Rede und Antworten auf Pressefragen des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf der gemeinsamen Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Gespräche mit dem Außenminister der Republik Tunesien, Mongi Hamdi, Moskau, am 2. September 2014
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir freuen uns, den Außenminister der Republik Tunesien, Mongi Hamdi, in Moskau begrüßen zu dürfen. Es ist sein erster Besuch in unserem Land. Heute haben wir den Dialog fortgesetzt, den wir während meines Besuches in Tunesien im März dieses Jahres begonnen haben.
Tunis ist ein jahrelang erprobter Partner der Russischen Föderation in Nordafrika und im Nahen Osten. Wir begrüßen die Fortschritte bei den politischen Umwandlungen in diesem befreundeten Land. Wir sind davon überzeugt, dass dies dazu beitragen wird, unsere bilateralen Beziehungen noch aktiver auszubauen.
Wir haben das Interesse an einer Unterstützung der Tendenz zur Steigerung des Warenaustausches bestätigt, sowie an der Prüfung und Abstimmung von Projekten, die die Beteiligung russischer Firmen in der tunesischen Wirtschaft vorsehen. Es ist das Programm für kulturelle Zusammenarbeit in den Jahren 2014-2016 und die Vereinbarung über Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Tourismus in Kraft getreten. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Zahl der Russen, die dieses wunderschöne Mittelmeerland besuchen, verdoppelt. In diesem Jahr erwarten wir eine weitere Steigerung um 20%.
Abermals haben wir eine Übereinstimmung oder Nähe unserer Sichtweise in internationalen und regionalen Angelegenheiten festgestellt. Russland und Tunis treten für eine Einhaltung derartiger Grundprinzipien des internationalen Rechts wie die Achtung der UN-Satzung, das Recht der Völker auf Selbstbestimmung ihres Schicksals ohne Einmischung von außen, so wie die Beilegung jeglicher Streitigkeiten mit politischen und diplomatischen Mitteln ein.
Wir sind beide entschlossen, unsere Anstrengungen in bilateralen und multilateralen Fragen zu bündeln, um entschlossener und effektiver gegen den internationalen Terrorismus kämpfen zu können. Unserer Überzeugung nach ist eine konsequente (ohne doppelte Standards) Ausrichtung auf den Kampf gegen den Terrorismus der beste gemeinsame Nenner und die Grundlage für eine effektive Zusammenarbeit aller Staaten mit den Ländern dieser Region. Insbesondere im Kontext dieses Prinzips haben wir die Lage in solchen Ländern wie dem Irak, Syrien, Libyen, Mali und der Sahara-Sahelzone im Ganzen erörtert. In all diesen Punkten darf nicht zugelassen werden, dass die Terroristen die Oberhand gewinnen, und gleichzeitig sind politische Herangehensweisen zur friedlichen Regulierung aller Konflikte zu forcieren.
Wir sind davon überzeugt, dass wir ungeachtet aller neuen Konflikte und Krisen nicht das Recht haben, den ältesten Konflikt in dieser Region – den zwischen Palästina und Israel – zu vergessen. Unsere Haltung besteht darin, dass alle auf Gewalt verzichten und alles Erdenkliche tun, um den Verhandlungsprozess so schnell wie möglich wieder aufzunehmen.
Wir unterstützen jegliche Schritte, die Ägypten und die Arabische Liga in diese Richtung unternehmen. Wir sind daran interessiert, unsere Zusammenarbeit mit der arabischen Welt in all diesen Fragen zu stärken.
Unserer Einschätzung nach werden die heutigen Verhandlungen zu einem weiteren Ausbau der russische-tunesischen Beziehungen zum Wohle unserer Länder und Völker beitragen. Wir werden die positive Tagesordnung gemäß unseren Plänen umsetzen.
Frage: Könnten Sie die Ergebnisse der gestrigen Sitzung der Ukraine-Kontaktgruppe kommentieren? Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte für eine positive Entwicklung?
Lawrow: Das gestrige Treffen in Minsk war das erste unter Beteiligung von Vertretern Kiews und der Landwehren aus den Volksrepubliken Lugansk und Donezk. Es wurden Fragen einer politischen Streitbeilegung erörtert. Bis gestern hatte es keine Diskussionen in dieser Zusammensetzung gegeben. Das für sich allein ist schon wichtig.
