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Interview des Ständigen Vertreters der Russischen Föderation bei der UNO, Vitali Tschurkin, mit der Nachrichtenagentur TASS am 11. September 2015

1712-14-09-2015

 

Frage: Herr Tschurkin, vielen Dank für die Möglichkeit, mit Ihnen zu sprechen. Wir wollten seit langem über das bevorstehende 70-jährige Jubiläum der Organisation der Vereinten Nationen sprechen. Es beginnt die Jubiläumssitzung der Vollversammlung. Wenn ich mich nicht irre, stehen Sie bereits seit zehn Jahren an der Spitze der russischen Vertretung hier. Inwieweit universal ist Ihres Erachtens ein solches internationales Instrument wie die Vereinten Nationen? Wie effizient erfüllt diese internationale Organisation die Funktionen, die ihr 1945 anvertraut wurden?

Antwort: Meines Erachtens ist das eine sehr wichtige Organisation. Sie ist eine Art Traggerüst der internationalen Beziehungen. Sie ist sehr kompliziert und hat viele Zweige. Wie Sie wohl wissen, gibt es mehrere Hauptgremien – die Vollversammlung, an der alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen beteiligt sind, den Sicherheitsrat, den Wirtschafts- und Sozialrat. Diese Organisation gibt sich viel Mühe, um sich den Herausforderungen der aktuellen Zeit anzupassen.

Es wird viel über die Reformierung der Organisation gesprochen, aber ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass eine Struktur, die man ständig reformieren will, am Ende unwirksam werden kann. Dennoch kommt es von Zeit zu Zeit zu diesen oder jenen Novationen. Vor ungefähr zehn Jahren wurde beispielsweise der Menschenrechtsrat gebildet, der die Hoffnungen, die damals mit ihm verbunden waren, vorerst nicht erfüllt. Damals wurde nämlich vermutet, dass er sich als eine der wichtigsten UN-Strukturen etablieren könnte. Das ist jedoch vorerst nicht passiert. Vor etwa sieben Jahren wurde die Kommission für Friedenskonsolidierung gebildet, die verschiedenen Ländern, die beispielsweise in einem Bürgerkrieg stecken, bei der Krisenüberwindung hilft. Großenteils geht es dabei um afrikanische Länder. Vor der Kommission steht die Aufgabe, ein normales Leben in diesen Staaten auf diversen Bereichen wie Sozialwesen, Wirtschaft usw. zu fördern. Zudem gibt es den Sicherheitsrat, der nach Antworten auf die Herausforderungen im internationalen Bereich sucht.

Das Problem ist aber, dass in den jüngsten zehn Jahren des UN-Bestehens leider ein Aufschwung des Konfliktpotenzials in der Welt zu beobachten war. Und der UN-Sicherheitsrat sucht nach Antworten auf diese Herausforderungen – manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich. Das ist keine Schuld dieser Struktur, sondern ein Problem, dass nicht immer der politische Wille und die Ressourcen für die Lösung von diesen oder jenen Problemen vorhanden sind.

Damit ein Beschluss des Sicherheitsrats effizient wird, sind meines Erachtens drei Komponenten erforderlich. Erstens sollte dieser Beschluss richtig erarbeitet worden sein. Zweitens muss der politische Wille her und drittens die Ressourcen. Als Beispiel lässt sich die Resolution 2118 anführen, die zu einem der größten Erfolge des Sicherheitsrats der letzten Jahre wurde. Es geht um die russisch-amerikanische Initiative zur chemischen Abrüstung Syriens.

Das war eine richtige Entscheidung, die sich auf die Genfer Vereinbarungen der Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow und John Kerry, stützte.

Frage: Sie galt als großer Erfolg…

Antwort: Genau. Ein großer Erfolg. Dann wurde daraus eine gut durchdachte Resolution des UN-Sicherheitsrats, die einstimmig verabschiedet wurde. Die Weltgemeinschaft hatte ihrerseits den Willen, mit der syrischen Regierung zusammenzuwirken. Dabei wurden die nötigen Ressourcen eingesetzt, darunter die Marinekräfte, die für Sicherheit usw. sorgten, und am Ende war der Erfolg da. In manchen Fällen gibt es nicht genügend Ressourcen. Man kann beispielsweise eine Friedensoperation planen und sagen: „Es sind 50 000 UN-Friedensstifter nötig“. Aber es gibt niemanden, der bereit wäre, 50 000 Friedenssoldaten bereitzustellen.

Frage: Freiwillig?

Antwort: Freiwillig, natürlich. Es gibt solche Länder, die das gerne tun. Vor allem lassen sich in diesem Kontext Indien, Pakistan, Bangladesch erwähnen. Sie profitieren davon wirtschaftlich. Aber auch sie sind nicht bereit, ihre Friedenskräfte überall hinzuschicken.

Das ist also eine schwierige Situation. Und in manchen Fällen ist es einfach unklar, was zu tun ist. Nehmen wir einmal die Situation in Libyen als Beispiel. Sie ist bekanntlich entstanden, weil die jeweilige Resolution des UN-Sicherheitsrats verletzt worden war. Anstatt die zivile Bevölkerung zu schützen befassten sich manche Kräfte mit Bombenangriffen und mit dem Regimewechsel. Am Ende ist das Land in Stücke zerfallen, und jetzt weiß niemand, was damit zu tun ist. Der Beauftragte des UN-Generalsekretärs handelt zwar als Vermittler, aber wozu das führen wird, ist völlig unklar. Ist das die Schuld des UN-Sicherheitsrats? Nein, es geht gar nicht um den Sicherheitsrat. Es ist nun einmal eine solche Situation entstanden.

