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Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, mit russischen und ausländischen Medien am 25. November 2015 in Moskau

2294-25-11-2015

Sergej Lawrow: Ich habe gerade das Telefongespräch mit dem Außenminister der Türkei Mevlüt Çavuşoğlu beendet. Es wurde erst gestern vereinbart und er bat heute morgen dringend um einen Telefonkontakt. Ich stimmte natürlich zu. Wir warteten gestern natürlich auf Erklärungen der türkischen Seite, vielleicht auch auf der höheren Ebene, doch besser ist später als nie.

Der Außenminister der Türkei, Mevlüt Çavuşoğlu, begann damit, dass er tiefes Beileid wegen des Todes der russischen Militärs ausdrückte. Er äußerte Bedauern angesichts des Geschehenen, versuchte jedoch zugleich die Handlungen der Luftstreitkräfte der Türkei damit zu rechtfertigen, dass das Flugzeug trotz mehrerer Warnungen den türkischen Luftraum verletzte, wobei er für 17 Sekunden in den Luftraum der Republik Türkei einflog. Er sprach ebenfalls darüber, dass die türkischen Fluglotsen und Piloten nicht wussten, dass es das russische Flugzeug war, weil dort auch syrische Luftstreitkräfte fliegen (ich betone, dass dort auch Nato-Flugzeuge fliegen). Auch wenn ausgehend aus dem 17-Sekunden langen Aufenthalt im Luftraum sofort das Feuer eröffnet wird, kann man auch auf die eigenen treffen. Zudem gibt es im Dokument, das wir mit den Amerikanern unterzeichneten (ich sagte darüber dem Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu), wo Maßnahmen zur Vorbeugung der unabsichtlichen Vorfälle vorgelegt werden sollen, einen Punkt, wo es steht, dass die Amerikaner die Verpflichtungen übernehmen, dass alle Teilnehmer der Koalition ohne Ausnahme dem in diesem Dokument vereinbarten Verfahren folgen sollen. Ich fragte bei meinem türkischen Kollegen, ob die Türken ihre Handlungen gegen die russischen Flugzeuge mit Amerikanern als Leiter der Koalition abstimmten. Er konnte mit nichts antworten. Ich erinnerte ihn ebenfalls daran, dass auf russische Initiative seit Beginn der Operation der Luftstreitkräfte Russlands zwischen dem Nationalen Zentrum für Steuerung der Verteidigung Russlands und dem türkischen Verteidigungsministerium eine Draht de Notverbindung aufgenommen wurde, die weder gestern noch früher genutzt wurde. Das löst ebenfalls große Fragen aus.

Wir haben ernsthafte Zweifel daran, dass es ein unabsichtlicher Akt war. Das ähnelt stark einer geplanten Provokation, wovon Reportagen zeugen, die sie und ihre Kollegen machen, indem die zuvor vorbereiteten Videoaufnahmen und viele Beweise dafür gezeigt werden, dass das alles geplant wurde. Obwohl mein Kollege mir anderes zusicherte, übergab ich ihm ausführlich die Einschätzungen, die gestern vom Staatschef der Russischen Föderation, Wladimir Putin, am Beginn des Treffens mit Jordaniens König Abdullah II. dargelegt wurden, ich führte zusätzliche Fakten an, die wir jetzt analysieren. Ich erwähnte unter anderem, dass es nach letzten Informationen in diesem Gebiet, das unsere türkische Kollegen als mit Turkmenen besiedelt bezeichnen, wie gestern Russlands Präsident Wladimir Putin sagte, Hunderte und vielleicht sogar Tausende Extremisten aus der Russischen Föderation gibt, die eine direkte Bedrohung für unsere Sicherheit und Sicherheit unserer Menschen darstellen, doch in diesem Gebiet befindet sich auch die Infrastruktur der Extremisten, darunter Waffen- und Munitionslager, Kommandozentralen, Versorgungspunkte. Ich fragte, ob solche Aufmerksamkeit der Türkei zu diesem Gebiet darunter ständige Vorschläge, eine Pufferzone auf diesem Territorium zu schaffen, das Streben bedeuten, diese Infrastruktur abzugrenzen und ihre Vernichtung zu verhindern. Auf diese Frage habe ich ebenfalls keine Antwort bekommen.

