Interview des russischen Außenministers S.W. Lawrow mit dem Moderator des Fernsehsenders „Rossija“ S.B. Brilew anhand der Ergebnisse des Auftrittes in der Staatsduma im Rahmen der „Regierungsstunde“, Moskau, den 14 März 2012
Frage: Sergej Wiktorowitsch, welchen Eindruck hat auf Sie das Gespräch mit Abgeordneten gemacht?
S.W. Lawrow: Mir hat es gefallen. Ich bin der Meinung, dass es seine sehr nützliche Tradition ist, wir schätzen sie sehr. Die Einladungen in die Staatsduma zur „Regierungsstunde", wo man nicht nur unsere Stellungnahme zur momentanen Lage darlegen, sondern auch zahlreiche Fragen beantworten kann, sind eine gute Ergänzung zu den so gut wie täglichen Kontakten zwischen Fachausschüssen der Staatsduma und der Departments des Außenministeriums. Einerseits hilft es sehr, das natürliche Interesse der Abgeordneten für die außenpolitischen Angelegenheiten und einzelne Aspekte der Beziehungen zu diesen oder jenen Ländern zufriedenzustellen. Und andererseits ist für uns aus der Art der Fragen ersichtlich, wie die Staatsduma leibt und lebt. Es ist auch wichtig, das im Auge zu behalten.
Frage: Einige Themen sind über die Kompetenzen des Außenministeriums ein wenig hinausgegangen. Eines von denen ist die umgehende Anerkennung der Unabhängigkeit Schottlands. Vielleicht verwirren Sie solche Fragen?
S.W. Lawrow: Meines Erachtens hat diese Frage Anspruch auf Existenz, weil 2014 in Großbritannien eine Volksabstimmung über die Trennung Schottlands durchgeführt wird. Und in diese Hinsicht hat sich ein Abgeordneter daür interessiert, welche Stellungnahme Russland hat.
Frage: Nicht einfach ein Abgeordneter, sondern A.K. Lugowoj, der generell in unmittelbarer Verbindung zu Briten steht, nicht wahr?
S.W. Lawrow: Unsere Stellungnahme zu dieser Angelegenheit basiert auf dem internationalen Recht. Hier ist alles sehr einfach und klar.
Frage: Sie werden wohl den gemeinsamen Beitrag des US-Präsidenten B. Obama und des britischen Ministerpräsidenten D. Cameron gelesen haben. Er enthält einen Satz darüber, dass Britannien und die USA bereit sind, die Mission von K. Annan in Syrien zu unterstützen, um den „Machttransit" nach B. Assads Weggang durchzusetzen. Sieht es so aus, dass B. Assad trotzdem weggeht?
S.W. Lawrow: Das eine etwas ungenaue Darlegung der Aufgaben, die vor K. Annan gestellt worden sind. Zwischen uns fand ein Gespräch sofort nach seiner Bestellung zum Sondergesandten der UN und der Liga der arabischen Staaten für Syrien. Wir trafen uns in Kairo am Vorabend der Sitzung des russischen Außenministers und der Außenminister der Liga der arabischen Länder, kommunizierten miteinander nach seinem Damaskus-Besuch.
K. Annan leitete an die syrische Leitung seine Vorschläge weiter. Ich kann Ihnen versichern, dass es in diesen Vorschlägen keine Rede von B. Assads Weggang ist. Ich bin der Auffassung, dass über die Zukunft Syriens die Syrier selbst entscheiden müssen. Russland wird alle Vereinbarungen unterstützen, die ausgehend von den Ergebnissen des allsyrischen politischen Dialogs zwischen der Regierung und allen Oppositionsgruppen formuliert werden.
Frage: Basierend auf den Ergebnissen des Verfassungsreferendums erklärte B. Assad, dass am 7. Mai Parlamentswahlen stattfinden. Aber das Referendum wurde von der Opposition ignoriert. Können Wahlen anhand eines Gesetzes durchgeführt werden, für welches die Hälfte des Landes nicht gestimmt hat?
S.W. Lawrow: Ich verstehen Sie und sehe alle Schwierigkeiten. Aber über die Hälfte der Bevölkerung hat sich an der Volksbefragung beteiligt. Die Meinung dieser Personengruppe ist zu berücksichtigen.
Seltsam stellt sich dar, dass der politische Vorgang läuft und parallel dazu Kriegshandlungen in den Städten geführt werden, wo die Regierungstruppen gegen bewaffnete Oppositionsgruppen kämpfen. Es passieren zweifellos auch, Zwischenfälle. Es bestehen keine Zweifel daran, dass die Gewalt sehr oft unverhältnismäßig angewendet wird.
