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Stenogramm Beitrags Aussenministers Russlands Sergej Lavrov auf dem russisch-norwegischen Seminar zu Problemen der friedlichen Regelung, Moskau, 7.April 2005

684-07-04-2005

Geehrter Herr Minister,

Geehrter Herr Staatssekretaer,

Geehrter Herr Rektor,

Geehrte Kollegen,

Zunaechst moechte ich alle Teilnehmer unseres dreiseitigen Seminars, das dem 100.Jahrestag der friedlichen Aufloesung der schwedisch-norwegischen Union und der Herstellung der duplomatischen Beziehungen zwischen Russland und Norwegen gewidmet ist, herzlich begruessen.

Gestern waren wir mit Norwegens Aussenminister Jan Petersen in Sankt-Petersburg, und haben an der Eroeffnung der Ausstellung „Russland-Norwegen. Ueber Jahrhunderte und Grenzen" teilgenommen. In Norwegen wurde diese Ausstellung schon gezeigt, und zwar, sehr erfolgreich. Ich war auf ihrer Eroeffnung am 2.Juni des vergangenen Jahres und hatte die Ehre, sie zusammen mit dem norwegischen Koenig Harald V. zu eroeffnen. Ein Drittel Osloer hat die Ausstellung besucht, wenn wir von der Gesamtzahl der Besucher reden. Es zeugt davon, dass sie sehr gut vorbereitet ist. Gestern haben wir uns dessen erneut ueberzeugt. Die Ausstellung im Voelkerkundemuseum in Sankt-Petersburg zeigt, wie reich und mannigfaltig unsere Beziehungen waren und sind.

Unsere gemeinsame Geschichte zeugt davon, dass Interessen unserer Voelker gleich sind. Sie haben den schrecklichsten Krieg in der Geschichte der Menschheit durchgemacht und ueberlebt. Wir sind gewillt, die moderne Welt sicher zu machen. Dies zeugt von der Aktualitaet unseres heutigen Seminars.

Sowohl Russland als auch skandinavische Laender haben grosse Erfahrungen auf dem Gebiet der Friedensgestaltung. Norwegen wirkt aktiv bei der Regelung der Lage im Nahen Osten, in Sri Lanka und Sudan. Schweden traegt aktiv zur Friedengestaltung auf Balkan, in Afghanistan und Liberien bei. Bedeutende Erfahrungen bei der Regelung regionaler Konflikte hat auch unser Land, besonders im frueheren Sowjetraum. Auswertung und Verallgemeinerung dieser Erfahrungen ist nicht fuer die Teilnehmerlaender wichtig, sondern auch zur Friedensgestaltung im allgemeinen.

Zu den Schluesselproblemen unserer Zeit gehoert folgendes: Trotz modernen Wechselbeziehungen und Globalisierung verfuegt die Weltgemeinschaft jedoch nicht ueber wirksame Mechanismen zur Regelung der Prozesse, die in der Welt vor sich gehen. Globalisierung ruft sozial-wirtschaftliche, nationale und religioese Konflikte herbei. Teilweise verursachen sie die Bildung von Terrorismusherden, organisierte Kriminalitaet, Drogenhandel. Auch Gefahr der unkontrollierbaren Verbreitung der Massenvernichtungswaffen und deren Einsatz durch Terroristen.

Es gibt keine einheitliche Strategie zur Loesung all dieser Probleme, obwohl wir danach aktiv suchen. Es gibt positive Entwicklung, aber es gibt noch kein effizientes Antikrisensystem, das allen Herausforderungen der Gegenwart gerecht waere. Das ist ein schwerer Prozess, wir muessen ihn fortsetzen und nach Moeglichkeiten suchen, um dieses globale System aufzubauen. Bei der Friedensgestaltung haben unsere Laender mit vorhandenen Nachteilen zu tun, ich meine das fehlende Antikrisensystem. Aus unserer Sicht gehoert zu den wichtigsten Problemen der Friedensgestaltung die nicht genuegende Entwicklung des Militaerteils der Friedensgestaltung und das Fehlen eines wirklich effizienten Mechanismus des Militaergutachtens, wenn der Weltsicherheitsrat entsprechende Entscheidungen treffen muss.

Es gibt ein gutes System zur Abstimmung von politischen Einstellungen der Mitgliedsstaaten und zur Erarbeitung von politischen Beschluessen, die Militaerkomponente ist jedoch nicht gut genug ausgearbeitet. Es gibt solch eine Form wie Beratung der UN-Missionsmilitaerraete mit Vertretern des Departements fuer Friedensoperationen des Sekretariats dieser Einrichtung. Es geht um eine recht grosse Gruppe – ueber 60 Mann. Dabei nehmen nicht alle da repraesentierten Laender an allen Friedensoperationen teil. Andererseits sind mehrere Laender, die an den Operationen teilnehmen, nicht durch Militaerraete repraesentiert. Es ist jedoch sowieso besser als nichts. Denn die Mitglieder koennen mindestens mit dem Sekretariat beraten, wenn es um Entscheidungen geht, und deren Erfuellung kontrollieren. Die Beratung verfuegt zwar weder ueber notwendige Informationen noch ueber Militaerkalkulationen der Staaten, die daran teilnehmen koennen.

