Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, während einer gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit dem Premier, Minister für europäische und auswärtige Angelegenheiten der Republik Albanien, Amtierenden Vorsitzenden der OSZE, Edi Rama, am 26. Februar 2020 in Moskau
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir hatten inhaltsvolle Verhandlungen mit dem Ministerpräsidenten, Minister für europäische und auswärtige Angelegenheiten der Republik Albanien, Edi Rama, der zu einem Besuch in Russland als Amtierender Vorsitzender der OSZE kam.
Wir besprachen die Situation auf dem europäischen Kontinent im Kontext der Aufgaben, die vor der OSZE stehen. Wir haben eine gemeinsame Meinung, dass sie eine gewichtige Rolle bei der Lösung der aktuellen internationalen Fragen spielen soll. Die Organisation hat die notwendigen Instrumente dazu, doch sie mangelt oft an politischen Willen der Teilnehmerstaaten. Wir sind uns darin einig, dass zur Festigung der Sicherheit auf unserem gemeinsamen Kontinent die Entwicklung eines gleichberechtigten Dialogs, das Streben nach einer gegenseitigen Berücksichtigung der Interessen und Förderung einer positiven, vereinigenden Tagesordnung notwendig sind. Das würde ermöglichen, das notwendige Vertrauen zwischen den Teilnehmerstaaten wiederherzustellen.
Es ist klar, dass der Amtierende Vorsitzende große Verantwortung hat. Beim Dialog mit unseren albanischen Kollegen spürten wir das Streben nach der Erfüllung der Funktion eines „fairen Maklers“, sich an Konsens-Herangehensweisen zu halten, die die OSZE-Mitgliedsstaaten vereinigen werden, statt für mehr Konfrontation zu sorgen, von der wir ehrlich gesagt schon genug haben.
Wir besprachen die aktuellen Aufgaben in drei Dimensionen der Tätigkeit der OSZE, ich meine die Sicherheit, sozialwirtschaftliche Entwicklung und humanitäre Fragen.
Wir bestätigten die Bereitschaft der Russischen Föderation zum Ausbau der Kooperation in solchen Richtungen wie der Kampf gegen Terrorismus, Drogenverkehr, Bedrohungen im Bereich IT-Technologien, organisierte Kriminalität und Menschenhandel. Wir denken, dass die OSZE mehr zur Harmonisierung der Integrationsprozesse im eurasischen Raum, Gewährleistung der Rechte der nationalen Minderheiten, insbesondere Sprach- und Bildungsrechte, Bekämpfung des Antisemitismus, Christen- und Islamhass machen kann. Im Kontext des Endes des Zweiten Weltkriegs halten wir es für sehr wichtig, die politischen Kontroversen zur Seite zu schieben, gemeinsame Anstrengungen auf die Bekämpfung der Heroisierung des Nazismus, Versuche der Neonazi-Stimmungen in Europa auszurichten. Ich denke, dass es in unserem gemeinsamen Interesse ist. Solche Position werden wir aktiv in der OSZE verteidigen.
Wir erörterten ziemlich ausführlich die Situation in der Ukraine. Der Vorsitz Albaniens sieht offensichtlich als eine seiner Prioritäten die Förderung der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen. Wir unterstützen solches Herangehen. Wir werden umfassend die Kontaktgruppe und die Sonderbeobachtermission der OSZE in der Ukraine zur Vorwärtsbewegung nutzen. Von der Sonderbeobachtermission erwarten wir Angaben über Opfer und Schaden für die zivile Infrastruktur in der ganzen Periode des Konfliktes, Erscheinungen des aggressiven Nationalismus, Neonazismus und Fremdenhasses sowie Lage der nationalen Minderheiten. Das alles gehört zum Mandat der Sonderbeobachtermission der OSZE, die nicht nur im Donezbecken, sondern auch in anderen Gebieten der Ukraine funktionieren soll.