Lassen Sie uns einmal vorstellen: Man sagt, nach Libyen sollte irgendwann ein Friedenskontingent eingeführt werden – irgendwann, wenn die Situation dort mehr oder weniger geregelt wird. Aber die Libyer wollen das nicht. Dort gab es sogar eine UN-Vertretung, doch sie musste aus Sicherheitsgründen evakuiert werden. Wie in vielen anderen Fällen, wurde die UN-Vertretung sogar bewacht – von etwa 200 Menschen. Aber die Libyer sagten: „Nein. Wir brauchen keine bewaffneten Ausländer auf dem libyschen Territorium“. Was hatte man in so einer Situation zu tun? Es müssen also eine kolossale Einigung der Weltgemeinschaft und ein großer politischer Wille her, damit sehr ernsthafte Mechanismen und Ressourcen für die Regelung dieser Situation eingesetzt werden, die jedoch niemand zur Verfügung stellen kann. Und mit solchen Problemen beschäftigt sich die UNO eben.

Frage: Ich wollte gerade in diesem Zusammenhang fragen: Wie konnte das Format der Vereinten Nationen im Laufe von 70 Jahren aufrechterhalten werden? Sie sagen, die Welt hat sich verändert, die letzten zehn Jahre waren sehr angespannt. Ist Ihres Erachtens der Geist des Jahres 1945, als die Siegermächte diese einmalige Organisation gründeten, in diesem Haus an der East River immer noch erhalten geblieben?

Antwort: Wissen Sie, ich wurde damals noch nicht geboren und kann nicht sagen, wie der Geist damals war. Aber ich denke, dieser Geist hatte auch verschiedene Schattierungen, verstehen Sie? Sie waren damals wohl auch zu spüren.

So ist es auch jetzt. Ich denke aber, dass der Kooperationsgeist nach wie vor da ist. Er ist allen UN-Mitgliedsländern eigen. Und trotz der Besonderheiten der heutigen Zeit ist er meines Erachtens auch im Format der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats vorhanden. Ich darf einmal einen meiner Vorgänger im Amt erwähnen, und zwar Alexander Belonogow, dessen Erinnerungen ich unlängst gelesen und sehr interessant gefunden habe, der meines Wissens von 1986 bis 1990 der Ständige Vertreter der Sowjetunion bei der UNO war. Er erwähnte unter seinen Erfolgen seinen Aufruf an die Kollegen aus den fünf ständigen Mitgliedsländern des UN-Sicherheitsrats, nämlich aus den USA, England und Frankreich, sich zu versammeln und irgendeine Frage zu besprechen. Das war damals eine Errungenschaft, die es früher nicht gegeben hatte.

Frage: Dass man im Prinzip etwas besprechen kann.

Antwort: Ja. Sich einfach versammeln. Und jetzt ist das unser Alltag. Wir Vertreter der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats hängen das nicht immer an die große Glocke, treffen uns aber oft und arbeiten an diversen Resolutionen. Noch treffen wir uns mit dem UN-Generalsekretär usw. Das ist einer der wichtigsten Mechanismen des UN-Sicherheitsrats und der ganzen Organisation. Es ist also gelungen, den damaligen Geist nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auch in vielen Aspekten weiter zu entwickeln. Es gibt auch eine weitere Errungenschaft von uns – wir hatten daran lange gearbeitet, doch da klappte etwas nicht. Jetzt aber funktioniert dieser Mechanismus allmählich.

Es gibt nämlich ein Gremium wie das Military Staff Committee, in dem Militärberater der Ständigen Vertreter aus den fünf ständigen Mitgliedsländern des UN-Sicherheitsrats sitzen. Viele Jahre lang war das ein rein formelles Gremium. Seine Mitglieder versammelten sich, eröffneten die jeweilige Sitzung und schlossen sie im Grunde sofort. Danach aber meldeten sich bei ihnen – allerdings informell – gewisse Mitarbeiter, die sich mit der Organisation von UN-Friedenseinsätzen befassten, erzählten ihnen etwas und gingen weg. Jetzt ist es uns endlich gelungen, dass sich dieser Ausschuss an realer Arbeit aktiver beteiligt. Vor kurzem haben die fünf Militärberater zum ersten Mal Haiti besucht, wo ein Friedenseinsatz läuft. Sie prüften nämlich, was an diesem Einsatz richtig und was eventuell falsch ist. Jetzt wird eine weitere solche Reise geplant.

Ich erinnere mich auch an ein interessantes Treffen, als eine Krise in Mali ausbrach. Dabei kamen die fünf Ständigen Vertreter samt ihren Militärberatern zusammen. Es war eine Militärdelegation aus Frankreich gekommen – das war vor zwei Jahren. Und es wurde besprochen, was in Mali zu tun war. Das war das erste solche militärpolitische Treffen, bei dem verschiedene Varianten besprochen wurden. Ich muss sagen, dass es dabei zu ziemlich scharfen Streitigkeiten zwischen Amerikanern und Franzosen kam. Solche interessanten Dinge passieren also manchmal.

