Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, bei einem Treffen mit Studenten und Dozenten der MGIMO am 1. September 2016 in Moskau
Sehr geehrter Herr Torkunow,
Sehr geehrter Herr Baschanow,
Liebe Freunde und Kollegen,
ich freue mich, bei der traditionellen Veranstaltung zu sein, die dem Beginn eines neuen Studienjahres gewidmet ist. Ich möchte allen Anwesenden gratulieren, vor allem den Studenten des ersten Studienjahres. Sie beginnen ein selbstständiges Leben. Jetzt eröffnen sich vor ihnen alle Möglichkeiten, die umgesetzt werden, falls das, was sie in ihren Händen, Köpfen und Herzen haben umgesetzt wird, um echte Profis, würdige Staatsbürger Russlands und anderer Länder zu werden, die Studenten der MGIMO sind.
Ich möchte gleich sagen, dass sie Glück haben, dass die Rolle der von ihnen gewählten Hochschule schwer zu überschätzen ist. Das Diplom der MGIMO war immer ein Zeichen von Qualität, Garantie der fundamentalen Kenntnisse und ausgezeichneten praktischen Fertigkeiten. Die Universität ist eine einmalige Bildungs-, Wissenschafts-, expertenanalytische Plattform, die internationale Beziehungen, Weltwirtschaft, Völkerrecht, Politologie erforscht. Mit der Wissenschafts- und Forschungstätigkeit leistet die Universität einen realen Beitrag zur entsprechenden Arbeit des Außenministeriums Russlands und bei der Vorbereitung der außenpolitischen Entscheidungen genutzt. Es ist besonders erfreulich, dass unsere Alma Mater nicht auf dem Erreichten anhält und sich weiterhin dynamisch entwickelt. Bereits vor kurzem haben wir zusammen mit Herrn Torkunow und Herrn Baschanow die MGIMO-Filiale in Odinzowo eröffnet, wo der Schwerpunkt auf die Ausbildung von Verwaltungs- und Wirtschafts-Kräfte gelegt wird. Die Kenntnisse, die MGIMO bietet, werden weiterhin erweitert. An internationalen Rankings belegt die Universität traditionell die vorderen Plätze. Wir sind zu Recht stolz darauf.
Heute sind im Außenministerium Russlands Kräfte gefragt, die MGIMO ausbildet - hochqualifizierte internationale Spezialisten. Wie der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, bei der Sitzung der Botschafter und ständiger Vertreter Russlands im Ausland vor kurzem betonte, erfordern die Vielfalt und Schwierigkeit internationaler Probleme, Herausforderungen und Bedrohungen, mit denen Russland konfrontiert, eine ständige Vervollkommnung unserer diplomatischen Instrumente in den politischen, wirtschaftlichen, humanitären und Informationsbereichen.
Solche hohe Anforderungen sind damit verbunden, dass die Welt eine ernsthafte und lange Etappe des Umformatierens des Systems der internationalen Beziehungen aus einem unipolaren und bipolaren in ein polyzentrisches absolviert, die die kulturzivilisatorische Vielfalt der modernen Welt wiederspiegeln, das Recht der Völker auf selbstständige Bestimmung ihrer Zukunft und Förderung der Festigung der globalen und regionalen Sicherheit auf einer festen Grundlage des Völkerrechts respektieren soll. Es ist klar, dass die Antworten auf zahlreiche Probleme der heutigen Zeit, die global wurden, ausschließlich gemeinsam gesucht werden können. Hier nimmt die Rolle der Diplomatie zu. In den letzten Jahren, während einer intensiven Entwicklung einer weiteren technologischen Revolution, konnten wir uns alle vergewissern, dass keine Informations- und Kommunikationstechnologien, auch wenn die modernsten, ein direktes Gespräche ersetzen können. Sie werden das spüren. Ich hoffe, dass die Fähigkeit zu einer direkten menschlichen Kommunikation nicht von der Generation verloren wird, die sich für Soziale Netzwerke und Spiele interessiert.
Leider stößt ein natürlicher Aufbau eines polyzentrischen multipolaren internationalen Systems, das die Suche nach Kompromissen, gegenseitige Zugeständnisse und Respekt, Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen vorsieht, auf ernsthafte und zahlreiche Hindernisse stößt, die vor allem mit dem Wunsch unserer westlichen Partner (ich meine hier den Westen im breiten, historischen Sinne) verbunden sind, ihre globale Dominanz aufrechtzuerhalten. Dort wird davon ausgegangen, dass sie in dieser Welt einige Jahrhunderte lang dominierten und weiterhin die Lösung jedes Problems so sehen wollen, wie sie die entsprechende Situation sehen. Sie beanspruchen de facto ein Monopol auf die Wahrheit und nutzen dabei ein breites Spektrum der in der Regel illegitimen Zwangsmethoden, unethische Einflussmittel – von Neuschreibung der Geschichte, Führung der starken und ziemlich aggressiven Informations- und Propaganda-Kampagnen bis zur Einführung einseitiger Sanktionen und Sponsern der Staatsstreiche, Entfachung der regionalen Konflikte und direkter militärischer Einmischung. Die Folgen solcher dekonstruktiver Handlungen sind bereits in mehreren Regionen der Welt zu erkennen, besonders im Nahen Osten und Nordafrika, aber auch viel näher zu unseren Grenzen.
Mit solchen egoistischen Verhalten sind nicht nur wir nicht einverstanden. Immer mehr Länder zeigen Unzufriedenheit mit solcher groben Politik, Handlungen zum Zwingen zu Beschlüssen. Die Tendenz der Abwehr eines einseitigen Gewaltkurses in internationalen Angelegenheiten stützt sich auf objektive Prozesse, vor allem auf den Prozess der Bildung eines polyzentrischen Systems der internationalen Beziehungen. Das ist nicht eine Theorie, die sich nicht auf Praxis stützt. Das ist ein objektiver Prozess. In der Welt tauchen neue Zentren des Wirtschaftswachstums und Finanzhilfe auf. Mit einer starken Wirtschaft und Finanzen kommt auch ein ernsthafterer Einfluss. Damit werden Kräfte und der Einfluss im globalen Ausmaß umverteilt. Solche Prozesse werden vor allem in der Asien-Pazifik-Region zu erkennen, die lange eine Lokomotive der Wirtschaftsentwicklung bleiben wird. Das alles geschieht vor dem Hintergrund, dass unser größter Handelspartner, die EU, selbst trotz Krise und Sanktionen allmählich ihre Positionen in globalen wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten verliert.
Wir wollen keine übereiligen Handlungen machen. Wir sind eine Eurasische Macht, so wollte es die Geschichte, Natur und vor allem unsere große Vorfahren. Deswegen sollen wir mit unserer ganzen Wirtschaft in allen Richtungen arbeiten, wobei optimale äußere Bedingungen zur Entwicklung des Landes, Verbesserung des Lebensniveaus des Volkes gewährleistet werden. Das sieht die Gewährleistung der Sicherheit unserer Grenzen, optimale Bedingungen für unsere Staatsbürger, die ins Ausland reisen, damit sie sich frei und sicher fühlen, sowie für unsere Wirtschaftsfirmen, die mit ausländischen Partnern im Osten, Süden und Westen kooperieren. Wir machen alles, damit diese Bedingungen komfortabel werden, damit es keine Diskriminierung zu unseren Firmen, Geschäft, Unternehmer gibt.
Wir nennen unseren außenpolitischen Kurs als multidimensional, selbstständig, weil Russland keinen anderen Weg außer selbstständigen hat. Wir fördern die Politik, die die Weltgemeinschaft nicht spaltet, sondern sie vereinigt, wir fördern friedensstiftende Politik, die die Lösung der Probleme auf Grundlage der politisch-diplomatische Methoden und Völkerrechts vorsieht. Wir sind offen zur Kooperation mit allen ohne Ausnahme, wer bereit ist, mit uns auf Grundlage der Gleichberechtigung, Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen und gegenseitiger Vorteile zusammenwirken will. Heute werden solche Herangehensweisen, die sich von den Herangehensweisen unterscheiden, die via einseitige Handlungen aufgedrängt werden, von den meisten Staaten geteilt, die nicht weniger als 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie alle wollen internationale Beziehungen respektvoll aufbauen. Damit sind wir natürliche Partner mit den meisten Ländern der internationalen Gemeinschaft.
