Interview des russischen Außenministers S.V. Lawrow an den Fernsehsender “Sky News Arabia”
Frage: Im Westen und in der arabischen Welt kritisieren viele Russlands Position gegenüber Syrien und halten die russische Unterstützung des Regimes von B. Assad für eine Antwort für die Ereignisse in Libyen. Wie könnten Sie das kommentieren?
S.V. Lawrow: Wir sind es gewohnt mit uns selbst zu beginnen. Bevor wir eine Analyse fremder Positionen angehen, möchten wir uns immer davon überzeugen, dass unsere Position richtig ist. Wir vergleichen sie mit äußerst verständlichen Kriterien - mit den Grundsätzen des Völkerrechts, mit den Zielen und den Grundsätzen der Satzung der Vereinigten Nationen, die vor allem die Respektierung der Souveränität und der territorialen Integrität von Staaten, die Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten, die Ablehnung von Gewaltandrohung und von Versuchen Probleme anders als mit politischen Methoden zu lösen betrifft, mit Ausnahme der Fälle, wenn vom UNO-Sicherheitsrat ein Beschluss gefasst wird.
Wenn wir dafür kritisiert werden, dass wir zusammen mit der Volksrepublik China unser Veto-Recht im Sicherheitsrat benutzt haben, so haben wir dies absolut bewusst gemacht: nicht um und an jemandem zu rächen, sondern um keine Verletzung der Grundsätze der Satzung der Vereinigten Nationen zuzulassen. Mit unserem Veto haben wir diese Grundsätze verteidigt, wobei unsere Kollegen eine Resolution fassen wollten, die das Geschehen einseitig und verdreht interpretierte, darauf abzielte, um das Regime zu bestrafen und den Weg für dessen Abschaffung zu öffnen, worüber unsere amerikanischen Kollegen offen sprechen. Das ist nicht etwas, womit sich der UNO-Sicherheitsrat befasst; er befasst sich mit der Schaffung von Bedingungen für die friedliche Regelung von Streitigkeiten.
Deshalb können wir auch mit Konstatierung der von B. Assad und seiner Regierung zugelassenen groben Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, der Verletzung ihrer Verpflichtungen in der Gewährleistung der Sicherheit für die Bevölkerung, nicht so tun, als ob er friedliche, unbewaffnete Demonstranten bekämpft, gegen die eine nicht provozierte Gewaltanwendung erfolgt. Die gegenwärtige Phase des Konflikts ist ganz anders. Hier bekämpfen einander gut bewaffnete Truppen - die Regierungskräfte und die Freie syrische Armee, die erst kürzlich erklärte, dass die dazu bereit ist sich mit den Kämpfern der „Al-Quaida" in Syrien zusammenzuschließen. Das ist ein sehr gefährliches Signal, wir haben davor gewarnt, aber aus irgendeinem Grund ziehen unsere westlichen Partner, sowie auch einige Länder der Region, die eindeutig das Regime wechseln möchten, es vor darüber hinwegzusehen.
Frage: Die bewaffneten Zusammenstöße der Regierungskräfte und der Opposition erfolgten erst in einigen Monaten nach dem Beginn der Ereignisse...
S.V. Lawrow: Die ersten bewaffneten Zusammenstöße mit Teilnahme der bewaffneten Opposition wurden im April 2011 registriert. Der bewaffnete Kampf wurde von dieser Seite ziemlich schnell begonnen, wie auch der Zufluss der Aufrüstung und von anderen Mitteln, die für die Opposition auch für den bewaffneten Kampf notwendig waren. Ich wiederhole, wir missbilligen beliebige Art von Gewalt. Diejenigen, die Russland kritisieren, missbilligen nur die Gewaltanwendung seitens des Regimes. Darin besteht der Unterschied.
Frage: Wie würden Sie die aktuelle Situation in Syrien charakterisieren: als eine Resolution, einen Bürgerkrieg oder als eine globale Verschwörung gegen das Regime?
S.V. Lawrow: Es ist vor allem ein bewaffneter Konflikt. Diese Qualifikation wurde vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes bestimmt. Ein bewaffneter nicht internationaler Konflikt sieht das Vorhandensein von Regierungskräften und von diesen gegenüberstehenden sogenannten „Kombatanten" vor.
Sie Situation ist ziemlich traurig. Alles begann damit, dass im Rahmen der Prozesse des „arabischen Frühlings" ein Teil der syrischen Bevölkerung, die mit ihrer Lage unzufrieden war, für Reformen auftrat, für die Verbesserung ihrer sozialwirtschaftlichen Lage, für eine Demokratisierung des Staates. Dieses Verhoffen ist verständlich und erklärlich, wir verspüren Sympathie gegenüber solcher Art Wünschen und Bestrebungen nicht nur der Völker von Syrien, sondern auch von anderen arabischen Ländern. Natürlich hat B. Assad viele Fehler zugelassen, er hat ziemlich verspätet auf die Notwendigkeit von Reformen reagiert, obwohl er danach dennoch bestimmte Schritte vorgenommen hat. Das war anscheinend nicht ausreichend. Aber damit die Reformen eine vollendete Gestalt annehmen und allen Syrern passen, muss man sich an den Verhandlungstisch setzen. Die Syrer müssen ihre Zukunft selbst vereinbaren.
Ich denke nicht, dass es sich hier um eine externe Verschwörung handelt. Obwohl natürlich die Rolle der externen Kräfte ab einem bestimmten Zeitpunkt der syrischen Krise eindeutiger wurde. Die offenen Aufrufe zur Bewaffnung der Opposition, dazu, dass sie sich nicht an den Verhandlungstisch setzen, sondern den bewaffneten Kampf fortsetzen soll, „schütten Öl ins Feuer" und widersprechen den vom UNO-Sicherheitsrat gefassten Resolutionen, K. Annans Plan und dem Genfer Kommunique.
Frage: Die militärische Leitung der USA verkündete über das Interesse der Türkei und Jordaniens an der Festlegung einer Sicherheitszone an der Grenze mit Syrien. In diesem Zusammenhang tritt die Frage über die Einrichtung einer flugfreien Zone auf. Was halten Sie von einer solchen Initiative?
