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Interview des Direktors für Nichtweiterverbreitung und Rüstungskontrolle im Außenministerium Russlands, Michail Uljanow, mit der Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya am 18. September 2015

1757-18-09-2015

Frage: Was halten Sie von den jüngsten Aussagen der US-amerikanischen Seite zum Thema europäische Raketenabwehr nach der Unterzeichnung der Wiener Vereinbarungen bezüglich des iranischen Atomprogramms?

Antwort: Das ist voller Hinterlist, wobei unfaire und kaum überzeugende Argumente angeführt werden. Da sich amerikanische Offizielle ständig zu diesem Thema äußern, verfolgt Washington offenbar das Ziel, die Weltgemeinschaft und vor allem die Öffentlichkeit in den Ländern, die seine Verbündeten in der Nato sind, zu überzeugen, dass es zwischen dem iranischen Atomprogramm und dem US-Raketenabwehrprogramm keine Verbindung gäbe, so dass dieses Programm auch weiterhin vollständig umgesetzt werden sollte.

Diese These ist absolut lächerlich. Vor allem erinnern wir uns noch an die Worte des US-Präsidenten, die er am 5. April 2009 in Prag sagte: „Im Fall der Beseitigung der iranischen Gefahr würde das Motiv für die Raketenabwehr-Entwicklung in Europa verschwinden“. Jetzt aber behaupten die Amerikaner, ihr Präsident hätte nicht nur den nuklearen, sondern auch andere Aspekte dieses Problems gemeint, die von den Vereinbarungen bezüglich des iranischen Atomprogramms nicht berührt bleiben. Aber eine reelle Raketengefahr für Europa, von der man in Washington spricht, könnte nur im Falle des Bestehens von Massenvernichtungswaffen bestehen, nämlich von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen.

Iran ist aber ein fairer Teilnehmer der Konventionen über das Verbot von Chemie- und Biowaffen. Niemand, darunter die USA, hat gegen ihn etwas einzuwenden. Was Atomwaffen angeht, so räumt selbst die US-Administration ein, dass jegliche damit verbundene Gefahren im Rahmen der allumfassenden Vereinbarungen über das iranische Atomprogramm beseitigt werden. Dementsprechend gibt es keine Gefahren, die mit Massenvernichtungswaffen verbunden wären.

Ein Einsatz von Raketen gegen die europäischen Länder wäre aber aus militärischer Sicht absolut sinnlos. Noch mehr als das: Niemand kann erklären, worauf sich die Befürchtungen anlässlich von möglichen Raketenschlägen seitens des Irans zurückführen lassen. Es ist doch offensichtlich, dass Teheran nicht die geringsten Motive dafür hat. Deshalb wird dieses Thema üblicherweise verschwiegen, wobei die „iranische Raketengefahr“ als nicht zu bestreitender Fakt dargestellt wird, der nicht begründet werden muss.

Zudem ist der Iran aus rein technischer Sicht ungefährlich für Europa. Die Reichweite seiner Raketen beträgt höchstens 2000 Kilometer, und es gibt keine Hinweise darauf, dass Teheran sie erhöhen will. Aber selbst wenn die Iraner solche Absichten hätten, dann könnten sie sie ohne eine Hilfe von außerhalb nicht umsetzen.

In diesem Kontext ist daran zu erinnern, dass die internationalen Sanktionen gegen die Islamische Republik schon seit vielen Jahren die Übergabe von Raketentechnologien diesem Land untersagen. In einigen Monaten werden die Sanktionen abgeschafft, aber im Sinne der Vereinbarungen bezüglich des Atomprogramms werden wesentliche Beschränkungen auf diesem Gebiet weiterhin gelten. Lieferungen, die mit Raketentechnologien etwas zu tun haben, können in den nächsten acht Jahren nur auf Zustimmung des UN-Sicherheitsrats erfolgen. Es gibt keine Zweifel, dass die USA auf ihr Vetorecht zurückgreifen werden, wenn ein entsprechender Antrag gestellt werden sollte.

