Zum 80.Jahrestag des Sturms auf die Stadt Königsberg und zum Jahrestag des Großen Sieges
Jenseits des Flusses Scheschuppe
von A.T. Twardowski
übersetzt von Ekaterina Majlytschko, Schülerin der 9B-Klasse des Internatslyzeums Kaliningrad, bearbeitet von O.V. Blinova, der Deutschlehrerin des Internatslyzeums Kaliningrad
Die Stadt Schirwindt, grausam durch vergangene Kämpfe zermahlen und bis jetzt von deutschen Ferngeschützen beschossen, war einer der ersten Orte, die wir auf deutschem Boden eingenommen haben. Man sieht frische, noch regenunberührte Ziegelschutthaufen, widerliche Mauerreste mit zackigen Kanten, feuerverbogene Balken mit Armierungseisenfetzen und zerbrochene Dachziegel, die unter den Füßen wie Nussschalen knirschen. Der Staub von Putz, zerstoßenem Stein und irgendeinem trockenen, erstickenden Moder steht als rötlich-grauer Dunst in der Luft, bedeckt die Ladeflächen der Lastwagen, die Mäntel und Gesichter der Straßenbauer-Soldaten, die in den Trümmern wühlten. Die zerstörte Stadt wird auf die Straßen gebracht, in aufgeweichte Fahrspuren gestampft, in den Morast der Umwege, in Schlaglöcher und Gruben der frontnahen Chausseen. Anderes Material zur Reparatur der Straßen gibt es hier, auf deutschem Boden, nicht!
"Gemeinsam! Gleichzeitig!", kommandiert ein älterer Soldat mit unter den Gürtel gesteckten Mantelschößen. "Drückt!"
Mehrere Soldaten stemmen sich mit den Schultern gegen den Rest einer Mauer und stürzen sie mit Getöse ins Innere des ehemaligen Hauses.
"Zerstören ist leichter als aufbauen", sagt der Ältere, als wäre er verlegen, bei solcher Tätigkeit ertappt worden zu sein. Und in diesem einen kurzen Satz ist alles ausgedrückt: der rechtmäßige Triumph des Siegers und die Verachtung für den Deutschen und die Bitterkeit über die Verluste der Heimaterde und Gedanken an die Zukunft und die Sehnsucht des Arbeiters-Erbauers nach echter Arbeit und noch etwas, ebenso bedeutsam, was man einzeln gar nicht ausdrücken kann.
***
Die Kolonne wich nach rechts aus, um nicht durch das Wasser zu treten, das auf dem Pflaster gegenüber einem Haus aufgetaut war, das aus allen Fenstern oben, aus den Schaufensteröffnungen im ersten Stock und sogar hinter den Gittern des Halbkellers Flammen atmete. Von oben fiel ein brennendes Holzscheit auf das nasse Pflaster. Mit lässiger und gleichsam verächtlicher Keckheit stieß ein Soldat im Gehen, ohne aus dem Schritt zu kommen, mit der Spitze seines Filzstiefels das Holzscheit zurück zum Feuer.
Er hatte keine Zeit, weder diesen Brand zu löschen, noch auch nur zuzusehen, wie diese Häuser brannten, ganze Reihen dicht gestellter, ordentlicher, gut erhaltener Häuser der deutschen Stadt. Er war auf dem Weg hinaus, nach Westen auf der Königsberger Chaussee.
Die Stadt brannte, eine große, leere, von den Deutschen beschossene deutsche Stadt. Unter dem niedrigen, dunstigen und verräucherten Himmel des frostigen Mittags wirkten ihre unheilvoll vom Feuer beleuchteten Straßen als Gänge und Durchgänge eines Untergrunds, einer Hölle. Lange, dichte Feuerballen, die hier und da aus den Fenstern schlugen, trafen sich an der Außenseite der Zwischenwand, rissen Schilder ab, wurden bis zur Mitte der Straße geschleudert, in dem Bestreben, sich mit dem Feuer zu vereinen, das auf der gegenüberliegenden Seite tobte.
Alles – das Dröhnen der Explosionen und das Klirren von Glas und das Klappern von Ketten und das Klappern von Hufen auf der Hauptstraße der Stadt – alles wurde überdeckt vom zusammenhängenden, ununterbrochenen, voll unheimlicher Ausdruckskraft heulenden Feuer.