S.V. Lawrow: Erstens, würde ich es vorziehen über die Position von der Türkei und Jordanien von der türkischen und der jordanischen Staatsleitung zu hören. Ich habe die Äußerungen der militärischen Vertreter der USA gehört. Das ist nicht das erste Mal, wo das Konzept von Sicherheitszonen und von flugfreien Zonen besprochen wird. Wenn diese Zonen das Territorium des syrischen Staats einnehmen werden, wird das eine Verletzung der Souveränität dieses Staats und der Satzung der Vereinigten Nationen sein. Deshalb muss man verhandeln, um das Schicksal der Flüchtlinge, der verschleppten Personen zu erleichtern. Dafür existieren spezielle Mechanismen und Instrumente. Die Stellvertreterin des Generalsekretärs der UNO für humanitäre Angelegenheiten V. Amos hat sich dieser Tage im Damaskus und in anderen Regionen Syriens aufgehalten. Es besteht die Zustimmung der syrischen Regierung diese Fragen zu lösen. Letztendlich gibt es die Verwaltung des Hochkommissars der UNO für Flüchtlinge die dazu bereit ist Mitwirkung an diejenigen zu leisten, die sich in Lagern in den Hoheitsgebieten der Türkei, Jordaniens und anderer Länder befinden. Mit diesen vom humanitären Völkerrecht erprobten Methoden müssen die Probleme der Sicherheit von Zivilpersonen gelöst werden. Wenn man jedoch mit Verweis auf die humanitäre Krise versucht flugfreie Zonen und Sicherheitszonen in militärischen Zwecken einzurichten, so ist das nicht akzeptabel.
Frage: Dennoch schließen die USA keine Varianten aus, die es erlauben B. Assad von der Macht freizustellen.
S.V. Lawrow: Die USA schließen nie etwas aus.
Frage: Haben Sie in diesem Zusammenhang keine Befürchtungen in Bezug auf die Entwicklung der Situation in Umgehung des UNO-Sicherheitsrats?
S.V. Lawrow: Die USA haben bereits erklärt, dass sie in Umgehung des UNO-Sicherheitsrats handeln werden. Wir können diese Position nicht so recht verstehen. Das wurde in ein paar Tagen nach dem Treffen in Genf gesagt, wo die „Aktionsgruppe" gebildet wurde, die ein umfassendes Kommunique gefasst hat. Dieses Dokument legte detailliert die entsprechenden Komponenten des Plans aus sechs Punkten dar, der von K. Annan vorgebracht wurde, und wurde im Konsens gefasst.
Aber als wir in ein paar Tagen nach dem Genfer Treffen damit begannen diese Situation im UNO-Sicherheitsrat zu besprechen, waren wir dazu bereit das Genfer Kommunique wörtlich, ohne irgendwelche Ausschließungen oder Ergänzungen anzunehmen, und unsere Partner waren dazu nicht bereit. Sie versuchten das in Genf gefasste Dokument so zu interpretieren, als ob es angeblich ein Mandat für die Stürzung des Regimes und für dessen Suspension selbst von Verhandlungen enthalten würde, was dort jedoch nicht festgehalten wird. Dort steht klar und deutlich in einfacher englischer Sprache geschrieben, dass alle die Gewaltanwendung einstellen müssen, dass wie die Regierung, sowie auch die Opposition die Namen ihrer Vertreter in den Verhandlungen nennen müssen. Sie müssen sich zusammensetzen und auf der Grundlage eines Konsens ein sogenanntes „Übergangsorgan" bilden, welches wie Vertreter des Regimes, sowie auch der Opposition auf der Grundlage der Zustimmung der Syrer selbst beinhalten soll.
Ich halte die Erklärungen, die wir aus Washington und aus einigen anderen Hauptstädten darüber hören, dass das „Genfer Kommuniqe gestorben ist", für recht verantwortungslos. Das ist der wichtigste Konsens, der unter Teilnahme der westlichen Staaten (USA und Europa), von Russland, China, den führenden arabischen Ländern und der Türkei zu Syrien erreicht wurde. Äußerungen darüber, dass dies ein „totes Dokument" ist, bedeuten, dass jemand mit Ungeduld nach einem beliebigen Vorwand sucht, um die Aussichtslosigkeit der friedlichen Regelungsmethoden zu rechtfertigen und zu bestimmten Gewalthandlungen zu greifen. Das macht uns große Sorgen, da das der Weg zu einer großen Katastrophe in dieser Region ist.
Frage: Heute haben Sie dazu aufgerufen die „Syrien-Aktionsgruppe" in New York auf der Ebene der ständigen Vertreter zu versammeln. Wie soll man das verstehen: als einen Versuch das wiederzubeleben, was in Genf erreicht wurde?
S.V. Lawrow: Was in Genf erreicht wurde, hat noch keiner „begraben", Russland auf jeden Fall nicht. Ich habe nicht davon gehört, dass die europäischen Staaten, China, die arabischen Vertreter oder die Türken sich davon losgesagt hätten. Die Erklärungen der USA darüber, dass dies von Gestern sei, sind ziemlich ernst, basieren jedoch nicht auf etwas Bestimmten. In Wirklichkeit sind die Realien so, dass das Genfer Dokument alle Komponenten enthält, die dafür notwendig sind, um diesen Konflikt auf den politischen Weg zu lotsen. Aber dafür ist es erforderlich, dass die syrischen Parteien diesen Aufruf erhören und dass er ihnen von allen externen Akteuren übermittelt wird. Verschiedene externe Akteure verfügen über einen unterschiedlichen Einflussgrad auf die syrischen Parteien. Es ist wichtig, dass alle, die sich in Genf versammelt haben, und selbstverständlich auch Saudi-Arabien und der Iran (sie waren dort nicht anwesend, aber wir meinten, dass sie dort anwesend sein sollten), ein gleiches Signal an alle Syrer senden, die momentan gegen einander kämpfen. Wenn wir alle dazu bereit wären, dann wäre die Situation meiner Überzeugung nach ganz anders.
