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Auftritt und Antworten auf Fragen Außenministers Russlands Lawrow auf dem Brussels Forum 2009, Brüssel, 21.März 2009

488-31-03-2009

Philipp Stevens (Moderator): Zunдchst mцchte ich eine Frage an Herrn Lawrow stellen. Wir haben neulich vom russischen Prдsidenten gehцrt, Russland wolle ein neues System von Vereinbarungen fьr die europдische Sicherheit schaffen. Diese ДuЯerung hat in Europa viele Fragen hervorgerufen. Erstens, was bedeutet das? Wir sind nicht ausreichend informiert. Und zweitens, geht es dabei nicht um einen neuen Versuch Russlands, uns von der NATO loszulцsen?

Herr Lawrow, kцnnten Sie uns bitte erklдren, worin dieser Plan besteht und wie er sich in die vorhandene Sicherheitsarchitektur einfьgt?

Sergej Lawrow: Vielen Dank fьr diese wirklich ganz neue Frage.

Ob wir uns im euroatlantischen Raum in Sicherheit fьhlen? Es gibt Organisationen, sogar mehrere. Wir haben politische Verpflichtungen ьbernommen. Wir haben Prinzipien entwickelt, und diese sind in den Dokumenten der OSZE und des Russland-NATO-Rates verankert. Sie betreffen die Unteilbarkeit der Sicherheit als einen der wichtigsten Prinzipien, und natьrlich die territoriale Integritдt und Souverдnitдt.

Niemand stellt sie unter Zweifel. Aber einige davon, vor allem die sich auf die „harte" Sicherheit beziehen, existieren in Form von politischen Verpflichtungen und funktionieren dem Anschein nach nicht. Sie funktionieren seit langem nicht – seit dem Zerfall der Sowjetunion, denn damals betrafen die Vereinbarungen und politische Verpflichtungen vor allem die NATO-Nichterweiterung.

Nach der ersten NATO-Erweiterungswelle wurde vereinbart, groЯe Militдrkontingente auf dem Territorium der neuen NATO-Mitglieder nicht zu stationieren. Aber sie wurde nicht erfьllt.

Dann hat man uns versichert, die NATO-Erweiterung sehe nur den Eintritt von osteuropдischen und baltischen Lдndern in die Organisation vor. Wir brauchen uns also nicht aufzuregen, dieser Schritt werde die Sicherheit festigen. Es gehe einfach um die Befьrchtungen und das historische Gedдchtnis dieser Lдnder. Wenn sie in der NATO sind, werden sie sich in Sicherheit fьhlen und sich beruhigen. Nichts desgleichen ist geschehen.

Laut dem Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit, darf kein Staat eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten gewдhrleisten. Diese Verpflichtung wurde auf hцchster Ebene in der OSZE und im Russland-NATO-Rat angenommen, sie wird jedoch nicht erfьllt, das sehen wir nicht. Ich werde nicht ьber die Militдrstьtzpunkte sprechen, die schon in der Nдhe des russischen Territoriums sind, ich werde nicht ьber die bekannten Schritte im Bereich der Raketenabwehr sprechen. Alls das wissen Sie.

Wenn wir also diese Prinzipien nach wie vor unterstьtzen, sollen wir zusammenkommen und sie zu verbindlichen erklдren. Das schlagen wir vor. Auf dem Gipfel des Russland-NATO-Rates etwa vor einem Jahr in Bukarest wollten wir eine gemeinsame Deklaration verabschieden, aber sie wurde nicht gebilligt, weil es uns nicht gelungen ist, in diese Deklaration Verweise auf die grundlegenden Dokumente des Russland-NATO-Rates einzufьgen. Es sollten Verweise auf die These sein, dass niemand eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer gewдhrleisten darf.

Natьrlich haben wir Fragen. Warum ist es so? Wir wollen einfach verstehen, ob diese gebilligten Prinzipien der militдrpolitischen Sicherheit nach wie vor fьr alle Mitglieder des euroatlantischen Raums gelten. Und wenn ja, dann warum kann man diese nicht zu verbindlichen Prinzipien erklдren?

Im Rahmen dieser Aktivitдten und des neuen Vertrags wollen wir auch Kriterien der Konfliktregelung vereinbaren, damit es nicht so ist, dass beispielsweise fьr den Kosovo ein Standard gilt und in allen anderen Fдllen ein anderer.

