Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit dem Amtierenden OSZE-Vorsitzenden, Außenminister Polens, Zbigniew Rau, Moskau, 15. Februar 2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir hatten nützliche, substanzielle Verhandlungen mit dem Außenminister Polens, Zbigniew Rau, der als Amtierender OSZE-Vorsitzender nach Russland gekommen ist.
Wir waren uns darin einig, dass sich im OSZE-Raum ziemlich viele Probleme anhäuften, die dringende und unbedingt gemeinsame Lösungen erfordern. Das Vertrauen zwischen den Teilnehmerstaaten ist auf einem nie dagewesenen niedrigen Niveau. Konfrontative Herangehensweisen, aggressive Rhetorik füllten jetzt unseren gemeinsamen Raum. Leider dominieren sie offensichtlich über dem Geiste der Zusammenarbeit, der Kultur des gegenseitig respektvollen Dialogs, der immer für die OSZE seit ihrer Gründung kennzeichnend war. Wir alle wollen ihn wiederherstellen.
Ich habe betont, dass die Erfüllung der Funktionen des Vorsitzenden unter den jetzigen nicht einfachen Bedingungen eine besondere Bedeutung hat. Das ist eine große Verantwortung. Herr Minister vertrat am 13. Januar dieses Jahres auf der Sitzung des Ständigen Rats der OSZE die Prioritäten Polens und sprach von der Wichtigkeit eines proaktiven, positiven Herangehens, Suche nach Lösungen, Verzicht auf gegenseitige Vorwürfe. Ich begrüße solche Stimmung. Wir haben das heute bestätigt. Ich bin überzeugt, dass der Vorsitz die Bildung einer vereinigenden Tagesordnung, Erreichen von Kompromissen fördern soll. Dafür sollte man im Rahmen des Mandats des Vorsitzenden bleiben, am neutralen Status festhalten und Formulierungen, die einem Konsens entgegenstehen, vermeiden – so wie es die Rolle eines „fairen Brokers“ beschreibt. Herr Vorsitzende bestätigte heute eine solche Stimmung.
Wir gehen davon aus, dass eine der größten Herausforderungen, die vor der OSZE steht, das Erreichen eines einheitlichen Verständnisses eines grundlegenden für die ganze Architektur der europäischen Sicherheit der Unteilbarkeit dieser Sicherheit ist. Es erfordert die Vermeidung jeglicher Handlungen, die die Sicherheit eines Landes zum Nachteil jedes anderen Landes festigen wird. Das alles ist in vielen OSZE-Dokumenten seit 1994, als der Verhaltenskodex im militärpolitischen Bereich angenommen wurde, festgeschrieben. Dann wurde er auf der höchsten Ebene die Europäische Sicherheitscharta in Istanbul 1999 gebilligt. Im Dezember 2010 wurde dieses Prinzip auf dem OSZE-Gipfel in Astana in einer umfassenden Form eindeutig bestätigt. Jetzt geht es darum, dass wir es erfüllen. Es ist nicht so, wie unsere westlichen Kollegen es darstellen wollen, dass jedes Land das Recht hat, die Bündnisse zu wählen. Und dass man das nicht zum Nachteil der Sicherheit anderer machen darf, daran erinnert man sich nicht.
Um die Herangehensweisen unserer Kollegen zu klären, deren Anführer diese Dokumente unterzeichneten, schickte ich an die Außenminister der entsprechenden Länder in Europa eine Botschaft mit der Bitte, zu präzisieren, wie sie selbst diese Verpflichtungen, die das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit benennen, verstehen. Ich rechne damit, dass substanzielle Antworten dazu sicherlich kommen werden. Ich bat zumindest Zbigniew Rau, nicht zu vergessen, das zu machen.
