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Einleitende Worte und Antworten auf Fragen von Medienvertretern des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen der russischen Diplomatie in 2012, Moskau, 23. Januar 2013

111-23-01-2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, Sie auf unserem traditionellen Treffen begrüßen zu können, auf dem wir Bilanz über die außenpolitischen Ergebnisse des Jahres 2012 ziehen wollen.

Das vergangene Jahr war nicht einfach. Es war eine Zunahme der Ungleichgewichte in der globalen Entwicklung zu verzeichnen, die Instabilitäten verstärkten sich, im Nahen Osten brodelte es. Die größte Sorge gilt der Entwicklung in Syrien und in seinem Umfeld. Fast täglich sind in der Region Terroranschläge zu verzeichnen, Waffen sind unkontrolliert im Umlauf, Guerillas dringen in das Gebiet ein, auch in die Sahara-Sahel-Zone. Die Situation in Mali ist geprägt von den Folgen der Ereignisse in Libyen. Ein höchst besorgniserregendes Signal geht von der Geiselnahme in Algerien aus. Im abgelaufenen Zeitraum ist es uns nicht gelungen, bei der realen Lösung der Probleme der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen spürbar voranzukommen. Ich meine die Situation bezüglich des iranischen Atomprogramms, das nukleare Problem auf der Koreanischen Halbinsel und die Komplikationen bei der Einberufung einer Konferenz zur Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten.

Es waren Tendenzen zu verzeichnen, wieder einmal auf Stärke setzen und eigene Probleme auf Kosten der anderen lösen zu wollen. Auch in der Weltwirtschaft, insbesondere in der Euro-Zone ist die Lage nicht einfach, die Suche nach Möglichkeiten zur Überwindung der weltweiten Wirtschaftskrise ist weitergegangen.

Insgesamt ist offenkundig, dass die Welt sich in einer im historischen Rahmen beispiellosen Übergangsphase befindet, die einhergeht mit einer Umgestaltung der geopolitischen Landschaft und der Herausbildung einer neuen Kräftekonstellation. Unter diesen Bedingungen war Russland bemüht, eine verantwortungsvolle Außenpolitik zu betreiben und im internationalen Rahmen im Interesse der Stärkung der Sicherheit und Stabilität sowie der Beilegung von Konflikten durch tragfähige Kompromisse sowie durch Förderung des vollwertigen Dialogs und der Zusammenarbeit mit allen Staaten kollektive Interessen voranzubringen. Die russischen Prioritäten wurden mehrfach in den Reden des Präsidenten der Russischen Föderation, in seinem Artikel „Russland und die sich verändernde Welt" sowie im Erlass des Präsidenten Wladimir Putin vom 7. Mai 2012 und später in der Botschaft des Präsidenten an die Föderationsversammlung vom 12. Dezember 2012 dargelegt. Grundlage unserer Aktivitäten bildeten unverändert die bewährten Prinzipien des pragmatischen Herangehens, der Offenheit, der multivektoriellen Ausrichtung, der Berechenbarkeit und der beharrlichen Verfolgung der nationalen Interessen, ohne jedoch in die Konfrontation abzugleiten.

Entscheidende Bedeutung messen wir der von Präsident Wladimir Putin gestellten Aufgabe bei, zum Aufbau eines reichen und erfolgreichen Russlands beizutragen und günstige äußere Bedingungen für die langfristig nachhaltige Entwicklung der Landes, gestützt auf die einmalige Ressourcenbasis und das riesige Humankapital, für die Stärkung seiner Stellung als eines gleichberechtigten Partners auf den globalen Märkten und insgesamt in den internationalen Angelegenheiten zu schaffen. Konsequent wurde daran gearbeitet, die Bedingungen für die möglichst effiziente Nutzung der Potenziale der wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern für die Lösung der nationalen Aufgaben zu schaffen.

Wir haben weiter darauf hingearbeitet, die Positionen unseres Landes als eines der führenden Macht- und Einflusszentren im neuen polyzentrischen System, das sich herausbildet und den Realitäten und Aufgaben des 21. Jahrhunderts entspricht, zu stärken. Die wichtigste Richtung unserer Arbeit in 2012 bestand in der nachdrücklichen Beförderung der Integrationsprozesse im GUS-Raum. Das ist unsere elementare Priorität. Wir haben darauf hingewirkt, den Mitgliedern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten einen angemessenen Platz in der von zunehmender Kompliziertheit und Wettbewerb gekennzeichneten Welt zu sichern.

Dieser Kurs fand seinen praktischen Ausdruck in der auf der Sitzung des Rats der GUS-Staatschefs am 5. Dezember 2012 in Aschchabad verabschiedeten Deklaration über die weitere Entwicklung der allseitigen Zusammenarbeit und im gleichzeitig unterzeichneten Abkommen über die Schaffung eines integrierten Währungsmarktes. Es ist völlig unnötig, ein weiteres Mal die Bedeutung des Vertrages über die Freihandelszone im Rahmen der GUS, dieses äußerst wichtigen Schrittes, hervorzuheben. Die Vertiefung der Integration in solchen Formen wie Zollunion, Einheitlicher Wirtschaftsraum und Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft wurde fortgeführt. Bekanntlich war beschlossen worden, dass im Februar 2012 die Eurasische Wirtschaftskommission (gegenwärtig funktioniert dieser Mechanismus bereits aktiv) und ab 1. Januar 2015 die Eurasische Wirtschaftsunion ihre Arbeit aufnehmen. Diese Prozesse vollziehen sich nicht in einem abgeschlossenen Raum. Wir gehen davon aus, dass das Integrations-Dreierbündnis (Russland, Belarus, Kasachstan) bekräftigt hat, dass dieser Zusammenschluss offen ist für andere GUS-Mitglieder, vor allem für Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft. Insgesamt basiert die Integration auf den Prinzipien, die ähnlichen Prozessen in der EU zugrunde liegen, auf den Prinzipien der Welthandelsorganisation. Das bestärkt uns in der Annahme, dass das von Präsident Wladimir Putin formulierte Ziel der zukünftigen Schaffung eines einheitlichen ökonomischen und humanitären Raums vom Atlantik bis zum Pazifik durchaus realistisch ist. Im Hinblick auf die Integrationsprozesse möchte ich unterstreichen, dass die OVKS als multifunktionelle Reaktionsstruktur auf Herausforderungen und Bedrohungen in 2012 erstarkt ist.

Weitergeführt wurde die Arbeit zum Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit mit den GUS-Ländern einschließlich natürlich unserer Kollegen in der Zollunion (Kasachstan, Belarus), der Ukraine sowie der zentralasiatischen und transkaukasischen Länder.

Im Ganzen betrachtet waren alle unsere Initiativen darauf gerichtet, eine positive inhaltsreiche Agenda voranzubringen, die auf den Zusammenschluss der Anstrengungen aller Mitwirkenden an den internationalen Beziehungen abzielt. Dementsprechend agierten wir in der UNO, in G20, G8, SCO und BRICS. Im Rahmen unserer in den Jahren 2013-2015 bevorstehenden G20-, G8-, SOC- und BRICS-Präsidentschaft beabsichtigen wird, die entsprechenden Funktionen für das weitere Voranbringen der verbindenden konstruktiven Ansätze zur Lösung der verschiedenen Probleme zu nutzen.

Die Ergebnisse des Russland-EU-Gipfels vom Dezember in Brüssel bestätigten das beträchtliche Potenzial der bereits bestehenden strategischen Partnerschaft. Fortgeführt wurde die Arbeit im Energiebereich. Bekanntlich wurde die zweite Ausbaustufe der Gaspipeline Nord Stream komplett in Betrieb genommen, mit der praktischen Realisierung der Pipeline South Stream wurde begonnen. Schlüsselpunkt in unseren Beziehungen zur EU bleibt der möglichst baldige Übergang zur Visafreiheit für Kurzreisen. Alle diesbezüglichen technischen und juristischen Fragen sind geklärt, jetzt kommt es auf den politischen Willen an. Davon sind wir fest überzeugt, was wir auch unseren Partnern gesagt haben.

Die Beziehungen zwischen Russland und den USA sind weiterhin von herausragender Bedeutung für die Lösung der euroatlantischen Sicherheitsfragen und insgesamt für die Bewahrung der globalen Stabilität. Wir sind an konstruktivem Dialog und der Entwicklung einer stabilen beiderseits vorteilhaften Zusammenarbeit, vor allem in den Bereichen Investitionen, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie Kontakte zwischen den Menschen interessiert. In 2012 trat das Abkommen zwischen unseren Ländern über die Vereinfachung der Visaerteilung für Touristen und Geschäftsleute in Kraft. Nunmehr haben wir uns das Ziel gesetzt, den visafreien Verkehr zu ermöglichen, und ich hoffe, die amerikanischen Kollegen werden diese Frage konstruktiv prüfen.

In unseren Beziehungen gibt es auch schwierige Fragen, auf die Problematik der Raketenabwehr möchte ich gar nicht ausführlich eingehen, da wissen Sie gut Bescheid. Sie wissen auch um die negativen Folgen, die die Verabschiedung des schändlichen, auf Sanktionen abzielenden Magnitski-Gesetzes hat, womit de facto das antisowjetische Jackson-Vanik-Gesetz von einem antirussischen abgelöst wird. Auf unfreundliche Schritte werden wir auch künftig uneingeschränkt antworten. Dennoch baut unsere Position im Kern auf der Bereitschaft zur Entwicklung der russisch-amerikanischen Beziehungen in allen Richtungen sowie dem Interesse an einer Koordinierung der Aktivitäten auf der internationalen Bühne auf, ausgehend von den grundlegenden Prinzipien der Gleichberechtigung, der gegenseitigen Achtung der Interessen und der Nichteinmischung in die Angelegenheiten des jeweils anderen.

Das war auch die Grundlage für die weitere Gestaltung unserer Beziehungen zum Nordatlantischen Bündnis. Auf der Ministersitzung des Russland-NATO-Rates im Dezember 2012 wurde festgestellt, dass sich die Zusammenarbeit in einer ganzen Reihe von Feldern insgesamt erfolgreich entwickelt. Unterpfand für ein qualitativ neues Niveau der Partnerschaft wäre jedoch die Lösung des Problems der Gewährleistung einer gleichen und unteilbaren, auf festen rechtsverbindlichen Vereinbarungen aufbauenden Sicherheit in der Euro-Atlantischen Architektur. Unsere diesbezüglichen Vorschläge sind bekannt und werden auch auf dem Verhandlungstisch bleiben.

Alle unsere Aktivitäten im vergangenen Jahr orientierten sich an den Prinzipien der Achtung des Vorrangs des Rechts, der demokratischen Normen und der kollektiven Grundsätze in den internationalen Beziehungen, der Alternativlosigkeit der zentralen Rolle der UNO und ihres Sicherheitsrates sowie der Unzulässigkeit seines Missbrauchs zur Legitimierung einer äußeren Einmischung in innere Konflikte. Diese Grundsätze bestimmen unsere Haltung in Bezug auf die Situation im Nahen Osten und in Nordafrika einschließlich der Syrien-Krise.