Wie ich mich erinnere, haben die Verhandlungspartner beim gestrigen Treffen Positionspapiere mit konkreten Vorschlägen über Wege zur Klärung der Lage ausgetauscht und vereinbart, die Arbeit in diesem Format bereits in dieser Woche fortzusetzen. Ich hoffe, dass man diese Vereinbarung als erzieltes Einverständnis dahingehend werten kann, dass man so arbeiten muss, dass man der Gegenseite nicht irgendeinen Standpunkt aufzwingt, sondern dass man Kompromisse sucht. Wir rufen dazu auf, bei den weiteren Verhandlungen von einer allgemeinen, international abgestimmten Basis auszugehen, und zwar von der Genfer Vereinbarung vom 17. April d.J., in der von der Notwendigkeit einer gleichwertigen, gleichberechtigten Beteiligung aller Regionen und politischen Kräfte bei der Festlegung des weiteren Entwicklungsweges der Ukraine die Rede ist.
Frage: Kommentieren Sie bitte die Erklärung der australischen Außenministerin Julie Bishop dahingehend, dass Canberra im Zuge des bevorstehenden NATO-Gipfels in Wells die Absicht habe, seine Partner dazu aufzurufen, die Idee zu unterstützen, den russischen Präsidenten Vladimir Putin nicht zum „G-20" Gipfel in Brisbane einzuladen?
Lawrow: Ich habe keine solche Erklärung gelesen, bin aber nicht überrascht, dass sie – Ihrer Frage nach zu urteilen – gemacht wurde. Ich würde dazu raten, sich an die Grundbestimmungen zu erinnern, die das Funktionieren der „G-20" gewährleisten. Es geht hier nicht darum, dass Australien beschlossen hat, diesen Gipfel bei sich einzuberufen. Dieses Land hat darum ersucht, dass man ihm das Recht erteilen möge, das nächste Treffen der Führer der Gruppe bei sich abzuhalten, und dieses Recht wurde ihm gewährt. Aber bekanntlich bringt ein Recht auch Verpflichtungen mit sich. Die wichtigste davon ist es, zum Erfolg der Diskussionen im Rahmen der „G-Zwanzig" beizutragen, darunter auch darüber, wie man die vier Jahre alten Vereinbarungen erfüllen kann - ich meine damit die erste Etappe der Reformen des internationalen Währungs- und Finanzsystems.
Die Lage der Weltwirtschaft und des Finanzsystems ist in keiner Weise rosig. Es ist von grundlegender Wichtigkeit, die Möglichkeiten der führenden Weltwirtschaften auszuschöpfen, die in der „Gruppe der zwanzig" vereint sind, um zu versuchen, die Weltwirtschaft zu verbessern. Wenn unsere australischen Kollegen die Absicht haben, die Thematik der „G-20" im Rahmen des Nordatlantikpaktes zu erörtern, so spricht dies wahrscheinlich in Vielem davon, was ihre Fähigkeit betrifft, adäquat auf Weltprobleme zu reagieren. Vielleicht sind sie zu dem Schluss gekommen, dass sie bezüglich der die Wirtschafts- und Finanzfragen betreffenden Tagesordnungspunkte keine erfolgreiche Abhaltung des „G-20" Summit gewährleisten können, und jetzt versuchen sie, davon abzulenken, indem sie irgendwelche politische Skandale heraufbeschwören. Das ist überhaupt nicht seriös.
Frage: Wie bewerten Sie den Entschluss der Machthaber in Kiew, im Parlament ein Gesetz über die Aufhebung des Blockfreien-Status der Ukraine einzubringen?
Lawrow: Was die Initiative des Ministerkabinetts der Ukraine betrifft, im Werchowna Rada einen Vorschlag für eine Gesetzesänderung einzubringen, um den Blockfreien-Status der Ukraine aufzuheben und Kurs auf einen NATO-Beitritt zu nehmen, richte ich Ihr Augenmerk auf einen sehr interessanten Umstand. Dieser Vorschlag ist gerade zu dem Zeitpunkt aufgetaucht, als nach dem Treffen in Minsk eine Vereinbarung darüber geplant war, im Rahmen der Kontaktgruppe zu versuchen, eine allgemein annehmbare Lösung für die derzeitige innerukrainische Krise zu finden. Die „Friedenspartei" hat versucht und versucht dies nach wie vor, in allen grundlegenden Fragen, mit denen die Ukrainer heue konfrontiert sind, auf dem Verhandlungswege eine politische Lösung zu finden, und die „Kriegspartei" in Kiew unternimmt Schritte, die eindeutig auf eine Untergrabung all dieser Anstrengungen abzielen. Zum großen Bedauern wird in Kiew die Stimmung zugunsten einer Stärkung der Position der „Kriegspartei" von Washington und von einigen europäischen Hauptstädten aus aktiv angeheizt und geschürt, vor allem aus Brüssel und vom Hauptquartier der NATO aus, deren Generalsekretär mit und ohne Anlass Erklärungen abgibt, die überhaupt nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.
