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Vortrag des russischen Außenministers S. W. Lawrow an der Universität von Brunei Darussalam, Bandar Seri Begawan, 29 Januar 2012

149-30-01-2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrte Kollegen und Freunde,

Zuallererst möchte ich meine tiefe Zufriedenheit über die Fahrt nach Brunei ausdrücken und außerdem meinen Freunden und Kollegen für die Gastfreundschaft und die hervorragende Organisation meines Besuchs danken.

Wir haben bereits ein breites Spektrum an Fragen besprochen, die die russisch-bruneiische Zusammenarbeit betreffen und festgestellt, dass sich unsere bilateralen Beziehungen mittlerweile durch Stabilität auszeichnen. Unser politischer Dialog findet nun regelmäßig statt, ist intensiv und vertrauensvoll und unsere Beziehungen entwickeln sich immer weiter. Heute haben wir vereinbart, dass dieses Potenzial für konkrete Projekte in den verschiedensten Gebieten genutzt werden muss.

In letzter Zeit wird immer deutlicher sichtbar, dass die Welt in eine Phase tiefgreifender Umwälzungen geraten ist. Vor unseren Augen entsteht ein neues polyzentrisches System internationaler Beziehungen. Eines der bedeutendsten Ergebnisse dieses Prozesses ist die Tatsache, dass der asiatisch-pazifischen Region in der Weltwirtschaft und der Politik eine größere Rolle zukommt. Die asiatisch-pazifische Region erfüllt nun die Funktion einer führenden Lokomotive des weltweiten Wachstums.

Die intensive Integration, der enorme Aufschwung und die Vergrößerung des gemeinsamen Zusammenhangs der Wirtschaften in dieser Region steigerten ihre Widerstandsfähigkeit gegen Auswirkungen negativer äußerer Faktoren. Lokomotiven des Wirtschaftswachstums wie China, Indien und die ASEAN-Staaten halfen der Region dabei, den Rückschlägen durch die Finanzkrise nicht nur zu widerstehen, sondern ihre Stellung im weltweiten Referenzsystem zu festigen. Selbst vor dem Hintergrund der Turbulenzen in der globalen Wirtschaft und auf den Finanzmärkten weisen die Staaten dieser Region gute wirtschaftliche Kennzahlen auf. Das ist einer der wichtigsten Faktoren, um mit der Gefahr einer globalen Depression zurechtzukommen.

Russland ist ein unzertrennlicher Teil der asiatisch-pazifischen Region und es ist selbstverständlich, dass diese eine unserer wichtigsten außenpolitischen Prioritäten darstellt. Als unsere primäre Aufgabe sehen wir die aktive Teilnahme an der Schaffung einer regionalen Architektur für die Sicherheit und Zusammenarbeit sowie eine weitere Einbindung Russlands in die hier immer stärker zu beobachtenden Prozesse einer politischen und wirtschaftlichen Kooperation und Integration.

Unsere engere Einbindung in regionale Angelegenheiten wird von den Partnern gut aufgenommen. Russland wird als Kraft angesehen, die die Gewährleistung von Stabilität und die Entstehung von Bedingungen für eine weitere nachhaltige Entwicklung der asiatisch-pazifischen Region fördert. Ohne Russland wären gemeinsame Bemühungen gegen die heutigen Herausforderungen, wie der internationale Terrorismus, Drogenschmuggel und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, undenkbar. Wir leisten einen bedeutenden Beitrag bei den gemeinsamen Bemühungen im Bereich der Energie, des Transports, der Wissenschaft und Technologie, der Umwelt und bei Reaktionen in Ausnahmesituationen sowie bei der Förderung des Dialogs zwischen den Völkern.