Wir werden unseren Beitrag zu den internationalen Bemühungen um eine friedliche Regelung in Syrien auf der Grundlage der Genfer Vereinbarungen leisten und Versuche zurückweisen, diese umzuformulieren oder zu interpretieren. Dieses Dokument bedarf keiner Interpretation, dort ist alles einfach und verständlich dargelegt: Die Seiten haben die Gewalt zu beenden und Verhandlungsbevollmächtigte zur Vereinbarung der Struktur und der Ziele einer Übergangsverwaltung zu delegieren.

Wir haben darauf hingewirkt, dass das Problem der Nahostregelung nicht in Vergessenheit gerät. Unsere Bemühungen zielten vor allem auf die Wiederaufnahme der palästinensisch-israelischen Verhandlungen ab. Bisher ist hier allerdings kein Fortschritt zu verzeichnen. Wir sind jedoch überzeugt, dass die Bemühungen, die Seiten an den Verhandlungstisch zurückzuführen, nicht nur fortgeführt, sondern deutlich intensiviert werden müssen.

Ein wichtiger Baustein für die Stärkung der internationalen Positionen Russlands ist der Ausbau unserer Präsenz in der asiatisch-pazifischen Region. Der APEC-Gipfel (September 2012) in Wladiwostok wurde zu einem Beleg für die Gewichtigkeit der russischen Pläne und Absichten. Wir möchten uns bei unseren Partnern für die Unterstützung der von uns vorgeschlagenen Agenda bedanken. In den verschiedenen Fachgruppen, die im APEC-Rahmen tätig sind, wurde bereits mit der Bearbeitung von rund 60 konkreten Initiativen begonnen.

Besonderes Augenmerk richteten wir auf die Stärkung der strategischen Partnerschaft mit China, Indien und Vietnam, die vielschichtigen Beziehungen mit Japan, Südkorea, den ASEAN-Ländern und weiteren Staaten der asiatisch-pazifischen Region wurden weiterentwickelt. Wir beteiligten uns engagiert an den Aktivitäten der in dieser Region tätigen multilateralen Gremien einschließlich der Ostasiengipfel. Wir meinen, dass die Rolle dieses Forums bei der Gewährleistung einheitlicher und gemeinsamer Grundsätze für Sicherheit und Zusammenarbeit in der Region weiter zunehmen wird.

Mit Zufriedenheit betrachten wir das Zusammenwirken mit den Partnern in Lateinamerika und Afrika. In den Beziehungen zu den Ländern dieser Regionen haben wir konkrete Projekte vorangebracht und mit den dort agierenden multilateralen Organisationen, vor allem mit der Afrikanischen Union und CELAC (Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten) zusammengewirkt.

Eine grundlegende Verbesserung der Wirksamkeit unserer außenpolitischen Arbeit sollte sich aus der umfassenderen Nutzung der „Soft Power"-Möglichkeiten ergeben. Eine aktivere und initiativreichere Rolle in dieser Richtung hat nunmehr Rossotrudnitschestvo (Russischen Agentur für auswärtige kulturelle und gesellschaftliche Zusammenarbeit) übernommen. In 2012 haben wir aktiv mit den Strukturen der Zivilgesellschaft zusammengearbeitet und regelmäßig Treffen mit Nichtregierungsorganisationen sowie mit den Fachgremien im Rahmen des Geschäfts- und Wissenschaftsrates beim Außenministerium Russlands durchgeführt. Wir haben mit dem Russischen Rat für internationale Angelegenheiten, dem Gortschakow-Fonds zur Unterstützung der öffentlichen Diplomatie sowie dem Fonds zur Unterstützung und zum Schutz der Rechte der Landsleute im Ausland zusammengearbeitet. In allen diesen und weiteren Richtungen werden wir unsere Arbeit fortführen.

Im Rahmen dieser kurzen Einleitung konnte ich verständlicherweise nicht alles ansprechen. Wir werden auch künftig eine konsequente Außenpolitik betreiben, wir sind offen für die Vertiefung der Zusammenarbeit mit allen, die dazu auf gleichberechtigter und beiderseits vorteilhafter Grundlage bereit sind. Vielen Dank.


Frage: Herr Lawrow, im März sind zwei Jahre seit dem Ausbruch der Syrien-Krise vergangen. Die vielzähligen Versuche, die Seiten zum Dialog zu bewegen, sind gescheitert. Ist Ihrer Ansicht nach eine friedliche Beilegung des Konflikts in Syrien noch möglich?

Stehen die von Russland angekündigten Seemanöver im östlichen Mittelmeer im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf andere Szenarien der Entwicklung der Ereignisse in der Region?

S. Lawrow: Manöver werden regelmäßig abgehalten. Bis vor kurzen konnte unsere Flotte keine weiten Fahrten unternehmen, jetzt hat sich die Situation aber geändert. Um in der russischen Armee und Flotte den erforderlichen Stand aufrecht erhalten zu können, muss geübt werden. Deshalb wurden Manöver unserer Land-, Luft- und Seestreitkräfte zu einer regelmäßigen Erscheinung. Hierin ist nichts Ungewöhnliches, schließlich sind unsere Matrosen an der Bekämpfung der Piraterie beteiligt. Natürlich sind wir nicht daran interessiert, dass die Mittelmeerregion noch mehr destabilisiert wird. Die Präsenz der russischen Flotte dort ist zweifelsohne ein Faktor, der die Lage stabilisiert.

Was die Aussage vom Scheitern der Versuche betrifft, die syrischen Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bekommen, muss ich zu meinem großen Bedauern feststellen, dass solche Versuche nicht von allen externen Beteiligten zu beobachten waren. Wir haben darauf hingewirkt, wir hatten und haben Treffen mit den syrischen Beteiligten, vertreten ein und dieselbe Haltung in den Kontakten mit der Regierung und mit allen Oppositionskräften und zeigen auf, dass es notwendig ist, das Genfer Kommunique einzuhalten, das von allen entscheidenden externen Mitwirkenden – den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates, der Arabischen Liga, der Türkei, der EU und der UNO unterzeichnet wurde. Leider senden die anderen Teilnehmer der in Genf gebildeten „Aktionsgruppe" in ihren Kontakten mit der Opposition die falschen Signale aus, und mit der Regierung unterhalten sie praktisch keine Kontakte. Die Opposition nutzt diese Signale in ihrer unversöhnlichen Position, die darin besteht, keine Verhandlungen mit dem Regime zu führen. Die im November 2012 in Doha gebildete „Nationale Koalition der Kräfte der syrischen Revolution und Opposition" hat in ihrem programmatischen Dokument erklärt, dass ihr Ziel im Sturz des Regimes und der Zerstörung seiner Institutionen besteht. Das steht jedoch im direkten Widerspruch zu den Genfer Vereinbarungen, in denen insbesondere die Notwendigkeit unterstrichen wird, die Institutionen des Staates zu erhalten und nicht jene Fehler zu wiederholen, die in anderen Ländern der Region gemacht wurden.

Die Opposition in Gestalt der genannten Koalition hat in ihrem programmatischen Dokument Verhandlungen mit Baschar al-Assad entschieden abgelehnt. Unsere westlichen Partner und einige Länder der Nahost-Region haben das Zustandekommen der Koalition begrüßt. Auf unsere Frage, weshalb sie einen Ansatz begrüßen, der in der Ablehnung eines Dialogs besteht, wurde uns geantwortet, dass das Wichtigste der Zusammenschluss der Opposition sei und dann würden der Westen und die anderen Beteiligten einer Regelung des Syrienkonflikts die Koalition zu einer konstruktiveren Haltung bewegen können. Aber in dieser Richtung tut sich nichts. Die Oppositionskräfte verweigern leider weiterhin den Dialog mit der Macht und haben Kurs auf den bewaffneten Kampf genommen. Unsere Partner aus der „Aktionsgruppe" bestärken sie in dieser Haltung und versorgen sie mit allem, was für den Kampf benötigt wird, so bedauerlich das auch sein mag.

Versuche, die Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen, gab es also nicht. Entsprechende Anstrengungen wurden von Russland, China sowie dem Syrien-Sonderbeauftragten der UNO und der Arabischen Liga, K. Annan, und seinem Nachfolger in dieser Funktion, L. Brahimi, unternommen.

Ich möchte wiederholen, dass alles daran abprallt, dass die Opposition von der Idee des Assad-Sturzes beherrscht wird. Solange diese kompromisslose Position besteht, wird nichts Positives passieren, die bewaffneten Auseinandersetzungen werden weiter gehen und das Sterben wird weiter gehen. Unsere Priorität ist nicht die Erreichung eines geopolitischen Zieles, wie es für viele offenbar die Idee des Sturzes von Assad ist, sondern die Stabilisierung der Lage und die schnellstmögliche Beendigung des Blutvergießens, um das Leben der Syrier zu retten. Doch offenkundig haben andere Kollegen andere Prioritäten. Im Gespräch verstehen sie, so scheint es, die Gefahr, die von der Aussicht auf einen Zusammenbruch des syrischen Staates ausgeht. Doch in der Öffentlichkeit vertreten sie etwas andere Positionen, die von dem abweichen, was sie uns auf privater Ebene sagen.

Frage: Können Sie die Nachricht bestätigen oder dementieren, dass Russland seine Hilfe beim Transport französischer Truppen nach Mali angeboten hat? Welche weiteren Positionen zum Konflikt in diesem Land bezieht Russland?

S. Lawrow: Gestern haben wir versucht, dieses Missverständnis aus der Welt zu schaffen. Am 18. Januar hatte ich ein Telefonat mit meinem französischen Kollegen L. Fabius. Er informierte mich darüber, wie man in Paris die Lage in Mali einschätzt. Des Weiteren bedankte er sich, dass der UN-Sicherheitsrat unverzüglich und einstimmig die französische Reaktion auf die Bitte der Regierung von Mali unterstützt hat, ein französischen Truppenkontingent zu entsenden, um die Lage zu stabilisieren und zu verhindern, dass dieser Staat von Separatisten eingenommen wird. L. Fabius interessierte sich auch, ob Russland in der Lage sei, Transportleistungen zu erbringen. Ich antwortete ihm, dass ich von Verträgen russischer Privatunternehmen wie Wolga-Dnepr, Air Bridge Cargo oder SKOL mit verschiedenen Partnern, darunter auch mit dem Verteidigungsministerium Frankreichs und den Innenministerien einiger afrikanischer Länder sowie dem UN-Department für Beschaffung gehört hätte. Das sei deren Entscheidung, schließlich gehe es um geschäftliche Projekte. Mehr haben wir zur Bereitstellung von Transportleistungen nicht erörtert. Als die von Ihnen angeführte Meldung erschien, entschuldigten sich unsere französischen Kollegen und sagten, es handle sich um eine verzerrte Wiedergabe dessen, was zwischen uns besprochen worden war.

