Vortrag des russischen Außenministers S.V. Lawrow an der Universität MGIMO (U) des Außenministeriums und Antworten auf die Fragen der Studenten, Moskau, 1. September 2012
Sehr geehrter Anatoliy Wasiljewitsch,
Sehr geehrter Yevgenij Petrowitsch,
Liebe Freunde,
Vor allem möchte Ich allen Studenten und Lehrkräften zum Tag des Wissens gratulieren. Ich freue mich die Tradition der jährlichen Treffen fortsetzen zu dürfen, die wir in unserer Alma Mater abhalten. Besonders freue ich mich über die Statistikdaten, die gerade von Anatoliy Wasiljewitsch verkündet wurden. Hinter diesen Ziffern steckt in Wirklichkeit die hervorragende Bildungsqualität, die die MGIMO (U) gewährt, und großartige Möglichkeiten, damit die Studenten neben dem Wissen als Persönlichkeiten geformt werden, was in der modernen und äußerst wettbewerbsfähigen Welt ziemlich wichtig ist. Die angeführten Angaben, die Geografie der an die MGIMO (U) kommenden Studenten sprechen davon, dass diese Hochschule zu einer der führenden Universitäten der Russischen Föderation geworden ist und ihre internationale Autorität und ihren Platz in der Weltrangliste nachhaltig stärkt.
Die MGIMO (U) vertritt mit Würde unser Land auf unterschiedlichen internationalen Plattformen. Hier ist ein einfaches Beispiel von neulich. Im Rahmen der OSZE wurde ein Beschluss zur Unterstützung der Durchführung einer Forschung bezüglich der Probleme der euroatlantischen und der eurasischen Sicherheit gefasst. Es wurde die Initiative unterstützt, dass eine solche Studie von den führenden Zentren von Deutschland, Frankreich, Polen und Russland realisiert werden soll. Unser Land wurde dabei von Studenten und von wissenschaftlichen Mitarbeitern der MGIMO (U) vertreten. Es ist auch erfreulich, dass viele Absolventen der Universität ihre Wahl zugunsten einer diplomatischen Karriere machen, womit sie helfen die Nachfolgerschaft des russischen diplomatischen Dienstes zu gewährleisten. Im vergangenen Jahr waren 80% der beim Außenministerium neu angestellten Mitarbeiter junge Fachspezialisten aus der MGIMO (U) und aus der Diplomatischen Akademie.
Heute lässt sich im System der russischen Ausbildung und der Hochschulwissenschaft ein erheblicher Zuwuchs an Investitionen beobachten. Wir leisten Mitwirkung, damit die MGIMO (U) dabei nicht umgangen wird, darunter auch bei der Lösung einer solch wichtigen und scharfen Aufgabe, wie der Bau eines neuen Studentenwohnheims.
Zweifellos sind diese Investitionen dazu notwendig, um neue Richtungen der universitären Tätigkeit zu erschließen, innovative Technologien zu nutzen. Es ist erfreulich, dass an diesen großen Anstrengungen wie die russischen, sowie auch die ausländischen Geschäftskreise teilnehmen. Einen erheblichen Beitrag zur Lösung der Probleme der MGIMO (U) leistet das Kuratorium, unter dessen Mitgliedern viele Absolventen unserer Universität sind, die sich unter anderem auch im großen Geschäft einen Namen gemacht haben.
Liebe Freunde,
Im vergangenen Jahr sind in der Welt viele Ereignisse geschehen. Die tiefgehenden Veränderungen der internationalen Landschaft bestätigen, dass wir einen Übergangszeitraum der globalen Entwicklung miterleben, der von ernsthaften Erschütterungen begleitet wird. Die Eurozone und die Weltwirtschaft im Ganzen fiebern nach wie vor. Die Unruhen in verschiedenen Regionen der Welt flauen nicht ab. Das ist vor allem Syrien, aber auch die gesamte Region Nahost und Nordafrika im Ganzen. Es besteht nach wie vor eine Anspannung um das iranische Atomprogramm, auf der Koreanischen Halbinsel. Eine Gleichung mit vielen Unbekannten bleibt auch die Situation in und um Afghanistan. Die Gefahren der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Terror, Drogenverkehr, Umweltdegradierung, Lebensmitteldefizit, Epidemien haben sich nicht aufgelöst. Das sind nur einige Beispiele aus einer langen Liste von Gefahren und Herausforderungen. Um auf diese Herausforderungen zu reagieren, muss die internationale Gemeinschaft sie vor allem wahrnehmen und kollektiv die Wege für die Regelung der entsprechenden Probleme entwickeln.
Die aktuelle Situation ist meiner Meinung nach präzedenzlos. Eigentlich geht es hier um die Festlegung der Grundparameter der Weltordnung des XXI. Jahrhunderts.
Russland ist einer der Zentren des sich herausbildenden polyzentrischen internationalen Systems und nimmt ihm vollen Maße sein Verantwortungsmaß in dieser neuen historischen Phase wahr. Es wird eine ernsthafte Arbeit in der Präzisierung der Prioritäten unseres Landes in der sich verändernden Welt in Übereinstimmung mit dem Erlass des Präsidenten W.W. Putin vom 7. Mai dieses Jahres „Über die Maßnahmen in der Realisierung des außenpolitischen Kurses der Russischen Föderation" ausgeführt.
In diesem Erlass, sowie bei seinem Auftritt in der Besprechung der Botschafter im Außenministerium am 9. Juli dieses Jahres formulierte Präsident W.W. Putin konkrete Aufgaben, die vor der russischen Diplomatie stehen. Ich werde sie heute nicht aufzählen. Ich weiß, dass Sie sich vor unserem heutigen Treffen wie mit dem Erlass, sowie auch mit den Auftritten des Präsidenten in der Botschafterbesprechung, mit anderen Artikeln und Auftritten von W.W. Putin, sowie mit den letzten Materialen des Außenministeriums bekannt gemacht haben, in denen die Bewertungen des Weltgeschehens und Argumente zur Begründung der russischen Ansätze dargelegt werden. Ich werde nicht ausführlich über das Wesen von jedem dieser Probleme sprechen. Ich gehe davon aus, dass wir mit Ihnen heute Zeit für einen interaktiven Dialog haben werden.
Bevor wir zu diesem Teil übergehen, möchte ich die Kernaufgabe hervorheben, die vom Präsidenten gestellt wurde. Er unterstrich bei seinem Auftritt im Außenministerium am 9. Juli, dass Russlands positive, ausgewogene Rolle in den globalen Angelegenheiten immer mehr gefragt ist. Das erlaubt es die internationale Situation aktiver zu beeinflussen, die russischen Interessen effizienter durchzusetzen. Und dafür muss man in Vorhalt handeln, zu jeder beliebigen Entwicklungsvariante der Situation bereit sein.
Daher auch die riesige Bedeutung der analytischen Arbeit, der Prognostizierung der wahrscheinlichsten Wege der globalen Entwicklung. Und auch hier stellt es sich dar, dass wir bestimmte Vorteile haben, da wir heute frei von ideologischen Scheuklappen sind, die häufig den Rundblick von einigen unseren ausländischen Kollegen einschränken. Wie die Geschichte zeigt, kann eine begründete Prognose bei Weitem nicht immer mit Hilfe einer mechanischen Extrapolation von Erfahrungen aus der Vergangenheit und selbst der heutigen Trends in die Zukunft gemacht werden. Vor allem wenn die Wahrscheinlichkeit von ernsthaften Schüben in den globalen Angelegenheiten weiterhin wächst. Ich denke, dass man vieles neu ansehen muss, und etwas muss überhaupt neu angefangen werden. Eine solche Situation bringt natürlich bestimmte Risiken mit sich, aber auch große Möglichkeiten.
Die russische Diplomatie war immer für ihr hohes intellektuelles Potential berühmt, das in den heutigen Bedingungen durch die aktive Entwicklung der Zusammenwirkung unseres Ministeriums mit Akademiker-, Experten- und Geschäftskreisen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft gestärkt wird. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die wichtige Rolle der MGIMO (U) und der Diplomatischen Akademie hervorheben, die eine ernsthafte praktische Mitwirkung bei unserer Analyse- und Prognosearbeit leisten.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass das Studium an der MGIMO (U) eine hervorragende Chance ist sich denjenigen anzuschließen, die in allen Zeiten ihrem Vaterland gedient und dessen Interessen durchgesetzt haben. Ich bin mir sicher, dass Sie diese Chance nutzen werden. Diejenigen, die eine diplomatische Karriere wählen werden, sowie auch die Absolventen, die andere Möglichkeiten für die Anwendung ihrer Kräfte und ihrer Talente finden werden – in der Journalistik, in der Wissenschaft, in der Politologie, in Jura, im Geschäft. Obwohl natürlich diejenigen, die viele Jahre oder gar Jahrzehnte lang im Außenministerium gearbeitet haben, in bekannten Maße voreingenommen sind und die diplomatische Arbeit für den spannendsten Beruf der Welt halten. Ich wiederhole jedoch, dass Sie darüber erst im Absolventenstatus entscheiden werden müssen. Und wir werden uns unsererseits bemühen, damit Sie im Laufe Ihrer Studienjahre an der Universität soviel wie möglich darüber erfahren. Damit ist mein Vortrag beendet und ich bin bereit Ihre Fragen zu beantworten.