Russland hat keine ideologische Diskrepanz und keine historischen Wiedersprüche, die nicht mithilfe eines konstruktiven Dialogs beigelegt werden könnten. Dies schafft günstige Bedingungen für die Entwicklung guter nachbarschaftlicher Beziehungen mit ausnahmslos jedem Land der asiatisch-pazifischen Region – mit den großen und kleinen, von Japan bis hin zu den Ländern im südlichen Teil des Pazifiks. Mit einigen Staaten unterhalten wir eine strategische Partnerschaft.

Wir sind auf eine enge Zusammenarbeit in der internationalen Arena eingestellt, entwickeln humanistische Beziehungen und festigen Kontakte zwischen den Menschen. Der Schwerpunkt wird auf die Bildung von Modernisierungsbündnissen auf Grundlage von Innovationen in den Wirtschaftsbranchen mit hoher Wertschöpfung sowie auf eine Zusammenarbeit im Bereich der Hochtechnologie, der Raumfahrt und in anderen Bereichen gelegt. Eine Reihe von Partnern, wie beispielsweise ihr unmittelbarer Nachbar Singapur, hat ein sichtbares Interesse am russischen Innovationszentrum Skolkowo gezeigt. Wir wollen außerdem weiterhin mit den Ländern der asiatisch-pazifischen Region im Energiesektor zusammenarbeiten. Dies beinhaltet die Entwicklung herkömmlicher und neuer Energiequellen, die Schaffung einer Infrastruktur für die Erdölverarbeitung und die Herstellung von Flüssiggas sowie die gemeinsame Nutzung von Kernenergie. Wir werden unsere Möglichkeiten bei der Verwendung des globalen Navigations- und Telekommunikationssystems GLONASS zur Geltung bringen.

Wir laden die Partner ein, zur Verwirklichung der bedeutenden Projekte in den fernen Osten Russlands oder nach Sibirien zu kommen. Diese russischen Gebiete verfügen über riesige Ressourcen. Außerdem eröffnet die Tatsache, dass hier eine Infrastruktur entsteht, die Europa und Asien verbindet, breite Perspektiven.

Zweifellos ist das Gipfeltreffen der APEC in Wladiwostok und die vorteilhafte und ergebniswirksame Sicherstellung unseres Vorsitzes in diesem Forum Russlands wichtigstes außenpolitisches Ereignis dieses Jahres. Wir wollen die Nachfolge antreten und uns mit den Aufgaben beschäftigen, mit denen sich die vorsitzenden Länder vor uns befassten und auch in vollem Umfang eigene Prioritäten verwirklichen. Darunter befinden sich die weitere Liberalisierung der Handels- und Investitionstätigkeit, die Vertiefung der wirtschaftlichen Integration, die Zusammenarbeit mit dem Ziel einer höheren Innovationskraft, die Optimierung von Transport- und Logistiksystemen sowie die Festigung der Lebensmittelsicherheit.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den dem bevorstehenden Gipfel gewidmeten Artikel des russischen Präsidenten D. A. Medwedew lenken. Dieser trägt den Namen „Integration – für die Weiterentwicklung und für Innovationen – im Interesse der Prosperität", was auch das Motto des Spitzentreffens in Wladiwostok ist.

Russland arbeitet auch in anderen regionalen und internationalen Vereinigungen, wie der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, dem ASEAN-Regionalforum (ARF) für Sicherheitsfragen, der Konferenz für Interaktion und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien, dem Dialog über die Zusammenarbeit in Asien, BRICS und der Troika Russland-Indien-China sowie dem Asien-Europa-Treffen.

Ich möchte näher auf den Mechanismus Ostasien-Gipfel eingehen, dem, ungeachtet dessen, dass es sich hierbei um einen relativ neuen Mechanismus handelt, eine immer größere Bedeutung zukommt. Russland und die USA haben sich 2011 diesem Mechanismus angeschlossen. Im Herbst letzten Jahres nahmen wir am Gipfeltreffen auf Bali teil. Ich bekomme den Eindruck, dass dies ein äußerst vielversprechendes Format und eine einzigartige Struktur ist, die den Anführern der Länder aus der asiatisch-pazifischen Region ermöglicht, einen Dialog über die strategischen Entwicklungsfragen der Region zu führen. Unserer Meinung nach stellt dieses Forum ein natürliches Format für die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts zur Umgestaltung der regionalen Ordnung und zum Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur in Ostasien dar.