Es ist zu sagen, dass auch die Rьstungskontrolle von der Krise befallen ist. Unter erdachten Vorwдnden haben unsere Kollegen aus der NATO den angepassten KSE-Vertrag nicht ratifiziert. Sie versuchen es immer wieder, den verbindlichen KSE-Vertrag und politische Verpflichtungen aneinander zu knьpfen. Russland hat auch diese politischen Verpflichtungen – die sogenannten Istanbuler Verpflichtungen – erfьllt. Dann wurden weitere Schritte vorgeschlagen, die zur Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrags durch die NATO angeblich erforderlich sind.

Deshalb wollen wir im Rahmen dieser Aktivitдten auch Prinzipien der Rьstungskontrolle vereinbaren, sie verbindlich machen. Dies soll jedoch die Bemьhungen um die Wiederaufnahme des KSE-Regimes nicht ersetzen. Wir wollen nur diese Schritte in Bezug auf den KSE-Vertrag fortsetzen. Sie sollen sich nicht auf den russisch-amerikanischen Dialog beschrдnken. An dieser Arbeit sollen Europдer teilnehmen, da es um konventionelle Streitkrдfte in Europa geht. Wir rechnen auf ihr aktives Mitwirken an diesen Bemьhungen. In diesem Kontext begrьЯen wir die Initiative von Frank-Walter Steinmeier ьber die Einberufung der Beratung einer hochrangigen Expertengruppe im Juni dieses Jahres in Deutschland. Auf dieser Beratung soll die Entwicklung um den KSE-Vertrag behandelt werden.

Es geht also um die erneute Bestдtigung des Prinzips der Unteilbarkeit der Sicherheit; um die Entwicklung von Mechanismen, die eingesetzt sein sollen, wenn sich einer der Teilnehmer dieser Vereinbarung nicht in Sicherheit fьhlt; um Kriterien der Konfliktregelung; um Prinzipien der Rьstungskontrolle. Natьrlich kцnnte im neuen von uns vorgeschlagenen Vertrag auch die neue Qualitдt der Zusammenarbeit bei der Bekдmpfung des Terrorismus, der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und bei der Bewдltigung anderer Bedrohungen und Herausforderungen, mit denen wir alle konfrontieren, den Niederschlag finden.

Warum kann man das nicht im Rahmen der vorhandenen Strukturen machen? Die Antwort ist sehr einfach. NATO sorgt fьr die Sicherheit ihrer Mitglieder, die Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrags fьr die Sicherheit ihrer. GUS, die Europдische Union mit ihrer europдischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – alle diese Strukturen stellen Klubs bzw. Organisationen dar, die Sicherheit gewдhrleisten sollen.

OSZE ist eine universelle Organisation, und niemand stellt ihre Prinzipien in Zweifel, auch Russland nicht. Aber die OSZE ignoriert schon seit langem die Fragen der „harten" Sicherheit. Im Rahmen dieser Organisation arbeiten das Forum fьr die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich und die Jahreskonferenz zur Ьbersicht von Problemen der europдischen Sicherheit, wo diese Fragen behandelt werden mьssen. Es gibt da jedoch keine Entwicklung. Wir wollen das дndern. Wir wollen die OSZE einsetzen, die bisher diese Fragen ignoriert hat. Ich habe es vor, Ende Juni Wien zu besuchen, um an der Konferenz zur Ьbersicht von Problemen der europдischen Sicherheit teilzunehmen.

Das zweite Problem mit der OSZE besteht darin, dass dieser Organisation nur Lдnder angehцren, nicht aber Organisationen. Wir sind der Meinung, dass den neuen Vertrag nicht nur alle Teilnehmerstaaten besprechen sollen, sondern auch alle Organisationen, die mit den Sicherheitsfragen in unserem gemeinsamen Raum zu tun haben.

SchlieЯlich zu den juristischen Verpflichtungen. OSZE kann keine juristischen Verpflichtungen auferlegen. In der OSZE, wie auch im Russland-NATO-Rat, gibt es nur politische Verpflichtungen, aber nicht juristische. Die NATO-Verpflichtungen auch sind juristisch verbindlich. Daraus resultieren verschiedene Niveaus der Sicherheit.

Diese Darlegungen liegen unserer Idee zugrunde.