Ich sagte ebenfalls, dass auch die Situation mit dem illegalen Ölhandel und der Ölindustrie im Ganzen, die die ISIL auf eigenem Territorium schuf, angesichts des gestrigen Angriffs der türkischen Luftwaffe auf das russische Flugzeug in einer neuen Dimension erscheint. Das Geschehene ereignete sich nachdem unsere Fliegerkräfte gezielte und effektive Angriffe auf diese Tanklaster und Ölvorkommen flogen.

Ich erinnerte auch daran, dass als sich unsere Präsidenten am Rande des G20-Gipfels in Antalya trafen, sondierte die türkische Seite erneut das Thema der Pufferzone, der Flugverbotszone. Ich äußerte dir Hoffnung, dass solche Versuche, die mit dem Eindringen auf das syrische Territorium, das Territorium eines souveränen Staates verbunden sind, keine Fortsetzung bekommen und dass der gestrige Angriff auf unser Flugzeug und die ganze Situation nicht genutzt wird, um diese Idee der Schaffung der Flugverbots- und Pufferzone zu fördern. Ich machte darauf aufmerksam, dass nach der gestrigen Sitzung des Nato-Rats, die die Türken auf der Ebene der Nato-Botschafter in Brüssel einberiefen, sehr seltsame Einschätzungen zu hören waren, die keine Bedauern und Beileid enthielten und hatten es zum Ziel, das gestrige Vorgehen der türkischen Luftstreitkräfte zu decken. Eine ebenso seltsame Reaktion war auch seitens der Europäischen Union zu hören.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sicherte das Streben, Freundschaftsbeziehungen aufzubewahren, sprach erneut, dass es das Recht der Türkei ist, Angriffe auf jede Verstoße des Luftraums zu fliegen. Er erinnerte daran, dass entsprechende Aufrufe bereits Anfang Oktober gemacht wurden, als ein russisches Flugzeug für einige Sekunden, in den türkischen Luftraum flog und diese Episode ausschöpfende Erklärungen unserer Seite bekam. Doch er berief sich auf die Warnung, dass die türkischen Luft- und Weltraumstreitkräfte nächstes Mal reagieren müssen.

Es gab tatsächlich solche Warnungen, doch unsere Angaben der objektiven Kontrolle, wie sie wissen, zeigen, dass sich das Flugzeug im syrischen Luftraum befand, wo es abgeschossen wurde und vier Kilometer von der türkischen Grenze stürzte. Doch auch wenn man daran glaubt, was unsere Nato-Kollegen sagen und was heute der Außenminister der Türkei Mevlüt Çavuşoğlu mir sagte, dass sich das Flugzeug im türkischen Luftraum 17 Sekunden befand, erinnerte ich mich sofort an den Fall, der sich vor drei Jahren ereignete, als die syrische Tragödie erst begann. Damals warf Ankara Damaskus es vor, dass die syrischen Luftstreitkräfte ein türkisches Flugzeug abschossen, indem er den syrischen Luftraum verletzt haben soll. Recep Tayyip Erdogan, der damals Regierungschef war, sagte damals im Parlament, dass eine kurze Verletzung des Luftraums bzw. der Grenze nicht als Vorwand zur Gewaltanwendung angesehen werden könne. Ich erinnerte meinen türkischen Kollegen an diese Äußerung, er konnte mir ebenfalls nichts darauf antworten, wiederholte nur, dass sie nicht wussten, was es für ein Flugzeug war.

Das Gespräch dauerte etwa eine Stunde. Als Antwort auf seine Aufrufe, die guten Beziehungen beizubehalten und den Dialog zum Geschehenen aufzunehmen, bestätigte ich das gestern von Präsident Wladimir Putin Gesagte. Erstens sollte der Dialog vor einer fragwürdigen Gewaltanwendung vorangebracht werden. Zudem bin ich davon überzeugt, dass Freundschaftsbeziehungen zwischen dem russischen und dem türkischen Volk nicht von den Handlungen der Politiker abhängen, doch was die jetzige Etappe der Beziehungen, die Vereinbarungen betrifft, die wir mit der türkischen Regierung schlossen, die jetzt in Ankara arbeitet, wie Russlands Präsident Wladimir Putin sagte, werden wir sie unter dem Aspekt des Angriffs auf unser Flugzeug neu bewerten. Damit beende ich die Einleitung. Für Fragen stehe ich jetzt zur Verfügung.