Der Präsident Russlands D. A. Medwedew und der Staatspräsident der Chinesischen Volksrepublik Hu Jintao stellten im Herbst 2010 eine gemeinsame Initiative mit dem Ziel einer umfassenden Sicherheitsarchitektur und einer nachhaltigen Entwicklung in der asiatisch-pazifischen Region vor. Russland und China haben allen Staaten dieser Region vorgeschlagen, zu versichern, dass man den Prinzipien einer gleichmäßigen und unteilbaren Sicherheit und einer friedlichen Lösung von strittigen Fragen treu bleibt und dass man nicht an einer Konfrontation und einer Zusammenarbeit, die gegen dritte Länder gerichtet ist, interessiert ist. Dies alles ist ein Weg hin zum Bau eines Gerüsts der Sicherheit und Zusammenarbeit in der Region, das auf einem rechtlichen und blockfreien Fundament steht.

Die positive Reaktion vieler Länder bestätigt, dass diese Initiative eine Idee ist, die die asiatisch-pazifische Region verbinden könnte. Es gibt die realistische Möglichkeit, die in ihr festgelegten Prinzipien für die unaufschiebbare Bildung eines rechtlich bindenden „Verhaltenskodex" in der Region zu nutzen, der die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verwirklichung dieser Prinzipien definiert.

Die Entwicklung einer multilateralen Netzdiplomatie, an der sich der Ostasien-Gipfel und andere im asiatisch-pazifischen Raum tätige Organisationen und Foren beteiligen, ist im Interesse aller Länder. Es sollte angemerkt werden, dass der Ostasien-Gipfel von der ASEAN initiiert wurde.

Wir setzten uns aktiv dafür ein, dass der ASEAN eine größere Rolle in der Region zukommt und sehen diese Organisation als einen der systembildenden Faktoren bei den intensiven Integrationsprozessen, die hier beobachtet werden. Die Vertiefung der Beziehungen mit ASEAN hat in der Außenpolitik Russlands in der asiatisch-pazifischen Region einen hohen Stellenwert. In unserer 15-jährigen Partnerschaft wurde ein intensiver politischer Dialog erzielt und es entwickelte sich aktiv eine vielseitige Zusammenarbeit. 2005 und 2010 fanden Gipfeltreffen zwischen Russland und der ASEAN statt, die der nachhaltigen Ausweitung der Zusammenarbeit einen gehörigen Anstoß gaben.

Nun ist die Steigerung der Dynamik unserer Handels- und Wirtschaftsbeziehungen eine der wichtigsten Aufgaben. Hier haben wir bestimmte Fortschritte verzeichnet. Der Handelsumsatz zwischen Russland und den zehn Mitgliedsstaaten der ASEAN erreichte, nachdem er in den letzten zwei Jahren um knapp zwei Drittel gestiegen war, 15 Mrd. Dollar. Uns ist bewusst, dass wir – was diese Kennzahlen angeht – anderen Ländern, die im Dialog mit ASEAN stehen, noch hinterherhinken. Deshalb wurde im Zuge des zweiten Gipfeltreffens zwischen Russland und der ASEAN 2010 beschlossen, die Arbeit in diesem Bereich zusätzlich zu beschleunigen. Unsere hierfür zuständigen Behörden bereiten einen Plan zur Zusammenarbeit zwischen Russland und der ASEAN in den Bereichen Handel, Wirtschaft und Investitionen vor. In diesem Plan sind konkrete Maßnahmen zur Ausweitung der Zusammenarbeit in Schlüsselbereichen, wie beispielsweise Energie, Transport, Telekommunikation, Raumfahrt, Landwirtschaft und Industrieproduktion vorgesehen.