Ich wiederhole, dass die EU unser größter Partner bleibt. Es wäre unverzeihbar, die riesengroßen Möglichkeiten nicht zu nutzen, die von uns angesichts einer aktiven Entwicklung der Wirtschaft, Logistik- und Verkehrsprozesse in der Asien-Pazifik-Region eröffnet werden. Zudem ist eine der unseren Prioritäten die Förderung der eurasischen Wirtschaftsintegration. Das ist viel breiter, als einfach die Lösung aller Aufgaben, die von den Anführern der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft gestellt wurden, das ist auch eine offene Fortsetzung der Integrationsprozesse.
Wie Sie wissen, legte Russlands Präsident Wladimir Putin eine Initiative vor, das Projekt „Große eurasische Partnerschaft“ zu fördern. Dieses Projekt sieht nicht nur die Erweiterung der Zahl der Partner der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft, die an der Schaffung der Freihandelszonen mit der EAWU interessiert sind, sondern auch die Aufnahme der stabilen Systemverbindungen mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und Assoziation der Länder Südostasiens. Das Interesse an solcher offenen Partnerschaft unter Teilnahme der erwähnten Organisationen tauchte beim letzten SOZ-Gipfel (Juli 2015, Ufa) und bei dem Treffen Russland-ASEAN auf der höchsten Ebene im Mai in Sotschi auf.
Bei diesen Prozessen spielt natürlich die russisch-chinesische strategische Partnerschaft eine große Rolle. Wir legen viel Wert auf die Erfüllung der Vereinbarungen unserer Präsidenten zur Stärkung der russische-chinesischen Beziehungen. Im Mai fand ein offizieller Besuch des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, nach China statt. Übermorgen reist Russlands Präsident Wladimir Putin zum G20-Gifel in Hangzhou, wo ebenfalls eine Verhandlungsrunde zwischen dem russischen Staatschef und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping stattfinden.
Morgen wird das zweite Östliche Wirtschaftsforum in Wladiwostok eröffnet. Dieses Ereignis wird eine sehr wichtige Plattform bei der Förderung der Aufgaben sein, die vor uns in der Asien-Pazifik-Region stehen und die Beteiligung unseres Landes an Integrationsprozessen in diesem Teil der Welt im Interesse der maximalen Nutzung dieser Möglichkeiten zur Entwicklung Ostsibiriens und des Fernen Ostens vorsieht. Wir werden natürlich auch andere Formate zum Aufbau der neuen gerechten Beziehungen in der Weltwirtschaft und Politik nutzen wie G-20 (der Gipfel beginnt am 3. September in Hangzhou) sowie BRICS (in diesem Jahr sind zwei Gipfel geplant – ein informeller am Rande des G20-Gipfels und der zweite in anderthalb Monaten in Indien).
Alles, was wir machen, dient der Aufgabe der möglichst sicheren Bedingungen zur Entwicklung unseres Landes, internationaler Projekte, menschlicher Kontakte. Hier ist unser gemeinsamer Feind – der internationale Terrorismus. Wir sind davon überzeugt, dass man gegen ihn nur auf der Völkerrechtsbasis ohne Doppelstandards bei Respektieren der Hauptrolle der UNO kämpfen kann. Wir richteten uns nach diesen Prinzipien, als wir als Antwort auf die Bitte der syrischen Regierung russische Fliegerkräfte nach Syrien zum Kampf gegen ISIL, Dschebhat an-Nusra und die mit ihnen kooperierenden Extremistengruppierungen schickten. Parallel lösen wir sehr wichtige Aufgaben zur Vereinfachung der humanitären Lage der syrischen Bevölkerung, insbesondere in den Gebieten, die von Extremisten blockiert wurden, wir erreichen den möglichst schnellen Beginn eines vollwertigen politischen Dialogs.
Die UNO hat entsprechende Aufträge, doch bislang funktioniert es nicht so sehr in dieser Richtung. Die Aufgabe, die vom UN-Sicherheitsrat über den Beginn der zwischensyrischen Verhandlungen unter Teilnahme aller ohne Ausnahme politischer, ethnischer und konfessioneller Gruppen gestellt wurde, bleibt sehr aktuell. Wir haben darüber vor einigen Tagen in Genf gesprochen, als wir uns erneut mit dem Außenminister der USA, John Kerry trafen. Ich sagte bereits, dass wir nicht daran interessiert sind, jemandem Rücken zu kehren, wir sind zur Wiederaufnahme normaler vollwertiger Beziehungen zur EU, den USA bereit, allerdings ausschließlich auf Grundlage der Gleichberechtigung, ohne jegliche Versuche, diese Beziehungen in ein Spiel in ein Tor zu verwandeln.
Eine sehr schwierige Situation in der Ukraine. Die Krise in diesem Land wurde zu einem Katalysator der Prozesse, die die Unvollkommenheit der Sicherheit in Europa und in der Euroatlantik im Ganzen und System-Nachteile dieser Struktur im Ganzen offenbarten, die seit vielen Jahren nicht reformiert werden konnte. Unsere Vorschläge stießen auf Egoismus der politischen Eliten mehrerer Länder, die geostrategische Vorteile auf Kosten der Interessen anderer Länder bekommen wollten, wobei die in den 1990er-Jahren auf höchster Ebene getroffenen Erklärungen in der OSZE, im Rahmen der Beziehungen Russland-Nato darüber ignoriert wurden, dass die Sicherheit untrennbar ist und niemand seine Sicherheit auf Kosten der Schädigung der Sicherheit der anderen stärken wird. Diese politischen Verpflichtungen werden grob verletzt. Unsere Vorschläge, diese Verpflichtungen aus einfachen politischen Erklärungen zu juridisch verpflichtenden Erklärungen zu machen, wurden abgelehnt. Ich hoffe, unsere Partner erinnern sich daran. Falls sie dies vergessen haben, werden wir natürlich sie daran erinnern. Business as usual wird jetzt weder mit den USA, noch mit der EU, geschweige denn der Nato funktionieren.
Bis vor kurzem wurden Versuche unternommen, uns als Schüler darzustellen, die sehr schwer zu belehren sind. Doch weder die USA, noch die EU, geschweige denn die Nato sind die MGIMO-Universität. Wir alle studierten an MGIMO, werden dort weiterhin studieren und den Kenntnissen und Prinzipien treu bleiben, die unsere große Universität erklärt.
Unabhängig von den Prozessen, die jetzt in der Ukraine laufen, sollen unsere westlichen Partner noch vieles machen, um das Vertrauen seitens der Russischen Föderation, Voraussagbarkeit in europäischen Angelegenheiten wiederherzustellen. Wir sehen natürlich, dass der Westen allmählich versteht, dass die Normalisierung der Situation notwendig ist. Gut ist, dass wir von der Entschlossenheit beim Kampf gegen internationalen Terrorismus – ISIL, Dscebhat an-Nusra – zumindest in Worten vereinigt werden, uns vereinigt die Entschlossenheit, die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen in Bezug auf die Ukraine-Krise zu erreichen. Wir unterstützen natürlich das in Positionen unserer westlichen Partner, sagen jedoch immer, dass die Minsker Vereinbarungen so umgesetzt werden sollen, wie dies vereinbart wurde – via einen direkten Dialog zwischen Kiew und Donezk und Lugansk. Es handelt sich vor allem um eine gesetzliche Festlegung des Sonderstatus von Donezbecken, Verfassungsreform, Amnestie, Lokalwahlen. Dies alles ist in den Minsker Vereinbarungen festgeschrieben und soll erfüllt werden.
Unsere Diplomatie wird weiterhin initiativreich, entschlossen und sicher die Interessen Russlands, unserer Staatsbürger schützen. In der jetzigen unruhigen Lage ist es schwierig, die Rolle der menschlichen Kontakte, humanitärer Austausche zur Festigung des Vertrauens und gegenseitigen Verständnisses zwischen den Völkern zu überschätzen. Hier versucht die MGIMO ebenfalls, die führende Rolle zu spielen. Wir schätzen sehr hoch den Beitrag der Universität in die Anstrengungen in dieser Richtung in vielen Formaten. Heute beginnt in Wladiwostok, wohin wir mit dem Rektor der MGIMO, Anatoli Torkunow, reisen, am Rande des Östlichen Wirtschaftsforums die Universitätsforum Russland-ASEAN, an deren Organisation die MGIMO die unmittelbare und sehr aktive Rolle spielte.