Frage: Eine Frage zur neuen Bewertung unserer Beziehungen. Die Türkei war tatsächlich ein befreundetes Land, das sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen hat, was wir sehr hoch schätzten. Auf einmal verwandelte sich das Land aus einem befreundeten in ein unbefreundetes. Jetzt interessiert alle die Frage, wie die Beziehungen aufgebaut werden. Werden wir gegen die Türkei kämpfen? Für uns bedeutet die Türkei vor allem Tourismus, die geplante Turkish-Stream-Pipeline, türkische Bauarbeiter, Importe. Man sollte auch nicht die Meeresengen übersehen, durch die unsere Schiffe aus dem Schwarzen ins Mittelmeer gelangen. Wie kann dies unsere Beziehungen in der Zukunft beeinflussen? Wird die seit vielen Jahren aufgebaute Partnerschaft nicht abgebaut?

Sergej Lawrow: Wir haben es nicht vor, gegen die Türkei zu kämpfen. Das Verhalten zum türkischen Volk hat sich nicht geändert. Wir haben Fragen hinsichtlich der Handlungen der jetzigen türkischen Führung. Ich nannte eine Reihe der Fakten, die vom Vorhandensein des guten Willens zeugen, das wir immer wollten, praktische, pragmatischen Beziehungen mit den türkischen Nachbarn aufzubauen, darunter im Kontext der Syrien-Krise, insbesondere als wir die Operation der Luft- und Weltraumkräfte in der Arabischen Republik Syrien auf Bitte des offiziellen Damaskus begannen.

Russlands Präsident Wladimir Putin betonte gestern, dass wir immer anstrebten, sich mit Respekt gegenüber den regionalen Interessen unserer Nachbarn zu verhalten, darunter regionale Interessen der Türkei. Ich sage jetzt, weil dies jetzt kein Geheimnis sein soll, dass viele Fakten- über die wir jetzt sprechen (wie Terroristen das türkische Territorium zur Vorbereitung ihrer Operationen in Syrien und der Terroranschläge in verschiedenen Ländern nutzen, wie damit offizielle türkische Behörden versuchen oder nicht versuchen zu kämpfen) seit langem allen bekannt waren. Man kann nicht sagen, dass wir darauf Auge zudrücken wollten, doch wir versuchten ständig, legitime Interessen unserer türkischen Nachbarn zu berücksichtigen und vertrauensvoll beim Dialog diese Position zu erklären und davon zu überzeugen, dass eine ausgewogenere Außenpolitik durchgeführt werden soll, die nicht nur auf Assads Sturz auf jedem Wege gezielt ist, wobei Verbündetenbeziehungen mit grausamen Extremistengruppierungen aufgenommen werden. Wir haben diese Arbeit nie offengelegt, äußerten nie irgendwelche negative Einschätzungen der Handlungen der türkischen Behörden, riefen immer zur Suche nach konstruktiven gemeinsamen Handlungen im bilateralen Format und im Kontext der multilateralen Anstrengungen zur Regelung der Syrien-Krise, Antiterrorkampf auf. Leider antwortete Ankara nicht mit Gegenseitigkeit, lange vor Beginn der Handlungen der russischen Luft- und Weltraumtruppen waren die Einschätzungen der Politik Russlands in der Syrien-Krise ungehörig für die Spitzenpolitiker der Republik Türkei.

Was konkret die von Ihnen gestellten Fragen betrifft – Aspekte unserer Zusammenarbeit, die Gegenstand der Zwischenregierungsabkommen sind, die entweder unterzeichnet sind oder vorbereitet werden, hat die Regierung Russlands jetzt den Auftrag und betrachtet den ganzen Komplex der Beziehungen. Wir wollen natürlich nicht Probleme für die türkischen Hersteller und Exporteure künstlich schaffen, die natürlich keine Verantwortung für das Geschehene tragen, wir wollen keine überflüssige Probleme auch für unsere Staatsbürger und Unternehmen bereiten, die mit der türkischen Seite zusammenwirken. Doch wir können das Geschehene nicht ohne Reaktion nicht aus dem Grund lassen, weil wir unbedingt eine Antwort geben müssen. Auf dem türkischen Territorium häuften sich zu viele Erscheinungen, die eine Terrorbedrohung für unsere Staatsbürger und nicht nur unsere Staatsbürger darstellen. Das ist eine Art Plattform, die kaum von jemandem kontrolliert wird, obwohl auch Informationen kommen, dass diese Prozesse von Sicherheitsdiensten begleitet werden. Wir haben eine komplexe Situation, die eine zwischenbehördliche Analyse erfordert, die schnell durchgeführt und darüber dem Präsidenten der Russischen Föderation berichtet wird. Ich hoffe, dass alles schnell läuft. Wir werden keine Vorschläge machen, die künstlich Entfremdung zwischen unseren Völkern schaffen werden.

