22:07

Pressekonferenz des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, zur Problematik der europäischen Sicherheit, Moskau, 1. Dezember 2022

2470-01-12-2022

Sehr geehrte Vertreter der Medien,

Guten Tag.

Danke, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Wir hielten es für wichtig, gerade heute über die Probleme der europäischen und damit globalen Sicherheit zu sprechen. In Europa sind immer Ansprüche seitens der Nato-Mitglieder zur Dominanz im globalen Ausmaß zu erkennen. Die Indopazifische Region wurde bereits zum Zuständigkeitsbereich der Allianz erklärt. Die Entwicklung auf unserem Kontinent interessiert nicht nur Europäer, Einwohner Nordamerikas, sondern auch Vertreter aller anderen Länder der Welt, vor allem Schwellenländer, die verstehen wollen, welche Initiativen in Bezug auf ihre Regionen Nato-Staaten, die ihre globalen Ambitionen verkündeten, vorbereiten können.

1990 fand der Gipfel einer Struktur statt, die damals Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hieß. Auf der Veranstaltung nahmen alle Teilnehmerstaaten, darunter Nato-Länder und Mitglieder des Warschauer Vertrags auf der höchsten Ebene in Paris eine Charta für ein neues Europa an, das das Ende der „Ära der Konfrontation und Spaltung des Kontinents“ fixierte, die Beseitigung der Barrieren für den Bau eines wahr gesamteuropäischen Hauses ohne Trennlinien erklärte.

Ein interessanter Fakt aus der damaligen Zeit. Auf der Schlussetappe des KSZE-Gipfels in Paris 1990 warnte US-Außenminister James Baker den US-Präsidenten, dass eine reale Bedrohung für die Nato gerade die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa darstellen könne. Ich verstehe ihn – das ist tatsächlich so. Denn als der Kalte Krieg zu Ende ging, sagten viele vernünftige Politiker und Politologen, dass es jetzt besser wäre, nicht nur auf den bereits aufgelösten Warschauer Vertrag, sondern auch die Nato zu verzichten, und alle Anstrengungen zu unternehmen, damit die OSZE eine wahre Brücke zwischen Ost und West, eine einheitliche Plattform zur Umsetzung gemeinsamer Ziele auf Grundlage des Gleichgewichts der Interessen jedes Teilnehmerlandes wird.

Dazu ist es nicht gekommen. In der Tat wollte der Westen die Dominanz beibehalten. In der Aussicht der Verkörperung der Mottos über Gleichberechtigung und Fehlen der Trennlinien und Barrieren, über ein wahres gesamteuropäisches Haus sahen die Westler eine Bedrohung für ihre Positionen, die auf die Dominanz Washingtons, Brüssels in allen globalen Angelegenheiten, vor allem in Europa abzielten.

Gerade daraus ergibt sich de facto das berüchtigte Konzept der „auf Regeln beruhenden Weltordnung“. Der Westen bezeichnete schon damals diese „Regeln“ als einen unabdingbaren Teil seiner Position in der Weltarena. Gerade dieses Gefühl, dass die westlichen „Regeln“ alle Probleme ohne Konsultationen mit anderen lösen können, wurden ein Grund davon, dass der Westen es für möglich hielt, fast 80 Tage lang Jugoslawien barbarisch zu bombardieren, wobei seine gesamte zivile Infrastruktur vernichtet wird. Dann griffen die Westler unter einem ausgeklügelten Vorwand in den Irak ein und bombardierten dort alles Notwendige für das Leben der Zivilbevölkerung und Lebensversorgung des Landes. Dann wurde der libysche Staat vernichtet. Es folgten viele andere Abenteuer, von denen Sie sehr gut wissen.

Russland verlor nicht die Hoffnung, dass wir zu den Grundlagen der Helsinki-Prinzipien zurückkehren können. Wir kämpften weiter um OSZE. Es wurde vorgeschlagen, auf Grundlage der Schlussakte von Helsinki ein rechtlich verbindliches Dokument, eine Satzung der OSZE, vorzubereiten. Der Westen willigte darin nicht ein.

Wir erinnern uns daran, wie die Nato geschaffen wurde. Der erste Generalsekretär der Allianz, Hastings Lionel Ismay, erfand einst eine Formel: „Die Russen sollen außerhalb Europas, die Amerikaner in Europa und die Deutschen unter Kontrolle Europas gehalten werden“. Die aktuelle Entwicklung bedeutet nichts anderes, als die Rückkehr der Allianz zu konzeptuellen Prioritäten, die vor 73 Jahren ausgearbeitet wurden. Nichts änderte sich: Man will die Russen außerhalb Europas halten, die Amerikaner wollen ganz Europa versklaven und taten das schon, und kontrollieren nicht nur die Deutschen, sondern auch die ganze EU. Die Philosophie der Dominanz und einseitiger Vorteile nach dem Ende des Kalten Kriegs verschwand nicht.

Während ihrer Existenz konnte die Nato kaum zumindest eine reale Erfolgsgeschichte schaffen. Die Allianz trägt Zerstörung und Leiden nach außen.

Wollen wir uns an das jüngste Beispiel erinnern – Afghanistan, dem die Allianz innerhalb von 20 Jahren erfolglos Demokratie in eigener Deutung beibringen wollte. Anschaulich ist auch der Fakt, dass bislang auch Sicherheitsprobleme in der serbischen Region des Kosovo nicht gelöst werden, wo die Nato ebenfalls seit mehr als 20 Jahren präsent ist. Sehen Sie, wie viele Jahrzehnte die Amerikaner versuchen, für Ordnung in so einem kleinen und von ihnen kontrollierten Land wie Haiti zu sorgen.