Angesichts dessen haben wir allen Grund zu glauben, dass jegliche Spekulationen über die „iranische Raketengefahr“ nur ein Vorwand für die Umsetzung eines Projekts sind, dessen wahres Ziel in einer Beeinträchtigung des russischen nuklearen Abschreckungspotenzials und in der Verwicklung der europäischen Verbündeten der USA in eine langfristige militärische Konfrontation mit Russland besteht, was offenbar den Interessen der USA entsprechen würde.

Frage: Was können Sie zur Rolle der IAEO im Kontext der Vereinbarungen bezüglich des Irans sagen? Wie erfolgt Russlands Zusammenwirken mit dieser Organisation?

Antwort: Die IAEO spielt die Schlüsselrolle bei der Umsetzung des allumfassenden Plans zur Regelung der Situation um Irans Atomprogramm. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, zu garantieren, dass es im Iran keine nuklearen Stoffe gibt, deren Besitz er nicht erklären könnte, und dass dieses Land keine Aktivitäten im nuklearen Bereich betreibt, die es nicht erklären könnte. Damit muss die IAEO den friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms bestätigen. Wir bestanden immer darauf, dass sich mit dieser Aufgabe nicht die Sechsergruppe, sondern ausgerechnet die IAEO beschäftigt, die über ein einmaliges Expertenpotenzial und riesige Erfahrungen verfügt. Es ist prinzipiell wichtig, dass diese Vorgehensweise im Gemeinsamen allumfassenden Aktionsplan widerspiegelt wird.

Zu den praktischen Aufgaben der IAEO gehören die Prüfung der Umsetzung der Verpflichtungen im Rahmen dieses Aktionsplans durch den Iran, das Zusammenwirken mit der Gemeinsamen Kommission der Sechsergruppe und des Irans. Die IAEO wird regelmäßig ihren eigenen Verwaltungsrat und den UN-Sicherheitsrat über die Ergebnisse dieser Arbeit informieren. Die Berichte der IAEO werden die Basis für die Abschaffung der antiiranischen Beschränkungen bilden.

Sehr wichtig ist, dass Teheran sich verpflichtet hat, ein Zusatzprotokoll zum Abkommen über die Garantien sowie den so genannten modifizierten Code 3.1 anzuwenden, die, wie wir immer sagten, der Schlüssel zur Bestätigung der ausschließlich friedlichen Ausrichtung des iranischen Atomprogramms sind. Zudem wird die Zahl der IAEO-Inspekteure vergrößert, die sich auf den iranischen Atomobjekten ständig aufhalten werden. Dabei werden ihnen die neuesten Überwachungstechnologien zur Verfügung stehen, darunter digitale Stempel und Systeme zu ständiger elektronischer Kontrolle über das Anreicherungsniveau.

Das Abkommen über Irans Atomprogramm sieht darüber hinaus zusätzliche Kontrollmaßnahmen seitens der IAEO vor, die den ganzen Zyklus von der Förderung des Uranerzes bis zu seiner Verarbeitung in der Islamischen Republik abdecken werden.

Zudem wurde ein effizienter Mechanismus zur Regelung von Streitfragen bezüglich des Zugangs zu den iranischen Atomobjekten für IAEO-Vertreter entwickelt. Das bedeutet, dass bei begründeten Zweifeln am friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms seitens der IAEO jegliche Verzögerung bei der Zulassung von Inspekteuren zu den jeweiligen Objekten so gut wie ausgeschlossen ist: Entsprechende Absprachen werden weniger als einen Monat in Anspruch nehmen.

