ООН
Rede des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, beim allrussischen Jugend-Bildungsforum „Terra Scientia“ am 15. August 2019 in Solnetschnogorsk
Guten Tag!
Vielen Dank für eine herzliche Begrüßung! Wir treffen uns schon nicht zum ersten Mal mit den Teilnehmern des Forums „Terra Scientia“, doch zum ersten Mal in diesem malerischen Ort. Für jene, die aus Moskau kommen, ist das bequemer, weil es näher ist. Jedenfalls waren alle früheren Treffen ziemlich ergiebig.
Wir werden durch das Interesse gespeist, das in unserer Gesellschaft zur Außenpolitik, dem internationalen Leben vorhanden ist, und freuen uns immer, unsere Kenntnisse, Erfahrung und praxisbezogene Tätigkeit zu nutzen, um dieses Interesse seitens unserer Staatsbürger zu befriedigen. Es ist besonders wertvoll, wenn sich für Probleme der Außenpolitik die Jugendlichen interessieren. Letzten Endes sind es sie, die die Zukunft Russlands und den künftigen Platz Russland im internationalen Leben in der modernen Welt bilden werden.
Es gibt immer Feedback, interaktive Kommunikation. Für mich und meine Kollegen (ich sprach mit meinen Stellvertretern, Direktoren der Abteilungen, die auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft kommunizieren) sind solche Treffen ein sehr wichtiges Feedback. Wenn wir nicht wissen, welche konkrete Probleme des internationalen Lebens unsere Staatsbürger, darunter vor allem die Jugend, beunruhigen, werden wir in unserer Außenpolitik wohl blind gehen. Für uns ist sehr wichtig das zu machen, was den Interessen unseres Landes entspricht, es wird natürlich von unserem Volk verkörpert und vertreten.
Ich werde nicht ausführlich über die aktuellen Tendenzen in der Welt sprechen. Darüber sprach mehrmals der Präsident Russlands, Wladimir Putin, es gab unter anderem vor kurzem eine umfassende Diskussion auf dem Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum. Ich würde nur sagen, dass die Haupttendenz die Konfrontation zwischen der sich objektiv bildenden, neuen polyzentrischen, mehr gerechten und demokratischen Weltordnung auf der einen Seite, und dem Streben einer engen Gruppe der Staaten mit den USA an der Spitze, diese gerechte Weltordnung zu verhindern, und sich mit allen Kräften die Dominanz in allen Bereichen des internationalen Lebens zu sichern – militärpolitischen und wirtschaftlichen, im Bereich Deutung der Normen des Respektierens der Menschenrechte und Geschichte, was ebenfalls jetzt ein sehr wichtiges Thema ist, auf der anderen Seite. Sogar im Bereich Sport laufen erbitterte Kämpfe, die vor allem darauf gezielt sind, dass eine angelsächsische Gruppe der Staaten die Regeln bestimmt, was die Bestrafung für Anwendung von Doping und Bestimmung der Verantwortlichen betrifft.
Eine andere ernsthafte Tendenz, die sich bei der Politik unserer westlichen Kollegen zeigte, ist ihr Streben, das Völkerrecht, das nach seinem Begriff universell abgestimmte Normen und Prinzipien darstellt, durch gewisse Regeln auszutauschen, die unsere westlichen Kollegen in ihrem engen Kreis ausarbeiten und sie danach als Wahrheit in letzter Instanz vorlegen, nach der sich alle restlichen Mitglieder der internationalen Gemeinschaft richten sollen. Während der Diskussion würde ich einzelne Beispiele anführen, wenn sie daran interessiert sein werden. Es gibt sie sehr viele.
Es entstehen neue Machtzentren in Eurasien, Asien-Pazifik-Region, Lateinamerika und Afrika. Doch trotz Aufstellung der Weltordnung, die ausgewogen sein und sich auf Respekt der Interessen aller Akteure stützen wird, versucht der Westen, seine Dominanz trotz eines objektiven Verlaufs des historischen Prozesses beizubehalten. Allerdings soll der historischen Wahrheit stattgegeben werden – vor rund fünf Jahrhunderten diktierte der Westen die Spielregeln in der modernen Welt. Doch das Leben ändert sich, die Kolonialepoche gehört der Vergangenheit an. Die Zentren des Wachstums der Weltwirtschaft und Weltfinanzen verschieben sich vom Westen in andere Regionen der Welt. Zur Bekämpfung dieser Tendenz greifen unsere westlichen, vor allem amerikanischen Kollegen, zu den schmutzigsten Methoden, unlauterem Wettbewerb, wobei versucht wird, sich einseitige Vorteile zu verschaffen. Es werden dazu Wirtschaftssanktionen, Erpressung, Drohungen, Ultimaten, direkter Druck, darunter Anwendung der militärischen Gewalt, wie es mit Interventionen in Jugoslawien 1999, in den Irak 2003, Libyen 2011 der Fall war, eingesetzt. In keinem dieser Fälle wurde das Leben der Menschen, die aggressiv angegriffen wurden, besser. In Libyen steht nun die Staatlichkeit infrage, bei deren Wiederherstellung wir aktiv versuchen zu helfen.
Wir setzen solchem illegitimen und rechtswidrigen Kurs unserer westlichen Kollegen unsere Position entgegen, die sich auf das Konzept der Außenpolitik der Russischen Föderation stützt, das von Russlands Präsident gebilligt wurde. Die Fassung dieses außenpolitischen Konzeptes wurde erneut 2016 gebilligt. Es geht vor allem aus der Notwendigkeit aus, maximal günstige Bedingungen für die Entwicklung unseres Landes zu gewährleisten, darunter ihre wirtschaftliche Entwicklung, Lösung der sozialen Probleme. Für diese Ziele sollen wir ein sicheres Umfeld, maximal günstige Bedingungen für unsere Staatsbürger und die Tätigkeit unserer Wirtschaftsvertreter in der ganzen Welt sichern. Diese Ziele müssen, wie im Konzept der Außenpolitik festgeschrieben, ausschließlich auf Grundlage des Respektes des Völkerrechts, vor allem solcher Bestandteile wie das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Respekt des Rechtes der Völker, ihr Schicksal ohne äußere Einmischung selbst zu bestimmen, friedliche Regelung der Streitigkeiten, Unannehmbarkeit der Gewaltbedrohung bzw. Gewaltanwendung. Das sind die Prinzipien der UN-Charta.