Antworten auf Fragen:

Sergej Lawrow (nach Javier Solana): Wir wollen, dass an diesen Bemьhungen nicht nur die OSZE, sondern auch alle Organisationen mitwirken, die sich mit den Sicherheitsfragen in unserem Raum befassen.

Zweitens. Hinsichtlich der drei Dimensionen der Sicherheit und, dass man nur dann weiterkommen kann, falls sie alle als ein Paket behandelt werden. Niemand stellt den humanitдren oder wirtschaftlichen Korb der OSZE in Zweifel. Die humanitдre Komponente der OSZE hat ihre eigenen Mechanismen. Diese funktionieren und bringen positive Resultate. Manchmal arbeiten sie nur mit Mьh und Not, aber sie arbeiten. Was die „harte" Sicherheit betrifft, so ist hier alles auf dem Nullstand.

Ьbrigens zur Kopplung der „harten" und „weichen" Sicherheit. Auf den Verhandlungen ьber die Objekte der Raketenabwehr in Europa wurde diese Frage mit den Menschenrechten und der Demokratie nicht in Zusammenhang gesetzt? Gab es etwa Anknьpfung mit dem dritten Korb, als Militдrstьtzpunkte in Rumдnien und Bulgarien aufgebaut wurden?

Wir mьssen einfach gestehen, dass wir im Bereich der „harten" Sicherheit gescheitert sind. Wir wollen die Lage in diesem Bereich verbessern, ohne das umfassende Herangehen an die Sicherheit in Zweifel zu stellen. Es gilt nur die Schieflage zu beseitigen.

Frage: Herr Lawrow, Sie haben gesagt, dass 1989 und 1991, als die Sowjetunion zusammengebrochen war, eine Reihe von Vereinbarungen erreicht wurde. Einer davon hieЯ: Die NATO nach Osten nicht zu erweitern. Die andere: Auf dem Territorium der ehemaligen Lдnder des Warschauer Vertrags dьrfen Streitkrдfte der USA und der westlichen Lдnder nicht stationiert werden. Wir wissen nicht genau, ob es solche Vereinbarungen gab. Mцglicherweise waren es mьndliche Vereinbarungen. Meine Frage heiЯt: wie und auf welche Weise bedroht jetzt die NATO Russland?

Sergej Lawrow: Sie haben die Frage gestellt, und ich beantworten sie mit „ja". Ja, leider waren es mьndliche Versprechungen und Verpflichtungen. Zwar sichere Versprechungen.

Ehrlich gesagt, ich glaube, wir waren naiv. Wer diesen Versprechungen glaubte, war naiv. Ich las die Protokolle der Verhandlungen auf hoher Ebene. Ich weiЯ, wovon ich rede. Und diesem naiven Herangehen zugrunde lag die Ьberzeugung, dass nach der Sowjetunion eine neue Epoche beginnt, und „alle einander wie Brьder und Schwestern werden". Das war nicht der Fall. Aber das stimmt, es waren mьndliche Verpflichtungen.

Was die Prдsenz der US-Streitkrдfte in Osteuropa betrifft, so werden derzeit zwei Militдrstьtzpunkte in Rumдnien und Bulgarien gebaut. Und das ist ein Fakt, also nichts mьndliches, sondern etwas vollkommen materielles.

Hinsichtlich der Bedrohung fьr Russland seitens NATO. Die in den 90er Jahren zwischen Russland und der NATO erreichten Vereinbarungen besagten, dass der Russland-NATO-Rat nicht aus 26+1, sondern aus 27 Mitgliedern bestehen soll. Und jedes Land soll daran als solches teilnehmen. Das hat natьrlich in der Praxis nie funktioniert. Und das ist ein weiteres Problem, mit dem wir zusammenstoЯen.

Sie wissen, dass wir NATO als eine Realitдt betrachten. Wir wollen mit ihr zusammenarbeiten. Wir sehen das Potential fьr diese Zusammenarbeit: Afghanistan, die gemeinsame Luftraumkontrolle, eine ganze Reihe anderer Bereiche - die Kompabilitдt der Friedenskrдfte usw. Uns gefдllt es jedoch nicht, dass die NATO ьber alle und ьber alles urteilen will. Dass NATO Jugoslawien ohne legitime Begrьndung, ohne Genehmigung des Sicherheitsrats und unter Verletzung der UN-Charta bombardierte. Die neue NATO-Strategie bzw. Doktrin – die ist offen – beinhaltet immer mehr Szenarien, wann Gewalt angewendet werden darf, eigentlich nicht unbedingt mit der Genehmigung des Sicherheitsrats. Das ist beunruhigend, denn wir sind der Ansicht, dass das Vцlkerrecht universell sein soll und dass es nicht Bereiche der privilegierten Sicherheit geben darf.