Wichtig ist auch, dass sich Teheran verpflichtet hat, bis Ende dieses Jahres das Zusammenwirken mit der IAEO an der Klärung von Zweifelfragen im Kontext seiner vermutlichen militärischen Nuklearforschungen zu beenden. Diese Arbeit wird im Sinne eines „Fahrplans“ erfolgen, den der Iran und die IAEO gleichzeitig mit dem Gemeinsamen Aktionsplan unterzeichneten. Damit wird auch unter dieser Frage der Schlussstrich gezogen. Jegliche Fragen in Bezug auf die Geschichte des iranischen Atomprogramms sollten dadurch vom Tisch geräumt werden, und dann werden die IAEO und die Weltgemeinschaft eine klare Vorstellung von der Entwicklung dieses Programms haben.

Alle diese Maßnahmen sollen am Ende des Tages das Vertrauen zwischen der Sechsergruppe und dem Iran im Interesse der konsequenten Umsetzung der gegenseitigen Vereinbarungen festigen. Das würde garantieren, dass die IAEO jegliche hypothetische Versuche des Irans, die Entwicklung der eigenen Atomwaffen rechtzeitig merken kann. Die Logik der weiteren Entwicklung des iranischen Atomprogramms wäre dann vollkommen klar und kontrollierbar.

Russland ist Mitglied der IAEO und ihres Verwaltungsrats sowie Teilnehmer des Gemeinsamen Aktionsplans und wird in dieser Rolle die IAEO in der iranischen Richtung unterstützen.

Frage: Wie sind die Perspektiven der Umsetzung des Abkommens über Irans Atomprogramm?

Antwort: Sie hängen unmittelbar davon ab, wie gewissenhaft alle Teilnehmer – ausgerechnet alle, und nicht nur der Iran – ihre Verpflichtungen erfüllen. Wir haben allerdings keinen Grund zu zweifeln, dass alle Seiten absolut verantwortungsbewusst handeln werden.

Selbst die Tatsache, dass diese Vereinbarungen getroffen wurden, bedeutet, dass die politische Wahl für die Regelung der Situation um Irans Atomprogramm auf dem Verhandlungsweg getroffen worden ist.  Natürlich muss dieser Mechanismus noch in Gang gebracht werden, damit seine einzelnen Teile einander angepasst werden und erfolgreich funktionieren. Das wird sicherlich kein leichter Weg sein. Aber wir sind überzeugt, dass der politische Wille aller beteiligten Seiten zur Kompromisssuche es gestatten wird, jegliche Schwierigkeiten auf diesem Weg zu überwinden.

Frage: Früher hatte der Sonderbeauftragte des russischen Außenministeriums, Grigori Berdennikow, gesagt, die Frage von der Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Russland und dem Iran über die Ausführung des gering angereicherten Urans bleibe offen, und die Arbeit daran auf der Expertenebene gehe weiter. Wann könnte dieses Abkommen unterzeichnet werden? Wäre das bis Ende dieses Jahres möglich?

Antwort: Ich will im Moment nichts zu diesen Gesprächen sagen – das wäre falsch. Ich kann nur bestätigen, dass die russische staatliche Korporation Rosatom und die iranische Organisation für Atomenergie tatsächlich intensiv daran arbeiten. Die Seiten verstehen, dass der Austausch des iranischen gering angereicherten Urans gegen natürliches Uran aus Russland eine schwere Sache ist – sowohl aus technischer als auch aus organisatorischer Sicht. Beide Seiten haben eine klare Vorstellung davon, was sie zu tun haben, um dieses Projekt umzusetzen, und handeln in dieser Richtung.

Was konkrete Fristen angeht, so kann ich lediglich sagen, dass die Seiten ihr Bestes tun, damit das Abkommen so schnell wie möglich unterzeichnet wird. Es gibt aber gewisse technische Aspekte, die durchgearbeitet werden müssen, damit die Kooperation problemlos erfolgt.

Frage: Früher gab es Medienberichte, dass iranische Atomenergie-Experten mehrere Objekte in Russland besucht hätten, um an Beratungen über eine Anpassung des Betriebs in Fordo teilzunehmen, damit dort stabile Isotope hergestellt werden können. Gab es tatsächlich solche Kontakte?