Was konkrete Maßnahmen betrifft, die bereits getroffen wurden, ich meine die Empfehlung an die unseren Staatsbürger, die Türkei nicht zu besuchen – ist es keine Rache, die nach heißen Spuren gemacht wurde. Wir schätzten objektiv das Vorhandensein der Terrorbedrohungen in der Türkei ein. Diese Empfehlung erfolgte auf Grundlage einer objektiven und allumfassenden Analyse der Situation.

Frage: Wir schätzen Sie die Reaktion der Nato auf den Vorfall ein? Das ist doch der ernsthafteste Vorfall in den Beziehungen zwischen der Nato und Russland seit 1950.

Sergej Lawrow: Ich sagte bereits, dass ich die Erklärung des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg hörte. Mir schien es, dass es eine etwas gequälte Erklärung war, die das Vorgehen der türkischen Seite verdecken sollte. Die Nato zählt doch 28 Mitglieder, deswegen konnte die gestrige Diskussion in Brüssel nicht geheim gehalten werden, wir bekamen auch Informationen. Die Diskussion war sehr heiß. Gegenüber der Türkei wurden wegen des Angriffs auf das russische Flugzeug sehr harte Äußerungen gemacht, doch die Solidarität der Verbündeten und das Konsensprinzip dominierten. Wir verstehen natürlich, dass die Türkei nie kritische Kommentare des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg überhören würde. Doch wir wissen auch, dass die Erklärung des Nato-Generalsekretärs nicht wörtlich mit allen abgestimmt wurde. Er übernahm die Verantwortung, hörte wohl den führenden Nato-Mitgliedern zu und sagte, was er sagte. Ich würde insbesondere seine Phrase hervorheben (ich sagte es heute dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu), deren Hauptsinn darin besteht, dass das gestrige Geschehene erneut die Notwendigkeit betont, Maßnahmen im Kontext der gefährlichen Annäherung der russischen Militärinfrastruktur an die Nato-Grenzen zu treffen. Ich hoffe, dass alle hier anwesenden Menschen gut verstehen und man ihnen nicht erklären soll, welchen heuchlerischen Hintergrund es hinter dieser Erklärung steckt. Ungefähr dasselbe sagten auch die Vertreter der Europäischen Union.

Federica Mogherini tritt heute im EU-Parlament auf, sie bat ebenfalls um ein Telefongespräch. Vielleicht nach dem Treffen mit Ihnen haben wir diese Möglichkeit.

Frage: Sie wollten in die Türkei fliegen, um eine mögliche Teilnahme dieses Landes an der Allianz mit Russland im Kampf gegen IS zu besprechen. Ist diese Möglichkeit für immer verloren gegangen oder gibt es bestimmte Voraussetzungen, unter denen Russland bereit ist, diese Teilnahme zumindest zu besprechen?

Sergej Lawrow: Ich wollte in die Türkei aus einem anderen Grund fliegen – wir hatten eine bis zum gestrigen Tag gültige Struktur eines zwischenstaatlichen Dialogs. Die Spitze dieses Dialogs ist ein Gemeinsamer Russisch-Türkischer Kooperationsrat auf höchster Ebene (Präsidentenrat) unter Teilnahme der wichtigsten Minister. Als Koordinierungsstruktur gilt die Russisch-Türkische Gemeinsame Gruppe für strategische Planung, die von den Außenministern geleitet wird. Für heute war in Istanbul eine weitere Sitzung dieser Gruppe geplant (sie finden abwechselnd in der Türkei und in Russland statt). Nach dem gestrigen Angriff wurde selbstverständlich die Sitzung abgesagt. Bislang haben wir keine Pläne, der Republik Türkei Besuche abzustatten bzw. die türkischen Kollegen hier zu empfangen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu versteht, dass das unvermeidlich war – das sagte er mir auch zur Absage des heutigen Treffens und äußerte die Hoffnung, dass wir irgendwo am Rande internationaler Veranstaltungen „uns hinsetzen und alles ruhig besprechen können“. Unter anderem erwähnte er dabei den OSZE-Außenministerrat, dessen Sitzung am 3. und 4. Dezember in Belgrad stattfindet. Ich habe mich nicht engagieren lassen, denn vor allem müssen wir nicht „alles ruhig besprechen“, sondern alle Aspekte und Folgen der jüngsten Ereignisse verstehen. Wir vermeiden gegenseitige Kontakte nicht, und mein heutiges Telefonat mit Herrn Çavuşoğlu ist ein Beweis dafür.