Frage: Sie haben eben das Wort „Reform“ erwähnt. Ich höre seit 2000, die UNO würde Reformen brauchen, Reformen gehen vor, Reformen hätten begonnen. Ehrlich gesagt, vor zehn Jahren hatten wir auch einen Film über die Vereinten Nationen gedreht, als noch Kofi Annan ihr Generalsekretär war. Damals wurde auch viel über Reformen geredet. Aber sie lassen sich kaum spüren. Befinden sich diese Reformen tatsächlich in der Endphase? Was hindert die Reformen? Welche Reformen braucht Ihres Erachtens die UNO? Denn es stellen sich ganz einfache Fragen: Der UNO gehören derzeit 193 Länder und dem Weltfußballverband (FIFA) 209 Länder an. Warum gehören manche Länder der UNO immer noch nicht an?

Antwort: Teilweise habe ich mich zu dieser Frage bereits geäußert, als ich sagte, die Organisation sollte manchmal in Ruhe gelassen werden. Die Frage ist, was man unter Reformen versteht. Ich habe beispielsweise den Menschenrechtsrat und die Kommission für Friedenskonsolidierung erwähnt. Derzeit ist die schärfste Frage mit den Reformen verbunden, aber in Wahrheit ist die wichtigste Frage seit den letzten zehn oder 15 Jahren die Reformierung des Sicherheitsrats.

Denn zum letzten Mal wurde der Sicherheitsrat in den 1960er-Jahren erweitert. Ursprünglich hatte er aus elf Ländern bestanden, darunter aus fünf ständigen Mitgliedern. Dann wurde er auf 15 Länder erweitert. Und jetzt wird seit langem gesprochen, dass die Zahl der UN-Mitgliedsländer gestiegen sei, dass sich die Welt verändert habe und das Afrika sozusagen Afrika geworden sei. Noch sicherer und selbstständiger fühlt sich offenbar Lateinamerika. Angesichts dessen sagt man, der Sicherheitsrat sollte wieder erweitert werden, damit diese Organisation noch effizienter und repräsentativer wird. Aber da muss ich etwas sagen: Der UN-Sicherheitsrat wird dadurch zwar repräsentativer, aber keineswegs effizienter. Das klingt vielleicht nicht gerade politisch korrekt, aber aus meinen Erfahrungen im Rat kann ich sagen, dass beispielsweise 15 Mitglieder es oft schwer haben würden, sich zu einigen. Und wenn 25 oder 27 Mitglieder dem Sicherheitsrat angehören würden? Und alle wollen etwas sagen. Im Laufe eines Jahres finden etwa 400 Sitzungen des UN-Sicherheitsrats statt. Stellen Sie sich einmal vor, was passiert, wenn er aus 25 oder 27 Mitgliedern bestehen würde. Reformen sind wirklich nötig, das ist nicht zu bestreiten. Das Problem ist nur, dass seit acht Jahren offizielle Verhandlungen darüber geführt werden, und zuvor hatten informelle Beratungen elf Jahre lang gedauert. Zwei wichtigste Lager können sich nicht einigen. Es gibt Länder, die ständige Mitglieder des Sicherheitsrats neben den aktuellen fünf werden wollen, und es gibt Länder, die das keineswegs wollen.

Frage: Darf ich präzisieren: Die Länder, die ständige Mitglieder werden wollen, wollen auch das Vetorecht bekommen oder nur ständige Mitglieder sein?

Antwort: Das ist eine sehr wichtige Frage. Manche Länder, die die ständige Mitgliedschaft beanspruchen, sagen, sie bräuchten kein Vetorecht. Das sagt beispielsweise Deutschland, indem es aber ständiges Mitglied werden will. Mehrere afrikanische Länder, die darauf bestehen, dass zwei ständige Mitglieder aus Afrika kommen sollten, wollen allerdings auch das Vetorecht bekommen. Das ist eine der schwierigsten Fragen.

Frage: Zwei ständige Mitglieder von afrikanischen…

Antwort: Ja, von afrikanischen Ländern.

Frage: Und von der arabischen Welt auch?

Antwort: Darüber wird auch gestritten. Manche Araber finden, dass ein ständiges Mitglied sie vertreten sollte. Manche sind dagegen. Aber verstehen Sie, warum sie dagegen sind? Weil es eine Gruppe von sehr seriösen Staaten gibt, die verstehen, dass sie die ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat schwer beanspruchen können. Sie sind aber nicht bereit, jemanden von ihren Nachbarländern vorzulassen. Besonders heftig treten beispielsweise Italien und Argentinien gegen neue ständige Mitglieder des Sicherheitsrats auf. Sie wollen, dass die Situation etwas anders wird, dass es nur bedingt selbstständige Mitglieder des Sicherheitsrats gibt – dass im Grunde eine neue Kategorie der Mitglieder entsteht. Ein einflussreicherer Staat könnte beispielsweise nicht für zwei, sondern für acht Jahre in den Sicherheitsrat gewählt und danach wiedergewählt werden. Jetzt kann ein nichtständiges Mitglied nicht sofort wiedergewählt werden. Und diese Staaten können sich nicht einigen. Damit eine Reform vereinbart wird, sind 129 Stimmen nötig. Und keines von diesen Modellen kann…