Wenn wir die Tätigkeit der UN-Vollversammlung nach jeder ihrer Jahressession analysieren, können wir uns leicht darin vergewissern, dass die überwiegende Mehrheit der UN-Teilnehmerstaaten identische mit Russland Positionen haben. Meines Erachtens ist es einfach nicht ernsthaft, in der jetzigen Situation darüber zu sprechen, dass die Politik Washingtons bzw. Brüssels bei der so genannten „Isolation“ Russlands irgendwelche Ergebnisse bringt. Dabei stellen wir uns nicht in eine Pose des Beleidigten, sind immer zu einem offenen und fairen Gespräch mit unseren Partnern im Osten, Süden und Westen offen - beim Verständnis, dass das Gespräch auf Grundlage der Gleichberechtigung und Respekt der jeweiligen Interessen erfolgen und auf die Suche nach Lösungen der Streitfragen geführt werden soll, die sich auf das Gleichgewicht der Interessen stützen werden.
Frage: Sie haben gestern beim Treffen mit Prorektor der Hochschule für Wirtschaft die Soft Power Politik besprochen. Wie schätzen Sie dieses Konzept ein? Wie denken Sie, welche wichtigste Vektoren der Entwicklung von Soft Power sind in Russland in der heutigen Etappe vorhanden?
Sergej Lawrow: Soft Power ist eigentlich eine natürliche Folge der technologischen Änderungen in der Welt. Während die Außenpolitik früher in der Lösung der Fragen von Krieg und Frieden bestand – wer wen ergreift, und dann werden Verhandlungen aufgenommen, oder vor den Kampfhandlungen wird versucht, eine Vereinbarung zu erreichen - das war, worauf sich die Außenpolitik in den Jahren stützte, als es keine modernen Technologien gab. Jetzt können eigene Interessen in der jeweiligen Region bzw. Staat der Welt mit deutlich weniger zerstörerischen Methoden gewährleistet werden, ohne Anwendung der militärischen Kraft, wobei die öffentliche Meinung beeinflusst wird, indem das ganze Spektrum der existierenden Möglichkeiten genutzt wird – Internet-Ressourcen, Soziale Netzwerke. Man sollte ihnen nicht ausführlich erzählen, wie man heute die eigenen Ideen, eigene Einschätzungen, eigene Meinung fast allen übermitteln kann.
Ein weiterer Aspekt, der ebenfalls bei der Frage Soft Power ziemlich bedeutend ist, ist die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen. In Russland unterstützen wir die Entwicklung der NGOs im Bereich internationale Tätigkeit. Wir stellten auf und unterstützten im Laufe von vielen Jahren Partnerschaftsbeziehungen mit unseren gemeinnützigen Organisationen, die sich für unsere Außenpolitik interessieren. Leider gibt es sie nicht so viele. So haben etwas mehr als 60 Organisationen einen Beratungsstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOS). Nicht weil wir ihnen nicht helfen – wir helfen allen, die solchen Status bekommen wollen. 60 ist eine nicht schlechte Zahl. Früher gab es einzelne Fälle. Doch es gibt Tausende NGOs der westlichen Länder, die einen Status bei UN-Strukturen haben. Unsere Zivilgesellschaft hat wohl noch Ziele, die angestrebt werden können. Wir unterstützen aktiv das Interesse der Nichtregierungs-Gesellschaft an der internationalen Problematik. Auf der Ebene der Abteilungen des Außenministeriums Russlands finden jeden Monat Treffen mit entsprechenden profilierten Nichtregierungsorganisationen statt. Rund einmal pro Quartal treffen sich meine Stellvertreter mit Vertretern dieser Organisationen. Jedes Jahr findet ein allgemeines Treffen unter meiner Teilnahme statt, bei dem wir sehen, welche Bedürfnisse noch die Nichtregierungsorganisationen haben, bei deren Umsetzung wir als Außenministerium helfen können.
Zu den Instrumenten von Soft Power gehören die Medien. Da entstehen sehr viele Fragen. Wenn wir von einem fairen Wettbewerb sprechen, können unsere Nichtregierungsorganisationen trotz Zurückbleiben bei der Zahl bei der Verteidigung der Ideen ernsthafte Konkurrenz bieten, die die Grundlage von Gerechtigkeit, Wahrheit, Völkerrecht bilden. Leider verfolgen viele westliche Nichtregierungsorganisationen andere Prinzipien und verzichten nicht auf schmutzige Methoden, um den Kurs durchzusetzen, der ihre Sponsoren interessiert. Solche Nichtregierungsorganisationen werden in vielen Fällen vom Staat gegründet und finanziert. Die überwiegende Mehrheit der führenden amerikanischen NGOs bekommt Geld von der United States Agency for International Development, die aus dem US-Haushalt finanziert wird. Das International Republican Institute, das National Democratic Institute – das sind die Strukturen, die in einem jeweiligen Maße staatliche Unterstützung bekommen. Sie werden dann schon zahlreiche Organisationen finanzieren, die sich mit einzelnen Aspekten des internationalen Lebens befassen.
Mir scheint, dass die Gerechtigkeit auf unserer Seite ist. Wir müssen sie weiterhin aktiv verteidigen, die quantitative Präsenz Russlands auf internationalen Plattformen ausbauen. Wir verlieren bislang quantitativ, doch was Medien betrifft, schufen alleine RT und Sputnik zu zweit die Situation, wenn sie die Hauptbedrohung für die öffentliche Meinung im Westen genannt werden. Vor kurzem fand übrigens in London eine Globale Konferenz für Medienfreiheit statt. RT und Sputnik wurden da einfach nicht eingeladen, wobei argumentiert wurde, sie seien keine Medien, sondern „ein Propaganda-Instrument“. Wie gefällt das ihnen? Wenn solche Prinzipien, Kriterien zur Arbeit im Soft-Power-Raum angewendet werden, sieht das alles als ein weiterer Versuch aus, sich einseitige Vorteile via unlauteren Wettbewerb zu sichern.