Die Frage nach der Koalition zur Terrorbekämpfung ist sehr gut. Formell ist die Türkei Mitglied der von den USA gebildeten Koalition. Neben den im russisch-amerikanischen Memorandum über Vermeidung von Zwischenfällen in der Luft, das von den Militärbehörden beider Länder vereinbart wurde, und der Ergreifung der in dem Memorandum aufgezählten konkreten Maßnahmen schrieben die Amerikaner in dem Dokument fest, dass es für alle Koalitionsmitglieder gilt, auch für die Türkei. Aber die Türken haben keine Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, die das russisch-amerikanische Dokument vorsieht. Neben diesem Dokument hat die von den USA angeführte Koalition auch eine interne Disziplin. Manche Koalitionsmitglieder, darunter diejenigen von ihnen, die ihre Kampfjets für Luftschläge gegen das irakische und syrische Territorium bereitstellten, haben uns vertraulich mitgeteilt, dass die USA von allen Koalitionsmitgliedern verlangen, ihre Zustimmung den Luftschlägen einzuholen, weil es sich dabei um in den USA gebaute Flugzeuge handelt. Soweit ich verstehe, wurde unser Flugzeug von einem in den USA gebauten Kampfjet F-16 abgeschossen. Ich bin neugierig, ob diese Forderung der USA, ihre Zustimmung einzuholen, auch für die Türkei gilt. Und wenn ja, dann bin ich neugierig, ob die Türkei die Zustimmung der USA eingeholt hat, dass die türkischen Kampfjets abheben und in der Luft über Syrien ein Flugzeug abzuschießen, selbst sie wenn dieses Flugzeug wirklich nicht erkannt hatten. Da stellen sich sehr viele Fragen.

Der französische Präsident Francois Hollande, den wir morgen in Moskau erwarten, weilte in Washington und gab dort eine gemeinsame Pressekonferenz mit US-Präsident Barack Obama. Die beiden Spitzenpolitiker verwiesen darauf, dass die Schläge nur gegen die IS-Stellungen geführt werden sollten und dass Russland „richtig“ vorgehen würde, wenn es seine Schläge auf die IS-Stellungen beschränken würde. Aber erstens handelt es sich in allen Dokumenten, darunter im Rahmen des „Wiener Prozesses“, „um den Islamischen Staat, die al-Nusra-Front und andere terroristische Gruppierungen“. Ich verstehe, dass es unseren westlichen Partnern schwer fällt, von dieser engen Interpretierung der Aufgaben zur Terrorbekämpfung abzuweichen, denn sobald es sich um die Festlegung handelt, wer als Terrorist gelten soll, kommt es innerhalb der westlichen Koalition zu großen Kontroversen. Es gibt kurdische Abteilungen. Die USA halten sie für ihre Verbündeten, rüsten sie auf und beraten sie. Aber die Türkei hält sie für Terroristen. Ohne die Klärung dieser Frage wird es sehr schwer, Fortschritte zu machen. Es gibt auch Gruppierungen wie Ahrar al-Scham, deren Zusammenwirken mit IS und der al-Nusra-Front öfter nachgewiesen wurde. Es gibt auch andere Gruppierungen, die furchtbare Gräueltaten gemeinsam mit den Terroristen betrieben, die man aber versucht, als „gemäßigte Oppositionellen“ darzustellen, damit sie als Partner an den Verhandlungen mit der syrischen Regierung teilnehmen können. 