Frage: …kann nicht…

Antwort: Ja, kann nicht 129 Stimmen in der Vollversammlung bekommen. Denn man könnte statt all dieser Verhandlungen einfach eine Resolution der Vollversammlung vorbereiten, in der festgeschrieben wäre, was für eine Reform das sein sollte – und ich muss sagen, dass solche Resolutionen von verschiedenen Ländergruppen auch vorbereitet und sogar offiziell debattiert wurden. Aber man hat Angst, eine Abstimmung zu organisieren, denn dabei könnten weniger als 129 Länder dafür stimmen, und das würde bedeuten, dass diese Frage um mehrere Jahre aufgeschoben werden müsste. Denn die UNO funktioniert so, dass man eine und dieselbe Resolution nicht mehrere Jahre hintereinander abstimmen darf. Das ist also eine schwierige Situation, um da geht ein nervöser Kampf vor. Es wurden Meinungen geäußert, dass die Reform zum 70-jährigen Jubiläum unbedingt vereinbart werden sollte. Wir warnten jedoch davor, denn man sollte nicht voreilig handeln. Jede Frage muss sozusagen reif werden. Mal sehen, welcher Schritt als nächster unternommen wird.

Frage: Wird in der 70. Jubiläumstagung irgendein Format der Reformen erörtert?

Antwort: Während der Tagung selbst werden manche Länder wahrscheinlich dieses Thema aufwerfen und versuchen, die Reformierung des Sicherheitsrats voranzubringen. Ob aber irgendwelche Schritte unternommen werden? Jedoch nicht um die Reform zu vereinbaren, sondern um zu bestimmen, welcher Schritt der nächste werden soll. Da gibt es verschiedene Varianten. Wir werden es schon sehen.

Frage: Da wir gerade über den Sicherheitsrat reden… Wie werden in seinem Rahmen Beschlüsse gefasst? Wie werden sie vorbereitet? Wer darf Resolutionsentwürfe einbringen?

Antwort: Nur die Mitglieder des Sicherheitsrats dürfen Resolutionsentwürfe einbringen. Wenn eine Abstimmung geplant ist, können Nichtmitglieder des Sicherheitsrats, die die jeweilige Resolution befürworten, sich ihr als Ko-Sponsoren anschließen. Dann wird auf der Resolution selbst geschrieben stehen, dass diese Resolution nicht nur von gewissen Mitgliedern initiiert wurde, sondern von insgesamt 50 Ländern, von denen manche auch Nichtmitglieder des Sicherheitsrats sind.

Was die Vorbereitung von Resolutionen angeht, so gibt es im Sicherheitsrat so genannte „Penholder“. Ich muss sagen, dass unsere westlichen Kollegen aus der „Troika“ viele solche „Pens“ – Kugelschreiber – haben und warten, bis eine Delegation, die für eine gewisse Frage wie Afghanistan oder Irak zuständig ist, einen entsprechenden Resolutionsentwurf vorbereitet. Dieser Resolutionsentwurf wird zunächst von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats besprochen; dann dürfen auch die anderen Mitglieder des Sicherheitsrats an der Besprechung teilnehmen; dann finden Expertenberatungen usw. statt. Erst dann wird die Resolution abgestimmt. So werden Resolutionen verabschiedet.

Frage: Soweit ich also verstehe, müssen die Nichtmitglieder des Sicherheitsrats, egal welche Initiativen sie haben, zunächst ein ständiges Mitglied auf ihre Seite ziehen oder warten, bis diese…

Antwort: Genau. Es gibt aber auch Situationen, wenn Nichtmitglieder des Sicherheitsrats an dieser Arbeit noch intensiver als die Mitglieder teilnehmen. Zum Beispiel wurde unlängst eine historische, sehr wichtige Resolution verabschiedet, die die Vereinbarung über das iranische Atomprogramm betrifft.

Mit dem Inhalt dieser Resolution hatten wir nichts zu tun – sie wurde im Grunde voll und ganz bei den Verhandlungen der Sechser-Gruppe mit dem Iran vorbereitet. Es ist dazu gekommen, dass diese Resolution von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, Deutschland und dem Iran gemeinsam vorbereitet wurde. Und erst dann wurde sie in den Sicherheitsrat eingebracht. Und als wir an den antiiranischen „Sanktionsresolutionen“ arbeiteten, wurde diese Arbeit im Sechserformat geführt. Der Iran wurde zwar nicht eingeladen, denn diese Sanktionen waren immerhin gegen ihn gerichtet, aber Deutschland saß mit am Tisch, auch wenn das eher aus Respekt war. Aber wenn Nichtmitglieder bzw. nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrats zur Arbeit an einer Resolution eingeladen werden, dann verhalten sie sich normalerweise sehr vorsichtig und bescheiden.

Frage: Soweit ich schlussfolgern kann, ist Russland in den letzten 15 Jahren ein sehr aktives Mitglied der Vollversammlung. Unser Land beteiligt sich sehr intensiv an allen Prozessen im Rahmen der Vereinten Nationen. Welche Entscheidungen, die die Vollversammlung auf Russlands Initiative oder unter Mitwirkung Russlands verabschiedet hat, waren Ihrer Meinung nach besonders wichtig und nützlich für die Welt?