Wir verstehen einfach nicht, warum NATO erweitert wird. Wir verstehen nicht, warum diese Militдrstruktur an unsere Grenzen immer nдher rьckt. Eine weitere Sonderfrage ist die Raketenabwehr. In der letzten Zeit haben wir ohne Pauken und Trompeten unsere Militдrprдsenz im Gebiet Kaliningrad vermindert. Und nun werden wir den Dritten Stellungsbezirk der globalen Raketenabwehr der USA bekommen!

Natьrlich verstehen wir nicht, warum die NATO bzw. einige NATO-Mitglieder die Ukraine in den Pakt praktisch zwдngen. Dabei unterstьtzen den NATO-Beitritt nur 18 % der ukrainischen Bevцlkerung. Und warum behauptet die NATO nach wie vor, dass Georgien ein NATO-Mitglied werden soll, wenn das jetzige georgische Regime rohe Gewalt angewendet und alle internationalen Verpflichtungen verletzt hat?

Und das letzte, worauf ich hinweisen will, was ich nicht mit Stillschweigen ьbergehen will. Bevor Herr Saakaschwili den Befehl ьber den Angriff auf Sьdossetien erteilt hat, fьhrten wir intensive Verhandlungen mit Condoleezza Rice. Ich habe sie mehrmals gefragt: Warum ьberzeugen Sie Georgier nicht, das Abkommen ьber den Verzicht auf Gewaltanwendung zu unterzeichnen? Warum stellen Sie die Lieferungen von Offensivwaffen an Georgien nicht ein? Sie hat mir gesagt: Regen Sie sich nicht auf. Und auf meine Frage, warum Sie unter diesen Umstдnden Georgien in die NATO hineinziehen, hat sie gesagt: Regen Sie sich nicht auf. Wenn er Gewalt anwenden wird, kann er NATO vergessen. Also, er hat Gewalt angewendet.

Ja, das stimmt, jedes Land hat das souverдne Recht, seine Partner selbst zu wдhlen sowie die zu wдhlen, mit denen es, ein Bьndnis schlieЯen will. Beispielsweise die Ukraine. Ich habe schon gesagt, dass laut Umfragen, die NATO-Mitgliedschaft weniger als 20% aller Ukrainer unterstьtzen. Im Falle Georgien wurde die NATO Schule der Demokratie genannt. Ist es eine Demokratie, die Aggression entfesselt und Hunderte Zivilisten tцtet? Sollen es NATO-Mitglieder selbst klдren.

Ich mцchte aber ьber die Probleme der OSZE reden. Der Konsens bedeutet, dass jedes Mitglied das Vetorecht hat. So ist es, auЯer dem Mechanismus „Konsens minus ein". Dieser Mechanismus wird bei der Verletzung von Menschenrechten eingesetzt. Sofern ich mich erinnere, wurde dieser Mechanismus "Konsens minus ein" 1991 in Moskau gleich nach dem Putsch und unmittelbar vor dem Zerfall der Sowjetunion vereinbart, und er gilt bis jetzt.

OSZE soll erneuert werden. In den letzten drei, vier oder fьnf Jahren hat Russland zusammen mit einigen anderen Lдndern versucht, die Idee der Verhandlungen ьber die Annahme einer OSZE-Charta durchzusetzen. Man nennt sie eine Organisation, aber sie ist es nicht. Sie ist nicht rechtsfдhig. Wir haben eine Reihe von Dokumenten eingebracht. Wenn diese Dokumente angenommen werden, werden sie die Transparenz in den Aktivitдten der OSZE steigern: betreffs der Wahlbeobachtung, der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, der Bildung von Feldmissionen und deren Mandats. Wir wollen, dass sie den Bestimmungen der geltenden Dokumente entsprechen.