Wir werden weiterhin jene unterstützen, die in der russischen Zivilgesellschaft an der Projizierung unseren Soft Powers im Bereich Schutz der Menschenrechte, Kampf gegen Armut, Kampf für saubere Umwelt, bei jeden anderen Problemen, die international besprochen werden, interessiert sind. Wir werden sie aktiv unterstützen. Wenn ein Interesse besteht, wenn es eine Organisation gibt, die zur Kooperation mit dem Außenministerium noch nicht herangezogen wurde, wenden sie sich bitte an uns, wir werden sie aktiv unterstützen.
Frage: Die Kurilen-Inseln sind ein Teil Russlands, doch die Ansprüche der japanischen Seite bezüglich dieses Gebiets bleiben immer noch bestehen. Wie sieht die Regelungsstrategie mit der japanischen Seite bei dieser Frage aus?
Sergej Lawrow: Die Strategie ist einfach. Russlands Präsident Wladimir Putin hob unser Herangehen zu diesem Problem mehrmals hervor. Es ist äußerst transparent und klar. Russland ist ein Nachfolgestaat der Sowjetunion. Alle anderen Republiken sind Rechtsnachfolger, wir sind neben Rechtsnachfolgern noch ein Nachfolgestaat. Gerade in dieser Funktion wurden wir im Dezember 1991 anerkannt und verlängerten automatisch angesichts solchen Statuses unsere ständige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Deswegen wurden die internationalen Verpflichtungen, die die Sowjetunion übernahm, von uns nochmals bestätigt, wir sind bereit, sie zu erfüllen. Dazu gehört die Gemeinsame Erklärung der Sowjetunion und Japans 1956, wo eindeutig erklärt wurde, dass Russland und Japan nicht mehr gegeneinander kämpfen, einander nicht als Feinde betrachten und die Beziehungen auf Prinzipien der Friedensliebe und guten Nachbarschaftsbeziehungen aufbauen werden. Im Artikel 9 der Erklärung heißt, dass ausgehend aus dem freundschaftlichen Verhalten zu Japan, angesichts der Interessen des japanischen Volkes, die Sowjetunion bereit ist, nach dem Abschluss des Friedensvertrags als Geste des guten Willens Japan die Inseln Chabomai und Schikotan zu übergeben. Gerade nach dem Abschluss des Friedensvertrags. Nach der Auflösung der Sowjetunion bestätigte Russland wieder diese Verpflichtung neben den anderen. Als neue Kontakte zwischen Moskau und Tokio aufgenommen wurden, wurde dieses Thema natürlich mit den Regierungschefs Japans besprochen. Letztes Mal vereinbarten es Präsident Russlands Wladimir Putin und der Premier Japans Shinzo Abe, die Verhandlungen zum Friedensvertrag auf Grundlage der Erklärung 1956 zu aktivieren, wo es, wie ich bereits sagte, heißt – zunächst Unterzeichnung des Vertrags, dann die Erörterung der Frage nicht über die Rückgabe, sondern über die Übergabe dieser zwei Inseln im Geiste des guten Willens. Wir gehen dabei davon aus, dass die Unterzeichnung des Friedensvertrags auf die Feststellung der Realien, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten, die Anerkennung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs gerichtet sein soll, nach denen alle vier Inseln der Südkurilen das Territorium der Russischen Föderation als Nachfolgestaat der Sowjetunion sind.
Unsere japanischen Kollegen können ihre Position weiterhin nicht ändern. Sie sagen, dass sie mit Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs im Teil, der sie und uns betrifft, nicht einverstanden sind, obwohl diese Position nicht akzeptiert werden kann, weil sie der UN-Charta widerspricht. In der UN-Charta heißt es, dass alles, was von den Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht wurde, nicht revidiert werden kann. Bislang steckt alles in dem fehlenden Wunsch unserer japanischen Kollegen, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs anzuerkennen, was die Unterzeichnung des Friedensvertrags verhindert.
Ich denke nicht, dass die Situation in Sackgasse ist. Wir richten uns nach den Aufträgen, die uns Russlands Präsident Wladimir Putin nach seinen Verhandlungen mit dem Premier Japans, Shinzo Abe, erteilt. Diese Aufträge richten uns auf die Fortsetzung der Beziehungen zu Japan in allen Bereichen – im handelswirtschaftlichen, innenpolitischen, humanitären Bereich. Darin besteht wohl auch der Sinn aller Handlungen, die unternommen werden sollen, um selbst die schwierigsten Probleme zu lösen.
So machen wir unsere japanischen Kollegen darauf aufmerksam, dass die gemeinsame wirtschaftliche Tätigkeit auf diesen vier Inseln, die wir ihnen vorschlagen, auf Grundlage der gesetzgebenden Akte erfolgen soll, die es in der Russischen Föderation gibt. Wir haben sehr viele zusätzliche Anreize für Investoren in diesem Gebiet – das Territorium der überholenden sozialwirtschaftlichen Entwicklung, der freie Hafen Wladiwostok. Japanische Kollegen können alle diese Vorteile nutzen. Wenn man irgendwelche neuen Ermäßigungen braucht, sind wir bereit, sie zu besprechen, sind zu neuen Zwischenregierungsabkommen bereit. Doch wir können nicht der Idee zustimmen, dass auf unserem Territorium eine Jurisdiktion eingeführt wird, die sich nicht auf die russische Gesetzgebung stützen wird.
Ein weiteres Beispiel – die Sicherheitsprobleme. Sie wissen, dass es auf dem japanischen Territorium US-Militärstützpunkte, viele US-Militärs gibt. Laut dem Vertrag über gegenseitige Zusammenarbeit und Sicherheitsgarantien zwischen den USA und Japan 1960 haben die Amerikaner das Recht, fast in jedem Teil Japans ihre Streitkräfte zu stationieren. Der Vertrag 1960 wurde übrigens nach dem Abschluss der Erklärung 1956 geschlossen. Damit schuf dieser Vertrag Bedingungen, die es bei der Unterzeichnung dieser Deklaration nicht gab. Man hätte diese Deklaration in den Sowjetzeiten erfüllen können, doch es waren gerade die USA, die diesen Schritt Japans verhinderten, weil sie nicht wollten, dass Japan die Beziehungen mit unserem Land normalisiert, und wollte das Thema der Insel ständig zu Konfrontationsstimmungen zwischen uns und Tokio nutzen. Ich unterstreiche – wir sehen das sehr gut.