Antwort: Besonders nützlich? Wir arbeiten in der Vollversammlung in mehreren Richtungen. Wenn es um den Nutzen für einfache Menschen geht, so finde ich eine Resolution über die Verkehrssicherheit sehr wichtig. Wir hatten diesen Prozess initiiert und vor einigen Jahren eine und danach noch eine andere Resolution verabschiedet. Ich min mir absolut sicher, dass die Erfolge, die wir im Kampf um die Verkehrssicherheit feiern durften (so ist beispielsweise die Sterblichkeit bei Verkehrsunfällen wesentlich zurückgegangen), waren Teil des internationalen Prozesses, den Russland initiiert hatte. Darüber hinaus gehören wir zu den Spitzenreitern bei der Bekämpfung von Nichtinfektionskrankheiten. Wir organisierten entsprechende Ministerkonferenzen, verabschiedeten Resolutionen usw. Es gab auch eine wichtige ideologische Resolution, die bekanntlich den Kampf gegen die Heroisierung des Nazismus betraf. Was meine persönlich Meinung angeht, so freute ich mich sehr, als eine Resolution anlässlich der Weltraumforschung verabschiedet wurde, die dem 50. Jahrestag des ersten Weltraumflugs von Juri Gagarin gewidmet war.

Frage: Aber wir haben doch allen Grund, stolz zu sein, wenn es um dieses Thema geht.

Antwort: Natürlich. Da gab es zwei Besonderheiten: Als wir diese Resolution initiierten, dachten wir, man könnte versuchen, unsere Errungenschaften kleinzureden usw., aber am Ende war das eine tolle Resolution.

Sie enthält Worte über Juri Gagarins Flug, der Sowjetbürger war und in Russland geboren wurde. Die Verabschiedung dieser Resolution war ein sehr gutes Beispiel für internationales Zusammenwirken. Als Vertreter verschiedener Länder auftraten und über ihre Erfolge darlegten, stellten sie das als ihren Beitrag zu einer gemeinsamen Sache dar, deren wichtiger Aspekt Juri Gagarins Raumflug gewesen war. Das war die für mich angenehmste Resolution der UN-Vollversammlung in den letzten Jahren.

Frage: Wenn wir über die Vereinten Nationen reden, können wir unmöglich die Person verschweigen, die an ihrer Spitze steht. Ban Ki-moon ist der achte Generalsekretär in der Geschichte der UNO. Ich hatte die Ehre, mit ihm und auch mit einigen von seinen Vorgängern zu sprechen. Sie arbeiten mit ihm seit fast zehn Jahren zusammen. Wie schätzen Sie die Rolle des jetzigen Generalsekretärs für die UNO ein? Wie ist Ihre „persönliche Chemie“ mit ihm?

Antwort: Ich nahm an der Wahl des Generalsekretärs im Jahr 2006 teil. Das ist ein sehr interessantes Verfahren. Meines Erachtens wurde dabei die richtige Wahl getroffen. Erstens ist sehr wichtig, dass Ban Ki-moon einen aus meiner Sicht sehr offenen Dialog mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin führt. Auch mit unserem Außenminister Sergej Lawrow spricht er oft – persönlich und per Telefon. Ich habe keine Probleme bei der Arbeit mit dem Generalsekretär.

Erstens arbeitet er sehr viel, aber wenn er in New York ist, dann kann man sich mit ihm immer treffen. Ich kenne kein Beispiel dafür, dass ich mich bei ihm gemeldet und um ein Treffen gebeten hätte und man nicht zurückgerufen und den genauen Zeitpunkt genannt hätte, wann wir uns treffen können – normalerweise am selben Tag noch. Auch am Samstag oder Sonntag, wenn es nötig ist.  Man kann ihn auch dann per Telefon erreichen, wenn er außerhalb von New York ist – wir haben da unseren eigenen Gesprächsstil. Normalerweise treffen wir uns unter vier Augen. Er hört immer sehr aufmerksam zu, was man ihm erzählt, und nimmt auch Rücksicht darauf. Ich muss auch generell sagen, dass der Generalsekretär in letzter Zeit ziemlich kühne Meinungen zu einigen Fragen äußert, die die Starken dieser Welt verärgern usw. Er ist also ein Mensch, der immer zuhört, sich aber nicht unter Druck setzen lässt, und das ist sehr wichtig. Ich weiß, dass man in manchen Fällen versuchte, ihn unter Druck zu setzen und ihm hinzuweisen, was er zu tun hatte und was nicht. Aber er handelte trotzdem so, wie er es für richtig hielt.

Frage: Verstehe ich Sie richtig, dass er nicht nur als Vermittler zwischen den UN- und Sicherheitsratsmitgliedern handelt, sondern auch in Übereinstimmung mit seinem Status das Recht auf seine eigene politische Position hat?

Antwort: Natürlich. Das ist meine Vorstellung von der Rolle eines Generalsekretärs in der modernen Welt. Das Problem ist aber, dass man von ihm erwartet, dass er die Führungsrolle übernimmt. Gleichzeitig darf er nicht sozusagen in den Wolken fliegen. Außerdem leistet der Generalsekretär seine wichtigste Arbeit – auf politischer Ebene – auf Basis von Entscheidungen, die vom Sicherheitsrat getroffen werden. Das heißt der Sicherheitsrat verabschiedet eine Resolution in Bezug auf irgendein Problem, und der Generalsekretär ernennt zuständige Beauftragte und befasst sich auch mit irgendeiner Tätigkeit. Manchmal kann er eine Initiative äußern, aber diese Initiative muss die Meinungen der wichtigsten „Spieler“ berücksichtigen. Nehmen wir einmal Syrien als Beispiel: Der Beauftragte für dieses Land ist Staffan de Mistura, der seine Initiativen äußert, die aber dann als Initiativen des Generalsekretärs gelten. Aber diese Initiativen lässt er sich nicht einfach einfallen. Sie entstehen, indem er Kontakte mit den wichtigsten Teilnehmern des Konflikts pflegt. Er hört den Mitgliedern des Sicherheitsrats zu, vor allem den fünf ständigen Mitgliedern, und allmählich reift die jeweilige Initiative. Falls diese Initiative aus dem Finger gesogen wird, dann bringt sie nichts. Die Arbeit des Generalsekretärs ist also sehr schwer. Deshalb wird übrigens schon jetzt gestritten, wie, wann und wer nächstes Jahr zum neuen Generalsekretär gewählt werden könnte.