Aus den Antworten auf die Fragen:
Frage: In den kommenden Tagen startet in Wladiwostok das APEC-Gipfeltreffen, das Russland zum ersten Mal bei sich empfängt und als vollberechtigtes Mitglied der WTO teilnehmen wird. Werden dadurch Russland irgendwelche Verpflichtungen auferlegt oder irgendwelche besonderen Rechte gewährt?
S.V. Lawrow: Der Vorsitzende eines jeden internationalen Forums verfügt über entsprechende Rechte, die von Traditionen bestimmt werden, die sich in dem einen oder anderen Format gebildet haben. Was die APEC betrifft, so wählt der Vorsitzende gewöhnlich die Schlüssel- und Vorrangsthemen für die Tagesordnung aus. Aber es gibt auch eine Tradition, dass bei der Themenwahl nicht alles gestrichen werden darf, was vor der Übernahme des Vorsitzes durch den entsprechenden Staat getan wurde. Darüber hinaus haben die Fragen, mit denen sich die APEC befasst, eine langfristige Bedeutung. Die in diesem Format behandelten Probleme können nicht innerhalb eines Jahres, in dem das eine oder andere Land die Vorsitzfunktionen erfüllt, gelöst werden. Deshalb sind hier die Nachfolgerschaft und die Neuheit der Ansätze besonders wichtig.
Die von Russland vorgeschlagene Tagesordnung, die von allen Teilnehmerländern der APEC unterstützt wurde, gewährleistet eine solche Nachfolgerschaft in Bezug auf die Problematik der weiteren Entwicklung der Integration und der Liberalisierung der Handels- und Investitionsregimes im asiatisch-pazifischen Raum.
Was zusätzliche Themen betrifft, die die Prioritäten des russischen Vorsitzes unter Berücksichtigung der Trends widerspiegeln, die in der Region beobachtet werden, so sind das die innovative Entwicklung, die Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Vervollkommnung der Transport- und Logistiksysteme im asiatisch-pazifischen Raum, in dessen Bestand Seestaaten eingehen, wo die Logistik kompliziert ist und einen Systemansatz erfordert. Diese Prioritäten haben Unterstützung gefunden. Neben den Rechten gibt es auch Pflichten, und diese sind viel umfangreicher. Hier geht es vor allem um die Verantwortung dafür, dass in protokoll- und organisationsmäßiger Hinsicht und auch vom Inhalt her alles gut abläuft. In Bezug auf die inhaltlichen Aspekte des russischen Vorsitzes ist das APEC-Gipfeltreffen in Wladiwostok eine Veranstaltung, die die innerhalb des Jahres geleistete Arbeit krönt, wenn über 90 Veranstaltungen in der Linie der Branchenministerien stattgefunden haben, wo alle erdenklichen Aspekte der beim Gipfel zur Diskussion vorgestellten Themen behandelt und die entsprechenden Beiträge zur Deklaration geleistet wurden, die in Wladiwostok im Rahmen der Hauptveranstaltung am 7.-9. September gefasst werden soll.
In organisatorischer Hinsicht haben unsere Protokolldienste zusammen mit den Protokolldiensten der Präsidialverwaltung mehrmals die Insel Russkiy und die anderen Objekte besucht, die für Gipfeltreffen genutzt werden sollen, und berichten, dass alles in Ordnung ist. Wir hoffen, dass es auch wirklich so ist.
Frage: Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass Sie ein großer Rafting-Fan sind. Sagen Sie bitte, was bringt Ihnen mehr Nervenkitzel – das Rafting in der Freizeit oder die Überwindung von politischen Barrieren während der Arbeit?
S.V. Lawrow: Das sind ganz verschiedene Gefühle. Befriedigung bringt wie die Überwindung einer schwierigen Schelle, sowie auch die Lösung eines komplizierten Problems, besonders wenn man es schafft zu einer Konsenslösung zu kommen, die die Interessen deines Staates widerspiegelt. Letztes Mal habe ich eine solche Befriedigung von meiner Reise nach Genf gespürt, wo am 30. Juni dieses Jahres auf eine Initiative von Russland und des ehemaligen Sondergesandten der Vereinigten Nationen und der Arabischen Liga Kofi Annan ein Treffen zu Syrien mit der Teilnahme aller ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats, der Vertreter der Arabischen Liga, der Türkei, des UNO-Generalsekretärs Ban Ki-moon und Kofi Annan stattgefunden hat. Wir haben 8 Stunden lang mit Pausen und Treffen in kleineren Gruppen gearbeitet. Im Ergebnis wurde ein solides Dokument entwickelt, das die Bezeichnung „Genfer Kommunique" bekam. Die Teilnehmer der Veranstaltung haben ebenfalls die „Aktionsgruppe" gebildet.
Ich habe nicht gedacht, dass es gelingen wird zu jenem Zeitpunkt zu einem Konsens zu kommen, weil die Divergenzen in Bezug auf Syrien sehr ernst waren. Das betraf nicht das Endziel – alle sind damit einverstanden, dass wir Syrien als einen stabilen, freien, unabhängigen, demokratischen Staat sehen möchten, wo die Rechte von allen Bürgern gewährleistet werden, einschließlich der Rechte der Minderheiten, - darin stimmen unsere Positionen überein. Aber hinsichtlich der Fortbewegung zu einem solchen Ziel bestehen, wie bekannt, tiefgehende Divergenzen. Unsere westlichen Kollegen und einige Vertreter der Staaten dieser Region treten praktisch offen für eine Einmischung von Außen auf, und Russland, China und andere Staaten sind davon überzeugt, dass die kämpfenden Parteien den gegenseitigen Beschuss einstellen und sich an den Verhandlungstisch setzen müssen.
Trotz der erheblichen Divergenzen ist es gelungen ein ausführliches und detailliertes Dokument zu fassen, in dem unsere Vorschläge an alle syrischen Parteien (an die Regierung und an die Opposition in allen ihren Erscheinungsformen) zum Beginn eines Gesprächs über den Übergangszeitraum dargelegt werden, zur Bildung eines temporären Vertretungsorgans auf der Grundlage der Einigung zwischen der Regierung und allen Oppositionsgruppen dargelegt werden. Und das Dokument ist uns gelungen – der Konsens wurde auf Papier fixiert.
Die russische Seite hat vorgeschlagen das Dokument im UNO-Sicherheitsrat billigen zu lassen, aber zu unserem Erstaunen haben sich unsere westlichen Kollegen geweigert dies zu tun. Vielleicht haben sie gemeint, dass im erreichten Konsens unsere Interessen in einem höheren Maße widergespiegelt werden, als ihre. Aber das würde dann den Verdacht bestätigen, dass sich in der syrischen Krise einige ausländische Partner nach ihren eigene geopolitischen Interessen richten, und nicht nach den Bedürfnissen des syrischen Volkes, da der Genfer Konsens in erster Linie die Einstellung der Gewalt und den Beginn der Verhandlungen forderte.
Gerade darin bestehen der Hauptsinn des Dokuments und die Widerspiegelung der Kerninteressen des syrischen Volkes. Wir haben uns gerade von einem solchen Verständnis leiten lassen. Es ist schade, dass der UNO-Sicherheitsrat eine Festlegung des Dokuments in Zusammenhang mit Einwänden von einigen westlichen Delegationen abgelehnt hat.
In Genf wurde ein äußerst wichtiger und qualitativer Durchbruch in Bezug auf die Fähigkeit erreicht im Format der externen Spieler Vereinbarungen zu treffen. Ich hoffe, dass die dort angesetzten Gedanken, die im größten Maße den Kerninteressen, und nicht den erdachten Interessen des syrischen Volkes entsprechen, nun L. Brahimi nutzen werden, der Kofi Annan im Amt des Sondergesandten der Vereinigten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien ersetzt hat.
Frage: Wie bekannt ist Russland offiziell der WTO beigetreten, und in diesem Zusammenhang wäre es gut zu wissen, welche Perspektiven sich unserem Land damit öffnen werden?