Wir wollen gute Beziehungen mit unserem japanischen Nachbar. Dazu sollen wir verstehen, erstens, ob Japan bereit ist, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs anzuerkennen, da es Mitglied der Vereinten Nationen ist, und in der UN-Charta eindeutig steht – dass diese Ergebnisse unerschütterlich sind. Zweitens sollen wir verstehen, inwieweit Japan bei Fragen der Außenpolitik und Lösung der Sicherheitsfragen angesichts einer sehr starken Abhängigkeit Tokios von Washington angesichts dieses militärpolitischen Bündnisses 1960, das bereits in einer materiellen, sehr tiefen Präsenz der USA auf den japanischen Inseln verkörpert ist, selbstständig sein wird.
Wenn wir über die Notwendigkeit sprechen, alle Probleme auf Grundlage einer großangelegten Entwicklung der Kooperation zu lösen, können wir nicht ein Auge darauf zudrücken, dass Japan bei allen Fragen, die einen prinzipiellen Charakter haben und Widersprüche in der UNO auslösen, zusammen mit den USA gegen Russland abstimmt.
Wir können nicht ein Auge zudrücken, dass sich Japan, zwar auch in reduzierter Form, den rechtswidrigen illegitimen einseitigen Sanktionen des Westens gegen Russland anschloss, vor allem weil wir unsere Landsleute auf der Krim schützten, die sich weigerten, den verfassungswidrigen Staatsstreich im Februar 2014 in Kiew zu akzeptieren. Darüber kann man sehr viel sprechen, ich habe mich bemüht, die wichtigsten Momente zu kennzeichnen.
Frage: Worauf stützen Sie sich, wenn Sie die Position Russlands in der Außenpolitik erläutern? Wie meinen Sie, welche Politik setzt Russland am erfolgreichsten um – die Innen- oder Außenpolitik?
Sergej Lawrow: Ich habe mich bemüht, in meiner Einführungsrede kurz zu sagen, worauf sich Russland bei der Umsetzung seiner Außenpolitik stützt. Wir haben ein Konzept der Außenpolitik, wo (ich sagte das bereits, werde aber nochmals hervorheben) die Hauptaufgabe festgeschrieben ist – die Gewährleistung von möglichst günstigsten Außenbedingungen für unsere Entwicklung. Unter Bedingungen meine ich die Sicherheit des Landes entlang der ganzen Grenzen, die Möglichkeit für unsere Staatsbürger, geschützt und nicht diskriminiert in der ganzen Welt zu sein, die Unterstützung des russischen Geschäfts, damit es auf Augenhöhe mit seinen Konkurrenten rivalisieren kann. Das alles wird mit Stütze auf das Völkerrecht gemacht.
Was den Vergleich zwischen der Innen- und Außenpolitik betrifft, antworte ich nicht für die Innenpolitik, doch alles, was ich sagte und was im Konzept der Außenpolitik festgeschrieben ist, kennzeichnet eindeutig das Wichtigste – unsere Effizienz in der internationalen Arena hängt entschlossen davon ab, wie erfolgreich wir unser Land, die Wirtschaft, den Sozialbereich entwickeln, wie erfolgreich wir unsere Sicherheit gewährleisten. Da ist der Zusammenhang direkt. Ich bin sicher, dass die Ergebnisse, die wir bereits in der außenpolitischen Richtung erreichten, von allen anerkannt werden, darunter unseren Missgünstigen, und widerspiegeln die Änderungen, die sich in unserer Wirtschaft und innerem Leben in den letzten einigen Dutzend Jahren ereigneten.
Frage: Welche Institutionen sollten konkret geschaffen werden, damit die russischen Staatsbürger Russland ebenso wie ausländische Staatsbürger respektieren?
Sergej Lawrow: Damit die russischen Staatsbürger Russland ebenso wie ausländische Staatsbürger respektieren? Ich verstehe nicht ganz, präzisieren Sie bitte.
Frage: Es gibt die Institution der Familie. Mir scheint, dass sie heute in Russland weniger gefragt ist. Es gibt sie nicht. Eltern befassen sich nicht mit Kindern. Das ist ein Problem.
Sergej Lawrow: Meinen Sie, in Russland? Ich befasse mich mit meinen Kindern. Mir scheint, dass es keinen Mangel an Aufmerksamkeit für unsere traditionellen Werte, darunter die Institution der Familie, Schutz der Kindheit, Mutterschaft gibt. In den letzten Jahren taucht dieses Thema regelmäßig in den Auftritten des Präsidenten, seinen Kontakten mit der Regierung, unseren entsprechenden Gesellschaftsstrukturen auf. Das ist eine unserer Prioritäten, darunter in internationalen Organisationen. Wir verteidigen traditionelle Werte, die Werte der Familie sowohl im Europarat, als auch in der OSZE, besonders vor dem Hintergrund der Versuche, die traditionelle, von Gott gegebene Deutung der Familie zu untergraben und die neoliberalen Herangehen aufzudrängen, die die moralischen Grundlagen jeder Zivilisation, darunter die europäische untergraben.
Ich denke, dass unsere Position auf die härteste Verteidigung dieser Werte und Nichtzulassung der Implementierung jeglicher doppelsinniger Begriffe in völkerrechtliche Dokumente gerichtet sein soll.
Frage: In unserem Land ist für eine falsche Entsorgung des Mülls eine Verwaltungsstrafmaßnahme in Höhe von 1000 bis 2000 Rubel vorgesehen. Wenn man die ausländische Erfahrung ansieht, ist da alles deutlich härter. So drohen in Singapur für eine ähnliche Rechtsverletzung bis 12 Jahre Haft. Dort ist verboten, Kaugummi in der Straße zu kauen, Lebensmittel zu essen und Tauben zu füttern. Eine ähnliche Situation ist in Japan. Wie betrachten Sie diese Erfahrung der ausländischen Länder? Kann und soll in Russland die Verantwortung verschärft werden?