Frage: Gibt es bereits gewisse Kandidaten? Müssen die Regionen, die die Generalsekretäre vertreten sollen, „rotiert“ werden? Denn der jetzige Generalsekretär kommt aus Asien. Muss sein Nachfolger aus Europa kommen?

Antwort: Ja, genau. Der neue Generalsekretär muss aus der osteuropäischen Region kommen.

Frage: Ausgerechnet aus der osteuropäischen?

Antwort: Ja, aus der osteuropäischen. Die Situation ist so: In der UNO gibt es fünf regionale Gruppen. Eine von ihnen ist die osteuropäische. Sie ist ziemlich klein – ihr gehören nur 27 oder 28 Länder an.

Frage: Wir auch?

Antwort: Ja, wir auch. Es gibt die asiatische Gruppe, der mehr als 50 Länder angehören. Und es gibt eine gewisse Vorstellung davon, wie verschiedene Gruppen ihre Vertreter für diverse Posten vorschlagen. Dabei geht es nicht nur um den Generalsekretär, sondern auch um Leiter von Komitees  usw. Die UNO ist nun einmal eine komplizierte bürokratische Struktur. Und Sie haben schon richtig gesagt: Ban Ki-moon wurde als Vertreter Asiens gewählt. Und jetzt besteht die osteuropäische Gruppe darauf, dass ein Vertreter Osteuropas unbedingt gewählt werden müsste.

Frage: Da haben wir also auch ein Wörtchen mitzureden…

Antwort: Ja, wir unterstützen die Osteuropäer. Sie haben den Vorsitzenden der Vollversammlung angeschrieben und darauf verwiesen, dass dies ein Kandidat Osteuropas sein sollte. Wir sagen: „Wir sind dafür“. Aber ich muss meine Kollegen manchmal daran erinnern, dass als der Asiat Ban Ki-moon gewählt wurde, auch die lettische Präsidentin Vike-Freiberga ihre Kandidatur aufstellte und eine von insgesamt sechs Kandidaten bzw. Kandidatinnen war. Deshalb ist das etwas negativ…

Frage: Für die Einheit?

Antwort: Na ja, nicht gerade für die Einheit, aber…

Frage: Gehört auch Lettland dieser Gruppe an?

Antwort: Ja, Lettland gehört auch dazu. Deshalb tun sie jetzt ihre Ansprüche kund, aber die anderen sind davon nicht allzu begeistert. Es gab unlängst in einer Vollversammlung eine informelle Besprechung der künftigen Wahl des Generalsekretärs. Die osteuropäische Gruppe bekräftigte ihre Ambitionen abermals, aber niemand reagierte darauf – niemand sagte: „Ja, wir sind dafür“.

Frage: Sollten vielleicht wir uns daran beteiligen – als eine Art Lokomotive?

Antwort: Nein, das sollten wir nicht, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wenn wir etwas sagen, wird das im Sicherheitsrat besprochen. Wir warnen nur vor verschiedenen unnötigen Schritten, die den ganzen Prozess nur noch bürokratischer und komplizierter machen könnten. Es gibt Enthusiasten, die behaupten, der Sicherheitsrat sollte mehr als nur einen Kandidaten aufstellen. Noch wäre es ihnen zufolge nicht schlecht, wenn das eine Frau wäre. Wir sind aber dafür, dass dieser Prozess nicht allzu bürokratisch wird.

Das ist ein ziemlich schwieriges Gespräch, aber es endet meines Erachtens immer normal. Derzeit gibt es bereits mehrere gute Kandidaten von Osteuropa. Meines Erachtens sind das durchaus würdige Personen, die an die Spitze der Organisation gestellt werden könnten. Eine von ihnen ist die Bulgarin Irina Bokowa. Möglicherweise wird es auch weitere Kandidatinnen geben, und ich denke, am Ende werden alle zufrieden sein. Denn voriges Mal, als 2006 Ban Ki-moon gewählt wurde, verlief alles eher problemlos. Ende Juli begann die Diskussion im Sicherheitsrat, und Anfang Oktober wurde die Vereinbarung getroffen. Und das war es auch.

Frage: Alles positiv.

Antwort: Ja, alles optimal. Aber wir werden schon sehen, wie alles diesmal verläuft. Ich kann nicht ausschließen, dass es diesmal schwieriger wird.

Frage: Sie haben eben erwähnt, dass es unter Kandidaten auch Frauen gibt,  und sogar die Generaldirektorin der UNESCO, Frau Bokowa, erwähnt. Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis: Als ich voriges Mal Ban Ki-moon interviewte, sagte er, er würde dem Sicherheitsrat seinen Wunsch äußern, dass eine Frau seine Nachfolgerin wird, ohne allerdings einen konkreten Namen zu nennen.