Antwort: Laut den Vereinbarungen bezüglich des iranischen Atomprogramms wird Russland seinen Beitrag dazu leisten, unter anderem geht es auch um die Hilfe dem Iran beim Umbau des Objekts in Fordo zwecks Produktion von stabilen Isotopen. In diesem Zusammenhang kamen iranische Spezialisten tatsächlich Anfang September nach Russland. Darüber informierten wir das Komitee für Sanktionen, was der allumfassende Aktionsplan auch vorsieht. Das war absolut legal. Noch mehr als das: Das war ein wichtiger Bestandteil des Iran-Deals. Der Prozess geht weiter.

Frage: Werden auch weitere Besuche iranischer Experten in Russland erwartet?

Antwort: Was unseren Beitrag zur Umsetzung des Deals angeht, so wird es noch viele Kontakte geben – sowohl in Russland als auch im Iran. Da gibt es ja ziemlich schwierige Fragen. Soweit ich einschätzen kann, beschäftigen sich vor allem Atomenergie-Experten damit: Rosatom-Vertreter von unserer Seite und Vertreter der iranischen Atomenergie-Organisation von der anderen Seite. Solche Kontakte werden offenbar noch öfter nötig sein, denn es geht dabei um komplizierte technische Momente und um kommerzielle Aspekte.

Frage: Auf welcher Ebene erfolgen derzeit die Beratungen im Sinne des Gemeinsamen Aktionsplans? Sind bereits die Fristen des nächsten Ministertreffens der Sechsergruppe für Iran am Rande der bevorstehenden UN-Vollversammlung?

Antwort: Planmäßig soll eine Runde technischer Expertenberatungen am 22. September in Wien stattfinden. Und für den 28. September ist ein Ministertreffen der Sechsergruppe unter Beteiligung des Irans in New York angesetzt. Theoretisch aber könnte dieser Zeitplan noch geändert werden.

Frage: Im Sommer wurden in Medien Auszüge aus einem Bericht des Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, Martin Dempsey, veröffentlicht, dem zufolge Washington in Europa bodengestützte Raketen stationieren könnte. Die russische Seite kündigte an, sie würde diese Informationen analysieren. Welche Schlüsse wurden daraus gezogen?

Antwort: Wir verfolgen tatsächlich sehr aufmerksam die Situation um den INF-Vertrag, der einer der wichtigsten für das aktuelle nukleare Abrüstungsregime ist.

In diesem Kontext muss ich betonen: Martin Dempseys Bericht haben wir nicht gesehen, aber laut Reportern gibt es dort eine wichtige Bemerkung: Es geht um die Entwicklung und Entfaltung von Waffensystemen für den Fall, dass der INF-Vertrag nicht mehr funktioniert. In der Öffentlichkeit beteuern die Amerikaner, sie würden zum INF-Vertrag stehen. Das tun wir auch – wir erfüllen strikt unsere Verpflichtungen im Sinne dieses Dokuments. Deshalb wäre es im Moment falsch, in diesem Zusammenhang von irgendwelchen Plänen der USA und von entsprechenden apokalyptischen Szenarien zu sprechen.

Bedauernswert ist, dass Washington im Allgemeinen im Kontext des INF-Vertrags immer wieder versucht, uns etwas vorzuwerfen. Man behauptet seit mehr als einem Jahr, wie hätten den Vertrag verletzt, doch es werden keine Beweise dafür geliefert – egal ob in der Öffentlichkeit oder durch diplomatische Kanäle. Dabei provozieren die Amerikaner die weitere Anspannung der Situation, indem sie verschiedene Varianten der Reaktion auf unsere angeblichen „Verletzungen“ des Vertrags erwägen – also auf etwas, was es gar nicht gibt.