Keinesfalls haben alle Staaten Erfahrungen in diesen Fragen. Deshalb reden wir jahrelang von der Aktivierung der Taetigkeit des Generalstabsausschusses. Dieses Gremium ist in der UN-Charta festgelegt, ist jedoch in den letzten Jahren praktisch nicht zum Einsatz gekommen. Es besteht aus den Generalstabschefs der fuenf staendigen UN-Mitglieder. Gemaess der UN-Charta koennen an seiner Arbeit auch andere Laender ueber Verteter des Generalstabs teilnehmen. Ausserdem koennen Unterausschuesse des Generalstabsausschusses gebildet werden. Dieser Mechanismus koennte zur Behandlung der Militaeraspekte einzelner Aktionen eingesetzt werden. Wenn es beispielsweise um Afrika geht, kann der Generalstabsausschuss einen Unterausschuss bilden, an dem afrikanische Laender sowie Laender aus anderen Regionen teilnehmen, die in dieser konkreten Situation bereit sind, ihre Friedenskraefte zu entsenden, notwendige Technik bereitzustellen usw. Der Generalstabsausschuss kann die Militaerlage in Konfliktregionen analysieren, und zwar, bevor Konflikt in das „heisse" Stadium hinauswaechst. Die Zusammensetzung des Komitees zeigt, dass die Mitgliedsstaaten bessere Moeglichkeiten haben, um zu solchen Informationen zu kommen, als andere Laender. Man koennte Fragen der materiellen Versorgung, Kommunikation usw. im voraus behandeln. In diesem Zusammenhang will ich einen wichtigen politischen Aspekt dieser Idee hervorheben: Aktivierung der Taetigkeit des Generalstabsausschusses. Dieses Herangehen wird beweisen, dass die Grossmaechte bereit sind, auf Grund des Vertrauens zusammen zu arbeiten.

In bilateralen Beziehungen haben sich unter allen staendigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates vertrauliche Beziehungen entwickelt. Die Uebertragung dieses Vertrauens in den Generalstabsausschuss, waere ein wichjtiges Zeichen fuer alle, wer meint, Grundlagen der UN-Taetigkeit sollten revidiert werden, da sie nicht immer wirksam arbeitet. Sicherlich wuerde die Taetigkeit des Generalstabsausschusses auf den von mir genannten und von der Charta vorgesehenen Prinzipien zur Erhoehung ihrer Rolle in der modernen Welt. Mit dem Anstieg der Friedenaktionen in den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts stoesst das Sekretariat bei der Ausfuehrung dieser Aktionen auf objektive Schwierigkeiten. Deshalb delegiert es diese Funktionen an militaerpolitische Strukturen einzelner Staaten, die dann fuehrende Staaten genannt wurden. Man kann sagen, dass sie die Arbeit des gesamten Kommandosystems sicherstellen, denn andere Staaten, die an konkreten Militaeraktionen teilnehmen wollen, muessen sich an diese fuehrenden Nationen anschliessen. So war es beispielsweise im frueheren Jugoslawien, wenn die Moeglichkeiten der Nato genutzt wurden, oder auch in afrikanischen Konflikten sowie bei Aktionen auf Haiti, in Afghanistan, in Osttimor, wenn die Moeglichkeiten der Afrikanischen Union genutzt wurden. Der Trend bestand in der Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Vereinten Nationen, regionalen Einrichtungen und provisorischen Koalitionen, es war positiv, da es kein systemhafteres Herangehen durch Aktivierung des Generalstabsausschusses gab.

Wir sind ueberzeugt, dass regionale Einrichtungen eine wichtige Rolle in ihrem Zustaendigkeitsbereich spielen muessen, wie dies in der UN-Charta verankert ist, wo ihnen fuehrende Rolle bei der friedlichen Loesung von Zwisten zugesprochen wird. Nicht alle vorhandenen regionalen Strukturen verfuegen jedoch ueber noetige Moeglichkeiten und Erfahrungen zur der Ausfuehrung solcher Aktionen. Das haengt auch damit zusammen, dass regionalen Einrichtungen zur Friedensgestaltung der Vereinten Nationen nicht seit langem eingeschaltet werden. Ich bin ueberzeugt, dass aktive Einschaltung regionaler Einrichtungen sowie deren effektiver Einsatz bei der Ausfuehrung von Friedensaktionen durch den Mangel an Militaergutachten gebremst wird. Man muss den Generalstabsausschuss bestimmt aktiver einsetzen, ihn keinesfalls aufloesen, wie UN-Generalsekretaer in seinen UN-Reformvorschlaegen vor kurzem vorgeschlagen hat. Wir halten diese Empfehlung fuer recht bedenklich. Hoffentlich wird man diese Frage bei der Behandlung der Reforminitiativen in New York unter Beruecksichtigung realer Perspektiven und realer Moeglichkeiten des Generalstabsausschusses eroertern, nicht aber von der politischen Zweckmaessigkeit ausgehen. Vielleicht ist es fuer einige bequemer, ohne diese Struktur auszukommen. Ich will jedoch betonen: Zu diesem Mechanismus gehoeren nicht nur Russland und drei westliche staendige Mitglieder des Weltsicherheitsrates, sonern auch China. Wir haben nicht das Recht, diesen Ausschuss zu vernachlaessigen bzw. aufzuloesen, wenn wir stabilen Frieden erreichen wollen, bei dem Stabilitaet und Voraussagbarkeit in der Entwicklung der internationalen Beziehungen gesichert sind.

