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Interview des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, für die Nachrichtenagentur Sputnik am 18. September 2020 in Moskau

1484-18-09-2020

 

Frage: Man möchte unser Gespräch mit den russisch-amerikanischen Beziehungen beginnen. Wenn Sie nichts dagegen haben, die Frage betrifft die Wahlen in den USA, die in weniger als zwei Monaten stattfinden sollen. Die US-Elite, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, spricht sehr häufig über die ausschließliche Rolle ihres Landes als absoluten globalen Anführer. Inwieweit beeinflusst die innenpolitischen Agenda die Außenpolitik der USA, die Beziehungen mit den Verbündeten und Partnern, darunter Beziehungen zu Russland? Wie beeinflusst Ihres Erachtens das US-Prinzip der eigenen „Ausschließlichkeit“ die internationalen Prozesse?

Sergej Lawrow: Im Ganzen haben wohl schon alle für sich entsprechende Schlüsse gezogen, ich meine jene, die den Verlauf des innenpolitischen Kampfes aufmerksam und professionell verfolgen. Er war immer ein Motiv für die Positionen, die sowohl die Republikaner, als auch Demokraten hatten. Keine Ausnahme ist auch das, was wir jetzt beobachten. Am wichtigsten ist, möglichst viele Argumente zu sammeln, um die Rivalen im Informations-, Rhetorik- und Polemik-Raum zu übertrumpfen. Bald stehen Debatten zwischen den Hauptpräsidentschaftskandidaten der Demokraten und der Republikaner an. Die Russland-Frage, die Frage über die „Einmischung“ Russlands in die inneren Angelegenheiten der USA (was bereits ein Klischee ist) nimmt bereits einen der dominierenden Plätze ein. Allerdings wurden wir in den letzten Wochen, vielleicht einigen Monaten, durch die Volksrepublik China verdrängt, die jetzt den ehrenvollen ersten Platz bei der Aufzählung der „Feinde“ Amerikas belegt, die alles zu tun versuchen, damit es in den USA zu irgendwelchen katastrophalen Prozessen kommt.

Wir haben uns daran eigentlich in den vergangenen Jahren schon gewöhnt. Das begann nicht unter der jetzigen Administration, sondern bei Präsidentschaft von Barack Obama. Gerade er sagte, darunter öffentlich, dass die russische Führung bewusst den Kurs darauf hält, die Beziehungen zwischen Moskau und Washington zu verschlechtern. Er sagte auch, dass sich Russland in die Wahlen 2016 einmischte. Er führte auch unter diesem Vorwand absolut präzedenzlose Sanktionen ein, darunter die feindliche Übernahme russischen Eigentums in den USA, Ausweisung von Dutzenden unserer Diplomaten mit ihren Familien u.v.m.

Die These über die Ausschließlichkeit der USA wird sowohl von den Demokraten, als auch von Republikanern sowie meines Erachtens allen anderen politischen Bewegungen in den USA geteilt. Was kann man zu diesem Thema sagen? Wir sagten bereits mehrmals, dass es Versuche, sich als Lenker des Schicksals der ganzen Menschheit, die sündlos sind und alles besser als Andere verstehen, schon in der Geschichte gegeben hatte, und sie brachten nichts Gutes.

Wir bekräftigen unser Herangehen, das übrigens jede innenpolitische Prozesse in jedem Land betrifft – das ist die innere Angelegenheit der USA. Schade, dass sie so viel Rhetorik in ihre innenpolitische Angelegenheiten hineinbringen, die die wahre Lage der Dinge in der internationalen Arena nicht widerspiegelt. Schade, dass zum Erhalt möglichst vieler Punkte in diesem Wahlkampf ohne jegliche Zweifel und unverschämt, mit und ohne Anlass rechtswidrige Sanktionen gegen jene, die in der internationalen Arena etwas nicht im Einklang mit den US-Vertretern sagen, implementiert werden. Dieser „Instinkt“ für Sanktionen, der sich vor allem bei der jetzigen Administration bildete (doch auch Obama befasste sich damit aktiv), wirkt leider auch auf dem europäischen Kontinent ansteckend. Die EU greift auch immer öfter zum Sanktions-Knüppel. 

Die Schlussfolgerung ist einfach – wie werden mit jeder Regierung arbeiten, die in jedem Land gewählt wird. Das betrifft auch die USA. Doch mit Washington über alle Fragen, die sie interessieren, sprechen – das werden wir ausschließlich auf Grundlage der Gleichberechtigung, gegenseitiger Vorteile, Suche nach einem Gleichgewicht der Interessen machen. Mit uns in der Sprache der Ultimaten sprechen, ist sinnlos und nutzlos. Falls jemand das noch nicht verstanden hat, das sind ungeeignete Politiker.

Frage: Sie erwähnten den Sanktionsdruck, in vielen Fällen zeigt er sich nicht in politischen Kreisen, sondern wird von den Medien initiiert. In den USA, Großbritannien, Europa kommt das ziemlich oft vor. Die US-Presse warf Russland Absprachen mit den Taliban gegen US-Militärs in Afghanistan vor; das britische Außenministerium behauptete, dass sich Russland fast ohne Zweifel in die Parlamentswahlen 2019 einmischte; die EU-Länder besprechen in dieser Woche ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen. Gibt es eine Chance, dass dieses Herangehen, die Politik zur Dämonisierung Moskaus sich irgendwie ändern bzw. hingegen verstärken wird?

Sergej Lawrow: Bislang sehen wir keine Anzeichen dafür, dass sich diese Politik ändern wird. Leider nimmt dieser „Sanktions-Juckreiz“ zu. Einige Beispiele aus der letzten Zeit – man will uns dafür bestrafen, was in Belarus passiert, man will uns für den Vorfall um Nawalny bestrafen, obwohl man sich kategorisch weigert, die Verpflichtungen zum Europäischen Übereinkommen über Rechtshilfe zu erfüllen und offizielle Anfragen der Generalstaatsanwaltschaft Russlands zu beantworten. Die Vorwände sind absolut ausgeklügelt. Deutschland sagt, man könne uns nichts sagen, gehen sie zur OPCW. Wir sind mehrmals dorthin gegangen. Dort wird gesagt - Gehen Sie nach Berlin. Es gibt ja so eine Redewendung: „Iwan winkt zu Peter, und Peter winkt zu Iwan“. Ungefähr so reagieren unsere westlichen Partner (wenn man sie so nennen kann) auf unser rechtliches Vorgehen. Sie erklären, die Vergiftung von Nawalny sei festgestellt worden, und niemand außer Russland könnte das getan haben, also sollten wir das gestehen. Das alles gab es bereits im „Fall Skripal“.

