Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf Medienfragen auf seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Außenminister der Niederlande, Stef Blok, am 13. April 2018 in Moskau
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir hatten sehr konstruktive Verhandlungen. Das ist der erste Besuch eines niederländischen Außenamtschefs in Moskau seit dem Jahr 2015. Deshalb mussten wir natürlich viele Fragen besprechen.
Vor allem haben wir unsere bilateralen Beziehungen ziemlich konkret besprochen, mit deren Zustand wir natürlich nicht ganz zufrieden sind. In den letzten Jahrzehnten hatten wir ein großes Kooperationspotenzial entwickelt, das aktuell aber nur teilweise eingesetzt wird.
Wir zeigten uns bereit, nach Auswegen aus der entstandenen Situation zu suchen. Es ist offensichtlich, dass die Wiederaufnahme der konsequenten Entwicklung unserer Kontakte in allen Bereichen den Interessen unserer Länder und Völker entsprechen würde. Wir bestätigten Russlands Interesse an der Entwicklung der Austausche auf dem Niveau der Ministerien und Behörden, der Zivilgesellschaften im rechtlichen und humanitären Bereich. Nachgefragt ist auch die Wiederaufnahme eines vollwertigen parlamentarischen Dialogs, worüber wir heute auch sprachen. Solche Kommunikationswege sind besonders wichtig, wenn die Beziehungen zwischen Ländern Erprobungen ausgesetzt werden, was gerade jetzt der Fall ist.
Wir besprachen die Situation im Handels- bzw. Wirtschaftsbereich. Unser Handelsumsatz ist im vergangenen Jahr um mehr als 20 Prozent gewachsen und erreichte 40 Milliarden US-Dollar. Natürlich sind diese Zahlen wesentlich geringer als die aus den „Vorkrisen“-Zeiten. Wir wollen diese Tendenz, die sich im vorigen Jahr beobachten ließ, weiter festigen. Nach Auffassung der russischen Seite würde dazu eine neue Sitzung der Gemischten Kommission für Wirtschaftskooperation beitragen, die seit 2013 nicht einberufen wurde. Als erster Schritt könnten aus unserer Sicht Treffen ihrer Co-Vorsitzenden organisiert werden, die sich seit 2014 nicht mehr trafen. Wir verstehen, dass die neue niederländische Regierung erst die Co-Vorsitzenden von ihrer Seite bestimmen soll. Wir hoffen, dass dieses wichtige Gremium seine Arbeit wiederaufnehmen könnte, sobald dieser Prozess zu Ende gegangen ist.
Wir begrüßen traditionell die Aktivitäten niederländischer Unternehmen auf dem russischen Markt, die ihre Entwicklungsstrategien umsetzen, indem sie mit ihren russischen Partnern zusammenwirken. Wir würden uns freuen, eine solide holländische Delegation (wir das üblich ist) auf dem nächsten Petersburger Wirtschaftsforum zu sehen.
Wir sprachen auch über Zusammenwirken im kulturellen bzw. humanitären Bereich. Dabei erwähnten wir die Situation um Russlands Beteiligung am Projekt zur Erneuerung eines Museums auf dem Gelände des ehemaligen NS-Lagers in Sobibor (Polen). Wir bestätigten, dass wir an der Unterstützung der Niederlande als Mitglied des Internationalen Verwaltungsrats dieses Museums interessiert sind, damit wir uns im Sinne der entsprechenden Einladung, die wir vor mehreren Jahren erhielten, dieser Struktur beitreten könnten.
Wir sprachen viel über die internationale Tagesordnung, besonders angesichts der Tatsache, dass die Niederlande in diesem Jahr nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats sind.
Natürlich sprachen wir auch über Syrien und die Aufgaben, die in der Nahost-Region im Allgemeinen stehen. Wir sind daran interessiert, dass dieser Dialog nachhaltig wird, dass alle Krisen in unserer gemeinsamen Region und in entlegenen Regionen sachlich behandelt werden, wobei im Vordergrund die friedliche Regelung und die Interessen der Völker stehen, die in eine schwere Situation geraten sind. Es ist wichtig, dass äußere Akteure ihnen keine Regelungsrezepte aufzwingen, die diesen Interessen widersprechen würden.
In diesem Kontext ist Russland an der Fortsetzung seines Dialogs mit der Europäischen Union interessiert. Wir haben gemeinsame Interessen bei der Bekämpfung des Terrorismus, der illegalen Migration und des Drogenhandels. Wie wir unseren europäischen Kollegen bestätigten, wären wir zum Zusammenwirken in dem Umfang bereit, in dem die Europäer dazu bereit wären.