Ölgestrichene Wände von Räumen fangen Feuer, das gewachste, fest gefügte, Brettchen an Brettchen verlegte Parkett knistert und bläht sich im Feuer, Verkleidungen, Polsterungen, Gerätschaften brennen, alles brennt, was brennen oder im Feuer untergehen kann. Eine Stadt brennt, die all die Kriegsjahre ganz und unversehrt geblieben war, als es Smolensk als Stadt, Wjasma und Hunderte anderer Städte nicht mehr gab...
***
An vielen Bäumen entlang der Straßen Ostpreußens hält sich bis jetzt das Laub. Sein trockenes, raschelndes Zittern im winterlichen, schneesturmartigen Wind geleitete die Deutschen, die in die Tiefe des Landes zurückwichen. Dann begann das Tauwetter, und dieses Laub der Alleen am Straßenrand, nass, durchweicht, passte überhaupt nicht mehr zu den Frühlingsanzeichen – der aufgetauten Erde, dem angeschwollenen und schon stellenweise gebrochenen Eis auf den Flüsschen. Es sieht aus, als hätte sich etwas in diesem Land verwirrt, als wäre etwas nicht richtig, nicht zu seiner Zeit und nicht von selbst geschehen, sondern aus einem anderen, drohenden und unvermeidlichen Willen. Als vollziehe sich über diesem Land die ihm prophezeite und verdiente schreckliche Strafe.
Aber Land ist nur Land, und diese Verwirrung in der Natur ist nur die äußere Begleitung jener wahrhaft furchtbaren Strafe, die über das Deutschtum hereingebrochen ist.
Es gab eine Zeit, als die Deutschen im Krieg nur gewannen. Sie eroberten die Gebiete ganzer Staaten, die Bewaffnung ganzer Armeen, eigneten sich Massen von Besitz, Werten, Materialien an. Sie zwangen Millionen von Menschen, für sie zu arbeiten, die sie aus den von ihnen besetzten Ländern und Gebieten verschleppten.
Aber seit dem Tag, als sie unsere Grenze überschritten, brachte ihnen jeder Gewinn zugleich einen Verlust. Von diesem Tag an liefen die Dinge anders.
Sie besetzten unsere Ländereien, Städte, allerlei Gut, trieben unsere Menschen in die Sklaverei, aber verloren ihre Panzer und Flugzeuge, ließen auf unseren Feldern Tausende und Millionen ihrer Soldaten und Offiziere tot zurück. Dann kam zu diesen Verlusten der Verlust der bei uns eroberten Ländereien mit all ihrer Fruchtbarkeit und dem Reichtum ihrer Bodenschätze hinzu.
Jetzt verloren sie Teil für Teil ihr eigenes Territorium. Verloren ihre Gefangenen, die in Scharen von der Front nach Osten zogen, verloren Besitztümer, die sie nicht mehr abzutransportieren schafften, ihre eigenen zusammen mit dem Geraubten.
Sie verringern sich mit jedem Tag, mit jeder Stunde an Zahl und Gewicht, an Raum und Kraft.
Und unser Krieger, der auf seinem Vormarsch ins Innere Deutschlands verschiedensprachige Menschen trifft, die aus der Gefangenschaft nach Hause ziehen – sei diese Heimat Minsk oder Warschau, Paris oder die an Deutschland grenzenden Orte Litauens –, er sieht sich augenscheinlich, greifbar als Krieger-Befreier. Der Franzose, der Pole und Menschen anderer Sprachen und Dialekte winken ihm dankbar zu, während sie am Rand der engen deutschen Straßen entlangschreiten, rufen irgendwo aufgeschnappte und eingelernte zwei, drei Wörtchen auf Russisch. Und dann plötzlich aus der Menge – die Stimme einer verwandten Seele und selbst die eigene, heimatliche russische Rede in ihrer vollen Unversehrtheit und Schönheit unter diesem fremden Himmel:
"Guten Tag, liebe Landsleute! Danke, Genossen!"
"Gibt's jemanden aus der Gegend von Orjol?"
"Da lief noch eine aus Wjasma, ein Mädchen bei ihr, so groß etwa. Mein Gott..."
"Habt ihr nichts von Fjodorow gehört, Ilja Iwanowitsch? Auch Militär. Seit einundvierzig. Mein leiblicher Sohn..."
