Stenogramm der Antworten des Aussenministers der Russischen Foederation Sergej Lavrov auf Fragen der Vertreter russischer Medien, Singapur, 24.Juli 2008
Frage: Was wurde heute auf der Sitzung des Regionalen ASEAN-Sicherheitsforums besprochen?
Sergej Lavrov: Auf dem Sicherheitsforum, das die ASEAN-Staaten und ihre 17 Partner vereint, wurden heute Fragen zur Verbesserung der Zusammenarbeit in diesem Format behandelt, vor allem in den Bereichen: Festigung der Sicherheit und des Kampfes gegen solche Bedrohungen wie Terrorismus, Drogenhandel und organisierte Kriminalitaet. In der politischen Schlussdeklaration werden diese Fragen in dem fuer uns prinzipiellen Sinne dargelegt, naemlich, dass die internationale Gemeinschaft ihre Bemuehungen um die Abwehr der neuen Herausforderungen vereinen soll.
Ich moechte auch darauf hinweisen, dass in den heute angenommenen Dokumenten die Wichtigkeit der SOZ unter den vielseitigen Strukturen, die im Asiatisch-Pazifischen Raum funktionieren, betont wird.
Heute ist es uns gelungen, nicht nur wichtige Prinzipien des Zusammenwirkens festzulegen, sondern auch die praktische Zusammenarbeit voranzubringen. Es wurde ein Mechanismus geschaffen, der sich mit der Bekaempfung des Terrorismus und der grenzuebergreifenden Kriminalitaet dauernd befassen wird. Es wird geplant, zu diesem Zweck den direkten Austausch mit spezifischen Informationen zwischen den Rechtsschutzorganen zu organisieren. Russland will bei Zwischentagungstreffen im Jahre 2010 mit einem ASEAN-Staat den Vorsitz fuer diese Fragen uebernehmen und hat den entsprechenden Antrag eingereicht. Dieser Vorschlag wurde unterstuetzt.
Wir werden auch an der Taetigkeit des staendigen ASEAN-Mechanismus fuer die Meeressicherheit teilnehmen, welcher derzeit geschaffen wird. Diese Arbeit wird auf der Ebene der Vertreter der ASEAN-Verteidigungsbehoerden und ihrer Partner gefuehrt.
Wir haben auch verschiedene Konfliktsituationen in der Region behandelt: Das Nuklearproblem der koreanischen Halbinsel, die Lage in Suedasien, u.a. auch die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan, sowie viele andere Fragen.
Einige Teilnehmer konnten der Versuchung nicht widerstehen, auf diesem multilateralen Forum auch eigene Probleme in den bilateralen Beziehungen mit konkreten Partnern zu behandeln, und haben sogar versucht die Loesung dieser Probleme als Voraussetzung fuer alles andere zu betrachten. Meiner Meinung nach ist dies nicht richtig. Es gab immer bilaterale Probleme, es wird sie immer geben. Aber fuer deren Loesung sollen entsprechende Formate genutzt werden, vor allem direkte Verhandlungen. Und multilaterale Foren sollen sich mit den fuer alle relevanten Fragen befassen, nach Wegen zur Entwicklung der praktischen Zusammenarbeit suchen, und somit das Vertrauen steigern und die Atmosphaere verbessern. So werden letzten Endes auch bilaterale Fragen schneller und effizienter geloest.
Frage: Was erwarten Sie von der SOZ und den Treffen, die stattfinden sollen?
Sergej Lavrov: Die Shanghaier Organisation fuer Zusammenarbeit entwickelt sich erfolgreich. Morgen werden wir an der Vorbereitung des naechsten Gipfels Ende August aktiv arbeiten.
Frage: Wurden heute Fragen der Energiesicherheit behandelt?
Sergej Lavrov: Ja. Die Fragen der Energiesicherheit stehen auch auf der Agenda bei unserem Dialog mit der ASEAN. Sie werden auch auf dem Regionalen ASEAN-Sicherheitsforum behandelt. Vor vier Jahren wurde auf unsere Initiative auf dem Forum in Indonesien in Jakarta eine Reihe von wichtigen Dokumenten angenommen. Darunter auch Dokumente ueber die antiterroristische Sicherheit im Verkehr. Das haengt mit Energiefragen zusammen, denn der Verkehr wurde damals sehr breit betrachtet, auch als Lieferung von Kohlenwasserstoffen. Im Regionalen ASEAN-Forum wird ein spezieller Mechanismus geschaffen. Dieser soll ein Grunddokument vorbereiten, welches Prinzipien des Zusammenwirkens in diesem Bereich festlegen soll.