Wir einigten uns darauf, diese Krisen mit unseren niederländischen Partnern im Rahmen von regelmäßigen Beratungen unserer Ministerien möglichst konkret zu behandeln, die ziemlich intensiv sind. Wir vereinbarten, dass sie im Sinne eines entsprechenden Plans organisiert werden sollten und dass die Vorbereitung auf solche Veranstaltungen maximal effizient sein sollte.
Wir sprachen viel auch über die andauernde Ermittlung der Katastrophe der malaysischen Boeing (Flug MH17), die im Sommer 2014 im Himmel über dem Donezbecken abgeschossen worden war. Wir schilderten ausführlich die Schritte der russischen Seite, nämlich der Regierung und des Konzerns Almas-Antej, um alle Informationen, über die wir verfügen, zu präsentieren, damit die Ermittlung objektiv und unvoreingenommen verläuft. Wir betonten darüber hinaus, dass die Resolution 2166 des UN-Sicherheitsrats vollständig erfüllt werden sollte, die die regelmäßige Benachrichtigung des Sicherheitsrats über den Verlauf der Ermittlung verlangt. Wir einigten uns auf die Fortsetzung dieser Gespräche, wobei wir die Worte unserer niederländischen Kollegen über die Unabhängigkeit dieser Struktur voll und ganz respektieren. Wir respektieren die Unabhängigkeit. Wir gehen davon aus, dass dies nicht die Ignoranz von offensichtlichen Fakten bedeutet, über die die Ermittlung verfügt, wie auch die Ignoranz der Fakten, auf die die Ermittlung bisher nicht besonders achtete.
Im Allgemeinen halte ich unsere Verhandlungen für sehr nützlich. Wir konnten nicht absolut alles besprechen, aber ich rechne mit einer Fortsetzung unseres Dialogs.
Frage: Das Thema Ermittlung der Umstände des Boeing-Absturzes ist der Stein des Anstoßes in den russisch-niederländischen Beziehungen. Russland kritisiert die Niederlande für die Art und Weise der Ermittlung. Die Niederlande reagieren geschmerzt auf diese Kritik und werfen ihrerseits Russland vor, es würde versuchen, die Ermittlung zu behindern. Andererseits ist das der Gegenstand des Dialogs. Diese Frage wird bestimmt bei bilateralen Kontakten behandelt. Wurde das Thema Ermittlung heute besprochen? Konnten Sie sich besser verständigen?
Sergej Lawrow (antwortet nach dem Außenminister der Niederlande): In meinem Grußwort sagte ich bereits, dass wir das besprochen hatten, und erzählte über die allgemeinen Momente dieser Besprechung. Angesichts des großen Interesses der niederländischen und russischen Journalisten und der Erwähnung der Resolution 2166 des UN-Sicherheitsrats möchte ich daran erinnern, dass wir zu den Initiatoren dieser Resolution waren, der zufolge die Tragödie des Flugs MH17 von der Weltgemeinschaft gründlich und objektiv untersucht werden sollte, wobei der UN-Sicherheitsrat über die Fortschritte bei der Ermittlung regelmäßig informiert werden sollte. Von der niederländischen Regierung haben wir nur einen Brief erhalten, dessen Inhalt nur sehr allgemein war und der keine konkreten Fakten enthielt. Das war noch im Sommer 2015. Seit dieser Zeit erhielt der UN-Sicherheitsrat keine weiteren Informationen. Trotz dieser Resolution berichtete der UN-Generalsekretär kein einziges Mal darüber, was in diesem Bereich vorgeht, obwohl es seine Pflicht ist, dies zu tun. Wir brachten öfter unsere Besorgnis über die Organisation der Ermittlung zum Ausdruck. Als die niederländische Ermittlungsgruppe erst gerichtet wurde, galt eine der ersten Fragen den Gründen, warum Malaysia keine Einladung bekommen hatte, sich daran zu beteiligen. Darauf gab es keine Antwort. Malaysia wurde erst sechs Monate nach der Bildung der Gruppe eingeladen. Es ist zwar besser spät als nie, wie man bei uns sagt.
Wir förderten tatsächlich die Ermittlung in ihrer technischen Phase und tun das auch jetzt, wenn das Strafverfahren weiter geht. Wir antworteten und antworten auf absolut alle Anfragen der niederländischen Staatsanwaltschaft. Wir haben ihr etliche Informationen zur Verfügung gestellt, darunter die primären, noch nicht bearbeiteten Angaben der Radarbeobachtung im Luftraum über dem Ort der Katastrophe. Diese Angaben zeugen deutlich davon, aus welchen Richtungen die Rakete geflogen sein könnte und aus welchen nicht. Dennoch werden unsere Fakten, Bemerkungen und Kommentare von der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe nur teilweise berücksichtigt, während die von uns bereitgestellten Dokumente nur selektiv und oberflächlich berücksichtigt – und manchmal überhaupt nicht berücksichtigt – werden.