Damit möchte ich Schluss machen, doch bevor wir zu Fragen übergehen, möchte ich erneut der Führung, Dozenten, Studenten, Promovierenden der Universität Gesundheit, neue Erfolge bei der Arbeit und alles Gute wünschen. Ich möchte nochmals viel Glück den Studenten des ersten Studienjahres wünschen. In den Händen der Jugend, die heute den großen Lebensweg beginnt, ist die Zukunft unseres Landes. Von Euren Fertigkeiten, Kenntnissen, die Sie sich an der MGIMO aneignen werden, inwieweit professionell sie die Universität verlassen werden, wird demnächst vieles vom Leben unseres Landes und der ganzen internationalen Gemeinschaft abhängen.
Danke.
Frage: In den USA finden bald Präsidentschaftswahlen statt. Wie werden sie die Beziehungen zu diesem Land beeinflussen?
Sergej Lawrow: Ich sagte bereits, dass wir für die Entwicklung normaler Beziehungen mit allen Staaten sind, ob mit den USA oder einem anderen, mittelgroßen, kleineren Land. Wir gehen immer davon aus, dass das Schicksal jedes Landes von seinem Volk bestimmt werden soll. Wir sind bereit, mit jedem Anführer der USA zu arbeiten, der das Vertrauen des Volkes bei freien und demokratischen Wahlen bekam. Das ist kurz gefasst zu ihrer Frage. Doch sie schnitten ein Thema an, das mit dem Wahlkampf in den USA verbunden ist. Natürlich löst dies Sorgen für unsere US-Partner aus. Das ist eine starke Macht, in der traditionell immer die Rolle der demokratischen Prinzipien, Prinzipien der Förderung der politischen Konzepte groß war. Im politischen Kampf, besonders kurz vor den Wahlen, greifen manchmal Gegner, Rivalen zu untypischen Methoden und Gestalten, wenn Russland, das bereits vor einigen Jahren vom jetzigen US-Präsidenten als regionale Macht bezeichnet wurde, sich im Laufe des Wahlkampfes in den USA beinahe in den größten Lenker des Schicksals verwandelte, der den bedeutendsten Einfluss auf die Prozesse in den USA ausübt – ich denke, das ist schon zu viel. Alle verstehen, dass die übertriebenen Mottos, die darauf gezielt sind, in die Köpfe der Wähler zu schlagen und diese antirussische Rhetorik zu nutzen, um einfach zu sagen, dass einer der Kandidaten der russische Spion ist, weshalb man für den anderen Kandidaten stimmen sollte. Ich sage beinahe buchstäblich das, was während US-Wahlkampfes gesagt wird. Schade für die Amerikaner, US-amerikanische politische Klasse. Das ist alles irgendwie unwürdig.
Wir verfolgen dies ziemlich philosophisch und machen bestimmte Schlussfolgerungen daraus. Unabhängig davon, wer gewinnt, wird es US-Präsident. Wir werden bereit, mit diesem Menschen zu arbeiten in demselben Ausmaß, mit dem der neue Präsident der USA bereit sein wird, mit der Russischen Föderation zu arbeiten – nicht einfach arbeiten, sondern auf Grundlage der gegenseitig abgestimmten Prinzipien – Gleichberechtigung, Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen, gegenseitiger Respekt. Ich bin davon überzeugt, dass wir bei solchen Herangehen vieles erreichen können – trotz aller Ereignisse der letzten Jahre, trotz der antirussischen Kampagne in der Presse, Wirtschaft und Finanzen. Dort, wo wir übereinstimmende Interessen Russlands und des Westens sahen, wo wir sahen, dass Russland und die USA auf gleichberechtigter Grundlage bei der Lösung ernsthaftester globaler Probleme helfen können, arbeiteten wir zusammen und erreichten Ergebnisse. Dazu gehört auch eine Vereinbarung zum Iranischen Atomproblem, chemische Demilitarisierung, Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und mehrere andere Faktoren, darunter die Schaffung eines multilateralen Mechanismus zur politischen Regelung der Syrien-Krise, der von Russland und den USA als Kovorsitzenden geleitet wird. Deswegen, wenn man künstliche Probleme zur Seite schiebt und sich auf realen Bedrohungen konzentriert – Verbreitung der Atomwaffen, internationaler Terrorismus, Drogenverkehr, organisierte Kriminalität, zeigt die Erfahrung der letzten zwei bis drei Jahren, dass man sehr gute Ergebnisse erreichen kann. Ich hoffe, dass der für US-amerikanische politische Klasse typische Pragmatismus über die ideologisierte Rhetorik überwiegen wird.
Frage: Jetzt wird aktiv der Bau eines Wasserkraftwerks durch die Mongolei am Fluss Selenga besprochen, was zum Verfall des Baikal-Sees führen kann, weil dieser Fluss sein größter Nebenfluss ist. Welche Maßnahmen kann Russland treffen, um die möglichen Umweltverluste bei diesem Projekt zu minimieren?
Sergej Lawrow: Das ist eine sehr ernsthafte Frage. Wir befassen uns damit seit den ersten Tagen der Arbeit der mongolischen Nachbarn an diesem Projekt. Wir stellten diese Frage auf der Ebene der Präsidenten beider Länder, ich schnitt sie an, als ich im Frühjahr zum Besuch in der Mongolei war, bei den Treffen mit dem Präsidenten, dem Regierungsvorsitzenden, dem Außenminister. Wir haben eine Vereinbarung, die in der nächsten Zeit hoffentlich umgesetzt wird, dass eine Arbeitsgruppe geschafft wird, zu der die Grenzregionen Russlands und der Mongolei gehören werden, darunter das Gebiet Irkutsk, Burjatien. Diese Arbeitsgruppe wird damit beauftragt, konkrete Vorschläge auszuarbeiten, die von der Führung beider Länder erörtert werden. Wir werden von der Notwendigkeit ausgehen, das einmalige Ökosystem Baikals und der Baikal-Region zu schützen.
Frage: Seit einigen Jahren wird an Sie eine Frage in Bezug auf den Beginn des „Kalten Krieges“ gestellt. Hat sich Ihre Meinung darüber nicht geändert, dass Russland jetzt am Rande dieses Kriegs steht?
Sergej Lawrow: Wissen sie, es ist sehr schwierig diese zwei Situationen zu vergleichen, sie unterscheiden sich kardinal voneinander. Ich sehe keine Voraussetzungen dafür, dass die zweite „Auflage“ des Kalten Kriegs Realität wird. Im Unterschied von der damaligen Epoche haben wir keine ideologischen Auseinandersetzungen, sondern gemeinsame Prinzipien, die wir im Rahmen der OSZE, UNO teilen. Sie sehen demokratische Entwicklung der Gesellschaften vor, obwohl Demokratie zahlreiche Formen und konkrete Erscheinungen hat, die die historischen Traditionen der Gesellschaft, Etappen ihrer Entwicklung und vieles anderes berücksichtigen. Deswegen kann es kein einheitliches System der Demokratie geben. Es wäre dann Autoritarismus oder eine unitäre Organisation des Friedens in allen Staaten.
Wir teilen demokratische Prinzipien, das wichtigste davon freie gerechte Wahlen sind, wir machen alles, damit die Fragen, die bei uns zu unserem Wahlsystem entstehen, zur Befriedigung aller gesellschaftlichen Kräfte gelöst werden. Uns vereinigt natürlich die Marktwirtschaft, die ebenfalls nicht gleich im Staatssystem jedes Landes umgesetzt werden kann. Deswegen haben wir viel Gemeinsames. Das Wichtigste ist, dass wir keine ideologischen Auseinandersetzungen haben.
Während des Kalten Kriegs wurde jeder Konflikt ausschließlich unter dem Blickwinkel „entweder wir, oder sie“ betrachtet – ein bipolares System – USA-Sowjetunion, Nato-Warschauer Pakt. Das alles war der gegenseitigen Abschreckung unterordnet. Falls irgendwelche Konflikte irgendwo in Afrika entflammten, bei denen autoritäre Diktatorregimes von einem Revolutionär, Kämpfer gegen die Kolonialpolitik unter Druck gesetzt wurden, wurde versucht, diese Konflikte nicht an die Phase zu bringen, wenn sich Großmächte, zwei Militärblöcke einmischen mussten. Allerdings wurden sie im Kontext „Seiner-Fremder“, als Nullsummenspiel betrachtet.