Im Kontext der Suche nach den Wegen zur Überwindung der zunehmenden Spannungen im euroatlantischen Raum besprachen wir die Initiative des polnischen Vorsitzes, der vorschlug, in der OSZE einen informellen „Wiederaufgenommenen Dialog zur europäischen Sicherheit“ aufzunehmen. Wir halten diesen Vorschlag für interessant, weil er das Verständnis von existierenden Problemen und den Wunsch zeigt, etwas zu machen, damit diese Probleme von der Tagesordnung verschwinden werden. Ich erinnerte daran, was auf dieser Etappe am wichtigsten ist – unser Dialog mit den USA und der Nato, wo wir langfristige rechtliche Sicherheitsgarantien besprechen, wie sie in den Entwürfen bekannter Abkommen, die von uns nach Washington und Brüssel übergeben wurden, formuliert sind. Bei einem fehlenden Fortschritt in der US- und Nato-Richtung wird das Gespräch in Wien im Voraus ergebnislos sein. Alle wissen das. Zudem wird es ein weiteres Diskussionsformat als Zusatz zum OSZE-Sicherheitsforum sowie strukturiertem Dialog, der vor fünf Jahren (Dezember 2016) aufgenommen wurde, sein. Wir riskieren (ich teilte Herr Minister und seiner Delegation meine Zweifel mit) eine Situation zu bekommen, wenn dieser Dialog in kleine „Bächen“ zerfällt, und die Aktivität nur nachgeahmt wird, und das Wesen des Problems ungelöst bleibt. Eine weitere Idee, die berücksichtigt werden soll – im Unterschied von der Nato und den USA hat die OSZE keine internationale Rechtssubjektivität trotz jahrelanger Initiativen, die Russland zusammen mit seinen Verbündeten einbrachte, einschließlich des Entwurfs der OSZE-Satzung. Die westlichen Kollegen wollen kategorisch nicht die OSZE zu einer verständlichen und strukturierten Organisation machen. Es ist für sie wichtig, sie in so einer flexiblen, verschwommenen, unklaren Form zu haben, weil solche Struktur einfacher zu manipulieren ist.
Allerdings hat die OSZE ein bedeutendes vereinigendes Potential. Der Gegenstand eines breiten Dialogs soll das Thema der Erhöhung der Effizienz der OSZE im Ganzen sein: Ausrichtung der geografischen und thematischen Schiefstellung, Finden eines richtigen stabilen Gleichgewichts zwischen drei Körben (militärpolitisch; wirtschaftlich und ökologisch; humanitär). Wir erwarten, dass wir während des polnischen Vorsitzes zu diesen Themen mit allen Teilnehmerstaaten ehrlich sprechen können.
Wir sind zur engsten Zusammenarbeit mit dem Vorsitz, darunter in anderen Bereichen bereit. Ich meine den Kampf gegen grenzübergreifende Bedrohungen, Überwindung der sozialwirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Infektion, Schutz der traditionellen Werte und Rechte der nationalen Minderheiten, Kampf gegen die Versuche der Manipulation der Geschichte und Heroisierung des Nazismus. Alle diesen Themen liegen auf dem Verhandlungstisch. Wir halten es für prinzipiell wichtig, die Aufmerksamkeit zu Diskussionen darüber, wie man keine negativen Erscheinungen in unserer gemeinsamen Region nicht zulässt, nicht nachzulassen.
Wir sprachen über die Rolle der OSZE bei der Regelung verschiedener Konflikte im europäischen Raum. Aus verständlichen Gründen wurde besondere Aufmerksamkeit der Ukraine-Krise gewidmet. Wir bestätigten die Alternativlosigkeit einer vollständigen und kontinuierlichen Erfüllung des Minsker Maßnahmenkomplexes. Wir rechnen damit, dass der Amtierende Vorsitz, darunter via eigenen Sonderbeauftragten in der Ukraine und in der Kontaktgruppe eine schnellstmögliche und verantwortungsvolle Bewegung in dieser Richtung fördern wird, weil hier am wichtigsten ist, einen direkten Dialog von Kiew, Donezk und Lugansk zu gewährleisten. Man soll auch die Unvoreingenommenheit der Beobachtung der Situation durch die Sonderbeobachtermission der OSZE gewährleisten. Wir erwarten von ihrer Führung ein konstruktives Zusammenwirken mit den Behörden von Donezk und Lugansk, wie es das Mandat dieser Mission, das vom Ständigen OSZE-Rat gebilligt wurde, erfordert. Laut diesem Mandat soll die Mission die Verletzung der Menschenrechte und Medienfreiheit in ganz Ukraine nicht ohne Aufmerksamkeit lassen, was wir leider nicht oft in den Berichten, die von der Mission verbreitet werden, sehen. Man darf auch die eklatanten Fakten, die von der Willkür des aggressiven Nationalismus, Neonazismus zeugen, und zahlreiche Fakten der Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung nicht außer Acht lassen.