Wir besprachen die Rolle der Organisation bei der Förderung der Regelung von Konflikten im OSZE-Raum, darunter auf dem Balkan, bezüglich des Kosovo. Wir haben darüber ausführlich gesprochen. Wir haben das Streben, den Dialog zu fördern, der helfen würde, dass Belgrad und Pristina eine Vereinbarung im Rahmen der Prinzipien, die in der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats enthalten sind, zu erreichen. Die Lösung des kosovarischen Problems, die wir alle wollen, soll dem Völkerrecht entsprechen und vom UN-Sicherheitsrat gebilligt werden. Dazu ist natürlich die Zustimmung der direkt einbezogenen Teilnehmer der Verhandlungen notwendig. Wir denken, dass der Hauptfaktor beim Erreichen des Fortschritts wäre die Erfüllung des seit langem erreichten Vereinbarungen über die Schaffung einer Gemeinschaft der serbischen Gemeinden des Kosovo.
Wir haben mit Albanien ein bestimmtes Niveau der gegenseitigen Beziehungen. Im vergangenen Jahr trafen sich in Moskau Kovorsitzenden der russisch-albanischen Zwischenregierungskommission für Handel, Wirtschafts- und wissenschaftstechnische Kooperation. Das Treffen zeigte, dass das Potential für die Entwicklung des materiellen Zusammenwirkens vorhanden ist, es wird natürlich durch den Faktor zurückgehalten, dass sich Albanien der Sanktionspolitik der EU anschloss. Das erfreut uns natürlich nicht.
Neben den wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen entwickeln sich auch kulturell-humanitäre Verbindungen. Unter albanischen Absolventen ist die Ausbildung an russischen Hochschulen nachgefragt. Das erfreut uns. Wir werden bereit sein, die Zahl der Quoten aus dem russischen Haushalt zu erhöhen.
Im Ganzen sind wir an der Entwicklung unserer Beziehungen mit Albanien interessiert. Wir sind bereit, in dem Ausmaß zu kooperieren, zu dem die albanische Seite bereit ist. Ich danke meinem Kollegen für meines Erachtens konstruktive Verhandlungen.
Frage: Heute tagt in Minsk die Kontaktgruppe für die Ukraine, vor einigen Tagen sagte der Außenminister der Ukraine, Wadim Prostajko, dass man die Minsker Vereinbarungen revidieren kann und soll, weil sie in der jetzigen Fassung nicht umgesetzt werden können, und die Ukraine die Seiten dazu bewegen wird. Wie verhält sich Russland zu solcher Forderung der Revision der Vereinbarungen, wird es sie blockieren?
Wadim Pristajko sagte gerade, dass sich die Außenminister der Teilnehmerstaaten des Normandie-Formats in einem Monat versammeln werden. Stimmt das? Könnten Sie das bestätigen?
Sergej Lawrow: Wir hören von Wadim Pristajko und anderen Mitgliedern der ukrainischen Führung schon nicht zum ersten Mal die These über die Notwendigkeit der Revision der Minsker Abkommen. Die ukrainische Regierung befasst sich damit seit langem – seit der Amtszeit des Poroschenko-Regimes. Sie forderten die Revision und in der Tat wurde nichts davon erfüllt, was vereinbart worden war. Sie verzerrten vollständig den Sinn der Minsker Vereinbarung durch die Initiative zur Entsendung einer großen bewaffneten Operation der Vereinten Nationen – 20.000-25.000 Menschen mit schweren Waffen in die Ostukraine. Dabei sollten alle Strukturen aufgelöst werden, die in Donezk und Lugansk geschaffen wurden – die Polizei und Verwaltungsorgane, und stattdessen UN-Strukturen – UN-Polizei und Verwaltung aufzustellen, das ganze Perimeter unter Kontrolle dieser 20.000 Mann starken Operation mit schweren Waffen unter Kontrolle zu nehmen und erst danach freie, demokratische Wahlen durchführen. Das sind nicht neue Ideen.
Wir rufen unsere deutschen und französischen Kollegen als Mitglieder des Normandie-Formats ständig dazu auf, ihre ukrainischen Partner darauf aufmerksam zu machen, dass diese Handlungen die Resolution des UN-Sicherheitsrats vollständig streichen, die den Minsker Maßnahmenkomplex billigte. Unter den Argumenten, die im Kontext der Initiativen zur Revision der Minsker Vereinbarungen aufgebracht werden, über die wir jetzt sprechen, und zur Unterstützung solcher militärischen Methoden der Lösung des Donbass-Problems, erwähnen die ukrainischen Kollegen das Gebiet Kroatiens, das Ostslawonien heißt, wo seit Jahrhunderten Serben wohnten und wo die UN-Operation aufgenommen wurde, die de facto den Vorsitz über den Prozess der ethnischen Säuberung hatte.
