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Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, in der Sendung „Posdnjakow“ des Fernsehsenders NTW am 13. Oktober 2015 in Moskau

1948-13-10-2015

Frage: Sergej Wiktorowitsch, was hält unsere westlichen Partner davon ab, dem Vorschlag Russlands über die Bildung einer breiten Anti-Terror-Koalition ähnlich der Anti-Hitler-Koalition Folge zu leisten. Was ist das? Tollwut, Entmutigung, weil vielleicht ein neues Zentrum der Kraft entstanden ist oder die Beleidigung, weil man sich an ihre Exklusivität vergreift?

Sergej Lawrow: Wissen Sie, hier gibt es wohl eine ganze Menge der Faktoren und Ursachen. Wahrscheinlich ist es nicht sehr angenehm, zu sehen, wie unsere Militärs vor dem Hintergrund der über ein Jahr dauernden Fortsetzung der Operation der Koalition, die von den Vereinigten Staaten von Amerika ins Leben gerufen wurde und die meiner Meinung nach etwa 60 000 Flüge verwirklichten, von denen die Hälfte zu Kampfeinsätzen, effektiv arbeiten. Denn positive Ergebnisse „auf dem Boden“ von dieser Koalition sind nicht zu sehen. Hingegen weiten sich der „Islamische Staat“ („IS“) und  übrige Terrorgruppen wie „Dschabhat an-Nusra“ - Filiale von al-Qaida, ihren Einfluss und die Gebiete aus, in denen sie das Kalifat ausrufen und das Leben der Menschen nach ihren Gesetzen organisieren. Im Großen und Ganzen ist es schon eine ganz neue Abart des Terrorismus. Unsere Kollegen versuchen, uns zu sagen, dass der IS nur deswegen entstehen konnte, weil die Krise in Syrien sich hinzog, und jetzt zieht es nach Syrien alle Sunniten, weil ihnen zufolge die Alawiten gegen sie Gewalt einsetzen, die Macht nicht zurückgeben. Das sind sehr gefährliche Versuche. Ich sprach mit unseren Kollegen - mit dem Außenminister der USA John Kerry, mit den europäischen Partnern darüber, dass es unzulässig ist, zu versuchen, diesen Konflikt als Widerstand innerhalb des Islams darzustellen. Wir kämpfen gegen den Terrorismus. Darüber sprach der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin.

Ich wiederhole, wenn unsere Partner sich befangen fühlen, weil sie keine bedeutsamen Ergebnisse erreichten, muss man nichtsdestoweniger sich einen Ruck geben und doch eine Entscheidung treffen, was für sie wichtiger ist: ein falsch verstandenes Selbstwertgefühl oder die Befreiung der Welt von der schlimmsten Bedrohung der letzten Jahrzehnte.

Es gibt noch einen Grund, und hier müssen wir Klarheit schaffen, ich frage regelmäßig danach unsere Gesprächspartner – Außenamtschefs. Vielleicht besteht der Grund darin, dass das verkündete Ziel nicht ganz ehrlich ist? Vielleicht ist das Ziel der Regimewechsel? Sie verzichten doch nicht auf ihre Position bezüglich dessen, dass die endgültige Regelung in Syrien nur dann sein kann, wenn Baschar al-Assad geht.

Frage: Bestehen sie darauf?

Sergej Lawrow: Ja. Sie sprechen auch jetzt darüber, dass die bereits ein Jahr lang in Syrien und dem Irak arbeitende Koalition den Kampf nur gegen die Terroristen, vor allem gegen den „IS“, führt und die Stellungen der Regierungstruppen nicht bombardiert. Wahrscheinlich gibt es objektive Möglichkeiten, sich zu vergewissern, ob es so ist oder nicht. Wir behandeln jetzt diese Situation. Aber wenn die Menschen so entschlusslos gegen den Terrorismus kämpfen, wollen sie vielleicht nach wie vor die extremistischen Einheiten dafür nutzen, um das Konjunkturziel der Abschwächung der Regierung zu erreichen? Auf diese Frage gibt es keine Antwort.