Damit stehen vor der OSZE und dem amtierenden Vorsitzenden ziemlich umfassende Aufgaben. Ich möchte Herrn Rau und seinem ganzen Team eine erfolgreiche Arbeit wünschen.
Frage: Heute bzw. morgen erwarten die USA einen „Angriff“ Russlands auf die Ukraine. Inzwischen, vor einer Stunde verkündete das Verteidigungsministerium Russlands die Rückkehr von Einheiten, die an den Übungen teilnehmen, zu ihren Stützpunkten. Will man nicht mehr „angreifen“? Oder hatte man es gar nicht vor?
Sergej Lawrow: Die Übungen, die von Russland auf eigenem Territorium und gemäß eigenen Plänen durchgeführt werden, beginnen, erfolgen und enden, wie geplant wurde. Wir sagten darüber mehrmals, was die Übungen im Westen des Landes, im Fernen Osten bzw. gemeinsame russisch-weißrussische Übungen betrifft, die sich gemäß dem zuvor abgestimmten Terminplan entwickeln. Das wird unabhängig davon gemacht, wer und was denkt, wer und wie darüber Hysterie entfacht, sogar einen wahren Informationsterrorismus macht.
Kurz gefasst, die Karawane geht.
Frage: Die USA und die Nato schlagen schon selbst Russland vor, einige Maßnahmen zur Deeskalation, Ausbauen des Vertrauens, Rüstungskontrolle, die Moskau seit 2014 vorschlug, darunter im Russland-Nato-Rat zu besprechen. Damals wollte man darüber nicht sprechen. Nun fordert Russland mehr (zum Beispiel, dass die Nato zu den Positionen 1997 zurückkehrt). Was bedeutet das: ist es nicht mehr interessant darüber zu sprechen, was früher war oder gibt es eine Chance, dass es besprochen wird?
Sergej Lawrow: Die Schnelligkeit, mit der die Nato ihre Position änderte, bedeutet, dass nicht alles in dieser Allianz verloren ist. Sie können offensichtliche Dinge zugeben, wenn sie ernsthaft unter Druck gesetzt werden.
Man soll nicht unbedingt zum Jahr 2014 greifen. 2019, nachdem die Amerikaner den INF-Vertrag zerstört hatten, betonte Russlands Präsident Wladimir Putin in seinen Botschaften an alle europäischen Anführer, dass wir ein einseitiges Moratorium für die Stationierung solcher bodengestützten Raketen erklärten. Er sagte, dass das Moratorium gegenüber diesen Regionen eingehalten wird, sobald dort keine ähnlichen Systeme aus US-Produktion auftauchen. Präsident Wladimir Putin brachte auch eine Idee vor, zwischen Russland und Nato-Mitgliedern ein gegenseitiges Moratorium für die Stationierung solcher Raketen in Europa zu erklären. Für dieses Ziel schlug er vor, einen Mechanismus zur Verifizierung der Handlungen Russlands und der Nato abzustimmen. Man wollte uns sogar nicht zuhören. Niemand aus dem Präsidenten Frankreichs, Emmanuel Macron, antwortete. Doch auch er sagte nur, dass die Idee „nicht schlecht“ sei, leider wollen die anderen Nato-Länder sie nicht besprechen.
Kurz darauf schickte der Generalstab der Streitkräfte Russlands eine Reihe konkreter Vorschläge zur Reduzierung der militärischen Risiken. Sie umfassten die Abstimmung der Distanz, auf die die Übungen von der Kontaktlinie Russland-Nato zurückgezogen werden sollen. Als Illustration davon, was wir meinten, und Geste eines guten Willens wurde die Haupthase der Übungen Zapad-2020 in das Gebiet Nischni Nowgorod verlegt. Das wurde auch nicht eingeschätzt. Wir bekamen keine Reaktion. Es gab auch keine Reaktion auf die Vorschläge, eine maximal zulässige Distanz der Annäherung von Kampfflugzeugen und Schiffen abzustimmen. Solche Verpflichtungen wären doch praktisch, oder? Es wurde vorgeschlagen, in den militärischen Fliegerkräften Transponder, vor allem über Baltikum, zu verwenden. Wir gingen davon aus, dass die Nato in Worten uns ständig zu Vertrauensmaßnahmen, Senkung der Kriegsgefahr aufrufen. Doch alles, was ich sagte, wurde seit vielen Jahren ignoriert.