Sergej Lawrow: Wir haben eine ganze Struktur der Organe, die dafür verantwortlich sind. Nicht als Minister, sondern als Staatsbürger verfolge ich, wie Diskussionen zur Schaffung der Müllverarbeitungskapazitäten, Beseitigung der offenen Mülldeponien laufen. Ich denke nicht, dass die Erfahrung Singapurs bei uns funktionieren wird, wo man tatsächlich ins Gefängnis geraten kann, wenn man in der Straße raucht, ein Stummel wirft oder irgendwie noch Müll wirft. Singapur ist ein kleines Land. Dort ist es leicht, Reformen durchzusetzen und ihre Einhaltung zu gewährleisten. Wir haben ein riesiges Territorium. Das ist ein Vorteil, doch auch ein Nachteil im Sinne, dass man sich um dieses Territorium kümmern soll. Ich würde da auch demografische Probleme erwähnen, besonders bezüglich einer gleichmäßigen Besiedlung unserer Staatsbürger in der Russischen Föderation. Man soll so machen, dass sich alle nicht wie mit einem Magnet nach Moskau, Gebiet Moskau, Petersburg bewegen, sondern konkurrenzfähige Bedingungen geschaffen werden, damit Menschen in Sibirien und im Fernen Osten bleiben bzw. dorthin fahren. Das ist ein sehr wichtiges Problem, auch für unsere Außenpolitik angesichts der Tatsache, dass Russland eine eurasische Macht ist. Für uns ist prinzipiell wichtig, den Fernen Osten, Ostsibirien zu entwickeln. Sehr wichtig ist, dass es jetzt in der Regierung einen Vizepremier gibt, er ist auch der Sondergesandte des Präsidenten für diese Frage, es gibt ein spezielles Ministerium.
Was das Außenministerium und das von ihnen erwähnte Thema betrifft, gibt es internationale Dokumente, denen wir uns anschließen. Es gibt kein einziges internationales Übereinkommen, das mit dem Umweltschutz verbunden ist, an dem wir nicht teilnehmen. Wir schließen den Prozess der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens ab, das im Dezember des vergangenen Jahres in der polnischen Stadt Kattowitz deutlich unterstützt wurde, wo ein Mechanismus seiner Umsetzung abgestimmt wurde. Das war prinzipiell wichtig für uns, um zu verstehen, wie das Pariser Abkommen, das einen Rahmencharakter hat, in der Praxis umgesetzt wird.
Was die Erfüllung der Normen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen betrifft, verletzen wir sie nicht. Wir gehören zu den Anführern bei der Erfüllung dieser Richtlinien. Die Gründe sind verschieden, doch das ist bislang so. Ich denke, wir werden innerhalb der Normen noch lange bleiben. Inzwischen werden wir moderne Technologien implementieren, darunter bezüglich der Müllverarbeitung.
Neben den Technologien selbst soll man strikt verfolgen, wie sich Menschen in den öffentlichen Orten benehmen. Ehrlich gesagt ist es in Moskau und Sankt Petersburg sauberer geworden. Doch das sind wohl immer noch nicht perfekte Lösungen.
Frage: Im Gebiet Woronesch und in ganz Russland gibt es sehr viele Naturschutzreservate, wo die Infrastruktur und Verkehrsverbindung sehr gut entwickelt sind. Wie können in Russland ausländische Staatsbürger angelockt werden, der Ökotourismus entwickelt und auf ein neues Niveau gebracht werden? Vielleicht wissen sie über Projekte in anderen Ländern, die ausländische Staatsbürger heranziehen und Ökotourismus entwickeln konnten?
Sergej Lawrow: Man kann nicht in Moskau Ratschläge für alle darüber geben, wie sie vor Ort Ökotourismus entwickeln u.a. sollen. Die dort wohnenden Menschen wissen besser als andere, was bei ihnen einmalig ist, wie die Geschichte dieser Region ist, worauf sie stolz sind. Das attraktiv für Ausländer zu machen – ist wohl nicht so schwer. Es sind ein bisschen Fähigkeiten erforderlich, Touristikfirmen und Spezialisten für Geschichte anzulocken, die Infrastruktur zu gestalten. Doch ich kann nicht Ratschläge geben. Wissen Sie, wenn wir beginnen zu sagen, dass es in Finnland einen Ort gibt, wo Santa Claus wohnt, werden alle dorthin fahren. Doch es gibt auch Väterchen Frost in Weliki Ustjug, und alle fahren zu ihm. Da soll es unbedingt eine örtliche Spezifik geben.
Das Außenministerium Russlands hilft bei der Bewegung zu diesem Ziel, wir erweitern kontinuierlich den visafreien Raum für die Reisen unserer Staatsbürger. 95 Länder haben bereits mit uns Abkommen über Visafreiheit. Fast das ganze Lateinamerika ist visafrei geworden. Ich verstehe, dass es ein bisschen zu weit ist, doch wir haben auch Visafreiheit mit den meisten Nachbarn. Jetzt bewegen wir uns zur Einführung der elektronischen Visa in ganz Russland. Sie werden bereits im Fernen Osten im freien Hafen Wladiwostok, in Kaliningrad und ab Herbst dieses Jahres in Sankt Petersburg und Gebiet Leningrad angewendet. Die Aussicht ist, dass alle unseren Partner in etwa anderthalb Jahren elektronische Visa für die Einreise in die Russische Föderation nutzen können, was natürlich den Tourismus fördern wird, darunter auch Ökotourismus.
Frage: In der letzten Zeit wurde in russischen Städten illegale Werbung von Drogen und andere Propaganda der asozialen Erscheinungen verbreitet. Ich denke, dass diese Frage sehr wichtig ist und operativ gelöst werden soll. Meine Lösung – diese Werbung mit neuen Methoden feststellen und beseitigen – nicht übermalen, sondern mit Besandungsgeräten beseitigen. Wie denken Sie, sollen diese Überschriften und Zeichen operativ gelöscht werden? Werden die Fragen der Drogengefahr auf der internationalen Ebene besprochen?
Sergej Lawrow: Ich bin gegen jegliche Drogenwerbung. Was die Sandstrahlbearbeitung von Wänden angeht, so haben wir wohl zuständige Dienste, die über entsprechende Ausrüstung verfügen. Ich bin gegen jegliche Werbung, egal ob an Wänden oder in sozialen Netzwerken, was ebenfalls ein großes Problem ist.