Während die Nato 1991 aus 16 Ländern bestand, sind es jetzt bereits 30 Länder. Vor ihrem Beitritt sind Schweden und Finnland. Die Allianz stationiert immer näher zu unseren Grenzen eigene Kräfte und Militärinfrastruktur. Es werden ständig das Potential und die Mittel ausgebaut, wobei sie näher zu Russland gebracht werden. Es werden Manöver durchgeführt, in denen unser Land de facto offen als Gegner bezeichnet wird. Die Nato erweitert aktiv ihre Tätigkeit im postsowjetischen Raum. Sie spricht von Ansprüchen in der Indo-Pazifik-Region, und nun auch in Zentralasien.

Wir versuchten bis zum letzten Zeitpunkt, die Situation im Euroatlantik vor der weiteren Verschlechterung fernzuhalten. Im Dezember 2021 legte Präsident Wladimir Putin neue Vorschläge über Sicherheitsgarantien – einen Entwurf eines Vertrags zwischen Russland und den USA und einen Entwurf eines Abkommens zwischen Russland und der Nato - vor. In dieser Situation, als man sah, wie beharrlich der Westen die Ukraine in die Nato zog – das war eine offensichtliche rote Linie für die Russische Föderation, wovon der Westen seit vielen Jahren wusste – schlugen wir vor, auf die Erweiterung der Allianz zu verzichten und konkrete juridisch verbindliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Russische Föderation, alle europäische Staaten und alle OSZE-Teilnehmerstaaten zu vereinbaren. Es wurde keine Diskussion geschafft.

Im Dezember 2021 zog es Washington vor, eine reale Chance auf Deeskalation nicht zu nutzen. Es gab sie nicht nur bei den USA, sondern auch bei der OSZE, die für Entspannung sorgen könnte, wenn sie die Regelung der Ukraine-Krise auf Grundlage des Minsker Maßnahmenkomplexes, der im Februar 2015 abgestimmt und im gleichen Monat durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats einstimmig gebilligt wurde, erreicht hätte. Die Exekutivstrukturen der OSZE erwiesen sich de facto vollständig unterordnet gegenüber den USA und Brüssel, die den Kurs auf allseitige Unterstützung des Kiewer Regimes in seiner Politik der Ausrottung von allem Russischen – Bildung, Medien, Nutzung der Sprache in der Kultur, Kunst und Alltagsleben nahmen. Die Westler unterstützten das Kiewer Regime auch bei seinem Kurs auf gesetzgebendes Aufdrängen der Theorie und Praxis des Nazismus – entsprechende Gesetze wurden ohne jegliche Reaktion aus „aufgeklärten“ Hauptstädten der westlichen Demokratien angenommen, sowie bei Anstrengungen, die Ukraine in ein Aufmarschgebiet zur Abschreckung Russlands, Gebiet der direkten militärischen Bedrohungen für unser Land zu verwandeln.

Ich würde betonen, dass ein großer Beitrag zur Diskreditierung der OSZE auch von der Sonderbeobachtermission in der Ukraine geleistet wurde, die als grobe Verletzung ihres Mandats auf tägliche Verstöße gegen die Minsker Abkommen seitens den Streitkräften der Ukraine und nationalen Bataillonen nicht reagierte. Die Mission der Organisation stellte sich de facto auf die Seite des Kiewer Regimes. Bereits nach ihrer Auflösung gab es unschöne Fakten des Zusammenwirkens der Mission mit westlichen Sicherheitsdiensten sowie der Teilnahme angeblich neutraler OSZE-Beobachter an der Beobachtung von Positionen der Volksrepubliken Lugansk und Donezk, Sammeln von Aufklärungsdaten im Interesse der Streitkräfte der Ukraine und nationalistischen Bataillonen – ihnen wurden Informationen von Überwachungskameras der Mission, die an der Kontaktlinie stationiert waren, übermittelt.

Mitte Februar ist der seit diesen vielen Jahren andauernde Beschuss der Volksrepubliken Lugansk und Donezk um das Zehnfache gestiegen – es gibt Statistik, sie kann nicht verheimlicht werden. Nach Russland strömten sehr viele Flüchtlinge. Wir hatten keine andere Wahl, um die Einwohner von Donbass zu retten und die Sicherheitsbedrohungen für die Russische Föderation aus dem ukrainischen Territorium zu beseitigen, als die Volksrepubliken Lugansk und Donezk anzuerkennen und gemäß Artikel 51 der UN-Charta auf ihre Bitte eine militärische Spezialoperation zu ihrem Schutz vor Nazis zu beginnen.

Der Westen versucht seit vielen Jahren die Privatisierung, genauer gesagt feindliche Übernahme der OSZE umzusetzen, diese letzte Plattform eines gesamtregionalen Dialogs sich unterzuordnen.

Mit Bemühungen der EU werden parallele Strukturen und Sitzungen wie die Europäische Politische Gemeinschaft geschaffen. Am 6. Oktober fand in Prag das Auftakttreffen dieses Formats statt. Bei der Vorbereitung dieser Veranstaltung sagte Emmanuel Macron stolz, dass alle außer Russland und Belarus eingeladen wurden. Er wurde sofort von solchen angesehenen Vertretern der europäischen Diplomatie wie Josep Borrell, Annalena Baerbock unterstützt, die sagten, dass die Sicherheit nicht mit der Russischen Föderation aufgebaut werden soll, wie dazu Angela Merkel und andere europäische Anführer aufgerufen hatten, sondern gegen sie.

