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Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, für die Zeitung „Excelsior“ (Mexiko), das am 17. November 2017 veröffentlicht wurde
Frage: Was bedeutet Mexiko für Russland? Gibt es Absichten zur Entwicklung von noch ambitionierteren bilateralen Beziehungen im wirtschaftlichen und politischen Bereich? Welche Möglichkeiten sind in kurz- und mittelfristiger Perspektive für die Unterzeichnung eines Handelsabkommens vorhanden?
Sergej Lawrow: Für Russland ist Mexiko einer der traditionellen Partner in Lateinamerika und der Karibik, mit dem es die Beziehungen seit sehr vielen Jahren pflegt. In diesem Jahr begehen wir zwei wichtige Daten: den 127. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen und den 20. Jahrestag der Deklaration über Prinzipien der Beziehungen und der Kooperation zwischen unseren Staaten.
Die konsequente Entwicklung des Zusammenwirkens mit Mexiko ist ein unentbehrlicher Teil unserer Arbeit an der Intensivierung des Zusammenwirkens mit den Ländern Lateinamerikas und der Karibik. Die Möglichkeiten für seinen Ausbau auf verschiedenen Gebieten besprachen unsere Präsidenten, Wladimir Putin und Enrique Peňa Nieto, bei ihrem Treffen am Rande eines BRICS-Gipfels in Xiamen im September.
Unsere Völker sind durch die Gefühle der Freundschaft, des Vertrauens und der gegenseitigen Sympathie verbunden, und die humanitären und kulturellen Verbindungen werden durch zahlreiche Kontakte zwischen den Menschen bekräftigt. Beispielsweise hatten noch im frühen 20. Jahrhundert solche bekannten Russinnen bzw. Russen wie die Balletttänzerin Anna Pawlowa, der Dichter Wladimir Majakowski, der Filmregisseur Sergej Eisenstein, der Wissenschaftler Nikolai Wawilow Mexiko besucht. Eine globale Bedeutung hatte die Erfindung des russischen Ethnografen Juri Knorosow, dem es gelang, die alten Schriftsysteme des Maya-Volkes zu entschlüsseln. Die Russen fanden ihrerseits immer die Kunst der mexikanischen Mural-Künstler wie Diego Rivera, José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros interessant.
Im vorigen Jahr belief sich der Handelsumsatz zwischen unseren Ländern auf 1,4 Milliarden Dollar. Es werden große Investitions- und Infrastrukturprojekte umgesetzt. Die mexikanische Fluggesellschaft Interjet verfügt aktuell über 22 russische Passagierflugzeuge Sukhoi Superjet 100. Eine positive Kooperationsdynamik lässt sich auch im energetischen Bereich beobachten: Von unserer Seite beteiligen sich daran die Konzerne Rosatom und Lukoil. Wir begrüßen die Intensivierung unserer mexikanischen Partner auf dem russischen Markt: Die Firma Nmak eröffnete im September 2015 einen Betrieb im Gebiet Uljanowsk, wo Zulieferteile für Automobile hergestellt werden, und die Firma Gruma International Food nahm im September eine Lebensmittelfabrik in Betrieb.
Natürlich ist das Potenzial unserer Handels- und Investitionskontakte wesentlich größer. Einen wichtigen Beitrag zu seiner Entfaltung leistet die Russisch-Mexikanische Gemischte Kommission für Wirtschafts-, Handels-, wissenschaftlich-technische Kooperation und Schifffahrt. Gute Kooperationsperspektiven haben wir auf Gebieten wie Flugzeug- und Schiffbau, chemische und Pharmaindustrie, Produktion der Seetechnik, Energiewirtschaft, Automobilbau, Eisenbahnwesen und Landwirtschaft.
Eine wichtige Rolle spielt unseres Erachtens der Dialog der Geschäftskreise. Wir sind an einer intensiveren Beteiligung von mexikanischen Vertretern am St. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum, am Östlichen Wirtschaftsforum (in Wladiwostok), am Internationalen Forum für technologische Entwicklung (in Nowosibirsk), an der Internationalen Industriemesse INNOPROM (in Jekaterinburg), an der Russischen energetischen Woche interessiert.
Im Oktober beteiligte sich der Industrie- und Handelsminister Russlands, Denis Manturow, an einem Geschäftsforum in der Stadt San Lius Potosi. Er wurde dabei von Vertretern von mehr als 50 russischen Unternehmen begleitet. Wir rechnen damit, dass die im Rahmen dieser Reise geknüpften Kontakte schon in der nächsten Zeit praktisch nützlich werden.