Seit dem letzten Jahr, als die Beobachtermission der Arabischen Liga eingerichtet und danach aus nicht verständlichen Gründen wieder abgebaut wurde, als kürzlich die UNO-Beobachtermission abgebaut wurde, und jetzt an ihrer Stelle die Anwesenheit der Vereinigten Nationen in Damaskus eingerichtet wird, wenn man jetzt versucht das Genfer Kommunique „lebendig zu begraben", tritt gewollt oder ungewollt der Eindruck auf, dass all diese Initiativen von einigen unseren Partnern nur als Vorwand dafür wahrgenommen werden, um die Aussichtslosigkeit der politischen Methoden zu beweisen und den militärischen Eingriff zu legitimieren.
Wir wollten tatsächlich heute ein Treffen in New York auf der Ebene der ständigen Vertreter der Staaten durchführen, die in Genf anwesend waren, sowie des Irans und von Saudi-Arabien, und sagen: „Wir haben in Genf ehrlich und aufrichtig verhandelt, die Position, die von uns allen auf Ministerebene gebilligt wurde, behält ihre Kraft, und wir sind dazu bereit sie ins Leben umzusetzen". Das Ziel dieses Treffens ist einfach. Gestern erklärte die Vertreterin des Staatsdepartements der USA in ihrem Briefing, dass Washington nicht versteht, worum es geht und welchen Fragen dieses Treffen gewidmet sein soll. Darauf möchte ich sagen, dass alle alles hervorragend verstehen, und die Vertreter, die die Position der USA äußert, sollten nicht so tun, als ob sie weniger bewandert wären, als sie tatsächlich sind. Auf jeden Fall haben wir auf die Frage darüber, mit was man sich dort befassen soll, eine klare und eindeutige Antwort gegeben. Wenn jemand versucht sich einem solchen Gespräch zu entziehen, bedeutet das entweder dass sie in Genf unaufrichtig waren, oder dass sie jetzt ihre Meinung geändert haben, und dann muss man das auch ehrlich zugeben.
Frage: Beabsichtigt es Russland irgendeine Initiative für die Lösung der syrischen Frage vorzutragen, außer dem, was heute im UNO-Sicherheitsrat gemacht werden sollte?
S.V. Lawrow: Russland hält sich in der Regelung von beliebigen Konflikten traditionell und konsequent an eine sehr einfache Linie - an die Notwendigkeit von kollektiven Ansätzen und kollektiven Handlungen in der Umsetzung dieser Ansätze. Ein solcher kollektiver Ansatz wurde im UNO-Sicherheitsrat entwickelt, als wir K. Annans Plan gebilligt, die UNO-Beobachtermission nach Syrien gerichtet haben, sowie als wir in Genf diesen Plan in allen seinen Aspekten detailliert dargelegt und uns dazu verpflichtet haben (und im Genfer Dokument ist eine solche Verpflichtung enthalten), dass alle externen Akteure auch auf alle syrischen Parteien „auflegen" werden, damit sie diesen Plan und diese Vereinbarungen auch ausführen. Alle unsere Handlungen sind nicht auf die Erfindung von irgendwelchen lautstarken Initiativen wie etwa flugfreie Zonen oder Sicherheitszonen gerichtet. Wir versuchen es nicht „vor dem Publikum zu spielen", sondern versuchen es uns mit dem Wesen des Konflikts auseinanderzusetzen. Das kann man nur auf einer kollektiv vereinbarten Grundlage machen. Eine solche Grundlage wurde in Genf geschaffen, und unsere Initiative besteht darin, dass die Ausführung der Genfer Vereinbarungen erreicht wird.
Frage: Was kann L. Brahimi als K. Annans Nachfolger in den Bedingungen machen, wenn B. Assads Regime sich weigert die Gewaltanwendung einzustellen?
S.V. Lawrow: Es weigern sich alle die Gewaltanwendung einzustellen. Eine der äußerst wichtigen Lösungen, die im Rahmen des Genfer Kommuniques erreicht wurden, bestand darin, dass die Gewaltanwendung wie von den Regierungskräften, sowie auch von der Opposition eingestellt werden muss.
Jetzt entziehen sich unsere westlichen Kollegen dieser Vereinbarung, verletzen die übernommenen Verpflichtungen, ihre Position. Jetzt fordern sie von der Regierung die bewaffneten Handlungen in einseitiger Ordnung einzustellen, die bewaffneten Menschen und die Technik aus den Städten abziehen zu lassen, und erst danach sind sie bereit sich mit einer Bitte an die Opposition zu wenden sich vor Handlungen mit bewaffneten Methoden zu enthalten.
Ich habe bereits solche Ideen unserer westlichen Partner kommentiert. Obwohl dies undenkbar ist, aber nehmen wir einmal an, dass das Regime sagt: „Gut, wir werden alle Städte verlassen und alle unsere Truppen abziehen lassen". Denken Sie, dass die Opposition danach die Waffen niederlegen wird? Die Opposition wird diese Städte einfach unter ihre Kontrolle nehmen, wie es bereits im Herbst letzten Jahres der Fall war, als ein Versuch der Ausführung des Plans der Arabischen Liga vorgenommen wurde. Und nicht deshalb, weil wir das wollen oder B. Assad irgendwelche Ratschläge geben. Sondern einfach deshalb, weil dies aus der Sicht eines jeden Politikers, einer beliebigen Militäroperation ein absolut unrealistischer Ansatz ist, der nur von Einem spricht: wenn man Erklärungen über die Notwendigkeit der einseitigen Entwaffnung des Regimes macht, ist es klar, dass das Ziel nicht darin besteht die Situation zu beruhigen und das Leben der syrischen Zivilbevölkerung zu retten, sondern den Grundsätzen der Satzung der Vereinigten Nationen zuwider im Regimewechsel.