Wir erinnern uns daran, wie Sadam Hussein gestürzt wurde. Danach verwandelte sich der Irak in das Land, in dem das Chaos herrschte, und bis jetzt ist dort alles gar nicht einfach. Wir erinnern uns daran, wie für den Sturz des Regimes Muammar al-Gaddafis unsere westlichen Partner und die Länder der Region mit den eingefleischten Extremisten zusammenarbeiteten, die sich dann später wie Dschinn aus der Flasche, in ganz Nordafrika und sogar Subsahara-Afrika zerstreuen.

Frage: Wie ich verstehe, sprechen die Experten auch darüber, dass wenn das Regime Baschar al-Assads fällt, so kommt es im Großen Nahen Osten zum großen Chaos.

 Sergej Lawrow: Die Experten sprechen darüber, und wir auch. Wir wollen nicht, dass damalige Ereignisse sich wiederholen, als, ich wiederhole, nicht nur gern mit den Terroristen zusammengearbeitet wurde, sondern sogar auf sie gesetzt, die Extremisten ausgerüstet wurden. Unsere französischen Kollegen, die jetzt so viel und laut über die Notwendigkeit sprechen, das Völkerrecht zu beachten, lieferten damals in der libyschen Krise Waffen an die Gegner Muammar al-Gaddafis trotz der vom Konsens verabschiedeten Resolution, die verbat, jegliche Waffen an keinen in Libyen zu liefern. Sie sprachen auch offen darüber und prahlten sogar damit, dass sie das unter Verletzung der Resolution des Sicherheitsrats der UNO machen. Später schossen die Terroristen mit diesen Waffen auf die französischen Kontingente in Afrika, unter anderem in Mali, und schon in Mali kämpften sie gegen diejenigen, die sie selbst geschaffen und ausgerüstet hatten.

Diese doppelten Standards sind einfach offensichtlich, und wir müssen uns einigen, ob es notwendig ist, wie einige Länder meinen, noch ein Regime zu stürzen, noch einen Staat zu zerstören. Schließlich ist das Problem der Ausbreitung des Terrorismus im Nahen Osten damit verbunden ist,  dass sie die Staatlichkeit im Irak, in Libyen zerstören, jetzt auch in Syrien, ich weiß nicht mehr, bald ist der Libanon an der Reihe. Man sollte glauben, es gibt solch einen Begriff, solch einen Ausdruck, dass aus der Geschichte keiner was lernt. Früher konnte man alles einfach glauben, wenn es sich um Jahrhundertereignisse handelte. Aber in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren erlebten wir den Irak und Libyen, jetzt die Krise in Syrien – alles das Gleiche. So hier muss man Klarheit schaffen, und dazu ruft unser Präsident auf.

Wir schlugen den US-Kollegen vor, nicht nur auf der Ebene des Pentagons und Verteidigungsministeriums Russlands zusammenzuarbeiten, um die Zwischenfälle in der Luft zu vermeiden, sondern auch für die Koordination unserer Handlungen. Sie wollen das vorerst nicht besprechen. Wenn sie schon unsere Militäroperation kritisieren, indem sie sagen, dass wir die Schläge mit dem Ziel versetzen, um angeblich nicht die Terroristen, sondern die Stellungen gegen die syrische gemäßigte Opposition zu schwächen. Wir haben sie darum gebeten, mit uns die Einschätzungen zu teilen – wo die richtigen Ziele und wo die Ziele sind, die den meisten Schaden den Terroristen in Syrien zufügen werden. Sie wichen der Antwort aus. Dann sagten wir: „Gut, wenn Sie meinen, dass wir diejenigen schwächen, auf die ihr in Sachen der Festigung des Widerstands setzt, darunter für den Kampf gegen „IS“, so sagt uns, wo die Schläge nicht versetzt werden müssen, wo man sich gegenüber Einheiten, die sich „auf dem Boden“ befinden, behutsam verhalten muss. Darauf gibt es auch keine Antwort.