Ich will auch sagen, dass der Energiedialog in den bilateralen Beziehungen zwischen Russland und vielen ASEAN-Staaten einen immer groesseren Platz einnimmt. Dabei geht es nicht nur um KW-Stofflieferungen, wie Fluessiggas, sondern auch um die Atomenergie. Das Interesse fuer diese Energie steigt weltweit, denn im Hinblick auf die wissenschaftlichen Errungenschaften ist sie heute die einzige sichere Alternative zu den verfluessigten KW-Stoffen. Ueber unsere Plaene in diesem Bereich sind alle gut informiert. Rosatom – die Foederale Agentur fuer Atomenergie – ist bereit, dem Interesse unserer Partner nachzugehen und ueber unsere Moeglichkeiten in diesem Bereich zu informieren. Mit einigen Laendern sind solche Kontakte schon geplant.
Frage: Was meint ASEAN zum russischen Standpunkt, es solle eine neue Sicherheitsstruktur in der Welt geschaffen werden? Und ueberhaupt, was meinen die ASEAN-Staaten zur russischen Haltung zur multipolaren Welt?
Sergej Lavrov: Ich kann ohne zu uebertreiben sagen, dass unsere Haltung in den internationalen Angelegenheiten von den meisten Laendern – nicht nur von den ASEAN-Laendern, sondern auch von den anderen Teilnehmern des Sicherheitsforums im Asiatisch-Pazifischen Raum – verstanden und unterstuetzt wird. Wie ich schon gesagt habe wird in den genehmigten Sicherheitsdokumenten das kollektive Herangehen an die Sicherung der Stabilitaet in der Region unterstuetzt. Das entspricht voll und ganz dem aussenpolitischen Konzept der Russischen Foederation, das vor kurzem vom Praesidenten der Russischen Foederation, Dmitri Medwedew, genehmigt wurde. Immer mehr Verstaendnis findet auch der Vorschlag der SOZ, der auf dem Gipfel in Taschkent unterbreitet wurde und als „Taschkenter Initiative" bekannt ist. Laut diesem Vorschlag sollen alle zahlreichen Strukturen, die sich im Asiatisch-Pazifischen Raum mit Sicherheitsfragen befassen, operative Beziehungen zu einander aufnehmen. Und die SOZ hat schon Beziehungen zu mehreren solchen Organisationen auf der Ebene der Sekretariate aufgenommen. Zu diesen gehoert auch die ASEAN. Da gibt es noch sehr viel Arbeit. Wahrscheinlich schon recht bald wird zu unseren Aufgaben auch der Aufbau eines regionalen Sicherheitssystems gehoeren. Heute gibt es in diesem Bereich viele Strukturen, haeufig mit gleichen Mitgliedern, und mit identischen Agendas. Deshalb haben wir heute ueber die Notwendigkeit solch einer Struktur gesprochen. Dieses Herangehen wurde von einigen unseren Kollegen unterstuetzt, unter anderem vom australischen und chinesischen Aussenminister. Die chinesischen Kollegen haben ihrerseits ein inoffizielles Dokument unterbreitet, in dem Vorschlaege dargelegt werden, welche Prinzipien dieser universellen asiatisch-pazifischen Zusammenarbeit fuer Stabilitaet und Sicherheit in der Region zugrunde gelegt werden koennten. Ich glaube, dass dies zu einem der Schwerpunktthemen fuer die naechsten Jahre in diesem Format werden wird.
Frage: Womit kann erklaert werden, dass morgen in Duschanbe zwei Treffen stattfinden werden: Erst in einem engen Kreis, dann in einem breiteren? Das ist meine erste Frage, und die zweite: Koennen die Prinzipien der Arbeit, die schon seit langem in der ASEAN genutzt werden, auch in der SOZ genutzt werden?
Sergej Lavrov: Zur ersten Frage. Treffen in einem engen Kreis, und danach Treffen in einem breiteren Kreis – das ist eine normale Praxis fast in allen internationalen Mechanismen, an denen Russland teilnimmt: in derGUS, der OVKS, der EURASEC und in der SOZ. In der SOZ beginnen die Staatsoberhaeupter die Arbeit immer in einem engen Kreis. Das ist besonders bequem, um direkte Gespraeche ueber die weitere Taetigkeit der Organisation zu fuehren, ohne lange politisch korrekte Erklaerungen, auch fuer die Presse geben zu muessen. Dann werden die Ergebnisse dieser Gespraeche in einem breiteren Kreis festgelegt. Unsere tadschikischen Partner, die diese Veranstaltung organisiert haben, haben dieses Format vorgeschlagen, und wir sehen keinen Grund, es abzulehnen.