Deshalb, wenn man davon spricht, was K. Annans Nachfolger zu tun bevorsteht, muss ich sagen, dass seine Mission viel kleiner sein wird, als die UNO-Beobachtermission. Wie wird nur aus ein paar dutzend Personen bestehen. Es wird geplant, dass dort eine kleine Komponente aus militärischen Beobachtern, eine kleine politische Komponente und eine Komponente sein wird, die dabei helfen wird die humanitären Projekte zu realisieren, z.B., die Zustellung von Hilfe u. a. Unter Berücksichtigung der Größe dieser Gruppe und der Situation im Land, wo Kampfhandlungen fortgesetzt werden, bezweifle ich, dass ihre Vertreter es oft schaffen werden aus dem Damaskus in andere Städte zu fahren. Es ist offensichtlich, dass sie, ausgehend von den Umständen, in dieser Phase die größte Aufmerksamkeit dem politischen Prozess widmen werden: dem Aufbau von Kontakten, die es erlauben werden einen politischen Dialog zu starten.
Aber ein politischer Dialog wird nicht beginnen, jedenfalls werden diese Anstrengungen zu keinem endgültigen Ergebnis führen, wenn die Gewaltanwendung nicht eingestellt wird. Und das hängt nicht von L. Brahimi ab. Das hängt nicht von den Beobachtern ab, die nur verfolgt haben, wie der im April dieses Jahres verkündete Waffenstillstand ausgeführt wird.
Jetzt schlagen wir vor noch einmal einen solchen Waffenstillstand zu verkünden, aber diesmal unter der Verantwortung der externen Akteure, die wie auf die Regierung, sowie auch auf die bewaffneten Oppositionstruppen Einfluss haben. Deshalb, wenn wir alle den Erfolg des politischen Prozesses wünschen, müssen wir uns selbst kollektiv, einmütig auf alle Oppositionsgruppen auflegen und sie dazu zwingen den Beschuss einzustellen, sie davon überzeugen schnellstens die Namen ihrer Vertreter in den Verhandlungen mitzuteilen, diese an den Ort zu beordern, der für alle annehmbar vereinbart wird, und damit zu beginnen das Übergangsorgan zu vereinbaren, darüber zu verhandeln, wie man danach mit den Grundgesetzen umgehen soll, einschließlich der Verfassung, sowie die Wahlen vorzubereiten.
Frage: Während B. Assad an der Macht bleibt?
S.V. Lawrow: Das müssen die Syrer selbst beschließen. Wie auch in jedem anderen Staat wird das Schicksal der Staatsleitung vom Volk bestimmt.
Frage: Wie denken Sie, ist es nach 17 Monaten nach Beginn der Ereignisse in Syrien für das syrische Volk nützlich, dass B. Assad an der Macht bleibt?
S.V. Lawrow: Das muss man das syrische Volk fragen. Wie ich bereits sagte, wurden vom Regime viele Fehler begangen. Aber einer der Hauptgründe, der den Konflikt vertieft hat, nachdem zuerst der gewaltfreie, und danach auf der gewalttätige und der bewaffnete Widerstand begonnen hat, besteht im Folgenden. Diejenigen, die von Anfang an den Rücktritt von B. Assad gefordert haben, ignorierten die Interessen von dem Teil des syrischen Volkes, der, und das muss man auch anerkennen, in ihm einen Garanten seiner Rechte und seiner Sicherheit im syrischen Staat gesehen hat.
Wir wissen, wie kompliziert die konfessionelle und die ethnische Zusammensetzung Syriens ist. Und die Minderheiten, die sich hinter dem Rücken von B. Assad in der Hoffnung darauf gruppieren, dass er ihre Rechte schützen wird, sind auch ein Teil des syrischen Volkes. Deshalb hat die russische Seite auch nicht umsonst mehrfach betont (davon hat der russische Präsident bei seinen Kontakten mit B. Obama, mit den europäischen Staatschefs und den Staatsleitern der Länder der Region gesprochen), dass bevor alle Parameter des zukünftigen syrischen Staates vereinbart werden, zuerst Vereinbarungen über feste Garantien für die Einhaltung der Rechte der ethnischen, konfessionellen und von anderen Minderheiten getroffen werden müssen. Und erst danach kann man alles andere besprechen. Das ist eine äußerst prinzipielle Frage.
Russland hat seit dem Beginn des Konflikts vor der Unzulässigkeit eines leichten, oberflächigen Verhältnisses zu einem solch tiefen Problem gewarnt, wie Widersprüche innerhalb des Islams, das unter anderem auch in Syrien herangereift ist. Es ist äußerst gefährlich, dass das jetzt nach außen ausbricht. Ich spreche erst recht nicht von der Verschärfung in den letzten Wochen des kurdischen Problems.
Frage: Neulich hat der König von Jordanien Abdallah II. in seinem Vortrag vor einer möglichen Einteilung Syriens und der Schaffung in einem Teil seines Hoheitsgebiets einer Alawiten-Enklave gewarnt. Teilen Sie seine Befürchtungen?
S.V. Lawrow: Der Zusammenbruch eines beliebigen Staates bringt nichts Gutes mit sich. Das haben wir selbst verspürt, natürlich aus ganz anderen Gründen. Er wird immer von einer schwierigen, nervösen Periode begleitet, wenn der Kampf um den Einfluss, um die Ressourcen, um die Macht, um den Ausgang zum Meer etc. beginnt. Russland ist aufrichtig, wenn es im UNO-Sicherheitsrat für Resolutionen stimmt, die die Souveränität und die territoriale Integrität Syriens bestätigen. Für uns ist es uninteressant zu beobachten, wie im Nahen Osten, in Nordafrika separatistische Tendenzen anwachsen werden. Und solche Tendenzen gibt es.