Wir wissen, dass sich ernstzunehmende und verantwortungsvolle Politiker in Europa und in den USA gegen irgendwelche Provokationen aussprechen und die Sinnlosigkeit und Aussichtslosigkeit verstehen, den Konflikt mittels Forderung nach einer Kapitulation der Landwehr fortzusetzen. Sie verstehen die Notwendigkeit der Aufnahme eines konkreten, sachlichen, inhaltsreichen Dialogs mit dem Ziel, Kompromisse hinsichtlich der Zukunft des ukrainischen Staates zu finden. Wir rechnen damit, dass ihre Stimme trotz allem obsiegen wird.
Frage (an beide Minister): In Libyen sind Terrorgruppen an der Macht. Außerdem erklärt der „Islamische Staat" seine Absicht, ein „Emirat der Maghreb-Staaten" mit der Hauptstadt Tunis gründen zu wollen. Wie ernst wird diese Bedrohung in Tunis genommen und welche Maßnahmen werden zu ihrer Abwendung gesetzt?
Was macht die amerikanische Militärbasis in Tunis?
Lawrow (antwortet nach Mongi Hamdi): Ich kann den Gedanken nur unterstützen, dass es notwendig ist, dass sich alle zusammenschließen angesichts der Gefahr des internationalen Terrorismus und konsequent dagegen ankämpfen, ohne doppelte Standards. Radikale Extremisten dürfen unter der Losung des Kampfes für die Demokratie nicht unterstützt werden (wie dies in Libyen der Fall war, als Muammar Gaddafi gestürzt wurde). Man darf nach dem Sturz eines Regimes nicht verkünden, dass die Demokratie wieder hergestellt worden sei, und dann selbst vor der Notwendigkeit stehen, gegen die Folgen der libyschen Revolution ankämpfen zu müssen, die in mindestens 14 Ländern zu spüren sind, in die Waffen gelangen und in die Kämpfer eindringen, die dann dort aktiv tätig sind. Das ist ein ganz klares Beispiel für doppelte Standards. Genauso darf man nicht entschieden gegen den „Islamischen Staat" im Irak kämpfen und die irakische Führung unterstützten, und in Syrien ungeachtet der Tatsache, dass Baschar Assad gegen dieselben Banditen kämpft, erklären, dass man mit „ihm nicht zusammenarbeiten dürfe, und dass wir ihm nicht die Hand reichen werden". Auf einer derartigen Grundlage doppelter Standards werden wir nichts erreichen. Alle müssen sich auf dem festen Boden des Kampfes gegen den Terrorismus in all seinen Erscheinungsformen vereinen, die Terroristen dürfen nicht gerechtfertigt nicht in „gute" und „böse" eingeteilt werden. In solche, die je nach der Konjunktur gegen ein dir nicht genehmes Regime kämpfen und bei denen man daher ein Auge zu machen kann, und in jene, die versuchen, gegen deine Ziele zu handeln. Das ist eine ausweglose Lage.
Frage: Der UNO-Generalsekretär hat erklärt, dass es nicht möglich sei, die Lage in der Ukraine auf militärischen Wege zu regeln, sondern dass politische Aufgaben auf dem Verhandlungswege gelöst werden müssten. Wie beeinflusst diese Erklärung von Ban Ki-Moon die Lösung des Ukrainekonflikts.
Lawrow: Es ist keine spezielle Durchsicht oder langwierige Analyse erforderlich, um zur Schlussfolgerung zu kommen, dass Versuche einer militärischen Beilegung des Ukrainekonflikts (wie auch jedes beliebigen anderen Konflikts) aussichtslos sind. Es gibt keine Alternative zu einer politischen Lösung.