Jetzt haben wir solche Herausforderungen, die einen globalen Charakter haben, die nicht in ein Nullsummenspiel verwandelt werden können – entweder werden alle gewinnen, oder alle verlieren. Alle gewinnen können nur bei der Vereinigung der Anstrengungen. Ich erwähnte bereits Terrorismus, Verbreitung der Waffen im Jahrhundert der nuklearen Vernichtung, Drogenverkehr, organisierte Kriminalität in verschiedenen Formen, Cyberkriminalität.
Unter anderen Vorwürfen, die jetzt in den USA während des Wahlkampfes gegenüber uns lauten, hören wir auch, dass wir angeblich Cyberverbrechen begehen, Hacker knacken Webseiten der demokratischen Partei, des FBI, NSA. Experten, die wissen, wie die Hackergemeinschaft funktioniert, sagen, es sei Blödsinn. Allerdings sind Vorwürfe gegenüber uns zu hören. Zudem wurden im Laufe von mehreren Jahren ein paar Dutzend unserer Staatsbürger in Drittländern auf Anfrage der USA festgenommen, in der Hälfte der Fälle wurden sie illegal in die USA gebracht, damit sie dort vor Gericht gestellt werden. Fast allen werden Cyber-Verbrechen vorgeworfen. Bereits vor einem Jahr schlugen wir den USA offiziell vor, Konsultationen über Kooperation im Bereich Gewährleistung der Cybersicherheit abzuhalten, weil wir von dieser Geschichte ebenfalls beunruhigt sind. Wir wollen nicht, dass unsere Staatsbürger, falls die Verdächtigungen wahr sind, Teilnehmer dieser illegalen Handlungen sind. Im November schlugen wir vor, ernsthafte Expertenberatungen abzuhalten. Es gab keine Antwort. Im Januar erinnerte ich US-Außenminister John Kerry daran, dass wir eine Antwort bekommen möchten. Er sagte, es sei eine gute Idee und er werde sich damit unbedingt befassen. Ich erinnerte ihn daran auch im Mai, auch jetzt, als wir uns vor einer Woche in Genf zu Syrien-Frage trafen. Er wunderte sich, warum wir bislang keine Antwort bekamen. Das US-Justizministerium, wohin diese Anfrage eintraf, weigerte sich, eine schriftliche Antwort zu geben. Uns wurde gesagt, dass sie keinen Sinn darin sehen, in diesem Bereich zu kooperieren. US-Außenminister John Kerry sagte, es sei nicht richtig und er werde versuchen, diese arrogante und unklare Position des Justizministeriums zu ändern. Das ist eine Anomalie, die nur zeigt, dass es Ausnahmen gibt.
Im Ganzen wächst sowohl im Westen, als auch in den USA das Verständnis davon, dass es ohne uns sehr schwierig ist, irgendwelche Probleme zu lösen, ob Syrien, der Irak, Libyen und viele andere Krisen. Neben geografischen Themen – Problemen der Nichtverbreitung von Atomwaffen, Beseitigung der Risiken im Bereich Chemiewaffen und Biologiewaffen arbeiten wir jetzt daran, dass im Bereich Erfüllung der Konvention für das Verbot der Biologie- und Giftwaffen ein Verifikationsmechanismus geschaffen wird. Alle sind wohl bereit dazu, doch die Amerikaner blockieren dies. Wir wissen, dass die Amerikaner mehrere Programme haben, darunter mit unseren Nachbarn, die den Forschungen im Bereich Biologie gewidmet sind. Der Verzicht der USA, einen Kontrollmechanismus zu schaffen, bringt zum Gedanken, dass die Forschungen nicht ganz friedlich sind. Wir sprechen auch mit ihnen, doch bislang vermeiden sie ein offenes Gespräch. Wir haben bei Unterstützung Chinas vorgeschlagen, eine Konvention zum Kampf gegen Akte des Chemie- und Biologie-Terrorismus zu schaffen.
Ich betone nochmals, dass diese Initiativen sehr breit unterstützt werden, was während des Kalten Kriegs unmöglich war. Die Tatsache, dass die Amerikaner bislang den Beginn der praktischen Arbeit in diesen Richtungen ablehnen, bedeutet nur, dass sie langsamer als andere auf schädliche Gewohnheiten verzichten, eine davon die Überzeugung der eigenen Exklusivität ist. Doch die Zeit heilt. Leider wird es nicht schnell sein. Unsere US-Kollegen haben einen Gen-Code – das wichtigste ist, dass sie alles selbst entscheiden. Doch das Leben ist härter als ein Gen-Code. Deswegen hoffe ich, dass sie in der absehbaren historischen Periode zur Notwendigkeit kommen, im Trend der objektiven Entwicklungen der Welt zu sein.
Frage: Herr Lawrow, über welche Eigenschaften, Fertigkeiten und Fähigkeiten soll der künftige Diplomat neben ausgezeichneten Fremdsprachenkenntnissen verfügen?
Sergej Lawrow: Die Liste ist endlos. Die Diplomatie verließ seit langem die Mittelalter-Etappe, als sie vor allem den Verhandlungen und Intrigen um Probleme des Kriegs und Friedens gewidmet war. Jetzt nennen wir sie Probleme der internationalen Sicherheit, doch das sind trotzdem Probleme des Kriegs und Friedens. Diese Probleme sind sehr wichtig für Diplomatie, sie wird sich damit so lange befassen, so lange diese Probleme und die Versuche, die Gewalt bei internationalen Angelegenheiten anzuwenden vorhanden sein werden. Leider werden diese Versuche fortgesetzt. Wir sehen, dass rosige Hoffnungen, die wir alle vor 15 bis 20 Jahren hatten, dass in der modernen Welt der Faktor der Militärkraft sinkt, nicht gerechtfertigt wurden. Leider ist es so. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Faktor als Mittel zur Lösung der internationalen Probleme sinken soll, doch von uns hängt nicht alles ab. Deswegen soll man manchmal, wie wir dies in Syrien machen, Anstrengungen bei harten Militärhandlungen vereinigen, um eine gemeinsame Bedrohung für die Menschheit in Form des internationalen Terrorismus zu vernichten. Der Vektor ist natürlich auf politisch-diplomatische Methoden bei der Lösung verschiedener Probleme gerichtet.
Die heutige Diplomatie befasst sich neben Krieg und Frieden und der damit verbundenen Probleme, fast mit allen Bereichen ohne Ausnahme, darunter Klima und Energie, die der Gegenstand scharfer Diskussionen bleiben. Bei der Pariser Klimakonferenz wurde geschafft, ein Dokument abzustimmen, das das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen der Experten, Minister, Verhandlungen auf höchster Ebene ist. Das ist natürlich ein Kompromiss. Es ist sehr schwierig, nach einem gemeinsamen Nenner unter Bedingungen zu suchen, wenn sich Länder bei industrieller Entwicklung nicht beschränken wollen. Jemand überholte einst einen anderen und stieg jetzt in eine postindustrielle Wirtschaft ein, während andere in die Wirtschaft nach industriellen Regeln investieren sollen, die die Umwelt verschmutzt. Das ist ein sehr schwieriger Prozess. Deswegen wurde bei der Abstimmung eines Klimaabkommens es nicht geschafft, wie seine Erfüllung kontrolliert wird, wie es umgesetzt wird. Dass soll noch nachgearbeitet werden. Bevor man zur Ratifizierung übergeht, wollen wir verstehen, wie es funktionieren wird.
Ein weiteres Beispiel, das ich bereits erwähnte, ist die Energiewirtschaft. Um dieses Thema werden sehr ernsthafte politische Spiele geführt. Das ist, was in Europa passiert. Dazu gehört auch der Gastransit durch die Ukraine, die schon öfter bewies, dass sie unzuverlässig ist, und auch unsere Pläne zur Diversifizierung der Gasförderungswege nach Europa für die EU-Mitglieder, und auch die Pläne zum Bau von neuen Pipelines im Osten und Süden. Dabei geht es um die Absicht der EU, trotz der aktuellen Wirtschaftsrealität und auch ihrer eigenen Finanzinteressen die mit der Beförderung unseres Gases nach Europa verbundenen Probleme zu politisieren und nach anderen Lieferanten zu suchen, auch wenn sie selbst dabei Verluste tragen würden. Gleichzeitig versuchen die USA, die aktuelle Abkühlung zwischen uns und der EU auszunutzen, und den Europäern ihr Flüssiggas aufzuzwingen, für das aber eine enorm teuere Infrastruktur nötig ist.