Derzeit geht die Arbeit am Langfristigen Programm der Handels- bzw. Wirtschafts- und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit weiter – dieses Projekt analysieren gerade unsere mexikanischen Partner. Wir rechnen damit, dass es demnächst unterzeichnet werden kann. Offensichtlich ist auch, dass für den Ausbau unseres geschäftlichen Zusammenwirkens ein Abkommen zur Abschaffung der Visapflicht für die Staatsbürger beider Länder nützlich wäre.
Russland und Mexiko arbeiten in der internationalen Arena intensiv zusammen, insbesondere in der UNO, der G20, der APEC und anderen internationalen Organisationen. Wir plädieren konsequent für internationale Kontakte auf Basis der Völkerrechtsprinzipien, darunter des Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten souveräner Staaten, der Krisen- bzw. Konfliktregelung mit politischen bzw. diplomatischen Mitteln.
Ich rechne damit, dass zur Festigung der vielschichtigen russisch-mexikanischen Kontakte die Ergebnisse des Russland-Besuchs des mexikanischen Außenministers Luis Videgaray Caso beitragen werden.
Frage: Mexiko und Russland befinden sich gerade im Visier der USA: Die diplomatischen Beziehungen beider Länder mit den USA spannen sich immer mehr an. Eröffnet sich vielleicht in diesem Zusammenhang ein „Fenster“ von Möglichkeiten für die Festigung der Beziehungen zwischen Mexiko und Russland?
Sergej Lawrow: Für uns sind die Beziehungen mit jedem Land wichtig. Wir entwickeln sie unabhängig von den Schwankungen der politischen Konjunktur. Das betrifft voll und ganz auch unsere Kooperation mit Mexiko. Wir gehen davon aus, dass die russisch-mexikanischen langfristigen Kontakte sich auch weiterhin gleichberechtigt, beiderseitig nützlich unter Berücksichtigung der Interessen voneinander entwickeln werden. Egal wie sich die Beziehungen jedes von unseren Ländern mit den USA entwickeln sollten, ist die russische Seite immer offen für die Vertiefung des Zusammenwirkens mit Mexiko auf Basis der von mir eben erwähnten Prinzipien.
Frage: Ist der Wahlprozess in Mexiko eine Frage, die für Russland interessant bzw. wichtig ist? Machen Sie sich Gedanken darüber, wer im kommenden Jahr den Präsidentenposten in Mexiko bekleiden wird?
Sergej Lawrow: Wir sind an der weiteren Vertiefung des Zusammenwirkens mit Mexiko, das ein selbstständiger und aktiver Akteur in der internationalen Arena ist. Wir stellen zufrieden fest, dass die Bemühungen um die Festigung der russisch-mexikanischen Verbindungen von den politischen und gesellschaftlichen Kreisen Ihres Landes befürwortet werden. Wir rechnen damit, dass wir gemeinsam das bislang kumulierte Kapital unserer erfolgreichen Partnerschaft aufrechterhalten und vergrößern werden.
Was den Wahlprozess betrifft, ist es ausschließlich innere Angelegenheit Mexikos. Wir werden Beziehungen mit dem Präsidenten aufbauen, den das mexikanische Volk wählen wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Worte des großen politischen und Staatsmannes, nationalen Helden Mexikos Benito Juarez erinnern: „Das Prinzip der Nichteinmischung ist eine der größten Verpflichtungen der Regierungen, die im Respekt von Freiheit der Völker und Rechte der ganzen Nationen besteht“. Russland hält sich kontinuierlich gerade an solches Herangehen.
Frage: Falls Russland seine Umstände zum Pariser Abkommen meldete, wozu soll die Ratifizierung verschoben werden? Denn das Niveau von Kohlensäuregas – eines der Faktoren von Klimawandel – überschritt 2016 die Rekordmarke. Zudem ratifizierten ihn bereits andere BRICS-Länder.
Sergej Lawrow: Man sollte allererst verstehen, dass Russland die Ratifizierung des Pariser Abkommens nicht verzögert und nicht verschiebt. Wir betrachten dieses Dokument als zuverlässige Grundlage für eine langfristige Lösung des Problems des Klimawandels.
