Stenogramm des Interviews Außenministers Russlands S. Lawrow an die russischen Medien zu Ergebnissen der Beteiligung an der Sitzung des OVKS-Außenministerrates in Minsk, 31. Mai 2011
Frage: Heute wird Weißrussland von vielen Staaten kritisiert. Wozu ruft die russische Seite Minsk im Kontext der Situation mit der Einhaltung von Menschenrechten auf?
S. Lawrow: Wir rufen Weißrussland zu nichts anderem, was wir uns selbst nicht zum Ziel machen würden, auf. Dazu zählt im vollen Maße auch die Einhaltung von internationalen Verpflichtungen, unter anderem auch im Bereich der Einhaltung von Grundrechten und –freiheiten des Menschen.
Mitteilungen in einigen weißrussischen Medien darüber, dass Russland „mit der EU solidarisch" sei, widerspiegeln die Wirklichkeit nicht ganz. Wir riefen Minsk auf, die Menschenrechte zu gewährleisten und die internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Unterdessen drohte Russland nicht mit der Einführung von Sanktionen, wie es die EU getan hat. Der Unterschied ist offensichtlich, obwohl wir weiterhin eine negative Einstellung zu der Tatsache, dass alle Präsidentschaftskandidaten in Weißrussland zu Haft auf Bewährung oder zu realen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.
Frage: Wie können Sie die Bewertungen der westlichen Staaten über die Situation in Weißrussland kommentieren? Welche Schritte erwartet der Westen von Minsk?
S. Lawrow: Heute verkündete der Präsident Weißrusslands A. Lukaschenko, dass die Versuche des Westens, ihn zum Nachteil Russlands umzuwenden, zum Scheitern verurteilt sind und dass er nie etwas unternehmen wird, was dem brüderlichen Verbund Russlands und Weißrusslands widersprechen würde.
Frage: Haben Sie während Ihres kürzlichen Telefongesprächs mit dem Außenminister Syriens W. Muallem die Einstellung der syrischen Seite auf Reformen gehört?
S. Lawrow: Ich habe es gehört und das wurde im Kommentar des Außenministeriums Russlands gesagt.
Kürzlich unterbreitete der syrische Präsident B. Assad Entwürfe von Abänderungen zur Konstitution. Das ist ein ernster Schritt, über den er früher gesprochen hatte. Der Präsident Russlands D. Medwedew unterstützte seine Einstellung und rief dazu auf, dass das alles schnellstmöglich in konkrete Handlungen umgesetzt werden soll. Ich habe W. Muallem dasselbe gesagt. Wir sehen, dass praktische Handlungen begonnen wurden und wir rechnen damit, dass die Opposition sie als eine Einladung zum Gespräch aufnehmen wird und keine unbeugsame Position einnimmt.
Frage: Welche Aspekte der nahöstlichen Regelung muss das „Quartett", Ihrer Ansicht nach, jetzt besprechen?
S. Lawrow: Im Rahmen des „Quartetts" muss man jetzt über die Notwendigkeit einer bedingungslosen Bestätigung von all dem, was in allen vorherigen Beschlüssen verankert wurde, sprechen. Das betrifft die Regelung auf der Grundlage der Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 mit möglichem Austausch von Territorien unter Berücksichtigung der sich in diesem Zeitraum ereigneten realen Änderungen „auf dem Land" (und die Palästinenser verweigern es nicht), mit der Hauptstadt in Ostjerusalem, sowie auf Grund der Vereinbarung von allseitig akzeptablen Bedingungen zur Gewährleistung der Sicherheit Israels und zur Lösung des Problems der Flüchtlinge. Es gibt auch zweitrangige Probleme, die für das alltägliche Leben der Menschen beiderseits der zukünftigen Grenze wichtig sind. Die Rede ist von Wasserressourcen, von dem Umweltschutz und von Vertrauensmaßnahmen. All das sind Vereinbarungen, die von der internationalen Gemeinschaft als Prinzipien der zukünftigen Regelung gebilligt wurden.