Gleichzeitig gibt es ausgerechnet bei den USA große Probleme mit der Einhaltung des INF-Vertrags, und dafür gibt es Beweise. Unsere Besorgnisse gelten den Tests von ballistischen „Zielscheiben“-Raketen der geringen und mittleren Reichweite sowie der Produktion und Anwendung von Schlagdrohnen, die aus der Sicht ihrer Funktionen und auch aus juristischer Sicht bodengestützte Marschflugkörper mittlerer Reichweite sind. Noch sind wir über die Aufstellung von Mk-41-Startanlagen auf den europäischen Raketenabwehrstützpunkten beunruhigt, die praktisch denjenigen identisch sind, die an Bord von US-Kriegsschiffen stationiert und für Starts von „Tomahawk“-Flügelraketen geeignet sind. Wir werfen diese Fragen ständig auf, aber unsere Partner wollen sie nicht besprechen, weil die USA diese Handlungen nicht als Verletzung des INF-Vertrags betrachten. Wir haben von den Amerikanern immer noch keine Erläuterungen in Bezug auf die Startanlagen erhalten.

Manchmal greifen die Amerikaner wieder auf die „Lautsprecher-Diplomatie“ zurück und werfen Russland Verletzungen des INF-Vertrags vor. Zuletzt – und zwar gleich zwei Mal – taten sie das im Mai auf einer Konferenz für Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen in New York. Jedes Mal wiesen wir aber ihre Vorwürfe zurück und werden das auch weiter tun.

Frage: Setzt Russland neue große Initiativen im Bereich der Rüstungskontrolle um?

Antwort: Als Beispiel kann ich über unsere Initiative zur Förderung der Konvention über das Verbot von Bio- und Toxinwaffen erzählen.

Diese 1975 in Kraft getretene Konvention wurde zum ersten internationalen Vertrag, der eine ganze Art von Massenvernichtungswaffen verbot. Jetzt sind daran 173 Staaten beteiligt. Im Unterschied zum Atomwaffensperrvertrag und zur Konvention über das Chemiewaffenverbot, die sich auf solche angesehenen internationalen Organisationen wie IAEO und OPCW stützen, ist die Biowaffenkonvention sehr schwach und kann sich auf keine Institutionen stützen. Da gibt es nur eine kleine Gruppe aus drei internationalen Beamten, die rein technische Funktionen erfüllen. Aber es geht nicht nur um organisatorische Momente, sondern darum, dass das in der Biowaffenkonvention verankerte Regime auf keine Weise der aktuellen Realität, die sich ständig verändert, angepasst wird. In den vergangen 40 Jahren wurden keine wesentlichen Schritte zu seiner Festigung unternommen, abgesehen von der Vereinbarung einiger Vertrauensmaßnahmen, die nicht von allen Mitgliedsländern erfüllt werden.

Ein Versuch, die Situation zu verändern, wurde zwischen 1991 und 2001 unternommen, bei multilateralen Verhandlungen unter Beteiligung Russlands über ein juristisch verpflichtendes Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention. Als aber diese Gespräche schon zu Ende gingen, wurde dieser Versuch von der US-Administration blockiert. Dieser Schlag seitens der Amerikaner war so stark und demütigend für die anderen Teilnehmer, dass manche von ihnen auf die Fortsetzung der Diskussion verzichteten.

Inzwischen werden immer neue Biotechnologien entwickelt, von denen manche auch als Dual-Use-Technologien bezeichnet werden können.

Unter solchen Bedingungen trat Russland mit der Initiative zur Organisation von neuen Gesprächen zwecks Festigung der Biowaffenkonvention auf. Wir schlagen vor, uns auf die Bereiche zu fokussieren, in denen vielseitige Verständigung relativ leicht zu erreichen ist. Unter Berücksichtigung der Interessen verschiedener Staaten haben wir ein Dokument entworfen, das den Rahmen und den Inhalt der weiteren Handlungen bestimmen könnte. Den Entwurf hat die russische Delegation im August bei einem Expertentreffen der Mitgliedsstaaten der Biowaffenkonvention in Genf präsentiert.