Ich bin mir sicher, dass wenn es diese Situation um Alexej Nawalny nicht gegeben hätte, dann hätte man noch etwas ausgedacht. In der aktuellen Phase ist alles dem Ziel untergeordnet, den Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union möglichst zu  schaden. In der EU gibt es Länder, die das verstehen, aber bei ihnen bleibt weiterhin das Prinzip des Konsensus, die sogenannte „Solidarität“ gültig. Dieses Prinzip wird von Ländern grob missbraucht, die eine aggressive antirussische Minderheit bilden.

Aktuell diskutiert die EU, soweit ich aus dem Bericht der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verstanden habe, die Möglichkeit, Entscheidungen über einzelne Fragen nicht nach dem Konsensprinzip zu treffen, sondern diese abzustimmen. Das wäre ja interessant, denn dann würden wir sehen, wer für Vernachlässigung des Völkerrechts ist und wer doch eine besonnene, ausgeglichene und ausbalancierte Politik ausübt, die sich auf Pragmatismus und Realismus stützt.

Sie haben gerade erwähnt, dass man uns beschuldigt hat, wir hätten Beziehungen mit den Taliban gepflegt, um sie zu bezahlten Sondereinsätzen gegen US-Soldaten zu überreden. Die Taliban kämpfen, indem sie von ihren Interessen und Überzeugungen ausgehen, und es wäre selbst der US-Offiziellen unwürdig, uns zu verdächtigen, wir wären zu solchen Dingen – im Grunde zu Banditismus – fähig. Übrigens musste Pentagon solche Spekulationen dementieren, denn es konnte für solche Fantasien keine Beweise finden. Auch die Taliban selbst erklärten, dass dies alles völlig unwahr war.

In unserer Zeit der sozialen Medien, wenn Desinformationen und „Fake News“ sehr leicht verbreitet werden können, genügt es ja, jede Fantasie im medialen Raum zu veröffentlichen – und dann wird schon niemand entsprechende Dementis lesen. Das erste Aufsehen, das solche „Sensationen“ (wenn dieses Wort angebracht ist) auslösen, ist gerade das, womit ihre Autoren rechnen.

Wir sagten wir den Amerikanern und Briten: „Falls Ihr uns etwas vorwerft, dann lasst uns lieber einen sachlichen diplomatischen Dialog anhand von Fakten führen.“ Da die meisten Vorwürfe bezüglich unserer angeblichen Einmischung den Cyberraum betreffen (man wirft uns vor, wir würden quasi auf der staatlichen Ebene Hackerangriffe organisieren und in alle denk- und undenkbaren Lebensversorgungssysteme unserer westlichen Kollegen eingreifen), schlugen wir vor, den Dialog über Cybersicherheit und alle möglichen Aspekte der internationalen Informationssicherheit wiederaufzunehmen, und zeigten uns bereit, gegenseitige Besorgnisse zu besprechen. Denn wir haben ebenfalls viele Fälle registriert, die uns vermuten lassen, dass westliche Hacker  unsere lebenswichtigen Ressourcen angriffen. Darauf bekamen wir die entschlossene Absage. Und wissen Sie, unter welchem Vorwand? „Ihr ladet uns zum Dialog über Cybersicherheit ein, also über den Bereich, den Ihr für Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten nutzt.“ Das ist ungefähr so, wie in der Situation um Alexej Nawalny – die Argumente sind dieselben: „Wieso, glaubt Ihr uns etwa nicht?!“

Als Rex Tillerson US-Außenminister war, erklärte er einmal in der Öffentlichkeit, die Amerikaner hätten unwiderlegbare Beweise für Russlands Einmischung in die US-Wahl. Da fragte ich ihn: „Wenn es solche unwiderlegbaren Beweise gibt, dann zeigst Du sie uns vielleicht? Wir wären selbst daran interessiert, diese Situation zu klären. Denn es gehört nicht zu unseren Interessen, dass man uns falsch anschuldigt.“ Wissen Sie, was er antwortete? Er sagte mir: „Sergej, ich werde dir nichts zeigen. Eure Geheimdienste, die das alles organisieren, wissen alles selbst. Frage mal sie – sie sollten die alles erzählen.“ So war unser ganzes Gespräch zum Thema, das jetzt fast zum Hauptthema der Beziehungen unserer Länder wird.

Wir sind überzeugt, dass konkrete Fragen irgendwann doch beantwortet werden müssen, dass auch Fakten in dieser Situation und auch in der Situation um Nawalny, wie auch übrigens in der Situation um die Vergiftung in Salisbury irgendwann vorgelegt werden müssen. Apropos Salisbury: Vor zwei Jahren, als diese Geschichte an die große Glocke gehängt wurde und als man behauptete, wir wären der einzige „Nowitschok“-Hersteller, führten wir argumentierte Fakten an, die sich in offenen Quellen finden lassen, dass einige westliche Länder Stoffe der „Nowitschok“-Familie entwickelten. Unter anderem wurden sie in den USA patentiert – es gab ja Dutzende Patente für Einsätze der Stoffe aus dieser Gruppe als Kampfmittel. Unter den Ländern, in denen ähnliche Arbeiten geführt wurden, erwähnten wir insbesondere Schweden. Die Schweden sagten uns vor zwei Jahren, wir hätten sie in dieser Reihe keineswegs erwähnen dürfen, weil sie sich nie mit Arbeiten befasst hätten, die mit „Nowitschok“ verbunden wären. Aber jetzt war bekanntlich eines der Länder, an die sich die Deutschen mit der Bitte wandten, ihre Schlussfolgerungen zu bestätigen, Schweden – neben Frankreich. Und die Schweden bestätigten die Richtigkeit der Schlussfolgerungen des Bundeswehr-Labors, dass es sich um „Nowitschok“ handeln würde. Aber wenn Schweden vor zwei Jahren keine Kompetenz hatte, um festzustellen, ob es „Nowitschok“ war oder nicht, und in den vergangenen zwei Jahren kompetent geworden ist, heißt das, dass etwas passiert ist. Und wenn etwas passiert ist, was Schweden ermöglicht hat, sich in „Nowitschok“-Stoffen auszukennen, dann sollte man das wohl als potentielle grobe Verletzung der Chemiewaffenkonvention betrachten.

Wir sind bereit, mit allen zu sprechen, aber nur wenn man uns nicht zwingt, uns zu rechtfertigen, ohne irgendwelche Fakten vorzulegen. Und anhand von konkreten und klar formulierten Besorgnissen sind wir immer zu sachlichen Gesprächen bereit.

Frage: Neben den Kontroversen, die wir jetzt mit unseren westlichen Partnern in Bezug auf die Nachrichten zur akuten Tagesordnung haben, gibt es auch Dinge, in deren Kontext wir mit ihnen in Bezug auf die Deutung der Geschichte nicht einverstanden sind. Die jüngsten Massenproteste und Kundgebungen in den USA haben zu noch radikaleren Ereignissen geführt. Im Grunde wird jetzt ein beträchtlicher Teil der amerikanischen und auch der internationalen Geschichte und Kultur umgedeutet. Es werden Monumente geschändet. Es werden verschiedene Ereignisse anders gedeutet. Es gab unter anderem auch solche Versuche hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs und der Rolle der Sowjetunion in diesem Krieg. Welche Folgen könnten diese Versuche zur Umdeutung der Geschichte aus Ihrer Sicht für die USA haben? Wie könnten die Folgen im globalen Umfang sein?