Ich erwähnte die Angaben der objektiven Radarkontrolle. Diese lassen sich weder fälschen noch korrigieren. Sie zeugen deutlich davon, dass es in dem Bereich, aus dem die Rakete nach Auffassung der Ermittlung geflogen sein könnte, gar keine Rakete gegeben hatte. Und in der Antwort, die wir nach einer sehr langen Wartezeit erhielten, wurde betont, dass dies eine andere Rakete gewesen wäre, und dass es zwei irgendwelche unabhängige Experten gäbe (ihre Namen wurden nicht genannt), die die Angaben unserer objektiven Radarkontrolle analysiert und danach erklärt hätten, unsere Radare hätten die Rakete nicht gesehen, weil sie sehr schnell geflogen wäre. Für Spezialisten ist die Absurdität dieser Erklärung offensichtlich. Deshalb haben wir natürlich gewisse Fragen, wenn wir vom unabhängigen Staatsanwalt, der sich mit der Ermittlung befasst, hören, es würde anonyme Dementis der von mir erwähnten Eigenschaft geben. Natürlich haben wir gewisse Fragen, besonders vor dem Hintergrund der ständigen Beschuldigungen, wir würden versuchen, die Ermittlung in die falsche Richtung zu lenken. Dabei hat die Gemeinsame Ermittlungsgruppe gar keine Fragen an die Ukraine bezüglich ihres Beitrags zur Ermittlung. So wurde bisher kein einziger von den ukrainischen Fluglotsen, die an jenem Tag gearbeitet hatten, verhört. Die Ermittlung bekam von der Ukraine keine Angaben der Radarbeobachtung. Frappant ist auch die offizielle Erklärung der niederländischen Seite, dass die Frage nach den Gründen, aus denen die Ukraine ihren Luftraum nicht geschlossen hatte (und sie wurde von vielen gestellt), kein Gegenstand der Ermittlung der Gemeinsamen Gruppe sei.
Ich sage das nicht, um als Antwort auf die erste Frage bei der Pressekonferenz diplomatische Schritte gegenüber der Ukraine zu fordern, die mit der Ermittlung nicht kooperiert, ich erwähne das wie ein Fakt. Deswegen möchte ich Kollegen nochmals dazu aufrufen, keine Versionen abzulehnen, nicht zu versuchen, alle vorhandenen Angaben an die bereits bekannte und von Medien mehrmals bekanntgegebene Version vor dem Abschluss der Untersuchung anzupassen. Wie mein Kollege sagte, sollte man Wahrheit anstreben. Das betrifft nicht nur die Katastrophe mit der malaysischen Boeing, sondern auch alle Themen, die wir heute besprachen, vor allem die mit der Anwendung von C-Waffen in Syrien bzw. Salisbury verbunden sind.
Frage: Der Regierungschef der Niederlande Mark Rutte sagte, dass falls die USA Syrien treffen, wird er sich dazu mit Verständnis verhalten. Wie schätzen Sie solche Position der niederländischen Regierung ein?
Sergej Lawrow: Hängt davon ab, um welches Verständnis es geht. Wenn es darum geht, dass man das einfach zum Wechsel des Regimes von Baschar Assad machen soll – das ist eine Variante. Falls es um das Verständnis geht, dass es doch C-Waffen angewendet wurden, würde ich empfehlen, auf die Ergebnisse der Arbeit der OPCW-Mission zu warten, die nicht sehr schnell, ohne viel Enthusiasmus, doch unter unserem Druck und Druck der syrischen Regierung nach Syrien reiste und morgen in der Früh in Damaskus eintreffen soll. Wir rechnen damit, dass sie ohne Verzögerung nach Duma fahren wird, wo unsere Spezialisten keine Bestätigung für Anwendung der C-Waffen, Chlor bzw. anderen Stoffs vor Ort entdeckten. Wir haben auch unwiderlegbare Angaben, dass es eine weitere Inszenierung war, und daran Sicherheitsdienste eines Staates beteiligt waren, die jetzt in den ersten Reihen des Russland-Hass-Kampagne steht.
Frage: Wie schätzen Sie das Niveau der Kontakte Moskaus und Washingtons in den existierenden bilateralen Kanälen bezüglich der Senkung der Spannung in Syrien vor dem Hintergrund der jetzigen Ereignisse ein? Wird vollständig das Potential dieser Kanäle genutzt? Wie könnten Sie die Erklärung des Kandidaten für den Außenminister-Posten der USA, Mike Pompeo, über den Abschluss der „soft“ Politik der USA gegenüber Russland kommentieren?
