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Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, für die Sendung „Posdnjakow“ im TV-Sender NTV am 26. September 2016

1739-26-09-2016

Frage: Bei einer außerordentlichen Sitzung des UN-Sicherheitsrats, die auf Initiative der USA und mehrerer europäischer Länder einberufen wurde, warf die US-Botschafterin in der UNO, Samantha Power, Russland „barbarische Handlungen“ in Syrien vor. Wird erneut versucht, uns ungerecht alles mögliche vorzuwerfen?

Sergej Lawrow: Ich denke, es ist so einigermaßen. Zumal die Einberufung dieser Sitzung, Initiative der westlichen Länder zur Durchführung gerade am Sonntag, einige Fragen auslöste. Wir haben uns mit diesem Thema die ganze frühere Woche befasst, als hochrangige Debatten in der UN-Vollversammlung liefen. In der Regel werden am Rande dieser Debatten ganz verschiedene aktuelle für UN-Mitgliedsstaaten Themen besprochen. Natürlich stand Syrien im Fokus.

Zum Thema Syrien gab es eine vollwertige Ministersitzung des UN-Sicherheitsrats, zwei Sitzungen der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens, die wir zusammen mit dem Außenminister der USA, John Kerry, und UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Staffan de Mistura, als Kovorsitzenden organisierten und die zu einer mehrstündigen Diskussion führten. Natürlich wurde die größte Aufmerksamkeit der Delegationen bei ihren Auftritten und in allgemeinen Diskussionen der Syrien-Krise gewidmet.

Unsere westlichen Partner haben sich nicht geniert. Uns wurde zwar nicht buchstäblich „Barbarentum“ vorgeworfen, wie dies Samantha Power machte und was vom britischen Botschafter in der UNO, Matthew Rycroft, unterstützt wurde, allerdings gab es sehr harte Vorwürfe – der syrischen Regierung und uns wurden alle tödlichen Sünden vorgeworfen.

Die Antworten auf alle diese Vorwürfe wurden seit langem erhalten. Deswegen kann man nur ahnen, wozu sie es für notwendig hielten, am Sonntag eine außerordentliche Sitzung einzuberufen. Allerdings ist es nicht schwer, dies zu verstehen. Der Westen mit den USA an der Spitze, die die Koalition leiten, die in Syrien gegen ISIL und wie sie sagen, Dschebhat an-Nusra vorgeht, meistern nicht ihre Verpflichtungen. Das ist offensichtlich.

Frage: Man kann dies also als Versuch sehen, die erreichten Vereinbarungen zu torpedieren?

Sergej Lawrow: Ich denke nicht. Sie versuchen jetzt einfach, die Aufmerksamkeit davon abzulenken, was am 17. September in Deir ez-Zor geschah, als US-Fliegerkräfte die Stellungen der syrischen Armee bombardierten und zugleich erklärten, dass dies ein Fehler war. Erstens gab es Bombenangriffe innerhalb von einer Stunde. Zweitens sagte der Sprecher des United States Central Command, John Thomas, vor wenigen Tagen (ich zitierte ihn sogar bei der Pressekonferenz in New York), dass sie auf diese Stellung seit zwei Tagen zielten.

In Deir ez-Zor sieht die Situation so aus, dass die Frontlinie dort vor etwa zwei Jahren entstand und bewegt sich nicht. Wir und die UNO warfen dort von Flugzeugen Lebensmittel und andere Bedarfsgüter für belagerte Einwohner der Stadt, die von der syrischen Armee geschützt wird, ab. Doch wenn man in dieser statischen Situation noch zwei Tage lang zielt, sich auf Aufklärungsdaten stützt, wie John Thomas mitteilte, dann weiß ich nicht, was es für Richtschützen sind.

Frage: Uns wird Barbarentum vorgeworfen. Und was sagen die Fakten? Werden keine Fakten vorgelegt?

Sergej Lawrow: Sie legen Fakten vor, dass friedliche Einwohner ums Leben kommen. Sie zeigen Videoaufnahmen von zerstörten Häusern, fliehenden Zivilisten, berufen sich darauf, dass es Videoaufnahmen von Augenzeugen sind. Die zweite Quelle, die bei ihnen als tadellose Quelle gilt, ist eine Ein-Zimmer-Wohnung in London, wo ein Staatsbürger Großbritanniens syrischer Herkunft wohnt und als Einzelperson die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte leitet. Ich wiederhole, er befindet sich in London, wird aber am meisten zitiert.