Sergej Lawrow: Sie haben völlig Recht. Wir sind sehr beunruhigt darüber, was im Kontext der Welt- bzw. der europäischen Geschichte gerade passiert. Wir sehen eine historische Aggression (ich denke, wir können so sagen), die auf Umdeutung der modernen Grundlagen des Völkerrechts ausgerichtet ist, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Form der Vereinten Nationen und der Prinzipien der UN-Charta etabliert haben. Man versucht ja, gerade diese Grundlagen zu zerstören. Dabei werden vor allem Argumente angeführt, bei denen es sich um den Versuch handelt, die Sowjetunion und das faschistische Deutschland gleichzusetzen. Die Aggressoren und die Besieger der Aggressoren. Die Besieger derjenigen, die versuchten, Europa zu versklaven und die meisten Völker unseres Kontinents in Sklaven zu verwandeln. Man beleidigt uns, indem man offen sagt, die Sowjetunion wäre an der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs noch mehr schuld als das Hitler-Deutschland. Dabei wird der faktische Aspekt ganz brav „unter dem Teppich versteckt“: Wie alles noch 1938 begann, wie die westlichen Mächte, vor allem Frankreich und Großbritannien, zuvor eine Politik zur Beschwichtigung Hitlers ausgeübt hatten.

Man muss zu diesem Thema nicht lange reden – es wurde schon vieles gesagt. Generell sind alle unsere Schlüsselargumente natürlich im allgemein bekannten Artikel Präsident Putins enthalten. Dort hat er anhand von Dokumenten ganz deutlich gezeigt, dass die Versuche zur „Zerstörung“ der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs sinnlos, kontraproduktiv und schädlich sind.

Dabei genießen wir übrigens die Unterstützung des absolut größten Teils der Weltgemeinschaft. Wir bringen jedes Jahr in den Sitzungen der UN-Vollversammlung die Resolution über die Unzulässigkeit der Heroisierung des Nazismus ein. Nur zwei Länder stimmen dagegen: die USA und die Ukraine. Die ganze EU enthält sich leider der Stimme, denn die Baltischen Länder verlangen, wie man uns erklärt, gegen diese Resolution zu stimmen. Naja, das Gesicht verrät den Wicht, wie man zu sagen pflegt. In dieser Resolution wird kein konkretes Land bzw. keine konkrete Regierung erwähnt: Da wird die ganze Weltgemeinschaft einfach aufgerufen, Versuche zur Heroisierung des Nazismus zu unterbinden – und das ist alles. Noch sollte man verhindern, dass gegen Denkmäler gekämpft wird, usw. Aber die Länder, die von der EU verlangen, gegen diese völlig offensichtliche und direkte Resolution, die keinen „Doppelboden“ zu stimmen, spüren offenbar, dass sie ihre Unterschrift unter diese Prinzipien nicht setzen können. Und so passiert das auch in Wahrheit. Wir sehen ja, wie einstige SS-Soldaten durch Städte marschieren, wie Denkmäler abgerissen werden. Vor allem tun das unsere polnischen Nachbarn. Auch in Tschechien gab es ähnliche Prozesse. Das ist unzulässig. Denn dadurch werden nicht nur die in der UN-Charta verankerten Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zerstört, sondern auch unsere bilateralen Verträge mit diesen und auch anderen Ländern verletzt, die dem Schutz und der Pflege von Soldatenfriedhöfen und -denkmälern gewidmet sind, die in Europa zu Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und die Helden aufgestellt wurden, die entsprechende Länder befreiten.

Meines Erachtens ist es sehr wichtig, auch auf folgenden Moment zu achten: Diejenigen, die gegen unsere Initiative zur Unterbindung der Heroisierung des Nazismus auftreten, berufen sich auf Menschenrechte. Sie behaupten, die Meinungsfreiheit, die es in den USA und anderen westlichen Ländern gebe, dürfe nicht zensiert werden. Und wenn diese Meinungsfreiheit durch die Unzulässigkeit der Heroisierung des Faschismus eingeschränkt werden sollte, dann wäre das ein Verstoß gegen entsprechende Gesetze. Aber lassen Sie uns doch ehrlich sagen, dass das, was wir gerade in den USA beobachten, etwas damit zu tun hat, dass wir von der Unzulässigkeit der Umdeutung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs reden. In den USA gibt es tatsächlich einen Aufschwung des Rassismus, und es gibt dort solche politischen Kräfte, die versuchen, solche rassistischen Stimmungen zu fördern und in eigenen politischen Interessen auszunutzen. Wir sehen das praktisch tagtäglich.

Sie erwähnten andere historische Fragen, die zugunsten der momentanen Politik geopfert werden. Die Kräfte, die in den USA ihre eigene Geschichte zerstören wollen und Denkmäler für einstige Befürworter der Konföderierten Staaten abreißen, weil sie Sklavenhändler waren, haben unter anderem das Denkmal für den ersten Gouverneur Alaskas, Alexander Baranow, in Sitka abgetragen, das von Alaska-Einwohnern und -Gästen immer respektiert wurde. Allerdings haben uns der Gouverneur Alaskas und die Behörden Sitkas versichert, dass das Denkmal nicht zerstört, sondern in das städtische historische Museum verlegt werde. Wenn das wirklich so passiert, dann werden wir solchen Umgang der Behörden Sitkas mit unserer gemeinsamen Geschichte hoch einschätzen. Ich hoffe, dass die Unterbringung des Alexander-Baranow-Denkmals im historischen Museum es ermöglichen wird, möglicherweise sogar eine zusätzliche Exposition zu organisieren, die der Geschichte des „russischen Amerikas“ gewidmet wäre.

Frage: Der französische Präsident Emmanuel Macron steht inzwischen seit drei Jahren an der Machtspitze. Seine erste offizielle Einladung an ein anderes Staatsoberhaupt war an den russischen Präsidenten Wladimir Putin gerichtet, und zwar im Interesse der Verbesserung der russisch-französischen Beziehungen. Können Sie sagen, welche realen Veränderungen es seit dieser Zeit  im Bereich der diplomatischen Zusammenarbeit mit Frankreich gibt? Wurde das bilaterale Treffen am 16. September in Paris wegen Alexej Nawalny verschoben?