Vor kurzem machte der Präsident der USA Barack Obama im Interview mit CBS einige interessante Erklärungen, darunter über die Notwendigkeit der Koordination der Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus, darunter mit der „Freien Syrischen Armee“. Wir rufen eben auch dazu auf, und schon nicht den ersten Tag, nicht die erste Woche. Der Präsident trat dafür ein, die Koordination mit der Koalition, die die USA leitet, in geregelte Bahnen zu bringen, trotz der Tatsache, dass in Syrien diese Koalition illegitim agiert – sie wurde dort nicht eingeladen, der UN-Sicherheitsrat nahm keine Beschlüsse an. Aber wenn der Präsident der USA Barack Obama zur Koordination mit der „Freien Syrischen Armee» aufruft, sind wir dann auch bereit. Wir wandten uns bereits seit langem an die Amerikaner, an die Länder der Region, darunter an die Saudi-Araber, die Vertreter Katars, die Türken mit der Bitte, uns zu sagen, mit wem von denjenigen, wer die „Freie Syrische Armee“ vertritt und sie tatsächlich leitet, man sprechen kann. Uns wurde versprochen, einige Namen zu nennen. Bis dahin warten wir noch.

Aber wenn man über die Koordination spricht, wozu der Präsident Barack Obama aufruft, so ist viel weitrechender als die „Freie Syrische Armee“, weil die über sie bekannten Daten sehr widersprüchlich sind: sie wandert, zerfällt hin und wieder in kleine Einheiten, die sich mal  „Dschabhat-an-Nusra", mal dem „IS“, mal den anderen ziemlich radikalen Gruppen anschließen. Alle räumen ein, dass diese Struktur im Prinzip kein einheitliches Militärkommando hat.

Frage: Die Nachricht von gestern: irgendeine Koalition „Demokratische Kräfte Syriens“ ist entstanden.

Sergej Lawrow: Ja, „Demokratische Kräfte Syriens“. Anscheinend entstand diese Struktur, um die Stafette von der „Freien Syrischen Armee“ zu übernehmen. Wissen Sie, man muss sich an den Tisch setzen und ehrlich sprechen. Weil so ein Durcheinander im Informationsraum bezüglich dessen herrscht, wer was und warum in Syrien macht, den Terroristen nur verhilft, aus der Situation ihren Nutzen zu ziehen. Und diejenigen, die über den Kampf gegen den Terrorismus als das wichtigste Ziel sprechen, wenn ihre Erklärungen aufrichtig sind, müssen sich zusammentreffen und praktische Aufgaben zusammen lösen. In das von uns ins Leben gerufene Informationszentrum in Bagdad mit der Teilnahme des Iraks, Irans, Syriens und unserer Militärs luden wir auch für die Teilnahme die Amerikaner, Türken, jedes Land ein, das seinen Beitrag zu diesem Kampf leisten kann und will. Wenn Bagdad als Ort für solche gemeinsame Arbeit nicht passt, so sind wir bereit, in jedem Land, der Hauptstadt der Region mit allen Teilnehmern der Koalition zu arbeiten, die die USA ins Leben riefen, und unsere Handlungen zu vereinbaren. Unsere Militärs sagten das mehrmals den Vertretern des Pentagons, darunter im Verlauf der vorgestrigen Videokonferenz.

Frage: Meiner Meinung nach gibt es einige Nuancen. Vor kurzem veröffentlichte eine sehr angesehene westliche Agentur unter Berufung auf erneut nicht genannte Quellen, dass beim seinem Russland-Besuch der Vertreter Saudi-Arabiens angeblich Russland vorgeschlagen hat, sich der Koalition anzuschließen, die von den USA geleitet wird. Stimmt das?

Sergej Lawrow: Nein, das stimmt nicht. Ich habe von einigen Äußerungen von gewissen Quellen auch gehört, auf die „Reuters“ beruft, davon, dass wir angeblich vor ruinösen Folgen gewarnt wurden. Dem ist nicht so. Das Gespräch lief darüber, worüber ich jetzt mit Ihnen unterhalte -   über die Notwendigkeit, die Bemühungen zu koordinieren. Es wurde deutlich bestätigt, dass wir gegen den Terrorismus, und nicht gegen die patriotische syrische Opposition kämpfen. Im Gegenteil, wir wollen die Handlungen mit dieser patriotischen syrischen Opposition koordinieren und ihr helfen, die Gebiete zurückzugewinnen sowie wir der syrischen Regierungsarmee helfen, die Orte zurückzugewinnen, nachdem wir die Schläge gegen die Positionen des „IS“, „Dschabhat an-Nusra" und übrige Terrorgruppen versetzen. Wir sind auch bereit, der patriotischen Opposition zu helfen, die uns vorgestellt und mit der uns bekannt gemacht werden soll. Wir sind dazu absolut bereit. Ich glaube es wichtig, zu sagen, dass es mit dem Nachfolger des Kronprinzen Saudi-Arabiens ein ehrliches, aufrichtiges Gespräch gab. Alle Besorgnisse unserer saudi-arabischen Kollegen dafür, dass wir irgendwelche andere Ziele haben und bei der Unterstützung der syrischen Armee im Kampf gegen den Terrorismus das Regime in Syrien retten wollen, wurden zerstreut. Wir erörterten unsere wahren Ziele - wir sprechen offen darüber, und ich glaube, dass das Verständnis unserer Position wesentlich gefestigt wurde.

