organisiert, und sie waren sehr populär. Wir hatten oft Besuch – junge Frauen von der Hochschule für Fremdsprachen „Maurice Thorez“. Unsere Universitäten waren quasi befreundet.

Frage: Und wenn die jungen Frauen kamen, wurde die Stimmung bestimmt ganz anders…

Sergej Lawrow: Mit uns studierten auch junge Frauen, und wir legen immer noch sehr viel Wert darauf. Wir organisieren immer noch solche Konzertabende – extra für unseren Lehrgang. Das passiert nicht sehr oft, aber wenigstens einmal im Jahr versammeln wir uns. Und damals wurden junge Frauen auch aus anderen Hochschulen oder Universitäten eingeladen.

Frage: Sie sind der Autor der MGIMO-Hymne, in dem es solche Zeilen gibt: „Sie hat uns beigebracht, unser Vaterland zu lieben, und den Stolz, wie auch die Schmach, mit ihm zu teilen.“ Es ist sicherlich angenehm, den Stolz mit dem Vaterland zu teilen. Mussten Sie aber irgendwann auch die Schmach mit ihr teilen?

Sergej Lawrow: Jeder Mensch, der solche Eigenschaften wie Anstand und Ehrlichkeit hat, hat schon Momente im Leben, wenn er ein schlechtes Gefühlt davon hat, was in seinem Land passiert. Das ist natürlich alles sehr individuell und persönlich. Für mich gab es mehrere solche Momente. Sie alle sind mit den Zeiten verbunden, als die UdSSR auseinanderfiel. Ich will jetzt niemanden beurteilen, aber das war damit verbunden, wie eine ganze Reihe von bekannten Personen sich in der damaligen Situation verhielt.

Frage: In einem Interview erwähnten Sie unter den wichtigsten Eigenschaften eines Diplomaten die Fähigkeit, eigene Position offen zu äußern und gute, freundschaftliche Beziehungen mit ausländischen Kollegen aufrechtzuerhalten. Ich erinnere mich sofort an das Tandem Lawrow-Kerry, wenn Sie vor laufenden Kameras auf sehr harten Verhandlungspositionen standen, ohne die Kameras aber sich sehr warm und freundlich miteinander unterhielten. Wie gelingt es Ihnen, sich so schnell von einem Modus zu einem anderen umzuschalten? Klappt das mit allen Ihren Pendants?

Sergej Lawrow: Ich kann nicht sagen, dass wir uns vor laufenden Kameras gestritten hätten. Wir äußerten einfach unsere Positionen. Aber jeder von uns hörte der Gegenseite zu. Das passiert in allzu oft.

Was die Frage angeht, wie man mit einer Person befreundet sein kann, die entgegengesetzte oder jedenfalls ganz andere politische Ansichten hat… Als ich in New York arbeitete, nahm ich im Januar 1996 an einer Veranstaltung teil, an der sich der damalige US-Außenminister Henry Kissinger beteiligte. Damals war erst bekannt geworden, dass Jewgeni Primakow zum Außenminister Russlands ernannt worden war. Henry Kissinger wurde gefragt, was er davon halte, denn die Ernennung Jewgeni Primakows bedeutete wohl eine gewisse Verschärfung der russischen Außenpolitik – er war immerhin für seine harte Vorgehensweise bekannt. Und Kissinger sagte mit seiner Stimme, die wohl mit seiner einmaligen Stimme, dass er es immer vorziehe, es mit Personen zu tun zu haben, die sich die nationalen Interessen ihres Staates  klar und deutlich vorstellen  und auch klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Sie waren Kumpel und respektierten einander. Ich traf mich vor kurzem mit Henry Kissinger in New York. Er sagte, er wollte sehr die Veranstaltungen zu kommen, die dem 90. Geburtstag Jewgeni Primakows gewidmet sein werden. Aber aus gewissen Gründen werde ihm das nicht gelingen, doch er werde unbedingt nächstes Jahr kommen. Wir hoffen, dass das auch so passieren wird.

Frage: Ist die „Diplomatie des Guten“ von Tolstoi noch am Leben oder nicht mehr?

Sergej Lawrow: Ich würde sagen, die „Diplomatie von Tolstoi“ ist kein passender Begriff. Wenn man „Ohrfeige“ als eine Redewendung betrachtet, dann sollte man nicht unbedingt sofort auf irgendeinen negativen Schritt ihm gegenüber auf sich selbst beziehen. Manchmal muss man zunächst analysieren, was dahinter stehen könnte. Es könnte sein, dass die Gegenseite dich eben zu einer Reaktion provozieren will, die sie dann ausnutzt, um andere Staaten gegen dich einstellen, die auf solche Tricks reinfallen.

Wenn man tatsächlich gegen deine nationalen Interessen vorgeht, gegen Dinge, die für dich prinzipiell wichtig ist, dann musst du natürlich antworten. Hier ist ein Beispiel: Barack Obama war in der Tagen, als seine Administration quasi „im Sterben lag“, absolut hilflos und böse und wollte „die Tür zuknallte“, um sich für die Wahlniederlage der Demokraten zu rächen. Er nahm uns unser Eigentum weg und verdrängte unsere Diplomaten. Damals haben wir nicht sofort reagiert, denn wir sahen ein, dass dieser Schritt vor allem gegen Donald Trump gerichtet war,  der seine Arbeit als Präsident bei solch schlechten Beziehungen mit Russland beginnen würde. Damals haben wir zunächst eine Pause genommen. Dann wurde Trump trotz all seiner Erklärungen, er wolle die Beziehungen mit Russland normal entwickeln und sie auf die richtige „Laufbahn“ führen, dabei vom US-Kongress behindert. Als wir verstanden, dass die Sanktionen nicht auf Eis gelegt werden, nicht abgeschafft werden, sondern im Gegenteil erweitert und vertieft werden, mussten wir schon regieren und darauf bestehen, dass die Zahl der US-Diplomaten in Russland und der russischen Diplomaten in den USA ausgeglichen wird. Natürlich reagierten wir darauf mit dem Beschluss, das US-Generalkonsulat in St. Petersburg zu schließen, nachdem in den USA die gleiche Entscheidung in Bezug auf unser Eigentum getroffen worden war.

Wie gesagt: Wir sind bereit, diese Fragen jederzeit auf Basis der „Null-Variante“ zu lösen und zur normalen Arbeit unserer diplomatischen Einrichtungen zurückzukehren. Ich sprach darüber mit dem US-Außenminister Mike Pompeo. Vor einigen Tagen sprach ich auch mit dem US-Botschafter in Russland, Jon Huntsman, der seine Mission bereits abgeschlossen hat. Ich glaube, sie verstehen, dass wir irgendwann dazu zurückkehren müssen. Und je schneller, desto besser.

 

 


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