Sergej Lawrow: Erstens ist Frankreich einer von unseren Schlüsselpartner. Wir haben unser Zusammenwirken schon seit langem als strategische Partnerschaft bezeichnet. Zu einem der ersten außenpolitischen Schritte Präsident Macrons nach seinem Wahlsieg wurde die Einladung an den Präsidenten Russlands. Zum Abschluss dieses Besuchs im Mai 2017 wurden in Versailles die Absichten bzw. die Bereitschaft der beiden Spitzenpolitiker zur Vertiefung unserer Partnerschaft bestätigt, unter anderem im Bereich unseres bilateralen Zusammenwirkens, der internationalen Beziehungen, der regionalen und globalen Tagesordnung. Zum Abschluss des Gipfels in Versailles wurde zudem das Forum der Zivilgesellschaften „Trianon-Dialog“ gegründet, das immer noch durchaus erfolgreich funktioniert, obwohl Veranstaltungen unter unmittelbarer persönlicher Beteiligung der Seiten wegen der Anti-Corona-Beschränkungen vorerst unmöglich sind.

Seit dieser Zeit fanden noch ein Russland-Besuch Emmanuel Macrons und ein Frankreich-Besuch Wladimir Putins statt. Ihr vorerst letztes Treffen fand im August 2019 statt, als die Präsidenten Putin und Macron in Fort de Brégancon verhandelten. Das war eine sehr produktive, vertrauensvolle und tiefe Diskussion über die Notwendigkeit von strategischen Beziehungen, die auf Behandlung der Schlüsselprobleme der modernen Welt, vor allem natürlich in Europa bzw. im euroatlantischen Raum, auf die Förderung der Situation hier ausgerichtet wären. Es wurde auch das 2+2-Format wiederaufgenommen, das eigentlich schon vor längerer Zeit gegründet worden war, aber einige Zeit nicht funktioniert hatte. Im September 2019 fand eine neue Sitzung des strategischen Dialogs in Moskau statt.

Es wurde beschlossen, Fragen der strategischen Stabilität neben dem 2+2-Format auch auf dem Niveau der außenpolitischen Assistenten der beiden Präsidenten zu besprechen. Auf Zustimmung der Präsidenten Putin und Macron wurden mehr als zehn Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit verschiedenen Aspekten der Kooperation befassen, unter anderem mit der strategischen Stabilität, der Rüstungskontrolle, der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen usw.  Die meisten von diesen Mechanismen funktionieren und sind darauf ausgerichtet, dass wir gemeinsam mit unseren französischen Kollegen mit Initiativen auftreten, die auf Stabilisierung der Beziehungen in Europa, auf Normalisierung der aktuellen nicht normalen Situation ausgerichtet wären, wenn Trennungslinien vertieft werden, wenn die Nato ihre militärische Infrastruktur auf dem Territorium ihrer neuen Mitgliedsländer ausbaut und dadurch die Russland-Nato-Grundakte aus dem Jahr 1997 verletzt, die als Basis unseres Zusammenwirkens galt.

Es gibt ja viele beunruhigende Tendenzen. Zu einem der destabilisierenden Faktoren wurde der Austritt der USA aus dem INF-Vertrag. Zudem brachten sie schon offiziell ihre Absicht zum Ausdruck, solche Raketen nicht nur in Asien, sondern auch offenbar in Europa zu stationieren. Jedenfalls können die Raketenabwehranlagen, die in Rumänien bereits aufgestellt wurden und in Polen allmählich aufgestellt werden, nicht nur zu Abwehr-, sondern auch zu Angriffszwecken eingesetzt werden. Denn sie können für Schüsse mit Marschflugkörpern verwendet werden, was der INF-Vertrag untersagte. Jetzt gibt es den Vertrag nicht mehr, und die Amerikaner sind jetzt ungebunden.

Vor knapp einem Jahr wandte sich Präsident Putin an die Spitzenpolitiker aller europäischen Länder, der USA, Kanadas und einiger anderen Länder. Angesichts der Entscheidung der Amerikaner zum Ausstieg aus dem INF-Vertrag schlug er trotzdem vor, kein neues Wettrüsten auszulösen und ein freiwilliges gegenseitiges Moratorium auf die Offensivwaffen auszurufen, die im Sinne des INF-Vertrags verboten waren. Aber niemand außer Präsident Macron reagierte konkret auf diesen Aufruf. Das zeigte deutlich, dass der französische Staatschef an allen Möglichkeiten für den Dialog mit Russland aufrichtig interessiert ist. Ohne solchen Dialog (das räumen schon alle offen ein) ist es kaum möglich, die Sicherheit in Europa zu fördern. Deshalb planten wir die Sitzungen im 2+2-Format, aber aus Gründen, die wir nur raten können, wurde das neue Treffen der Außen- und der Verteidigungsminister verschoben. Unsere französischen Kollegen sagten, dass sie einfach den Zeitplan unserer Treffen etwas korrigieren müssen. Ich will jetzt nicht über die Gründe sprechen, aber offenbar beeinflussen die aktuelle allgemeine Atmosphäre und der allgemeine Ton in der Europäischen Union gegenüber Russland auch den Zeitplan unserer Kontakte. Dennoch fanden vor kurzem Beratungen über eine ganze Reihe von akuten Problemen statt: für Terrorbekämpfung und für Cybersicherheit. Das alles stimmt mit den Plänen überein, die die Präsidenten Putin und Macron gebilligt haben.

Frage: Wie Russlands ständiger Vertreter bei der OSZE, Alexander Lukaschewitsch, vor kurzem sagte, hat sich die Situation um die Nachrichtenagentur Sputnik in Frankreich keinerlei verbessert. Unsere Journalisten werden nach wie vor zu Veranstaltungen im Élysée-Palast nicht zugelassen. Wie werden die Wege zur Regelung dieser Situation behandelt? Wurde dieses Problem mit der französischen Seite besprochen?

Sergej Lawrow: Natürlich wurde dieses Problem besprochen. Wir halten es für inakzeptabel, dass Korrespondenten von Sputnik und RT in Frankreich unverhohlen diskriminiert werden. Was Sputnik angeht, so ist das auch in den Baltischen Ländern ein allgemein bekannter Fakt. Dass RT und Sputnik in den letzten Jahren (seit 2017) im Élysée-Palast nicht akkreditiert sind, ist natürlich traurig.

Noch frappierender ist, dass unsere französischen Kollegen trotz all ihrer Neigung zur Freiheit, Gleichheit und Brüderschaft erklären, dass sie diese Entscheidung nicht aufheben werden: die RT- und Sputnik-Journalisten werden nicht akkreditiert, weil das angeblich „keine Massenmedien, sondern Instrumente der Propaganda“ seien. Ich glaube, ich muss jetzt die Absurdität solcher „Stempel“ nicht kommentieren, denn RT und Sputnik sind in vielen Ländern sehr populär, deren Zahl immer weiter steigt. Ihre Leserschaft wird dort immer größer – ich habe die statistischen Angaben gesehen. Ich kann nur vermuten, dass dies ein weiterer Ausdruck der Angst der Medien, die bis vor kurzem auf dem globalen Informationsmarkt dominierten, vor Konkurrenz ist.