Nun, als wir die Antworten der Nato und der USA bekamen, sind da fast alle Ideen in einer gewissen Form, einschließlich der Notwendigkeit, bodengestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen zu beschränken und nicht zu stationieren, dort als Initiative unserer Partner dargelegt. Ich spreche darüber ausführlich, weil einige bei uns darauf böswillig reagieren. Sie lasen, was die Amerikaner und Nato sagten. Ihnen zufolge bedeutet das nur eines – wir werden jetzt angeblich ein Gespräch unter Bedingungen führen, die von US-Präsident Joe Biden diktiert wurden. Ich lasse die „Ziele“ zur Seite, die solche „Analytiker“ verfolgen. Ich sage nur, dass der Westen im Ergebnis antwortete, als verstand, dass wir ernsthaft ein Gespräch über die Notwendigkeit radikaler Änderungen im Bereich europäische Sicherheit führen. Er antwortete positiv auf die Initiativen, die lange Zeit abgelehnt wurden.
Zur Frage, ob das das Ende der Geschichte bedeutet. Nein. Ich habe gestern Russlands Präsident Wladimir Putin einen Bericht erstattet. Ich betonte, dass unsere Vorschläge, die von ihm gebilligt wurden, in der nächsten Zeit endgültig nachgearbeitet und den US- und Nato-Partnern übergeben werden. Darin von der Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit der russischen Position ausgegangen. Die Dinge, die wir jetzt aufzählen, sind als praktische Schritte zur Deeskalation (ein trendiger Begriff) wichtig. Diese Schritte werden effektiv sein, wenn sie ein festes rechtliches Fundament haben werden. Vor allem bezüglich der Deutung des Prinzips der Unteilbarkeit der Sicherheit. Es wird von unseren westlichen Kollegen gewissenlos verzerrt, ausschließlich als Freiheit der Wahl der Militärallianzen gedeutet. Das stimmt gelinde gesagt nicht. Man kann ja die Dokumente der Gipfel in Istanbul und Astana 1999 und 2010 und den Verhaltenskodex der OSZE, der militärpolitische Sicherheitsaspekte 1994 betrifft, lesen. Im Kodex heißt es direkt, dass man bei der Wahl der Bündnisse die Sicherheitsinteressen jedes anderen Landes nicht beeinträchtigen soll.
Wir werden unseren Dialog zur Aufklärung der Position des Westens darüber fortsetzen, inwieweit verhandlungsfähig die Nato-Mitglieder bezüglich der Befolgung des Prinzips der Unteilbarkeit der Sicherheit sind. Wir werden Expertenkonsultationen zur Abstimmung der Herangehensweisen zu spezifischen Fragen, ob Kurz- und Mittelstreckenraketen oder Maßnahmen zur Reduzierung militärischer Risiken führen. Ich denke, dass man dank den Anstrengungen in allen diesen Richtungen ein gutes Paketergebnis in einem Komplex erreichen kann.
Frage (an Zbigniew Rau): Russland kritisierte den Beschluss mehrerer Länder, eigene Beobachter aus der OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine zurückzuweisen, darunter weil das zu einem wichtigen Zeitpunkt gemacht wird – wenn die ganze Welt mit wahren Informationen aus dieser Region rechnet. Halten Sie den Beschluss dieser Staaten nicht für merkwürdig und nicht logisch?
Sergej Lawrow (fügt nach Zbigniew Rau hinzu): Das ist eine wichtige Frage. Wir besprachen das heute. Ich hoffe, dass die Gründe, die einzelne OSZE-Teilnehmer dazu bewegten, ihre Beobachter aus dieser Mission zurückzuweisen, ausschließlich mit den Faktoren wie Coronavirus oder Urlaub verbunden sind. Wenn man weiß, dass die Länder, um die es geht, in Avantgarde der „terroristischen Informationskampagne“ stehen, denkt man, dass sie irgendwelche verdeckte Gedanken haben können.