Die zwei Wiener Treffen der Koalition (ich spreche jetzt über die Koalition, die sich mit dem politischen Prozess befasst, aber sie wird sich unvermeidlich auch mit den Anti-Terror-Aspekten beschäftigen) endeten damit, dass wir folgendes vereinbart haben: Erstens müsste der politische Prozess von den Syrern selbst geführt werden. Nur die Syrer können und dürfen das Schicksal ihres Landes bestimmen, darunter das Schicksal des Präsidenten Baschar al-Assad. Zweitens müssen für den Beginn dieses Prozesses so schnell, wie nur möglich, Verhandlungen zwischen den Oppositionellen und der Regierung Syriens einberufen werden, die unter der Schirmherrschaft der UNO verlaufen würden. Zu diesem Zweck muss aber endlich bestimmt werden, wer die Opposition im Rahmen einer einheitlichen Delegation vertreten darf. Diese Aufgabe wurde vor dem UN-Beauftragten gestellt, der sich jetzt mit der Zusammenfassung der Vorschläge befasst, welche konkreten syrischen politischen Gruppierungen (möglicherweise auch unter Beteiligung von Vertretern der bewaffneten patriotischen Opposition Syriens) am Verhandlungstisch mit der Regierung Syriens Platz nehmen dürfen. Drittens wurde vereinbart, dass eine allgemeine Liste von terroristischen Organisationen erstellt werden sollte. Mit dieser Arbeit wurde Jordanien beauftragt. Gestern in Sotschi wurde dieses Thema bei den Verhandlungen mit dem jordanischen König Abdallah II. und dem Außenminister dieses Landes, Nasser Judeh, besprochen. Sie befassen sich derzeit mit Vorbereitungsmaßnahmen, aber dieser Prozess wird schwierig sein – solange es keine einheitliche Liste der Terrororganisationen gibt, für die die Feuereinstellung nicht gelten wird (irgendwann wird die Feuereinstellung immerhin infrage kommen), solange es keine einheitliche Liste der Oppositionsdelegation gibt. Jegliche Behauptungen, die in letzter Zeit zu hören sind, Russland hätte sich endlich für eine intensivere Beteiligung am politischen Prozess entschieden, sind nicht wahr. Russland hatte nie nachgelassen, seitdem es sich um den politischen Prozess bemüht – angefangen mit der Verabschiedung auf unsere Initiative der Genfer Erklärung vom 30. Juni 2012, die wir sofort in den UN-Sicherheitsrat einbrachten, die aber die Amerikaner und Europäer nicht billigen wollten, weil die Genfer Erklärung nach ihrer Auffassung mit dem Punkt vervollkommnet werden sollte, dass Assad gehen müsste. Am Ende wurde dieses Dokument erst anderthalb Jahre später vom UN-Sicherheitsrat gebilligt, als eine Resolution zur Entsorgung chemischer Waffen in Syrien verabschiedet wurde. Auch später handelten wir initiativvoll, indem wir in Moskau mehrere Treffen der syrischen Oppositionellen mit Vertretern der syrischen Regierung  organisierten, diverse Dokumente verabschiedeten und andere zum Zusammenwirken aufforderten. Aber die anderen, darunter die Mitglieder der von den USA angeführten Koalition, setzten auf eine militärische Lösung dieses Problems, nämlich auf den Sturz des Assad-Regimes. Und erst als sie einsahen, dass ihnen das nicht gelingt, haben sie ihre Position endlich geändert.

Wir bleiben unserer Position treu – sie ist offen und ehrlich. Wir müssen nicht, wie einige von unseren Partnern, darunter in Europa, unsere Stellung mit diversen, kaum verständlichen Aussagen tarnen. Wir rechnen, dass auch die anderen so vorgehen werden. Bei aller Wichtigkeit des Wiener Prozesses sind weitere Treffen in diesem Format kaum möglich, solange der beim Treffen am 14. November gefasste Beschluss bezüglich der Zusammensetzung der Oppositionsdelegation bei den Verhandlungen mit der syrischen Regierung sowie bezüglich der Erstellung einer einheitlichen Liste terroristischer Organisationen nicht ins Leben umgesetzt wird. Jedenfalls erwarten wir dann keinen positiven Effekt. Ich habe das unseren westlichen Partnern mitgeteilt, darunter dem US-Außenminister John Kerry, der mich vor einigen Tagen anrief und vorschlug, ein weiteres Treffen schnellstmöglich einzuberufen. Ich sagte, dass es nichts als eine Zeitvergeudung wäre, wieder zusammenzukommen und wieder über Assads Schicksal zu streiten. Wir müssen uns in Bezug auf die Terroristen und die Zusammensetzung der Oppositionsdelegation einigen. Ohne das wird es keinen Fortschritt geben: Die Verhandlungen beginnen nicht, und die Feuereinstellung kommt nicht infrage.

Frage: Was müsste die Türkei tun, damit die Empfehlung an russische Staatsbürger, dieses Land nicht zu besuchen, außer Kraft gesetzt wird? Wird der reguläre Flugverkehr mit der Türkei abgeschafft?

Sergej Lawrow: Damit beschäftigen wir uns gerade. Ich will jetzt keine konkreten Maßnahmen erwähnen, denn ein Kollege stellte Fragen bezüglich konkreter Aspekte unseres Zusammenwirkens. Jetzt wird alles gründlich analysiert.