Wir fordern auch auf, die unmцgliche Festlegung abzuschaffen, die den OSZE-Haushalt betrifft. Laut dieser Festlegung kann  jedes Land ankьndigen, einen auЯeretatmдЯigen Beitrag fьr ein konkretes Projekt in einem konkreten Land leisten zu wollen. Und dieser Vorschlag bekommt ohne Genehmigung des Stдndigen Rates oder eines Interregierungsgremiums sofort den Status eines OSZE-Projekts. So kann also jedes OSZE-Mitglied in jedem Land alles, was es will, unter der OSZE-Schirmherrschaft tun. Das ist falsch. Es erweckt unnцtigen Verdacht. Es gibt aber einige Personen, die es nicht wollen, dass die Arbeit der OSZE fьr alle transparent und klar ist. Wir glauben, dass diese Personen die OSZE mit ihren unklaren Vorschriften und Praktiken einfach fьr die Aufgaben nutzen wollen, die die OSZE nicht unterstьtzt.

Wenn man etwas zum Gesetz erklдrt, bedeutet es keinesfalls, dass dadurch die Sicherheit gewдhrleistet wird. Es ist klar. Das Vцlkerrecht, die UN-Charta wurden mehrmals verletzt. Aber wir sollten uns wenigstens bemьhen, zueinander ehrlich zu sein. Und wenn wir politische Verpflichtungen ьbernehmen, die auch kьnftig gelten, so sollen wir versuchen es zu tun. Wenn wir diesen politischen Vereinbarungen treu sind, warum kцnnen wir diese nicht zu verbindlichen erklдren und warum kцnnen wir zusammen mit der NATO, mit der OSZE, zusammen mit der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrags, mit dem Russland-NATO-Rat und mit der Europдischen Union nicht versuchen, Mechanismen auszuarbeiten, die alle diese Organisationen mit ihren eigenen Regelungen nicht einschrдnken, sondern fьr alle akzeptabel sind und von allen eingesetzt werden. Wir haben keine Antwort auf die Frage, wie es arbeiten kann und ob es ьberhaupt arbeiten wird. Aber wir meinen, dass wir versuchen mьssen, es zu tun.

Es ist zu frьh, jetzt ьber den Vertrag zu sprechen. Wir wollen das Wesen dieser Probleme besprechen, schauen, ob Menschen wirklich daran interessiert sind, dass sich alle gemьtlich fьhlen. Javier Solana hat gestanden, dass fьr die meisten Europдer diese Lage recht ist. Auch fьr die Amerikaner. Aber die dritte Sдule der europдischen Sicherheit, wie Sie uns nennen, d.h. Russland, fьhlt sich nicht so.

Das ist die Einladung zum Dialog. Ich wьrde diese Etappe in unseren Gesprдchen bestimmt begrьЯen, vielleicht etwas spдter, nachdem wir alle Fragen beantwortet und mit die Entwicklung von konstruktiven Ideen begonnen haben. Wir hoffen, dass es geschehen wird. Wir haben einige analytische Zentren in Russland, Deutschland und Frankreich schon eingeladen. Sie arbeiten zusammen, veranstalten Konferenzen, auf denen verschiedene Ideen prдsentiert werden. Auf jeden Fall brauchen wir Meinungen von AuЯenstehenden zu diesen Fragen: zur Raketenabwehr, zu den Istanbuler Verpflichtungen, die sich auf den KSE-Vertrag beziehen, zur NATO-Erweiterung als einen Raum der Demokratie und Sicherheit.

Frage: Herr Lawrow, was streben Sie in diesen neuen Vereinbarungen im Sicherheitsbereich an? Meinen Sie, dass Russland das Vetorecht im Bereich der „harten" Sicherheit auf dem europдischen Kontinent haben soll? Oder es geht darum, dass durch diese Vereinbarungen NATO und Russland gemeinsame Einstellungen zu den gemeinsamen AuЯenbedrohungen auЯerhalb Europas erreichen kцnnen, beispielsweise zur Nichtverbreitung, zu Iran und Nordkorea?   

Sergej Lawrow: Auf Ihre erste Frage antworte ich mit „nein", auf die zweite mit „ja". Aber das betrifft nicht nur Iran und Nordkorea. Es geht um unser Gefьhl der Sicherheit. Ein „Ja" zur gemeinsamen Einstellung. Ich habe soeben gesagt, dass wir keine fertigen Rezepte haben, wir wollen Probleme ehrlich behandeln.