Was die Haltung Russlands zum Konflikt in Mali betrifft, so legen wir sie regelmäßig dar. In meinen einleitenden Worten hatte ich darauf hingewiesen, dass die Aussichten auf eine Destabilisierung der Sahara-Sahel-Region, in die die Instabilität aus Nordafrika „überschwappt", Besorgnis bei uns auslösen. Die Menschen, gegen die Franzosen und Afrikaner jetzt in Mali kämpfen, haben das Gaddafi-Regime gestürzt. Unsere westlichen Partner hatten sie bewaffnet, unter anderem auch, um das frühere libysche Regime zu stürzen.

Wichtig für uns ist, keine verengte Sicht auf die Ereignisse zuzulassen. Bisher handelt die internationale Gemeinschaft nur von Fall zu Fall. Im Jemen ist etwas passiert, wir konzentrieren uns auf dieses Land, dann in Libyen, Tunesien und Ägypten. Nun in Mali und Syrien. Wichtig ist, den Kopf zu heben und umfassender, über den Horizont hinaus alle diese Prozesse zu betrachten, die miteinander verbunden sind und ein großes Gefahrenpotenzial in sich tragen, einschließlich der Gefahr des Terrorismus. Al-Qaida und seine „Partner" in diesem schmutzigen Geschäft haben die feste Absicht, die Macht in diesen Staaten zu erobern.

Mit ebenso großer Sorge beobachten wir die Situation zwischen den unterschiedlichen Strömungen des Islam, die ein ernstes und zunehmendes explosives Potenzial aufweist. Mit diesem Prozess muss etwas getan werden, vor allem im Rahmen der Arabischen Liga und der OIC. Wir treten dafür ein, dass sich alle islamischen Staaten solidarisch zueinander verhalten und keine Spaltung innerhalb einer der wichtigsten Weltreligionen zulassen. Wir hoffen, dass die Situation in Mali stabilisiert werden kann, und die afrikanischen Staaten in allernächster Zeit dort ihre Operation gemäß dem Auftrag des UN-Sicherheitsrates entfalten.

Ich wiederhole, es gilt, die Lage in dieser riesigen und bedeutenden Region komplex zu bewerten und die Aktivitäten in jeder einzelnen Richtung zu koordinieren, ausgehend von der gemeinsamen Aufgabe, einen Zusammenbruch von Staaten, das Verschwinden von säkularen Staaten und die Machtübernahme durch radikale und extremistische Kräfte nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Zeitbombe für Jahrzehnte.

Frage: Inwieweit ist Ihrer Meinung nach die Aussage berechtigt, dass es mit dem berühmten Reload vorbei ist? Wie würden Sie die russisch-amerikanischen Beziehungen definieren?

S. Lawrow: Wir haben schon mehrfach vom Reload gesprochen, es kann nicht ewig so weiter gehen. Wenn es sich schon um einen Computer-Begriff handelt, dann sollte allen klar sein, dass ein ewiges Reload eine Störung im System darstellt, dass das System „hängt".

Als die Obama-Regierung den Wunsch nach einem Reload der russisch-amerikanischen Beziehungen verkündete, wurde das von uns eindeutig so gewertet, dass man die Aussichtslosigkeit der unter der Bush-Regierung praktizierten Politik gegenüber Russland eingesehen hat, bei der „oben" die Beziehungen zwischen den Führern freundschaftlich waren, aber die persönliche Sympathie nicht übermäßig gut auf die nachfolgenden „Etagen" weitergeleitet wurde, auf denen die praktischen Schritte vereinbart werden. Hier aber herrschte völliges Unverständnis. Nicht durch unsere Schuld – wir waren stets bestrebt, die praktischen Beziehungen in den Bahnen der zwischen den Präsidenten herrschenden Atmosphäre zu führen.

Als die neue US-Administration erklärte, dass sie ein Reload möchte, betraf das in erster Linie sie selbst. Und sie hat durchaus nachdrücklich und nicht ohne Erfolg versucht, neue Ansätze voranzubringen. Die Atmosphäre auf allen Ebenen des russisch-amerikanischen Zusammenwirkens änderte sich: Es wurde eine Russisch-amerikanische Präsidentenkommission gebildet, es wurde der Start-Vertrag unterzeichnet, das lange Zeit im Senat verschollene und für die amerikanischen und russischen Unternehmen vorteilhafte Abkommen 123 über die Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie wurde ratifiziert, ein Abkommen über Visaerleichterungen wurde abgeschlossen usw.

Auch die kulturellen Beziehungen entwickelten sich gut. Im vergangenen Jahr würdigten wir den 200. Gründungstag der ersten russischen Siedlung Fort Ross in Kalifornien. Das kulturelle Leben insgesamt war recht vielfältig.

Gleichzeitig aber gab und gibt es in unseren Beziehungen Reizthemen, das größte ist das Raketenabwehrsystem. Dennoch sind wir weiterhin offen für eine Fortführung des Dialogs. Aber während sich unsere amerikanischen Partner für den Dialog aussprechen, planen, bauen und entwickeln sie Komponenten ihrer Raketenabwehr, die eine globale Dimension besitzt, und berücksichtigen nicht, was wir sagen. Mit anderen Worten, sie sind einverstanden den Dialog fortzuführen, tun aber das, was sie für sich selbst schon entschieden und mit einem NATO-Beschluss bekräftigt haben.

Zum Reizthema Raketenabwehr sind weitere hinzugekommen – in Form des heute von mir bereits erwähnten „Magnitski-Gesetzes", bei dem eine menschliche Tragödie zynisch missbraucht wird, um Russland „zu bestrafen" und sich in ein Verfahren einzumischen, das von unseren Gerichten durchgeführt wird und noch nicht abgeschlossen ist. Die amerikanischen Gesetzgeber wollen Richter sein in Fragen, die unser innerrussisches Leben betreffen und die wir in erster Linie selbst klären müssen. Wir mussten darauf reagieren, wir hatten keine andere Wahl. Wir wurden gezwungen so zu reagieren, d.h. es gibt bestimmte Gesetze in den Beziehungen zwischen den Staaten, und man darf derartiges Vorgehen nicht unbeantwortet lassen.

Gegenwärtig zeigt sich eine neue Zuspitzung im Zusammenhang mit dem gesetzwidrigen Urteil eines amerikanischen Gerichts zur Schneerson-Sammlung. Es handelt sich um ein empörendes Urteil, dass nichts mit Rechtsprechung zu tun hat. Diese Sammlung, die zum Besitztand des russischen Volkes gehört, wird als Eigentum der amerikanischen Chassiden-Gemeinde angesehen, die übrigens vor über 10 Jahren von Russland als Ausdruck des guten Willens mehrere Bücher aus dieser Sammlung zur zeitweiligen Nutzung für einige Monate erhalten hatte und bis heute nicht zurückgegeben hat. Ich denke, das sollte ebenfalls zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gemacht werden.

Wir wissen, dass die Gerichte in den USA unabhängig sind. Sie sind überall unabhängig. Die amerikanische Administration sagte uns, sie stimme voll und ganz unseren Argumenten hinsichtlich der Schneerson-Sammlung zu, hat jedoch praktisch nichts unternommen, um dem Gericht die reale Sachlage zu erläutern. Das Gericht hat seinen Beschluss vor dem Hintergrund einer sehr unschlüssigen Position der US-Administration gefasst. Wir werden Antwortschritte ergreifen. Diese Sache darf ebenfalls nicht ohne Reaktion bleiben.

All das leistet jedoch keinen positiven Beitrag zu unseren Beziehungen, die derzeit nicht in der besten Form sind. Dennoch setzen wir uns ungeachtet der entstandenen Probleme und Schwierigkeiten beharrlich dafür ein, in allen Richtungen, in denen unsere Interessen übereinstimmen, weiter voranzukommen. Und dort, wo kein Einvernehmen herrscht, einschließlich der von mir bereits genannten Angelegenheiten, müssen Wege gesucht werden, um zu verhindern, dass die Probleme die gesamte Atmosphäre vergiften und die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern beeinträchtigen.

Wir werden konsequent und entschieden jegliche Versuche zurückweisen, sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen und uns Lektionen erteilen zu wollen, umso mehr, da die Lektoren selbst in vielerlei Hinsicht nicht fehlerfrei sind. Wir haben jedoch nicht vor, die Beleidigten zu geben und uns von allen anderen Richtungen der Zusammenarbeit zurückzuziehen. Die Präsidenten W. Putin und B. Obama sind am 18. Juni 2012 in Los Cabos zu der gemeinsamen Auffassung gelangt, dass es an der Zeit sei, besonderes Augenmerk auf die Förderung des bilateralen Handels, der Wirtschaftsbeziehungen und der Investitionsprojekte zu richten. Unsere Umfänge in diesem Bereich sind deutlich geringer als in den Beziehungen Russlands zu den führenden europäischen Ländern und zu China, ebenso sind sie geringer als der Umfang des Handels und der Wirtschaftsbeziehungen der USA zu Europa und zur VR China. Das wird ein wichtiger Test werden, inwieweit wir in der Lage sind, geschäftliche Beziehungen zu befördern. Die russischen Unternehmen möchten sich in den USA engagieren, treffen jedoch mitunter auf eine diskriminierende Haltung, wie es z.B. im vergangenen Jahr mit OAO Severstal der Fall war. Das Unternehmen wollte in Detroit eine hochtechnologische Anlage bauen, und es wurden Kreditgarantien des US-Energieministeriums zugesagt. Doch unter dem politischen Druck einiger amerikanischer Gesetzgeber wurden diese Garantien zurückgenommen, obwohl das russische Unternehmen die Absicht hatte und hat, eine hochtechnologische Anlage aufzubauen und neue Arbeitsplätze in den USA zu schaffen.

Von Politik bestimmte Herangehensweisen müssen überwunden werden. Wir gehen davon aus, dass die neue Administration von Präsident Obama die Lehren aus den traurigen Erfahrungen zieht und sich verhält wie vereinbart – auf der Basis der beiderseitigen Achtung, der Gleichberechtigung, des beiderseitigen Vorteils und ohne Einmischungsversuche in die inneren Angelegenheiten der jeweils anderen Seite.

Bilaterale Kontakte sind geplant. Ich gehe davon aus, dass wir während der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar dieses Jahres zu einem Treffen mit der Führung der amerikanischen Delegation zusammenkommen werden. Bisher plant Vizepräsident J. Biden eine Teilnahme. Wenn wir zusammen dort sein sollten, werden wir unbedingt alle Fragen erörtern und ausloten, wie die Beziehungen weiterentwickelt werden können.

Frage: In seiner Rede anlässlich der Amtseinführung verkündete Präsident B. Obama, die USA würden ein Jahrzehnt der Kriege und Konflikte abschließen und politischen und diplomatischen Schritten den Vorrang bei der Lösung der internationalen Probleme einräumen. Bedeutet dies, dass sich eine Perspektive für eine Regelung der Iran-Situation abzeichnet? Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen in der Region insgesamt, vor allem in solchen Ländern wie Syrien, Irak, Bahrain und der Haltung zur Stellung des Iran in der Region, seinen Beziehungen zu den dortigen Staaten, insbesondere zu den Golfstaaten und zur Türkei?