Vor einigen Jahren versetzten Deutschland und Frankreich, als sie die Initiative der Allianz der Multilateralisten, in welche sie jene, welche sie wollen, einladen würden, vorlegten, damit der OSZE einen Rückschlag. Ungefähr auch so laden die USA nur ihre Leute zum sogenannten „Gipfel für Demokratie“ ein. Als wir Deutsche und Franzosen fragten, wozu man die Allianz bildet, wenn in Europa bereits eine inklusive Plattform OSZE besteht, und in einem globalen Format – die UNO – das sind doch überaus multilaterale Formate? Uns wurde gesagt, dass in diesen Strukturen tatsächlich alle Länder vertreten sind, doch für einen effektiven Multilateralismus soll nicht in der OSZE und UNO gearbeitet werden, man braucht eine Gruppe der Anführer. In der OSZE und UNO seien “Rückwärtsgewandte”, die bei der Förderung des effektiven Multilateralismus stören werden. Gerade sie, progressive Vertreter, werden sich damit befassen, die Restlichen sollen sich anpassen – so ist die Philosophie, die auch die hohen Prinzipien untergräbt, auf denen die OSZE aufgebaut wurde.

Die Schweden hatten den Vorsitz 2021, schon damals gingen sie offen nicht als faire Händler, sondern als aktive Teilnehmer der westlichen Politik zur Unterordnung der OSZE den Interessen der USA und Brüssels vor. Es waren de facto gerade die Schweden, die die Vorbereitung zur „Beerdigung“ der Organisation einläuteten.

Unsere polnischen Nachbarn schaufelten ein ganzes Jahr lang ein Grab für die OSZE, wobei die Reste der Konsens-Kultur zerstört werden. Die Handlungen Warschaus verletzen grob die Regeln des Verfahrens und Beschlüsse der direktiven Organe der Organisation. In der OVKS billigten wir auf der Ebene der Außenminister von sechs Ländern am 23. November eine Sondererklärung, wo prinzipielle Einschätzungen dieser unschönen Handlungen des polnischen Vorsitzes gegeben wurden. Wir wissen, dass auch mehrere andere OSZE-Länder diese Position teilen. Ich kann verantwortungsvoll sagen, dass der Anti-Vorsitz Polens in der Geschichte der Organisation den schlimmsten Platz einnehmen wird. Niemand fügte so viel Schaden der OSZE beim Vorsitz zu.

Klar ist nur, dass wenn unsere westlichen Nachbarn, und diese können die Nachbarschaft nicht auflösen, und ehemalige Partner Interesse daran haben werden, zu einer gemeinsamen Arbeit an der europäischen Sicherheit zurückzukehren, wird es keine solche Wiederherstellung geben. Das würde die Rückkehr zu etwas, was es früher gab, bedeuten. Aber es wird nicht mehr „business as usual“ geben.

Wenn und falls der Westen versteht, dass man Nachbarn basierend auf irgendwelche gegenseitig abgestimmte Grundlagen sein sollte, werden wir zuhören, was sie uns vorschlagen werden. Das sollten prinzipiell neue Grundlagen des Zusammenwirkens sein. Ob in der absehbaren Zukunft die Möglichkeit für ein solches Zusammenwirken entsteht? Ich weiß nicht. Es soll der Westen entscheiden, der seit diesen langen Jahrzehnten systematisch alles, was als Prinzipien des Funktionierens einer einmaligen gesamteuropäischen Organisation unter dem Namen OSZE gegründet wurde, zerstörte.

Frage: Russland ist abgeschnitten von der europäischen Diplomatie, nachdem ihren Vertretern verboten wurde, zu den Sitzungen der OSZE bzw. Münchner Sicherheitskonferenz zu kommen. Was soll Moskau in diesem Fall machen? Wie sollte man sich an neue Realitäten anpassen? Inwieweit ist aktuell der Getreide-Deal für Russland in diesem Kontext?

Sergej Lawrow: Die angeführten Beispiele können auch dadurch ergänzt werden, dass unsere Parlamentarier in diesem Jahr zweimal zu den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE via Nichtausstellung von Visa (die eine war in Großbritannien, die zweite vor kurzem in Polen) nicht zugelassen wurden. Das ist ein Zeichen davon, wie „faire Händler“ sich mit Leitung der gesamteuropäischen Organisation befassen.

Zurück zur Frage, ob wir von der europäischen Diplomatie abgeschnitten werden, man sollte klären, ob es die europäische Diplomatie noch immer gibt, wenn ja, was ist das? Bislang hören wir von europäischen Diplomaten Erklärungen im Sinne Josep Borrells, die er als Mantra seit Beginn der militärischen Spezialoperation wiederholt – „dieser Konflikt muss mit einem Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld enden“. Das sagt ein europäischer Diplomat.

Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein Treffen im Rahmen der von ihm vorgeschlagenen Europäischen Politischen Gemeinschaft ankündigte, sagte er, dass Russland und Belarus nicht eingeladen werden. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell und dann die Bundesaußenministerin Deutschlands Annalena Baerbock kündigten eine neue Aufgabe an: „Die europäische Sicherheit nicht mit Russland, sondern gegen Russland aufzubauen“. Wenn man unter europäischer Diplomatie solche Erklärungen versteht, denke ich nicht, dass wir das brauchen. Man sollte das verstehen, wenn dort vernünftige Menschen auftauchen.