Frage: Vor einigen Stunden sind die Informationen eingegangen, dass das Pentagon die sogenannte syrische Opposition mit 50 Tonnen der Munition versorgt hat. Dabei wird es besonders betont, dass diese Opposition darauf geprüft wurde, ob sie mit dem „IS“ zusammenarbeitet – das ist angeblich diese Opposition, die gegen Terroristen kämpft. Sind Sie nicht besorgt für die Wahrscheinlichkeit, dass die Terroristen an diese Waffen und Munition kommen können?

Sergej Lawrow: Ich sage Ihnen ehrlich, dass wir keine besonderen Zweifel haben, dass der bedeutende Teil (zumindest) dieser Waffen direkt den Terroristen in die Hände fallen wird. Das ruft die Besorgnis hervor, darunter auch in den USA, wo die Öffentlichkeit, der Kongress bereits beginnen, die Fragen bezüglich der bisherigen Versuche, die gemäßigte Opposition zu unterstützen, zu stellen. Insbesondere kam es jetzt in Amerika zu einem Skandal bezüglich einiger Hundert Jeeps der Marke „Toyota“, die die Amerikaner wegen der Lieferung an die „Freie Syrische Armee vermasselten. Alle IS-Anhänger fahren mit diesen Jeeps, montierten schwere Maschinengewehre darauf, schießen damit und bringen ihre zerstörenden Ideen zu den Massen. Traurig. Ich sah heute irgendwelche Nachrichten, wenn ich mich nicht irre, von „Euronews”. Dort wurde gesagt, dass nachdem Russland die Luftoperation in Syrien begann, änderten die Amerikaner ihre Taktik, verzichteten auf das Programm der Vorbereitung und Ausbildung der Opposition für den Kampf gegen Terroristen und beschlossen, den nicht vorbereiteten, nicht geschulten Oppositionellen aus der Luft Waffen abzuwerfen. Komisch. Ich kann nur nicht verstehen, was hat der Verweis damit zu tun, dass gerade nach dem Start unserer Operation sie die Taktik änderten. Und vielleicht ist es besser, die Waffen immerhin den geschulten Menschen zu übergeben, und es ist sehr wichtig, sie zu prüfen.

Sie sagten, dass sie anscheinend darüber Bescheid sagten, dass solche Prüfung durchgeführt wurde. Wir warten von ihnen Antworten auf unsere Bitte, zu sagen, mit wem aus der patriotischen Opposition zusammengearbeitet werden kann. Vor kurzem gab es die Information, dass sie auf die Programme der Vorbereitung verzichteten, weil es aufwendig ist und nicht alle richtig vorbereitet werden können. Sie beschlossen, nur die Chefkommandeure der Kompanien und Truppen vorzubereiten. Wir sehen also nur wenig Konkretes, was die Amerikaner in Syrien machen und warum es von so vielen Lufteinsätzen keine bedeutenden Ergebnisse erreicht wurden. Von den 25 000 Kampfflügen, die sie verwirklichten, konnte ganz Syrien dem Erdboden gleichgemacht werden.

Frage: Es gibt Expertenmeinungen dazu, dass der Widerstand gegen den „Islamischen Staat“ in Wirklichkeit die Chance für die Verbesserung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington ist, sogar zwischen Russland und dem Westen. Inwiefern ist dieses Szenario wahrscheinlich?