Was den Vorschlag betrifft, die Geschichte zu vergessen, so dьrfen wir die Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO nicht vergessen, sonst ist keine aufrichtige Diskussion mцglich. Aber ich hoffe, dass Sie uns doch nicht auffordern, alle ьbernommenen Verpflichtungen zu vergessen. Und ich habe schon einige Beispiele gefьhrt, wenn diese Verpflichtungen von der anderen Partei im Russland–NATO-Rat nicht erfьllt wurden.

Zweitens. Wir sind nicht ideal. Wie in einem bekannten Film gesagt wird, niemand ist ideal. Und ich hoffe, dass es alle begreifen, auch unsere amerikanischen Partner. Ich denke, dass das Schreiben, das Prдsident Obama gestern an das iranische Volk und an die iranische Regierung gerichtet hat, ein Beispiel dafьr ist, wie die Selbstkritik sein soll, auch die Selbstkritik der Menschen, die die hцchsten Дmter bekleiden. Diesem Beispiel sollte man folgen.

Was die Raketenabwehr betrifft, so treten wir im Prinzip fьr die gemeinsame Zusammenarbeit auf der gleichberechtigten Grundlage auf. Man sagt uns aber, das sei eine besondere Frage, die Bedrohung fьr Europa und die Vereinigten Staaten, die aus dem Sьden kommt, kцnne nur durch diese eine konkrete Antwort abgewehrt werden. Und wenn wir versuchen, unsere eigene Analyse vorzustellen, Alternativen vorzuschlagen, sagt man uns, das kцnnte man mцglicherweise auch brauchen, aber der Hauptteil des Systems wird unser eigenes sein. Sogar in den USA hat das Haushalts-Komitee des Kongresses den Bericht vorgelegt, in dem es mindestens drei Alternativen fьr den dritten Stellungsraum in Polen und in der Tschechischen Republik vorgeschlagen gibt. Amerikanische Wissenschaftler sagen, dass zur Abwehr der Raketenbedrohung in West- und Ostasien unbemannte Flugkцrper eingesetzt werden kцnnen. Wir sind bereit, zusammenzuarbeiten, um diese Bedrohungen abzuwehren. Wir nehmen sie ernst. Aber wir wollen auf einer ehrlichen Grundlage zusammenarbeiten. Niemand darf von vornherein oder ex officio intellektuell ьberlegen sein. Wollen wir zusammen denken.

Was Sibirien und den Fernen Osten betrifft, so wollen wir unsere Investitionen in diese Regionen steigern. Wir begrьЯen auch auslдndische Investitionen, u.a. aus Japan und Sьdkorea, besprechen konkrete Projekte und Mцglichkeiten  Unternehmer zu gewinnen.

Javier, im August 2008 haben Sie gesagt, dass Sie besorgt sind. Wir aber waren empцrt. Es war eine offene Aggression. Georgien hat seine internationalen Verpflichtungen verletzt, die Prдsident Saakaschwili unterzeichnet hat. Er hat befohlen, Friedenswдchter und Zivilisten zu tцten. Das war ein absolut unzulдssiges Vorgehen, und ich hoffe, dass wir in einem verbindlichen Dokument noch einmal erwдhnen werden, dass niemand zur Lцsung von Konflikten, die international beobachtet werden, Gewalt anwenden darf. Ich meine ьbrigens auch unsere Vorschlдge ьber die europдische Sicherheit.

Nun zu Ihrer Besorgtheit wegen der Gaskrise. Ich hoffe, dass Sie auch mit Transitlдndern reden werden. Vor zwei Jahren, als es zum ersten Mal geschah, haben Sie in Brьssel uns vorgeschlagen, einen Frьhwarnmechanismus zu entwickeln. Wir haben gesagt: „Gut, aber wollen wir in diesen Frьhwarnmechanismus auch Transitlдnder einschlieЯen". Es gab keine Reaktion von Brьssel, und es gibt sie bis jetzt nicht. Ich weiЯ nicht, wie es behandelt wurde und warum wir soviel Zeit verloren und einen solchen Mechanismus zusammen mit Produzenten, Konsumenten und Transitdienstleistern noch nicht entwickelt haben.