Dort gibt es keine Serben mehr. Unsere ukrainischen Kollegen führen dieses Beispiel ziemlich aktiv an – als Muster für die Lösung des Donbass-Problems. Ich hoffe, dass alle hier verstehen, dass solche Initiativen provokant, absolut aussichtslos und unannehmbar sind.
Wenn Herr Pristajko, wie Sie gesagt haben, vorhat, die Seiten zu gewissen neuen Entscheidungen zu überreden, dann werden wir uns nach der Resolution UN-Sicherheitsrats richten, in der die Minsker Vereinbarungen einstimmig bekräftigt wurden.
Wir hören viele Erklärungen über Außenministertreffen im „Normandie-Format“. Sowohl in Bezug auf die Ukraine als auch in Bezug auf Syrien werden gewisse Fristen, Termine und dieses oder jenes Niveau genannt. Für uns ist das, ehrlich gesagt, eine Neuigkeit. Wir haben die Notwendigkeit der Arbeit im „Normandie-Format“ zwecks „Begleitung“ der zuvor gefassten Beschlüsse klar und deutlich unterstrichen.
Im Dezember 2019 haben die Spitzenpolitiker des „Normandie-Quartetts“ ein ganzes Paket von Empfehlungen verabschiedet, das in der Kontaktgruppe debattiert wurde, denn sie könnten vor allem durch die Kontaktgruppe umgesetzt werden, an der sich Vertreter sowohl Kiews als auch Donezks und Lugansks beteiligen. Was übrigens die Notwendigkeit der Erfüllung der Vereinbarungen angeht, so darf ich daran erinnern, dass im Vorfeld des Pariser Gipfels ein Dokument vorbereitet wurde, in dem den Seiten empfohlen wurde, ihre Kräfte und Waffen „vor Ort“ an der ganzen Trennungslinie auseinanderzuführen. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenski weigerte sich vehement, diese Initiative zu unterstützen. Die Sabotage der Minsker Vereinbarungen – und sie sehen die vollständige Auseinanderführung der Kräfte und Waffen vor – lässt sich lange nicht mehr zum ersten Mal beobachten. Ich hoffe, dass die ukrainische Führung doch den Wahlversprechen Wladimir Selenskis folgen wird (er behauptete, er wolle dem Krieg ein Ende setzen), ohne den Radikalen und Neonazis zu gehorchen, die den Regelungsprozess in der Ostukraine zum Scheitern bringen wollen.
Ich habe eigentlich von niemandem außer Ihnen gehört, in einem Monat würde ein neues Außenministertreffen im „Normandie-Format“ vorbereitet. Unsere Kollegen reden davon, dass schon im April ein neues Gipfeltreffen im „Normandie-Format“ organisiert werden sollte. Wir haben ihnen aber unsere Position klar und deutlich mitgeteilt: Wir werden die Termine des nächsten Gipfels erst dann besprechen, wenn erstens alle in Paris getroffenen Vereinbarungen umgesetzt werden (zur Normalisierung „vor Ort“, zur Minenräumung, zur Regelung von politischen Fragen im Kontext der „Steinmeier-Formel“ und der Verankerung aller Aspekte des Donbass-Sonderstatus in den ukrainischen Gesetzen). Zweitens sollte ein Abschlussdokument vorbereitet und unterzeichnet werden, damit es keine neuen Versuche gibt, schon während des Gipfels die getroffenen Vereinbarungen zum Scheitern zu bringen. Ich meine gerade die Geschichte um die Auseinanderführung der Kräfte und Waffen, die an der gesamten Trennungslinie hätte erfolgen sollen. Aber Herr Selenski und seine Mitarbeiter haben sich dieses Projekt am Ende anders überlegt. Unsere Position ist allgemein bekannt, und wir werden uns daran richten. Nur so können Fortschritte gesichert werden, denn die Versuche, immer wieder auf Lenin-Art „einen Schritt vorwärts und zwei Schritte zurück zu machen“, behindern die Sache.
Frage: Wir haben Sie die bilaterale Tagesordnung zwischen Russland und Albanien besprochen?