Diese Fragen stellen wir nicht nur an die Franzosen, indem wir verlangen, die Diskriminierung der in Russland registrierten Medien zu stoppen. Man führt das Argument an, diese Medien würden vom Staat finanziert – das so werden viele Massenmedien finanziert, auch solche, die als vorbildlich demokratische gelten (ich meine die Sender Free Europe und BBC). Sie stützen sich auch auf staatliche Finanzierung, aber gegen sie werden keine Beschränkungsmaßnahmen ergriffen, auch im Internet, wo es inzwischen unverhohlene Zensur gibt. Google, YouTube und Facebook treffen Entscheidungen unter dem Druck der US-Behörden, die russische Medien diskriminieren, was die Veröffentlichung ihrer Berichte auf diesen Websites angeht. Wir werfen diese Fragen schon seit langem auf, und zwar nicht nur in bilateralen Formaten, sondern auch in der OSZE, wo es den Medienbeauftragen Harlem Désir gibt, wie auch in der UNESCO, zu deren Aufgaben die Unterstützung der freien Journalistik und Meinungsfreiheit gehört, und im Europarat.

In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren, als bei uns die „Perestroika“ fortlief und eine neue politische Realität sich allmählich etablierte, wobei Russland sich quasi für die Welt öffnete, brachten unsere westlichen Partner in der OSZE Entscheidungen intensiv voran, die den freien Zugang zu allen möglichen Informationen verlangten, egal ob aus sowjetischen oder ausländischen Quellen. Dabei verfolgten sie das Ziel, die Tendenz der Öffnung der sowjetischen Gesellschaft für die Außenwelt zu fördern. Wenn wir sie jetzt daran erinnern und verlangen, dass sie (auch Frankreich gegenüber Sputnik und RT) den Zugang zu Informationen respektieren, scheuen sich unsere westlichen Partner, ihre Treue den damaligen Entscheidungen, die vor 30 Jahren auf ihre Initiative getroffen wurden, zu bestätigen. Doppelstandards und Scheinheiligkeit – leider sind das die Wörter, mit denen sich ihre Position bezeichnet werden muss. Im Dezember steht ein weiteres OSZE-Ministertreffen bevor. Diese Fragen werden unbedingt auf der Tagesordnung stehen, und unsere westlichen Kollegen müssen sie dann beantworten.

Frage: Bei dem Russland-Afrika-Gipfel wurden mehr als 90 Kooperationsverträge mit den afrikanischen Ländern abgeschlossen. Wie intensiv bemüht sich Russland um ihre weitere Erfüllung nach der Pandemie? Welche von ihnen sind vorrangig wichtig – und in welchen afrikanischen Ländern?

Sergej Lawrow: Nach dem Gipfel im Oktober 2019 in Sotschi, der einen offenbaren Erfolg unserer Außenpolitik bedeutete, wovon alle unsere afrikanischen Gäste sprachen, legten wir gar keine Pause ein. Die Pandemie beeinflusste zwar unsere Kontakte, aber wir setzen die Arbeit quasi fern fort. In der Außenpolitik und Diplomatie ist so etwas auch möglich.

Präsident Putin telefonierte öfter mit den afrikanischen Spitzenpolitikern (den Präsidenten von Südafrika, Kongo, Äthiopien); es fanden Videokonferenzen der Außenminister Russlands und des „Afrikanischen Dreigespanns“ (des vorigen, aktuellen und nächsten Vorsitzenden) statt. In unserem Ministerium wurde ein spezielles Sekretariat des Russland-Afrika-Forums gebildet (die Entscheidung zur Gründung des Forums wurde in Sotschi getroffen). Dieses Sekretariat wurde bereits zusammengesetzt.

Erst gestern trafen wir uns mit dem Leiter einer der subregionalen afrikanischen Organisationen, der IGAD (Intergovernmental Authority on Development). Ihr Generalsekretär ist aktuell der frühere Außenminister Äthiopiens, Tedros Adhanom Ghebreyesus. Wir haben konkrete Pläne zum Zusammenwirken im Russland-IGAD-Format besprochen. Solche Pläne haben wir auch mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft und allen anderen Organisationen – und natürlich mit der Afrikanischen Union. Die Pläne umfassen Beratungen über Fragen, die auf dem Afrikanischen Kontinent akut sind: Konfliktregelung, gemeinsame Veranstaltungen auf Gebieten wie Kultur und Bildungswesen, Entwicklung unserer Wirtschaftskooperation, Förderung der Aktivitäten russischer Unternehmen und deren Partner in Afrika durch außenpolitische Behörden. Wir haben viele Pläne, und unsere afrikanischen Kollegen schätzen diese Arbeit hoch ein.

Was die Pandemie angeht, so haben Dutzende afrikanische Länder unsere Unterstützung bei der Versorgung mit Testsystemen, individuellen Schutzmitteln, Medikamenten erhalten – und diese Kooperation geht weiter. Die afrikanischen Länder zeigen neben verschiedenen asiatischen und lateinamerikanischen Ländern  ihr Interesse an der Produktion unseres Impfstoffs Sputnik-V auf ihrem Territorium. Im Moment beschäftigen sich unsere zuständigen Behörden mit diesen Fragen. Sie betrachten die potenziellen Kandidaten für die Produktion dieses Stoffs, denn es ist klar, dass große Mengen des Impfstoffs nötig sein werden.

Wir haben positive Erfahrungen in Guinea und Sierra Leone. Während des Ebola-Ausbruchs entfalteten unsere Ärzte in diesen Ländern Feldhospitäler, und in Guinea wurde ein Impfstoff gegen Ebola hergestellt. Die Erfahrungen der Ebola-Bekämpfung halfen unseren Ärzten großenteils, den Anti-Corona-Impfstoff operativ zu entwickeln, indem sie auf der Plattform arbeiteten, die damals  zwecks Ebola-Bekämpfung gegründet wurde.

Wir haben sehr gute Pläne. Wir haben vereinbart, die Zahl der Stipendien, die wir den afrikanischen Ländern bieten, zu erhöhen. Was das wirtschaftliche Zusammenwirken betrifft, haben wir vor einigen Wochen den Verband für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Russischen Föderation mit afrikanischen Staaten ins Leben gerufen. Sobald die Quarantänebeschränkungen aufgehoben sind, werden alle diese Pläne noch aktiver umgesetzt. Bislang erfolgt die Arbeit vorwiegend im Videokonferenzformat.

Frage: Wie können Sie den US-amerikanischen Caesar Act einschätzen, der sich nicht nur auf Syrien, sondern auch auf die engsten Partner von Damaskus auswirkte? Welche neuen Beschlüsse können zur Verbesserung der humanitären Lage im Lande getroffen werden, die durch schwere wirtschaftliche Umstände ausgelöst wurde?