Ich könnte auch viele andere Beispiele anführen, aber praktisch jeder Bereich der menschlichen Tätigkeit muss einem Diplomaten bekannt sein – selbst Medizin und Pharmazie. Auch solche Themen könnten bei Verhandlungen auftauchen, und man muss verstehen, worum es geht, und nach konkreteren Argumenten suchen. Sie haben Fremdsprachen erwähnt – das ist selbstverständlich. Wir haben im Außenministerium die Regel, dass man mindestens zwei Fremdsprachen kennen muss, um angestellt zu werden.
Natürlich ist auch die Kultur wichtig. Die Kulturdiplomatie spielt eine kolossale, sogar vielleicht die führende Rolle, wenn zwischenstaatliche Beziehungen eine Talfahrt erleben. Wir erleben gerade nicht die besten Zeiten in den Beziehungen mit Westeuropa, mit Großbritannien, das die Mechanismen der Anti-Terror-Kooperation und vieles andere auch auf Eis gelegt hat. Aber unsere humanitären und kulturellen Kontakte entwickeln sich weiter. In London werden jedes Jahr diverse Kulturveranstaltungen ausgetragen – darunter die „russische Butterwoche“, die Woche der russischen Kunst usw.
Was jetzt in Archangelskoje passiert, wo die Prinzessin Anna die Veranstaltungen zum 75-jährigen Jubiläum des ersten „Dervish“-Konvois besucht, zeugt davon, dass man als Diplomat seine Geschichte sehr gut kennen muss. In schwierigen Zeiten erweist sich, dass Ereignisse, die schon sehr lange her sind, bei der Aufrechterhaltung des gegenseitigen Dialogs helfen und das historische Gedächtnis der Menschen „wecken“ können. Ich bin überzeugt, dass viele unsere westliche Kollegen sich an die Ereignisse erinnern, als wir einen furchtbaren Feind gemeinsam bezwungen haben. Solche Gefühle muss man unbedingt aufrechterhalten und keineswegs das zulassen, was man versucht, mit jedem europäischen Führungspolitiker zu tun, der plötzlich sagt, er kenne und verehre die gemeinsame Heldentat seines und des sowjetischen Volkes. Ich werde keine Namen nennen, was solche ehrlichen Politiker mit reinem Gewissen werden von denjenigen angegriffen, die die ganze Geschichte neu deuten und die mit dem Sieg der Sowjetunion verbundenen Kapitel mit schwarzer Farbe zu verschmutzen. Das wird zu einem realen Instrument der modernen Politik. Die Geschichte ist ein besonderer Bereich der Kenntnisse für einen Diplomaten. Im Grunde muss man nicht nur auf allen möglichen Gebieten ausgebildet sein, sondern auch eine Vorstellung davon haben, wohin sich die Menschheit auf Gebieten wie Wirtschaft, Technologien, Kunst, Kultur bewegt; und man darf keineswegs die Geschichte in Vergessenheit geraten lassen.
Frage: Herr Lawrow, was halten Sie von der „Realpolitik“-Konzeption? Wie sehen Sie ihre Perspektiven in der multipolaren Welt, im Kontext der Globalisierung, wobei ihre Probleme offensichtlich geworden sind?
Sergej Lawrow: Ich habe ja die ganze Zeit darüber gesprochen. Kurz und knapp: Die „Realpolitik“ ist kein unseres Wort, das inzwischen eine eher negative Konnotation hat. Ich habe schon den Pragmatismus als nichtwegzudenkenden Teil der Diplomatie und der Tätigkeit eines Staates in dem Sinne erwähnt, dass etwas, was man tut, vor allem verständlich und zweitens nützlich für sein eigenes Volk sein müsste. Wenn man die „Realpolitik“ als Erscheinung des Zynismus und Fähigkeit deutet, auf irgendwelche schlimme Dinge ein Auge zuzudrücken, um am Ende das zu erhalten, was man will (so etwas kommt sehr oft vor), dann ist das ein etwas anderer Weg als der, den wir gehen. Wir versuchen immer, pragmatisch vorzugehen und nach Kompromissen mit unseren Partnern zu suchen, und zwar ohne dabei unsere wichtigsten Interessen, unsere außenpolitische Selbstständigkeit aufzugeben und ohne den Kräften entgegenzukommen, die uns nicht entgegenkommen wollen. Das ist die Gleichberechtigung, die gegenseitige Rücksichtnahme auf die Interessen voneinander und der gegenseitige Respekt. Darüber sprach ich schon.
Manchmal entstehen solche Umstände, wenn Diplomaten bzw. Politiker Schritte unternehmen müssen, die nahezu zynisch aussehen. Wir versuchen immer, diese Grenze nicht zu überschreiten. Ich habe mich schon in meinen früheren Reden dazu geäußert, warum man in der Situation um Syrien oder auch auf der Krim so vorgehen müsste, nur weil man die Einwohner der Krim zwingen wollte, in einem Staat zu leben, wo die Organisatoren eines rechtswidrigen bewaffneten Staatsstreichs an die Macht gekommen sind. Wer uns dafür kritisiert, behauptet, wir würden Riesengelder ausgeben, und die Mitglieder der Weltgemeinschaft hätten uns den Rücken gekehrt. Erstens hat uns niemand den Rücken gekehrt, und es ist falsch, zu behaupten, das hätten „alle Mitglieder der Weltgemeinschaft“ getan. Wie ich schon sagte, leben 80 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, die unsere Vorgehensweise befürworten und Gerechtigkeit in den internationalen Angelegenheiten verlangen. Deshalb ist es einfach lächerlich, von irgendeiner Isolation zu sprechen. Zweitens handelt es sich bei denjenigen, die die Sanktionen gegen uns verhängt haben, wegen der wir mit gewissen wirtschaftlichen bzw. finanzieren Unannehmlichkeiten konfrontiert wurden, um die westlichen Länder und vor allem die USA, die mithilfe einer aggressiven Minderheit in der EU Europa quasi gezwungen haben, diesen Weg auch zu gehen. Auch Australien, Japan und einige andere Länder haben sie dazu gezwungen.
Ich führe gleich ein sehr schlechtes Beispiel an, aber mir bleibt nichts übrig. Wenn man uns fragt, warum wir das alles in Syrien oder auf der Krim tun, wo es ein Referendum gab, nach dem unser Zusammenwirken mit dem Westen auf Eis gelegt wurde, erinnere ich mich, wie es in einem von unseren freien und demokratischen Fernsehsendern ein Gespräch mit den Zuschauern gab. Unter anderem wurde dabei gefragt, ob man sich so anstrengen und die Blockade von Leningrad hätte organisieren müssen, denn man hätte sehr viele Menschenleben retten können. Was ist denn das: die „Realpolitik“, der Pragmatismus, die Sorgen um die eigene Bevölkerung? Es ist mir sehr schwer zu sagen: Ich halte alle diese Menschen für heilig. Jeder normale Mensch, der etwas vom Zweiten Weltkrieg bzw. vom Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion weiß, hält sie für heilig. Deshalb sehe außer der „Realpolitik“ bzw. dem Pragmatismus – egal wie man das nennt -, neben der Pflicht, nach Vorteilen für das eigene Land zu suchen, keine Außenpolitik Russlands, die unmoralisch wäre und sich nicht auf die Gefühle und die Würde der großen Nation, des großen Volkes stützen würde.
Frage: Wann wäre die internationale Anerkennung der Wiedervereinigung Russlands mit der Krim zu erwarten?
Sergej Lawrow: Ich weiß jetzt nicht mehr genau, wie viele Jahre die Sowjetunion auf ihre Anerkennung als Staat warten musste: sieben oder acht, wenn ich mich nicht irre. Zunächst wurde die Sowjetunion als Handelspartner, aber erst später als Staat anerkannt.