Wir bestätigen unsere Loyalität gegenüber der territorialen Integrität Libyens, aber dort ist auch im Hinblick au die Einrichtung eines einheitlichen Staates auch noch nicht alles beschlossen worden. Dort stehen auch noch Verhandlungen bevor, wenn auch nicht mit konfessionellen oder ethnischen Minderheiten, sondern mit den Volksstämmen. Diese wilden Ereignisse, die sich auf den objektiven Trend der Bestrebung der Völker zu einem besseren Leben stützen, haben sehr viele Probleme an die Oberfläche gebracht, die im Zeitraum der langjährigen Regierung von autoritären Regimes in die Tiefe gedrängt wurden. Jetzt ist es nach außen gelangt. Wahrscheinlich ist das unumgänglich, wenn wir von einer Demokratisierung der Region sprechen. Aber die Verpflichtungen und die Verantwortung der externen Akteure besteht nicht darin, dass man versucht seine momentanen Konjunkturinteressen auf kosten der sich jahrzehntelang gehäuften Probleme auszuspielen, sondern darin, dass diese Probleme gedämpft und dem Volk geholfen werden soll die auf dem friedlichen Weg zu lösen, und nicht durch Ellbogenstöße und durch den Griff an die Waffen.
Frage: Viele Politologen meinen, dass man in Russland den sogenannten „sunnitischen Islamismus" befürchtet. Ist das so?
S.V. Lawrow: Das ist überhaupt nicht so. Wir befürchten, dass sich im Inneren des Islams Widersprüche zuspitzen werden, die sehr schlecht enden können. Wir beobachten täglich die Terroranschläge im Irak, in Afghanistan. Wir können uns denken, was dahinter steht.
Wir sind dafür, dass allen Moslems geholfen werden soll die Bestimmungen der Amman-Erklärung auszuführen, die vom König von Jordanien Abdallah II gebilligt wurde, als er in 2005 unter seinem Vorsitz alle grundlegenden Theologen des Islams versammelte. Darin wird gesagt: wenn du ein Moslem bist, unabhängig davon, ob ein Sunnit, ein Schiit oder ein anderer, wenn du an Allah glaubst, dann musst du so handeln, dass deine Brüder nicht zu deinen Feinden werden. Das bezieht sich nicht nur auf den Islam. Wir treten für einen Dialog zwischen den Zivilisationen auf und arbeiten eng mit den arabischen und mit anderen moslemischen Ländern bei der Förderung der moralischen Werte der internationalen Beziehungen zusammen.
Letztendlich basieren alle führenden fundamentalen Weltreligionen auf ein und denselben moralischen Werten. Und dass diese Werte in der Weltpolitik offensichtlich im Defizit sind, ist eine Tatsache. Das bezieht sich auf die moslemischen Länder, auf die Länder, in denen das Christentum die Hauptreligion ist, auf andere Staaten.
Frage: Wir in Russland das syrische Szenario des „nächsten Tages" besprochen, d.h. die Zukunft Syriens nach der Stürzung des Regimes, wie es viele westliche Partner tun?
S.V. Lawrow: „The day after"? Sie tun und besprechen es nicht einfach. Ich habe gehört, dass in einigen westlichen Ländern daran ganze Forschungszentren arbeiten. Sie bereiten bereits Wirtschaftsreformen, Reformen der syrischen Verfassung, der Armee, der Polizei, der Sonderdienste vor. Das ist bedauerlich, da das zwei Dinge bedeutet. Entweder meinen diese „Denker", dass das syrische Volk nicht für die selbstständige Lösung ihrer Probleme herangewachsen ist, und versuchen es selbst zu tun, indem sie ihre Rezepte aufbinden. Oder sie meinen, dass das syrische Volk nicht dazu berechtigt ist für sich selbst zu entscheiden. Entweder nicht herangewachsen, oder nicht berechtigt - eine dritte Variante ist nicht gegeben. Wir würden es vorziehen, dass keine derartigen Übungen vorgenommen werden, sondern dass alle externen Akteure den Syrern dabei helfen sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
Frage: Aber das syrische Volk sieht doch, dass B. Assads Truppen einen Großteil des Landes nicht kontrollieren.
S.V. Lawrow: Aber gleichzeitig sehen die Syrer auch, dass B. Assads Truppen einen sehr großen Teil des Landes kontrollieren. Das ist wirklich so. Im Land ist ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt im Gange.
Ich habe bereits ein Beispiel angeführt, was diejenigen wollen, wer im Ausland an einem Szenario der Reformen für Syrien arbeitet. Sie wollen, dass B. Assad in einseitiger Ordnung seine Truppen abziehen lässt. Davon wird ihn niemand überzeugen können. Niemand. Die Regierungskräfte haben gesehen, wie sich die Gegner strikt davor weigern einen Waffenstillstand zu vereinbaren, wie von ihnen eine einseitige Abrüstung (vom Sinne her - eine Kapitulation) gefordert wird, und anscheinend beschlossen bis zum Ende zu kämpfen. Was konnte man sonst erwarten? Wahrscheinlich wollte man sie gerade dazu provozieren. Das gibt für diejenigen, die eine bewaffnete Gewaltanwendung nutzen wollten, Anhalt zu sagen: „Seht ihr, er gibt nicht auf, und der UNO-Sicherheitsrat nimmt nichts vor".
Frage: Jetzt nimmt der Damaskus Luftangriffe auf friedliche Einwohner vor, wobei er Waffen und Technik benutzt, die von Russland gekauft wurden. Beabsichtigt es die russische Seite auch weiterhin Waffen nach Syrien zu liefern?
S.V. Lawrow: Lassen Sie uns ehrlich sein, hier geht es um die Rüstung, die in der Sowjetunion eingekauft wurde. Wir sagten bereits mehrmals, dass wir alte Verträge erfüllt haben. Wir schließen bislang keine neuen ab.
Frage: Vor ein paar Tagen haben über 130 Staaten, außer Russland, China und einigen lateinamerikanischen Ländern in der Generalversammlung der Vereinigten Nationen B. Assads Regime missbilligt. Ist Russland nicht um die Perspektive besorgt, von der viele Politologen sprechen, sich in einer politischen Isolation wiederzufinden?
S.V. Lawrow: Erstens, haben Russland und China mehrfach B. Assads Regime missbilligt. Es geht um die Resolution, die eine einseitige Forderung enthalten hat. Darin war nicht die Anerkennung der offensichtlichen Tatsache enthalten, dass nicht nur das Regime schießt, sondern auch die Opposition, dass Menschen auch mit den Händen der Opposition ums Leben gebracht werden. Darin wurde auch nicht fixiert, dass, wie kürzlich von den internationalen Humanitäreinrichtungen mitgeteilt wurde, die bewaffnete Opposition, wie auch das Regime, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Da die Autoren der Resolution diese Tatsachen nicht anerkennen wollten, waren wir dazu gezwungen dagegen zu stimmen. Russland missbilligt wie das Regie, sowie auch die Opposition für die Verletzungen, die auf ihrem Gewissen sind.