Frage: Meinen Sie die Regierungstruppen?
S.W. Lawrow: Die Gewalt wird sowohl von einer, als auch von der anderen Seite angewendet. Am 11. März wurden in Syrien Terroranschläge verübt: in Hama wurde eine Brücke gesprengt, in Aleppo wurde eine in Syrien bekannte Person – der von allen beliebte Box-Meister Asiens getötet. Er wurde in seinem Auto erschossen. In Homsa und anderen Städten wurden Regierungseinrichtungen und Verwaltungsgebäude beschossen.
In Syrien ist natürlich alles bei weitem nicht so einfach, wie man es in schwarzweiß darzustellen versucht. Nichtsdestotrotz gibt es aber eine Alternative. Die russische Seite plädiert dafür, dass über die Mission von K. Annan ein Überwachungsmechanismus herausgearbeitet wird, der eine gleichzeitige Signalabgabe an alle auf Kriegsfuß stehenden Parteien ermöglichen wird. Aber in dieser Lage sollen nicht nur wir, sondern auch alldiejenigen arbeiten, der Einfluß auf die bewaffnete Opposition hat, damit sie alle Kampfhandlungen gleichzeitig einstellen und Waffenruhe erklären.
Als erster Schritt unterstützt Russland in dieser Richtung das Einlegen der täglichen humanitären Zweistundenpause, die vom internationalen Ausschuß des Roten Kreuzes vorgeschlagen wurde. Darum bat auch die stellvertretende UNO-Generalsekretärin W. Amos, die vor kurzem Damaskus besucht hatte und sich weiterhin um die Erleichterung der humanitären Hilfe bemüht. In einem sonstigen Fall werden wir das haben, was wir haben.
Man darf nicht von B. Assad etwas verlangen, ohne dass vergleichbare Anforderungen an diejenigen gestellt werden, die gegen ihn den Krieg führen. Die Lage ist nicht einfach. Und nicht, weil wir B. Assads Regime unterstützen. Ich wiederhole, keiner wird sich einseitig entwaffnen. Das verstehen alle. So lautet unser Vorschlag, sich darauf zu konzentrieren, alle an den Verhandlungstisch zu setzen.
Frage: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. In Ihrem Vortrag in der Staatsduma haben Sie gesagt, dass B. Asad nicht immer ein offenes Ohr für russische Ratschläge hat. Nichtsdestotrotz hat Russland einen direkten Kontakt zu ihm. Und hat die amerikanische Seite einen direkten Kontakt zur Opposition? Da die syrische Opposition etwas Unbekanntes, sich in sich selbst, gewisses Konglomerat von Islamisten ist, hat die Annahme, dass es ein rein amerikanischer Kunde ist, Anspruch auf die Existenz? Wer ist sie, die syrische Opposition?
S.W. Lawrow: Zweifellos haben viele unsere westliche, amerikanische und türkische Partner einen direkten Zugang zur politischen Opposition.
Frage: Und hört sie ihnen zu?
S.W. Lawrow: Das kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich wird ein bestimmter Einfluß ausgeübt, weil, wenn die Opposition überhaupt keinen hören wird, wird es ihnen wohl kaum gelingen, ihre Positionen in den Prozessen zu stärken, die die Zukunft des syrischen Staates bestimmen.
Eine andere Sache ist, dass Russland im Laufe der Treffen mit dem berüchtigten B. Ghaliun und anderen Oppositionsführern (übrigens erwarten wir in Moskau in Kürze eine weitere Gruppe der syrischen Opposition) die politische Opposition dazu aufrief, sich von denjenigen, die dem Konflikt eine Militärdimension verleihen wollen, sowie von den bewaffneten Banden zu distanzieren, die Provokationen anrichten und auf die die Regierung sehr oft unproportional reagiert. Aber heute wird die Oppositionstätigkeit in einem bestimmten Maße militarisiert. Zumindest hat der von B. Ghaliun geleitete syrische Nationalrat erklärt, dass er einen „Militärflügel" bildet, der Geldmittel für den Waffenkauf zwecks weiterer Bekämpfung des Regimes sammeln wird.
Wenn die Ereignisse nach diesem Szenario weiter entwickeln werden, ist kaum damit zu rechnen, dass alle unsere an die Regierung gerichteten Aufrufe, das Feuer einzustellen, wahrgenommen werden.