S.V. Lawrow: Die Perspektiven werden ausführlich in den Medien und in der Expertengemeinschaft diskutiert. Ich werde jetzt nicht ausführlich alle Probleme aufzählen, die in den Diskussionen zu diesem Thema berührt werden. Es ist klar, dass es um das Gleichgewicht geht. Wie jede Vereinbarung über den Anschluss an multilaterale Strukturen spiegelt sie die Interessenbilanz wieder. Es ist Ihnen bekannt, dass die Verhandlungen über 18 Jahre eingenommen haben, bei denen auf äußerst detaillierte Weise die konkreten Aspekte der handelswirtschaftlichen und investitionsbedingten Prozesse behandelt wurden, die uns und unseren Partnern bevorstehen. Wir werden zweifellos einen bestimmten Effekt von der Erleichterung des Zugangs nach Russland von Importwaren verspüren – für unsere Verbraucher muss eine Preissenkung für viele Waren erfolgen. Wir werden auch einen erheblichen Anstieg der Erträge vom Export verspüren können, vor allem von Industriewaren, in die Länder, die traditionell unsere Partner sind, z.B., in die EU-Mitgliedsstaaten, wo es zuvor (bis zum 23. August dieses Jahres) viele diskriminierende Barrieren gegeben hat.
Unter allen Umständen, unter Berücksichtigung der Meinung von denen, die Russlands Beitritt zur WTO kritisiert haben, und von denen, die darauf aktiv bestanden haben, denke ich, dass das erreichte Gleichgewicht, das Schutzmaßnahmen für eine ganze Reihe unserer Wirtschaftszweige einschließt (wie etwa Landwirtschaft, Bankwesen, Flugzeugbau, Automobilbau), es erlauben wird in absehbarer Zeit die notwendigen Erfahrungen für die Arbeit mit den WTO-Normen zu bekommen und die Konkurrenzfähigkeit der russischen Wirtschaft zu steigern, da die Konkurrenz auf dem russischen Markt schärfer sein wird. Gleichzeitig gibt uns die Mitgliedschaft in der WTO die Möglichkeit vollberechtigt an der Festlegung der Regeln für den Handel mit Waren und Dienstleistungen, Investitionen teilzunehmen, die im Rahmen der weitergehenden Modernisierung des internationalen Handelssystems entwickelt werden sollen. Ich denke, dass der Anschluss letztendlich ein Vorteil ist.
Frage: Sergei Viktorowitsch, Sie haben bereits das Thema Syrien berührt, aber ich möchte klarstellen, ob man den inneren Konflikt in diesem nahöstlichen Land ohne Einmischung von ausländischen Kräften lösen kann und was dazu neben dem kürzlich stattgefundenen Genfer Treffen vorgenommen werden muss?
S.V. Lawrow: Natürlich kann man das. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidung der Syrer selbst die einzig mögliche ist. Gerade davon sprechen übrigens auch alle. In den Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats wird unterstrichen, dass die Regelung durch alle syrischen Parteien erreicht werden muss, und dass nur die Syrer selbst ihr Schicksal bestimmen können. Das entspricht in vollem Maße dem Basisgrundsatz der UNO-Satzung. Deshalb kann der UNO-Sicherheitsrat auch nicht anders entscheiden.
Wir treffen uns regelmäßig mit den Vertretern der Regierung der SAR, wie auch mit den Vertretern von allen Oppositionsgruppen, von denen es nicht wenige gibt. Es gibt die innere Opposition (wie die mäßige, sowie auch die radikale) und die äußere. Am häufigsten wird der Syrische Nationalrat (SNR) erwähnt – seine Vertreter sind unsere regelmäßigen Gesprächspartner. Vor eineinhalb Monaten war der neue Vorsitzende des SNR A. Seida im Bestand einer großen Delegation zu Besuch in Moskau und hat das Gespräch damit begonnen, dass die Syrer zweifellos unter allen Umständen an einer warmen und engen Beziehung mit der Russischen Föderation interessiert sind. Er bemerkte auch, dass in Syrien angeblich kein Konflikt, sondern eine Revolution im Gange ist, und dass man davon ausgehen muss. Wir haben geantwortet, dass wenn das Geschehen eine Revolution ist, was dann der SNR vom UNO-Sicherheitsrat will? Der Sicherheitsrat ist nicht dazu bevollmächtigt eine Revolution und einen externen Eingriff zu unterstützen, wozu die Oppositionellen des Syrischen Nationalrats aufrufen.
Die externe Einmischung muss positiv (von der Wirkung her) sein, und wir bestehen darauf, dass die Schlüsselakteure auf eine ganz bestimmte Weise eingreifen: jeder von ihnen muss die innersyrischen Parteien (wie die Regierung, sowie auch die Opposition), besonders diejenigen, auf die sie Einfluss haben, dazu zwingen die Gewalt einzustellen. Gerade davon haben wir in Genf gesprochen, und das wird auch im Genfer Kommunique widergespiegelt.
Wenn unsere Partner erklären, dass die Regierung als Erste die Kriegshandlungen einstellen, ihr Militär und ihre Rüstung aus den Städten abziehen lassen und sich erst danach an die Opposition mit der Bitte wenden soll dasselbe zu tun, so ist das ein Schema, das nicht funktionieren wird. Es handelt sich hier entweder um Naivität, oder um eine Provokation. Wenn in den Städten Kämpfe stattfinden, so ist die Behauptung, dass der einzige Ausweg die einseitige Kapitulierung von einer der kämpfenden Parteien ist, eine irreale Situation.
Hier geht es nicht um die Ideologie. Wir halten uns nicht an irgendeinem Regime oder an irgendwelchen Personen der syrischen Situation fest, sondern gehen davon aus, was realistisch ist und was für die Lösung der wichtigsten Aufgabe erforderlich ist - die Einstellung der Gewaltanwendung und die Rettung von Menschenleben. Der russische Ansatz entspricht dieser Aufgabe, da der erste Punkt unseres Plans die Forderung ist die Gewalt einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
Der größte syrische Oppositionsblock – das Nationale Koordinierungskomitee, - der strikt gegen die Regierung gestimmt ist, ist übrigens kürzlich mit einer Initiative aus vier Punkten aufgetreten, die dem russischen Ansatz nahe liegt. Das sind die Einstellung der Gewaltanwendung, die Lösung der scharfen humanitären Probleme mittels Zustellung von entsprechender Hilfe, die Freilassung der Häftlinge aus den Haftanstalten der Regierung und derjenigen, die von den Oppositionellen festgenommen wurden, und der Beginn der Verhandlungen. Wir unterstützen diese Richtungen vollständig, da sie mit unserem Ansatz übereinstimmen.
Die russische Position, wie auch der Ansatz des syrischen Nationalen Koordinierungskomitees, der von den Parteien fordert den gegenseitigen Beschuss einzustellen, entspricht der Aufgabe des schnellstmöglichen Ausgangs aus der Krise und den Interessen der Nichtzulassung einer Steigerung der Opferzahl. Diejenigen jedoch, die eine einseitige Kapitulierung der Regierungskräfte fordern und gleichzeitig die bewaffnete Truppen der Opposition zur Fortsetzung des Kampfes anstoßen, gehen folglich davon aus, dass sie dazu bereit sind einen zusätzlichen Preis in der Form von einer Vielzahl an Menschenleben zu bezahlen. Darin besteht der grundlegende Unterschied der Ansätze. Wenn die Positionen derjenigen, die auf der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes bestehen, bis die Regierung freiwillig irgendwohin flieht (wie man uns öffentlich in Gesprächen zu überzeugen versucht), dann bekomme ich den hartnäckigen Eindruck, dass sie nicht von den Interessen des syrischen Volkes, sondern von eigenen geopolitischen Berechnungen in dieser wichtigen Region leiten lassen.
Frage: Eine breite öffentliche Diskussion wurde von den Ereignissen in London um den Schöpfer der Website Wikileaks J. Assange ausgelöst, der sich in der Botschaft von Ecuador versteckt, während das britische Außenministerium ihn an Schweden aushändigen will. Wie schätzen Sie die entstandene Situation ein?
S.V. Lawrow: Hier gibt es zweifellos wichtige Aspekte, die die Freiheit des Zugangs zu Informationen und von deren Schutz betreffen. Es was anfangs interessant zu lesen, was über Wikileaks an die Öffentlichkeit gelangt ist. Vieles hat die Augen geöffnet, dabei habe ich in diesen Materialen nicht etwas gesehen, was als eine Schädigung der nationalen Interessen oder der Sicherheit von Staaten bewertet werden kann, deren Vertreter in den Materialen von Wikileaks zitiert wurden.