S. Lawrow: Was die Erklärung von US-Präsident B. Obama betrifft, so begrüße ich diese Worte, wenn sie tatsächlich die Beendigung von Gewaltmethoden bei der Lösung internationaler Probleme bedeuten. Mir scheint, alle konnten sich bereits davon überzeugen, dass solche Methoden lediglich neue Probleme hervorbringen: Die Zahl der Krisen nimmt zu, immer stärker kommt es zu einem „Überschwappen" der Instabilität. Ich stimme ebenso den Worten von der Notwendigkeit zu, sich auf politische Methoden zur Beilegung der verschiedenen Krisen zu stützen. Das ist unsere Position, und wenn die USA zum gleichen Schluss gelangen, dann kann man das nur begrüßen.

Ich wiederhole, wir sind bereit, die Schritte zur Beilegung von Konflikten in den verschiedenen Regionen mit den USA zu koordinieren. Gestützt auf die übereinstimmenden Prinzipien der Ablehnung von Krieg und der Durchsetzung friedlicher Methoden, haben wir eine gute Grundlage, um die Koordinierung zwischen Russland, den USA und weiteren führenden Staaten voranzubringen.

Wir haben bereits mehrfach dargelegt, dass die Versuche, uns von einer notwendigen gewaltsamen Lösung des iranischen Atomprogramms überzeugen zu wollen, Schläge gegen iranische Atomanlagen und insgesamt gegen die Infrastruktur vorzubereiten und zu realisieren, wie gesagt wurde, eine höchst gefährliche Idee sind. Wir gehen davon aus, dass sie nicht verwirklicht werden. Zumindest die überwiegende Mehrheit der Staaten der Welt vertritt eine ähnliche Position. Wir hoffen, dass es uns gelingt, das schlimmste Szenario zu verhindern.

Iran ist Teil einer Region, eines ihrer wichtigsten Länder, ohne den Iran kann man wohl kaum auf eine Lösung der vielen hier vorhandenen Probleme hoffen.

Ich möchte daran erinnern, dass Washington während der USA-Präsenz im Irak bei Problemen mit der Sicherheit seines Kontingents ohne zu zögern direkte Kontakte mit den Iranern aufgenommen hat. Ähnlich verhielt man sich auch in Afghanistan, wo man sich über Dinge einigte, die dann sicherlich eingehalten wurden. Das waren separate Kontakte, aber ich möchte wiederholen, dass in Washington keinerlei Zweifel daran bestanden, dass man mit dem Iran reden kann und muss, wenn Bedrohungen für die amerikanischen Truppen im Irak und in Afghanistan entstanden sind.

Als unsere amerikanischen Partner sich entschieden weigerten, den Iran zum Syrien-Treffen einzuladen, haben wir das als großen Fehler betrachtet. Der Iran hat das Genfer Kommunique befürwortet, obwohl es ohne seine Beteiligung vereinbart worden war. Wir hatten beharrlich vorgeschlagen, die in Genf zusammengekommene Gruppe durch die Einladung des Irans und Saudi-Arabiens zu erweitern, was jedoch durch die aufgeheizte antiiranische Stimmung vereitelt wurde.

Iran ist ein Golf-Staat. In unseren Beziehungen zum Kooperationsrat der arabischen Golfstaaten (GCC), mit dem das letzte Treffen im November 2012 in Saudi-Arabien stattfand, versuchen wir schon seit vielen Jahren, die Idee von der Schaffung einer Sicherheitszone in der Region voranzubringen. Wir haben einen Entwurf einer diesbezüglichen Konzeption, den wir vor hinreichend langer Zeit an die arabischen Staaten dieser Region überreicht haben. Das ist auch den Iranern bekannt. Wir schlagen vor, dass alle Golfstaaten (sowohl die arabischen Staaten wie auch Iran) unter Beteiligung der Arabischen Liga, der UNO, der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und möglicherweise weiterer Teilnehmer sich zu einer Auftaktveranstaltung für die Vorbereitung von Vereinbarungen zusammenfinden, die das Vertrauen und die Sicherheit in der Region stärken. Manche meinen, dass sei vergleichbar mit dem gesamteuropäischen Prozess. Möglicherweise ist das auch so, wenn diese Idee auch den Austausch von Informationen über militärische Potenziale, die Einladung zu Manövern und möglicherweise Vereinbarungen zur Rüstungsbegrenzung beinhaltet.

Unsere Idee ist weiterhin aktuell. Wir sind der Ansicht, dass man insbesondere in einer Zeit, da sich bei einigen arabischen Golfstaaten Probleme in den Beziehungen zum Iran angehäuft haben, diese Probleme offen diskutiert werden sollten und man nicht zur Isolierung Teherans aufrufen sollte, denn dieser Weg führt in eine Sackgasse. Schon vielfach wurde versucht, verschiedene Länder zu isolieren. Nunmehr ist aber allen klar, dass das mit dem Iran nicht funktioniert.

Russland tritt für den Dialog ein, wir sind bereit, unsere Dienste gemeinsam mit den anderen ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und der Arabischen Liga anzubieten. Wir gehen davon aus, dass dies irgendwann zur Realität wird.

Frage: Wie steht es um die neue außenpolitische Konzeption Russlands. Wann wird sie veröffentlicht? Was sind die grundlegenden Unterschiede zur bisherigen?

S. Lawrow: Durch Erlass des russischen Präsidenten W. Putin vom 7. Mai 2012 wurden wir beauftragt, bis zum 1. Dezember vergangenen Jahres den Entwurf der Konzeption vorzustellen, was wir auch getan haben. Den Entwurf und die Hauptrichtungen des Dokuments haben wir mit der Fachwelt diskutiert. Eine ganze Reihe von Politologie-Zentren haben uns ihre Vorstellungen übermittelt. Diese Überlegungen haben wir auch im Wissenschaftlichen Rat beim Außenministerium Russlands erörtert.

Die Konzeption ist ohne Zweifel von der Notwendigkeit geprägt, eine ganze Reihe von Fragen im Kontext mit den tief greifenden Veränderungen in der geopolitischen Landschaft, von denen ich bereits gesprochen habe, neu zu durchdenken. Dazu gehören die unerwartet gravierenden Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise ebenso wie die Umbrüche im Nahen Osten und in Nordafrika. Das Wichtigste sind nicht einmal die Umbrüche selbst, sondern die Faktoren, die diese destabilisierenden Prozesse ausgelöst haben. Seit der Verabschiedung der letzten Fassung der außenpolitischen Konzeption ist die Rolle der asiatisch-pazifischen Region stark angestiegen. Es gibt viele weitere Prozesse. Deshalb wurde versucht, im Entwurf unserer außenpolitischen Doktrin neue Entwicklungen zu berücksichtigen.

Ich möchte wiederholen, es handelt sich nicht um eine neue Konzeption, sondern um eine neue Fassung, denn die grundlegenden Prinzipien, auf denen die russische Außenpolitik aufbaut, sind unveränderlich. Sie wurden in der in 2000 verabschiedeten außenpolitischen Konzeption niedergelegt und bestehen in der Notwendigkeit, die außenpolitische Linie pragmatisch, offen, berechenbar durchzusetzen, mit allen zur Kooperation bereiten Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils zusammenzuarbeiten und die nationalen Interessen fest zu vertreten, ohne in Konfrontation abzugleiten. Diese Prinzipien sind uneingeschränkt weiterhin gültig und kommen auch unter den neuen Bedingungen auf die unterschiedlichen Situationen zur Anwendung, die in letzter Zeit in den internationalen Beziehungen eingetreten sind.

Ich sage es noch einmal, die Konzeption wurde eingereicht, wird in der Präsidialverwaltung erörtert und wird nach Bestätigung durch das Staatsoberhaupt veröffentlicht.

Frage: Nach Mitteilung des Außenministeriums Russland halten sich in Syrien einige Zehntausend russische Bürger auf. Gestern kehrten knapp einhundert von ihnen in die Heimat zurück, die Situation in der Syrischen Arabischen Republik wird aber immer schlimmer. Hat Russland in diesem Zusammenhang keine Pläne, mit einer umfassenderen Evakuierung seiner Bürger zu beginnen und das Botschaftspersonal zu reduzieren?

S. Lawrow: Die Evakuierung hat noch nicht begonnen, deshalb dürfte es schwierig sein, mit einer umfassenderen zu beginnen.

Es geht darum, dass sich in Syrien in der Tat mehrere zehntausend unserer Bürger aufhalten. Vor allem sind das Frauen, die mit Syrern verheiratet sind. Nicht alle von ihnen sind beim Konsulat registriert, aber diejenigen, die registriert sind, wurden darüber informiert, dass die Möglichkeit besteht, nach der Anlieferung von humanitärer Hilfe nach Syrien (was regelmäßig erfolgt) in die Heimat zurückzukehren. Bei einer entsprechenden Befragung gaben rund tausend Frauen an, dass sie daran interessiert wären. Als sich jedoch bei den kürzlichen Flügen des Katastrophenschutzministeriums die nächste Gelegenheit ergab, äußerten weniger als 100 Personen ihre Bereitschaft, diese Möglichkeit zu nutzen.

Was die russische Botschaft in Damaskus betrifft, so gehen wir davon aus, dass dort jetzt kein Hilfspersonal mehr sein sollte, das nicht für die tagtägliche Arbeit benötigt wird, und so ist es auch. Die Familien der Mitarbeiter sind schon vor längerer Zeit abgereist, und wahrscheinlich ist das richtig, da es nicht besonders beruhigend ist, in Syrien zu arbeiten. Die Botschaft funktioniert in vollem Umfang, die anstehenden Aufgaben werden erfüllt. Sie unterhält Kontakte zur Führung des Landes und zu den Oppositionskräften. Vorläufig haben wir keine anderen Intentionen, abgesehen von Plänen für den Fall einer Zuspitzung der Lage, wie sie für jedes Land in dieser und in anderen schwierigen Regionen existieren. Aber bisher kann noch keinerlei Rede davon sein, diese in Kraft zu setzen. Die derzeitige Einschätzung unserer Botschaft und der zuständigen Behörden hier in der Zentrale läuft darauf hinaus, dass das Inkraftsetzen der vorhandenen Pläne nicht erforderlich ist.

Frage: In 2014 soll die Rückführung des internationalen Militärkontingents aus Afghanistan beginnen. In diesem Zusammenhang gibt es im benachbarten Tadschikistan Befürchtungen, dass es in der Region zu einer Ausbreitung von Terrorismus und Extremismus kommt. Ist Russland darauf vorbereitet, mit eigenen oder mit OVKS-Kräften irgendwie bei der Sicherung der afghanischen Grenze zu helfen? Könnte die russische Militärbasis in Tadschikistan genutzt werden, zu der im vergangenen Jahr eine Verlängerung der Präsenz beschlossen worden war?