Was die Arbeitsmethoden anbetrifft, so sind sie eigentlich bei uns in der SOZ und in der ASEAN sehr aehnlich, sogar identisch. Vor allem wird nach Entscheidungen gesucht, die von allen unterstuetzt werden und die das Gleichgewicht der Interessen beruecksichtigen. Solche Entscheidungen werden vor allem durch den achtungsvollen Dialog erreicht. Diese ASEAN-Kultur faellt mit der Kultur des Dialogs zusammen, die sich in der SOZ entwickelt hat.
Frage: Wurde Russlands vollstaendige Mitgliedschaft in ASEAN auch behandelt?
Sergej Lavrov: Wir beantragen die ASEAN-Mitgliedschaft nicht. Auch keiner der 17 ASEAN-Partnern stellt diese Frage.
Frage: Vor kurzem hat die US-Staatssekretaerin Condoleeza Rice dem Iran ein Ultimatum mit der Zweiwochenfrist gestellt. Ihr Standpunkt dazu? Und die zweite Frage: Erlaeutern Sie die russische Haltung zum Sudan. Unter welchen Umstaenden wird Russland versuchen, die Anordnung der Verhaftung des Praesidenten von Sudan auszusetzen?
Sergej Lavrov: Zum Iran habe ich bereits gesagt, dass diese Frage und das Nuklearproblem der koreanischen Halbinsel behandelt wurden. Die ueberwiegende Mehrheit der Teilnehmer der Debatte treten fuer deren Loesung mit politisch-diplomatischen Mitteln ein.
Was die Fristen betrifft, die ein Land fuer die Antwort aus Teheran auf den Sechser-Vorschlag setzen will, so sollten einzelne Teilnehmer dieses Prozesses bei Erklaerungen, politischen oeffentlichen Erklaerungen, die wahrscheinlich jemanden zu etwas bewegen sollten, vom realen Leben ausgehen, bzw. den Gesamtkomplex von Bedingungen beruecksichtigen. Wir gehen davon aus, dass es keine kuenstlichen Rahmen geben kann, also keine Fristen – morgen oder nie. Andererseits darf sich dieser auch nicht endlos in die Laenge ziehen. Wir sind ueberzeugt, dass alle unmittelbaren Teilnehmer des Prozesses das Wesen und die Schwierigkeiten des zu behandelnden Problems erkennen. Wir verstehen auch, wie lang eine vernuenftige Frist sein kann, um eine klare Antwort auf einen klaren, aber umfassenden und deshalb schwierigen Vorschlag zu erhalten.
Zum Sudan. Wissen Sie, es gibt das Voelkerrecht, und in diesem Falle sollte die Situation, also die Verschaerfung wegen der Entscheidung des Staatsanwaltes des Internationalen Strafgerichts ueber den Praesidenten des Sudans, auf dieser Rechtsgrundlage behandelt werden. Und die Rechtsgrundlage sieht so aus: Es gibt einen Status dieses Gerichts, nach dem konkrete Handlungen des Staatsanwalts ausgesetzt werden koennen, wenn der Sicherheitsrat dies fuer zweckmaessig haelt. Der entsprechende Vorschlag wurde im Weltsicherheitsrat unterbreitet, wir behandeln ihn. Dabei werden wir von der Hauptaufgabe ausgehen - den Fortschritt in der Sudan-Regelung zu sichern, auch im Suedsudan und im Darfur-Problem. Es ist so wie im ehemaligen Jugoslawien: Es gibt das Internationale Strafgericht fuer das ehemalige Jugoslawien. Aber einige Staaten beharren darauf, dass ein, zwei oder drei Beschuldigte vor dem Gericht in Den Haag gestellt werden muessen, und erst dann werden Schritte zur Loesung von Problemen unternommen, die sich auf Balkan beziehen. Das Recht muss gesprochen werden, u.a. ueber die Menschen, die schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt werden. Dabei darf man aber andere nicht weniger wichtige Sachen nicht vergessen - die Stabilitaet von ganzen Regionen, sei es der Balkan oder Afrika. Deshalb soll meiner Meinung nach das richtige Herangehen nicht aus Ultimaten bestehen. Es sollten humanitaere Fragen, Fragen des der Menschenrechtsschutzes nicht in Schwarz und Weiss dargestellt werden und sie sollten den Fragen der Unterhaltung des Friedens und der Stabilitaet gegenuebergestellt werden. Und die meisten Mitglieder des Sicherheitsrates, glaube ich, unterstuetzen dieses richtige Herangehen.