Unsere Initiative rief großes Interesse hervor, und zwar sowohl unter den Mitgliedsstaaten als auch unter unabhängigen Experten. Sie wird zusätzlich in einer Beratung in Genf vom 14. bis 18. Dezember besprochen. Die endgültige Fassung des Mandats wollen wir auf einer Konferenz der Biowaffenkonvention im November 2016 einbringen. Dann könnte sie auch abgestimmt werden. Vorerst arbeiten wir gemeinsam mit allen interessierten Seiten an der Vervollkommnung unserer Initiative.

Wir rechnen damit, dass die Mitgliedsländer der Biowaffenkonvention im November 2016 diese Chance zur Stärkung dieser für die Biosicherheit so wichtigen Konvention nutzen werden. Russland wird an diesen Verhandlungen aktiv teilnehmen, damit ein entsprechender Maßnahmenkomplex erarbeitet wird und damit seine eigene und die globale Biosicherheit gefördert wird.

Frage: Wie verläuft die Arbeit zum Abbau der syrischen Objekte, in denen früher Chemiewaffen produziert wurden? Es gibt unterschiedliche Informationen über die Zahl von demontierten Hangars. Über welche Angaben verfügt die russische Seite? Angeblich gab es Probleme mit dem Zugang der Experten zu den zu vernichtenden Objekten. War das nur durch die Sicherheitsfragen bedingt?

Antwort: Für die Vernichtung der syrischen Chemiewaffenobjekte ist das technische Sekretariat der OPCW zuständig. Laut jüngsten Informationen wurde die Vernichtung von zehn der insgesamt zwölf Objekte (alle fünf unterirdische Objekte und fünf von insgesamt sieben Hangars) bestätigt. Ich muss extra betonen, dass es sich um leere Bauten handelt, denn alle Anlagen wurden noch 2013 demontiert.

Die zwei gebliebenen Objekte befinden sich im Raum der Kriegshandlungen und können derzeit nicht erreicht werden. Das ist der einzige Grund, warum sie immer noch nicht demontiert worden sind. Wann das möglich sein wird, ist im Moment schwer zu sagen. Zudem ist für den Abschluss der  Abbauarbeiten zusätzlicher Sprengstoff nötig. Die dafür zuständigen Strukturen haben Probleme mit dessen Kauf. Leider so sind nun einmal die Bedingungen in Syrien im Kontext des andauernden bewaffneten Konflikts. Die Behörden in Damaskus sind daran aber keineswegs schuld.

Ich muss zudem darauf hinweisen, dass die Entsorgung der syrischen Chemiewaffen erst dann als beendet gelten darf, wenn alle Komponenten und Präkursoren der Chemiewaffen, die 2014 unter OPCW-Kontrolle aus dem Land ausgeführt wurden, vernichtet werden. Es muss allerdings nur noch ein Prozent aller toxischen Chemikalien entsorgt werden. Leider kann das US-amerikanische Unternehmen Veolia ES Technical Solutions LLC, das eine entsprechende Ausschreibung der OPCW gewonnen und von ihr die nötige Finanzierung erhalten hatte, diesen Prozess nicht zu Ende führen, indem es sich auf gewisse technologische Schwierigkeiten beruft. Ich muss das hervorheben, weil die USA zuvor Damaskus unter einen enormen Druck gesetzt und verlangt hatten, Chemiewaffenkomponenten auszuführen, ohne den Argumenten der syrischen Behörden zuzuhören, dass es dabei objektive Probleme angesichts der Kriegshandlungen gab. Aber in der aktuellen Situation, wenn die US-Seite den Zeitplan verletzt, spürt sie absolut keine Hemmung und zeigt dadurch ihre Doppelstandards.

Frage: Sind russisch-amerikanische Beratungen über das Problem Vernichtung von Chemiewaffenbetrieben in Syrien am Rande der bevorstehenden UN-Vollversammlung geplant? Und über die jüngsten chemischen Angriffe seitens der IS-Kämpfer?