Der Präsident des Europäischen Rats Charles Michel fordert die Gewährleistung des Siegs der Ukraine und sagt, dass es gemacht werden soll, weil die „Ukraine europäische Werte anstrebt“ und der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, dass „sie bereits die Werte Europas, Freiheit und Demokratie verteidigt und fördert“. Ähnliche Aussagen gab es auch seitens der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

„Die Spitze der europäischen Diplomatie“ sagt, dass man jetzt der Ukraine helfen soll, die europäischen Werte zu verteidigen, aber das bedeutet nur eines – diesen europäischen Diplomaten wird nicht über zahlreiche Fakten davon, was in der Ukraine tatsächlich vor sich geht, berichtet. Darüber, wie lange vor Beginn der militärischen Spezialoperation seit Langem die Vernichtung der Russischen Orthodoxen Kirche trotz aller Normen des zivilisierten Lebens; der Möglichkeit für nationale Minderheiten, ihre Sprache in allen ohne Ausnahme Bereichen zu nutzen (dann wurden aber europäische Minderheiten aus diesem Verbot ausgeschlossen, es blieb nur die russische Minderheit); der russischen Medien, die nicht nur Russen und russischen Organisationen gehörten, sondern auch die in der russischen Sprache sendeten, den Ukrainern gehörten, erfolgte; es wurden politische Parteien verboten, Anführer der politischen Strukturen festgenommen, dazu auch die offen aufgedrängte  nazistische Praxis, die in der Gesetzgebung der Ukraine festgelegt ist.

Zahlreiche Interviews Wladimir Selenskis zeigen, welche Werte das jetzige Kiewer Regime verteidigt. Er sagt ständig, dass „man Russland nicht ermöglichen darf, zu siegen“. Alle applaudieren dabei wie bezaubert. In einem Interview sagte er, dass wenn man Russland ermögliche, zu siegen (dieser Gedanke wurde dann auch von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wiederholt), könnten dann auch andere große Länder kleinere Länder angreifen. Einige Großländer auf verschiedenen Kontinenten würden die Geografie der Welt verändern. Wladimir Selenski behauptet, dass er selbst für ein anderes Szenario ist: „Jeder Mensch auf der Erde wird wissen, dass unabhängig davon, in welchem Land er lebt und welche Waffen es hat, er gleiche Rechte hat und gleich geschützt ist, wie jeder andere Mensch in der Welt“.

Fragte niemand von denen, die Interviews mit ihm machten, Selenski, ob er nicht daran vergaß, was er Ukrainern, die eine Verbindung mit der russischen Kultur spüren, empfohlen hat. Vor einem Jahr, im August 2021 sagte er ihnen, sie sollten nach Russland abhauen. Der Mann, der die Rechte jedes Menschen in der Welt verteidigen will, wollte aus seinem Land die Russen vertreiben, nur weil sie ihre Sprache und Kultur beibehalten wollten.

Wir erstellten viele Informationsberichte über den Getreide-Deal. Seit März 2022 erklärten unsere Militärs jeden Tag 12 stündige Perioden der humanitären Korridore für die Ausfuhr des ukrainischen Getreides aus ukrainischen Häfen. Das einzige Hindernis – die Häfen waren vermint. Den ukrainischen Kollegen wurde vorgeschlagen, Schiffe via Minenfelder auszuführen, wobei die russischen Militärs ihre sichere Beförderung in die Meerbusen garantiert hätten. Wladimir Selenski sagte, dass es eine Falle sei und man Russen nicht vertrauen solle. Dann schlugen wir vor, die Freiheit der Durchfahrt durch neutrales Gewässer zusammen mit türkischen Kollegen zu garantieren. Sie stimmten zu. Dann zeigte Wladimir Selenski wieder seine Laune. Die Einmischung des UN-Generalsekretärs ermögliche die Unterzeichnung von zwei Dokumenten am 22. Juli in Istanbul. Das erste Dokument erklärt ausführlich, welche Schritte und Garantien beim Export der ukrainischen Lebensmittel aus drei ukrainischen Häfen gelten werden. Im zweiten Dokument geht es darum, dass UN-Generalsekretär sich bemühen wird, die künstlichen Hürden bei dem Export der russischen Düngemittel und Getreide zu beseitigen. Vor einer Woche wurden Erklärungen aus einer europäischen Struktur gehört, dass keine Beschränkungen für den Export russischer Düngemittel und Getreide in Sanktionen enthalten sind. Aber das ist offensichtliche Lüge. Die Rubrik „Düngemittel und Lebensmittel aus Russland“ gibt es in Sanktionslisten nicht. Aber es sind Banktransaktionen verboten (vor allem für unsere Rosselchosbank, die von SWIFT abgeschnitten wurde, diese Bank bedient mehr als 90 Prozent unserer Lebensmittellieferungen), es wurde der Zugang russischer Schiffe in europäische Häfen, ausländischer Schiffe in russische Häfen sowie ihre Miete und Versicherung verboten. UN-Generalsekretär Antonio Guterres betonte das offen auf dem G20-Gipfel in Indonesien. Er befasst sich mit Aufhebung dieser Hindernisse. Doch fünf Monate nach der Unterzeichnung des Deals ist die Reaktion der USA und EU äußerst langsam. Man muss irgendwelche Ausnahmen durchsetzen. Wir unterstützen das, was der Generalsekretär macht, doch seitens des Westens ist kein großer Respekt gegenüber seinen Bemühungen zu erkennen – wenn man zeigt, wer der Herr im Haus ist, wen man anflehen muss.

Frage: Wie wird die europäische Sicherheit ohne Teilnahme des Unionsstaates Russlands und Belarus aussehen? Wie sind Ihre Prognosen?