Sergej Lawrow: Was die Kanäle betrifft, werden die gebliebenen Kanäle (Gespräche der Präsidenten und regelmäßige Kontakte der Militärs) in diesem Format und in diesen Rahmen genutzt. Wie Sie wissen, gab es vor kurzem ein Telefongespräch zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem US-Präsidenten Donald Trump. Wir sind immer offen für solche Kontakte. Das ermöglicht, einander besser zu verstehen. Auch Militärs kontaktieren. Was geblieben ist, was nicht eingefroren wurde, wird genutzt. Andere Kanäle, auch jene, die eingesetzt werden sollen, werden nicht immer eingesetzt, weil die Amerikaner ohne Erklärung der Gründe im letzten Zeitpunkt auf Treffen verzichten. So war es im Februar, als sie sich im letzten Zeitpunkt weigerten, das vereinbarte Treffen für Cybersicherheit durchzuführen. So war es auch vor wenigen Tagen, als sie sich weigerten, das Treffen für kulturelle und humanitäre Kooperation abzuhalten. Uns werden keine Erklärungen gegeben, weshalb es sehr schwer zu sagen ist, inwieweit die Zahl dieser Kanäle den Bedürfnissen entsprechen wird. Es gibt natürlich solche Bedürfnisse angesichts einer sehr alarmierenden Atmosphäre vor allem bezüglich Syriens, Bedrohungen aus drei westlichen Hauptstädten – ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, und bezüglich der Region im Ganzen. Hoffentlich wird kein weiteres Abenteuer in Syrien nach dem libyschen, irakischen Szenario unternommen. Ich hoffe, niemand wird sich jetzt zu solchem Abenteuer wagen. Allerdings würden unbedeutende Vorfälle erneut zu neuen Wellen der Einwanderer in Europa und zu vielen anderen Erscheinungen führen, die wir und unsere europäischen Nachbarn gar nicht brauchen. Sie können nur jene erfreuen, die mit Ozean geschützt sind und während der andauernden Anstrengungen, die ganze diese Region zu nesteln, in der Seite abwarten wollen, um eigene geopolitische Projekte hier weiter zu entwickeln.
Das sind die Sachen, die besprochen werden sollen, darunter auf der Ebene der außenpolitischen Behörden. Ich hoffe sehr, dass wenn das Außenministerium der USA in einen arbeitsfähigen Zustand gebracht wird, werden solche Kontakte auf der Ebene der Leiter, Stellvertreter, Experten fortgesetzt. Das sollen Kontakte zwischen Diplomaten sein, das heißt, dass man diplomatische Methoden nutzen soll, die keine Ultimaten und Drohungen beinhalten.
Frage: Sie sagten, dass der Skripal-Fall besprochen wurde. Die OPCW veröffentlichte gestern eine kurze Version des Berichts zu diesem Vorfall. Darin steht, dass die Organisation die Schlüsse Londons bestätigt, jedoch vollständige Informationen über den Stoff, darunter die Bezeichnung, in einer geschlossenen Version enthalten sind, die den Ländern verschickt wurde. Haben Sie sie bereits gesehen? Wie würden Sie das kommentieren?
Sergej Lawrow: Dort steht geschrieben, dass die OPCW-Experten die Schlüsse Londons zur chemischen Zusammensetzung dieses Stoffs bestätigen. Solche Politiker wie Boris Johnson versuchten erneut, die Wahrheit zu verzerren und zu erklären, dass die Erklärung der OPCW die Unterstützung aller Schlüsse Großbritanniens ohne Ausnahmen bedeutet, darunter „highly likely“. Das ist ein weiterer Exzess dieses Politikers, alle haben sich bereits daran gewöhnt.
Ich betone nochmals, dass die OPCW ausschließlich die Zusammensetzung des chemischen Stoffs bestätigte. Im geschlossenen Teil des Berichts wird seine ausführliche, lange chemische Formel angegeben. Dort werden keine Literatur-Beschreibungen angegeben. Es heißt nur, dass dieser Stoff nicht aus der Liste stammt, die in der Chemiewaffenkonvention festgeschrieben ist und gemäß der die Mitgliedsstaaten Berichte erstatten sollen. Wir analysieren jetzt diesen Bericht. Dort gibt es sehr interessante Momente. In der nächsten Zeit werden wir uns bemühen, darüber öffentlich zu sprechen, wenn unsere Experten und Experten aus profilierten Diensten dieses ziemlich umfassende Dokument analysieren werden.