Frage: Die letzte Frage zur syrischen Angelegenheit. Vor dem Interview mit Ihnen hatte ich meine guten Freunde und Kollegen aus Europa zu Rate gezogen und gefragt, was ihres Erachtens europäische Regierungen wollen. In der Regel antworteten sie, dass sie um humanitäre Erwägungen mehr besorgt sind. Aber für die Amerikaner kommt laut meinen europäischen Kollegen eher Syrien als Glied einer Kette mit dem Irak in Frage, der das Hauptziel der USA ist. Ich werde diese Theorie nicht entwickeln. Schließlich erlaubt Ihre Dienstzugehörigkeit auch nicht, das zu machen.
Ich möchte Sie etwas Anderes fragen. Sind meine Kollegen aus der Presse im Recht, indem sie sagen, dass die Staatssekretärin der USA H. Clinton Sie gebeten hat, vielleicht nicht Syriern, dann den Iranern auszurichten, dass es die letzte Chance ist, sonst wird es zu einem Militärschlag kommen?
S.W. Lawrow: Wissen Sie, ich lege den Inhalt meiner nicht öffentlichen Gespräche mit meinen Kollegen nie offen. H. Clintons Vorgängerin C. Rice legte den Inhalt unseres Gesprächs nach dem Ende des Krieges, den der Präsident Georgiens M. Saakaschwili begonnen hatte, absolut nicht wahrheitsgetreu wieder. Damals machten unsere Militärs alles, was ihnen aufgegeben worden war. K. Rice verdrehte gröblich alles, was wir mit ihr besprochen hatten. Aus diesem Grund werde ich den Inhalt des Gespräches mit H. Clinton nicht kommentieren. Ich kann nur sagen, dass ich Ihre Befürchtungen und die einiger anderer Gesprächspartner von Ihnen, dass Syrien als Begin sehr schlechter Ereignisse dienen kann, teile.
Wenn die interethnische interkonfessionelle Art des kompliziert aufgebauten syrischen Staates, dessen Geschichte mehrere dramatische Ereignisse kennt, beeinträchtigt wird, können sich die Folgen als unberechenbar erweisen. Es ist deutlich erkennbar, dass die jetzige Konstruktion nicht zustande gekommen ist. Leider kann eben in diesem Ort die heraufziehende Krise innerhalb der islamischen Welt zwischen Sunniten und Schiiten durchbrechen. Wenn die heutige Konstruktion zerstört wird, kann sich die Situation nicht nur um den Iran, sondern auch um den Irak und im Irak ändern, wo die Sunniten sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Und sie nehmen sich kein Blatt vor den Mund, wenn sie darüber sprechen.
Deswegen können diese oder jene Entscheidungen über Syrien sehr ernsthafte Prozesse auslösen. Und alldiejenigen, die diese Prozesse zumindest irgendwie beeinflußen können, sollen die ganze Vollständigkeit ihrer Verantwortung fühlen.
Frage: Wie hoch schätzen Sie nach einer Zehn-Punkte-Skala im Anbetracht der jetzigen Konstellation die Wahrscheinlichkeit ein, dass Kriegshandlungen um den Iran begonnen werden?
S.W. Lawrow: Ich war nie in der Jury der Show „Tänze mit Stars". Ich bin nicht in dem Amt, wo man mutmaßen um so mehr jemanden mit seinen Prognosen bestimmt anstimmen kann.
Frage: Worauf soll man sich gefaßt machen – auf das Beste oder auf das Schlechteste?
S.W. Lawrow: Man muß sich auf die Arbeit gefaßt machen, weil alles von den Menschen abhängt. Und hier muß die Diplomatie an erster Stelle sein.
Ich betone noch einmal, dass wir aktiv das unterstützen, was K. Annan macht. Unseres Erachtens soll die syrische Leitung schnell, ohne Verzögerung seine Herangehensweisen unterstützen. Wir werden dasselbe der bewaffneten und politischen Opposition zumuten. Da der Waffenstillstand und anschließend der allsyrische Dialog erst dann eingeleitet werden können, wann eine prinzipielle Zustimmung dazu erteilt wird, was in den Kontakten zu Syriern der Sondergesandte der UN und der Liga der arabischen Staaten für Syrien vorantreibt.
Frage: Wird die syrische Regierung sonst die russische Unterstützung verlieren?
S.W. Lawrow: Ich wiederhole, wir unterstützen die syrische Regierung nicht. Wir unterstützen die Notwendigkeit, einen politischen Prozess zu beginnen. Dafür müßte man zuerst das Feuer einstellen. Die russische Seite wird alles daran setzen, ungeachtet der Entscheidungen, die von der syrischen Regierung getroffen werden. Übrigens sind wir mit vielen davon nicht einverstanden.