Sergej Lawrow: Es ist schwer für mich, Prognosen zu machen. Ich kann verantwortungsvoll sagen, wie die Sicherheit des Unionsstaates Russlands und Belarus aussehen wird, unabhängig davon, mit welchen weiteren Verhöhnungen das Fundament der OSZE konfrontiert wird.

Wir haben den Preis von denen erfahren, die den Vorsitz in OSZE beanspruchen, wobei Funktionen eines fairen Händlers Personen versprochen wurden, die jetzt das OSZE-Sekretariat leiten und kein Recht haben, etwas zu machen, das über die Rahmen des Konzeptes hinausgeht. 1975 wurde die KSZE nicht mit dem Ziel geschafft, dass alle jemandem folgen, sich der Vision des Friedens und Aufgaben der Gewährleistung der Sicherheit und Zusammenarbeit unterordnen, die unsere Partner vorschlugen. Die OSZE wurde ins Leben gerufen, damit jeder gehört wird, und kein Land sich aus dem allgemeinen Prozess ausgeschlossen fühlt. Aber jetzt wurde alles völlig verdreht. Der Westen macht gerade das, gegen was die OSZE eingerichtet wurde. Es werden Trennlinien gegraben. Doch wo gegraben wird, kann jemand beerdigt werden. Ich befürchte, dass es speziell für die OSZE gemacht wird. Alle diesen Initiativen – Europäische Politische Gemeinschaft (alle außer Russland und Belarus), offene Einladung zum Bruch der OSZE, Schaffung der westlichen Clique, wo sie eigene Projekte durchsetzen werden, darunter einseitige illegale Sanktionen, Schaffung von Tribunalen für Beschlagnahmung der Mittel – das nicht verschwundene koloniale Denken. Der Wunsch und das Streben, auf Kosten der Anderen zu leben.

Die USA leben jetzt auf Kosten Europas. Sie werden von der Wirtschafts- und Energiekrise profitieren, in die Europa gelang, ihr Gas verkaufen (um das Vierfache teurer, als bei Russland), eigene Gesetze zum Kampf gegen Inflation durchsetzen, hunderte Milliarden Dollar Subventionen für eigene Industrie bereitstellen, um Investoren aus Europa anzuwerben. Im Ergebnis wird Europa zur Deindustrialisierung kommen.

Die Westler versuchen, die Sicherheit ohne Russland und Belarus aufzubauen. Aber zunächst soll man das untereinander vereinbaren. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron flog eilig nach Washington, sich zu beklagen und zu fordern. Ich weiß nicht, womit das alles enden wird, doch wir brauchen solche Sicherheit nicht. Die ganze Sicherheit Europas besteht nun darin, dass sie sich vollständig den USA unterworfen haben. Noch vor einigen Jahren gab es in Deutschland und Frankreich Streitigkeiten, als es für eine strategische Autonomie der EU und Schaffung der Streitkräfte der EU eintrat. Vor kurzem sagte ein Mitarbeiter des Apparats des Nationalen Sicherheitsrats der USA, dass Europa alle Träume von der Schaffung der eigenen Armee kategorisch vergessen soll. Vor einigen Jahren endeten solche Diskussionen in Deutschland mit einer Schlussfolgerung, dass man sich bei der Gewährleistung der Sicherheit Deutschlands auf die Nato stützen soll. Polen, baltische Länder und mehrere Staaten Mitteleuropas, die früher vernünftige Herangehensweisen zeigten, bekamen nun ultraradikale russophobe und antieuropäische Regierungen.

Zur Selbstständigkeit Europas. Es begannen Diskussionen über den Anstieg der Anzahl der US-Truppen zur Durchführung der Übungen auf dem europäischen Kontinent nahe Russland und Belarus. Als Pentagon-Chef Lloyd Austin gefragt wurde, auf welcher Basis US-Truppen verlegt werden – zeitweilig oder anders – sagte er sofort, dass Washington es noch nicht beschlossen hat, wie die Militärpräsenz in Europa sein werde. Er hatte gar nicht vor zu sagen, dass man darüber mit europäischen Verbündeten sprechen sollte. „Wir haben das noch nicht beschlossen“. Das ist eine Antwort auf die Frage, wie die Sicherheit in Europa sein wird.

Der Unionsstaat hat Pläne des militärischen Baus. Es gibt eine gemeinsame Gruppierung mit Boden- und Luftelementen. Die Präsidenten Russlands und Belarus widmen dem Problem hohe Aufmerksamkeit, wobei andauernde Provokationen seitens der Ukraine beachtet werden. Alle notwendigen Maßnahmen der Aufrechterhaltung der Bereitschaft zu allen Varianten sind getroffen. Wir werden uns auf gute Möglichkeiten des Unionstaates stützen.

Wenn Westeuropa, Nato, EU die Sackgasse des Kurses, der jetzt durchgeführt wird, und riesengroße Risiken verstehen, werden wir sehen, wozu sie bereit sein werden, zu uns mit der Bitte zu kommen, irgendwelche anderen Möglichkeiten zu besprechen.

Frage: In diesem Monat fanden gemeinsame Übungen der Nato im Atlantischen Ozean und im Mittelmeer statt. Daran nahmen Flugzeugträger aus verschiedenen Ländern, darunter fortgeschrittener US-amerikanischer Flugzeugträger USS Gerald R. Ford, der zum ersten Mal daran teilnahm. Welche Rolle spielen die USA bei Nato-Übungen? Welche Absichten haben die USA, wobei die militärische Integration mit europäischen Ländern gefestigt wird? Wie beeinflussen gemeinsame Nato-Übungen die regionale Sicherheit in Europa?