Diese Dokumente haben eher die Handlungemethoden der Staaten zum Vorschein gebracht, wie sie mit ihren Partnern umgehen, wie sie geschätzt und „für wen sie gehalten werden", über welche Manieren sie verfügen. Das ist unterhaltsam, mehr nicht. Im Großen und Ganzen hatten wir jedoch das Gefühl, dass gerade solche Launen in den diplomatischen und politischen Kreisen einiger unserer Partner herrschen – es hat sich einfach alles bestätigt.
Was konkret die aktuelle Situation betrifft, in der sich J. Assange jetzt befindet, so werden uns oft die Leviten in Bezug auf die Rechtssprechung in unserem Land gelesen, obwohl das Gerichtssystem in jedem Staat verfassungsrechtlich als ein unabhängiger Machtzweig deklariert wird, und dessen Entscheidungen respektiert werden müssen. Es sind Beispiele bekannt, die uns unter die Nase gerieben werden, sowie auch Fälle, wenn in den USA das Geschworenengericht, z.B., einstimmig einen Mörder freilässt. Es gab da so eine Episode vor vielen Jahren mit einem Hollywoodschauspieler, der seine Frau und deren Liebhaber umgebracht hat. Das Geschworenengericht hat ihn einstimmig freigesprochen. Das hat eine öffentliche Empörung hervorgerufen, es hat jedoch keiner das Gerichtsurteil bezweifelt.
Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was J. Assange in Schweden inkriminiert wird und inwieweit diese Beschuldigungen prozessrechtlich korrekt sind – er wird in seltsamen Formen der Vergewaltigung beschuldigt. Da in beiden Fällen die Frauen ohne Zwang mit ihm die Zeit verbracht haben.
Ich möchte dieses Thema nicht fortsetzen. Im Internet kann man interessante Sachen finden. Aber davon wird jetzt wenig geschrieben, wenn es um das Geschehen um J. Assange geht.
Ich erwähnte bereits die Freiheit der Meinungsäußerung und den Grundsatz des Schutzes von sensiblen Informationen. Es gibt auch den Grundsatz der Respektierung des Rechtes auf politisches Asyl. Dabei ist Großbritannien dafür berühmt, dass dort praktisch jedermann politisches Asyl findet. Im Hoheitsgebiet von Großbritannien ist die Botschaft von Ecuador tätig, in der sich der australische Staatsbürger J. Assange aufhält, dessen Aushändigung von Schweden gefordert wird, und er selbst ist dabei überzeugt, dass er letztendlich in die USA gesendet werden soll. Er bat um politisches Asyl in Ecuador, und es wurde ihm auch gewährt. Ja, das ist eine Kollision. Solange er sich im Hoheitsgebiet von Ecuador aufhält, denke ich, dass es niemand versuchen wird irgendwelche unbedachten Handlungen vorzunehmen. Das Asylrecht muss entweder respektiert oder in einem Rechtsverfahren angefochten werden. Dazu gibt es die entsprechenden Rechtsvorschriften. Drohungen die Botschaft von Ecuador zu Stürmen, wie das Winterpalais gestürmt wurde, liegen außerhalb des Rechtsfeldes.
Frage: Als russischer Staatsbürger und vor allem als ein Student, der zum Studium der estnischen Sprache eingeteilt wurde, interessiere ich mich für die Probleme dieser Region, vor allem für die Beziehungen zwischen Russland und Estland. Wir können uns erinnern, wie vor einiger Zeit vom Abbruch des Denkmals des sowjetischen Soldaten und von der Aufstellung eines Monuments für die Soldaten der Waffen-SS berichtet wurde. Uns allen ist der Umgang mit der russischsprachigen Bevölkerung in Estland bekannt. In der letzten Zeit kommen zum Glück solche Nachrichten seltener. Was meinen Sie, hat sich die Situation tatsächlich stabilisiert oder kann man eine Eskalierung des Konflikts erwarten?
S.V. Lawrow: Erstens, möchte ich sagen, dass Sie eine sehr interessante Sprache, soweit ich verstehen kann, als eine Ihrer Fremdsprachen bekommen haben. Estland ist unser Nachbar. Ich bin überzeugt, dass die Leitung der MGIMO (U) seinerzeit sehr richtig gehandelt hat. Kurz nach der für uns alle wenig erfreulichen Situation, als die Sowjetunion ihre Existenz beendete, begann die Hochschule damit zielgerichtete Maßnahmen in der Integration in den Lehrprozess der Sprachen von unseren Nachbarn vorzunehmen, einschließlich derjenigen, die in den Bestand der einheitlichen UdSSR eingegangen sind.
Wir sind an einer gutnachbarschaftlichen Beziehung mit Estland interessiert. Wir gehen davon aus, dass unsere Menschen nichts mehr zu teilen haben. Vor einiger Zeit (vor etwa fünf bis sieben Jahren) haben wir sogar einen Grenzvertrag unterzeichnet, was unsere estländischen Nachbarn und die Europäische Union so gewollt haben. Estland wurde in 2004 zusammen mit Lettland, Litauen und einer Reihe orteuropäischer Länder in die EU aufgenommen. Ein solcher Schritt hat übrigens die Regeln verletzt, die zu jenem Zeitpunkt existiert haben, da zu den Kriterien für den Beitritt zur EU die Bestimmung darüber eingeht, dass ein Anwärterland keine territorialen Probleme mit den Nachbarn haben darf und dass die Grenzen abgefertigt sein müssen. Im Zeitraum der Expansionswelle von 2004 hatten Estland und Lettland keine abgefertigten Grenzen mit der Russischen Föderation.
Seitdem haben wir die entsprechenden Grenzverträge wie mit Lettland, sowie auch mit Estland unterzeichnet. Lettland hat eine Ratifizierung vorgenommen, in Russland hat sie ebenfalls nach dem bilateralen Vertrag stattgefunden, wonach dieser in Kraft getreten ist. Die Grenze wurde abgefertigt, jetzt werden die letzten Demarkierungsarbeiten ausgeführt. Mit Estland haben wir einen Vertrag unterzeichnet, wo wir deutlich festgehalten haben, dass die territorialen Ansprüche sich nicht wiederholen dürfen, wie es im Rahmen des sogenannten Tartu-Vertrags Anfang der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts passiert ist. Die estnischen Kollegen versicherten uns, dass keine Ansprüche erhoben werden und dass der neue Vertrag das Grenzthema endgültig abschließen wird. Aber als das Dokument zur Ratifizierung vorgestellt wurde, hat das estnische Parlament im Gesetz den Tartu-Vertrag erwähnt, und zwar in einem Kontext, der die territorialen Ansprüche gegen die Russische Föderation weiterhin beinhaltet. Selbstverständlich konnten wir unter solchen Bedingungen das Dokument nicht festlegen und haben unsere Unterschrift unter dem Vertrag zurückgerufen. Zur gleichen Zeit erklären wir, dass wir jetzt dazu bereit sind die Verhandlungen neu zu beginnen, aber ohne solche Überraschungen, wie sie im estnischen Parlament passiert ist.
Das ist nur ein Beispiel der Fortsetzung von Revanchelaunen, der Versuche unserer baltischen Nachbarn das Thema der sogenannten „Besetzung" aufzuwühlen, Kompensationen zu fordern. Soweit ich verstehe, hat die litauische Präsidentin neulich eine Kommission für die Ermittlung der Verbrechen des Holocausts, des Nazismus und der „Besetzung" gegründet. Man spricht offen davon, dass von Russland eine Kompensation gefordert werden muss, erwähnt dabei jedoch nicht, dass die Industrien unserer baltischen Nachbarn gerade in den Jahren aufgebaut wurden, die sie als Besetzung ansehen, sie lehnen alles Positive ab, was es in unseren Beziehungen gegeben hat. Das erleichtert natürlich nicht die Aufgabe im Aufbau einer Kooperation zu neuen Bedingungen, obwohl das Interesse daran wie in unseren Geschäftskreisen, sowie unter der wissenschaftlichen Intelligenz und der Jugend sehr groß ist.
Sie erwähnten das Problem der Wahrnehmung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und des Verhältnisses dazu. Es bestehen keine Zweifel, dass Versuche fortgesetzt werden die Nazis und deren Gesellen zu heroisieren. Das sehen wir wie in Estland, sowie auch in Lettland, und leider auch in der Position der Europäischen Union, wo der berühmte „Solidaritätsgrundsatz" gilt. Alle verstecken sich hinter diesem Grundsatz, wenn die absolute Minderheit der EU-Mitglieder ihre Ansichten der absoluten Mehrheit aufzubinden beginnt.