Sergej Lawrow: Darüber sagte der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, als er bei der UN-Generalversammlung auftrat. Eigentlich machte er einen Vergleich mit der Bildung der Anti-Hitler-koalition. Aus der Sicht des Westens war die UdSSR ein Übel, aber als der Faschismus und Hitler mit seiner neuen Ordnung erschienen waren, wurde keine Aufmerksamkeit mehr den ideologischen Differenzen zwischen dem Kommunismus und Kapitalismus, zwischen der sozialistischen Wirtschaft und Marktwirtschaft geschenkt.

Frage: Wir haben übrigens jetzt überhaupt keine ideologischen Differenzen.

Sergej Lawrow: Ja, es gibt keine solchen Differenzen. Wenn schon damals die zwei gegenüberstehenden Systeme verstanden hatten, dass ihnen die Todesgefahr droht und vereinigten sich gegen den gemeinsamen sehr schweren Feind, so wäre es wahrscheinlich jetzt möglich, ausgehend von der Erfahrung unseres gemeinsamen Zusammenwirkens in vielen Fragen, der Erfahrung des kalten Krieges, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und solch eine Koalition ins Leben zu rufen, trotz der Meinungsverschiedenheiten zu diversen Fragen – sie sind nebensächlich.

Frage: Könnte die breite Anti-Terror-Koalition zum Beispiel unter der Schirmherrschaft der UNO ins Leben gerufen werden?

Sergej Lawrow: Vollkommen. Wir schlagen auch vor, das jetzt zu machen. Bei seiner Rede auf der UN-Generalversammlung kündigte der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, an, dass wir eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats auf Ebene der Minister abhalten, deren Türe nicht nur für 15 Mitglieder des Sicherheitsrats, sondern auch für alle Interessierten der UN-Mitglieder offen steht. Die Sitzung ist der Analyse der Ursachen des Geschehenen im Nahen Osten und in Nordafrika und der Erarbeitung der gemeinsamen Herangehensweisen im Kampf gegen den Terrorismus und bei der Regelung der Konflikte gewidmet. Das alles ist eng miteinander verbunden.

Von den nicht gelösten Konflikten, insbesondere dem palästinensisch-israelischen Konflikt profitieren diejenigen, die die Anhänger der extremistischen Handlungen für ihre Reihen werben. Wir führten diese Sitzung am 30. September durch, als wir im UN-Sicherheitsrat den Vorsitz hatten. Daran nahmen mehr als 80 Delegationen teil, die meisten von ihnen auf der Ebene der Außenminister. Nach der Sitzung brachten wir den Resolutionsentwurf ein, der eben darauf gerichtet ist, worüber wir uns jetzt unterhalten: auf die Bildung der Koalition unter der Schirmherrschaft des UN-Sicherheitsrats, die auf Grundlage der UN-Charta und der Beschlüsse ihres Sicherheitsrats mit Zustimmung jener Länder agieren wird, in deren Gebiet die Maßnahmen des Militärcharakters unternommen werden müssen. Dabei muss dem Sicherheitsrat solcher koordinierten Arbeit regelmäßig Bericht erstattet werden.

Diese Herangehensweise ist sehr schwierig zu bestreiten, aber unsere westlichen Partner wollen noch nicht ernste Diskussion führen und geben in den Couloirs  zu verstehen, dass alles dort richtig geschrieben steht, aber nach den politischen Gründen können sie in dieser Frage nicht zusammenarbeiten. Und was für politische Gründe? Es wurde die Koalition bereits ins Leben gerufen, die für den Kampf gegen die Terroristen im Irak legitim ist, da die irakische Regierung darum bat, und die für solche Arbeit in Syrien illegitim ist. Das ist alles. Sie meinen, dass sie keinen UN-Sicherheitsrat brauchen, weil sie das selbst entscheiden werden. In dem UN-Sicherheitsrat sind Russland, China, Venezuela, noch irgendwelche andere Länder vertreten, die nicht immer bereitwillig sind, ihre Initiativen zu unterstützen. Das ist eine sehr gefährliche Tendenz, das wird schlecht enden.