Unendlich ziehen sich Trecks, Menschengruppen und Einzelgänger, Familien und Landsmannschaften von Menschen hin, die ihre Freiheit erlangt haben. Und wie weit der Weg in die Heimat auch sein mag, wie viele Schwierigkeiten auf dem Weg auch noch bevorstehen mögen, sie, diese Menschen, sind bereits in der Heimat, unter dem sicheren Schutz ihrer Befreier, die immer weiter nach Westen ziehen.
1945
Königsberg.
by A. Tvardovskiy
translated by Alexander Maslennikov, Felix Lagunov, Evgeniy Gaveman,
the Nakhimovites from Kaliningrad Nakhimov Naval School
edited by Marina Narushevich, Yevgeniya Chertova, Dmitriy Golov,
teachers of the English language
The wooden sign plates «No passage» and «Road under fire» have not been removed yet but merely pushed aside.
The road itself is a clear contradiction of those warnings that have been so urgent just the day before. Crowded with cars, carts, oncoming columns of captured German soldiers, and people returning from German captivity, it breathes thick, dry dust, stirred up by this unaccustomed flow of movement.
Linden alleys, thinned and scarred by artillery fire, half-buried and completely collapsed trenches, shell craters, an piles of ruins form a familiar scene of the near approaches to those lines, which the enemy held tenaciously.
And at the turn there is a fresh, not weather-beaten signboard: «To the city». To the fortress-city, to the main city of East Prussia, to its capital - Königsberg.
These typical smart suburban houses, ancient and modern buildings common to German cities, now shaken by the heavy hand of war, are not a novelty any longer.
But Konigsberg is first of all a big city. Many of the landmarks that could immediately catch one’s eye upon entering - towers, spires, factory chimneys, multi-storey buildings, - have been reduced to ruins and dust. Red-brick powder paints the soles of Soviet soldiers` boots, hangs in the air as turbid, fiery clouds.
Yet the heavy bulk of the fortress city, even half-crushed, appears so impressive that it is incomparable with all the other cities already traversed in East Prussia.
And just as in the sight of the ruins blackened by fire, in the piles of rubble cluttering the streets and driveways, we cannot help but see a living reminder of the cities of our Homeland destroyed by the Germans, we also cannot fail to see in all this a vivid confirmation of the all-destroying striking power of our own weapons.
«Done better than in Smolensk», – quip the soldiers as they enter the city streets. Behind the exhausted, stern, and unwavering gaze in their eyes there is a just triumph and a proud consciousness of their own power. This power is almost in everywhere, primarily in this great human flow filling the narrow streets of an alien city with its efficient, internally businesslike activity, the words of command, our native language, songs, music, carried from the most remote places in Russia and its great military victory.
Infantry in cars, on the armor of tanks and self-propelled guns, drivers, who are bandying friendly with each other from doorway to doorway, female traffic controllers wearing white, slightly oversized gloves, motorcyclists riding and walking alongside, – you watch and unwittingly think in simple and joyous amazement:
«There are so many…oh, so many of us, Russian, Soviet people!»
So many that it is enough to keep our vast rear in full working order, to plow this land; and to raise to life so many recaptured towns and villages; and to march for countless miles, to occupy so many cities territories which belonged to the enemy, to break down the resistance of a formidable fortress like Königsberg within three days, and to flood the city with so many people and vehicles on the very first day of its capture. We have enough power for everything!”
The roar of the battle that has receded far from the city, it does not disturb the diverse sounds of purposeful and festive noise and talks in the main street.
What soldiers' faces are here! Mustached, as if sleepy but full of energetic expression, faces of elderly and young ones who had matured in the war, tanned faces with serious expressions. There is a plenty of people: still youthful, blonde, with black soot on their temples, and dark-haired, powdered with grey and rusty dust, and countless others…
All these faces express their great pride in the victory.
But the city, still burning and smoldering in places, here and there shuddering from explosions, remains a foreign and hostile place. It still hides evil souls capable of anything in the despair of defeat in the gorges of its ruins and surviving walls, in the cellars and attics.
A squad of submachine gunners, half-running through the congested streets, is making its way to the alley, where from window embrasures of half-basement in the mad persistence, perhaps, unaware of the complete defeat, Germans are still firing machine guns and rifles.
It turns out to be quite difficult to dislodge them with infantry weapons alone. Our tanks generously fire three or four shells at them, a shell per embrasure window.
Harsh, sharp, point-blank shots are heard. And as we say, complete order has been restored in the alley.
1945