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass Amerikaner und ihre westlichen Verbündeten nicht nur davon Aufmerksamkeit ablenken wollen, was in Deir ez-Zor geschah. Ich will keine endgültigen Urteile machen, das ist eine negative Gewohnheit  unserer westlichen Partner. Sie sagen stolz, dass sie einen rechtlichen Staat haben, doch nur das Gericht kann darüber entscheiden, ob der Mensch schuldig ist. Doch so war es auch vor zwei Jahren, als die malaysische Boeing im Himmel über der Ukraine abgeschossen wurde. Wir forderten eine Untersuchung. Die Amerikaner gaben der Resolution des UN-Sicherheitsrats grünes Licht, blockierten sie nicht, sagten aber, dass es für sie jedenfalls klar ist, wer das machte. So ist es auch hier. Am 19. September wurde ein humanitärer Konvoi angegriffen, wir forderten eine Untersuchung und mein guter Partner John Kerry (das ist für ihn nicht typisch) sagte, dass eine Untersuchung vielleicht durchgeführt werden kann, doch sie wissen, wer dies machte – die syrische Armee bzw. Russland und jedenfalls Russland sei daran schuld. Anscheinend wurde er stark beeinflusst, er steht unter einer harten Kritik der US-Kriegsmaschine. Obwohl, wie ständig gesagt wurde, der Oberste Befehlshaber der USA, Barack Obama, ihn bei dem Zusammenwirken mit Russland unterstützte (er bestätigte dies selbst bei dem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin), hören die Militärs wohl nicht sehr dem Obersten Befehlshaber zu.

Frage: Spielt hier der Faktor des US-Wahlkampfes eine Rolle?

Sergej Lawrow: Anscheinend ja. Das ist dann umso mehr inakzeptabel. Ich werde noch ein paar Worte dazu sagen, doch zunächst ein Beispiel mit dem humanitären Konvoi.

Unsere erste Reaktion war die notwendige unverzügliche Untersuchung dieser Tragödie. Amerikaner sagten, dass sie wissen alles und man soll nichts untersuchen. Sie zeigen zerstörte LKWs, sagen, dass dies die russischen bzw. syrischen Fliegerkräfte machten. Die syrischen Fliegerkräfte fliegen nicht in dunkler Zeit (es war gerade in dieser Zeit) und unsere Flugzeuge fliegen. Doch wenn es sich um Flugzeuge handelt, wo sind dann die Trichter?

Die bekannte Webseite Bellingcat veröffentlichte Informationen darüber, dass dort angeblich die Spuren einer Flugzeugbombe russischer Produktion entdeckt wurden. Doch eine halbe Stunde zuvor erschienen auf einer anderen Webseite, der der  US-amerikanischen politologischen Struktur Conflicts Forum andere Informationen – bereits in den ersten Sekunden der Videoaufnahmen des TV-Senders ABC waren Spuren des Aluminium-Staubs zu sehen, die für Geschosse typisch sind, mit denen Predator-Drohnen ausgerüstet werden. Amerikaner dementierten nicht Informationen, dass sich solche Drohne zu diesem Zeitpunkt über dem Gebiet in Aleppo befand, wo ein Konvoi zerschlagen wurde. Danach wurde dieser einige Sekunden dauernde Abschnitt, wo Aluminium-Staub zu sehen war, ausgeschnitten. Die Aufnahmen, die die TV-Sender später zeigten, darunter BBC, enthielten nicht diesen Abschnitt. Doch ich will nicht jemandem etwas vorwerfen. Wir wissen einfach gut, wie führende westliche TV-Sender – CNN und BBC – Fakten manipulieren (erinnern Sie sich daran, was im Irak vor einigen Jahren geschah, und dies als heutige Situation in Syrien dargestellt wurde?), und wir werden hier eine detaillierteste Untersuchung fordern. Wir haben dies offen gesagt.

Jetzt zum Wahlkampf. Das ist ziemlich merkwürdig.

Frage: Ja, aber dort entstehen Parallelen.