Es stellt sich die Frage, was die Türkei tun müsste, damit sich unsere Beziehungen wieder normalisieren. Wissen Sie, man müsste wohl feststellen, dass solche Überfälle wie gestern absolut inakzeptabel sind.

Heute hat der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zwar sein Bedauern und Beileid geäußert, aber ansonsten bemühte er sich um die Rechtfertigung der türkischen Position. Ich führte Fakten anlässlich des Verhaltens der Türkei zu den Verletzungen des syrischen Luftraums durch ihre Flugzeuge an und verwies darauf, dass türkische Flugzeuge im Durchschnitt 1500 Mal im Jahr den griechischen Luftraum verletzen. Griechenland protestiert darüber regelmäßig, aber erfolglos.

Gestern hat mich der griechische Außenminister Nikolaos Kotzias angerufen und ebenfalls seine Solidarität nach dieser Tragödie geäußert. Er betonte, dass die etwa 1500 Fälle der Verletzung des griechischen Luftraums durch türkische Flugzeuge fast Alltag geworden seien. Dabei nehme er die Erklärung nicht an, dass eine Verletzung des türkischen Luftraums für 17 Sekunden, wie das die Nato behautet (selbst wenn das tatsächlich so war), ausreichend für einen Angriff eines Nato-Flugzeugs auf ein Militärflugzeug der Russischen Föderation wäre.

Da wollen wir keine Rezepte empfehlen. Die türkische Führung sollte wohl selbst daran denken, wie man in ihrem Land zu leben hat. Heute sprach der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor der Eröffnung einer Sitzung des Präsidiums des Staatsrats von den Trends im politischen Leben der Türkei. Das ist allgemein bekannt. Jedenfalls  ist die Beseitigung der Ursachen (und natürlich auch der Folgen), die dazu geführt haben, dass das türkische Territorium für die Vorbereitung von terroristischen Abteilungen, für die Versorgung und Finanzierung der Kämpfer genutzt wird, ein äußerst wichtiger Faktor.

Zurück zur Pressekonferenz der Präsidenten Frankreichs und der USA, Francois Hollande und Barack Obama, in Washington. Ich bemerkte, dass Herr Hollande vorgeschlagen hat, Maßnahmen zur Schließung der türkisch-syrischen Grenze zu ergreifen und die Zuwanderung der Kämpfer und die Unterstützung der Terroristen  zu stoppen. Auffallend war, dass US-Präsident Obama darauf nicht reagierte. Meines Erachtens ist das eine richtige Initiative. Hoffentlich wird der französische Präsident morgen uns darüber ausführlich erzählen. Wir wären bereit, die dafür nötigen Maßnahmen zu erwägen. Viele sagen, dass mit der Schließung dieser Grenze die terroristische Gefahr in Syrien unterbunden werden könnte.

Frage: Wie war nach Ihrer Auffassung das wahre Ziel der türkischen Seite, als sie das russische Flugzeug angriff? Wie reagierten internationale Gremien darauf? Wird die russische Seite eine internationale Ermittlung dieses Zwischenfalls verlangen?

Sergej Lawrow: Ich kann nicht über die wahren Ziele urteilen. Wir verfügen über jede Menge von Informationen, die bestätigen, dass es sich um eine vorsätzliche und geplante Aktion handelt. Manche von unseren Partnern, die gestern Kontakt mit uns aufnahmen, sagten, das sei eine offenbare Lauer gewesen – man hätte darauf gewartet und nach einem Anlass gesucht. Es ist mir schwer zu sagen, warum das getan wurde. Manchmal gibt es gewisse innenpolitische Überlegungen (obwohl die Wahlen in der Türkei erst stattgefunden haben). Manchmal gibt es gewisse Überlegungen im Kontext der Kontakte mit ausländischen Partnern, Verbündeten, „großen Brüdern“. Ich will jetzt gar nicht raten und spekulieren.

Falls Sie mit den entsprechenden Gremien die Nato und die EU meinen, dann haben sie tatsächlich darauf reagiert. Die Türken verbreiteten im UN-Sicherheitsrat ein Schreiben, in dem sie ihre Version darstellten, ihr Luftraum wäre öfter verletzt worden, und sie hätten in diesem Fall davor gewarnt, aber das Flugzeug wäre trotzdem für 17 Sekunden in ihren Luftraum geflogen, und sie hätten keine andere Wahl gehabt.