Ich möchte nicht die Wiederholung der traurigen Erfahrung der OSZE 1999. Damals entfachte der Leiter der OSZE-Mission in der serbischen Region Kosovo William Walker ein absolut lügnerisches Thema der angeblichen Ermordung der friedlichen Einwohner im Dorf Racak. Dann wurde bewiesen, dass diese friedlichen Einwohner in der Tat bewaffnete Extremisten waren und in einem Kampf ums Leben kamen. Die EU stellte das später eindeutig fest. William Walker sagte damals öffentlich, dass es ein Genozid-Akt war. Er sagte im Alleingang, dass er die OSZE-Mission aus Kosovo abzieht. Das wurde de facto als Antriebsfaktor für Aggression der Nato gegen ehemaliges Jugoslawien genutzt. Er fragte danach nicht bei dem ständigen Rat. Obwohl die Stationierung und der Abbau der OSZE-Mission die Prärogative des Ständigen Rats ist.
Hoffentlich wird das Herangehen, das Herr Minister jetzt darlegte, in der Praxis umgesetzt.
Frage (übersetzt aus dem Polnischen): Wie meinen Sie, warum wählten die Staaten, die nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden, wie Ukraine und Georgien, statt die Beziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten, die Integration mit dem Westen (EU und Nato), sogar um den Preis eines Kriegs mit Russland? Ich frage das wegen der russischen militärischen Einmischung in Georgien, sowie der Präsenz der russischen Truppen in Belarus und Verfolgung solcher Verbände wie Memorial in Russland. Vielleicht wäre es effektiver, einen Dialog mit Polen, der im Rahmen des polnischen OSZE-Vorsitzes vorgeschlagen wurde, zu wählen? Ich möchte fragen, ob Russland dazu im Kontext der Sanktionen, die vom Westen bereits versprochen wurden, die einen Schlag gegen die russische Wirtschaft versetzen können, bereit ist?
Sergej Lawrow: Der Hauptgrund besteht darin, dass die Behörden dieser Länder Haltlosigkeit zeigten und das unter Bedingungen, wenn man über sie äußere Verwaltung aufstellen wollte (und das wurde im Ergebnis umgesetzt). Das einzige Ziel – sie von Russland abzutrennen, in den Nato-Einflussbereich zu ziehen. Das widerspricht auch direkt dem Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit, weil der Verzicht auf Einflussbereiche einer seiner Bestandteile ist. 2008, als in Bukarest auf dem Nato-Gipfel Beschwörungen zum Ausdruck gebracht wurden, dass Georgien und die Ukraine in der Nato sein werden, wurde Michail Saakaschwili einfach wie verrückt. Einige Wochen bevor er den Befehl erteilte, die friedliche Stadt Zchinwal und die Stellung der russischen Friedenstruppen zu attackieren, reiste die US-Außenministerin Condoleezza Rice zu ihm.
Einst gab es solchen US-Vertreter bei der Nato Ivo Daalder. Er bezeichnete direkt als großen Fehler der Nato ihren Beschluss, die Aussicht der Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Nato bekanntzugeben. Russische Friedenstruppen wurden in der Zeit attackiert, als weder der Präsident des Landes, noch der Premier in Moskau waren. Georgien wollte ganz Südossetien ergreifen und dann dort das umsetzen, was es seit langem plante. Noch Swiad Gamsahurdija verkündete über die Notwendigkeit, wie er sagte, dass Osseten und Abchasen abhauen sollen. Um diesen Genozid-Akt in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu verhindern, schickten wir als Antwort auf einen Angriff auf russische Friedenstruppen, die sich in Georgien gemäß ihrem Mandat, das durch OSZE auf Zustimmung von Tiflis gebilligt wurde, befanden, dorthin Truppen. Das war die Kriegserklärung. Da gibt das Völkerrecht keine andere Deutung. Um diese Völker dann bei ihrem Streben, ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten, als sie entsprechende Referenden durchführten und um Anerkennung baten, zu schützen, haben wir sie anerkannt. Ja, wir stationierten dort auf ihre Bitte Militärstützpunkte, damit Georgier sogar keine Gedanken haben, solche Verbrechen zu begehen.