Es fand die UN-Generalversammlung statt. Wir bereiteten vor und führten die Sitzung des UN-Sicherheitsrats zum Kampf gegen den Terrorismus in vollem Einvernehmen mit der Charta, bei der vollen Beachtung der UN-Prärogativen und des Kompetenzbereiches des UN-Sicherheitsrats als Hauptorgan, der für die Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in der Welt zuständig ist. Unsere US-Partner führten auch die Veranstaltung zum Kampf gegen den Terrorismus im Raum der UNO durch, aber auf keine Weise in Einvernehmen mit der Charta, den Regeln des UN-Prozedere. Sie luden einfach diejenigen ein, die sie dort zu sehen wünschten. Wir wurden auch eingeladen, wir wohnten der Veranstaltung bei. In diesem Zusammenhang entstehen einige Bedenken. Erstens, warum muss diese Veranstaltung unbedingt außerhalb des Rahmens der Regeln und des Prozedere der UN-Vollversammlung, ohne Anpassung an die UNO, sondern einfach auf ihrem Territorium durchführen? Zweitens, die Liste der Eingeladenen. Ich verstehe nicht, warum jemand über Bord blieb. Zum Beispiel, die Vertreter Kosovos wurden gleichberechtigt mit den UN-Mitgliedsstaaten eingeladen, saßen mit dem gleichen Schild. Die Amerikaner legten damit den Generalsekretär herein, der auf die Eröffnung dieses Forums und die ganze Organisation der Vereinigten Nationen eingeladen wurden.

Ich erinnere daran, als wir  an der Überwindung der Folgen der georgischen Aggression gegen Südossetien 2008 arbeiteten, wurden in Genf Mechanismen geschaffen, in deren Rahmen mit der Teilnahme Abchasiens, Südossetiens, Georgiens und mit der Unterstützung Russlands, der USA, der EU, der UNO, der OSZE die Fragen der Sicherheit und die Probleme des humanitären Charakters, darunter die Probleme der Flüchtlinge, besprochen wurden. Die Diskussion war natürlich kompliziert – kurz nachdem dieser blutige Konflikt zu Ende gegangen war, brachten plötzlich die Georgier auf der UN-Generalversammlung den Resolutionsentwurf mit der Forderung ein, alle Flüchtlinge aus Georgien nach Südossetien und Abchasien auf ihren Wohnort zurückzuholen, also diese, die vom Konflikt nach Georgien aus Abchasien und Südossetien liefen. Die Abchasen und Südosseten sagten: „Wenn Sie nicht wollen, das dort zu besprechen, wo wir vereinbarten, dann geben Sie uns die Möglichkeit, nach New York zu kommen und unseren Standpunkt bei der Erörterung dieses Resolutionsentwurfs darzulegen“. Das hing nur von den Amerikanern ab - dass sie die Visen den Vertretern Südossetiens und Abchasiens geben. Sie weigerten sich, das zu machen. Jetzt, wenn sie wollen, eine nicht anerkannte Struktur  - Kosovo, in die UNO zu bringen, missbrauchten sie ihren Status als Gastgeberland des Stabsquartieres, gaben die Visen, brachten ins Stabsquartier der UNO, ohne irgendwelchen vom UN-Sekretariat ausgestellten Ausweis. Das auch charakterisiert ihre Beziehung zu dieser Organisation.

Ich verstehe, es ist vielleicht leichter diejenigen einzuladen, wer auf dich vollkommen hört und mit ihnen irgendwelche Aufgaben zu lösen, das alles als einen gewissen Willen der Weltgemeinschaft, der internationalen Koalition darzustellen. Natürlich ist es viel schwieriger, in die UNO zu kommen und mit der Teilnahme Russlands, Chinas und vielen anderen Entwicklungsländern, die eine selbständige Meinung zu den außenpolitischen Fragen haben, zu vereinbaren. Natürlich ist es schwieriger, und es nimmt mehr Zeit in Anspruch. Aber die Kompromisse und Vereinbarungen, die mit denen erreicht wurden, die nicht gleich mit dir zu jeder Frage denken, sind um vieles langlebiger und effektiver.

Frage: Sind Sie überzeugt, dass wir alle außenpolitischen Risiken berücksichtigten und was in dieser grundsätzlich neuen geopolitischen Realität, die am 30. September dieses Jahres entstanden ist, wir vollwertige, hundertprozentige, feste Verbündeten haben? Zum Beispiel, auf dem postsowjetischen Raum?