Hier ist ein kennzeichnendes Beispiel dafür. Russland stellt jährlich in Miturheberschaft mit einer Reihe anderer Staaten in der Generalversammlung der UNO eine Resolution mit der Missbilligung von beliebigen Formen von Rassismus, Neonazismus, Rassendiskriminierung, Ausländerfeindlichkeit vor, in der Aufrufe an die Staaten enthalten sind in ihrer Praxis keine derartigen Erscheinungen in ihrem Hoheitsgebiet und in den Beziehungen mit anderen Ländern zuzulassen. In diesem Dokument wird keiner beim Namen genannt, es wird auf niemanden mit dem Finger gezeigt. Die Europäische Union stimmt praktisch vollzählig gegen diese Resolution. Wir hören bei den Treffen mit unseren Kollegen aus der EU keine klare Antwort auf unsere Fragen über die Gründe für solche Handlungen, mit Ausnahme davon, dass die Prozessionen in den Städten und Straßen der ehemaligen Mitglieder der Waffen-SS eine freie Meinungsäußerung sind.
Aber die Freiheit der Meinungsäußerung ist nicht grenzenlos. Der Internationale Pakt über die politischen und bürgerlichen Rechte, die Europäische Menschenrechtskonvention besagen direkt, dass die Freiheit der Meinungsäußerung unter anderem aus Gründen der Sittlichkeit, der Sicherheit, der Gesundheit der Gesellschaft, der Respektierung der religiösen Überzeugungen eingeschränkt wird. Wenn diese Einschränkungen vom Gesetz festgelegt werden (und in Russland und in den meisten europäischen Ländern sind sie auch gesetzlich festgelegt), so müssen diese Normen auch eingehalten werden.
Wir möchten die in unseren Beziehungen mit Estland bestehenden Rauhigkeiten abbauen, wir treten dafür auf, um die Arbeit in der Abfertigung der Grenze fortzusetzen und die Verhandlungen über einen neuen Grenzvertrag zu beginnen.
Aber wir werden nicht im Dialog mit der Regierung von Estland und von anderen EU-Staaten über die Verletzung der Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Konvention über die regionalen Sprachen hinwegsehen. Natürlich ist das größte Problem in unseren Beziehungen mit den baltischen Staaten das Problem der Staatenlosigkeit. Das ist eine Blamage der Europäischen Union, eine Blamage der NATO, die sich bereits nicht nur als Verteidigungsblock, sondern als „Schule der Demokratie" darstellt. Wenn in dieser Schule bereits die „Schüler", die sich für „Aspiranten" haltenden Staaten, es versuchen dort den Ton vorzugeben und gelassen die an sie gerichteten Aufrufe ablehnen die Empfehlungen des Europarats, der OSZE, der UNO zur schnellen Verkürzung der Anzahl der Staatslosen und zur Fortbewegung zur Liquidation dieses beschämenden Instituts ablehnen, so habe ich Fragen an diejenigen, die es versuchen sie zu verteidigen.
Uns wird gesagt: eure russischsprachigen Heimatgenossen, die in Lettland und Estland keine Staatsbürgerschaft bekommen können, sollen Sprachprüfungen ablegen, wonach ihre Staatsbürgerschaft entsprechend abgefertigt wird. Viele machen das, obwohl die Anzahl der auf diese Weise naturalisierten Personen keinen Optimismus hervorruft, wenn man berücksichtigt, dass es etwa 10-15 Tausend Personen im Jahr sind, und dass sich in beiden Ländern etwa eine halbe Million Menschen befinden. Wir haben sogar bereits die Frage gestellt, dass die russischen Kinder, die in Familien aus Staatslosen geboren werden, automatisch eine Staatsbürgerschaft erlangen, wie auch ältere Personen, für die es bereits zu schwer ist eine Sprache zu lernen. Das wurde uns versprochen, insbesondere von den lettischen Nachbarn, jedoch nicht gemacht worden. Jetzt steht in Lettland ein Referendum zu diesem Thema bevor. Ich denke, dass dies ein Ausdruck der Demokratie ist. Es sollen solche Prozeduren einbezogen werden. Aber unabhängig von solchen Volksabstimmungen ist es unzulässig das Institut der Staatenlosigkeit zu erhalten, das im Völkerrecht nicht existiert.
Und das Letzte zum Thema Volksabstimmungen. Als Estland, Lettland und Litauen Plebiszite zugunsten der Trennung von der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung durchgeführt haben, wurden die Stimmen dieser Menschen mitgerechnet. Die meisten von ihnen haben wohl für eine Trennung von der UdSSR gestimmt. Das bedeutet, dass sie loyale, wohlanständige Bürger ihrer neuen Staaten sein wollten. Damals waren die Stimmen notwendig, und jetzt werden sie also nicht berücksichtigt. Es ist erstaunlich, dass in Zwecken der Bestimmung der Quote von Estland und Lettland bei der Wahl in das Europäische Parlament die Bevölkerungszahl dieser Staaten unter Berücksichtigung der Nichtstaatsbürger berechnet wurde. Wenn in diesen Ländern munizipale Wahlen stattfinden, haben die Nichtstaatsbürger kein Stimmrecht und kein Recht darauf gewählt zu werden. Ich denke, dass das Wort „Blamage" die entstandene Situation äußerst sanft bezeichnet.
Frage: Sergei Viktorowitsch, ich habe eine kurze Frage. Können Sie behaupten, dass Ihr Erfolg gerade in der MGIMO begonnen hat?
S.V. Lawrow: Ich möchte nicht über die Kategorien Erfolg und Misserfolg reden. Die Befriedigung, die ich von meiner Berufstätigkeit bekomme, findet ihren Anfang in meinen Studienjahren. Das Studium ist eine Arbeit, und in der MGIMO hatten wir nicht nur unser Studium, sondern auch körperliche Arbeit in Bautruppen. Ich bin viermal hingefahren und habe jedes Mal Befriedigung empfunden. Seitdem hält diese Befriedigung bei meiner Arbeit auf verschiedenen Posten im Außenministerium fortwährend an.
Frage: Sergei Viktorowitsch, worin besteht die Rolle der zentralasiatischen Länder in der russischen Außenpolitik?
S.V. Lawrow: Wir sehen unsere grundlegende Priorität in den Beziehungen mit unseren Nachbarn im GUS-Raum. Die zentralasiatische Region liegt in unserer Nähe. Dort sind Länder, mit denen wir Bündnisbeziehungen im Rahmen der OSZE haben, sowie die GUS; es gibt auch ein wirtschaftliches Integrationsformat – die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, die sich jetzt unter Berücksichtigung des dreiseitigen Integrationsprozesses zwischen Russland, Kasachstan und Belarus entwickelt. Ich weiß, dass Kirgisien und Tadschikistan ebenfalls am Anschluss an das genannte vertiefte Integrationsformat Interesse haben. Ich denke, dass wir gegenseitige Interessen darin haben, was die Integrationsbeziehungen mit den Verbündeten betrifft – das kommt im Laufe der regelmäßigen Kontakte zwischen den Präsidenten von Russland und der zentralasiatischen Staaten zum Vorschein. Eine solche Einstellung wurde auch neulich bei den Kontakten der Präsidenten W.W. Putin und A.S. Atambaev bestätigt. Zur Weiterentwicklung ihrer Vereinbarungen werden zusätzliche Dokumente für die weitere Vertiefung der Zusammenarbeit in allen Bereichen vorbereitet. Diese Dokumente, denke ich, sollen in absehbarer Zukunft abgestimmt werden.
Ich erwähnte die OSZE. In den modernen Bedingungen wächst auch ihre Bedeutung. Niemand weiß, was in und um Afghanistan nach 2014 geschehen wird. Nicht ganz verständlich sind uns die Erklärungen der amerikanischen Partner darüber, dass wir nun also aus Afghanistan abziehen werden, weil wir die Terrorgefahr liquidiert haben, aber gleichzeitig wollen wir dort mehrere Dutzend Tausend unserer Militaristen in gut befestigten Quartieren behalten. Wir versuchen zu verstehen, wie das in die Bewertung passt, dass keine Terrorgefahr mehr besteht, wir führen einen Dialog. In jedem Fall befinden sich die internationalen Kräfte in Afghanistan aufgrund eines Mandats des UNO-Sicherheitsrats, das jährlich verlängert wird. Bevor diese Kräfte dort abgezogen werden, muss an den UNO-Sicherheitsrat Bericht erstattet werden, welche konkreten Ergebnisse in der Bekämpfung der Terror- und Drogengefahr erreicht wurden. Wir sind daran interessiert, dass diese Kräfte erfolgreich arbeiten, gewähren den ISAF Möglichkeiten für den Transitverkehr im Hoheitsgebiet der Russischen Föderation für ihre Versorgung, für die Rotation der Technik und der Rüstung.