Sergej Lawrow: Wie Sie gesagt haben, sieht dieser Plan, Caesar Act genannt,  im Grunde genommen die Einführung von Sanktionen vor, die sie als ein erstickendes Instrument gegen die Führung Syriens betrachten möchten. In der Tat treffen diese Sanktionen, wie auch die früheren Pakete (es gab sie viele sowohl seitens der USA als auch seitens der EU und mehrerer anderer Verbündeten Washingtons) vor allem die einfachen Menschen, die Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien. Vor einigen Tagen besprach der UN-Sicherheitsrat in New York die Frage, wie sich die humanitäre Lage in Syrien entwickelt. Unsere westlichen Kollegen verteidigten sehr eifrig und pathetisch ihre Selbstgerechtigkeit und erklärten, dass die Sanktionen ausschließlich auf die Einschränkung der Handlungen und Fähigkeiten von Beamten und Vertretern des „Regimes“, wie sie es nennen, abzielen, und dass die einfachen Menschen nicht leiden, weil die Entscheidungen über Sanktionen humanitäre Ausnahmen für die Lieferung von Medikamenten, Lebensmitteln und anderen Bedarfsgüter vorsehen. Das alles stimmt nicht, weil keine Lieferungen aus den Ländern, die diese Sanktionen mit Ausnahmen ausgerufen hatten, nach Syrien erfolgen, vielleicht mit Ausnahme einiger kleiner Partien. Grundsätzlich handelt Syrien mit der Russischen Föderation, dem Iran, China und einigen arabischen Ländern.

Die Zahl der Länder, die die Notwendigkeit begreifen, die jetzige nicht normale Situation zu überwinden und die Beziehungen zu Syrien wiederherzustellen, nimmt zu. Immer mehr Länder, darunter Golfstaaten, beschließen, die Tätigkeit ihrer Botschaften in Syrien wiederaufzunehmen. Immer mehr Staaten verstehen, dass es aus menschenrechtlicher Sicht absolut inakzeptabel ist, diese erstickenden Sanktionen fortzusetzen. Diese Sanktionen wurden einseitig ausgerufen und sind illegitim.

Gestern oder vorgestern wiederholte der UN-Generalsekretär Antonio Guterres seinen Aufruf, den er bereits vor sechs Monaten an die Länder gerichtet hatte, die einseitige Sanktionen gegen ein jeweiliges Entwicklungsland angekündigt hatten, zumindest für die Zeit des Kampfes gegen die Pandemie diese Sanktionen einzustellen. Der Westen bleibt gegenüber diesen Aufrufen taub, obwohl die überwiegende Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten sie unterstützte. Wir werden anstreben, dass solche Praxis weiterhin verurteilt wird. In den Vereinten Nationen werden spezielle Resolutionen verabschiedet, die einseitige Sanktionen für illegitim und illegal erklären. Es wird bestätigt, dass nur Sanktionen des UN-Sicherheitsrats eingehalten werden sollen. Das ist das einzige legale und auf Völkerrecht beruhende Instrument.

Im Ganzen arbeiten wir bei der syrischen Regelung aktiv im Astana-Format mit unseren türkischen und iranischen Partnern zusammen. Vor kurzem haben wir zusammen mit dem stellvertretenden Regierungschef der Russischen Föderation, Juri Borissow, Damaskus besucht. Syriens Präsident Baschar Assad und seine Minister bestätigten ihre Anhänglichkeit für die Umsetzung der Vereinbarungen, die zwischen der syrischen Regierung und der Opposition auf Initiative der „Astana-Troika“ erreicht wurden. In Genf nahm der Verfassungsausschuss seine Arbeit wieder auf, seine Redaktionskommission hielt eine Sitzung ab. Die Seiten beginnen mit der Abstimmung  der gemeinsamen Herangehensweisen bezüglich der Zukunft Syriens, was es dann ermöglichen wird, mit der Arbeit an der Verfassungsreform zu beginnen.

Doch auch auf dem Boden wird der Raum, der von den Terroristen kontrolliert wird, allmählich enger. Das betrifft vor allem die Deeskalationszone in Idlib. Die russisch-türkischen Vereinbarungen, darunter über die Notwendigkeit, normale Oppositionelle, die für den Dialog mit der Regierung offen sind, von Terroristen zu trennen, die vom UN-Sicherheitsrat als solche eingestuft wurden, werden allmählich umgesetzt, wenn auch nicht so schnell, wie man das wünscht. Unsere türkischen Kollegen halten sich an sie, und wir arbeiten mit ihnen aktiv zusammen.

Für Beunruhigung sorgt die Situation am Ost-Euphrat-Ufer, wo die dort illegal stationierten US-Militärs offen separatistische Tendenzen der Kurden fördern. Leider hetzen sie die Kurden gegen die Regierung, wobei das natürliche Streben der Kurden, den Dialog mit Damaskus zu beginnen, hemmen.

Natürlich löst das Besorgnisse sowohl aus der Sicht der territorialen Integrität Syriens, als auch aus der Sicht der Explosivität, die solche US-Handlungen um das Kurden-Problem schaffen, aus. Wie sie wissen, ist es nicht nur für Syrien, sondern auch für den Irak, die Türkei und den Iran aktuell. In dieser Region ist das ein gefährliches Spiel. Die Amerikaner gehen auf solche Handlungen zur Anstiftung von Chaos, der, wie sie hoffen, lenkbar sein wird. Sie sind weit weg, und das besorgt sie nicht besonders. Doch für die Region können die Folgen katastrophal sein, wenn sie hier die Tendenzen des Separatismus fördern werden.

In letzter Zeit wurden Beschlüsse dieser illegitimen US-Gruppierung in Ostsyrien bekanntgegeben, die zusammen mit kurdischen Anführern ein Abkommen unterzeichnet hat, die einem US-Ölunternehmen die  Förderung von Kohlenwasserstoffen auf dem Territorium des souveränen syrischen Staates ermöglichen wird. Das ist ein grober Verstoß gegen alle denkbaren Völkerrechtsprinzipien.

In Syrien gibt es nicht wenige Probleme, es gibt sie viele. Allerdings hat sich die Situation im Vergleich mit der Lage vor einigen Jahren bedeutend stabilisiert. Die Tätigkeit des Astana-Formats, unsere Initiativen, die wir umsetzten, spielten eine entscheidende Rolle in diesem Prozess. Jetzt stehen auf der Tagesordnung die Lösung der akuten humanitären Probleme und der Wiederaufbau der Wirtschaft, die vom Krieg zerstört wurde. In diesen Richtungen pflegen wir einen aktiven Dialog mit anderen Ländern, darunter China, dem Iran, Indien und arabischen Ländern. Wir halten es für wichtig, auch die UN-Organisationen in die Maßnahmen einzubeziehen, die auf die humanitäre Unterstützung Syriens als vorrangiger Schritt gezielt sind. Auf der nächsten Etappe soll die internationale Unterstützung beim Wiederaufbau der Wirtschaft und Infrastruktur, die durch den Krieg zerstört wurde, mobilisiert werden. Diese Arbeit ist groß, aber es ist zumindest klar, in welche Richtungen man sich bewegen soll.