Wenn ich höre, dass der Vizepremier Israels M. Yaalon, der in Moskau eingetroffen ist und mit dem ich mich morgen treffen soll, verkündet, dass „der Friedensvertrag keinen Sinn hat, weil er bloß ein Blatt Papier bleibt", so möchte ich mich bei ihm erkundigen, was er damit meint.
Das „Quartett" muss die Positionen, die das Ergebnis von zehnjährigen Verhandlungen und verschiedenen Etappen von Bemühungen der Weltgemeinschaft widerspiegeln, bestätigen. Diese Prinzipien sind in den Beschlüssen des „Quartetts" und des UN-Sicherheitsrates und in den Vereinbarungen, die in Madrid und in Oslo erzielt wurden, verankert. Und natürlich noch die Arabische Friedensinitiative: das ist die Garantie für die Gewährleistung der Sicherheit Israels. Die weiteren Handlungen müssen eine Konsolidierung des „Quartetts" auf den früher vereinbarten Positionen miteinschließen. Aber das reicht nicht aus. Man muss die alltägliche Koordination mit der Arabischen Liga und mit der Organisation der Islamischen Konferenz aufbauen.
Frage: Gibt es unter den Vertretern der libyschen Opposition Menschen, mit denen man einen Dialog führen kann?
S. Lawrow: Einer davon ist der ehemalige Außenminister, bis vor kurzem der ständige Vertreter Libyens bei den Vereinten Nationen in New York. Ich kenne ihn seit vielen Jahren.
Die Opposition wird auch durch einige Minister aus der Gaddafi-Regierung, die vor fünf Monaten diese Posten noch belegt haben, vertreten. Sie sind zu einem Gespräch und zur Erzielung von Vereinbarungen fähig.
Frage: Spielen sie eine ernste Rolle in den Reihen der Opposition?
S. Lawrow: Der Leiter des Nationalrates in Libyen belegte bis vor kurzem das Amt des Justizministers in der Regierung von M. Gaddafi. Selbstverständlich spielen sie eine Rolle. Soweit ich nach meinem Treffen mit A. Shalgham, der vor kurzem Moskau besuchte, sowie nach meinen Gesprächen mit dem Premierminister Libyens B. Mahmudi urteilen kann, gibt es Möglichkeiten für die Erzielung eines Kompromisses. Die Opposition versteht die Notwendigkeit der Beteiligung der Vertreter von M. Gaddafi an den zukünftigen Verhandlungen. Sie beharren darauf, dass es nicht er selbst oder seine Familienmitglieder, sondern „angesehene neutrale Personen oder Technokraten" sein sollen, also Menschen, die wahrhaftig die Interessen der Volksstämme, die sich um Tripolis gruppieren, repräsentieren.
Die Opposition ist auch dazu bereit, dass sich auch die Vertreter von militärischen und Sicherheitsdiensten, die M. Gadaffi unterstellt sind und die sich nicht mit Blut befleckt haben, an Verhandlungen beteiligen. Das sind ziemlich rationelle Vorschläge, die wir mit der Stütze auf die engagierte vermittelnde Rolle der Afrikanischen Union fördern werden. Wie bekannt, hatte der Präsident Russlands D. Medwedew am Samstag, den 28. Mai, ein Telefongespräch mit dem südafrikanischen Präsidenten J. Zuma. J. Zuma hat gestern Libyen besucht und mit M. Gaddafi und seinen Vertretern gesprochen. Er ist beabsichtigt, im Namen der Afrikanischen Union seine vermittelnde Mission bei den Kontakten mit den Rebellen fortzusetzen.
Heute zeichnen sich reale Elemente aus, auf deren Grundlage man sich über einen Waffenstillstand und den Beginn von Verhandlungen einigen kann. Die Hauptsache ist, dass externe Kräfte, einschließlich derjenigen, die heute das Mandat des UN-Sicherheitsrates überschreiten, diese Bemühungen nicht hindern.