Selbstverständlich wollen wir mehr Ergebnisse, besonders in der Bekämpfung des Drogenverkehrs. Die ISAF arbeiten, wie ich bereits sagte, nach einer Sanktion des UNO-Sicherheitsrats. Das Rückgrat ihrer Kräfte bilden die Kontingente der NATO-Länder. Im Aufenthaltszeitraum der Kräfte in Afghanistan ist die Drogenproduktion erheblich angewachsen. Dementsprechend ist auch der Drogenexport aus Afghanistan angestiegen. Davon leiden immer mehr die asiatischen Länder, die Russische Föderation, sowie auch die europäischen Staaten und in geringerem Maße die USA, weil die Vereinigten Staaten größere Probleme mit den Drogen haben, die aus Mittel- und Lateinamerika kommen.
Unser Vorschlag darüber, dass die ISAF sich effizienter mit der Vernichtung von Drogensaaten, Drogenlaboren beschäftigen soll, stößt auf ein zurückhaltendes Verhalten und auf Befürchtungen einer größeren Gefährdung der in Afghanistan tätigen Kontingente. Absolut unverständlich ist die Ablehnung durch die NATO-Länder von unserem Vorschlag die Kooperation zwischen den internationalen Sicherheitskräften aufzubauen, die in Afghanistan tätig sind, und der OSZE, die regelmäßig Operationen in der Abfangung der Drogenkarawane aus Afghanistan durchführt. Profis sind überzeugt davon, dass eine solche Zusammenarbeit, eine Koordinierung im Echtzeitbetrieb die Erfolgsquote der Bekämpfung des Drogenverkehrs und der Drogenproduktion erheblich steigern würden. Die NATO-Partner weisen das ohne Erläuterung der Ablehnungsgründe ab. Ich denke, dass der Grund darin besteht, dass sie die OSZE ideologisch nicht als eine der Nordatlantischen Allianz gleichstehende Organisation betrachten wollen. Tatsache ist, dass dies die Situation mit dem Drogenverkehr und den Terrorerscheinungen in der zentralasiatischen Region nicht verbessert. Die Zusammenwirkung der OSZE und der NATO in diesen Richtungen wäre äußerst gefragt. Aber, wie man sagt, kann man Liebe nicht erzwingen. Deshalb nehmen wir im Rahmen der OSZE gemeinsam mit Kirgisien, Tadschikistan, Kasachstan, mit anderen Teilnehmern der Organisation spezielle Maßnahmen in der Gewährleistung der Sicherheit im zentralasiatischen Raum vor. Ich bin mir sicher, dass sich unsere Zusammenarbeit in diesen Fragen nur weiter vertiefen wird.
Frage: Es gilt, dass der Diplomatenberuf Männersache ist. Womit könnten Sie das erklären? Wann werden Ihrer Meinung nach die Frauen im diplomatischen Bereich wie die Männer gefragt sein? Und wird das überhaupt jemals der Fall sein?
S.V. Lawrow: Sie haben vier Fragen gestellt, von denen drei jedoch überflüssig sind. Sie haben mit einer Behauptung begonnen: es besteht die Meinung, dass der Diplomatenberuf Männersache ist. Ich bin da anderer Meinung. Alle Ihre anderen Fragen sind nicht aktuell. Anatolij Wasiljewitsch erwähnte in seinem Vorwort, dass dieses Jahr an die MGIMO (U) mehr junge Frauen als junge Männer gekommen sind. Es ist klar, dass nach der Uni bei Weitem nicht alle in das Außenministerium kommen. Eine große Nachfrage besteht nach wie vor im Geschäft, viele Wählen die Journalistik oder Rechtswissenschaften. Wie auch zuvor besteht die Zusammensetzung der neuen Angestellten des Außenministeriums aus dem Kontingent der MGIMO, obwohl wir Absolventen von über dreißig Hochschuleinrichtungen im ganzen Land – von Kaliningrad bis Fernost - anstellen.
Ich möchte mich noch einmal bei der Leitung der MGIMO (U) bedanken, die den an die Uni bestrebten Jugendlichen selbstlos dabei hilft im Rahmen der Winterferien vor dem Abitur auf der Basis der Universität Kurse zu absolvieren, die sie etwas tiefer in die internationale Thematik einführen.
Das ist ein lyrisches Intermezzo. Im Außenministerium ist die Anzahl der den Diplomatendienst beginnenden jungen Männer und Frauen praktisch jedes Jahr mindestens gleich. Wir haben keinerlei Vorurteile. Es werden viel mehr Frauen auf bedeutsame Posten bestellt. Ich habe heute keine Statistikdaten bei mir, aber ich treffe mich regelmäßig mit den Vertretern des Frauenrats des Außenministeriums. Sie bemerken, dass sich ein solcher Trend stabil weiterentwickelt: es gibt eine Frau auf dem Posten des stellvertretenden Departementdirektors, eine Frau als Generalkonsul, eine Botschafterin, eine Frau, die als Vertreterin in der UNESCO tätig ist. Ich stimme zu, das ist nicht viel. Es ist verständlich, dass Probleme, die bei der Geburt eines Kindes auftreten, irgendwie gelöst werden müssen. Es wurden auch die entsprechenden Gesetze gefasst, aber alles Weitere hängt vom Menschen selbst ab. Einige im Außenministerium heiraten, ziehen es vor sich mit ihrer Familie zu beschäftigen – das ist ihre Wahl und ihr Recht. Aber es kommen sehr viele begabte junge Mädchen, die dazu bereit sind zu arbeiten. Sie verwandeln sich mit der Zeit in seriöse Diplomatinnen. Wir werden diesen Prozess nur unterstützen.
Frage: Wie bekannt, muss ein junger Fachspezialist nach dem Universitätsabschluss eine bestimmte Lehre über sich ergehen lassen und in den unterschiedlichsten Regionen arbeiten, darunter auch in der Dritten Welt. Wie und in welchem Zeitraum kann ein Diplomat, der in ein solches Land beordert wurde, zu einem Vertreter von einer der fortgeschrittenen Regionen werden? Wenn es kein Geheimnis ist, wie und in welchem Zeitraum ist es Ihnen persönlich gelungen?
S.V. Lawrow: Alles ist individuell. Das Amt eines Botschafters kann eine Karriere vollenden oder in deren Mitte erhalten werden. Wir haben keine obligatorische Liste aus Regionen, die man zuerst durchstehen muss, um ein Botschafter zu werden. Traditionell, abgefangen ab der Diplomatie des Russische Imperiums und danach im sowjetischen Zeitraum wurde der Akzent nicht auf die „Abglättung" der Diplomaten in einer maximalen Anzahl von Ländern und Regionen gesetzt, sondern auf die Fachrichtung. In der gegenwärtigen Phase, nach 1992, wurde im Ministerium in einer Reihe von Fragen der Versuch vorgenommen die fachbezogenen Fragen sogar zwangsmäßig zu lösen. Ich möchte ein konkretes Beispiel anführen. Im Kollegium wurde einmal die Frage über die Zuweisung eines Mitarbeiters in die Mongolei zum fünften Mal im Zeitraum seiner Arbeit im Außenministerium behandelt, es ging dabei um eine Reise vor seiner Rente. Der Leiter der Personalverwaltung (damals war es noch eine Verwaltung) trat strikt dagegen auf: der soll nicht in die Mongolei, er sollte besser irgendwo in Europa arbeiten. Und dieser Mann flehte, stand praktisch auf den Knien – er liebe die Mongolei, dort würden ihn alle kennen, dort gibt es Zugang zur Staatsleitung, Fischfang und Jagd. Nein, wir haben ihn nicht hingelassen.
Im Westen funktioniert ein anderes System. Nach zwei-drei Jahren in einem Land kann man in ein anderes beordert werden, ohne in die Hauptstadt zurückzukehren. So kann man jahrzehntelang herumreisen, bevor man an seine Arbeit im Außenministerium zurückkommt. Wie das eine, sowie auch das andere System haben ihre Vor- und Nachteile. Ich denke, dass der optimale Ausweg in der Kombination von beiden Grundsätzen liegt. Eine Fachrichtung ist sehr wichtig, besonders wenn Kontakte erarbeitet wurden, wenn du deine Arbeit als ein junger Botschaftsmitarbeiter beginnst, Bekanntschaften schließt, und danach machen diese Bekannten – die ebenfalls junge Mitarbeiter im Ministerium des entsprechenden Landes sind, - ebenfalls ihre Karriere, nehmen wichtige Stellungen ein. Es wäre eine Sünde solche Beziehungen nicht zu nutzen, das machen alle so.