S. Lawrow: Eine mögliche Zuspitzung der vom Territorium Afghanistans nach 2014 ausgehenden Bedrohungen beunruhigt nicht nur Tadschikistan, sondern auch die anderen Länder Zentralasiens und Russland. Die Drogen- und Terrorgefahr aus Afghanistan betrifft unsere zentralasiatischen Nachbarn und über diese auch die Russische Föderation. Im OVKS-Rahmen wird diese Frage regelmäßig behandelt. Auf dem kürzlichen Gipfel der Organisation im Dezember 2012 in Moskau wurden diesbezüglich spezielle Beschlüsse gefasst, die u.a. vorsehen, Tadschikistan bei der Sicherung der tadschikisch-afghanischen Grenze, bei ihrer Ausstattung mit moderner Technik sowie in anderer Hinsicht zu unterstützen, einschließlich der Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungs-, Grenz- und Zollbehörden im OVKS-Rahmen. Es handelt sich um recht weit reichende Beschlüsse, die meines Erachtens dazu beitragen werden, ein Vordringen der afghanischen Bedrohungen nach Zentralasien und über diese Region in die Russische Föderation zu unterbinden.

Gegenwärtig ist keine Stationierung zusätzlicher Kräfte oder Mittel geplant. Alle vorgesehenen Maßnahmen werden im Zuge der Unterstützung für unsere tadschikischen Freunde erfolgen. Vor Ort sind russische Berater der Grenztruppen des FSB der Russischen Föderation im Einsatz und wir haben die russische Militärbasis, die ein Stabilitätsfaktor und Bestandteil des militärischen Potenzials der OVKS ist. Gegenwärtig bestehen keinerlei Pläne eines aktiven Einsatzes der Basis, sie ist jedoch in ständiger Einsatzbereitschaft.

Frage: Die Ukraine hat Zollgebühren für die Güter verlangt, die für die russische Schwarzmeerflotte geliefert werden. Hat sich Moskau geweigert zu zahlen oder wird es diese Summen entrichten?

Was erwartet Ihrer Meinung nach Russland und die Ukraine in diesem Jahr: endlose und ergebnislose Verhandlungen über den Gaspreis oder irgendetwas Konstruktiveres?

S. Lawrow: Zuerst zur Besteuerung und der Erhebung weiterer Gebühren für die Waren, die für den Bedarf der Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation auf das Territorium der Ukraine geliefert werden. Das Problem ist, dass diese Zahlungen von unseren ukrainischen Freunden einseitig festgelegt werden, unter Verletzung der Generalvereinbarungen zur Schwarzmeerflotte. Das Problem ist nicht verschwunden, wir arbeiten an seiner Lösung. Die Verhandlungen laufen im Rahmen der Unterkommission zur Schwarzmeerflotte, die eine recht aktive Arbeit leistet und bereits mehrere langwierige Fragen lösen konnte. Der von Ihnen angesprochene Aspekt ist noch nicht gelöst, aber ich habe keine Zweifel, dass er geregelt werden wird. Wir haben vorgeschlagen, das alles, was infolge einer Rücknahme der einseitigen Zahlungsaufforderung gespart wird, in die soziale Infrastruktur von Sewastopol zu investieren.

Was die Aussichten für die russisch-ukrainischen Beziehungen angeht, so kann man ihren Hauptinhalt natürlich, wie Sie das gesagt haben, als „fruchtlose Verhandlungen über den Gaspreis" bezeichnen. Aber schließlich ist das ein Teil unserer Vereinbarungen, und die müssen eingehalten werden. Die Unternehmen, die Energie-Ministerien, die Regierungschefs und die Präsidenten beider Länder behandeln diese Fragen nicht rein nach dem Nutzensprinzip, etwa nach dem Motto „Der Preis muss entweder so oder so sein", sondern in einem wesentlich umfassenderen Kontext, ausgehend von der Überlegung, wie wir unsere strategische Partnerschaft mit der Ukraine vertiefen können. Auf der turnusmäßigen Sitzung der zwischenstaatlichen Kommission im vergangenen Jahr in Jalta haben wir eine Erklärung über den Inhalt der strategischen Partnerschaft unterzeichnet, und gerade in diesem breiten Zusammenhang werden auch die praktischen Fragen unseres Zusammenwirkens im Energiesektor behandelt, nicht nur der Gaspreis, sondern auch unsere Zusammenarbeit bei der Industriekooperation und in vielen anderen Bereichen.

Ich denke, unsere Beziehungen werden noch inhaltsreicher werden, und je mehr sie in Bewegung bringen, desto mehr praktische Fragen werden entstehen, die gelöst werden müssen. Der Gaspreis ist eine davon, aber, ich wiederhole, nicht die wichtigste. Das Wichtigste besteht darin, die enormen Vorteile zu erkennen, die das Zusammenwirken unserer beiden Länder in Anbetracht des hohen Wettbewerbsdruckes in der Welt bietet. Und ich bin mir sicher, dass diese Erkenntnis vorhanden ist. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie Russlands und der Ukraine kann wesentlich verbessert werden, wenn wir den Weg der vertieften Kooperation gehen. Natürlich werden wir eine Beteiligung der Ukraine an den im GUS-Raum ablaufenden Integrationsprozessen begrüßen. Es ist völlig natürlich, die komparativen Vorteile des Wirtschafts-, Infrastruktur-, Logistik- und Verkehrskomplexes zu nutzen, die zu einer Zeit geschaffen wurden, als beide Staaten Bestandteil eines einheitlichen Staates waren.

Frage: Gibt es neue Informationen zum Tod von A. Dolmatow in den Niederlanden? Können Sie die Gerüchte zerstreuen, es gebe einen Brief seiner Mutter, der angeblich im Besitz des russischen Außenministeriums ist? Wenn dem so ist, könnte dieser Brief irgendwie seinen Selbstmord beeinflusst haben? Werden vom Außenministerium Russlands Schritte unternommen, um die Ursachen für den Tod von A. Dolmatow aufzuklären?

S. Lawrow: Mir ist nicht bekannt, dass ein Brief von Dolmatows Mutter existiert. Wie Sie alle, habe auch ich seinen Abschiedsbrief gelesen. Irgendwelche andere Briefe habe ich nicht gesehen, nicht einmal etwas davon gehört. Nachdem wir von dem traurigen Vorfall erfahren hatten, haben wir uns sofort an die holländischen Behörden gewandt. Wir verlangten eine sorgfältige und allseitige Untersuchung der Tragödie, die sich in der Abschiebehaft in Rotterdam ereignete. Eine gleich lautende Aufforderung wurde an die Botschaft der Niederlande in Moskau übermittelt.

Unsere Diplomaten stehen im ständigen Kontakt mit den niederländischen Behörden. Man versichert uns, dass die zuständigen Organe und Dienste dieses Landes alles Notwendige tun, um die Umstände der Tragödie aufzuklären. Gestern hatte ich ein Gespräch mit dem Botschafter der Niederlande in Russland, Herrn R. Keller, der mir versicherte, dass die Fragen im Zusammenhang mit dem Tod von A. Dolmatow Vorrang haben und besondere Aufmerksamkeit erfahren. Wir sind mit der Vorbereitung der notwendigen Dokumente für die Überführung des Leichnams in die Heimat befasst. Nach Aussagen der niederländischen Seite werden für die Freigabe nach den dortigen Vorschriften ungefähr anderthalb Wochen benötigt. Wir werden darauf bestehen, dass die Wahrheit ermittelt wird. Das ist alles, was ich hierzu sagen kann.

Frage: Im vergangenen Jahr hatten Sie auf der entsprechenden Pressekonferenz gesagt, dass Russland beharrlich darauf hinwirken wird, dass das Verfahren bezüglich einer möglichen Beteiligung der Behörden im Kosovo an illegaler Transplantologie zu Ende gebracht wird. Seither aber ist von dem Vorgang um die Medicus-Klinik nichts Konkretes mehr zu hören. Ist es Russland gelungen, das erklärte Ziel zu erreichen?

S. Lawrow: Leider stoßen wir auf eine wenig konstruktive Haltung der EU, die die Untersuchung „usurpiert hat". Sie verläuft sehr zögerlich und es scheint, als sollte sie allmählich sogar eingestellt werden. Wir sind bisher davon ausgegangen und gehen weiter davon aus, dass wir die berechtigten Forderungen Serbiens unterstützen. In erster Linie handelt es sich um ein serbisches Problem. Belgrad trägt sich mit der Absicht, diese Frage im UN-Sicherheitsrat aufzuwerfen, um diese Organisation in die Untersuchung einzubinden. Wir unterstützen diese Absichten.

Frage: Im vergangenen Jahr haben Armenien, Aserbaidschan und andere Länder, die den Kovorsitz innehatten, den 20. Jahrestag der Minsker OSZE-Gruppe begangen. Das Jahr war eine weitere ergebnislose Zeit für eine armenisch-aserbaidschanische Regelung. Alle reden vom Willen der Seiten, aber der Wille der Vermittler ist auch kein unwichtiger Faktor. Weshalb hören wir von Russland keine entschiedenen Erklärungen mit einer Verurteilung der Aggression Armeniens gegen Aserbaidschan? Bisher wurde noch kein Meter des von Armenien besetzten aserbaidschanischen Bodens befreit. Weshalb hören wir keine Appelle, die Resolution des UN-Sicherheitsrates bezüglich des Rückzugs der bewaffneten armenischen Gruppierungen zu erfüllen? Meinen Sie nicht, dass der Wille der Vermittler ebenfalls bedeutsam ist, vor allem in Anbetracht der Russland zur Verfügung stehenden Hebel für ein Voranbringen des Prozesses? Kann man das für 2013 erwarten, umso mehr, da dieses Jahr ein Wahljahr ist?

S. Lawrow: Russland ist als Mitglied der Dreiergruppe der Kovorsitzenden der Minsker Gruppe (neben den USA und Frankreich) um eine Lösung bemüht, die zu einer Regelung des Bergkarabach-Konflikts beiträgt. Wenn jemand Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum erregen möchte, dann könnte er das sicherlich mit Verurteilungen, Forderungen oder öffentlicher Geißelung erreichen. Wenn wir aber das Problem in der Praxis lösen wollen, muss man andere Wege gehen. Genau das tun die USA, Frankreich und Russland als Kovorsitzende der Minsker Gruppe.

Ich möchte kurz an die Vorgeschichte der Frage erinnern. In 2007 erarbeiteten die Kovorsitzenden der Minsker OSZE-Gruppe den Entwurf der grundlegenden Prinzipien für eine Beilegung des Konflikts. Auf dieser Basis hätte man eine Friedensvereinbarung entwickeln können. Armenien erklärte 2007 seine Bereitschaft, diesen Entwurf zur Grundlage zu nehmen, doch das Dokument fand nicht die Zustimmung Aserbaidschans. In Anbetracht der Notwendigkeit, eine gemeinsame Basis zu finden, setzten die Kovorsitzenden ihre Arbeit in 2009 fort, überarbeiteten den Entwurf der grundlegenden Prinzipien und übermittelten ihn den Seiten. Baku war bereit, diesen Entwurf zur Grundlage zu nehmen, doch die armenische Seite erklärte, es wäre besser, auf der Grundlage der Vorschläge von 2007 zu arbeiten.

