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Rede des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, bei einer offenen Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur „Förderung des internationalen Friedens und Sicherheit: Lehren der Geschichte, Bestätigung der Verbundenheit zu den Prinzipien und Zielen des UN-Statuts“ am 23. Februar 2015 in New York

311-23-02-2015

Vielen Dank, Herr Vorsitzender,

zuallererst möchte ich mich bei dem Außenminister Chinas, Wang Yi, für die Organisierung der heutigen Diskussion bedanken. Das zur Erörterung vorgeschlagene Thema ist äußerst aktuell – kurz vor dem 70-jährigen Jubiläum der UNO wird dadurch eine kritische Einschätzung des Zustandes der internationalen Beziehungen und die Erörterung der Wege zur Überwindung der sich darin angehäuften Systemprobleme ermöglicht.

Das UN-Statut, das zur „Frucht" des großen Sieges über den Nazismus wurde, bleibt der Grundstein des gesamten internationalen Systems. Die darin festgeschriebenen Ziele, Prinzipien und Regeln sind eine wichtige Quelle des Völkerrechts, die Grundlage des Verhaltenskodexes für die Staaten in der internationalen Arena, das Fundament des sich ständig entwickelnden Systems der internationalen Verträge und Abkommen. Die UNO ist selbstverständlich nicht perfekt. Doch wie Dag Hammarskjöld betonte, wurde sie nicht dazu ins Leben gerufen, damit die Menschheit in Paradies gerät, sondern damit sie nicht in die Hölle gerät.

Im Statut der Vereinten Nationen wurden erstmals in der Geschichte die Prinzipien eines arbeitsfähigen Mechanismus einer globalen Steuerung über die Abstimmung der Positionen der führenden Länder festgeschrieben. Mit anderen Worten: Darin wurden die wichtigsten Elemente der polyzentrischen Weltordnung formuliert. Innerhalb der ersten vier Jahrzehnte funktionierte die UNO innerhalb einer harten bipolaren Konfrontation. Mit dem Ende des Kalten Krieges sind keine objektiven Gründe geblieben, die verhindern könnten, dass der UN-Sicherheitsrat eine effektive Plattform zur Ausarbeitung eines kollektiven Willens der internationalen Gemeinschaft wird.

Der Weg zur Umsetzung dieses Ziels wurde leider viel schwieriger und kurvenreicher, als man sich vor einem Vierteljahrhundert vorstellte. Vor unseren Augen entstehen zahlreiche Beispiele für Verstöße gegen die grundlegenden Prinzipien des UN-Statuts wie die Unabhängigkeit und die souveräne Gleichheit der Staaten, die Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten, eine friedliche Regelung der Streitigkeiten. Man kann sich an die Bombenangriffe auf Serbien, die Besatzung Iraks unter einem offensichtlich lügenhaften Vorwand, dessen Folgen bis heute eine schwere Last für das Volk dieses Landes sind, eine grobe Manipulation des Mandats des UN-Sicherheitsrats, die zu Zerstörungen und einem andauernden Chaos in Libyen führten, erinnern.

Das alles sind die Folgen der Versuche, die Dominanz in den internationalen Angelegenheiten zu sichern, alle und überall zu steuern, die Militärstärke einseitig zur Förderung der eigenen Interessen zu nutzen. Ähnliche Herangehensweisen passen gar nicht zu den Prinzipien, auf denen die Vereinten Nationen gebildet wurden, sie widersprechen der objektiven Tendenz zur Dezentralisation der globalen wirtschaftlichen und politischen Stärke.

Bei der Jagd nach der Illusion einer globalen Herrschaft wird eine breite Palette von unattraktiven Methoden genutzt, wie massiver Druck auf souveräne Staaten, Versuche, ihnen die eigenen Beschlüssen und Standards in politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Bereichen aufzudrängen. Für Ungehorsame stehen Technologien zum Schüren von inneren Probleme und Umsetzung der Operationen zum Regimewechsel bereit. Dazu gehört auch die offene Förderung eines verfassungswidrigen Staatsstreiches in der Ukraine vor einem Jahr.

Es werden nachhaltige Versuche zur Umwandlung des UN-Sicherheitsrats in ein Organ unternommen, das die Beschlüsse eines „Anführers" trifft. Weil das nicht geschieht, wird versucht, den UN-Sicherheitsrat von seiner wichtigsten Aufgabe abzubringen – die Förderung des internationalen Friedens und Sicherheit. Dabei werden die Lehren der einseitigen Gewaltaktionen aus der jüngsten Vergangenheit ignoriert, bei denen der Nahe Osten und der Norden Afrikas in Unstabilität und Chaos gestoßen wurden. In vielerlei Hinsicht wurde ein günstiger Boden für die Ausweitung von Extremismus geschaffen.

Die Nutzung der Sanktionsmechanismen gemäß UN-Statut gehört zur exklusiven Kompetenz des Sicherheitsrats. Einseitige einschränkende Maßnahmen, Versuche einer exterritorialen Anwendung der nationalen Gesetzgebung sind nichts anderes als das Merkmal einer archaischen Blockdenkweise und führt zur Anhäufung des Konfrontationspotentials bei internationalen Angelegenheiten und erschweren eine gemeinsame Suche nach Lösungen für die entstehenden Probleme.