Im letzten Jahr haben wir den jährlichen Beitrag in den Finanzfonds der Dialogpartnerschaft Russlands und der ASEAN auf 1,5 Mio. Dollar erhöht. Mit diesen Mitteln wurden bereits wichtige Projekte in Bereichen, die für uns von hoher Priorität sind, realisiert; diese Bereiche sind die Biotechnologie, erneuerbare Energien und der elektronische Handel. Sie bilden die Grundlage für einen Umstieg auf langfristige Programme der Zusammenarbeit sowie auf die Nutzung der Innovationskraft und des technischen Potenzials Russlands und der ASEAN.

Eine der wichtigen Richtungen bei der Zusammenarbeit ist die Gewährleistung der Energiesicherheit. 2010 wurde einem fünfjährigen Arbeitsprogramm über die Zusammenarbeit Russlands und der ASEAN im Energiesektor zugestimmt. Auf der Tagesordnung steht der Start des Energiedialogs zwischen Russland und der ASEAN im Bereich der erneuerbaren Energiequellen.

Ich möchte betonen, dass sich Brunei aktiv bei der Förderung der Zusammenarbeit zwischen Russland und der ASEAN im Energiesektor und in anderen Bereichen einbringt. Im Juli letzten Jahres fand in Bandar Seri Begawan eine weitere Russland-ASEAN-Ministersitzung für Energiefragen statt und im Oktober hat der Energieminister ihres Landes die Organisation auf der internationalen Energiewoche in Moskau repräsentiert. Eine Reihe von konkreten Vorschlägen wurde im Herbst letzten Jahres im Zuge des Besuchs der Delegationen des russischen Energieministeriums und der Rosatom in Brunei gemacht.

Neue Möglichkeiten zur Ausweitung unserer Zusammenarbeit mit der ASEAN werden sich mit Voranschreiten der Integrationsprozesse ergeben. Gemeinsam mit unseren Partnern in der Zollunion, Weißrussland und Kasachstan, prüfen wir die Möglichkeiten, eine Freihandelszone mit dem Vietnam und Neuseeland zu errichten. Diesbezüglich laufen bereits Verhandlungen. Wenn dieses Pilotprojekt erfolgreich sein wird, kann man über eine Ausdehnung dieser Praktik auf die gesamte ASEAN nachdenken. Übrigens rät D. A. Medwedew im von mir erwähnten Artikel, sich auf Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit allen Teilnehmerländern der ASEAN einzustellen.

Eine weitere wichtige Richtung ist die Ausweitung der humanistischen Kontakte. Wir haben mit den zehn Mitgliedern der ASEAN ein Abkommen über eine kulturelle Zusammenarbeit unterzeichnet, in Moskau ein ASEAN-Zentrum eröffnet und wir nehmen Maßnahmen zur Aktivierung des Bildungsaustauschs vor.

Wir haben noch vieles vor uns und dies erfordert zweifellos zielgerichtete Bemühungen, sowohl auf staatlicher Ebene als auch von Seiten der geschäftlichen Gemeinschaft. Nichtsdestotrotz haben wir keine Zweifel daran, dass alle Aufgaben bezüglich der Ausweitung unserer Beziehungen mit der ASEAN erfolgreich gelöst werden können. Die politischen Voraussetzungen hierfür sind gegeben: politischer Wille, der Wunsch, zu kooperieren und die Erfahrung gemeinsamer Angelegenheiten.

Abschließend möchte ich betonen, dass Russland in dieser Region keine „zweiseitige" Tagesordnung hat. Wir sind offen für jede Form konstruktiver und für beide Seiten vorteilhafter Kommunikation und Zusammenarbeit. Wenn wir gemeinsam handeln, können wir effektiver eine Erhöhung der regionalen Stabilität erreichen sowie Wirtschaftswachstum und Prosperität gewährleisten.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.


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