Was die Befürchtungen bezüglich Russlands Positionen in der Welt betrifft, so kann man das wohl kaum als eine Isolation bezeichnen. Ich kann eine Vielzahl von Beispielen anführen, wo in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat der Vereinigten Nationen ein Land dagegen und alle anderen Länder dafür stimmen. Das betrifft die nahöstliche Regelung, das Embargo gegen Kuba, viele andere Fragen. An eine Isolation denkt keiner. So sehen die Positionen aus. Ich wiederhole jedoch, dass unsere Abstimmungen, darunter auch die Ausnutzung des Veto-Rechts im Sicherheitsrat, keine Launen und keine ideologische Voreinnahme gegen wen auch immer ist. Das ist eine prinzipielle Linie für den Schutz der Grundsätze der Satzung der Vereinigten Nationen.
Sie nannten das Wort „Revolution". Der UNO-Sicherheitsrat befasst sich nicht mit Revolutionen. Als unsere Kollegen aus dem Syrischen Nationalrat nach Moskau kamen (im November 2011 - B. Ghalioun, im Juli 2012 - A. Seida), sagten sie: „Das Geschehen in Syrien ist eine Revolution". Aber wenn das eine Revolution ist, so befasst sich der UNO-Sicherheitsrat nicht damit. Er befasst sich mit der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten mit Anwendung von Methoden in Bezug auf die Parteien, die den Friedensprozess verletzen. In diesem Fall sind das beide Parteien.
Wir verspüren keine Isolation. Zu uns kommen alle Oppositionellen, wir unterstützen mit allen einen normalen Dialog - wie mit der externen, sowie auch mit der internen Opposition. Kürzlich haben sich in Russland die Vertreter des Syrien Nationalen Koordinierungskomitees aufgehalten, die aus uns sehr nahen Positionen auftreten: die bestehen auf der Einstellung der Gewaltanwendung durch alle Parteien, auf der Freilassung von allen politischen Häftlingen und von den wie von der Regierung, sowie auch von der Opposition entführten Menschen, auf der Zustellung von humanitärer Hilfe, auf dem Beginn des politischen Dialogs, der innensyrisch und gesamtsyrisch ausfallen soll.
Ich kenne kein arabisches Land, das jetzt so tun würde, als ob sich Russland in Isolation befindet. Praktisch alle unsere arabischen Kollegen bestätigen ihr Interesse an der weitergehenden Entwicklung der Zusammenarbeit mit Russland, an der Vertiefung der Zusammenwirkung in den wirtschaftlichen und außenpolitischen Bereichen. Wir haben direkt das Interesse von Ägypten und Tunesien gespürt, wo Parteien mit religiöser Ausrichtung zur Macht gekommen sind, sowie in Libyen, wo in der gegenwärtigen Phase Liberalisten an die Macht gekommen sind. Sie sind daran interessiert, dass unsere Beziehungen nicht etwa aufgetaut, sondern eher nicht eingestellt werden.
Frage: Es wächst eine Unzufriedenheit unter den arabischen Bürgern an, die innerhalb von vielen Jahren gemeint haben, dass die UdSSR und danach auch Russland die Völker unterstützt haben, und nicht die Regimes.
S.V. Lawrow: Das hängt davon ab, in welchem Umfang wir im Medienraum vertreten sind. Ich denke, dass diejenigen, die sich russische Kanäle anschauen, auf denen Reportagen aus Syrien demonstriert werden, eine etwas andere Vorstellung haben, als diejenigen, die über keine solche Möglichkeit verfügen.
Frage: Es geht also nur um die Medien?
S.V. Lawrow: Die öffentliche Meinung wird durch Politiker und durch die Massenmedien gebildet. Wenn die Massenmedien behaupten, dass in Syrien ein russischer General umgebracht wurde, und danach herauskommt, dass dies eine grobe Lüge war, dann ist das wohl ein nicht unwichtiger Teil des Gesamtbildes. Darüber, dass der General getötet wurde und dass er ein Funktionär von B. Assad war, wurde überall laut ausposaunt. Und darüber, dass es eine Lüge war, wurde ganz verschämt mitgeteilt, so, dass kaum jemand davon gehört hat. Dasselbe geschieht jetzt auch mit dem sogenannten Interview des Sondervertreters des russischen Präsidenten für den Nahen Osten, des Stellvertreters des russischen Außenministers M.L. Bogdanow. Ich habe noch nie von der Zeitung „Al-Watan" gehört. M.L. Bogdanow hatte keinen Kontakt mit ihnen. Er hat sich speziell die auf der Website der Zeitung veröffentlichte Audioaufzeichnung angehört, wo zu hören ist, wie ein Mensch auf seine eigenen Fragen antwortet. Eine typische „Ente".
Uns sind auch Episoden bekannt, als während des Kriegs im Kaukasus im August 2008 der Fernsehsender CNN die ossetische Stadt Zhinwal gezeigt hat, in die georgische Panzer eingezogen sind und Frauen und Kinder mit ihren Ketten überfahren haben. Und die Unterschrift dazu lautete, dass „russische Truppen in die georgische Stadt Gori eingezogen sind". Vor Kurzem haben irgendwelche Fernsehsender Ereignisse im Irak gezeigt, die über zehn Jahre zurück liegen, und dabei gesagt, dass dies Ausschreitungen von B. Assads Regime in Syrien gegen die friedlichen Einwohner sind.