Frage: Was halten Sie vom Interesse der US-Amerikaner fuer die SOZ und ihrer Annaehrungsabsichten an diese Organisation?
Sergej Lavrov: Sich naehern? Das ist ein abstrakter Begriff. Es gibt Verfahren in der SOZ, auch Verfahren, wie man den Beobachterstatus bekommen kann. Morgen werden wir in Duschanbe Normdokumente behandeln, die diesen Prozess rechtlich regeln. Alles wird klar zu Papier gebracht werden. Wir werden auch die Moeglichkeit besprechen, das Institut des Dialogpartners einzufuehren. Da greifen wir zur ASEAN-Praxis. Ich rechne damit, dass wir morgen diese Vorschlaege abstimmen und sie auf dem Gipfel Ende August den Staatsoberhaeuptern vorlegen werden, damit sie die Entscheidung treffen. Dann kann der Wunsch eines Landes, sich der SOZ zu naehern, aufgrund eines festgelegten Verfahrens betrachtet werden. In den Regeln, die fuer die Beobachter und Partnern ausgearbeitet werden, werden bestimmte Bedingungen festgelegt. Und aufgrund dieser Fetslegungen sollen alle offiziellen Antraege zu konkreten Fragen behandelt werden.
Frage: In den westlichen Medien wird die SOZ manchmal als eine Bedrohung fuer die gegenwaertige Weltordnung bezeichnet. Meinen Sie, dass es in Wirklichkeit keine Bedrohung ist?
Sergej Lavrov: Ich habe heute in «International Herald Tribune» einen Artikel eines gewissen Milles gelesen – ich kennen diesen Berichterstatter persoenlich nicht – der unsere Abstimmung im Weltsicherheitsrat zusammen mit China, Suedafrika, Vietnam und Lybien gegen die Resolution ueber die Sanktionen gegen Simbabwe kommentiert hat. Dieser „Berichterstatter" hat geschrieben, dass wir es noch stark bereuen werden, weil 750 Mio. Afrikaner suedlich der Sahara die Russische Foederation „verdammen" werden. Das schreibt «International Herald Tribune», eine geachtete respektable Zeitung. Mein erster Wunsch war, jemanden zu bitten, eine Erwiderung zu schreiben, die die Herausgeber oder Redakteure dieser Zeitung dann veroeffentlichen sollen. Aber dann habe ich verstanden, dass wir nicht ausreichend Autoren zur Verfuegung haben, um auf solche Artikel zu reagieren. Jeder intelligente Mensch, versteht, dass dies Unsinn ist. Gerade diese 750. Mio Afrikaner suedlich der Sahara bzw. die Staatsoberhaeupter der meisten dieser Laender mit dem Praesidenten Suedafrikas an der Spitze haben auf dem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union noch vor der Abstimmung im Weltsicherheitsrat einen Appell an die Weltgemeinschaft angenommen, keine strengen Massnahmen zu treffen. Denn dies koenne die Bemuehungen um den Dialog zwischen dem Praesidenten von Simbabwe und der Opposition untergraben. Bei der Abstimmung gegen diese absolut unbegruendete und dem Weltsicherheitsrat fernliegenden Entscheidung haben wir diesen Appell beruecksichtigt, denn wir halten es immer fuer wichtig, bei der Behandlung jedes Konflikts Staaten der jeweiligen Region zu beruecksichtigen. Hoffentlich wird jetzt alles so verlaufen, wie es verlaufen muss, denn der Dialog zwischen dem Praesidenten Mugabe und dem Fuehrer der Opposition entwickelt sich unter aktiver Vermittlung Suedafrikas und anderer afrikanischen Staaten. Ich glaube, dass es von der Richtigkeit unserer Haltung zeugt. Ich habe dieses Beispiel als Antwort auf Ihre Frage gefuehrt.
Zur SOZ. Sie wissen, dass wir schon mehrmals erklaert haben, womit sich diese Organisation befasst. Es gibt eigentlich nichts zu erklaeren. Es gibt statuarische Dokumente, es gibt Beschluesse, die die SOZ annimmt. Und es waere falsch, es so darzustellen, dass die SOZ eine Art Antwort auf die NATO-Erweiterung sei. Die SOZ lockt niemanden in ihre Reihen. Laender, die sich an die SOZ mit dem Antrag wenden, Mitglied der Organisation zu werden, verstehen, dass die SOZ ausserhalb aller Bloecke steht. Sie verstehen, dass die SOZ keine Militaerstuetzpunkte neben einer anderen Organisation oder neben einem anderen Land schaffen will und dass sich diese Organisation mit klaren und im Interesse der ganzen Welt liegenden Angelegenheiten befasst.