INTERVIEW DES STELLVERTRETENDEN AUSSENMINISTERS RUSSLANDS A.MESCHKOV DER ZEITUNG „WREMJA NOWOSTEJ“, VEROEFFENTLICHT AM 6.FEBRUAR 2003 UNTER DEM TITEL „RUSSLAND IST KEINESFALLS EIN KOMPARSE IN DER GROSSEN „ACHT“
Frage: Im US-Kongress werden Stimmen gehoert, die fordern, Russland aus der „grossen Acht" (G-8) entwickelter Staaten auszuschliessen.
Antwort: Russland ist keinesfalls ein Komparse in der „grossen Acht", einem nicht formellen, jedoch wichtigen Forum, auf dem globale Probleme behandelt werden. 2006 wird Russland G-8-Praesident. Dadurch werden uns zusaetzliche Pflichten auferlegt, und es erfordert ernste Vorbereitung. Waehrend der Praesidentschaft werden Dutzende Ministertreffen und Sitzungen der Arbeitsgruppen veranstaltet.
All dies wird von dem Praesidentschaftsland vorbereitet. Am gegenwaertigen komplizierten Hintergrund der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sieht Russland recht gut aus und festigt seine Stellung in der G-8. Dynamische Entwicklung unserer Wirtschaft foerdert Entwicklung einiger anderen Staaten, unter anderem in der GUS.
Frage: Einer der Gruende, warum von der Ausschliessung Russlands aus der G-8 geredet wird, ist das Bild Russlands, das im Ausland wegen letzter Ereignissen in unserem Land etwas verblichen ist.
Antwort: Offensichtlich ist ein fest Fuss gefasstes und seine nationalen Interessen verteidigendes Russland nicht allen recht. Es gibt Kraefte in der Welt, die noch nach Stereotypen des „Kalten Krieges" leben und Russland ins negative Licht zu stellen versuchen.
Frage: Gehoert es etwa nicht zu den Aufgaben des Aussenministeriums, der Welt eine objektive Vorstellung von Russland zu geben?
Antwort: Zur Loesung dieser Aufgabe, die Praesident vor uns gestellt hat, nutzen wir sowohl traditionelle Instrumente als auch moderne Techniken. Unter anderem Internet. Heute gehoert die Web-Seite des Aussenministeriums Russlands, die in fuenf Sprachen on-line funktioniert, zu den am haeufigsten besuchten. Diese Offenheit erlaubt uns den Entwicklungsstand Russlands, die Entwicklung unserer aussenpolitischen Gedanken objektiv einzuschaetzen. Auch unsere Botschaften in den meisten Staaten haben eigene Seiten im Internet. Die Diplomaten arbeiten auch mit der oertlichen oeffentlichen Meinung: Sie halten Vorlesungen, beteiligen sich an Seminaren, veroeffentlichen Artikel. Dabei versuchen sie keinesfalls Russland zu verschoenern, sondern geben objektive Vorstellung ueber seine Entwicklung auf dem Wege der Marktreformen. Ja, es gibt auch Probleme.
Aber wer hat denn keine? Die Aufgabe der Diplomatie ist es, das Gewebe der zwischenstaatlichen Austausche zu gestalten, die auch diese Probleme loesen koennten.
Frage: Und worin besteht das strategischen Ziel der russischen Aussenpolitik?
Antwort: Unser Ziel ist die Gestaltung einer Weltordnung im Interesse des russischen Staates bzw. jedes russischen Buergers. Keine regionale Organisation, kein Staat, wie stark er auch ist, kann Weltprobleme loesen. Da ist das Zusammenwirken alle „Spieler" noetig. Dies ist aber allein auf der Grundlage multilateraler, universaler Institute, vor allem der UNO, moeglich.
Frage: Hat sich in der aussenpolitischen Strategie Russlands 2004 etwas geaendert? Russische Politologe schlagen vor, Moskau solle seine Prioritaeten mit den Ereignissen in Irak sowie mit der NATO-Ost-Erweiterung in Zusammenhang bringen.
Antwort: Das aussenpolitische Jahr beginnt nicht mit dem neuen Kalenderjahr, sondern mit der jaehrlichen Botschaft des Praesidenten, die er im vorigen Sommer gemacht hat. Darin sind die Ergebnisse der Arbeit im letzten Jahr zusammengefasst, Hauptrichtungen der Entwicklung fuer das naechste Jahr festgelegt. Die strategische Linie ist im aussenpolitischen Konzept festgelegt, den Praesident 2000 genehmigt hat. Zu ihren wichtigsten Bestandteilen gehoeren: Schutz unserer nationalen Interessen bzw. der Interessen jedes russischen Buergers, Entwicklung der multilateralen Diplomatie. Aussenpolitische Vorraenge Russlands sind nicht einzelne Organisationen oder Krisen, wir fuehren eine mehrpolige Aussenpolitik. Sicherlich sind wir an der moeglichst schnellen Ueberwindung der Irak-Krise interessiert, und zwar auf der Grundlage des Voelkerrechts unter aktiver UN-Beteiligung.
Unsere Beziehungen mit NATO entwickeln sich dynamisch, unsere Interessen in Europa sind jedoch viel breiter, als der militaer-politische Bereich. Wichtige Prioritaet stellt Entwicklung unserer Beziehungen zur Europaeischen Union dar. Nach der bevorstehenden EU-Erweiterung wird ueber 50% des Warenumsatzes gerade auf EU entfallen.
Frage: Was ist fuer Russland auf der europaeischen Richtung neben dem militaer-politischen Bereich besonders wichtig?
Antwort: Sicherung der Rechte der russischsprachigen Bevoelkerung in Lettland und Estland, die eigentlich EU- und NATO-Beitrittslaender sind. Im unmittelbaren Interesse russischer Buerger liegt Beitritt Russlands zum Bologna-Prozess (das Endziel dieses Prozesses ist gegenseitige Anerkennung von Diplomen. – Red.), die ihnen den gleichen Zugang zur Bildung in Europa sichert.
Frage: Fuer Europareisen muessen russische Buerger Schengener Visen bekommen, was nicht so leicht ist...
Antwort: "Schengen" ist ein flexibler Mechanismus. Es geht um maximale Erleichterung des geltenden Visaverfahrens mit einigen Staaten auf der bilateralen Grundlage, aber unter Beruecksichtigung von Schengener Normen. Im vorigen Jahr wurde ein Abkommen mit Deutschland unterzeichnet, derzeit arbeiten wir an solchen Abkommen mit Frankreich und Italien.
Frage: Wahrnehmung von Interessen des russischen Unternehmertums im Ausland gehoert nach wie vor zu den Aufgaben des Aussenministeriums?
Antwort: Dies ist eine unserer Prioritaeten, die der Praesident vor uns gestellt hat. Stabilitaet der bilateralen Beziehungen mit allen Staaten haengt in hohem Masse vom Stand der Wirtschaftsbeziehungen ab. Die Unterstuetzung des russischen Unternehmertums im Ausland ist eine nicht nur wirtschaftliche sondern auch politische Aufgabe.