Von den Massenmedien hängt viel ab. Wenn Bürger sagen, dass Russland sich immer für Völker, und nicht für Regimes eingesetzt hat, so haben sie damit völlig recht. Wir sorgen uns um das syrische Volk. Die Position, die wir fördern, einschließlich der Notwendigkeit der Ausführung durch die Teilnehmer des Genfer Treffens von allen Vereinbarungen, wird von der Bestrebung vorgegeben unverzüglich das Blutbad einzustellen und die Opferzahl zu verkürzen. Diejenigen, die von der syrischen Opposition eine Fortsetzung des Krieges bis zum glorreichen Ende fordern, nehmen in ihren Aufruf einen zusätzlichen Preis in Form von hunderten und tausenden von Leben der Syrer wie von der einen, sowie auch von der anderen Seite auf. Darin besteht der Unterschied.
In unserer Position besteht keine Unterstützung des Regimes. Wir haben es missbilligt, kritisiert, dazu aufgefordert die friedliche Initiative der Arabischen Liga, K. Annans Plan, die UNO-Beobachtermission und das Genfer Kommunique anzunehmen. Wie man zu B. Assads Handlungen auch immer steht, er hat das alles gemacht. Er hat sogar einen Vertreter für die Verhandlungen bestimmt, wie er darum von allen Teilnehmern des Genfer Treffens gebeten wurde. Und die gleichen Bitten an die Opposition werden nach wie vor ignoriert.
Hier tritt für mich die Frage auf: wer ist denn hier für einen Dialog? Der syrische Präsident mag zum Dialog vielleicht auch nur deshalb bereit sein, weil auf ihn von allen Seiten Druck ausgeübt wird und er von den Sanktionen leidet. Und dennoch, wenn in Genf alle aufrichtig waren und die Zustimmung der Regierung und der Opposition zum Dialog gefordert haben, sagte er: „Hier ist mein Konfliktlotse".
Ich würde also keine solchen Propagandaklischees befolgen. Die Völker und die Regenten der arabischen Länder verstehen sehr einfache Sachen.
Erstens, hat Russland sie beim „arabischen Frühling" unterstützt, wir unterstützten ihr Verhoffen.
Zweitens, sympathisieren wir den Prozessen, die in Ägypten, in Tunesien, in Libyen mit einem Ziel vorgehen - dass sich dort endlich alles einpendelt. Dort sind bereits politische Reformen erfolgt, es haben freie Wahlen stattgefunden, die Menschen haben frei aufgeatmet. Mit der Wirtschaft steht es schlechter, weil Ägypten und Tunesien an einem Rückgang der Touristenzahl etc. leiden. Wir hoffen, dass je nachdem, wie die politischen Perturbationen endlich abflauen werden, auch die Wirtschaft wieder aufsteigen wird. Wir sind zur Zusammenarbeit daran bereit. Wir haben mit diesen Ländern viele realisierte und eingeplante handelswirtschaftliche Projekte und Investitionsprojekte.
Drittens, wenn der „arabische Frühling" zur Ruhe kommt, wenn eine neue Epoche eintritt, Wahlen, ein demokratischer Aufbau, werden alle verstehen, dass die Verhoffen realisiert wurden und dass man jetzt nur noch arbeiten muss, damit man noch besser leben kann; die in der Region bestehenden Probleme, z.B., die nahöstliche Regelung, werden jedoch nicht verschwinden. Alle verstehen hervorragend, dass Russland niemals irgendeine voreingenommene Position in diesen Fragen einnehmen wird, Russland wird noch in vielen Angelegenheiten nützlich sein.
Frage: Welche Schritte plant Russland nach dem Scheitern der Verhandlungen in Istanbul und in Moskau über das Iraner Atomprogramm?
S.V. Lawrow: So wird der Ton der Diskussion vorgegeben. Ihre erste Frage war darüber, was man nach dem Scheitern von K. Annans Plan machen soll. Jetzt fragen Sie, was man nach dem Scheitern der Verhandlungen in Istanbul und in Moskau machen soll.
Wir schätzen das nicht als ein Scheitern ein. Diejenigen, die darüber als von einem Scheitern sprechen, wollen einfach eine hysterische Rhetorik aufblasen. Das ist falsch. Irgendwelche Kontexte einer Konfrontation in dieser Frage sind kontraproduktiv. Wie in Istanbul, sowie auch in Moskau, und auch bei den nachfolgenden Kontakten wurde ein kleiner, aber meiner Ansicht nach dennoch ein Progress erreicht, weil die Parteien wie noch nie zuvor deutlich und ausführlich ihre Ansätze dargelegt haben. Und das nicht deklarativ, sondern in Anbindung an konkrete Komponenten des Problems: die Prozente der Urananreicherung, die vorläufige Einstellung der Urananreicherung, die Gegenschritte, die dafür vorgenommen werden sollen, etc. Es wurde nach den Grundsätzen der gestuften Handlungen und der Gegenseitigkeit gearbeitet, die bedeuten, dass zuerst eine „Straßenkarte" erforderlich ist, die die Schritte darlegt, die der Iran vornehmen muss, sowie die Gegenschritte, die vorgenommen werden sollen, wenn er darauf eingeht. Wir bewegen uns in dieser Richtung. Neben der ausführlichen Darlegung der Positionen hat jede Partei erläutert, auf welche Weise sie die Lösung der Fragen sieht, darunter auch in Verbindung mit der Urananreicherung bis zu einem bestimmten Prozentgehalt. Das ist noch nicht das Ende des Weges, und jetzt ist es das Wichtigste zu verstehen, dass Verhandlungen der einzige Weg für die Regelung des Problems um das Iraner Atomprogramm sind. Wenn auch nur sehr langsam, tasten wir trotzdem an bestimmte Richtungen heran, die uns bei der Problemlösung helfen werden. Das wird nicht schnell sein, es steht ein langer Weg bevor. Die zwischen dem Iran und den Mitgliedern des Sechsers bestehenden Divergenzen sind sehr ernst. Sie sind jedoch nicht ernster, als die Divergenzen in der palästinensisch-israelischen, in der arabisch-israelischen Regelung, als die Divergenzen zu West-Sahara oder zu den Problemen der Einrichtung einer Zone im Nahen Osten, die von Massenvernichtungswaffen frei ist. Deshalb sehe ich keine Gründe dafür, warum gerade des Iraner Atomprogramm als das einzige definiert werden soll, dass unbedingt „explodieren" wird und das keinen Aufschub gestattet.