Zur Friedensgestaltung gehoert nicht nur Ueberwindung des akuten Konfliktstadiums, sondern auch Schaffung von Bedingungen, die neue Verschaerfungen des Konflikts ausschliessen. Dazu sind viele politische, sozial-wirtschaftliche und rechtliche Massnahmen noetig. Obwohl dabei regionale Einrichtungen fuehrende Rolle spielen sollen, muessen auch Vereinte Nationen zur Beseitigung „grauer Zonen" in konkreten Laendern beitragen, wenn es um den Uebergang von der Regelung zum Wiederaufbau geht, und neue Konflikte verhindern. Deshalb ist Kofi Annans Vorschlag, einen Friedensausschuss zu bilden, sehr interessant. Wir sind gewillt, verschiedene Formen dieses Ausschusses zu erwaegen.

Neben erfolgreichen Beispielen gibt es in der Geschichte der Friedensgestaltung auch negative Aktionen. Aber auch bei erfolgreichen Aktionen gab es grosse Schwierigkeiten. Zu den erfolgreichen UN-Aktionen gehoeren Aktionen in Kamboscha, Mozambique, Tadschikistan, Osttimor. Es ist gelungen, vorhandene Probleme zu ueberwinden und stabile Regelung zu erreichen, ohne Risiko neuer Konflikte. Es ist darauf zurueckzufuehren, dass diese Aktionen auf allgemein akzeptierten Prinzipien beruhten, die von den Vereinten Nationen ausgearbeitet wurden. Die Leiter dieser Aktionen handelten strikt nach ihren Mandaten.

Wenn wir von der Einbindung regionaler Einrichtungen in die Friedensgestaltung reden, ist es gerade das, was fuer OSZE notwendig ist. OSZE will ja auch an der Konfliktregelung teilnehmen und eigene Friedensmoeglichkeiten nutzen und entwickeln. Leider hat OSZE keine konkreten Kriterien und Prinzipien fuer diese Taetigkeit, denn sie hat kein Statut und keine Vorschriften. Die ueberwiegende Mehrheit der OSZE-Staaten meint, man muesse Statut und Vorschriften ausarbeiten, da OSZE eine Organisation ist. Einige OSZE-Mitglieder ziehen es jedoch vor, sie in diesem amorphen Zustand zu lassen, sie meinen, sie koenne arbeiten „wie es einem gerade einfaellt". Ich bin zufrieden, dass in den letzten Monaten immer mehr Laender erkennen, dass solche Lage geaendert werden muss. Gestern fanden Beratungen zwischen einigen Mitarbeitern unseres Ministeriums und des US-Staatsdepartments statt. Die Teilnehmer tauschten Meinungen zur Zukunft der OSZE und deren Reformierung aus. Wir sind mit den Ergebnissen dieser Beratungen zufrieden. Die Seiten erkennen, dass in die OSZE Leben gebracht werden muss, damit ihre Taetigkeit klarer wird.

Unser Land nimmt an den meisten UN-Friedensaktionen bzw. an deren materiellen Versorgung teil. Wir halten es fuer den Zeugnis unseres aufrichtigen Willens, Stabilisierung der Lage in verschiedenen Regionen der Welt zu foerdern, und fuer unsere Pflicht, als staendiges Mitglied des Weltsicherheitsrats zur Unterhaltung des Friedens und der Sicherheit beizutragen. Das ist eben das wichtigste Kriterium der Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat. Gemaess unserer vom russischen Praesidenten Wladimir Putin verlautbarten politischen Linie soll unser Beitrag zur Friedengestaltung immer groesser werden. Bestimmt sind wir an der Zusammenarbeit mit anderen Laendern in diesen Fragen interessiert, besonders mit denen, die ueber reiche Erfahrungen in diesem Bereich verfuegen, dazu gehoeren natuerlich auch unsere norwegischen und schwedischen Freunde.

Ich habe bloss einige Fragen aufgezeichnet, die meiner Meinung nach Diskussionsstoff darstellen. Ich hoffe, dass unser Seminar produktiv wird. Ich wuensche Ihnen viel Erfolg.

7.April 2005


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