Sergej Lawrow: In den letzten zehn Jahren gewannen die Nato-Übungen an Intensität, Häufigkeit, sie sind offen ausgerichtet auf die Abschreckung Russlands. Es werden Legenden und Namen erfunden, wobei die offene antirussische Ausrichtung vertuscht wird. Sie finden immer näher an unseren Grenzen statt: Baltikum, Schwarzes Meer, Bodenübungen in Polen, viele andere Maßnahmen, die der Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Russischen Föderation und der Nordatlantikvertrags-Organisation 1997 widersprechen. Damals wurde geschafft, die Prinzipien der Partnerschaft abzustimmen, sie sind in der Akte festgeschrieben. Der Hauptpunkt dieses Dokuments war die Verpflichtung der Nato, auf die Stationierung der bedeutenden Kampfkräfte auf dem Territorium neuer Allianzmitglieder auf ständiger Grundlage zu verzichten. Eine gute, aber politische Verpflichtung, wie auch im Fall der OSZE-Erklärungen 1999 und 2010, die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit des Nachbars zu stärken. In der Russland-Nato-Akte ist die Nichtstationierung der bedeutenden Kampfkräfte auf dem Territorium der neuen Allianzmitglieder fixiert. Ein „Kompromiss“ als Antwort darauf, dass die Organisation trotz der bereits der Sowjetunion und dann der russischen Führung gegebenen Versprechen, das nicht zu machen, erweitert wurde. Uns wurde gelogen. Bei einem naiven Versuch, die Partnerschaft mit dieser Allianz beizubehalten, gingen wir auf die Unterzeichnung der Grundakte ein, die bedeutete, dass Russland die Erweiterung der Allianz als Fakt annahm. Als Entschädigung versprach die Nato feierlich, auf dem Territorium der neuen Mitglieder keine bedeutenden Kampfkräfte auf ständiger Grundlage zu stationieren. Nach einiger Zeit schlugen wir vor, das gegenseitige Vertrauen noch mehr zu festigen, wobei der Begriff „bedeutende Kampfkräfte“ gedeutet wurde, es wurde ein konkretes juridisches Abkommen vorbereitet. Die Organisation lehnte das kategorisch ab. Sie sagten, dass sie selbst den Begriff „bedeutende Kampfkräfte“ bestimmen werden, die sich verpflichten, auf ständiger Grundlage nicht zu stationieren, wobei präzisiert wurde, dass eine Rotation möglich ist. Jetzt werden als Verstoß der Verpflichtung bedeutende Kampfkräfte stationiert, fast im Non-Stop-Format. Formell geht es um Rotation. Bis vor kurzem sagte die Nato, dass es keine Sicherheitsbedrohungen für Russland und jemanden anderen geben kann, weil die Nato eine „Verteidigungsallianz“ sei, die das Territorium ihrer Mitglieder verteidigt. Doch als die Sowjetunion und der Warschauer Vertrag existierten, war klar, gegen wen sie sich verteidigt. Der Warschauer Vertrag und die Sowjetunion wurden aufgelöst. Seit dieser Zeit verschob die Nato fünfmal die Verteidigungslinie. Wenn es Verteidigungsallianz ist, bedeutet es, dass sie mit der Bewegung der eigenen Linie sich weiterhin verteidigt, aber gegen wen – das verstand niemand.

Im Juni dieses Jahres auf dem Nato-Gipfel in Madrid genierten sich die Westler nicht mehr und sagten nicht mehr, dass es eine Verteidigungsallianz sei und sie nur das Territorium ihrer Mitglieder verteidigen. Sie sagten, dass sie für globale Sicherheit zuständig sein sollen, vor allem in der Indo-Pazifik-Region. Es tauchte sogar eine These über die Unteilbarkeit der Sicherheit des Euroatlantiks und Indopazifischen Region auf. Damit bewegt die Nato ihre Verteidigungslinie noch weiter in den Osten. Sie wird wohl nahe des Südchinesischen Meeres verlaufen. Angesichts der Rhetorik in der EU, USA, Australien, Kanada, Großbritannien verwandelt sich das Südchinesische Meer in eine der Regionen, wo die Nato die Spannung entfachen will, wie das einst in der Ukraine gemacht wurde.

Wir wissen, wie ernsthaft sich China zu solchen Provokationen verhält, geschweige denn Taiwan und die Taiwanstraße. Wir verstehen, dass solche Nato-Spiele in diesen Regionen Bedrohungen und Risiken für die Russische Föderation tragen. Das ist ebenso nah an unseren Meeren und Küsten wie an das chinesische Territorium.

Bei uns mit Peking entwickelt sich militärische Zusammenarbeit, wir führen gemeinsame Übungen, darunter Antiterrorübungen, durch. Vor kurzem fand eine Veranstaltung zum Patrouillieren des Luftraums statt. Zum ersten Mal landeten russische Fernbomber auf Flughäfen Chinas und chinesische Flugzeuge auf unseren Flughäfen. Das sind Vorsichtsmaßnahmen, die unsere Bereitschaft zu jeder Entwicklung der Ereignisse zeigen.

Alle verstehen sehr gut, dass die Nato unter US-Federführung nach Europa versuchen wird, explosive Situationen in der Indo-Pazifik-Region zu schaffen. Sie wollten Indien in antichinesische und antirussische Allianzen einbeziehen, aber es weigerte sich, den Strukturen beizutreten, die den Charakter eines militärpolitischen Bündnisses haben werden. Neu-Delhi beteiligt sich nur an wirtschaftlichen Projekten, die im Kontext der Indopazifischen Strategien gefördert werden. Dann beschloss Washington, militärpolitische Bündnisse in einer anderen Richtung – angelsächsischen – zu bilden. Die USA, Großbritannien und Australien schufen AUKUS, in die aktiv Neuseeland, Japan, Südkorea gerufen werden.