Sergej Lawrow: Ja, es gibt Parallelen. Es liegt auf der Hand, dass man uns zum Dämon bei allen Angelegenheiten in der Welt machen will. Wir haben natürlich Errungenschaften mit Amerikanern, die auf direkten Auftrag unserer Präsidenten erreicht wurden, die sich bereits vor einem Jahr bei dem Treffen in New York verabredeten, bei Syrien-Frage zu kooperieren und danach dies am 6. September in Peking bestätigten. Im Laufe dieser ganzen Zeit haben wir mit John Kerry ohne Rast und Ruh mit äußerst häufigen persönlichen Treffen und Telefongesprächen an der Schaffung der politischen Koalition gearbeitet, wir bildeten die Internationale Gruppe zur Unterstützung Syriens. Alle lobten diesen Schritt, weil zum ersten Mal geschaffen wurde, an einem Tisch alle ohne Ausnahmen äußeren Akteure zu versammeln, die die Situation in Syrien beeinflussen, darunter solche Antagonisten wie Saudi Arabien und der Iran.

Frage: Diese Vereinbarung wurde sogar als „schicksalhaft“ bezeichnet.

Sergej Lawrow: Ja, schicksalhaft. Seit dieser Zeit wurden wir beauftragt, konkrete Mechanismen des Zusammenwirkens in vier Richtungen vorzubereiten, die Ende des vergangenen Jahres in der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens und im UN-Sicherheitsrat gebilligt wurden. Es geht um den Waffenstillstand, Leistung humanitärer Hilfe, Antiterrorkampf und Beginn des politischen Prozesses. Es ist komisch jetzt darüber zu sprechen, warum US-Antiterrorkoalition ausschließlich ISIL und gar nicht Dschebhat an-Nusra angreift. Obwohl US-Außenminister John Kerry mir jedes Mal zusichert, dass Dschebhat an-Nusra ebenso große Terrorgefahr wie ISIL sei, doch sie wird nicht angetastet.

Frage: Es entstand eine paradoxe Situation – sie haben wohl diese Organisation als Terrororganisation anerkannt, schützen sie jedoch weiterhin.

Sergej Lawrow: Da ist ein ewiger Kreis. Ich kann ihnen zu 100 Prozent nicht vertrauen. Jedes Mal, wenn wir und syrische Fliegerkräfte die Stellungen von Dschebhat an-Nusra angreifen – sie kontrolliert jetzt die wichtigste Stadt in der syrischen Drama – Aleppo, sagen sie, dass wie erneut die patriotische Opposition angreifen und damit sie noch mehr in die Arme von Dschebhat an-Nusra bewegen. Doch ich möchte daran erinnern, und ich sagte dies bereits mehrmals, dass US-Außenminister John Kerry öffentlich sagte, dass die USA die führende Rolle übernehmen, um die patriotische Opposition von Terroristen zu trennen, darunter Dschebhat an-Nusra. Ich erinnere mich daran, wie er öffentlich bei den Sitzungen der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens und des UN-Sicherheitsrats Ende des vergangenen Jahres und zu Beginn dieses Jahres sagte, dass falls sie keine Terroristen sind und ein Teil der politischen Regelung in Syrien sein wollen, sollen sie die Gebiete verlassen, die Dschebhat an-Nusra einnimmt. Seit der Zeit geschah nichts.

Eine ziemlich interessante Sache. Jetzt wird uns gesagt, dass falls es einen stabilen, langfristigen  Waffenstillstand, der das ganze Land umfassen wird, geben wird, falls alle Hindernisse auf dem Wege der humanitären Hilfen beseitigt werden, wird erst dann der politische Prozess beginnen. Mit dieser Erklärung sabotieren Leute, die die so genannte Er-Riad Gruppe bildeten und sie den Obersten Verhandlungsausschuss nannten, seit Mai die Wiederaufnahme der Verhandlungen. Natürlich ist traurig, dass der UN-Sondergesandte für Syrien Staffan de Mistura ihnen folgt und auf uns und Amerikanern winkt – sobald Moskau und Washington eine Vereinbarung erreichen, wird er alles gleich machen und man alles sehr schnell schafft. Das ist ein verantwortungsloses Herangehen zur Vermeidung der Verantwortung.

Frage: Soweit ich verstehe, wird die Waffenruhe vor allem von den Terroristen ausgenutzt.