Frage: Für einige Staaten, z.B., für Israel ist das eines der Hauptprobleme.
S.V. Lawrow: Wir reden mit unseren israelischen Partnern darüber. Kürzlich hat ein weiteres Telefongespräch mit meinem Kollegen A. Lieberman stattgefunden. Wir werden niemals glauben, dass Militärgewalt ein Problem stabil und langfristig lösen kann.
Das Hauptproblem in dieser Region ist meiner Ansicht nach damit verbunden, dass der Iran keinen gleichberechtigten Platz am Verhandlungstisch hat. Ja, Israel, die USA, die meisten Länder des Golfs von Persien haben ihm gegenüber viele Beanstandungen. Aber wenn diese Beanstandungen dazu genutzt werden, um eine komplette Isolation des Irans zu fordern und ihn, z.B., nicht zu Veranstaltungen zuzulassen, die den Problemen der Sicherheit in der Region gewidmet sind, so verlieren wir einfach einen zusätzlichen Hebel für die Beeinflussung dieser Situation. Uns ist es wichtig, dass alle, die die Entwicklung der Ereignisse beeinflussen, sich innerhalb des Verhandlungsprozesses befinden, und nicht irgendwo in Isolation.
Frage: Und wie kann man den Iran einladen, wenn er erst kürzlich damit gedroht hat die Straße von Hormus zu schließen.
S.V. Lawrow: Das was eine Entscheidung des Parlaments. Bereits nach einigen Tagen nach dieser Entscheidung hat der Vorstand des iranischen Außenministeriums A. Salehi gesagt, dass das keine realistische Position ist. Deshalb denke ich nicht, dass danach irgendwelche ernsthaften Handlungen folgen werden. Das bestätigt nur ein weiteres Mal, dass man eine beliebige unnötige Konfrontationsrhetorik vermeiden muss. Den von der anderen Seite erklingen lautstarke Drohungen den Iran zu zerbomben, da er keinen Platz in der Gruppe von zivilisierten Staaten haben kann. Das sind genau die Spirale und der Teufelskreis der Rhetorik, die zu nichts Gutem führen werden.
Frage: Wie schätzen Sie die gegenseitigen Beziehungen zwischen Russland und den Ländern des Persischen Golfs ein? Werden sie von der Situation in Syrien beeinflusst?
S.V. Lawrow: Sie werden beeinflusst, aber wir haben gute Beziehungen wie mit den einzelnen Ländern der Region, sowie auch mit dem Rat für Zusammenarbeit der arabischen Staaten des Golfs von Persien. Das erste Treffen in diesem Format auf Ministerebene fand Anfang November letzten Jahres statt. Wir bauten einen strategischen Dialog auf. Das zweite Treffen soll in Russland stattfinden, wir besprechen gegenwärtig die Termine. Wir haben es zuerst für Juni geplant, aber dann haben die Terminpläne der Minister nicht übereingestimmt. Vor etwa zwei Wochen habe ich mit dem Außenminister von Saudi-Arabien S. Feisal gesprochen. Wir vereinbarten, dass wir voraussichtlich im Herbst die Möglichkeit dazu finden werden ein solches Treffen in Moskau durchzuführen. Was unsere Divergenzen zu Syrien betrifft, so stimmen die Ziele im Ganzen überein. Das Hauptziel besteht darin, dass in Syrien Frieden und Ruhe herrschen sollen, dass das syrische Volk gut leben kann.
Frage: Aber die meisten Länder wollen nicht, dass sich B. Assad nach all dem, was passiert ist, weiterhin an der Macht bleibt, Russland will das aber.
S.V. Lawrow: Deshalb nimmt die Bevölkerung der arabischen Länder gegenüber Russland auch eine solche Position ein. Man darf das nicht so sagen. Sie sagten das, als ob Sie mit der Muttermilch aufgenommen hätten, dass die meisten arabischen Länder nicht wollen, dass B. Assad an der Macht bleibt, und dass Russland das will. Sie haben das nach Freud gesagt, also unbewusst. Aber das ist überhaupt nicht so. Uns ist es egal, wer in Syrien an der Macht stehen wird. Hauptsache, dass diese Macht vom syrischen Volk frei und ohne Einmischung von Außen gewählt wird. Alles andere soll vom syrischen Volk selbst beschlossen werden. Wir werden jede Wahl akzeptieren.
Ich erinnere daran, dass wir uns im März dieses Jahres mit einigen arabischen Ländern des Persischen Golfs und der Arabischen Liga im Ganzen getroffen haben, als fünf Grundsätze entwickelt wurden, die wir gemeinsam mit meinem katarer Kollegen Scheich Hamad bin Jassim Al Thani vor der Presse erläutert haben. Der erste Grundsatz besteht in der Einstellung der Gewaltanwendung, in der freien Zustellung von humanitärer Hilfe überall, in der Unzulässigkeit der ausländischen Einmischung, in der Notwendigkeit der selbstständigen Vereinbarung durch die Syrer ihrer Zukunft.
Nachdem ich aus dem Munde meiner Kollegen, darunter auch von Scheich Hamad bin Jassim Al Thani Aufrufe zur Eindringung und zur Ausführung einer Intervention in Syrien höre, dann weiß ich nicht, was der Grund für seine Zustimmung zu unserer Vereinbarung über die Unzulässigkeit einer ausländischen Einmischung war. Deshalb bemühen wir uns konsequent zu bleiben. Unsere Partner ändern manchmal ihre Position um 180 Grad, aber damit kann man leider nicht immer etwas machen.
Frage: In der letzten Zeit werden Sie im Westen und in den arabischen Medien als „Mister Nein" bezeichnet. So wurde seinerzeit auch A.A. Gromyko genannt. Stört Sie das?
S.V. Lawrow: Absolut nicht, ich habe nicht einmal davon gehört. Wenn keine Verletzung des Völkerrechts besteht, bin ich stolz darauf „Mister Nein" zu sein.