In dieser Situation lud der damalige Staatschef D. Medwedew die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans zu einem Treffen ein. D. Medwedew fragte die Führer beider Länder, ob es sinnvoll ist, dass Russland im Rahmen der gemeinsamen Intentionen der Kovorsitzenden (der Minsker Gruppe) versucht, einen Mittelweg zwischen den Vorschlägen von 2007 und 2009 zu finden. Die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans befürworteten dieses Angebot.

Dieser Angelegenheit waren rund 10 Treffen der Führer Russlands, Armeniens und Aserbaidschans gewidmet, bei denen immer auch die Amerikaner und Franzosen als Kovorsitzende der Minsker OSZE-Gruppe „am Rande" anwesend waren. Auf dem G8-Gipfel im Sommer 2010 verabschiedeten die Präsidenten Russlands, der USA und Frankreichs eine Erklärung mit der Aufforderung an Armenien und Aserbaidschan, der letzten Variante des von der russischen Seite im Ergebnis der Kontakte mit den Führungen beider Staaten ausgearbeiteten Kompromiss-Dokuments zuzustimmen. Damals war ein Treffen der Führungen Russlands, Aserbaidschans und Armeniens in Kasan geplant. Die Präsidenten der drei Kovorsitzenden der Minsker OSZE-Gruppe riefen auf dem Treffen in Kasan die armenische und aserbaidschanische Seite auf, die letzte Variante des Dokuments zu akzeptieren. Mir schien das eine positive Entwicklung der Ereignisse zu sein. Aber leider wurde das Dokument nicht akzeptiert. Ich denke, Sie wissen weshalb – von den Seiten wurden entsprechende öffentliche Verlautbarungen abgegeben.

Die Kovorsitzenden haben seitdem die Hände nicht in den Schoß gelegt, aber Kontakte auf höchster Ebene sind derzeit nicht in Sicht. Die Minister Armeniens und Aserbaidschans treffen sich. Die Kovorsitzenden unterbreiteten ihnen gekürzte Varianten des Dokuments, um strittige Fragen zu umgehen. Die Arbeit wird fortgeführt.

Frage: Weshalb ist es Russland und Aserbaidschan als strategischen Partnern nicht gelungen, bei der Frage über die Verlängerung des Pachtvertrages für die Radarstation Gabalinsk zu einer Einigung zu kommen? Gibt es bei diesem Projekt eine Zukunft? Kann es noch Veränderungen geben oder ist die Frage endgültig erledigt?

S. Lawrow: Die Frage ist endgültig erledigt. Wir waren zu einer Einigung bereit, aber unsere aserbaidschanischen Freunde wollten uns beim Preis nicht entgegenkommen. Wir betrachten den von den aserbaidschanischen Kollegen geforderten Preis als überhöht. Jetzt laufen Maßnahmen zum Abwickeln der Station, die innerhalb der nächsten Monate zu beenden sind. Die aserbaidschanische Seite ist darüber informiert.

Frage: Das russische Außenministerium hat intensiv und lange Zeit an einem bilateralen Abkommen mit den USA zur Adoption von Kindern gearbeitet. Meinen Sie, dass ein vollständiges Adoptionsverbot für russische Kinder durch amerikanische Bürger eingeführt werden kann? Wie stehen Sie persönlich dazu, dass diese schwere Arbeit nichts gebracht hat? Haben Sie versucht, die Führung des Landes von der getroffenen Entscheidung (über die Aufkündigung) abzubringen?

S. Lawrow: Wir haben in der Tag eine lange Zeit, fast zwei Jahre, an einem Adoptionsabkommen mit den USA gearbeitet. Die amerikanische Seite versuchte uns klar zu machen, dass bei ihnen eine Besonderheit bestehe – die Adoption falle in die Zuständigkeit der Bundesstaaten, deshalb sei der Einfluss der Zentralgewalt sehr beschränkt. Von uns wurde unterstrichen, dass für uns ein auf Ebene der Bundesregierungen vereinbartes Instrument wichtig ist und Mechanismen gefunden werden müssen, die der US-Administration das Recht einräumen, die Fragen mit den Behörden der Bundesstaaten zu klären. Im Ergebnis enthält das im Herbst 2012 in Kraft getretene Abkommen solche Verpflichtungen der US-Administration.

Einige Tage später wandten wir uns mit der Forderung an die amerikanische Seite, uns den Kontakt zu dem von einem amerikanischen Paar adoptierten russischen Jungen M. Babajew zu ermöglichen. waren Den Adoptiveltern waren vom Gericht des Staates Florida die Elternrechte wegen Misshandlung entzogen worden. Der Junge wurde zeitweilig bis zur Benennung neuer Adoptiveltern in Pflege gegeben. Wir forderten erneut Zugang zu M. Babajew. Das Gericht des Staates Florida lehnte das mehrfach ab, und die US-Administration zuckte mit den Schultern. Das ist sehr bezeichnend, denn genau wie im Falle der Schneerson-Sammlung konnten wir nicht erkennen, dass die amerikanischen Administration den aufrichtigen Wunsch hat, etwas zu unternehmen. Wenn es notwendig ist, findet sie Mittel und Wege, um den unabhängigen Gerichten den eigenen Standpunkt mit Nachdruck zu verdeutlichen und bearbeitet den Kongress so, dass er letztendlich darauf eingeht. Das alles ist uns bekannt.

In der Angelegenheit M. Babajew war dieser Wunsch absolut nicht zu sehen, ebenso wenig wie wir die Bereitschaft feststellen konnten, uns bezüglich eines Besuchs der Ranch for Êids in Montana zu unterstützen, von der wir zufällig aus den amerikanischen Medien erfahren hatten. Dorthin waren mehrere Dutzend russischer Kinder „verbracht" worden, von denen sich die Adoptiveltern losgesagt hatten. Uns aber hatte niemand informiert. Der Bevollmächtigte für die Rechte der Kinder beim Präsidenten Russlands, P. Astachow, und der Beauftragte des Außenministeriums Russlands für Menschenrechte, Demokratie und Vorrang des Rechts, K. Dolgow, richteten einen Antrag zum Besuch der Ranch an die US-Administration. Die Administration zuckte erneut mit den Schultern. Daraufhin teilten P. Astachow und K. Dolgow mit, dass sie dennoch hinfahren werden. Als sie vor dem Tor der Ranch ankamen, wurden sie weggejagt. Bis jetzt haben wir keinen Zugang zu diesen Kindern.

Die bekannt gewordenen Fälle sind nur die Spitze des Eisberges. Wir begannen, uns gezielt mit dem Adoptionssystem in den USA zu befassen. Neben der großen Zahl von ordentlichen Adoptiveltern, bei denen die russischen Kinder tatsächlich eine Familie gefunden haben, gibt es auch sehr viele Fälle, die nicht bekannt geworden sind und größte Sorge auslösen. Ich möchte erwähnen, dass erst kürzlich Vietnam das Abkommen mit den USA über die Zusammenarbeit im Adoptionsbereich aufgekündigt hat, u.a. wegen des Fehlens juristischer „Hebel" bzw. des fehlenden Willens der amerikanischen Administration diese einzusetzen.

Ich möchte Ihnen versichern, dass das Dima-Jakowlew-Gesetz, das eine zwangsläufige Maßnahme ist, unsere Einschätzung der Gesamtsituation im USA-Adoptionssystem widerspiegelt. Wir wissen, dass die amerikanischen Adoptiveltern auch amerikanischer Kinder sich bei weitem nicht immer ordnungsgemäß verhalten – es gibt eine Vielzahl von Rücktritten von der Adoption.

Wir möchten unsere Kinder vor allem in eigene Familien abgeben, was als Orientierung auch in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt ist. Dort werden internationale Adoptionen als Ausnahmevariante betrachtet, die nur dann angewandt werden darf, wenn es nicht gelungen ist, für das Kind eine neue Familie in seinem Geburtsland zu finden. Die UNO orientiert die Staaten in dieser Konvention darauf festzulegen, als eine der Aufgaben der nationalen Familienpolitik die Schaffung von Vorrangbedingungen für die Adoption von Waisen durch die eigenen Bürger zu definieren. Ich bin überzeugt, dass das Adoptionsverbot für amerikanische Bürger die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention durch Russland nicht beeinträchtigen wird, in der in einem Artikel unterstrichen wird, dass die Konvention die Staaten nicht verpflichtet, Kinder für eine internationale Adoption freizugeben. Die Konvention legt lediglich die grundlegenden Prinzipien fest, die bei einer internationalen Adoption einzuhalten sind.

Wir haben weiterhin die Möglichkeit, Kinder zur Adoption in anderen Staaten freizugeben, die die UN-Kinderrechtskonvention gewissenhaft einhalten. Übrigens haben die USA dieses Dokument nicht ratifiziert und beabsichtigen auch keinen Beitritt. Der Hauptgrund besteht, wie uns die Amerikaner unumwunden mitteilten, in der mangelnden Bereitschaft, gegenüber den Teilnehmern über die Erfüllung der sich aus der Konvention ergebenden Verpflichtungen Bericht zu erstatten. Das ist nicht das einzige Dokument zu den Menschenrechten, dessen Inkraftsetzen die USA entschieden ablehnen. Dazu gehört eine ganze Reihe von Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation, der Internationale Pakt über soziale und wirtschaftliche Menschenrechte und andere.

Wir haben gute Adoptionserfahrungen mit anderen Ländern, z.B. mit Italien, das nach der Anzahl adoptierter russischer Kinder an zweiter Stelle nach den USA steht. In 2011 haben die USA 960 unserer Kinder adoptiert, die Italiener 800. Das sind Zahlen derselben Größenordnung. In den italienischen Familien hat es keinen einzigen Fall eines nicht angemessenen Umgangs mit den russischen Kindern gegeben. Wir bereiten ein entsprechendes Abkommen mit Frankreich vor. Ich bin einverstanden – wenn wir die nackten Zahlen nehmen, dann fühlt sich die überwiegende Mehrzahl der adoptierten russischen Kinder in Amerika wohl. Aber es gibt Dutzende Fälle, die bekannt werden (und viele werden auch nicht bekannt), in denen die Kinder Willkür und Gewalt ausgesetzt sind, wo sie in den amerikanischen Familien zugrunde gehen. Mit Kindern, die von Eltern aus europäischen Ländern adoptiert wurden, passiert so etwas nicht. Kein einziger derartiger Fall war zu verzeichnen. Es gab Probleme im Zusammenhang mit Mischehen in Finnland (der Vorfall R. Salonen). Aber dabei ging es um das Sorgerecht, es lagen keinerlei Missstände vor.