Russland steht auf seiner prinzipiellen Position. Auf internationaler Ebene wird dieses Problem schon seit langem besprochen. Es gibt das Internationale Komitee für Drogenkontrolle, das sich jedes Jahr in Wien mehrmals versammelt. Bei der Wiener UN-Vertretung gibt es die Verwaltung für Drogen und Kriminalität, an deren Spitze aktuell ein russischer Stellvertretender UN-Generalsekretär steht.
Ich nahm an der Ministersitzung des Internationalen Komitees für Drogenkontrolle im Frühjahr teil, wo wir unsere prinzipielle Position bestätigt haben: Es gibt drei grundlegende universale Übereinkommen über Bekämpfung von verschiedenen Arten des Drogengeschäfts. Sie wurden schon vor ziemlich langer Zeit vereinbart und sollten aus unserer Sicht unerschütterlich bleiben. Es werden in letzter Zeit viele Versuche unternommen, diese Konventionen, die jeglichen Drogenkonsum untersagen, zu „verwässern“. Es gibt viele Versuche, so genannte „leichte Drogen“ zu liberalisieren, damit sie zu medizinischen und rehabilitativen Zwecken verwendet werden dürften. Wir alle verstehen, worum es geht. Unseres Erachtens wäre das der Start einer Bergab-Bewegung. Wir verurteilen das Vorgehen der Staaten, die leichte Drogen wie Cannabis usw. legalisieren. Das ist in Kanada passiert; das passiert auch in einigen europäischen Ländern. Wir werden uns dagegen wehren, dass diese Normen, die jedes einzelne Land selbst bestimmen darf (auch wenn das gegen die internationalen Übereinkommen verstößt), universal werden. Solche Versuche gibt es tatsächlich.
Es gibt auch in Russland gewisse Strukturen, die auf liberalen Positionen stehen und dafür plädieren, sich keine großen Sorgen darüber zu machen, dass leichte Drogen verbreitet werden, und behaupten, dass diese bei der Stressbekämpfung und Schmerzlinderung hilfreich wären, wenn andere Mittel nicht helfen. Das ist eine sehr gefährliche Tendenz, und wir sind dagegen.
Ich muss darauf verweisen, dass der Nationale Anti-Drogen-Verband eine sehr wichtige Arbeit in der Zivilgesellschaft leistet. Das ist eine Nichtregierungsorganisation, die von Personen geleitet wird, die früher selbst drogenabhängig waren. Ich nahm an einigen Veranstaltungen teil, die sie organisieren. Dabei geht es um Veranstaltungen unter Beteiligung ihrer Familien, ihrer Kinder – Volleyball, Fußball, Auftritte von Künstlern. Während der Beteiligung an einer solchen Veranstaltung auf der Krim habe ich mich mit Nikolai Rastorgujew getroffen. Das ist eine wirklich gesunde Bewegung. Sie wurde ja nicht umsonst auch von der UNO anerkannt – diese Leute traten auch in New York auf. Sie wurden auch in der Wiener UN-Vertretung anerkannt und sind Partner der UN-Verwaltung für Drogen und Kriminalität. Das Prinzip, dass diese Leute bei allen ihren Kontakten voranbringen: „Drug free“ sein heißt überhaupt keine Drogen einzunehmen: weder schwere noch leichte, noch halbleichte – überhaupt keine. Meines Erachtens helfen sie Menschen, zum normalen Leben zurückzukehren – mit sehr gesunden Methoden. Und wir werden davon ausgehen, unter anderem wenn wir über die Erfahrungen dieser NGO bei unseren Kontakten mit Regierungsvertretern anderer Länder erzählen werden.
Frage: Die UN-Länder, auch Russland, haben die Ziele der nachhaltigen Entwicklung unterzeichnet. Welche von diesen 17 Zielen gehören für Russland zu den Prioritäten und werden zu einem schnellen Übergang zur „zyklischen Wirtschaft“ führen? Werden internationale Komitees für Umweltprobleme gebildet?
Sergej Lawrow: Alle 17 Ziele gelten als Prioritäten, denn es ist sehr wichtig, eine Spaltung dieses „Kompromiss-Pakets“ zu verhindern, das unbedingt vollständig umgesetzt werden sollte, wenn Fortschritte im Kontext aller 17 Ziele gemacht werden. Unsere westlichen Kollegen haben die Versuchung, für sie nützliche Ziele „herauszupicken“ und zu ihren Prioritäten zu machen. Unter anderem gibt es dabei Probleme im Zusammenhang mit dem Thema Menschenrechte. Aus verständlichen Gründen achtet der Westen besonders darauf. Manchmal schlagen sie auf verschiedenen Foren Lösungen vor, die das Thema Menschenrechte vor alle anderen Ziele stellen würden. Das ist falsch. Dabei deuten sie die Menschenrechte nur aus der Sicht des Zivilrechtes, obwohl die sozialwirtschaftlichen Menschenrechte im Völkerrecht ebenfalls verankert sind.
Es gibt zwei wichtigste internationale Abkommen: Den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Erwähnenswert ist übrigens, dass die USA am letzteren Pakt nicht beteiligt sind. Unsere westlichen Partner versuchen, auf den UN-Plattformen die sozialwirtschaftlichen Rechte kleinzureden, obwohl es ihren Interessen entsprechen würde, sich mit diesen Rechten zu befassen – besonders jetzt, während der Migrationskrise, wenn in Europa immer mehr Menschen mit verschiedenen sozialwirtschaftlichen Reformen unzufrieden sind. Wenn wir über UN-Dokumente reden, dann gibt es die sozialwirtschaftlichen Rechte der Entwicklungsländer. Das ultraliberale Modell, dem zufolge der Westen im Mittelpunkt steht, hat seine Unfähigkeit gezeigt, Wirtschaftsprobleme der Menschheit zu lösen und dafür zu sorgen, dass das Lebensniveau überall höher wird, dass soziale Probleme und die Aufgaben zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums gelöst werden. Dieses Modell ist darauf ausgerichtet, dass jemand auf Kosten anderer lebt. Was wir aktuell beobachten, nämlich Versuche zur Aufrechterhaltung der eigenen Dominanz, zur Sicherung der eigenen Vorteile in der Wirtschaft und auch in anderen Bereichen (oft mit schmutzigen Methoden) – das ist die Linie, die darauf ausgerichtet ist, egoistisch auf Kosten anderer zu leben. Wir plädieren dafür, dass die Vorgehensweise bei der Umsetzung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung gleichmäßig ist, wobei eine Basis für die Lösung von materiellen Problemen und für die Entwicklung der ganzen Menschheit geschaffen wird.