Was die Ukraine betrifft, gab es auch dort keinen Mangel an „gutem Willen“. Die westlichen Kollegen, darunter vor allem EU-Mitglieder verhielten sich äußerst arrogant. Das bildete die Prozesse, die im Ergebnis auf dem Maidan im Februar 2014 „explodierten“. Das ganze Jahr 2013 führte die Ukraine Verhandlungen mit der EU, wobei das Assoziierungsabkommen vorbereitet wurde, das Anfang Dezember 2013 unterzeichnet werden sollte. Als die russische Seite darüber erfuhr, sagten wir einfach den ukrainischen Kollegen, dass falls in diesem Abkommen Elemente der Freihandelszone fixiert werden, da haben wir mit der Ukraine in der GUS seit langem eine Freihandelszone. Man soll sich vergewissern, dass die Verfahren dieser Freihandelszonen einander nicht widersprechen, weil wir zum Beispiel mit der Ukraine keine Gebühren hatten, und mit Europa gab es solche Gebühre. Bei den Verhandlungen über WTO-Beitritt wurde ein ernsthafter Schutz bei vielen Positionen erhalten. Wenn die Ukraine plötzlich Barrieren für die EU aufhebt (und wir haben mit der Ukraine auch keine Barrieren), hätten die Waren aus Europa als Verstoß gegen die Vereinbarungen geströmt, die wir beim WTO-Beitritt erreichten. Wir warnten sie fair. Wir warnten auch ihre Anführer in der EU, ich meine Polen als Mitglied dieser Vereinigung. Russlands Präsident Wladimir Putin sprach mit dem EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso und schlug vor, eine dreiseitige Gruppe zu schaffen – Russland, Ukraine und EU, um jegliche Probleme im rein kommerziellen Bereich zu verhindern. Jose Manuel Barroso sagte arrogant, dass die EU nicht mit Russland besprechen wird, wie sie die Beziehungen zur Ukraine aufbaut, denn Russland bespricht mit der EU nicht, wie es seine Beziehungen zu China aufbaut.
Es war gerade die EU, die Maidan umfassend entfachte, der damit begann, dass eine „Mannschaft“ mobilisiert wurde, die den Beschluss des Präsidenten Viktor Janukowitsch verurteilte, die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU zu verschieben, bis das Thema der eventuellen Widersprüche zwischen den Handelsregimes geklärt wird. Das war’s. Das nutzten einige Europäer. Europäische Außenminister, darunter Belgiens Außenminister, sagten auch früher, dass die Ukrainer bestimmen sollen, mit wem sie sind – mit Russland oder mit Europa. Solche Mentalität, die die Samen säеt, die Sie erwähnten.
Warum wollen einige Vertreter bestimmter Länder nicht mit Russland, sondern mit der Nato befreundet sein? Denn diese Vertreter bewegen sich in dieser Richtung nicht selbstständig, sondern auf Hinweis der Hintermänner, die an der Spaltung Europas und nicht an der Gewährleistung der OSZE-Prinzipien interessiert sind. Als Maidan zu Blutvergießen führte, dann führten Polen, vertreten durch Radoslaw Sikorski, Deutschland, vertreten durch Frank-Walter Steinmeier, und Frankreich, vertreten durch Außenminister Laurent Fabius, Verhandlungen in Kiew und überredeten die Opposition und Präsident Viktor Janukowitsch dazu, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Dieses Friedensabkommen wurde mit eigenen Unterschriften garantiert. Auf diese Unterschriften hat die „Kiewer Junta“, die nach einem Tag an die Macht kam, indem alle eigenen Verpflichtungen verletzt wurden, gepfiffen. Als der Bundespräsident Deutschlands Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede nach der Wiederwahl zu diesem Posten sagte, dass er Russland dazu aufruft, die Schlinge vom Hals der Ukraine wegzunehmen, ist es aus der Sicht der Herkunft des ganzen Konfliktes falsch. Der Konflikt hätte unverzüglich gestoppt werden können, wenn Europa, vor allem drei Länder, die eine Vereinbarung zwischen Viktor Janukowitsch und der Opposition garantierten, sie zur Ordnung aufrufen und dazu zwangen, das zu erfüllen, wo sie ihre Unterschriften stellten.