Sergej Lawrow: In meinem Einführungswort habe ich gesagt, dass wir bereit sind, die gegenseitigen Beziehungen so intensiv zu entwickeln, wie das unseren albanischen Kollegen passen würde. Die Antwort auf Ihre Frage hängt vor allem von der albanischen Seite ab. Herr Ministerpräsident erwähnte die Verpflichtungen Albaniens gegenüber der Nato, genauer gesagt, gegenüber den USA – als Verbündeter. Wir wissen, dass Albanien den EU-Beitritt anstrebt, und verstehen, dass dies bereits die politische Realität ist. Es gibt viele Beispiele (ich bin sicher, dass Albanien eines von ihnen werden könnte), wenn keine von den Verpflichtungen, die ich eben erwähnte, die Entwicklung von normalen und positiven Beziehungen behindern, die auf solchen Gebieten wie Handel, Investitionswesen, Wirtschaftskooperation generell beidseitig nützlich sind und die Entwicklung der Kontakte zwischen Menschen im humanitären, kulturellen Bereich, im Bildungswesen ermöglichen und dadurch gute gegenseitige Beziehungen fördern. Ich sehe keine Gründe, die uns bei der Entwicklung solcher Beziehungen behindern könnten.
(Fügt nach Edi Rama hinzu)
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
die von Ihnen angeführte Statistik der Telefonate widerspiegelt wohl die Realität. Was aber persönliche Treffen angeht, so habe ich 2004, bald nach meiner Ernennung zum Außenminister Russlands, Tirana besucht, und damals haben wir gemeinsam mit dem Außenminister Albaniens, K. Islami, den Vertrag über Freundschaft und Zusammenwirken paraphiert. Er wurde immer noch nicht unterzeichnet, weil die albanische Seite dieses Dokument auf die lange Bank geschoben hat. Aber es gibt ihn – er ist fertig. Wir könnten ihn durchaus in Kraft setzen, damit wir klare Prinzipien der Basis unserer Beziehungen haben.
Und per Telefon werden wir mit Ihnen regelmäßig sprechen – wenigstens in diesem Jahr. Neben der OSZE-Thematik könnten wir auch die für Sie und uns wichtigen bilateralen Fragen besprechen. Wir sind dazu bereit.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Am Anfang dieser Pressekonferenz haben Sie Kosovo erwähnt. Ich hätte gern gewusst: Hat Russland irgendwelche neuen Gründe, die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos zu verweigern? Sie sind ein bekannter Diplomat, wie Herr Premierminister bereits sagte. Was denken Sie anhand Ihrer Erfahrungen: Wenn kommt der Tag, an dem Russland die Unabhängigkeit Kosovos anerkennen wird?
Sergej Lawrow: Indem ich Ihre Frage beantworte, muss ich sie etwas korrigieren. Sie fragten, ob ich mir eine gewisse Frist vorstellen könnte, binnen der Russland Kosovo anerkennen würde. Es geht aber nicht darum, sondern um das, was Herr Premierminister eben sagte, als er die Situation in der Ukraine kommentierte. Er denkt, dass getroffene Vereinbarungen umgesetzt werden sollten. Genau das ist unsere Position zum Kosovo-Problem: Es gibt die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats, die alle vereinbart und einstimmig verabschiedet haben. Es gibt etliche Vereinbarungen zwischen Belgrad und Pristina, die unter Mitwirkung der Europäischen Union getroffen wurden. Unter anderem geht es um die Bildung einer Gemeinschaft serbischer Munizipalitäten im Kosovo. Die Bildung dieser Gemeinschaft wäre ein Riesenschritt auf dem Weg zur Sicherung der Rechte der Menschen, die im Kosovo auf dem Territorium der so genannten „serbischen Enklaven“ leben. Dieses Abkommen wurde vor mindestens sechs Jahren getroffen. Pristina weigert sich jedoch, es umzusetzen, und deshalb werden wir, wie Präsident Putin öfter sagte, jede Entscheidung akzeptieren, die für Belgrad und Pristina akzeptabel sein wird. Wir begrüßen aktiv solchen Dialog. Aber leider konnten unsere EU-Kollegen, die im Rahmen dieses Dialogs ihre Dienste als Vermittler anboten und auch einige Ergebnisse voranbringen konnten, es nicht erreichen, dass diese Vereinbarungen erfüllt werden. Wir werden darauf bestehen, dass das Kosovo-Problem nur auf Basis der Vereinbarungen gelöst wird, die dann im UN-Sicherheitsrat zu billigen sind.