Andererseits, wenn ein konkretes Thema besprochen wird, verspürt man immer mehr den Bedarf an einer weiten Übersicht, besonders wenn das die Arbeit in den Hauptstädten großer Staaten betrifft – der „Achter"-Länder, China, Indien, Brasilien, Südafrika, - Staaten, die in Bezug auf die meisten Aspekte der internationalen Agenda ihre Interessen haben. Deshalb müssen bilaterale Botschafter und Diplomaten, die in den russischen Botschaften in diesen Staaten arbeiten, über ein umfassendes Wissen verfügen. In der Regel kann man nicht alles dem Internet oder unseren inneren Dienstmaterialen entnehmen.
Wieviel Zeit dafür erforderlich ist? Ich wurde zum Vertreter bei der UNO in 1994, als ich 44 Jahre alt war. Zu jenem Zeitpunkt war ich bereits seit 22 Jahren im Außenministerium tätig. Aber das ist bei Weitem noch kein Rekord. Wir haben Botschafter, die zum ersten Mal in dieses Amt im Alter von 35-37 Jahren beordert wurden. Ihr müsst es einfach wagen. Das Wichtigste ist der Wunsch, der in die Arbeitsergebnisse kapitalisiert wird.
Frage: Hat Russland es vor die westlichen Standards bei der Lösung von Umweltproblemen zu übernehmen? Und wenn nicht – wird dann irgendein eigenes System geschaffen, dass nicht weniger effizient ist, als das westliche?
S.V. Lawrow: Wir haben vor der Umwelt viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als bisher. Unser Land hat in dieser Hinsicht ein schweres Erbe, das besonders in den nördlichen Breiten ausgeprägt ist. Sie wissen, dass unter Berücksichtigung der Eistauung der Transitverkehr über den Nördlichen Seeweg, der aus der Sicht der Navigation immer bequemer wird, abrupt angestiegen ist. Seinerzeit war W.W. Putin auf einer Inspektionsreise in dieser Gegend unterwegs und fasste den Beschluss, dass man dringend Ordnung in der Ökologie schaffen muss. Die entsprechenden Maßnahmen werden bereits vorgenommen..
Wir verfügen über eigene Standards, es gibt auch internationale Verpflichtungen, insbesondere im Rahmen einer solchen Organisation, wie der Ostseerat. Der Schutz des Lebensraums der Ostseegewässer ist eine der Prioritäten. Ich erwähnte bereits die Arktis. Der Umweltschutz und die Bewohnung durch die Stammvölker ist eine der Prioritäten des Arktisrats. Es ist auch die Organisation der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Schwarzen Meer tätig, wo ebenfalls abgestimmte Normen der Umweltpolitik bestehen. Das Kaspische Meer – fünf kaspische Staaten haben eine entsprechende Konvention über den Schutz der Umwelt und der biologischen Ressourcen etc. entwickelt. Was andere multilaterale Formate betrifft, so ist ein gutes Beispiel die Asiatisch-pazifische wirtschaftliche Zusammenarbeit. Eine der Lösungen, die zur Genehmigung durch die Staatschefs (beim Gipfeltreffen in Wladiwostok) vorbereitet werden, ist die Absenkung der Importgebühren für umweltreine Waren, deren Aufstellung noch abzustimmen ist, bis auf 5%.
Ich möchte natürlich auch das UNO-Umweltschutzprogramm erwähnen, an dem Russland aktiv teilnimmt, indem es sich an die Entwicklung von universalen, und nicht nur von regionalen Standards angeschlossen hat. Daneben verfügen wir über Standards, die die internationale Spezifik und den Charakter der Umweltprobleme in der Russischen Föderation berücksichtigen. Ich kann die Priorität solcher Anstrengungen für unsere Staatsleitung versichern und bin überzeugt, dass sie auch weiterhin aktuell bleiben.
Frage: Was sind die Probleme und die Aussichten der russisch-indischen Beziehungen in der aktuellen Phase, da im Internet und in den Medien keine breiten Informationen über diese Region vorgestellt sind?
S.V. Lawrow: Ich erinnere daran, dass außer dem Internet und der Presse es auch wissenschaftliche Literatur gibt, in der die russisch-indischen Beziehungen ausreichend seriös und umfassend beschrieben werden. Indien ist unser strategischer Partner. Beim treffen des russischen und des indischen Präsidenten im letzten Jahr wurde eine Deklaration gefasst, in der die Partnerschaft zwischen unseren Ländern als privilegiert strategisch bezeichnet wird, was den besonderen Charakter unserer Beziehungen unterstreicht. Dieser wird durch die Geschichte, die Solidarität der Sowjetunion mit Indien im Zeitraum deren Dekolonisierung und der Erlangung der Unabhängigkeit bestimmt, als die UdSSR dieses Land politisch unterstützte und die industrielle Produktion aufbaute. Es müssen auch die kulturelle Zusammenarbeit und die humanitären Beziehungen erwähnt werden. Indische Filme nehmen in unserem Land von der Popularität her nach wie vor wohl einen der ersten Plätze ein.
Wir sind auch strategische Partner in der Problematik der Weltordnung. Russland und Indien haben die gleiche Sichtweise auf die Probleme der modernen Welt; wir treten gemeinsam dafür auf, dass alle Staaten ihre Verpflichtungen aus der UNO-Satzung streng einhalten, sich nicht gegenseitig in die inneren Angelegenheiten einmischen, die Souveränität, die territoriale Integrität, die politische Unabhängigkeit von ausnahmslos allen Staaten respektieren. Moskau und Delhi sind dafür, dass der Vorrang des Gesetzes, über den die westlichen Partner gerne in Anwendung an die Situation innerhalb der Staaten sprechen, auch in den internationalen Beziehungen gewährleistet wird. Mit anderen Worten, dass das Völkerrecht respektiert wird. Indien ist unser Verbündeter in diesen Fragen. Beide Staaten treten für die Demokratisierung der internationalen Beziehungen auf. Angesichts des nahen Charakters der Beziehungen zwischen unseren Ländern, Indiens Rolle als einer großen Regionalmacht, deren Interessen weit außerhalb der Region reichen, sowie unserer Partnerschaft im Rahmen der BRICS unterstützen wir den weitergehenden Anschluss von Indien an verschiedene multilaterale Strukturen. Das betrifft auch das Erlangen durch dieses Land einer vollberechtigten Mitgliedschaft in der SOZ, sowie den Anschluss an den Kreis der Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats.
Frage: Da mir bei der Einteilung die amharische Sprache zugeteilt wurde, würde ich gerne über die Perspektiven der russisch-äthiopischen Beziehungen erfahren.
S.V. Lawrow: Äthiopien ist ebenfalls ein alter Freund. Wir haben die afrikanischen Länder bei ihrem Kampf gegen den Kolonialismus unterstützt. Sie erinnern sich an die Rolle, die unser Land bei der Befreiung Afrikas von der Kolonialherrschaft gespielt hat. Äthiopien war und bleibt auch weiterhin einer der führenden afrikanischen Staaten. In Addis-Ababa befindet sich das Stabsquartier der Afrikanischen Union. Das macht die Rolle Äthiopiens noch bedeutsamer in den afrikanischen Angelegenheiten und nicht nur darin, da die EU, die Russische Föderation und die USA mit der Afrikanischen Union Beziehungen aufgebaut haben. Leider hat Äthiopien gegenwärtig ernste Probleme mit Eritrea. Einstmals war das ein einheitlicher Staat, danach ist eine „Scheidung" erfolgt, die sich bislang noch nicht bis zur Einstellung einer endgültigen Ruhe entwickelt hat. Wir unterstützen die Lösung dieser Probleme über einen Dialog. Es gibt auch die entsprechenden Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrats. Zwischen unseren Ländern entwickeln sich gut die kulturellen Beziehungen und die politischen Kontakte. Es fehlt jedoch leider ein einem ernsthaften wirtschaftlichen Bestandteil. Bisher sind die bilateralen handelswirtschaftlichen Beziehungen vom Umfang her vom bestehenden Potential noch weit entfernt.
Und machen Sie sich keine Sorgen bezüglich der Sprachen, die Ihnen zugeteilt werden. Sie haben das irgendwie so erwähnt, als ob Sie dazu verdammt wären. Ich war ganz entgeistert, als ich am 1. September 1967 im alten Gebäude der MGIMO ankam und sah, dass ich die singalische Sprache studieren werde. Damals war ich überzeugt, dass das irgendwo in Afrika sein muss, wahrscheinlich in Senegal. Aber es erwies sich, dass dies die Sprache ist, die 70% der srilankischen Bevölkerung spricht.