Als sich dieser Putsch ereignete, war der erste Instinkt jener, die an die Macht kamen, russlandfeindliche Forderungen: den Status aufzuheben, der in den ukrainischen Gesetzen für die russische Sprache festgelegt ist, die Russen aus der Krim zu vertreiben. Diese Aufrufe wurden mit der Entsendung der bewaffneten Banden zur Erstürmung des Obersten Rats der Krim begleitet. Das alles ist in historischen Büchern enthalten. Ich verstehe, dass sie die heutige Nachricht „verkaufen“ sollen: Ist es für sie nicht traurig, dass von ihnen alle in die Nato bzw. EU fliehen? Das ist so ein einfaches Herangehen, das es Ihnen ermöglichen wird, Leser zu gewinnen, denen solche Sensationen und Russlandhass gefallen, der unter anderem leider auch in Polen blüht. Wir sagten heute, dass wir daran interessiert sind, normale Beziehungen zu Polen zu haben, zumal stoppten die Kontakte nie auf der Ebene der Zivilgesellschaft, Vertreter der Kunst, Kultur.
Als sich das alles ereignete, als sich die Krim-Bewohner (um sich vor Neonazis zu schützen, die mit Fahnen von Bandera, Petljura, Schuchewitsch bis heute durch Kiew mit Fackeln marschieren und dabei von der offiziellen Führung – Präsident der Ukraine unterstützt werden) weigerten, sich diesen Banditen, die die Macht verfassungswidrig ergriffen und eigenes Referendum durchführten, zu unterordnen, sagte Europa erst dann: Wozu hat Russland die Krim aufgenommen? Warum schwieg Europa und machte sich keine Sorgen wegen Staatsstreich? Wohl weil in jenen Hauptstädten, darunter von drei Ländern, deren Minister das von Putschisten gebrochene Abkommen unterzeichneten, wohl ebenfalls der Wunsch dominierte, sich auf die Seite der Menschen zu stellen, die erklärten, dass sie für den Westen und nicht für Russland sind, obwohl sich ein verfassungswidriger Staatsstreich ereignete, Blut flutete. Das ist ja eine Zweibahnstraße. Überall gibt es Menschen, die bereit sind, über geopolitische Ideen des Westens zu spekulieren, und diese Pläne zielen leider auf die Trennung statt Erfüllung der grundlegenden Prinzipien der OSZE ab.
Frage: Der Botschafter der Ukraine sagte vor kurzem in London, dass sein Land auf eine potentielle Nato-Mitgliedschaft verzichten könnte, wenn dies einen Krieg verhindern würde. Kurz danach verkündete das Außenministerium der Ukraine, dass es nicht ernsthafte Erklärungen sind. Gibt es im ukrainischen Establishment eine Meinung, dass man verzichten sollte? Würde das bei der Deeskalation der jetzigen Situation helfen?
Sergej Lawrow: Ich kann nur sagen, dass es dort vernünftige Menschen gibt. Ich bin überzeugt: Hätte es dazu gekommen, hätten viele mit Erleichterung aufgeatmet, darunter in Europa. Jene, die die Unterschriften in OSZE-Dokumenten fair betrachten und nicht versuchen, sich mit ihnen zu einer verdeckten Politik zur Spaltung Europas und Zeichen von neuen Trennlinien zu decken. In der Ukraine gibt es viele Politiker und Politologen, die solche Einschätzungen teilen. Sie genieren sich nicht, sie zum Ausdruck zu bringen.
Konkret zu Großbritannien. Nachdem der Botschafter der Ukraine das gesagt hatte, ist klar, wie Kiew reagierte, wo die Macht jetzt nicht dem Volk, um das man sich Sorgen machen soll, gehört. Was den Frieden betrifft, ist er vor allem dem ukrainischen Volk notwendig, und dort spielen die Politiker, die seit langem die Selbstständigkeit verloren, „Musikinstrumente“, die ihnen der Westen bereitstellt. In London sagte der stellvertretende Verteidigungsminister James Heappey, dass hätte die Ukraine solchen Beschluss getroffen, hätte Großbritannien ihn unterstützt. Ich denke, dass dieser Gedanke allmählich durchgesetzt wird. Ich betone, dass sie den Weg zeigt, den viele, darunter in Europa, wollen.