Antwort: Ich kann Ihnen halbscherzhaft verraten, dass Ban Ki-moon eine Schwäche für Frauen hat. Aber im politischen Sinne. Und es ist ihm Vieles gelungen.

Frage: Im politischen Sinne ist das etwas Heiliges.

Antwort: Ja. Etwas Heiliges – im politischen Sinne. Als er Generalsekretär wurde, sagte er gleich, dass eine seiner Aufgaben sei, dass es in der UN-Führung möglichst viele Frauen gebe. Und dabei hat er wirklich Erfolg gehabt. Den Apparat des Generalsekretärs – und das ist immerhin der zweit- bzw. drittwichtigste Posten im Sekretariat – leitet die Argentinierin Suzanna Malcora.

Es gab noch eine Frau, die sich mit der administrativen Struktur beschäftigte. Sie kam aus Deutschland. Dann wurde sie Chefbeauftragte für Abrüstung, aber jetzt ist sie nicht mehr da. Auf anderen Gebieten ist die Situation in diesem Sinne nicht so positiv. Der Generalsekretär hat immerhin viele Sonderbeauftragte, die für Friedenseinsätze zuständig sind oder Sondermissionen leiten. Unter ihnen gibt es meines Wissens nur eine Frau. Es gibt aber auch Frauen auf wichtigen Posten, die sich mit Problemen Gewalt gegen Kinder und gegen Frauen beschäftigen. Ban Ki-moon hat es also geschafft, die Rolle der Frau zu stärken. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn er im Vorfeld der Wahl seines Nachfolgers diese Idee laut ausspricht. Aber der Generalsekretär kann die Bestimmung von Kandidaten auf keine Weise beeinflussen. Und unter den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats gibt es nur ein Land, dessen Vertreter darauf bestehen, dass den Posten eine Frau bekleiden sollte, sagen jedoch nicht, wen sie in diesem Amt sehen wollen. Das sind die Engländer. Ich fragte sie, ob sie bereit wären, Irina Bokowa zu unterstützen, weil sie bislang die einzige Kandidatin ist, die offiziell aufgestellt wurde. Sie sagten aber dann, sie würden es nur generell meinen. Das ist also ein interessantes Gespräch, das aber vielleicht etwas vorzeitig begonnen wurde, denn die Zeit dafür kommt erst im nächsten Jahr. Aber das ist ein sehr wichtiges Thema, denn der UN-Generalsekretär spielt eine wichtig Rolle in der Weltpolitik und auch bei Verwaltung über die UNO selbst. Wir müssen also wirklich den besten Mann bzw. die beste Frau wählen, der bzw. die bereit wäre, diese schwere Arbeit zu leisten.

Frage: Soweit ich verstehe, müssen alle fünf ständigen Mitglieder die jeweilige Kandidatur gemeinsam empfehlen, richtig?

Antwort: Nicht nur fünf. Denn beispielsweise über Ban Ki-moon gab es 2006 keine Abstimmung im Sicherheitsrat – er wurde durch Akklamation gewählt. Das heißt alle stimmten seiner Kandidatur zu, ohne einmal die Hände zu heben, um ihre Einheit zu zeigen. Aber eigentlich soll eine Kandidatur von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats vereinbart werden. Ich denke jedoch, dass falls irgendein Land (oder vielleicht zwei Länder), das kein ständiges Mitglied ist, etwas dagegen sagen würde, dann würde das für den jeweiligen Kandidaten ein großes Problem bedeuten.

Frage: Alles klar. Sie haben eben das Akklamationsverfahren erwähnt. Die Menschen, die die Arbeit des UN-Sicherheitsrats nur im Fernsehen verfolgen, haben den Eindruck, dass es zur Akklamation eher selten kommt – besonders in den letzten Jahren, wenn selbst zwischen den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats heftige Streitigkeiten ausbrechen. Die Menschen sehen ja Ihre Debatten mit Ihren Opponenten. Aber wenn Sie den Saal des Sicherheitsrats verlassen – wie konstruktiv arbeiten Sie außerhalb des Saals des Sicherheitsrats zusammen? Womit rechnen Sie am meisten? Mit Debatten unmittelbar im Saal des Sicherheitsrats oder mit der ganzen Arbeit des ständigen Mitglieds des Sicherheitsrats mit den ständigen Mitgliedern hinter den Türen dieses Saals?

Antwort: Das sind zwei gleichermaßen bedeutende Aspekte der Arbeit des Sicherheitsrats. Auf der einen Seite sind natürlich offene Debatten wichtig, die die ganze Welt verfolgt, und das widerspiegelt die Positionen der Staaten und auch den Charakter der scharfen Probleme, die vor dem Sicherheitsrat stehen. Aber wir sind immerhin Profis. Es gab beispielsweise unlängst einen Meinungsaustausch zwischen den fünf ständigen Mitgliedern und den anderen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Und ich denke, dass einige von meinen Partnern aus der Fünfergruppe sich im Grunde inakzeptable Aussagen leisteten. Ich habe darauf gleich in der Sitzung des Sicherheitsrats verwiesen. Und ich musste gleich danach mit einem von ihnen telefonieren. Und da haben wir ganz normal über Dinge gesprochen, die für die Vervollkommnung einer sehr wichtigen Resolution nötig waren, an der wir seit langem arbeiten. Und hoffentlich wird sie bald verabschiedet. Wir müssen solche Momente einfach übersehen. Sonst wird der Sicherheitsrat nicht funktionieren können.