Die internationale Atmosphäre wird von den Informationskriegen mit dem Einsatz der globalen Medien, Internet, Sozialen Netzwerken vergiftet. Ich bin davon überzeugt, dass die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Selbstdarstellung nicht die Manipulation von Informationen, Hirnwäsche und Subversionstätigkeit gegen die Staaten, ihre Institutionen und Politik rechtfertigen und nicht zur Entfachung von religiöser Feindschaft genutzt werden soll.

Es ist die Zeit gekommen, die Frage zu beantworten – wollen wir tatsächlich den UN-Sicherheitsrat als ein effektives und einflussreiches Instrument zur Förderung des Friedens und Sicherheit sehen oder sind wir bereit, seine Verwandlung in eine Arena des Propaganda-Einflusses zuzulassen, wobei der Rat aus dem Prozess zur Suche nach den wichtigsten internationalen Lösungen ausgeklammert wird. Im letzten Fall würde dies unausweichlich einen negativen Einfluss auch auf andere internationale und regionale Plattformen ausüben, wobei die Chancen auf die Lösungen von akuten Problemen noch mehr sinken werden.

Wir halten es für notwendig, umgehend entschlossene Maßnahmen zur Beseitigung von Doppelstandards in der Weltpolitik, zur Rückgewinnung der Rolle des führenden Organs bei der Abstimmung der kollektiven Herangehensweisen durch den UN-Sicherheitsrat zu treffen, die sich auf die kulturell-zivilisatorische Vielfalt der modernen Welt, die Demokratisierung der internationalen Beziehungen stützen.

Alle müssen sich dazu bekennen, dass die Völker das Recht haben, selbstständig ihre Zukunft ohne äußere Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten zu wählen. In diesem Zusammenhang schlage ich vor, sich Gedanken über die Bestätigung und Stärkung der entsprechenden Bestimmungen zu machen, die in der 1970 angenommenen Deklaration über die Völkerrechtsprinzipien enthalten sind, die die Freundschaftsbeziehungen und die Kooperation zwischen den Staaten gemäß UN-Statut betreffen. Ein besonderer Schwerpunkt muss dabei auf die Unzulässigkeit der Unterstützung des verfassungswidrigen Machtwechsels gelegt werden. Man muss sich darauf einigen, wie eine gemeinsame Steuerung der Risiken aufgrund des UN-Statuts im Kontext der immer schwieriger werdender internationalen Beziehungen erfolgen wird. Anfang der 1990er-Jahre arbeitete das UN-Sekretariat ein Handbuch zur friedlichen Lösung der Streitigkeiten zwischen den Staaten aus. Vielleicht ist die Zeit gekommen, diese Publikation zu erneuern, um die seit der damaligen Zeit angehäufte Erfahrung zu berücksichtigen.

Positive Ergebnisse sind dann zu erreichen, wenn die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ihre Anstrengungen im Interesse des Erreichens gemeinsamer Positionen vereinigen. Gerade auf dieser Grundlage wurden die wichtigsten Aufgaben zur Vernichtung der Chemiewaffen in Syrien, Ausarbeitung der Maßnahmen zum Bekämpfung von ausländischen Terroristen gelöst. Vor einigen Tagen wurde auf die Initiative Russlands die Resolution 2199 des UN-Sicherheitsrats verabschiedet, die die Finanzierung der Terrorgruppen durch den illegalen Ölverkauf stoppen soll. Zu den jüngsten Beispielen gehört auch der Ausbau der neuen Friedensbemühungen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik.

Jetzt gelangen wir an eine weiteren schmerzhaften Punkt in Afrika – die Unterdrückung der von „Boko Haram" ausgehenden Terrorgefahr. Wir rechnen damit, dass eine vom UN-Generalsekretär geschaffene Sondergruppe auf einer hohen Ebene nützliche Empfehlungen geben wird, wie man die Friedensrolle der UNO effektiver gestalten könnte.

Im Ganzen wäre es nützlich, globale Herausforderungen und Bedrohungen zu überprüfen, denen man nur gemeinsam effektiv Widerstand leisten kann.

Zu den größten Prioritäten wird eine äußerst großangelegte Terror- und Extremismus-Drohung, insbesondere im Nahen Osten und um Norden Afrikas, die sich in Richtung Südafrika, Asien, Europa ausdehnt. Einseitige Handlungen sind hier aussichtslos. Wir können uns darin vergewissern, dass dieses Problem innerhalb der UNO gelöst werden soll. Wir sind gegen die Versuche, die Anstrengungen im Anti-Terror-Kampf zu „entstaatlichen", der Weltgemeinschaft Handlungen aufzudrängen, die in engen Formaten ausgearbeitet werden.

Ich hoffe, dass die heutigen Debatten ein ernsthaftes Gespräch über die Zukunft der Vereinten Nationen als wichtigsten Mechanismus bei der Regelung der heutigen internationalen Beziehungen bieten.

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