Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit dem Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten Kroatiens, Gordan Grlić-Radman, Moskau, 17. Januar 2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir hatten sehr gute Verhandlungen. Sie verliefen traditionell in einer freundschaftlichen Atmosphäre. Der Meinungsaustausch war offen und vertrauensvoll.
Wir besprachen die Vorbereitung der Veranstaltungen anlässlich des 30. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die am 25. Mai 1992 aufgenommen wurden.
Wir brachten die Hoffnung zum Ausdruck, dass nach einem gewissen Rückgang im vergangenen Jahr der Handelsumsatz seine kontinuierliche Tendenz wiederaufnimmt. Wir betonten den wichtigen Stellenwert der Sitzungen der Zwischenregierungskommission für handelswirtschaftliche und wissenschaftstechnische Zusammenarbeit, die im vergangenen Monat in Zagreb stattfand.
Wir verzeichneten eine Zusammenarbeit zwischen Geschäftsstrukturen, darunter Lukoil, Sber, Bank VTB, Zarubezhneft. Wir unterstützen die Intensivierung der Geschäftskontakte, einschließlich der geplanten Einrichtung des russisch-kroatischen Geschäftsrats.
Wir sprachen uns für den weiteren Ausbau der Verbindungen in den Bereichen Kultur, Humanitäres, Bildung und Sport. Wir besprachen den Verlauf der Arbeit an einem Abkommen zur Einrichtung des Russischen Kulturzentrums in Kroatien.
Wir haben gegenseitiges Interesse an der Entwicklung der Zusammenarbeit im Tourismusbereich. Das wird durch den Fakt gefördert, dass der Flugverkehr seit Juni 2021 wiederaufgenommen wurde und sich ziemlich aktiv entwickelt.
Wir schätzten unser Zusammenwirken in den Vereinten Nationen ein, darunter zu den Fragen der gegenseitigen Unterstützung der Kandidaten auf den Wahlen in UN-Organe.
Wir tauschen wie immer Meinungen zu regionalen Problemen aus. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Situation auf dem Balkan, Bosnien-Herzegowina, dem Dialog zwischen Belgrad und Pristina gewidmet.
Zu den Fragen, die die Beziehungen zwischen Russland und der EU, zwischen Russland und der Nato betreffen, gaben wir unseren kroatischen Freunden die notwendigen Erklärungen. Wir betonten, dass wir die ausgewogene, konstruktive Position Kroatiens zur Lösung der Probleme, die sich zwischen Russland und der EU, zwischen Russland und der Nato anhäuften, zu schätzen wissen.
Ich bin Herrn Minister und seiner Delegation für dieses Treffen dankbar. Ich rechne damit, dass die Ergebnisse der Verhandlungen für die weitere Entwicklung unseres politischen Dialogs und Zusammenwirkens in der Weltarena nützlich sein werden.
Frage (übersetzt aus dem Kroatischen): Wie schätzen Sie die Situation in Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska ein?
Sergej Lawrow: Russland wie auch unsere kroatischen Kollegen, tritt für ein striktes Befolgen der Dayton-Abkommen. Jetzt werden aktive Versuche unternommen, Bosnien und Herzegowina, wo es zwei Entität und drei staatsbildende Völker mit gleichen Rechten gibt, in einen unitären Staat zu verwandeln. Mit Unterstützung einiger westlichen Länder, vor allem USA, werden für diese unfaire Ziele „Dämonisierung“ der Republika Srpska und ihrer Führung genutzt. Wir sehen eine offensichtliche Diskriminierung der bosnischen Kroaten. Solche Lage soll durch eingeleitete Wahlreformen geändert werden. Sie sollten schnellstmöglich mit einer festen Stütze auf die Dayton-Prinzipien der Gleichberechtigung der drei staatsbildenden Völker und zwei Entitäten abgeschlossen werden.
Trotz aller Aufrufe, sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, ernannten die USA einen Sondergesandten für Wahlreform in Bosnien und Herzegowina. Das ist zur Frage der Einflussbereiche. Wir halten das für anschaulich aus der Sicht des Herangehens der USA zu den Problemen im Westbalkan. Die Probleme der Wahlreform, wie auch alle andere in Bosnien und Herzegowina, sollen gemäß dem Dayton-Abkommen gelöst werden, mit dem Einsatz von Parlamentsversammlung, Präsidium und anderen Strukturen dieses Staates. Wir hoffen, dass die EU die Rückkehr zu den Grundlagen – Dayton-Prinzipien – fördern und sich nicht mehr zu dem Westbalkan als ihre Einflusszone verhalten werden.
Vor einigen Jahren sagte die damalige EU-Außenamtschefin Federica Mogherini, dass Westbalkan ein Gebiet ist, wo alle Probleme die EU klären wird, und andere sich da lieber nicht anschließen sollen. Diese Beispiele sind anschaulich aus der Sicht der jetzt laufenden Verhandlungen zu den Sicherheitsgarantien, mit deren Initiative die Russische Föderation auftrat.
Frage: Wenn der Dialog Russlands mit den USA und der Nato zu den Sicherheitsgarantien nach einem negativen Szenario läuft, keine Vereinbarung erreicht wird, werden wir bereit sein, dem Westen im Alleingang Widerstand zu leisten? Wird das eine zusätzliche, vertiefte Zusammenarbeit mit unseren strategischen Partnern – China – für Bekämpfung der militärischen Bedrohung und versprochenen höllischen Sanktionen seitens der Europäer und Amerikaner erfordern?