Frage:  Welche Aussichten gibt es jetzt für die Zusammenarbeit zwischen Russland und den Golfstaaten? Gibt es Länder, die für uns in dieser Subregion vorrangig sind? Erörtert Russland die Möglichkeit einer Vermittlung bei der Regelung der Katar-Krise, die bereits seit vier Jahren andauert?

Sergej Lawrow: Ich würde wohl nicht die Wahrheit verzerren, wenn ich sage, dass wir als Erste unter allen Staaten, die Beziehungen zu den Ländern dieser Region haben, vorgeschlagen haben, einen langfristigen Plan einer stabilen, gutnachbarschaftlichen Entwicklung der Golfregion zu erstellen.

Noch in den 1990er Jahren schlug die russische Seite ein Konzept zur Gewährleistung von Sicherheit und Zusammenarbeit in der Region des Persischen Golfs vor. Seit dieser Zeit wurde das Konzept mehrmals erneuert, darunter wurde im vorigen Jahr eine erneuerte Version verbreitet. Im September des vergangenen Jahres haben wir eine Expertenbesprechung dieses Konzeptes unter Teilnahme von Wissenschaftlern und Expertengemeinschaft Russlands und der Golfstaaten (arabische Länder und Iran) durchgeführt.

Das Konzept schlägt vor, von der Erfahrung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auszugehen. Damals, als die Sowjetunion und der  Warschauer Pakt am Höhepunkt des Kalten Krieges nicht einfache Beziehungen zur westlichen Allianz – der Nato hatten. Allerdings bewegte das Begreifen der Notwendigkeit der Koexistenz alle Länder der Euroatlantischen Region (Europa, USA, Kanada) dazu, zusammenzukommen und Verhaltensnormen auszuarbeiten, die auf Vertrauen (dort wurden spezielle Vertrauensmaßnahmen festgeschrieben) und Transparenz basieren. Die Mechanismen, die im Rahmen dieser Konferenz festgelegt wurden, ließen jegliche Fragen erörtern, die bei einer jeweiligen Seite entstanden. Wir haben vorgeschlagen, dieselben Prinzipien als Grundlage für das Zusammenwirken im Rahmen des Konzepts der Gewährleistung der Sicherheit im Persischen Golf zu nutzen. Wir haben es dem Golf-Kooperationsrat, dem sechs Nahost-Monarchien angehören, sowie unseren iranischen Kollegen vorgelegt. Eine ganze Reihe von Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrats erklärte sich bereit, es zu besprechen. Einige Mitglieder dieser Organisation haben sich noch Zeit genommen, um es zusätzlich zu studieren. Der Dialog wird bei uns fortgesetzt. Die Diskussionen, die es auf der Ebene der wissenschaftlichen Gemeinschaft gab, helfen dabei, diese Initiativen voranzutreiben. Das Problem besteht darin, dass die jetzige US-Administration in den letzten Jahren den Iran dämonisiert, der zum Hauptproblem der Region sowie anderer Regionen der Welt erklärt wurde, wo man dem Iran derart die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der entsprechenden Ländern vorwirft. Die Amerikaner versuchen, den ganzen Dialog über Probleme des Nahen Ostens und Nordafrikas auf eine antiiranische Bahn zu bringen. Das aussichtslos, weil man Probleme ausschließlich durch Vereinbarungen zwischen allen Teilnehmern nachhaltig und zuverlässig lösen kann. Und die ganze jetzige Logik der amerikanischen Politik ruht darauf, dass man den Iran zum Zentrum aller Anstrengungen zur Zurückhaltung, Bestrafung machen soll, und dass nur ein Regimewechsel es der ganzen Region ermöglichen würde, wieder frei aufzuatmen. Das ist ein Weg in eine Sackgasse. Die Sanktionen, mit denen man versucht, den Iran zu ersticken, haben nie funktioniert und werden auch jetzt nicht funktionieren. Der Iran hat mehrmals seine Bereitschaft zum Dialog ausgedrückt. Diese Bereitschaft bleibt bestehen. Doch ein Dialog kann nicht auf den Ultimaten ruhen, die die amerikanische Seite hin und wieder stellt.

Wir werden bereit sein, die Aufnahme eines solchen Dialogs zu fördern. Zusammen mit europäischen Ländern und China verteidigen wir den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan für das iranische Atomprogramm, der 2015 vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurde. Er wird nun von Amerikanern zerstört, die sich wieder einmal auf ihren Kurs auf die Dämonisierung des Irans stützen.

Im UN-Sicherheitsrat werden jetzt Diskussionen fortgesetzt. 13 von 15 Ländern traten kategorisch gegen die Versuche auf, den Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan zu zerstören und der Islamischen Republik Iran alles, was vor sich geht, vorzuwerfen.

Sie haben Kontroversen innerhalb des Golfkooperationsrats erwähnt, als eine Reihe von Ländern aus dieser Organisation und unsere Kollegen aus der Arabischen Republik Ägypten vor einiger Zeit mit Katar in Konflikt gerieten. Wir sind bereit, unsere Vermittlungsdienstleistungen bei jeder Konfliktfrage anzubieten, wenn alle Seiten uns darum bitten werden. Bisher haben wir keine solchen Anfragen bekommen. Wir haben gute Beziehungen zu allen ohne Ausnahme Ländern, darunter alle Mitglieder des Golf-Kooperationsrats. Ich weiß, dass die US-Administration versucht, die Antagonisten zu versöhnen und Saudi-Arabien, seine engsten Partner davon zu überzeugen, „Brücken zu bauen“, sich mit Katar zu versöhnen. Wir wünschen allen Anstrengungen Erfolg, die auf die Vereinigung der Länder und nicht ihre Trennung und Schaffung von Trennlinien gerichtet sind. Wir würden bereit sein zu helfen, falls wir, ich wiederhole es noch einmal, darum gebeten werden, und falls alle einbezogenen Länder daran interessiert sein werden.

Frage: Vor einigen Wochen hat die russische Botschaft in Libyen die Arbeit wiederaufgenommen. Kann sie in einem jeweiligen Maße eine Plattform für den Dialog zwischen der Libyschen Nationalarmee und der Nationalen Einheitsregierung werden?

Sergej Lawrow: Unsere Botschaft funktioniert immer noch von Tunesien aus. Hoffentlich wird sie bald nach Tripolis zurückkehren, sobald dort grundlegende Sicherheit gewährleistet wird. Eine Reihe von Botschaften funktioniert weiterhin, doch die Sicherheit ist ziemlich fragil. Deswegen wurde beschlossen, dass unsere Diplomaten inzwischen von Tunesien aus arbeiten.