Die Wiedervereinigung der Krim mit Russland erfolgte voll und ganz in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Es gibt den Artikel 1 der UN-Charta, in der eines der wichtigsten Prinzipien verankert ist: das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Etwas weiter steht dort geschrieben, dass die territoriale Integrität der Staaten zu respektieren ist, aber im Kontext des Selbstbestimmungsrechtes. Diese Verbindung gilt, seitdem die UNO ihre Arbeit begonnen hat. Die Selbstbestimmungsform, auf die die Krim-Einwohner zurückgegriffen haben, war zwar ziemlich eigenartig, aber das war quasi die Antwort auf einen Machtsturz und die Versprechungen der neuen Machthaber. Dmitri Jarosch, einer der unmittelbaren Teilnehmer des Machtsturzes und der Gräueltaten auf dem Maidan, erklärte beispielsweise, die Krim wäre ein Territorium für die Ukrainer, die Russen würden nie Ukrainischs sprechen, nie so denken wie die Ukrainer, die Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch verehren, und deshalb müssten die Russen von der Krim verdrängt oder vernichtet werden. Das wurde Ende Februar 2014 gesagt, wenige Tage vor dem Protestausbruch auf der Krim. Deshalb hatten die Krim-Einwohner angesichts solcher Drohungen einfach keine andere Wahl.
Was den rechtlichen Aspekt dieser Situation angeht, so sprachen und sprechen wir darüber, und verbreiten entsprechende Dokumente. Ich habe schon den Artikel 1 der UN-Charta erwähnt. Es gibt auch die Verträge über internationale politische und Bürgerrechte, über internationale wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus dem Jahr 1966, in denen das Selbstbestimmungsrecht ebenfalls verankert ist. Das größte Dokument ist die noch 1970 verabschiedete Deklaration der UN-Vollversammlung über die Völkerrechtsprinzipien, die die Freundschaftsbeziehungen zwischen verschiedenen Staaten vorsieht. Dort steht geschrieben, dass die Bildung eines souveränen Staates bzw. Vereinigung mit ihm oder Aufnahme eines anderen politischen Status, für die das Volk frei entschieden hat, eine Form der Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts ist. In dieser Deklaration steht geschrieben, dass die territoriale Integrität des Staates, aus dem jemand austritt, zu respektieren ist. Aber der Staat ist zur Unterstützung seiner territorialen Integrität nur dann berechtigt, wenn dieser Staat allen seinen Einwohnern das Selbstbestimmungsrecht garantiert. Der ukrainische Staat hat dieses Recht der Krim-Einwohner aberkannt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatten die Krim-Einwohner ein Referendum durchgeführt, deren Ergebnisse von den Behörden in Kiew zunächst ignoriert und 1996 abgesagt wurden. Das bedeutet, dass die Krim-Einwohner schon länger versucht hatten, von ihrem Recht darauf Gebrauch zu machen, dass man mit ihnen so umgeht, wie das in der UN-Deklaration von 1970 vorgesehen ist. Das Selbstbestimmungsrecht wurde vom Internationalen Gerichtshof sowie von den von mir erwähnten Komitees für Menschenrechte öfter bestätigt.
Was diese oder jene Parallelen angeht, so weigern sich unsere westlichen Partner immer wieder, wenn wir sie auffordern, die Ereignisse auf der Krim mit den Ereignissen im Kosovo zu vergleichen. Sie sagen, Kosovo wäre ein Sonderfall, der sich mit nichts mehr vergleichen ließe. Im Kosovo gab es keine Volksentscheide, und als es seine Unabhängigkeit ausrief, gab es dort keine Gefahr für die physische Vernichtung der Kosovo-Albaner. Die Kriegshandlungen waren dort längst eingestellt worden, und die Kosovo-Albaner wurden von niemandem bedroht. Sie lebten im Grunde ohnehin autonom. Die Basisforderungen wie die Einstellung der Kriegshandlungen im Sinne der UN-Resolution wurden nicht erfüllt. Die in der Resolution 1244 festgeschriebenen Forderungen sahen vor, dass nach Kosovo ein beschränktes Kontingent serbischer Grenz- und Zollbeamten zurückkehren würde. Das wurde nicht erfüllt. Vor dem Ausruf der Unabhängigkeit hatte niemand jemanden benachteiligt, getötet oder verhaftet – die Albaner lebten so, wie sie wollten. Der Dialog unter der Schirmherrschaft der UNO über die weiteren Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina ging weiter. Und plötzlich sagten die Europäer, die sich um die Organisation dieses Dialogs bemühten, es würde keine Zeit mehr geben, die Geduld wäre geplatzt. Aber warum denn? Wie gesagt, es bestand keine Gefahr. Aber am Ende wurde die Unabhängigkeit des Kosovo ausgerufen und akzeptiert. Jetzt sagen Spitzenpolitiker von sehr großen und wichtigen Staaten, dies wäre auf Basis eines richtig organisierten Referendums passiert – im Unterschied zu zum „falschen“ Referendum auf der Krim. Aber im Kosovo gab es gar kein Referendum. Das war das Beispiel Nummer eins.
Das zweite Beispiel besteht darin, dass die UN-Vollversammlung im Kontext der Dekolonisation Afrikas beschloss, dass die Komoren-Inseln als französische Kolonie sich über ihre Zukunft auf einem Referendum entscheiden sollten. Es wurde vereinbart, dass die Ergebnisse unter Berücksichtigung der Stimmen der Einwohner aller Komoren-Inseln ausgewertet werden. Sie stimmten für ihre Unabhängigkeit, aber auf der Insel Mayotte stimmten die meisten Einwohner dafür, Teil Frankreichs zu bleiben. Die Resolution der UN-Vollversammlung musste angesichts der Stimmenmehrheit verabschiedet werden, und die Vollversammlung tat das auch. Frankreich wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren, indem es sagte, es wäre unwichtig, wie die Kriterien und Regeln gewesen wären. Aber wenn Mayotte weiter Teil Frankreichs bleiben wolle, dann dürfe es Teil Frankreichs bleiben. Danach gab es viele Resolutionen, Proteste der Afrikanischen Union und der UN-Vollversammlung selbst. Frankreich tat selbst nichts. Und im Jahr 2011 wurde Mayotte ein Übersee-Departement Frankreichs. Dabei stellte die Europäische Union nie die Wirtschaftskontakte mit einem ihrer Mitglieder ein.
Was die EU im Allgemeinen angeht, so fasste sie nach dem Zerfall des Warschauer Vertrags, des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Sowjetunion, eine Entscheidung, die hieß: „Vorrangige Prinzipien der Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und der Sowjetunion“. Darin war festgeschrieben, dass das Selbstbestimmungsrecht dieser Völker auf Basis der Anerkennung dieser Staaten umgesetzt werden könnte. Wer von Ihnen Jurist ist, der kann sehen, dass dies ein Beispiel dafür ist, wie man mit Wörtern umgehen kann: Das Selbstbestimmungsrecht kann nicht auf einem Referendum, sondern ganz einfach umgesetzt werden: Man hat darüber selbst vergessen, wurde aber anerkannt. So ging die EU während der Entstehung neuer Staaten nach dem Zerfall des Warschauer Vertrags, des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Sowjetunion vor. Das war wohl eine Form der „Realpolitik“, von der wir gerade sprachen. Möglicherweise dachten die Europäer, sie würden sonst viel zu lange warten müssen, bis alle entsprechenden Formalitäten erledigt werden. Unter den Kriterien für die Anerkennung von Staaten, die in den „Vorrangigen Prinzipien“ der EU enthalten sind, sind keine extremen Bedingungen erwähnt, die den weiteren Aufenthalt dieser oder jener Völker in diesem oder jenem Staat unmöglich machen würden. Dort steht nicht einmal geschrieben, dass irgendwelche Verfassungsverfahren für die Beschlussfassung zum Austritt aus dem jeweiligen Staat nötig wären. 1991 wurden alle ehemaligen Sowjetrepubliken, darunter die Ukraine, auf diese Weise akzeptiert.
Deshalb gibt es keine rechtlichen Probleme um die Anerkennung der Wiedervereinigung Russlands mit der Krim durch unsere westlichen Partner. Es gibt lediglich keinen politischen Willen dazu, sondern nur den politischen Willen, die Situation in der Ukraine für die Voranbringung der vom Westen, vor allem von den USA, ausgeübten Politik zur Eindämmung Russlands auszunutzen, denn Russland ist in letzter Zeit aus der Sicht unserer westlichen Kollegen viel zu selbstständig geworden. Sie haben vorerst nicht verstanden, dass es sich dabei um keine Konjunktur handelt, sondern dass dies einfach Teil unserer Existenz ist.