Sergej Lawrow: Wir bauen unsere Politik nicht auf dem „Was wird, wenn“-Prinzip auf. Das ist eher eine Methode unserer westlichen Kollegen, die mit Sanktionen gegen die Russische Föderation fast jeden Tag drohen, mit und ohne Anlass. Wir rechnen fest mit den uns versprochenen konkreten Antworten auf die Entwürfe der Dokumente, die Russland den USA und Nato-Mitgliedern übergab. Es gibt Gründe zu denken, dass in einigen Tagen einige Kontakte zu diesem Thema stattfinden.
In einer konzentrierten Form bestehen unsere Fragen darin, wie der Westen konkret seine Verpflichtungen, die in den Dokumenten der OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 und Astana 2010 festgelegt sind, erfüllt werden. In diesen Dokumenten steht geschrieben, dass OSZE-Staaten die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit der anderen festigen werden. Im OSZE-Raum kann kein Staat, Gruppe der Länder bzw. Organisation eine vorrangige Verantwortung zur Unterstützung des Friedens und Stabilität in dieser Region bekommen. Das ist ein unabdingbarer Teil der Kompromisse und Lösungen, die auf der höchsten Ebene in der OSZE angenommen wurden. Wir wollen eine Antwort auf die Frage bekommen – wie will der Westen das erfüllen, wo er seine Unterschrift stellte. Ich möchte erneut zusichern, dass unsere Führung imstande ist, die russischen Interessen sowohl aus der Sicht der Sicherheit, als auch bezüglich der Gewährleistung der Rechte unserer Staatsbürger sicher zu schützen.
Was die Beziehungen zu China betrifft, sind sie nicht von einer Konjunktur betroffen. Sie entwickeln sich unabhängig davon, was dazu unsere westlichen Kollegen meinen. Wir haben nicht Freundschaftsbeziehungen mit China gegen jemanden.
Frage (übersetzt aus dem Kroatischen): Auf der jüngsten Pressekonferenz sagten sie über die Ukraine, dass Russland der Ukraine, dem ukrainischen Volk nie gedroht hat, im Gegenteil – es war die Ukraine, die Russland und dem russischen Volk drohte. Was wollten Sie damit sagen?
Sergej Lawrow: Wir haben heute dieses Thema kurz besprochen. Kroatien, wenn es über die Bereitschaft spricht, mit der Ukraine die Erfahrung der Reintegration der nationalen Minderheiten zu besprechen, meint die Lösung humanitärer Fragen, Schaffung der notwendigen Bedingungen für den Respekt besonderer kultureller, Bildungs-, Sprachrechte der Minderheit, und einige offizielle Personen in der Ukraine präsentieren dieses Thema so, dass man die Erfahrung der Kampfhandlungen, die es Mitte der 1990er-Jahre in dieser Region gab, nutzen kann.
Solche Absichten sind möglich. Ich hoffe, dass es dazu nicht kommen wird. Sie sind ziemlich gefährlich vor dem Hintergrund der Erklärungen des Präsidenten Wladimir Selenski darüber, dass jene Staatsbürger der Ukraine, die sich als Russe empfinden, nach Russland abhauen sollen.
Unser heutiges Gespräch mit dem Minister zeigte, dass Zagreb die Risiken solcher Versuche des ukrainischen Regimes versteht, die Vereinbarungen, die zwischen Kiew und Zagreb erreicht werden, im Sinne ihrer Absichten zu deuten und die Gewaltlösungen des Problems der Ostukraine anzuwenden.
Für das ukrainische Regime kann es keinen Plan B geben. Es gibt nur Minsker Abkommen, die Kiew strikt erfüllen soll, wie Herr Minister in seiner Einführungsrede sagte.
Frage: Können Sie die Fragen der stellvertretenden US-Außenministerin Victoria Nuland darüber, dass die USA 18 verschiedene Szenarien für den Fall einer Invasion Russlands in die Ukraine hat, kommentieren?
Sergej Lawrow: Dmitri Peskow legte bereits unsere Position dazu dar. Ich kann nur zusätzlich eine Vermutung äußern. Die USA verfügen über 17 Sicherheitsdienste. 17 Dienste plus das Außenministerium – also 18. 18 Szenarien. Vielleicht veranstalten sie da einen internen Wettbewerb.
Wollen wir nicht daran vergessen, was US-Offizielle zum Thema der „Invasion“ Russlands in die Ukraine sagten. Es wurde absolute Desinformation verbreitet, dass wir eine Provokation mit dem Angriff beinahe auf die russischsprachige Bevölkerung im Donezbecken vorbereiten, um einen Vorwand für diese „Invasion“ zu bekommen, Jen Psaki sagte, dass es bereits 2014 der Fall war.
Die jetzige Tragödie in der heutigen Ukraine begann 2014, nicht wegen einer Provokation seitens Russlands, sondern wegen eines in vielerlei Hinsicht von den USA unterstützten und organisierten Staatsstreichs.
Heute steht die Ukraine natürlich unter externer Verwaltung der USA. Washington ist imstande, das Kiewer Regime zur Erfüllung der Minsker Abkommen zu bewegen.
Dieses Thema wurde auch während des Gipfels der Präsidenten Wladimir Putin und Joe Biden im Juni 2021 in Genf besprochen. Dort sahen und hörten wir das Verständnis der USA bezüglich des Wesens der Minsker Abkommen – es besteht vor allem im Sonderstatus des Donezbeckens. Damit werden sich US-Kollegen hoffentlich befassen.