In der Ukraine ruinieren die USA und die EU alle Kooperationsprinzipien der OSZE, fördern eigene einseitige Herangehensweisen. In einem breiteren Sinne wird die Organisation selbst zerstört, die Region ihrer Teilnehmerländer mit engen, nicht inklusiven Plattformen wie Europäische Politische Gemeinschaft vollgepumpt.

Ebenso verzerren die Westler die universelle Plattform der Zusammenarbeit in der Asien-Pazifik-Region – ASEAN, um die sich die Formate des ASEAN Regional Forum, Ostasiengipfel, Treffen der Verteidigungsminister des Verbandes mit Partnern bildeten – die von allen anerkannten systemische Mechanismen der Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit, Wirtschaft und in anderen Bereichen. Jetzt wird das alles aktiv untergraben. Die Hälfte der Mitglieder des Verbandes wird von den USA dazu aufgefordert, sich ihren Plänen anzuschließen. Der zweite Teil der ASEAN-Länder sieht die Risiken und will sich damit nicht befassen.

Der zerstörerische Charakter der Handlungen Washingtons gegen universelle Strukturen, die in Europa und Asien-Pazifik-Region geschaffen wurden und Sicherheitsfragen auf Grundlage der Gleichberechtigung, Gleichgewicht der Interessen lösen sollen, ist offensichtlich. Es wird der Kurs auf eine ständige Schaffung der Reizfaktoren, Brandherde genommen, wobei damit gerechnet wird, dass sich die USA selbst weit weg befinden. Je mehr Krisen die Amerikaner provozieren werden, desto mehr werden ihre Konkurrenten einander abschwächen. Jetzt schwächt Europa sich selbst, indem man den USA blind folgt und die russophobe Politik und die Nutzung der Ukraine als Mittel der Kriegsführung gegen Russland allumfassend unterstützt.

Frage: Wie meinen Sie, bleibt die Möglichkeit in der absehbaren Zukunft, die Sicherheitsgarantien zu vereinbaren, die Russland den USA und der Nato vorgeschlagen hat?

Sergej Lawrow: Wenn unsere westlichen Gesprächspartner ihre Fehler begreifen und die Bereitschaft zum Ausdruck bringen, zur Besprechung der Dokumente, die von uns im Dezember 2021 vorgeschlagen wurden, zurückzukehren, wird es ein positiver Faktor sein. Ich habe Zweifel daran, dass sie in sich Kräfte und Vernunft finden, auf das einzugehen, doch wenn es plötzlich passiert, werden wir bereit sein, das Gespräch wieder aufzunehmen.

Nachdem unsere Vorschläge abgelehnt worden waren, machte der Westen mehrere Schritte, die den Aussichten der Wiederaufnahme des Dialogs vollständig widersprechen. Beim Nato-Außenministertreffen in Rumänien sicherten sie zu, dass die Ukraine in der Allianz sein wird – es gibt hier keine Änderungen. Wie der Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, soll die Ukraine zunächst den Krieg gewinnen und dann wird sie in die Allianz aufgenommen. Die Verantwortungslosigkeit solcher Erklärungen ist für jeden Mensch, der zumindest etwas über die Politik weiß, offensichtlich.

Wir waren bereit, die Sicherheitsfragen im Kontext der Ukraine und in einem breiteren Sinne zu besprechen. Die Westler lehnten unsere Vorschläge vom Dezember 2021 ab, und die Treffen der Militärs und meine Gespräche mit dem US-Außenminister Antony Blinken im Januar in Genf endeten mit nichts. Nach Beginn der militärischen Spezialoperation warnten wir: Die Behauptung, dass niemand außer der Ukraine selbst die Frage über ihre Nato-Mitgliedschaft lösen kann, führt zu einem gefährlichen Szenario.

Im März dieses Jahres baten die Ukrainer um Verhandlungen. Nach einigen Runden gaben sie am 29. März in Istanbul uns zum ersten Mal etwas auf Papier. Wir unterstützten die Prinzipien der Regelung, die in dem damaligen Dokument enthalten waren. Darunter die Gewährleistung der Sicherheit der Ukraine via Respekt ihres blockfreien Statuses, also ihr Nichtbeitritt zur Nato, atomfreier Status – Wladimir Selenski wird nicht mehr sagen, dass der Verzicht auf Atomwaffen 1994 ein Fehler war – und Gewährung der Garantien auf kollektiver Grundlage nicht von der Nato, sondern von fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, Deutschlands, der Türkei. Wir willigten darin ein. Nach ein Paar Tagen sagten die US-amerikanischen Herren den Ukrainern: Wozu macht ihr das? Es ist klar, dass die USA via die Ukraine die russische Armee ausschöpfen, sowie möglichst viele Waffen der europäischen Länder nutzen sollen, damit Europa dann bei Washington neue Waffen kauft und damit der amerikanischen Rüstungsindustrie und Korporationen Einnahmen sichert. Die Ukrainer sollen zu früh die Bereitschaft zum Ausdruck gebracht haben, von Russen die Sicherheitsgarantien zu bekommen und auf dieser Grundlage die Regelung zu gewährleisten.