Sergej Lawrow: Wir haben Verbündeten auf dem postsowjetischen Raum, in der OVKS. Sie haben eine außenpolitische Selbstständigkeit, hinter dem Rahmen ihrer Verpflichtungen auf der Ebene der OVKS. Sie, wie auch wir, haben Multi-Vektoren-Außenpolitik. Wir kapseln uns vor keinem ab, im Gegenteil. Jetzt beginnen unsere Partner, ihre Patt-Politik durch Sanktionen und Versuche Russland zu isolieren, zu verstehen. Wie kann es um Isolation gehen? Erst vor kurzem war der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, in New York. Dort "roch" nach der Isolierung überhaupt nicht, im Gegenteil: alle strebten sogar an, sich zu unterhalten, während einiger Stunden fanden mehr als zehn Treffen statt. Sogar jetzt, wenn unsere Partner von der Perspektivlosigkeit ihrer aktuellen Politik überzeugt sind, befolgen sie weiterhin diese Politik. Sie sind nicht bereit, über konkrete Fragen, die das Zusammenwirken auf der Ebene unserer Ämter betreffen, zu sprechen (sie legten alle Kontakte auf der Ebene der Militärs, Rechtsschutzorgane aufs Eis; zum Beispiel, die EU legte alle Dialoge zwischen Moskau und Brüssel aufs Eis) – dann wollen wir über die Fragen sprechen, über die Sie bereit sind, zu sprechen. Zum Beispiel, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, mit der wir uns am Rande der gewöhnlichen internationalen Veranstaltungen regelmäßig treffen, wird keinesfalls nach Moskau fahren, weil jemand sie dahin nicht fahren lässt. Die Mehrheit ist bereit, sie bei ihrer Fahrt nach Moskau zu unterstützen, und einige Länder, die sich auf das Prinzip des Konsenses - auf die sogenannte „berüchtigte Solidarität“ stützen….

Frage: Dem Vorsitzenden der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, zufolge, der vor kurzem sagte, dass die Beziehungen mit Russland verbessert werden müssen, gibt es ein gewisses Washingtoner Diktat. Ihm zufolge reizt das nicht, aber auch das Diktat Washingtons ist unangemessen.

Sergej Lawrow: Ich las heute früh mit Verwunderung ein Zitat aus der Rede des Ministerpräsidenten Bulgariens, Bojko Borissow, der ankündigte, dass Bulgarien im Interesse der USA auf die Umsetzung der Energie-Projekte mit Russland verzichtete, darunter der „Südstrom“, das Atomkraftwerk, die Erdölleitung „Burgas-Alexandroupolis“, und jetzt sollen die USA Bulgarien helfen, die Visafreiheit zu bekommen usw. Verblüffend.

Frage: Und die NATO soll Kiew helfen, den Luftraum Bulgariens unter Kontrolle zu stellen.

Sergej Lawrow: Vielleicht. Einfach verblüffend, wie sich die Menschen solcher Erklärungen nicht schämen. Mir wäre es peinlich vor den Wählern, vor dem Volk.

Aber nichtsdestoweniger ist es unmöglich, alle Risiken zu berücksichtigen. Die Außenpolitik soll natürlich pragmatisch sein und die Ziele verfolgen, die nicht zerstörend sind, sondern schöpferisch sind. Das ist richtig für ein beliebiges Land. Aber für ein solches Land, wie Russland, für ein beliebiges großes sich selbst respektierendes Land, soll sich die Außenpolitik immerhin maximal noch auf das Prinzip der Würde, der Achtung des eigenen Volkes, der Geschichte, der Achtung der Kultur, der Überzeugungen stützen. Wir bemühen uns, den Pragmatismus und die Empfindung der eigenen Existenz als Macht, als Land zu kombinieren, das für die Gerechtigkeit immer auftrat. Diese Empfindung der Gerechtigkeit in den internationalen Angelegenheiten, wie auch im Leben im Ganzen, ist sehr wichtig. Das stört dabei nicht, die pragmatischen Ergebnisse anzustreben. Hingegen, wenn die Menschen sehen, dass abgesehen davon, dass du nach irgendwelchen objektiven Vorteilen, die für dein Land notwendig sind, suchst, und du machst es, indem du die Prinzipien der Gleichberechtigung und der Gerechtigkeit auf der Weltarena verteidigst, so wächst die Achtung und Unterstützung solcher Position in der Welt.