Frage: Besteht die Chance, dass es in der überschaubaren Zukunft zu Verhandlungen der Sechsergruppe mit dem Iran kommt? Wie bewerten Sie den Vorgang, dass der Iran den IAEA-Inspektoren den Zugang zu dem Militärobjekt Parchin verwehrt?

S. Lawrow: Ich bin sicher, dass Verhandlungen stattfinden werden. Derzeit werden technische Fragen abgestimmt einschließlich des Ortes für das Treffen. Wir verstehen nicht ganz, weshalb so hitzig darüber gestritten wird, wo man sich trifft, das ist zweitrangig. Offenbar haben manche Teilnehmer der Sechsergruppe und des Irans eigene Überlegungen. Es wäre schade, wenn dadurch der Prozess verzögert würde. Es gibt die klare Festlegung, dass die politischen Direktoren der Sechsergruppe, geleitet von der EU-Außenbeauftragten, C. Ashton, mit den iranischen Vertretern zusammentreffen werden.

Vor kurzem fand ein turnusmäßiger Besuch von IAEA-Inspektoren im Iran statt, um die Modalitäten für die Klärung der Fragen abzustimmen, die sich bei der Agentur angesammelt haben und die den Verdacht nähren, das es im iranischen Atomprogramm eine militärische Komponente gab oder gibt. Die Iraner betonten, dass sie dieses Dokument komplett vereinbaren möchten. Ich meine, die iranischen Kollegen hätten dies ein wenig schneller tun und auf die Vorschläge der IAEA eingehen können, die sich ebenso bemüht, ihnen entgegenzukommen und adäquate Modalitäten zu entwickeln. Ich verstehe das so, dass der Besuch der verschiedenen Objekte einschließlich Parchin im Kontext der Bearbeitung dieser Modalitäten erörtert wird. IAEA-Inspektoren waren seinerzeit bereits in Parchin. Hier ist keinerlei Sensation zu erwarten.

Frage: Im September 2012 hatten Sie gesagt, Russland sei bereit, mit Estland einen neuen Grenzvertrag zu unterzeichnen, wenn Tallin sich mit Überraschungen zurückhält. Woher kommt dieser Ausdruck des guten Willens von russischer Seite, wenn man berücksichtigt, dass sich die Haltung der estnischen Regierung nicht geändert hat? Welche Hauptforderungen stellt Moskau für die Unterzeichnung dieses Vertrages? Welche Aussichten können sich für beide Länder aus diesem Dokument ergeben?

S. Lawrow: Das ist eine lange und bekannte Geschichte. Im Zuge der intensiven Verhandlungen mit Estland und Lettland zur Ausarbeitung des Grenzvertrages waren wir uns mit Riga und Tallin völlig einig, dass diese Dokumente keinerlei historische Hinweise enthalten sollen und dass die Ratifizierung selbst ohne irgendwelche Überraschungen in Form von Bezugnahmen auf die einen oder anderen Verträge aus der vergangenen Epoche ablaufen soll. Die lettische Seite hat diese Vereinbarung voll und ganz eingehalten.

Als jedoch das estnische Parlament die vereinbarten und unterschriebenen Verträge ratifizieren sollte, tauchte im Ratifizierungsbeschluss eine Bezugnahme auf den Friedensvertrag von Tartu auf, was im Widerspruch zu den mit dem Außenministerium Estlands erzielten Vereinbarungen stand. Wir waren daraufhin gezwungen, unsere Unterschrift unter den Vertrag zurückzuziehen und zu erklären, dass es für einen endgültigen Abschluss der Grenzfrage neuer Verhandlungen bedarf und ein neues Dokument vorbereitet werden muss. Die estnischen Partner zeigten nach einer ausführlichen Erläuterung der Situation Verständnis und sagten, sie würden eine gewisse Zeit abwarten, und wenn sich unter dem Blickwinkel verschiedener Faktoren ein günstiger Zeitpunkt ergibt, würden sie bereit sein, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Wir haben gewartet und sie von Zeit zu Zeit daran erinnert.

Im vergangenen Herbst gab es dann eine Initiative, wie ich denke, von Seiten des Auswärtigen Ausschusses des estnischen Parlaments. Wir waren immer guten Willens. Mit dem auf Initiative des Ausschusses gefassten Beschluss hat auch die estnische Seite guten Willen gezeigt. Jetzt wurden die Kontakte wieder aufgenommen und sie werden fortgeführt.

Frage: Präsident W. Putin sagte, er würde mit den Ermittlern klären, inwieweit eine Rückführung der Trümmer der in der Nähe von Smolensk abgestürzten polnischen Präsidentenmaschine möglich sei. Es gab die Meldung, Warschau habe die rechtlichen Möglichkeiten für eine Rückgabe noch nicht ausgeschöpft. Gestern wurde in Brüssel eine gemeinsame Stellungnahme polnischer und russischer Parlamentarier veröffentlicht, in der sie ihrer Erwartung auf einen möglichst zeitnahen Abschluss der Ermittlungen und die Rückgabe der Flugzeugtrümmer Ausdruck verleihen. Könnte das zu einer Beschleunigung des Prozesses führen oder kann eine Möglichkeit gefunden werden, die Flugzeugreste vor Abschluss der Ermittlungen zurückzugeben?

Wir bitten um Entschuldigung, dass wir erneut ein und dieselben Fragen stellen. Das Ermittlungskomitee Russlands weigert sich, mit uns zu sprechen.

S. Lawrow: Wie ihr Verhältnis zum Ermittlungskomitee ist, weiß ich nicht. In Russland hat man jene Tragödie mit tiefer Bestürzung aufgenommen. Sie wissen, wie der damalige Präsident Russlands D. Medwedew und Regierungschef W. Putin reagiert haben. Wir möchten keine Probleme für die polnische Führung, die Familien der Opfer und die russisch-polnischen Beziehungen schaffen. Doch wir haben es mit einer schwerwiegenden Straftat zu tun, zu der in Russland und in Polen die Ermittlungen aufgenommen wurden. Gemäß unseren Vorschriften müssen Beweismittel bis zum Abschluss der Ermittlungen und der Übergabe der Akten an das Gericht in der Verfügung der Ermittler verbleiben. Die Ermittlungen gehen dem Ende entgegen, sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Wenn ich das richtig verstehe, ist das nichts Ungewöhnliches, weil auch die polnischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind.

Wir verstehen, wie emotional diese Situation in Polen verfolgt wird, deshalb hatten wir bereits im Sommer 2012 unseren polnischen Kollegen vorgeschlagen, mit der Erörterung der technischen und logistischen Aspekte des bevorstehenden Transports der Trümmer in Ihr Land zu beginnen. Auf Ebene der Fachleute haben solche Begegnungen bereits stattgefunden. In nächster Zeit erwarten wir einiges Neues. Ich kann keinen Kommentar und keine Prognose abgeben, wann diese Ermittlungen abgeschlossen sein werden, doch wir halten diese Frage unter Kontrolle.

Wenn die Aufforderung in Brüssel den Wunsch bedeutet, Druck auszuüben, so kann man das sicherlich verstehen, beschleunigt aber nicht die Ermittlungen, die, das möchte ich noch einmal unterstreichen, unter der persönlichen Kontrolle des Präsidenten Russlands W. Putin stehen. Die Ermittler tun alles, um schnell voranzukommen. Ebenso sind wir bereit, entsprechend allen bestehenden Vereinbarungen die Fragen bezüglich der Errichtung eines Denkmals am Ort der Tragödie zu klären – auch zu diesem Thema gibt es Kontakte.

Frage: In den letzten Jahren hat Russland bestimmte Fortschritte bei der Entwicklung der Beziehungen und der Zusammenarbeit mit Indonesien und anderen ASEAN-Staaten in verschiedenen Bereichen erreicht, in größerem Maße in politischer als in wirtschaftlicher Hinsicht im Vergleich zu anderen Akteuren dieser Region. Der Handelsumsatz Russlands mit den ASEAN-Ländern beträgt etwas über 20 Mrd. USD, bei den USA sind es 176 Mrd., bei Australien 47 Mrd. und bei China rund 400 Mrd. Bis 2015 möchte China einen Handelsumsatz von 500 Mrd. USD erreichen. Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um dieses Ungleichgewicht abzubauen? Vielleicht sollte Russland wie China eine Freihandelszone mit der ASEAN einrichten?

Was erwartet Russland vom APEC-Gipfel in Indonesien in diesem Jahr?

S. Lawrow: Mit der ASEAN entwickeln wir eine Dialog-Partnerschaft. Wir haben ein Abkommen über Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit sowie ein Abkommen zur kulturellen Zusammenarbeit. Der Warenaustausch wächst. Wir kennen die Zahlen, die Sie genannt haben. Sie spiegeln die historische Entwicklung der Beziehungen zwischen den genannten Ländern wider. Ich bin überzeugt, dass der Umfang unseres Handels, der Investitionen und der gemeinsamen Wirtschaftsprojekte mit den ASEAN-Staaten ständig zunehmen wird. Ob wir China einholen werden? In der nächsten Zeit denke ich nicht. Wir haben eigene Pläne, die die Zustimmung der ASEAN-Staaten gefunden haben.

Freihandelszone ist für uns eine relativ neue Form der Arbeit. Wir sind jetzt dabei, mit einigen Ländern und Strukturen einschließlich der Europäischen Freihandelsvereinigung, Neuseeland und Vietnam die Chancen für die Einrichtung einer solchen Zone im Pilotverfahren zu untersuchen. Wenn das mit Vietnam funktionieren sollte, werden wir schauen, inwieweit diese Erfahrungen auf andere ASEAN-Mitglieder übertragen werden können.

Vom APEC-Gipfel in Indonesien erwarten wir, dass die Arbeit in den Richtungen fortgesetzt wird, die während des Vorsitzes Russlands begonnen und weitergeführt wurden. Ich hoffe auf Kontinuität. Mit den indonesischen Kollegen ist vereinbart, dass wir im Rahmen der Dreiergruppe, die sich in der APEC herausgebildet hat, mit dem bisherigen, dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Vorsitzenden gemeinsam arbeiten werden.

Frage: Während seines Moskau-Besuchs im Februar beabsichtigt Mori, mit dem Präsidenten Russlands W. Putin zusammenzutreffen. Wird die Frage der Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit Russland erörtert werden? Kürzlich wurde gemeldet, die russische Seite habe 1992 vorgeschlagen, zwei Inseln - Chabomai und Shikotan - an Japan abzutreten. Können Sie diese Meldung bestätigen?