Es hat bereits zahlreiche derartige Aufrufe gegeben und es wird wahrscheinlich noch mehrere geben. Aber Aufrufe allein sind zu wenig. Es sind Vereinbarungen und Garantien für deren Erfüllung erforderlich. Solche Vereinbarungen wurden wiederholt getroffen, beginnend mit dem 21. Februar d.J., als zwischen der Opposition und dem ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Beisein der Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens eine Vereinbarung unterschrieben wurde, deren erster Punkt die Verpflichtung vorsah, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Die Bildung einer derartigen Regierung ist eine wunderbare Methode einer politischen Regelung. Aber leider kam es einen Tag nach der Unterzeichnung dieser Vereinbarung zu einem verfassungswidrigen Staatsstreich, die Opposition überlegte es sich nach der Machtergreifung anders und vergaß auf die nationale Einheit.
Dann gab es die Genfer Vereinbarungen vom 17. April d.J. zwischen Russland, der USA, der Ukraine und der Europäischen Union, in denen die Verpflichtung direkt niedergeschrieben war, unverzüglich einen konstituierenden Prozess zu beginnen, an dem alle Regionen und politischen Kräfte beteiligt sind, und dies transparent und rechenschaftspflichtig zu machen. Ich erinnere daran, dass die Notwendigkeit eines derartigen Prozesses im April d.J. festgeschrieben wurde. Heute erinnert sich kaum mehr jemand an die Genfer Erklärung. Vor kurzem haben wir in allen europäischen Hauptstädten nachgefragt, ob sie sich diesem Dokument nach wie vor verpflichtet fühlen, das die Unterschrift der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, trägt. Man hat uns versichert, dass die Verpflichtung nach wie vor aufrecht sei, aber aus irgendeinem Grund ist in keiner der darauffolgenden Erklärungen des Europarates auch nur ein Wort von der Genfer Erklärung zu hören.
Am 2. Juli d.J. fand in Berlin ein Treffen der Außenminister Russlands, Frankreichs, Deutschlands und der Ukraine statt, bei dem ein Dokument verabschiedet wurde, in dem die allgemeine Verpflichtung niedergeschrieben ist, eine unverzügliche Feuereinstellung ohne Vorbedingungen zu erreichen. Das ist auch ein guter Weg, um mit der Vorbereitung des Bodens für eine politische Regulierung zu beginnen. Aber zu einer bedingungslosen Feuereinstellung ist es leider nicht gekommen – nach der Verabschiedung dieses Dokuments haben die Kiewer Machthaber damit begonnen, Vorbedingungen zu stellen.
Daher wäre es mir lieber, wenn ich keine abstrakten Aufrufe zu hören bekäme, sondern wenn einflussreiche Politiker wie der UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon für die Notwendigkeit einträten, das zu erfüllen, was im Laufe der Ukrainekrise bereits wiederholt vereinbart wurde. Aus irgendeinem Grund werden diese Vereinbarungen von unseren westlichen und ukrainischen Partnern vergessen.
Die wichtigste Aufgabe ist es jetzt, die „Kriegspartei" in Kiew zur Räson zu bringen - und real tun kann das nur die USA. Washington hat einen direkten Einfluss auf die ukrainischen Militärs, wofür zahlreiche Fakten sprechen. Es ist sehr wichtig, den Einfluss und die Möglichkeiten der USA als Ganzes dafür zu verwenden, die erforderlichen Signale für einen Übergang vom Versuch, die Lage militärisch zu lösen, hin zu einem politischen Prozess zu senden.
Es wurde bekannt gegeben, dass der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, am 18. September zu einem Besuch in die USA aufbrechen wird. Dies wäre wahrscheinlich eine gute Gelegenheit, um in der Frage den Punkt auf das „i" zu setzen, was das amerikanische Interesse oder Desinteresse an einer politischen Lösung in der Ukraine betrifft. Das Weiße Haus hat bereits erklärt, dass der Besuch von der USA dazu genützt werden wird, um die Ukraine der Unterstützung bei ihrem Streben nach Demokratie, Unabhängigkeit und Stabilität zu versichern. Ich hoffe, dass das nicht eine Demokratie nach irakischem oder libyschen Vorbild sein wird, und dass Washington die gesamte Ukraine unterstützen wird, und nicht nur einen bestimmten Teil des ukrainischen politischen Establishments, das Kurs genommen hat auf eine gewaltsame Unterdrückung eines Teiles des eigenen Volkes. Es ist sehr wichtig, dass die USA und unsere europäischen Partner aktiv die Notwendigkeit der Suche nach allgemein annehmbaren Kompromissen im Rahmen des gestern in Minsk begonnenen Prozesses unterstützen. Dann können sich die zahlreichen Aufrufe zu einer politischen Regelung materialisieren. Wir werden das aktiv unterstützen.