Schauen Sie ьbrigens auf Ostrussland. Sie werden sehen, dass wir Kohlenwasserstoff an China verkaufen. Wir haben auch begonnen, Flьssiggas nach Japan zu verkaufen, wir haben dort viele Kunden, und kein einziges Mal gab es Stцrungen. Denken sie doch einmal darьber nach, warum es so ist, warum gibt es nur auf der westlichen Richtung regelmдЯig Lieferungsstцrungen? Wir sind bereit, es offen zu besprechen. Wir glauben, dass wir mit unseren ukrainischen Kollegen ein gerechtes Abkommen abgeschlossen haben. Auch Europa hat zum Abschluss dieses Abkommens beigetragen und es begrьЯt. Wollen wir also dieses Abkommen erfьllen. Und so sollen an diesem Frьhwarnmechanismus alle teilnahmen, damit er stцrungsfrei funktioniert.

Thomas Moperetas: Kann Russland seine Politik дndern und versuchen, andere zu ьberzeugen, statt ihnen zu drohen?

Sergej Lawrow: Die Antwort ist ganz einfach. Im Ernst: Sie haben das Recht, lдcherliche ДuЯerungen zu machen und auf sich stolz zu sein, wenn Sie es wollen. Ich will Russlands Einstellung klar machen. Das Ziel der russischen AuЯenpolitik ist nicht andere einzuschьchtern, ihr Ziel es ist Gerechtigkeit. Wir streben danach. Und wenn wir immer wieder Ungerechtigkeit in den Beziehungen zu unseren Partnern, Verletzungen von Versprechen, Nichterfьllung von Verpflichtungen sehen, sind wir beunruhigt.

Ich will Javier ergдnzen, ich will bemerken, dass Russland und die Europдische Union, Russland und NATO eine Reihe von gemeinsamen Dokumenten unterzeichnet haben, und auf diesen Dokumenten beruhen unsere Beziehungen. Wir meinen, dass diese Beziehungen sehr wertvoll sind. Wir haben vier gemeinsame Rдume und vier Roadmaps fьr die Arbeit in diesen Rдumen. In demselben Dokument haben wir erklдrt, dass die Integrationsprozesse im gesamten postsowjetischen Raum und in der Europдischen Union einheitlich sein sollen. Sie sollen einander nicht ausschlieЯen, sondern ergдnzen.

AuЯerdem hat Javier die Ostpartnerschaft erwдhnt. Wir werden der Versuche beschuldigt, andere durch Druck einzuschьchtern. Was heiЯt aber die Ostpartnerschaft? Ist es nicht etwa die Einschьchterung durch den Druck, beispielsweise WeiЯrusslands, ьber das Sie so besorgt sind? Das will ich verstehen. Und wenn mein guter Freund (Karel Schwarzenberg) цffentlich verkьndet, dass bei der Anerkennung seitens WeiЯrusslands, es die Ostpartnerschaft vergessen kann. Was heiЯt es? Eine Drohung, Erpressung oder Demokratie in der Praxis?

Zuerst wurde uns gesagt, die Ostpartnerschaft werde fьr die Zusammenarbeit entwickelt, einigermaЯen auch mit Russland. Aber nach solchen Verkьndungen stellt sich die Frage: Soll sie doch nicht etwa einige Lдnder von dem Kurs ablenken, den sie frei wдhlen sollen?

Und noch eine Bemerkung hinsichtlich Russlands, NATO, Afghanistans und des gegenseitigen Interesses: Unser Botschafter, der jetzt in diesem Saal ist, hat in der letzten Zeit mehrmals versucht, durchzusetzen, dass auch Russland am Format der Verhandlungen zwischen NATO und der Lдnder Zentralasiens ьber Afghanistan teilnimmt. Es viel ihm viel Kraft gekostet, diesen Vorschlag durchzusetzen. Wenn Sie mit uns zu Afghanistan zusammenarbeiten wollen, warum sprechen Sie separat mit uns und Zentralasien. Warum kцnnen es nicht Verhandlungen zwischen der NATO und der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrags sein. Diese Organisation arbeitet doch aktiv an der Unterbindung des Drogenhandels in Afghanistan. Mit dieser Frage klopfen wir schon seit fьnf Jahren an die NATO-Tьr.