Frage: In diesem Jahr wird im Rahmen der Moskauer Staatlichen Hochschule für internationale Beziehungen zum ersten Mal das Gortschakow-Lyzeum eröffnet. Welche Eigenschaften müssten Ihres Erachtens seine Besucher haben, um anerkannte MGIMO-Studenten zu werden?
Sergej Lawrow: Ich sagte das schon: Man muss versuchen, ein gut ausgebildeter Mensch zu sein und Kenntnisse auf möglichst vielen Gebieten zu haben. Die Hauptsache ist, dass man das will. Da das Programm des Lyzeums von der MGIMO gebilligt wird, wird es bestimmt gut sein. Man muss nur alles erledigen, was darin vorgesehen ist. Und natürlich muss man Fremdsprachen und die Geschichte lernen.
Frage: Erzählen Sie bitte über Ihre wichtigsten Erinnerungen an die Studienjahre. Haben Sie sich schon damals als Dichter versucht?
Sergej Lawrow: Wenn ich die Wahrheit sagen würde, was mir aus dem Studentenleben am besten im Gedächtnis geblieben ist, dann wäre das unpädagogisch. Vergessen Sie bitte nicht, dass die Studentenjahre die beste Zeit dafür ist, dass wir unseren Lebensweg finden, Freunde finden usw. Aber das ist alles besonders toll, wenn die Hausaufgaben schon gemacht worden sind. Wir haben mit Anatoli Torkunow gut studiert und auch uns gut erholt. Wir waren Mitglieder von Studentenbaubrigaden, wo das Kollektiv sehr gut zusammengeschweißt wird, so dass man einfach nicht wegfahren will. Wir verdienten dort Geld, um dann einige Tage im Süden zu verbringen – auf der Krim, in Sotschi, wo wir badeten und uns erholten.
Wir legten viel Wert auf Kunst, auf Studentenkonzerte, wobei wir vom ersten Studienjahr an Texte dafür schrieben. Unsere Auftritte waren sehr populär. Wir verbreiteten Eintrittskarten (verkauften sie aber nicht, wohlgemerkt) – das war ein richtiges Defizit. Bis zum vierten Studienjahr war das eine sehr gute Unterhaltung für uns. Manchmal luden wir unsere Freunde von der Hochschule für Fremdsprachen, der jetzigen Moskauer staatlichen linguistischen Universität, ein. Damals musste übrigens das Szenario eines Studentenkonzerts mit dem Komitee der KPdSU bei der Hochschule vereinbart werden. Damals gab es also die Zensur, die es heutzutage nicht mehr gibt.
Nach der Hochschule versuchen wir, uns ein Mal im Jahr zu treffen, auch wenn nicht alle von uns das schaffen. Das ist eine große Versammlung, wenn alle ehemaligen Kommilitonen bzw. Kommilitoninnen, die im Ausland arbeiten, ihre Urlaubszeit absprechen. Dabei gibt es auch Konzerte. Das bislang letzte fand übrigens vor fünf oder sechs Jahren statt. Ich denke, wir müssen diese Tradition zurück ins Leben rufen.
Mit Herrn Torkunow haben wir auch große Kunst gemacht. Im zweiten Studienjahr nahmen wir gemeinsam mit noch einem Kameraden am Allsowjetischen Vorleser-Wettbewerb teil, der in der Kleinen Arena des Luschniki-Sportkomplexes stattfand. Dort wurden wir mit dem Diplom zweiter Stufe ausgezeichnet. Natürlich sangen wir auch Lieder. Meine ersten Erfahrungen sammelte ich noch im ersten Studienjahr. Noch machten wir Campingausflüge, wobei wir abends Lagerfeuer machten, Gitarre spielten usw. Das alles füllte unser Leben mit wunderschönen Farben, die ich nie vergessen werde. Aber wie gesagt, das macht Spaß, wenn die Hausaufgaben schon erledigt sind.
Frage: Vor kurzem wurde Russland von der britischen PR-Agentur Portland auf die Liste von 30 Führungsländern nach dem Einsatz der so genannten „Soft Power“ gesetzt. Es ist nicht ganz klar, ob diese Informationen vertrauenswert sind. Welche „Soft-Power“-Maßnahmen ergreift das Außenministerium neben der hervorragenden Informationspolitik, darunter in den sozialen Netzwerken?
Sergej Lawrow: Wir richten uns nach unserem Präsidenten Wladimir Putin, denn nicht nur rein formell und im rechtlichen Kontext, sondern auch im Sinne des Grundgesetzes bestimmt ausgerechnet der Präsident die wichtigsten Richtungen der Außenpolitik. Im Auftrag des Präsidenten arbeiten wir an einer neuen Fassung der außenpolitischen Konzeption Russlands, wobei die jüngsten Ereignisse berücksichtigt werden. Ich bin überzeugt, dass wir die von Präsident Putin noch im Jahr 2000 festgelegten Richtungen keineswegs ändern dürfen, die die Vielseitigkeit und Kooperationsoffenheit für alle Länder vorsehen, die dazu bereit sind – auf Basis der Gleichberechtigung und Rücksichtnahme auf die Interessen der Partner. Vor allem geht es dabei um die konfliktlose, aber entschlossene Verteidigung unserer eigenen Interessen. Dennoch wird es in der neuen Fassung der Konzeption gewisse Nuancen geben. Die Konzeptionen werden natürlich entstehen.
Meines Erachtens ist es nicht ganz fair, den Begriff „Soft Power“ zu kodifizieren. Welche Methoden gehören dazu? In diesem Zusammenhang werden Nichtregierungsorganisationen und die Fähigkeit erwähnt, diese durch Finanzierung oder mit anderen Mitteln zu beeinflussen, diese bei der Protestbewegung und bei der Organisation von irgendwelchen „bunten“ Revolutionen einzusetzen. Auch Medien werden natürlich erwähnt. Wie soll man mit ihnen arbeiten, welche Zuschüsse sollen sie bekommen, wie sollen Vertreter der Zivilgesellschaft oder Journalisten zwecks Bekanntschaft mit diesem oder jenem Land eingeladen werden, damit im Staat irgendeine Einflussgruppe entsteht, dessen Politik man beeinflussen will. Es wird auch über Treffen von Politologen gesprochen, bei denen entsprechende Arbeit geführt wird.
Wenn man die Medien aus heutiger Sicht betrachtet, dann sind das natürlich soziale Netzwerke. Die Arbeit mit NGO, Journalisten, die Arbeit in sozialen Netzwerken, die Förderung von Kontakten zwischen jungen Menschen, Diplomaten und Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern – wir arbeiten in allen diesen Richtungen. Das Außenministerium war eine der ersten Behörden in Russland, die in sozialen Netzwerken aktiv wurde. Ich sehe mir manchmal die Angaben über die Media-Aktivitäten an: Wir gehören immer zu den ersten drei, manchmal sind wir sogar der Spitzenreiter. Es ist wohl wichtig, diese Statistik zu führen, um zu wissen, wer was tut.
Ich bin vielleicht altmodisch, aber im Grunde geht es bei der „Soft Power“ nicht um Technologien. Selbst wenn man soziale Netzwerke „aufheizt“, lassen sich die Menschen vor allem bei persönlichen Kontakten beeinflussen. Das gilt für Situationen, wenn man jemand auf seine Seite ziehen oder jemand von etwas abraten muss, was man für falsch hält; oder wenn man jemand für sein Land gewinnen muss, damit sie miteinander kooperieren. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass dies alles sich auf die konsequente Entwicklung des Landes stützen muss, auf die Entwicklung der Wirtschaft und des Sozialwesens, darauf, wie bequem sich die Menschen in ihrem eigenen Land fühlen. In dieser, offen gesagt, schwierigen Zeit, die mit solcher Reaktion des Westens auf seine eigenen Fehler und auf seine eigene Unfähigkeit verbunden ist, die gleiche und unteilbare Sicherheit in Europa samt der gleichberechtigten Wirtschaftskooperation zu gewährleisten, sehen Sie, wie viel Aufmerksamkeit Präsident Putin und die Regierung der Milderung der negativen Folgen schenken und die aktuelle Situation nutzen, um in gleich mehreren Richtungen nach vorne zu rücken. Vor allem sehen wir solche Ergebnisse in der Landwirtschaft und mehreren Industriezweigen, wo die innovativen Technologien ausgebaut werden.