Zur Vermittlung zwischen den Hauptprotagonisten in Libyen - der Libyschen Nationalarmee und der Nationalen Einheitsregierung. Die Botschaft beschäftigt sich natürlich mit Kontakten zu allen libyschen Seiten. Doch die Frage ist da viel breiter. Moskau beschäftigt sich auch aktiv mit dem Aufbau der Brücken zwischen den Konfliktseiten. Das Außenministerium Russlands und das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation versuchen praktische Schritte zur Vereinbarung der Kompromisslösungen zu fördern, die die Regelung der Libyen-Krise ermöglichen werden. Die Arbeit ist nicht einfach. Alle Probleme in Libyen begannen 2011, als die Nato als grober Verstoß gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrats eine direkte militärische Aggression in Libyen zum Sturz des Regimes von Muammar Gaddafi umsetzte, der bei Befürwortung der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton brutal getötet wurde. Das wurde mit irgendwelchem Stolz ausgestrahlt. Das war grauenvoll. Seit dieser Zeit versuchen wir  und alle Nachbarn Libyens, die es als Staat wiederaufbauen wollen, der von der Nato zerstört wurde, einen internationalen Prozess aufzunehmen. Es gab viele Versuche. Es gab Konferenzen in Paris, Palermo, Abu Dhabi, die Skhirat-Abkommen 2015.

Im Laufe langer Zeit wollten die meisten äußeren Akteure mit nur einer politischen Kraft zu kooperieren, auf die sie gesetzt hatten. Wir verzichteten von Anfang an auf diese Herangehensweise. Angesichts der vorhandenen Kontakte und historischen Beziehungen haben wir begonnen, mit allen politischen Kräften Libyens ohne Ausnahme zu arbeiten: Tripolis, wo sich der Präsidentenrat und die Nationale Einheitsregierung befinden; Tobruk, wo sich das Repräsentantenhaus befindet. Alle Anführer verschiedener Gruppierungen waren mehrmals in der Russischen Föderation. Wir unternahmen Anstrengungen, persönliche Treffen zwischen dem Befehlshaber der Libyschen Nationalarmee, Chalifa Haftar, und dem Chef der Nationalen Einheitsregierung, Fayiz as-Sarradsch, zu organisieren. Sie waren Anfang dieses Jahres in Moskau vor der Berliner Libyen-Konferenz. In vielerlei Hinsicht dank diesen Bemühungen, die wir gemeinsam mit unseren Kollegen aus der Türkei, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten unternommen haben, konnten wir Vorschläge vorbereiten, die in vielerlei Hinsicht den Erfolg der Berliner Libyen-Konferenz gewährleisteten, die unsere deutschen Kollegen mehrere Monate vorbereiteten. Bei dieser Konferenz wurde eine wichtige Erklärung verabschiedet, die anschließend im UN-Sicherheitsrat gebilligt wurde.

Leider wurde auf jener Etappe wenig Aufmerksamkeit dem Aspekt gewidmet, dass alle von der internationalen Gemeinschaft entwickelten Ideen von den libyschen Seiten selbst gebilligt werden sollen. Einige unsere Partner gingen davon aus, dass sobald die internationalen Gemeinschaften vertreten durch den UN-Sicherheitsrat, die Berliner Libyen-Konferenz – irgendwelche Beschlüsse treffen, wird es nur noch bleiben, die Protagonisten in Libyen davon zu überzeugen, dem zuzustimmen.

Jetzt beweist die Praxis, dass wir Recht hatten, als wir vor einem solchen Herangehen gewarnt haben. Denn alles steckte darin, dass die Vereinbarungen in Berlin von den libyschen Seiten selbst nicht bis zum Ende durchgearbeitet wurden. Berlin hat eine gute Grundlage geschaffen, doch die Details müssen jetzt durchgearbeitet werden. Hier sehen wir ziemlich positive Fortschritte. Der Parlamentsvorsitzende in Tobruk, Aguila Saleh, zusammen mit dem Chef der Nationalen Einheitsregierung, Fayiz as-Sarradsch, traten für einen Waffenstillstand, nachhaltige Waffenruhe und vor diesem Hintergrund die Wiederaufnahme der Arbeit im „5+5“-Format zur Lösung der Militärfragen und Wiederaufnahme der Verhandlungen über wirtschaftliche Angelegenheiten ein, vor allem die Notwendigkeit einer gerechten Lösung von Problemen der Nutzung der libyschen Naturressourcen.

Eine sehr wichtige Initiative in diesem Kontext wurde von Aguila Saleh aufgebracht – über die Notwendigkeit, die Interessen nicht nur Tripolitaniens und der Kyrenaika, sondern auch des Fessans – des südlichen Teils von Libyen, der in allen früheren Diskussionen nicht oft erwähnt wurde – zu berücksichtigen. Deswegen liegen auf dem Tisch schon jetzt Ideen, die bei Kontakten zwischen den Seiten ausprobiert und geprüft wurden. Eine gute Rolle spielte ein Treffen, das zwischen den libyschen Protagonisten in Marokko organisiert wurde.  Jetzt leisten wir weiterhin zusammen mit unseren Kollegen unseren Beitrag zu diesen gemeinsamen Anstrengungen.

Vor einigen Tagen fanden in Ankara Konsultationen mit unseren türkischen Kollegen statt. Wir setzen diese Arbeit fort. Wir kommunizieren mit Ägypten, Marokko. Ich telefonierte mit meinen Kollegen – den Außenministern von Marokko und der Arabischen Republik Ägypten. Vor kurzem sprach ich auch mit dem Außenminister Italiens, der aus bekannten Gründen ebenfalls ziemlich daran interessiert ist, die Libyen-Regelung zu fördern.

Jetzt ist eine ziemlich aussichtsreiche Lösung in Sicht. Wir werden uns bemühen, diesen Prozess aktiv zu unterstützen, unseren Beitrag zur Regelung zu fördern. Wir halten es für wichtig, die mehr als sechs Monate andauernde Pause mit der Ernennung des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für die Libyen-Regelung schnellstmöglich zu brechen. Der frühere Vertreter trat im Februar zurück. Antonio Guterres kann bislang aus irgendeinem Grund die Frage mit der Ernennung des Nachfolgers nicht lösen. Es gibt Gründe zu behaupten, dass einige westliche Länder versuchen, ihre Kandidaten durchzusetzen. Doch unsere Position ist sehr einfach: Der Beauftragte des UN-Generalsekretärs für Libyen soll mit der Afrikanischen Union abgestimmt werden. Das ist offensichtlich. Libyen ist ein aktives Mitglied der Afrikanischen Union, die daran interessiert, bei der Lösung dieses Problems zu helfen.

Ich habe Ihnen die jetzige Lage ziemlich ausführlich dargelegt. Es gibt Gründe für vorsichtigen Optimismus.

 


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