Man muss Ländern der „dritten Welt“ helfen – wenigstens aus rein pragmatischen Gründen. Europa leidet unter dem Zufluss von Migranten, nachdem die Nato unbedacht und illegal – unter Umgehung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats – Libyen zerbombt hat. Im Wirtschafts- bzw. Handelskontext gibt es einen interessanten Moment: Als man im Westen darüber nachdachte, was mit den Migranten zu tun wäre, begriff man, dass es neben der Frage von ihrer Verteilung noch ein Problem gibt: Worauf lässt sich diese Situation zurückführen? Dann sprach man davon, dass man afrikanischen Ländern bei der Schaffung von Arbeitsplätzen helfen sollte. Womit endete das? Leider mit nichts. Die meisten Arbeitsplätze in den afrikanischen Ländern, aus denen nach Europa die meisten Migranten kommen, gibt es in der Landwirtschaft. Um dort Arbeitsplätze zu schaffen, müsste man etwas unternehmen, damit Agrarprodukte aus afrikanischen Ländern konkurrenzfähig werden. Die Europäer können das aber wohl nie tun, denn eine der Stützen der EU machen riesige Subventionen für die europäische Landwirtschaft aus. Die Europäer subventionieren ihre Landwirtschaft, damit diese auf den Lebensmittelmärkten einseitige Vorteile genießt. Ohne diese Subventionen würden afrikanische Agrarprodukte zusätzliche Möglichkeiten für eine faire Konkurrenz bekommen. Aber so etwas kann Europa nicht akzeptieren – und es entsteht eine Art Teufelskreis. Und die Nahrungssicherheit ist ebenfalls eines der Ziele der nachhaltigen Entwicklung.
Wir plädieren dafür, dass man alles komplexweise herangeht, ohne aus dem „Paket“, das gründlich und lange abgesprochen wurde, einen einzelnen Aspekt „herauszupicken“.
Was die Strukturen angeht, so wurde bei der UN-Rahmenkonvention über Klimawandel (Russland ist daran beteiligt) der Grüne Klimafonds gegründet, zu dem wir freiwillige Beiträge leisten. Unser jüngster Beitrag belief sich auf etwa drei Millionen Dollar. Das ist zwar keine Riesensumme, aber auch sie beweist unsere Treue der Kooperation an Fragen, die mit dem Klimawandel und dem Thema Umwelt im Allgemeinen verbunden sind.
Frage: Wann könnte sich nach Ihrer Auffassung die Situation in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk qualitativ verändern? Was könnte Russland für seine Landsleute auf diesen Territorien noch tun, die wegen des Vorgehens der Personen leiden, die in der Ukraine an die Macht gekommen sind?
Sergej Lawrow: Wir tun alles, was von uns abhängt – im Rahmen der im Februar 2015 in Minsk getroffenen Vereinbarungen, die vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurden. Wenn man sagt, dass jeder Schritt Russlands bei den Beziehungen mit diesen Republiken eine Verletzung der Minsker Vereinbarungen wäre, ist das eine Lüge. Die Minsker Vereinbarungen untersagen nicht, die soziale und wirtschaftliche Lage dieser Territorien zu unterstützen. Im Gegenteil: Darin ist die Forderung an Kiew, das die Vereinbarungen auch unterzeichnet hat, verankert, das wirtschaftliche Zusammenwirken zu fördern, alle Sozialgelder und Renten rechtzeitig zu zahlen. Aber stattdessen wurde unter dem früheren Präsidenten Pjotr Poroschenko die totale Verkehrs- und Wirtschaftsblockade dieser Territorien verhängt. Es wurden Bedingungen geschaffen, unter denen die Einwohner Renten und Hilfsgelder praktisch unmöglich bekommen können. Zu diesem Zweck müssen sie die Trennungslinie überqueren, und dort gibt es riesige „Schlangen“. Für ältere Menschen wird das zu einer großen Erprobung. Es gibt aber auch viele andere Hindernisse, die allgemein bekannt sind. Als Russland eine vereinfachte Einbürgerung dieser Menschen ausrief, damit sie die Möglichkeit für sozialen Schutz bekommen, wurde dadurch ein Riesenaufsehen ausgelöst, und man behauptete auf einmal, Moskau würde die Minsker Vereinbarungen verletzen. Aber niemand erwähnte dabei, dass solche Länder wie Ungarn, Rumänien oder Polen schon seit Jahren ihren Landsleuten in der Ukraine ihre Pässe ausstellen. Das ruft bei niemandem Fragen hervor.
Und noch ein Moment: Kiew weigert sich vehement, die Reihenfolge der Schritte, die in den Minsker Vereinbarungen verankert ist, einzuhalten. Dort steht geschrieben: Auseinanderführung der Kräfte und Waffen, gleichzeitige Verabschiedung des Gesetzes über Amnestie für alle Teilnehmer dieses innenpolitischen Konflikts in der Ukraine, gleichzeitiger Start von direkten Verhandlungen zwischen Kiew, Donezk und Lugansk über Vorbereitung und Durchführung von Wahlen, Verabschiedung des Gesetzes über den Sonderstatus für die Volksrepubliken Donezk und Lugansk, Verankerung dieses Status in der ukrainischen Verfassung, Durchführung der Wahlen, Bildung der Machtorgane auf diesen Territorien, Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle über die ganze Grenze an Russland durch Kiew. So ist die Reihenfolge. Aber jetzt sagt man uns (wir hören das von Kiew und vom Team Wladimir Selenskis): Es werde keinen direkten Dialog geben, und es sollte das "Normandie-Format" einberufen werden, an dem sich auch die Amerikaner und Briten beteiligen sollten – und auch die Polen, die auch Interesse dafür zeigen. Amnestie wäre ein Thema, das besprochen werden könnte. Wahlen sollten erst dann durchgeführt werden, wenn das ganze Territorium in diesem Teil des Donezbeckens von Tausenden UN-Friedensstiftern unter Kontrolle genommen werde, die mit schweren Waffen gerüstet wären, usw. Es werden schon wieder Begriffe ausgewechselt. Es gibt die Minsker Vereinbarungen, die man nur durchlesen müsste, um zu verstehen, was zu tun ist. Stattdessen sagt man, Russland sollte die Minsker Vereinbarungen erfüllen und vor allem sichern, dass diese Republiken die ukrainischen Streitkräfte an die Grenze ziehen lassen, dass sie Besatzungskräfte unter der UN-Flagge auf ihr Territorium lassen, wobei diese Besatzungskräfte alle Strukturen in Donezk und Lugansk ablösen und die Wahlen so durchführen würden, wie es für sie nötig ist. Ich übertreibe es jetzt nicht: Genau das schlagen unsere amerikanischen Kollegen vor – so stellen sie sich nun einmal vor, wie die Minsker Vereinbarungen erfüllt werden sollten.