Uns wird vorgeworfen, dass wir angeblich ständig um irgendwelche Gespräche bitten, um die Zeit für das Sammeln zusätzlicher Kräfte zur Durchführung der militärischen Spezialoperation zu gewinnen. Das ist lächerlich und unangenehm. Menschen lügen offensichtlich. Wir baten nie um Verhandlungen, sagten aber immer, dass wenn jemand Interesse an einer Verhandlungslösung hat, sind wir bereit, ihn zu hören. Es wird durch den folgenden Fakt bestätigt – als die Ukrainer im März dieses Jahres sich an uns mit solcher Bitte wandten, kamen wir nicht nur entgegen, sondern waren auch bereit, sich auf die Prinzipien zu einigen, die sie selbst vorlegten. Der ukrainischen Seite wurde damals nicht erlaubt, das zu machen, weil der Krieg noch nur genug Bereicherung für jene brachte, die sie leiten, und das machen in erster Linie die USA und Briten.

Frage: Papst Franziskus machte mehrmals den Vorschlag einer Vermittlung, brachte die Bereitschaft zum Ausdruck, Friedensgespräche zwischen Moskau und Kiew zu organisieren. Zugleich betont der Heilige Stuhl die Notwendigkeit langfristiger Lösungen und verantwortungsvoller Zugeständnisse auf beiden Seiten. Wenn es um Zugeständnisse geht, was bedeutet das für Sie? Welche Rolle könnten Italien, Frankreich, Deutschland spielen? Oder hängt von diesen europäischen Ländern nichts mehr ab?

Sergej Lawrow: Papst Franziskus bringt seit ziemlich langer Zeit in öffentlichen Auftritten die Bereitschaft zum Ausdruck, seine Dienstleistungen anzubieten. Aus dieser Position tritt ab und zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf. Auch der Bundeskanzler Deutschlands, Olaf Scholz, sagte, dass er mit Russlands Präsident Wladimir Putin weiterhin sprechen werde. Im Laufe der letzten zwei Wochen sagte Emmanuel Macron regelmäßig, dass er ein Gespräch mit Wladimir Putin plane. Das war ziemlich eigenartig, denn zum damaligen Zeitpunkt, als er das sagte, bekamen wir keine Signale via diplomatische Kanäle. Die Franzosen haben so eine Gewohnheit, ihre Diplomatie äußerst öffentlich zu machen. Wir warteten, wann er anruft, falls er das tatsächlich vor hatte. Aber vor einigen Tagen wurde er danach wieder von Journalisten gefragt. Emmanuel Macron sagte, dass er vor seiner Washington-Reise nicht versuchen werde, Wladimir Putin zu kontaktieren. Daraus können wir schlussfolgern, dass Frankreichs Präsident in der US-Hauptstadt nicht nur die Abschwächung der Konkurrenzvorteile Europas besprechen, sondern auch bei Ukraine-Fragen Rücksprache nehmen wird.

Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, sagte mehrmals, dass er sowohl mit Wladimir Putin als auch mit Wladimir Selenski spricht. Außer dem Heiligen Stuhl habe ich von Italien als Land keine Initiativen gehört. Mein Kollege Antonio Tajani (wir haben und mit ihm in seinem jetzigen Außenministeramt noch nicht getroffen) spricht irgendwelche Ideen aus, die auf die Suche nach Lösungen gerichtet sind. Allerdings schlägt niemand etwas Konkretes vor.

Es wurden die Vorschläge der Ukraine am 29. März substantiell besprochen. Wir nahmen sie an, doch Kiew wurde verboten, sie umzusetzen. Man sollte quasi Russland noch mehr erschöpfen und Waffen an Europa verkaufen, damit es seine Waffen der Ukraine übergibt.

Papst Franziskus ruft zu Verhandlungen auf, machte aber vor kurzem eine unverständliche Erklärung, die ganz nicht christlich ist. Er nannte zwei Völker der Russischen Föderation in einer Kategorie, von der man während der Kampfhandlungen Gräueltaten erwarten kann. Das Außenministerium Russlands, die Republik Burjatien und die Republik Tschetschenien reagierten darauf. Vatikan sagte, dass sich so etwas nicht wiederholen wird. Es soll zu einem Missverständnis gekommen sein. Das hilft der Sache und dem Ansehen des Heiligen Stuhls nicht.

Zur Frage über mögliche Zugeständnisse. Als wir unsere Vorschläge im Dezember 2021 formulierten (ein Entwurf des Vertrags mit den USA und Abkommens mit der Nato), wurden diese Dokumente ehrlich geschrieben. Das war keine Anfrage. Sonst hätte es im ersten Punkt eine Forderung gegeben, dass die Nato sich selbst auflöst, die USA ihre Truppen aus Europa abziehen, beginnend mit taktischen Atomwaffen in Italien, Deutschland, Belgien, Niederlanden und der Türkei. Dann wäre es eine Anfrage.

Wir betrachteten das ehrlich. Wir bemühten uns, eine Lösung zu finden, die den Amerikanern und der Nato passen würde. Es wurde versucht, die aktuelle Situation mit den Augen unserer westlichen Kollegen anzusehen. So entstanden diese Dokumente. Es schien, dass sie gerechte Vorschläge enthielten und sich auf mehrmals gegebene Zusicherungen stützten. Wir schlugen unter anderem vor, zur militärischen Konfiguration 1997 zurückzukehren, als die Nato im Rahmen der Russland-Nato-Akte die Verpflichtung übernahm, sich keine bedeutenden Kampfkräfte auf dem Territorium neuer Mitglieder zu stationieren.

 

 

 

 

Para obter mais materiais

  • Fotos

Galeria de fotos

1 из 1 fotos do álbum

Corretamente as datas especiais
Ferramentas adicionais de pesquisa