Die „Soft Power“ beinhaltet jede Menge von Möglichkeiten. Im Grunde handelt es sich um Kommunikationen zwischen Menschen.
Frage: Welche Alternativen sehen Sie für das Minsker Format angesichts dessen, dass die ukrainische Seite die meisten Vereinbarungen immer noch nicht erfüllt hat?
Antwort: Ehrlich gesagt, sehe ich keine Alternativen für die Minsker Vereinbarungen. Man versucht derzeit, uns zu überzeugen, dass derjenige, der diese Vereinbarungen unterzeichnete, sie umsetzen möchte, aus objektiven Gründen aber nicht umsetzen könne. Diese „Begründungen“ sind aber sowohl für die ukrainischen Politiker beschämend, die die Minsker Vereinbarungen besprach, als auch für diejenigen, die in Minsk dabei war und diese Vereinbarungen unterzeichnete. Ich meine dabei den französischen Präsidenten Francois Hollande und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie taten das nach einem äußerst schwierigen Verhandlungsmarathon, der mehr als 17 Stunden gedauert hatte – unter Beteiligung des ukrainischen Präsidenten Pjotr Poroschenko und des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Niemand kann sagen, dass jemand jemanden reingelegt hätte, indem eine Formulierung befürwortet worden wäre, ohne dass jemand ihre Folgen nicht verstand. Dort wurde jede Formulierung von allen Seiten besprochen und zig Mal korrigiert und präzisiert. Alles, was dort festgeschrieben ist, wurde von jedem Teilnehmer der Verhandlungen mit kühlem Kopf analysiert – das sah ich mit meinen eigenen Augen.
Gleich nach der Rückkehr aus Minsk nach Kiew hätte der ukrainische Präsident Poroschenko diese Vereinbarungen der Obersten Rada präsentieren und sagen sollen, dass dies seine Entscheidung als Präsident und dabei eine faire Vereinbarung ist, dass er als Friedens- und nicht als Kriegspräsident gewählt worden war und diesen Frieden gewährleisten müsste. Die Oberste Rada hätte die Vereinbarungen billigen und von ihren Partnern verlangen sollen, Donezk und Lugansk zu beeinflussen. Diese hätten mit Kiew über vorzeitige Wahlen auf diesen Territorien, über die Amnestie den Sonderstatus verhandeln sollen. Auch das ukrainische Grundgesetz hätte entsprechend novelliert werden sollen. Stattdessen aber sagte der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin, als er in der Obersten Rada angegriffen wurde und ihr Rede und Antwort stehen musste, die Ukraine hätte in Minsk keine Verpflichtungen übernommen: weder zu direkten Verhandlungen mit Donezk und Lugansk noch zur Amnestie aller Teilnehmer der dortigen Ereignisse. Das war ja frappierend! Anstatt diese Möglichkeit zur Überwindung der Krise im Land zu nutzen und von der Obersten Rada Unterstützung zu verlangen, begannen die ukrainischen Unterhändler von Minsk nach der Kritik seitens der Obersten Rada und der Radikalen, die Minsker Vereinbarungen noch mehr zu beschimpfen als diejenigen, die in Minsk nicht dabei gewesen waren.
Dennoch fand am 2. Oktober 2015 in Paris ein Treffen der Präsidenten Russlands, Frankreichs und der Ukraine und der deutschen Kanzlerin statt, wo sie alle wieder bestätigten, was zuvor in den Minsker Vereinbarungen verankert worden war. Unter anderem wurde dabei bestätigt, dass alle Fragen direkt mit Donezk und Lugansk abgesprochen werden müssten.
Es gibt noch das "Normandie-Format", dem wir zugestimmt haben, indem wir vor allem davon ausgingen, dass Frankreich und Deutschland all diese Entscheidungen auf allen Ebenen des ukrainischen Staates voranbringen wollten. Ich muss sagen, dass unsere französischen und deutschen Partner diese Notwendigkeit nach wie vor sehen, auch wenn sie sich etwas merkwürdig verhalten, wenn die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident behaupten, die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen würde gestatten, die antirussischen Sanktionen aufzuheben. Russland ist in diesen Vereinbarungen kein einziges Mal erwähnt. Dort ist die Kiewer Regierung mehrmals erwähnt, die nicht nur abstrakt, sondern binnen einer ganz konkreten Zeitspanne etwas tun sollte, was aber nicht einmal angefangen wurde. Zum Beispiel sollten die Verhandlungen über die Wahlen mit der Donbass-Region noch im April 2015 beginnen sollen, doch das wurde immer noch nicht getan. Wir versuchen, zu erfahren, wie die ukrainische Regierung sich dieses Gesetz vorstellt, das an die Kontaktgruppe weitergeleitet und mit Donezk und Lugansk abgesprochen werden sollte. Dasselbe gilt für das Amnestiegesetz und viele Dinge mehr.
Es ist gut, dass niemand die Minsker Vereinbarungen anzweifelt, auch wenn es nur schwer getan werden könnte, denn gleich nach ihrer Unterzeichnung wurden sie vom UN-Sicherheitsrat gebilligt. Es ist gut, dass niemand versucht, diese Vereinbarungen umzudeuten. Dort gibt es Dinge, die man taktisch präzisieren könnte, aber das sollte man direkt mit den Delegationen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk tun.
Es ist wichtig, dass die USA ihr Interesse an der Regelung dieser Krise im Sinne der Minsker Vereinbarungen zeigen. Auch sie stellen den Wortlaut des Dokuments nicht infrage und wollen einfach ihre Autorität zwecks seiner Erfüllung nutzen. Die USA kontaktieren nur mit den Kiewer Behörden, und deshalb sollen diese das ganze Gewicht der Amerikaner spüren. Hoffentlich wird diese Arbeit nicht nur formell geführt, sondern sie bezweckt auch die praktische Umsetzung der Vereinbarungen. Bei uns war das immer so: Was vereinbart wurde, muss umgesetzt werden.
Was die Verhandlungsfähigkeit der Kiewer Behörden angeht, so ist von ihnen oft zu hören, sie wollen das Genfer Format zurück, an dem Russland, die USA, die EU und die Ukraine beteiligt waren. Frankreich und Deutschland beteiligen sich daran im Namen der EU, und dort spielen schon die Brüsseler Bürokraten eine wichtige Rolle, und hinzukommen noch die USA. Zum ersten Mal fand ein Treffen in diesem Format am 17. April 2014 in Genf statt. Und daran beteiligten sich US-Außenminister John Kerry, die EU-Beauftragte für Außenpolitik, Catherin Ashton, aus Großbritannien, ich und der amtierende ukrainische Außenminister Andrej Deschtschiza. Damals billigten wir ein nicht so großes wie die Minsker Vereinbarungen Dokument, das nur aus einer Seite bestand. Dort gab es Worte über die Notwendigkeit, unverzüglich Beratungen mit allen ukrainischen Regionen über die Verfassungsreform zu beginnen. Wie gesagt, wurde dieses Dokument am 17. April 2014 vereinbart. Einen Monat später fragten wir die Amerikaner und die Europäer, was sie getan hatten, um die neuen ukrainischen Behörden zur Voranbringung der Verfassungsreform unter Beteiligung aller Regionen zu überreden. Sie konnten uns nicht in die Augen schauen. Das ist nur ein Beispiel. Was den Aufruf zur Wiederbelebung des Genfer Formats angeht, so beginnen wir natürlich die Umsetzung dieses Dokuments und werden auf einer gesamtukrainischen Verfassungsreform bestehen, denn dieses Dokument wurde von den ukrainischen Behörden unterzeichnet.
Frage: Was hat die wichtigste Rolle für Ihre Etablierung als Persönlichkeit als Außenminister gespielt?
Antwort: Ich habe darüber nie nachgedacht. Es ist wohl am wichtigsten, immer anständig zu sein. Das passt eigentlich für jeden Beruf. Natürlich waren das meine Mutter, meine Freunde, die Universität – nicht nur als Bildungsanstalt, sondern als Lebensschule. Anständig zu sein – das ist wichtig, nicht nur um Diplomat zu werden, sondern das ist wichtig für jeden anderen Beruf.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Haben Sie Spaß an ihren Studienjahren, studieren Sie gut und erholen Sie sich so, wie wir uns einst erholten.