Frage: Sie haben gesagt, dass der russische Entwurf einer Antwort auf die Dokumente der USA und Nato über Sicherheitsgarantien bereit ist. Wann wollen sie sie übergeben? Wird sie für Medien und Öffentlichkeit veröffenticht?
Sergej Lawrow: Jetzt sollen technische Protokoll-Dinge eingehalten werden. Bald wird sie veröffentlicht.
Wir haben nichts, warum wir uns schämen sollen.
Frage (Übersetzung aus dem Polnischen): Wie schätzen Sie die Möglichkeit eines Krieges ein? Können Sie bestätigen, dass es keine russische Invasion in die Ukraine geben wird?
Sergej Lawrow: Alles wurde schon mehrmals gesagt. Ich kommentierte bereits früher die Spekulationen darüber, dass russisch-weißrussischen Übungen organisiert wurden, um die Ukraine vom Norden anzugreifen, Kiew zu erobern. Alle diesen „paranoiden“ Szenarien wurden leider von soliden Medien veröffentlicht. Das Aufsehen und der Bedarf an diesen Handlungen, den Drehbuchautoren haben, herrschten über die Medien.
Welche Position nimmt der Westen ein? Er fordert, dass Russland seine Übungen stoppt, Truppen abzieht. Russland erfüllt seine Pläne. Es ist die Zeit gekommen, diese Übungen abzuschließen, die Truppen kehren in die Orte ihrer ständigen Stationierung zurück. Ich kann Ihnen zusichern, dass der Westen unbedingt sagen wird, wenn das noch nicht sagte: Sehen sie, wir haben sie unter Druck gesetzt, Biden drohte, sie bekamen Angst und erfüllten sofort unsere Forderungen. Das ist der „Handel mit Luft“. Unsere westlichen Kollegen haben dabei viel Erfolg erreicht. Wir müssen noch diese Tricks, die sie zeigen, lernen.
Ich würde nochmals betonen: wir werden auf unserem Territorium das machen, was wir brauchen, für unsere Sicherheit für notwendig halten. Wir lehnen den Versuch unserer westlichen Kollegen, die Prinzipien der OSZE-Verpflichtungen zur Unteilbarkeit der Sicherheit so zu deuten, dass sie es angeblich besser wissen, wie die Sicherheit Russlands gewährleistet werden soll, ab. Man soll mit dieser Arroganz und Russlandhass Schluss machen.
Als sich die Nato wieder einmal erweiterte, die baltischen Länder der Allianz beitraten, fragten wir bei unseren westlichen Kollegen, wozu das gemacht wird, wenn es keine Bedrohungen gibt. Es wurde öffentlich gesagt, dass wir nicht mehr Gegner sind, man wolle eine „gemeinsame Zukunft“ transparent bauen, zusammen gegen Terrorismus u.a. kämpfen. Sie antworteten uns: Verstehen sie, es sind Phobien nach der Sowjetperiode geblieben, diese Phobien sollen beseitigt werden, wir werden sie in die Nato aufnehmen und sie werden sich sofort beruhigen und ihre guten Nachbarn sein. Über Polen wurde uns auch so gesagt, als Polen der Nato beitrat. Doch alles wurde umgekehrt. Die Fähigkeiten der westlichen Hintermänner sind uns gut bekannt. Leider widersprechen sie direkt dem, was in den grundlegenden OSZE-Dokumenten festgeschrieben ist.
Frage: Sind Sie nicht darüber besorgt, dass der Westen und Russland ganz verschiedene Sprache sprechen? Werden wir uns nicht einigen, auch wenn eine perfekte Transaktion kommt?
Sergej Lawrow: Mir scheint, dass Sie Fan von Rudyard Kipling sind – „Ost ist Ost, und West ist West, und niemals treffen sich die beiden“. Die OSZE verfolgt eine andere Philosophie. Hoffentlich wird sie praktische Konturen bekommen.