Frage: Kann die Russophobie, an der unsere europäischen, baltischen und andere Partner leiden, kuriert werden?

Sergej Lawrow: Ja. Ich glaube, man muss einfach mehr miteinander kommunizieren, nicht die akutesten Gespräche vermeiden. Wenn du mit dem Menschen direkt sprichst, gestattest du ihm, all das auszusprechen, was er negativ sagen will, und reagierst später. Ich denke, es ist immer besser, als von einem Podest, rusophobe Erklärungen zu hören, und von einem anderen, auch mit dem Megaphon zu antworten. Es ist immer schlecht.

Frage: Es sieht so aus, dass gegen uns zwei Informationsfronten geöffnet sind: "syrische" und "ukrainische", die letzte lässt sich auch von Zeit zu Zeit von sich hören. Zu Syrien werden grobe Vergleiche mit Afghanistan gemacht –angeblich wird Russland, wie im Sumpf, einsinken, und sich mit allen verzanken. Der ukrainische Karrierediplomat heißt, wenn ich mich nicht irre, Andrej Meljnik, deutete letzte Zeit mehrmals an, dass im Donezbecken wieder Kämpfe aufflammen. 

Sergej Lawrow: Derartige Persönlichkeiten wollen es wahrscheinlich, dass es wieder aufflammt, weil auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Volkes vom Geschehenen in der Wirtschaft, im sozialen Bereich, von der Unfähigkeit, die Korruption zu bändigen, abgelenkt werden kann. Dann kann man eigentlich nicht besonders auf die Fragen antworten“: Wo sind die Milliarden aus dem Internationalen Währungsfonds hin? Über welche Banken gingen sie? In den Taschen welcher Oligarchen und auf welchen Inseln sie sich jetzt befinden?“. Natürlich gibt es also die Interessenten, dass alles wieder aufflammt. Und wir wollen, dass Kiew die Verpflichtungen erfüllt, und durch den direkten Dialog mit Donbass alles umsetzt, was es in Minsk unterschrieben hatte. Das betrifft die Verfassungsreform, den ständigen Sonder-Status Donbass, die Amnestie. Das betrifft die Vereinbarung der Fragen der Durchführung der Wahlen zu den lokalen Behörden auf dem Territorium der ausgerufenen Republiken mit Donbass.

Man muss direkt sprechen, das ist der Schlüssel zur Regelung der ukrainischen Krise, übrigens auch zur Regelung der Syrien-Krise. Es gibt zwei Informationsfelder, aber nur ein und derselbe Schlüssel zur Regelung. Die Behörden und die Opposition sollen miteinander sprechen. Nur im ukrainischen Fall verzichten die Behörden auf einen direkten Dialog und versuchen, irgendwelche Lösungen aufzudrängen, und einige Länder des Westens geben sich ihnen solidarisch. Und im Fall mit Syrien zeigt sich der Westen mit der Opposition solidarisch, die mit Baschar al-Assad nicht sprechen will. Obwohl ein beliebiger Konflikt nur durch den direkten Dialog gelöst werden kann.

In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, wenn sie meinen, dass Baschar al-Assad, wie sie sagen, Tyrann ist, an seinen Händen Blut klebt und mit ihm es einfach unmöglich ist, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, so wollen wir uns daran erinnern, wie die Amerikaner mit den Taliban bis jetzt arbeiten. Als die Taliban als Struktur und ihre viele Anführer namentlich in die terroristische Liste des UN-Sicherheitsrats aufgenommen worden waren, öffneten die Amerikaner in Doha, wenn ich mich nicht irre, mit ihnen den Kanal des direkten Dialoges. Als der Präsident der USA Barack Obama kritisiert wurde, warum er mit den Terroristen spricht und mit ihnen verhandelt, sagte er, dass mit den Freunden keine Verhandlungen geführt werden, sondern mit den Feinden. Das bedeutet, dass dieses Prinzip nicht auf andere Situationen übertragen werden kann, wenn die Amerikaner eine andere Tagesordnung haben. Das sind genau diese doppelten Standards.


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