Ich will auf drei unausgesprochene Bemerkungen antworten. Hinsichtlich der privilegierten Beziehungen haben wir mehrmals erklдrt, dass die Lдnder, mit denen uns jahrhundertelangen Beziehungen verbinden, fьr uns viel bedeuten. Das ist klar. Auch Russland nimmt bei ihnen einen besonderen Platz ein. Millionen Migranten aus diesen Lдndern verdienen in Russland, um ihren Familien zu helfen. Uns verbindet vieles, und das darf nicht auЯer Acht gelassen werden. Ich hoffe, dass es klar ist.

Wir haben nichts dagegen, wenn unsere Nachbarn mit der Europдischen Union gute Beziehungen, gemeinsame Projekte und Aufgaben haben. Seit einigen Jahren fьhren wir Verhandlungen mit der Europдischen Union, wir versuchen zu erklдren, dass WeiЯrusslands Isolierung ein Fehler ist. Wir haben Verhandlungen mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gefьhrt, wo WeiЯrussland der Sondergaststatus vorьbergehend entzogen wurde. Um die Lage gutzumachen, werden wir die Beratung der Vertreter WeiЯrusslands und der europдischen Strukturen unterstьtzen. Wir haben nichts dagegen. Im Gegenteil, wir werden nur gewinnen, wenn Russland und die Europдische Union am Prinzip festhalten: Wir fьhren in dieser Region keine Spiele und stellen den Lдndern keine unzulдnglichen Ultimaten: Entweder seid ihr mit uns, oder ihr seid gegen uns".

Vor einigen Jahren wurde aus einer naheliegenden europдischen Hauptstadt ausgerechnet das vorgeschlagen: Die Lдnder mьssen entscheiden, mit wem sie sind. Wir wollen nicht, dass unsere westlichen Freunde in Zentralasien reisen und den sie empfangenden Prдsidenten sagen: „Ihr mьsst euch entscheiden, was ihr sein wollt: Eine russische Kolonie oder ein Teil der freien Welt". Es ist unakzeptabel. In diesem Spiel werden legitime Rechte dieser Lдnder vцllig vernachlдssigt. Diesen Lдndern wird keine Achtung entgegengebracht. Deshalb werde ich folgende Antwort geben: Ja, wir wollen solche Arbeit zusammen fьhren, wir wollen sie offen fьhren, wir sind der Interessen der Europдischen Union und der USA in Zentralasien bewusst: Es ist Kohlenwasserstoff, es sind Transitwege, es ist Bekдmpfung des Terrorismus und Nichtverbreitung. Diese Interessen sind fьr uns klar, aber wir wollen, dass sie auf einem klaren und transparenten Weg und nicht durch geheime Intrigen und Zulispelungen realisiert werden.

Ich verstehe diese Emotionen. Aber ich hoffe, dass das georgische Volk eine Fьhrung haben wird, die das Hauptaugenmerk auf die Interessen des georgischen Volkes richten und nicht Befehle ьber die Ermordung von Menschen erteilen wird, die sie selbst zu eigenen Bьrgern erklдrt hat, eine Fьhrung, die ihre Nachbarn respektieren und mit allen im Frieden leben wird.

Was Iran betrifft, so gebe ich Javier recht. Was sollen wir machen, um zu garantieren, dass Iran keine Nuklearbombe bekommt? Erstens gibt es ьberhaupt keine Beweise, dass Iran sie irgendwann herstellen wollte. In Iran arbeitet IAEA, und sie kontrolliert alle Zentrifugen, auf denen geringangereichertes Uran produziert wird, das als der Brennstoff verwendet werden kann. Um es in das Waffenuran umzuwandeln, muss man einiges vornehmen, was von den Kameras der IAEA sofort aufgenommen wird; und wenn die Kameras ausgeschaltet sind, werden wir gleich wissen, dass etwas geschehen ist, was nicht geschehen durfte.

Wir mьssen verhandeln, Achtung bekunden und Iran zur Arbeit in allen Bereichen heranziehen, die wir im Dokument des Formates drei plus drei festgelegt haben, welches Iran angeboten wurde. Dazu gehцrt natьrlich der Sicherheitsdialog, nicht nur zum Irak, was natьrlich ist, sondern auch zum gesamten Spektrum der Probleme im Nahen und Mittleren Osten: Palдstina, Afghanistan, Irak, Libanon. Iran soll an der Lцsung der Probleme konstruktiv teilnehmen und nicht eines dieser Probleme sein.

31.Mдrz 2009


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