Unser Land nahm aktiv an seiner Entwicklung teil. Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, nahm an der Klimakonferenz in Paris 2015 teil. Unter den Ersten – im April 2016 in New York – unterzeichnete der stellvertretende Regierungschef Russlands, Alexander Chloponin, dieses Abkommen. Wir begrüßten offiziell sein Inkrafttreten im November 2016.
Russland verhält sich verantwortungsvoll zur Erfüllung der übernommenen internationalen Verpflichtungen. Jetzt wird eine detaillierte Vorbereitung auf die Ratifizierung des Pariser Abkommens fortgesetzt. Im November 2016 wurde von der Regierung eine Roadmap verabschiedet, gemäß der der Beschluss im ersten Quartal 2019 erörtert wird.
Unser nationaler Beitrag zum Pariser Abkommen wird die Einschränkung der Ausstöße von Treibhausgas zum Jahr 2030 auf 70 Prozent vom Basisniveau 1990 sein. Das bedeutet, dass Russland im Laufe von 35 Jahren die Ausstöße auf einem Niveau halten wird, indem im bedeutenden Ausmaß das Wachstum der Ausstöße in anderen Ländern und Regionen der Welt kompensiert wird. Wir planen, dieses Ziel via Implementierung neuer energiesparenden Technologien, Erhöhung der Energieeffizienz der Wirtschaft, Entwicklung der erneuerbaren und reinen Energiequellen zu erreichen.
Russland unterstützt Entwicklungsländer im Kontext des Klimawandels. In diesem Zusammenhang wurde im Trustfonds Russland-Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen ein spezielles „Klimafenster“ geschaffen. Für 14 kleine Inselstaaten wurde ein millionenschweres Projekt zur Festigung ihres Potentials im Bereich Reagieren auf Klimawandel gestartet. Wir leisten auch bedeutende Finanzhilfe an den Vorsitz Fidschis bei der 23. Konferenz der Seiten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen.
Frage: Russland wird im nächsten Jahr die Fußball-WM austragen. Zugleich war von den drohenden Terroranschlägen seitens ISIL die Rede. Ist die Sicherheit für die Spieler und Gäste der WM garantiert?
Sergej Lawrow: Allererst möchte ich den mexikanischen Fußballfans zu einem überzeugenden Sieg der Mannschaft Mexikos im Qualifikationsspiel und Gelangen zur WM gratulieren. Ich bin mir sicher, dass ihre Mannschaft in Russland ein interessantes und spektakuläres Fußball zeigen wird.
Unsererseits führen wir eine vielfältige intensive Arbeit zur Vorbereitung auf die erste in unserem Land Fußball-Weltmeisterschaft durch. Natürlich stützen wir uns auf unsere Erfahrung der Austragung großangelegter Sportwettbewerbe, darunter Olympischer Winterspiele 2014 in Sotschi, die als beste in der olympischen Geschichte anerkannt wurden, sowie den Confederation Cup im Juni und Juli dieses Jahres, an dem auch die Nationalmannschaft Mexikos teilnahm.
Die Gewährleistung eines maximal bequemen und sicheren Aufenthalts der Spieler und Fans in Russland ist unsere eindeutige Vorrangsaufgabe. Russische Rechtsschutzorgane unternehmen alle notwendigen Schritte in dieser Richtung. Zur Vorbeugung der Terrorbedrohungen wurde ein operativer ressortsübergreifender Stab eingerichtet, der die Anstrengungen entsprechender Sicherheitsstrukturen koordiniert.
Große Aufmerksamkeit wird dem Problem der Hooligan-Aktionen gewidmet. Um die Risiken zu minimieren, nahmen wir enges Zusammenwirken mit ausländischen Partnern auf, darunter bei dem offenen für alle Staaten Übereinkommen des Europarats über einen ganzheitlichen Ansatz für Sicherheit, Schutz und Dienstleistungen bei Fußballspielen und anderen Sportveranstaltungen. Die von dem Übereinkommen vorgesehenen nationalen Fußball-Informationsstellen haben Zugang zum geschlossenen Internetportal, wo Informationen über Fans, Unruhestifter, Risiko-Gruppen sowie andere nützliche Angaben zu finden sind.
Ich bin davon überzeugt, dass die bevorstehende WM eine wahre Feier sein und den Teilnehmern und Gästen viele unvergessliche Eindrücke bringen wird. Ich lade die mexikanischen Fußball-Liebhaber erneut nach Russland ein, damit sie ihre Mannschaft unterstützen und unser Land besser kennenlernen, die Gastfreundlichkeit und den Brudergeist seiner Einwohner spüren können.