Antwort: Die praktische Arbeit zur Entsorgung chemischer Waffen erfolgt bekanntlich unter der Schirmherrschaft der OPCW, deren Aufgabe die Entsorgung von Chemiewaffen in der ganzen Welt ist. Ausgerechnet im Rahmen der OPCW arbeiten wir mit den USA und anderen interessierten Seiten daran zusammen. Da sind zusätzliche Beratungen zu diesem Thema im Rahmen der UN-Vollversammlung in New York nicht nötig, zumal die Entsorgung der Chemiewaffen in Syrien praktisch beendet ist, und die bleibenden Fragen rein technisch sind.

Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so kann ich sagen, dass wir unsere westlichen Partner vor der von IS ausgehenden chemischen Gefahr schon vor längerer Zeit warnten. Sie wollten uns jedoch nicht zuhören und blockierten unsere Versuche, dieses Thema im UN-Sicherheitsrat aufzuwerfen. Jetzt haben sie es aber immer schwerer, auf dieser Position zu stehen, denn in letzter Zeit gibt es immer neue Meldungen über die Anwendung von toxischen Stoffen als Chemiewaffen in Syrien und im Irak seitens IS und anderer terroristischen Gruppierungen.

Die Islamisten setzen inzwischen systematisch und grenzüberschreitend Chemiewaffen ein, wobei das ein immer höheres technologisches Niveau erreicht. Laut unseren Informationen setzen sie nicht nur Fluor ein, sondern auch richtige Giftstoffe wie Senfgas.

Es ist offensichtlich, dass sich die terroristischen Aktivitäten unter Anwendung von Chemiewaffen immer weiter über die Grenzen Syriens und des Iraks erweitern. Im schlimmsten Fall wird davon die ganze Nahost-Region betroffen. Offensichtlich ist auch, dass der UN-Sicherheitsrat und die OPCW dieses Problem nicht mehr nur passiv beobachten können. Wir haben in diesem Zusammenhang eine Resolution des UN-Sicherheitsrats entworfen, damit ein gemeinsamer Mechanismus der OPCW und der UNO gebildet wird, der sich mit der Ermittlung der Umstände der möglichen Chemiewaffen-Anwendung in Syrien und im Irak beschäftigen wird. Es ist durchaus möglich, dass unser Entwurf bald gebraucht wird.

Frage: Was halten Sie vom aktuellen Informationshintergrund im euroatlantischen Raum?

Antwort: Das ist meines Erachtens ein regelrechter Informationskrieg gegen Russland. Es wird jeder Vorwand genutzt, um uns aller möglichen Sünden zu beschuldigen. Und wenn sich später herausstellt, dass diese Vorwürfe unbegründet waren, wird dieses Thema einfach verschwiegen.

Ich führe einmal eines der jüngsten Beispiele an. Im April ist vor der nordirischen Küste ein großes Objekt in die Netze eines englischen Trawlers geraten. Dieses Objekt tauchte nicht auf und ließ sich nicht identifizieren. Britische Medien berichteten aber sofort, dies wäre ein russisches U-Boot gewesen.  

Aber vor zehn Tagen berichtete das britische Verteidigungsministerium im Parlament, dass im Rahmen einer Ermittlung festgestellt worden war, dass ein britisches U-Boot ins Netz des Trawlers geraten war, das alle möglichen Sicherheitsnormen verletzt hatte. Aber anders als im April, berichteten die britischen Medien kaum darüber.  

So wird im Westen Russlands Image als aggressives und kaum vorhersagbares Land geprägt. Dafür gibt es jede Menge Beispiele. Deshalb scheint die Rückkehr zu normalen gegenseitigen Beziehungen bzw. zum gegenseitigen Vertrauen in der euroatlantischen Region ein langer und umständlicher Prozess zu werden.