Sergej Lawrow: Natürlich. Wir hatten Pausen, die sofort ausgenutzt wurden, um die al-Nusra-Front aus dem Ausland mit Kämpfern, Geld und Waffen zu verstärken. Aber als vor fast einem Jahr – im November und Dezember des vorigen Jahres – die Internationale Gruppe zur Unterstützung Syriens die Arbeit an ihrem ersten Dokument erst begann, nämlich an der Deklaration zur Bildung dieser Gruppe und ihren Arbeitsprinzipien, kam es zu einer heftigen Debatte zwischen den Seiten, die festschreiben wollten, dass der Konflikt in Syrien keine militärische Lösung hat (dieser Meinung waren Russland, die USA und der Iran), und denjenigen, die so etwas in dem Dokument keineswegs festschreiben wollten und dementsprechend die militärische Lösung des Syrien-Konflikts für möglich oder sogar für vorrangig wichtig hielten. Wir wollen ja nicht auf jemanden mit dem Finger zeigen, aber die Situation war ziemlich ernst.

Der zweite Moment, der uns mit den Amerikanern und Iranern (auch die Ägypter waren mit uns) auf der einen Seite und diejenigen auf der anderen Seite, die die militärische Lösung nicht ausschließen wollten, voneinander trennte, war die Formulierung über die Notwendigkeit des sofortigen Ausrufs der allumfassenden Feuereinstellung auf dem ganzen syrischen Territorium. Das klappte auch nicht. Obwohl, wie gesagt, Russland, die USA, der Iran,  Ägypten und viele andere dafür waren. Aber eine kleine Gruppe von Teilnehmern dieser Struktur zur Unterstützung Syriens konnte diese Vorgehensweise nicht befürworten, und ein Konsens war unmöglich. Dafür wurde formuliert, dass die Feuereinstellung parallel mit den Fortschritten des politischen Prozesses vorangebracht werden sollte. Jetzt sagen die Menschen, die damals auf dieser Formulierung bestanden, zunächst müssten sich die vollständige Waffenruhe und der vollständige humanitäre Zugang etablieren, und dann würden sie es sich überlegen, ob der politische Prozess beginnen sollte. Bei den Engländern gibt es so eine Redewendung: „Das Tor wird ständig verschoben“. Man spielt Fußball, Handball oder Eishockey, trifft das Tor, aber dieses wird plötzlich beiseite geschoben. Einige von unseren Partnern versuchen jetzt, so zu spielen. Leider haben sich auch die USA mit dieser Krankheit angesteckt, die in den letzten Tagen nicht mehr die Rolle des unvoreingenommenen Kovorsitzenden der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens spielen, sondern nun nur in eine Richtung spielen und dabei ständig ihr Tor verlegen.

Frage: Aber das bedeutet doch nicht, dass unsere Vereinbarungen mit den Amerikanern bezüglich Syriens durchkreuzt worden sind, oder?

Sergej Lawrow: Nein. Ich denke, sie meinen es auch nicht so. Jedenfalls halten wir uns an den in den letzten Monaten getroffenen Vereinbarungen, in denen der Schlusspunkt nach dem Treffen der Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Barack Obama, am 6. September in Peking gesetzt wurde. Schon am 9. September formulierten wir mit John Kerry in Genf diese Vereinbarungen der Präsidenten auf dem Papier. Leider aber zeugen die weiteren Handlungen der USA davon, dass sie noch mehr Bedingungen für das Inkrafttreten unserer Vereinbarung verlangen, als auf dem Papier festgeschrieben wurde. Zum Glück wurden diese Vereinbarungen jetzt veröffentlicht und sind jetzt allgemein bekannt. Jetzt kann jeder wissen, wer welche Verpflichtungen übernommen hat.

Frage: Liest man diese Dokumente tatsächlich?

Sergej Lawrow: Wenn interessierte Menschen die Wahrheit wissen wollen, dann werden sie diese Dokumente lesen. Wenn man nur daran interessiert ist, der UN-Botschafterin der USA, Samantha Power, Öl ins Feuer zu gießen, wenn sie von Barbarei usw. redet, dann sind diese Personen wohl nicht mehr besser zu machen. Was aber im Sinne des Dokuments im Vordergrund steht, ist die Trennung der Opposition von den Terroristen – das wissen inzwischen wohl alle. In dem Dokument steht geschrieben, dass dies die höchste Priorität ist. Alles andere folgt nun ausgerechnet aus der Fähigkeit der USA, als Führungskraft der Anti-Terror-Koalition ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Denn sie hatten wohl diese Verpflichtungen im Namen aller Länder übernommen, die der Koalition angehören.