Frage: Zurück zum 70-jährigen Jubiläum der UNO: Es gab bestimmt Personen, die in der Geschichte der Vereinten Nationen eine besonders wichtige Rolle spielten. Mit manchen von Ihnen arbeiteten Sie zusammen, trafen sich mit ihnen. Wer waren die herausragendsten Persönlichkeiten in der Geschichte der UNO?

Antwort: Ach, wissen Sie…

Frage: Aus Ihrer Sicht?

Antwort: Es ist schwer zu sagen… Aber natürlich Kofi Annan, der übrigens mit Sergej Lawrow eng verbunden ist. Ich habe auch mit ihm zusammengearbeitet – sieben Monate lang. Das war natürlich eine Persönlichkeit, die einen sehr interessanten Lebensweg gegangen ist. Als er zum Generalsekretär gewählt wurde, war er lediglich ein stellvertretender Generalsekretär, der für die Friedensstiftung zuständig war. Das ist zwar ein wichtiger, aber unauffälliger Posten. Und innerhalb von zehn Jahren etablierte er sich als Politiker und Diplomat einer globalen Bedeutung. Das ist natürlich eine sehr wichtige Eigenschaft von ihm, und auch im Allgemeinen war er ein Mensch, mit dem es sehr interessant war, zu kommunizieren. Er beschäftigt sich bekanntlich auch immer noch mit verschiedenen wichtigen Geschäften. Er war so – man konnte mit ihm informell sprechen, aber auch dann konnte er Härte zeigen. Er ließ sich kaum unter Druck setzen. Das war auch interessant zu beobachten. Das ist überhaupt ein sehr interessanter Aspekt der Arbeit in der UNO. Denn jeder von meinen Kollegen in der „Fünfergruppe“ ist bereits der vierte, der sein Land vertritt. Und ich muss sagen, ich erinnere mich sehr gerne an jeden von ihren Vorgängern. Denn sie alle waren große Persönlichkeiten.  Über meine jetzigen Kollegen sage ich lieber nichts…

Frage: Sie müssen ja mit ihnen noch weiter arbeiten.

Antwort: Ja, wir müssen noch weiter zusammenarbeiten. Aber ich hatte sehr enge Kontakte – sowohl geschäftliche als auch private – mit dem früheren chinesischen Vertreter. Jetzt ist Li Baodong Vizeminister. Wir haben mit ihm Vieles zusammen erlebt. Da ging es um Syrien, wo wir – Russland und China – gemeinsam auf unser Vetorecht zurückgriffen. Wir hatten vertrauensvolle Beziehungen – er ist ein wirklich sympathischer Mensch. Er besuchte mich, wir sprachen miteinander… Ich habe auch vieles mit den Amerikanern gemeinsam erlebt. Kennen Sie John Bolton?

Frage: Natürlich.

Antwort: Ein Neocon, er war immer so laut… Und Zalmay Khalilzad – er war Afghane, Ex-Botschafter der USA im Irak…

Frage: Ein ganz anderer Typ…

Antwort: Ja, genau.  Dann auch Susan Rice, die jetzige Beraterin. Sie war auch ein ganz anderer Typ – ziemlich kompliziert, aber mit ihr konnte man über sehr wichtige Fragen ernste Diskussionen führen. Das war eine Kombination aus menschlichen und professionellen Eigenschaften, die ich sehr interessant fand.

Frage: Herr Tschurkin, ich habe die Ehre, mit Ihnen seit mehr als 30 Jahren bekannt zu sein, und ich kannte Sie immer als einen ziemlich emotionalen Menschen. Aber die Arbeit als Vertreter in der UNO sieht die Fähigkeit zur Zurückhaltung vor, besonders während der Sitzungen des Sicherheitsrats und der Vollversammlung. Es ist ein großes Rätsel für mich: Wie schaffen Sie das, als sehr emotionaler Mensch bei den scharfen Debatten sich zu mäßigen?

Antwort: Das klingt vielleicht etwas komisch, aber man muss sich nun einmal beherrschen können. Wissen Sie noch, was Eugen Onegin Tatjana sagte?

Frage: Und Sie haben das gelernt, richtig?

Antwort: Ich denke, das ist mir gelungen. Denn ich fing im Alter von 22 Jahren als Dolmetscher im Außenministerium an. Dabei passierte es so, dass ich manchmal auch im Kreml dolmetschte, für Nikolai Podgorny und Alexej Kossygin. Dann war ich bei Verhandlungen über strategische Rüstungen dabei. Und manchmal war ich vor den Gesprächen sehr unruhig. Wenn sie aber begannen, konzentrierte ich mich, und alles war wieder in Ordnung. Ich kann nicht sagen, dass ich jetzt in manchen Situationen äußerst unruhig wäre, denn ich weiß immerhin, was mir bevorsteht, und stelle mich entsprechend ein. Aber manchmal koche ich tatsächlich von innen, verstehe jedoch, dass ich sozusagen den Rand halten und daran denken muss, was ich im jeweiligen Moment zu sagen habe. Da ich bislang nie an einer Schlägerei im Sicherheitsrat teilnahm, glaube ich, dass mir es gelingt, mich zu beherrschen.

Frage: Das gelingt Ihnen definitiv, Herr Tschurkin.

Antwort: Danke.

 

 


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