Rede des Außenministers Russlands S. Lawrow auf dem Gedenkabend für W. Tschernomyrdin, Moskau, 26. Oktober 2011
Sehr geehrte Witalij Wiktorowitsch und Walerij Wiktorowitsch,
Werte Kollegen, liebe Freunde,
Heute veranstalten wir einen Gedenkabend für Wiktor Stepanowitsch Tschernomyrdin – einen Menschen, mit dem alle Anwesenden durch Vieles verbunden waren und sind. Ich bin fest davon überzeugt, darum verwende ich ein Klischee, das in diesem Fall völlig berechtigt ist: „er lebt in seinen Werken weiter". Er lebt in seinen Kindern, Verwandten und seinen nahen Freunden, in all denen, die mit ihm wenigstens ein wenig in Berührung kamen.
Ich bin sicher, dass der strotzende Optimismus dieses Menschen und seine Energie jeden angesteckt haben. Es war ein Mensch mit herausragenden Talenten, der die besten Eigenschaften des russischen Volkes verkörperte, ein Patriot seines Staates – der Russischen Föderation, und davor – der Sowjetunion. Er war immer pflichtbewußt und prinzipiell, der Dienst für seine Heimat ging für ihn über alles. Er ist niemals der Verantwortung ausgewichen, war immer bereit, sie bei der Lösung von äußerst komplizierten Problemen in strategischen Entwicklungsrichtungen unseres Staates zu übernehmen – dies in den Wendemomenten, wo er im Grunde genommen alleine Auge in Auge mit dem Partner blieb und Entschlüsse augenblicklich zu fassen waren.
Ich hatte die Gelegenheit, noch Anfang der 1990-er Jahre, als er das Amt des Regierungschefs der Russischen Föderation gerade erst angetreten hatte, mit ihm zu arbeiten. Ich erinnere mich an einige Episoden, wo seine Qualitäten im vollen Maße zum Ausdruck kamen. So war es, als er in Washington Verhandlungen mit dem Direktor des Internationalen Währungsfonds M. Camdessus führte, um eine positive Antwort auf die Anfrage über die Bereitstellung von Krediten, die damals für unser Land äußerst wichtig waren, zu erzielen. Er erklärte, dass wir „die Norden" haben, wohin man „Nahrungsmittel und Waren einführen muss, weil die Zeit dahingeht und die Navigationszeit bald endet". Und es ist ihm gelungen, diesen raffinierten und feinen Franzosen zu überzeugen – er lauschte allen angeführten Argumenten, obwohl sie mit einer einfachen Sprache dargelegt wurden, zu der man im Internationalen Währungsfonds nicht gewohnt war.
Wir haben zusammen Cape Canaveral besucht. Damals wurden die Grundlagen für die Zusammenarbeit mit den USA, die später in der Schaffung der Internationalen Weltraumstation zum Ausdruck kam, gelegt. Das amerikanische Shuttle-Programm war in vollem Gang und unsere Positionen im Gespräch waren nicht so fest wie jetzt. Und doch ist es Wiktor Stepanowitsch gelungen, günstige und würdige Bedingungen für die Kooperation mit den Vereinigten Staaten im Bereich der Raumfahrt zu vereinbaren. Genauso arbeitete er in der Tschrnomyrdin-Gore-Kommission, die zu einem Prototyp des „Neustarts" wurde und deren positive Erfahrungen wir bis heute nutzen.
Selbstverständlich kennen alle den Fall von Budjonnowsk, als W. Tschernomyrdin im Mittelpunkt des äußerst komplizierten Problems stand und buchstäblich live Entschlüsse zu fassen hatte. Das war die Tat eines echten Mannes, eines echten staatlichen und politischen Funktionärs. Ich bin sicher, dass Wiktor Stepanowitsch sich der Konsequenzen aller seiner Schritte im vollen Maße bewusst war.
Natürlich darf man auch seine Arbeit im Außenministerium Russlands nicht vergessen. Es war eine große Ehre für uns, als W. Tschernomyrdin nach seiner langen Amtszeit auf dem Posten des Regierungschefs Russlands zum russischen Botschafter in Kiew und zum Sondervertreter des Präsidenten für Beziehungen mit der Ukraine ernannt wurde. Auf diesen Posten zeigte er sich erneut als ein Mensch, der weit hinter den Horizont blickt und die heutigen Probleme und Komplikationen immer an den strategischen Interessen der Heimat misst. Er hat sich nicht von der Ukraine abgetrennt und Sie wissen, dass auch er für die Ukraine kein Fremder war. Umfragen haben gezeigt, dass er, wenn er seine Kandidatur zum Präsidenten der Ukraine aufstellen würde, mit einem bedeutenden Vorsprung gesiegt hätte. Ich möchte selbstverständlich nichts schlechtes über die Menschen, die sich um diesen Posten beworben haben, sagen, aber sie selbst haben es ihm gesagt. Und diese Tatsache ist sehr wichtig, um die Größe der Persönlichkeit von W. Tschernomyrdin zu verstehen.
Wiktor Stepanowitsch war ein sehr großzügiger Mensch. Großzügig mit der Hilfe an Freunde und Verwandte, sowie an nicht besonders nahe Menschen. Großzügig mit seinem Talent, den er niemals für Selbstwerbung nutzte, sondern immer im Dienst seiner Heimat gebrauchte. Seine Charme ist legendär, sein Humor wurde zur Klassik, er widerspiegelt unsere Epoche im vollen Umfang, unter anderem im Hinblick auf den diplomatischen Dienst. Auf einem Empfang, wo verschiedene Getränke angeboten wurden, hat Wiktor Stepanowitch Whisky gewählt. Der Kellner fragte ihn, ob er ihn mit Wasser verdünnen soll. Daraufhin hat Wiktor Stepanowitch ihn streng angeschaut und geantwortet: „Wenn man es verdünnen müsste, so hätte man es bereits in der Brennerrei gemacht". Somit war bei ihm auch mit dem diplomatischen Zeremoniell und Protokoll alles in Ordnung.
Bei der Kommunikation mit Menschen, die ihm nicht gleichgültig waren, spürte man, wie wichtig für ihn Stabilität und Sicherheit im Rücken waren: seine Familie, seine verstorbene Frau Walentina Fjodorowna, seine Kinder, Enkelkinder und überhaupt alles, was das das einfache menschliche heimische Glück ausmacht.
Ich bin allen, die heute zu diesem Abend gekommen sind, sehr dankbar. Wir wollten ihn informell und menschlich machen – so, wie Wiktor Stepanowitsch Tschernomyrdin war und wie er für immer in unseren Herzen bleibt.