Frage: Führen die jüngsten Ereignisse dazu, dass unsere Beziehungen mit dem Westen künftig unter die Null-Marke fallen werden? Denn es wird inzwischen über eine gewisse Null-Marke gesprochen.

Sergej Lawrow: Es wurde wirklich geschimpft – anders kann ich die Ereignisse im UN-Sicherheitsrat in der vorigen Woche, als wir mit John Kerry zwei Sitzungen der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens durchführten, nicht bezeichnen. Und es gab noch eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats auf der Ministerebene. Dort hatte man sich noch in gewissen Rahmen gehalten, aber dann kam das Fass zum Überlaufen.

Ich schließe nicht aus, dass jemand einfach die Aufmerksamkeit davon ablenken will, dass die Angriffe gegen einen humanitären Konvoi in Aleppo und gegen die Stellungen der syrischen Armee in Deir ez-Zor fair ermittelt werden müssen. Für die erste Ermittlung ist natürlich die Koalition zuständig. Auch für die Attacke gegen den Konvoi sind diejenigen zuständig, die für das Gebiet die Verantwortung trägt, wo er angegriffen wurde. Ich bin überzeugt, dass es für große Profis kein Problem ist, die explodierten Munitionsstücke zu analysieren und festzustellen, was das war: ein Artillerieangriff, ein Hubschrauber- oder Raketenschlag, oder ob dieser Schlag von Flugzeugen versetzt wurde usw. Es gab Berichte, dass ausgerechnet im östlichen Teil Aleppos Instrukteure gab, darunter aus einigen Ländern der Region. Noch könnte es dort Spezialeinheiten aus den USA und Großbritannien gegeben haben. Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage, wen sie dort trainierten, denn die Führungsrolle im Kampf gegen die syrische Armee in Aleppo und nicht nur dort die al-Nusra-Front spielt.

Es gibt zu viele Dinge, die geklärt werden müssen. Es gibt übrigens noch einen Moment: Als dieser Konvoi erst aus der Türkei nach Aleppo geschickt wurde, wurde er aus irgendwelchen Gründen nicht von UN-Mitarbeitern begleitet, obwohl das standardmäßig vorgesehen ist. Es gab noch Warnungen seitens der Oppositionskämpfer aus dem östlichen Aleppo, sie hätten Angst, dass die syrische Armee diesen Konvoi zerbomben würde. Dieselben Oppositionskämpfer, die vor einem Monat, am 26. August, also noch vor den russisch-amerikanischen Vereinbarungen zum ersten Mal versucht hatten, einen humanitären Konvoi nach Aleppo zu schicken, und jetzt ihre Befürchtungen zum Ausdruck brachten, der Konvoi könnte zerbombt werden, hatten selbst gedroht, ihn zu bombardieren, denn sie wollten, dass er über einen anderen Weg geht. Damals zeigten die UN-Vertreter ihren Kleinmut, versuchten, sie zu überreden, aber vergebens. Es gibt, wie gesagt, zu viele Fragen, die geklärt werden müssen.

Es ist fast lustig, zu hören, wie diese Personen von Barbarei und Kriegsverbrechen sprechen. Unsere britischen Kollegen hatten eine Kommission gebildet, die die Ereignisse im Irak im Jahr 2003 ermitteln sollte. Und diese Kommission stellte fest, dass dies nichts als eine Affäre gewesen war, dass es keinen legalen Grund für eine bewaffnete Invasion in den Irak und für die Bombenangriffe gegeben hatte. Es sind 13 Jahre vergangen, und sie denken wohl, sie können jetzt ehrlich nach der Wahrheit suchen. Die Ereignisse in Libyen wurden vorerst nicht ermittelt. Aber irgendwann kommt es meines Erachtens noch dazu – in den Ländern, die am Anfang dieser Affäre standen. Und das waren vor allem die Briten, Franzosen und einige Länder der Region. Auch die Amerikaner machen immer noch kaum Fortschritte bei der Ermittlung ihrer ständigen Fehler. Ich habe bereits den Fehler in Deir ez-Zor erwähnt, und gestern machten sie einen Fehler in Afghanistan, wo sie statt der Taliban-Kämpfer wieder ihre Verbündeten zerbombten – die afghanische Armee. Aber man versucht, so etwas geheim zu halten.