S. Lawrow: Wir sind an einer aktiven Entwicklung der Beziehungen zu unserem japanischen Nachbar interessiert. Zwischen Russland und Japan wurden gute Grundlagen in den Bereichen Handel und Wirtschaft,, Investitionen und Energiewirtschaft gelegt. In diesen Bereichen gibt es neue Vorhaben, die realisiert werden. Wichtig ist, dass die Geschäftswelt beider Seiten Interesse an der Zusammenarbeit zeigt. Die Regierungen Russlands und Japans unterstützen das nachdrücklich. Wir sind bereit, auch weiterhin alle Fragen unserer Agenda zu diskutieren und nach Wegen zu ihrer Lösung zu suchen. Das betrifft auch die Frage über den Abschluss eines Friedensvertrages. Wir wissen, dass sich der ehemalige japanische Ministerpräsident Y. Mori, der vom russischen Präsidenten W. Putin als langjähriger Freund eingeladen wurde, für die Frage des Abschlusses eines Friedensvertrags interessieren wird. Wie Sie wissen, hat der Ministerpräsident Japans eine Einladung zu einem Besuch in der Russischen Föderation erhalten. Wir werden uns freuen, S. Abe in Moskau begrüßen zu können.

Die Frage Friedensvertrag hat eine vergleichsweise kurze Geschichte. Die Führer beider Länder hatten mehrfach vereinbart, diese Frage ohne Emotionen, ohne Schüren von Leidenschaften im öffentlichen Bewusstsein zu lösen und den Boden für die Entwicklung von Vorschlägen vorzubereiten, die für das japanische und das russische Volk annehmbar sind. Das ist nicht einfach. Es handelt sich um eine Situation, die im Ergebnis des 2. Weltkrieges entstanden und in der UN-Satzung niedergelegt ist. Um voranzukommen, müssen wir diese juristische Realität akzeptieren und vor allem günstige Bedingungen für die Lösung aller schwierigen Fragen zwischen unseren Ländern schaffen. Dazu müssen die Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit und das kulturelle und humanitäre Zusammenwirken, das von den russischen und japanischen Bürgern sehr geschätzt wird, ausgebaut werden. Dazu muss ein vertrauensvolles Herangehen an die Abstimmung von Aktivitäten in den internationalen Angelegenheiten und in den Fragen der Sicherheit in der asiatisch-pazifischen Region entwickelt werden. Wir möchten, dass die Sicherheit in der Region nicht auf einzelnen geschlossenen Blöcken basiert, sondern auf einer Inklusionsarchitektur, die alle Staaten auf der Grundlage des Prinzips der gleichen und unteilbaren Sicherheit einbezieht. Je reicher und vielfältiger die Beziehungen zwischen unseren Ländern und Völkern werden, desto leichter werden sich jegliche komplizierte Fragen lösen lassen. Die Erklärungen mancher japanischer Politiker, die mit großen Emotionen einseitige Forderungen an Russland richten, sind nicht sachdienlich. Wir sehen in derartigen Erklärungen keinen großen Nutzen, was die Herbeiführung einer für die umfassend Entwicklung der russisch-japanischen Beziehungen notwendigen Atmosphäre betrifft.

Frage: Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Lettland entwickeln sich kräftig. Vor diesem Hintergrund ist der politische Dialog leider etwas ins Stocken gekommen. Welche Schritte beider Seiten könnten diesen Prozess beleben?

S. Lawrow: Vereinbarungen über einen politischen Dialog auf der einen oder anderen Ebene in den Beziehungen zwischen zwei Ländern können dann erreicht werden, wenn diesbezügliche Vorschläge unterbreitet werden. Ich spreche mit meinem lettischen Kollegen „am Rande" verschiedener Veranstaltungen wie z.B. Treffen Russland-EU oder Russland-NATO-Rat. Ich sehe keinen Grund, künstlich einen Trubel um unsere Beziehungen zu entfachen. Es vollzieht sich ein normaler Prozess des Zusammenwirkens in Handel und Wirtschaft.

Wir sind unverändert davon überzeugt, dass Lettland verpflichtet ist, mehr für die Lösung des Problems der „Nichtbürger" zu tun. Das ist ein Problem Lettland und auch der EU. Die führenden Politiker in Brüssel sollten sich schämen für ihre Haltung, als sie auf unsere Aufforderungen, Riga zur Einhaltung der Empfehlungen des Europarates, der OSZE und der UNO zu bewegen, antworteten, es gebe irgendwelche EU-interne Auffassungen, in Lettland und Estland sei alles in Ordnung. Die Staatenlosigkeit von hundert Tausenden Menschen, die in diesen Länden geboren wurden, die in einem Referendum über die Gewährung der Unabhängigkeit für diese Länder mit „Ja" gestimmt haben und die loyale Bürger Lettlands und Estlands sein wollen, kann nicht gerecht sein. Bei der Berechnung der Quoten für Lettland und Estland im Europäischen Parlament werden die „Nichtbürger" mitgezählt, wählen dürfen sie aber nicht, sie können nicht einmal ihre örtliche Macht wählen.

Ich habe Riga vor einigen Jahren besucht, als V. Zatlers Präsident war. Wir appellierten, wenigstens den Teil der Empfehlungen der internationalen Institutionen zu erfüllen, der die automatische Zuerkennung der Staatsbürgerschaft an Neugeborene und ältere Menschen betrifft. Es schien, als hätten wir ein gewisses Verständnis gefunden. Ich weiß, dass die Führung Lettlands später versucht hat, diese Idee in einen formalen Rahmen zu überführen. Doch bisher hat sich nichts getan – der Karren steckt noch immer fest. Dieses Problem ist eine reale Belastung für unsere Beziehungen und kein Ruhmesblatt für Lettland und die ganze Europäische Union.

Frage: Der UN-Sicherheitsrat hat heute eine Resolution im Zusammenhang mit dem Raketenstart in der DVRK im Dezember 2012 verabschiedet. Wie können Sie dieses Ereignis kommentieren?

Und weiter. Kürzlich wurde in Südkorea ein neuer Präsident gewählt – Frau Park Geun Hye. Sie beabsichtigt, die Beziehungen zu den Nachbarländern einschließlich Russland auszubauen. Nordkorea hat nun schon seit über einem Jahr auch einen neuen Führer – Kim Jong Un. Gibt es bei der russischen Führung Überlegungen oder Pläne für Treffen mit den Führern der beiden koreanischen Staaten?

S. Lawrow: In erster Linie wird alles davon abhängen, inwieweit die Führer der beiden Koreas selbst Interesse daran zeigen. Wir sind bereit, bei der Realisierung trilateraler Projekte zusammenzuarbeiten: im Bereich Elektroenergie und bei Gaslieferungen, beim Bau der transkoreanischen Gaspipeline oder bei der Anbindung der transkoreanischen Eisenbahn an die transsibirische Bahnstrecke. Zu einigen dieser Richtungen laufen bereits Fachgespräche. Das alles hängt weniger von der Russischen Föderation als vielmehr vom Willen und der Bereitschaft der Republik Korea und der DVRK ab.

Hinsichtlich des Starts der nordkoreanischen ballistischen Rakete, der Gegenstand einer Resolution des UN-Sicherheitsrates wurde, stimmen unsere Bewertungen mit der Meinung der anderen Mitglieder des Sicherheitsrates überein. Die Resolution wurde einstimmig verabschiedet und spricht für sich selbst. Solche Starts sind ebenso wie auch Nukleartests durch frühere Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates verboten. Wir gehen davon aus, dass unsere nordkoreanischen Nachbarn der Stimme der internationalen Gemeinschaft Gehör schenken und auf den Weg der Zusammenarbeit im Rahmen der sechsseitigen Verhandlungen zurückkehren werden. Dazu muss man im Rahmen der in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates festgelegten Forderungen bleiben. Wir zumindest werden alles tun, um Bedingungen für die Wiederaufnahme der sechsseitigen Verhandlungen zu schaffen. Im Rahmen dieses Mechanismus leitet Russland die Arbeitsgruppe zu Fragen von Frieden und Sicherheit in Nordostasien, das umfasst wesentlich mehr als lediglich das Problem der Entnuklearisierung der Koreanischen Halbinsel. Wir haben konkrete Vorschläge, die wir als Vorsitzende der Gruppe zu Fragen von Frieden und Sicherheit in Nordostasien verbreitet haben. Wir erwarten, dass ihre Erörterung beginnen und die notwendige kritische Masse an gegenseitigem Vertrauen hervorbringen wird, was für die Lösung des direkten nuklearen Problems hilfreich ist.

Frage: Ich möchte eine Frage zu den Beziehungen Russland-USA stellen. Beide Länder haben einerseits neu gewählte Präsidenten – W. Putin und B. Obama, andererseits verschlechtern sich die Beziehungen im Zusammenhang mit dem Magnitski-Gesetz und dem Dima-Jakowlew-Gesetz. Wie wichtig wäre ein vollwertiges bilaterales Gipfeltreffen zwischen Russland und den USA?

S. Lawrow: Ich hatte bereits ausführlich über die russisch-amerikanischen Beziehungen gesprochen und möchte mich nicht wiederholen. Was Gipfeltreffen betrifft, so liegt US-Präsident B. Obama eine Einladung des Präsidenten Russlands W. Putin vor. Wir warten auf eine Reaktion auf diesen Vorschlag.

Frage: In letzter Zeit kommt es in Russland zu Unruhen, die die Gesellschaft von der Straße bis zu den Ministern entzweit und durch Informationsströme ausgelöst werden wie z.B. zum Magnitski-Gesetz. Nach UN-Angaben ist in den letzten zehn Jahren die Anzahl der bewaffneten Konflikte zurückgegangen, die Zahl der Informationskonflikte aber nimmt zu. Bisher verliert Russland die Informationskriege. Wird versucht, diese negative „Informationswolke" zu zerstreuen, die darauf aus ist, Überschwemmung und Aufruhr unter der Besatzung des dahin driftenden Schiffes „Russland" auszulösen?

S. Lawrow: Wie ich sehe, sind Sie ein Romantiker. Allen ist bekannt, wie die Informationsmassive in der heutigen Welt in den verschiedenen Ländern akkumuliert wurden, einschließlich der Informationsbestände für den externen Nutzer.

Wir verstehen die Wichtigkeit dieser Arbeit. Der Staat unterstützt aktiv den Ausbau unserer Informationspotenziale, darunter auch solche Kanäle wie Rossija 24, Russia Today, Russiya al-Yaum oder die spanischsprachigen Sendungen auf diesem Kanal. Wir planen selbstverständlich, mehr zu tun. Mit wesentlich bescheideneren finanziellen Möglichkeiten konkurrieren die TV-Kanäle Russia Today und Russiya al-Yaum ernsthaft und erfolgreich mit solchen englischsprachigen Programmen wie CNN, BBC, Al-Jazeera – wenn wir von der arabischen Welt sprechen. Die Statistik ist überzeugend, der Unterschied bei den Zuschauerquoten beträgt nicht ein Mehrfaches oder eine Größenordnung, sondern die Zahlen sind durchaus vergleichbar. Ich denke, dass auch die anderen Medien nicht dazu beitragen werden, dass irgendein Schiff in irgendeinem Meer versinkt, sondern dazu, dass die Aktivitäten Russlands, wie auch jedes anderen Staates, auf der internationalen Bühne objektiv wahrgenommen werden.

Zu diesem Zweck sind wir hier auch zusammengekommen, ich hoffe, zum beiderseitigen Nutzen.

Vielen Dank. Bis zu einem Wiedersehen!


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