Aber ernsthafte Experten und Politiker kann so etwas nicht beeindrucken. Wir haben keine Briefe an die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats geschrieben, sondern im UN-Sicherheitsrat einfach den ganzen Wortlaut der gestrigen Erklärung Präsident Putins vor den Verhandlungen mit dem jordanischen König Abdallah II. verbreitet. Jetzt ist das ein offizielles Dokument des UN-Sicherheitsrats. Wir verfügen auch über andere Unterlagen, die wir unseren Partnern vorweisen können. Unter anderem geht es um die Angaben der objektiven Kontrolle der Flugroute unseres Flugzeugs. Das russische Verteidigungsministerium hat diese Angaben bereits verbreitet.

Frage: Könnte die Situation um das abgeschossene Flugzeug eine negative Rolle für Russlands Bemühungen um die Bildung einer umfassenden Koalition für den Kampf gegen IS spielen? Welche Signale gab es aus Washington und Paris? Wie sind Ihre Erwartungen vom morgigen Treffen der Präsidenten Wladimir Putin und Francois Hollande?

Sergej Lawrow: Ich habe diese Fragen im Grunde bereits beantwortet. Diese Situation wird definitiv unsere Bemühungen im Rahmen des so genannten „Wiener Prozesses“, im Rahmen der gebildeten Gruppe zur Unterstützung Syriens beeinflussen, in der, wie ich bereits sagte, nicht nur politische Aspekte der Vorbereitung der Gespräche erörtert werden, sondern auch die äußerst wichtige Frage von der Vereinbarung einer einheitlichen Vorgehensweise gegenüber terroristischen Organisationen. Eine solche Vereinbarung wurde bereits getroffen. Diese Liste muss vereinbart werden. Ich denke, dass wir jetzt darauf bestehen werden, dass die Mitglieder dieser Gruppe neben der Liste sich über die Wege einigen, auf denen die Terroristen Unterstützung bekommen. Möglicherweise muss man sich sogar mit gewissen konkreten Ländern auseinandersetzen und Beschlüsse fassen, damit diese Unterstützung gestoppt wird. Meines Erachtens können wir diese Frage auch im UN-Sicherheitsrat aufwerfen. Es wurden gleich mehrere Resolutionen zum Verbot der Ölgeschäfte auf dem von den Terroristen eroberten Territorium verabschiedet, zum Verbot des Handels mit Artefakten sowie zum Verbot anderer Geschäfte mit den Terroristen. Laut manchen Angaben, die wir gerade überprüfen, wurde sogar in den Teilen der Republik Türkei, wo die Terroristen sich in Sicherheit fühlen, der Handel mit menschlichen Organen begangen, nämlich mit Organen der von ihnen getöteten Syrern, die IS-Kämpfer und andere Terroristen aus Syrien bringen. Zu diesem Thema verabschiedete der UN-Sicherheitsrat mehrere Resolutionen, die die Unterbindung des illegalen Ölhandels sowie jedweder anderen finanziellen und sonstigen Geschäfte mit den Terroristen untersagen.

Es ist bereits ein Jahr vergangen, aber wir sehen keine Fortschritte, obwohl die jeweiligen Staaten beauftragt worden waren, über ihre Handlungen zur Umsetzung der Anforderungen des UN-Sicherheitsrats Rede und Antwort zu stehen. Meines Erachtens müsste dieses Thema in New York wieder aufgeworfen werden. Wir versuchen heute, den entsprechenden Auftrag an den UN-Generalsekretär in den UN-Sicherheitsrat einzubringen, was darüber bekannt ist, wie IS unterstützt wird, wie der Handel mit Öl und Artefakten verläuft, wie terroristische Gruppierungen unterstützt werden. Diese Informationen sollten zusammengefasst und uns präsentiert werden – nicht unbedingt in einem offiziellen Bericht, aber wir müssen immerhin einen gewissen Ausgangspunkt haben.

Frage: In den Medien gibt es kaum Informationen über das Schicksal der Piloten der abgeschossenen Su-24. Laut einigen Angaben ist einer von ihnen am Leben geblieben, aber in die Gefangenschaft geraten. Wird man versuchen, seine Heimkehr zu ermöglichen? Wird die Türkei dabei helfen?

Sergej Lawrow: Der Pilot befindet sich bereits auf dem russischen Stützpunkt Hmeimim – das ist Teil unserer Heimat. Er wurde heute von unseren Spezialeinheiten unter Mitwirkung syrischer Experten und Militärs befreit. Das hat bereits Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor zwei Stunden mitgeteilt.


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