Frage: Man verlangt von uns, uns zu rechtfertigen und zu beweisen, dass wir an friedlicher Regelung interessiert sind.

Sergej Lawrow: Besonders laut ruft man uns dazu auf, wenn jemand irgendwo in Afghanistan oder im Jemen wieder eine Hochzeit oder eine Schule, oder ein Krankenhaus zufällig beschießt. Da muss man sofort irgendeinen Zwischenfall erwarten, den man Russland vorwerfen wird. Ich denke nicht, dass unsere westlichen Partner so primitiv sind, aber wenn es brennt, wenn sie keine Argumente in Bezug auf die derzeit wichtigste Frage in Syrien haben – die Terroristen von den Oppositionellen zu trennen und gegen sie gnadenlos zu kämpfen – dann tun sie das.

Sie behaupten, der Terrorismus in Syrien wäre die größte Gefahr – viel größer als das Assad-Regime. Das ist eigenartig formuliert, aber niemand widerlegt, dass der Terrorismus unser gemeinsamer Feind Nummer eins ist. In der Tat bemühen sie sich aber darum, dass die al-Nusra-Front nicht getroffen wird. Wir sehen, dass die von den USA angeführte Koalition gegen den IS kämpft, obwohl sie das tut, erst seitdem die russischen Luft- und Weltraumtruppen auf Bitte der legitimen Regierung Syriens in diesem UN-Mitgliedsland handeln. Aber die al-Nusra-Front wird überhaupt nicht angegriffen. Ich fragte den US-Außenminister John Kerry, ob in den USA oder in der von ihnen angeführten Koalition jemand die al-Nusra-Front aufrechterhalten will, so dass sie nicht zu schwach ist, wenn sie mit dem IS fertig sind. Und dann könnte sie nach Damaskus marschieren und dort die Macht übernehmen. Herr Kerry versicherte, dass dies nicht so sei. Aber er hat mir vieles gesagt, was später jedoch von den US-Militärs quasi widerlegt wurde.

Hier ist ein konkretes Beispiel: Alle wissen, dass die wichtigste Vereinbarung zwischen Russland und den USA die Bildung eines gemeinsamen Exekutivzentrums ist, in dem die Seiten nicht nur Informationen zwecks Vermeidung gefährlicher Zwischenfälle in der Luft austauschen, sondern auch die Handlungen der Militärs zwecks Bekämpfung der Terroristen koordinieren würden. Das wurde vereinbart, wie auch dass dieses Zentrum ab dem Tag „D“ eingerichtet werden sollte – und das war der 12. September. Im Laufe von sieben Tagen, in denen die Waffenruhe sich etablieren würde, sollte der Informationsaustausch beginnen, damit sieben Tage nach dem Tag „D“ Schläge gegen die Terroristen in Übereinstimmung mit den Landkarten beginnen könnten, die auf Basis der ermittelten Informationen erstellt werden sollten.

Frage: Eine Woche ist schon vorbei.

Sergej Lawrow: Schon mehr als eine Woche. Zunächst sagten unsere Partner, die Waffenruhe würde ständig verletzt. Und dann erklärte der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, Joseph Dunford, im US-Kongress, der Informationsaustausch mit den Russen sei „keine gute Idee“. Das hatte zu bedeuten, dass man mit uns keine Informationen austauschen wird. Und das alles nach den Vereinbarungen, die auf Verfügung der Präsidenten Wladimir Putin und Barack Obama getroffen worden waren und in denen verankert ist, dass die Amerikaner mit uns Aufklärungsinformationen austauschen würden. Diese Vereinbarungen werden wirklich stark ausgebremst. Ich denke, man sucht einfach nach Vorwänden, um mit uns nicht zusammenzuwirken und sich darauf zu berufen, dass die humanitäre Situation dies unmöglich machte. Aber warum spannt sich denn die humanitäre Situation an? Russland sei schuld, und etwas ermitteln – das will man nicht. Es ist schwer, mit solchen Partnern zu arbeiten, aber andere Partner haben wir in Syrien nicht. Und ich muss mich immer wieder überzeugen, dass wir uns nur auf unsere Streitkräfte verlassen können.