Frage: Mein weiteres Studium wird mit der finno-ugrischen Sprachgruppe verbunden sein, insbesondere mit Estnisch. Sie haben die Probleme dieser Region bereits erläutert. Was sind denn Ihrer Meinung nach die aussichtsreichsten Wege für die Zusammenarbeit mit diesen Ländern?
S.V. Lawrow: Ich habe bereits über Estland gesprochen. Wir treten dafür auf, dass alle Probleme, die wir nicht vertuschen, gelöst werden und uns nicht an der Fortbewegung behindern, wo es den Interessen beider Staaten entspricht. Wir sind dazu bereit. Ich denke, dass bei Vorhandensein eines guten Willens seitens der estnischen Staatsleitung die Probleme geregelt werden können und ein gegenseitiger Vorteil von der Entwicklung der Zusammenarbeit erhalten werden kann, da wir vor allem Nachbarn sind und in einer ganzen Reihe von Fragen natürliche Vorteile haben.
Was die finno-ugrischen Völker betrifft, so gehen in diese Gruppe außer Estland auch Ungarn und Finnland ein. Mit Finnland haben wir sehr enge Beziehungen. Das ist allen gut bekannt. Es erfolgen regelmäßige Kontakte zwischen den Präsidenten, den Regierungschefs, auf Ministerebene. Am 20. August dieses Jahres bin ich auf Einladung meines finnischen Kollegen nach Helsinki gereist, wo ich neben den Treffen mit dem Präsidenten, dem Premierminister und en Verhandlungen mit dem Außenminister in der Besprechung der finnischen Botschafter im Ausland aufgetreten bin. Das ist eine äußerst ehrenvolle Einladung und spiegelt das vertrauliche und gegenseitig vorteilhafte Niveau der Beziehungen zwischen unseren Staaten mit einem guten wirtschaftlichen Bestandteil und einem noch größeren Potential, darunter auch im Bereich Tourismus (im letzten Jahr wurden über 10 Mio. Grenzüberquerungen zwischen Russland und Finnland fixiert). Deshalb stehen vor uns ausschließlich praktische Aufgaben in der Einrichtung von bequemeren Passierstellen. Die Finnen fahren nach Sankt-Petersburg für drei Tage ohne Visum, unterstützen uns in der Notwendigkeit des schnellstmöglichen Übergangs zum visumfreien Regime mit der Europäischen Union. Es geht hier also um äußerst positive Beziehungen.
Gute Perspektiven haben auch die Beziehungen zwischen Russland und Ungarn. Abgesehen davon, dass Ungarn ein Mitglied der NATO und der Europäischen Union ist, versucht es nicht in unseren Beziehungen ein Problem daraus zu machen. Ich denke, dass in der nächsten Zeit die bilateralen Beziehungen im Bereich Wirtschaft und gegenseitiger Investitionen recht ernsthaft vertieft werden können. Sie haben gute Perspektiven und ich wünsche Ihnen viel Erfolg.
Frage: Am 2. September feiern wir ein weiteres Mal den Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, aber gleichzeitig sehen wir die Ansprüche Japans auf die Kurilen. Gleichartige Ansprüche erhebt Japan auch gegen Korea und China. Warum wurde bisher immer noch kein Friedensabkommen mit Japan abgeschlossen und warum kann das nicht im Rahmen einer internationalen Organisation gemacht werden, z.B., in der APEC?
S.V. Lawrow: Die APEC ist keine zwischenstaatliche Einrichtung, sondern ein Wirtschaftsforum. Es hat einen besonderen Status, deshalb werden beliebige zwischenstaatliche politische und rechtliche Vereinbarungen im Rahmen der APEC grundsätzliche nicht behandelt. Dort warden Wirtschaftsfragen besprochen.
Gegenwärtig sehen wir keine Hindernisse für die Entwicklung der Beziehungen mit Tokio selbst beim Fehlen eines Friedensvertrags. Es gibt die bilaterale Deklaration von 1956, nach der vom Wesen her die Beziehungen zwischen unseren Ländern neu aufgenommen wurden. Dort wird die Notwendigkeit des Abschlusses eines Friedensvertrags vor der Besprechung der territorialen Fragen erwähnt. Der Friedensvertrag steht unter allen Umständen an erster Stelle. Unsere Position ist einfach und wir haben sie schon mehrmals dargelegt: der Friedensvertrag, der Friedensvertrag von San Francisco und andere nicht universale Dokumente sind wichtig. Aber wichtiger als jedes beliebige Rechtsinstrument ist die Satzung der Vereinigten Nationen, die die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs fixiert, darunter auch die territorialen. Alle Mitgliedsstaaten der UNO, müssen die Satzung unterzeichnen und ratifizieren, bevor sie zu einem vollberechtigten Mietglied der Organisation werden. Das ist der „Ofen", von dem man „tanzen" muss.
Frage: Verspürt das Außenministerium gegenwärtig ein Defizit oder eine Übermenge an jungen Diplomatenkadern?
S.V. Lawrow: Ein Defizit verspüren wir bestimmt nicht, aber ein Überfluss besteht auch nicht. Es gibt jedoch ein Problem. Ende der 1980er – Anfang der 1990er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die kooperative Tätigkeit und das private Unternehmertum seine Entwicklung begann, brauchten frisch gegründete Privatunternehmen Personal mit guten Fremdsprachenkenntnissen für Kontakte im Ausland. Da damals die Gehälter im Außenministerium äußerst bescheiden waren, erschienen die angebotenen 500 Dollar im Monat den Mitarbeitern des Ministeriums als attraktiv, und die Schicht der „Arbeitspferde" – der Diplomaten des mittleren Glieds (der ersten, zweiten Sekretäre und selbst der Berater) hat sich in jenem Zeitraum ernsthaft verdünnt. Vor einiger Zeit begannen wir das auch zu spüren. Die Jugend ist zwar an das Außenministerium gekommen, um die ältere Generation abzuwechseln, es hat sich jedoch eine Kluft in der Kategorie von jungen, jedoch bereits erfahrenen Menschen gebildet, die etwa ein Jahrzehnt am Außenministerium tätig waren und dazu fähig sind selbstständig Dokumente vorzubereiten. Jetzt wird dieses Problem gelöst, da die neuen Wellen der Hochschulabsolventen, die jährlich im Außenministerium angestellt werden, Kraft erlangen (sie sind zwar noch nicht zu einem „Tsunami" geworden, sind aber nahe dran). Das war natürlich ein Scherz. In Wirklichkeit denke ich jedoch, dass wir momentan eine optimale Personalbalance haben.
Frage: Welche geopolitischen Folgen kann die Übergabe der Tuzla Landzunge an die Ukraine für Russland haben?
S.V. Lawrow: Diese Frage war etwa acht Jahre lang ziemlich scharf. Wir führen Verhandlungen mit unseren ukrainischen Kollegen über die Lösung des Problems der Gewässer des Asowschen Meeres, der Straße von Kertsch und des Schwarzen Meeres durch. All diese Fragen sind miteinander verbunden, die Diskussionen werden fortgesetzt, aber es besteht ein grundsätzliches Verständnis in einigen Aspekten, obwohl eine endgültige Vereinbarung bislang noch nicht erreicht wurde. Ich bin mir sicher, dass die Interessen der Russischen Föderation, wie auch die Interessen der Ukraine vollständig gewährleistet werden. Man muss Lösungen erreichen, die für unsere beiden Länder komfortabel sind.
Frage: Wenn Peter der Große an der Macht wäre, wo würde er die Hauptstadt bauen?
S.V. Lawrow: In Sankt-Petersburg hat Peter I. seinerzeit bereits eine Hauptstadt gebaut. Ich verstehe den Sinn Ihrer Frage nicht. Es besteht kein Bedarf an einer neuen Hauptstadt – wir haben schon zwei Hauptstädte – Moskau und Sankt-Petersburg.
Frage: Die MGIMO ist nicht nur ein Studium, sondern auch Sport. Sie sind ein "Spartak"-Fan. Werden Sie das Spiel von Jegor Titow besuchen, das am 9. September stattfinden wird?
S.V. Lawrow: Ich werde in Wladiwostok sein, aber wenn ich es zeitlich schaffen würde, würde ich auf jeden Fall hingehen. Wir haben ein paar Mal zusammen Minifußball gespielt. Das sind wirklich ganz besondere Eindrücke. Man fühlt sich anders auf dem Feld, wenn neben dir solche Meister stehen. Manchmal unterhalte ich mich mit vielen „Spartakern" auf dem Fußballfeld – Y.W. Gawrilow, D.A. Alenitschew. Man muss nicht nur den Sport in sich, sondern auch sich im Sport lieben. Man muss Sport treiben. Ich bin mir sicher, dass die MGIMO (U) alle Möglichkeiten dazu hat.
Danke und alles Gute.
1 September 2012