Wir werden nicht nur die Einwohner von Donezk und Lugansk mit humanitären Hilfsgütern versorgen und bei der Lösung von sozialen Problemen unterstützen, und nicht nur die von ihnen, die keine Möglichkeit für Verteidigung ihrer Bürgerrechte haben, mit Pässen versorgen – wir werden auch die strikte Einhaltung der Minsker Vereinbarungen in der internationalen Arena entschlossen verteidigen. Wir sind auch zu Treffen im "Normandie-Format" bereit, aber zunächst sollte das in Erfüllung gebracht werden, was die Spitzenpolitiker des "Normandie-Formats" vor fast drei Jahren, im Oktober 2016, vereinbart haben. Beim vorerst letzten Gipfel im "Normandie-Format" haben die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Frankreichs sowie die deutsche Kanzlerin zwei Schlüsselentscheidungen getroffen: über die Auseinanderführung der Kräfte und Kampfmittel auf drei Abschnitten der Trennungslinie, was die Ukraine bis zuletzt sabotierte. Dieser Prozess hat vor kurzem begonnen, wurde aber noch nicht abgeschlossen – und alles hängt von der ukrainischen Seite ab. Die zweite Entscheidung war, dass das Gesetz über den Sonderstatus dieser Territorien vorläufig am Tag der Wahlen in Kraft treten sollte – und ständig (bei seiner Verankerung in der Verfassung), wenn die OSZE-Beobachter ihren endgültigen Bericht veröffentlichen und damit bestätigen, dass die Wahlen frei und fair waren. Das haben die vier Spitzenpolitiker, auch der ukrainische Präsident, in meiner Anwesenheit vereinbart. Aber seit dieser Zeit weigert sich die Ukraine sowohl in der Kontaktgruppe als auch im "Normandie-Format", diese so genannte „Steinmeier-Formel“ (Frank-Walter Steinmeier ist jetzt deutscher Bundespräsident, und damals war er Außenminister) auf dem Papier als juristisches Dokument zu formulieren. Enorm wichtig ist auch, den direkten Dialog zwischen Kiew, Donezk und Lugansk zu fördern, aber Kiew verweigert ihn vehement. Das ist eine unmittelbare Verletzung seiner Verpflichtungen, die vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurden. Unsere westlichen Partner sollten ihre Kollegen in Kiew, die sie unterstützen, in die Schranken weisen und zwingen, die Entscheidung des höchsten UN-Gremiums zu erfüllen, anstatt Russland absolut demagogisch und unbegründet zu beschuldigen.
Frage: Könnten in der Welt im 21. Jahrhundert angesichts des intensiven Anstiegs der Bevölkerungszahl und des Mangels an Naturressourcen in vielen Ländern, beispielsweise in Afrika, Militärkonflikte ausbrechen, wenn verschiedene Länder um die Kontrolle über die Naturressourcen kämpfen?
Sergej Lawrow: Im Grunde wurde Gewaltanwendung im Kampf um die Naturressourcen nie wirklich eingestellt. Sehen Sie sich die Geschichte des 21. Jahrhunderts an: 2003 im Irak, 2011 in Libyen. In beiden Fällen wurde unter aus dem Finger gesogenen Vorwänden militärische Gewalt angewandt, wobei die UN-Charta auf gröbste Weise verletzt wurde. Das wird Ihnen ja jeder Experte sagen – wenn man bedenkt, dass beide Länder große Reserven von Kohlenwasserstoffen haben. Solches Risiko besteht immer. Und die völkerrechtliche Forderung, Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu regeln, ist dabei kein Hindernis, wie Sie verstehen – vor allem für unsere amerikanischen Kollegen. Manchmal genießen sie dabei die Unterstützung der Briten oder Franzosen. Einmal war auch Deutschland dabei (als der Einsatz in Libyen begann). Wir werden nie einen Militärkonflikt mit ihnen eingehen – das wäre ja Wahnsinn und würde die Situation nur noch mehr zuspitzen. Das brauchen wir nicht. Wir sind an Stabilität interessiert. Aber wir werden die Weltgemeinschaft auffordern, diesem rechtswidrigen Vorgehen zu widerstehen, indem wir in der UNO verlangen werden, dass sie für ihre Aktivitäten Rede und Antwort stehen. Dabei ist es wichtig, die Stimmen zu mobilisieren, die solches Vorgehen verurteilen. Das wird zwar die „Hitzköpfe“ in der aktuellen US-Administration wohl nicht „abkühlen“, die immer neue kriegerische Erklärungen machen (und wollen inzwischen Waffen ins Weltall bringen, was für die meisten Länder absolut inakzeptabel wäre und der Position widersprechen würde, die die absolut meisten UN-Mitglieder hinsichtlich der Vorbeugung dem Wettrüsten im Kosmos vertreten).
Dennoch wurden solche Pläne bereits angekündigt, wie auch die Absicht zur Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen im Asien-Pazifik-Raum (nach dem Austritt der Amerikaner aus dem INF-Vertrag). Und als diese Erklärung gemacht wurde, fragte niemand die Länder, wo die Amerikaner diese neuen Arten von Kurz- und Mittelstreckenraketen aufstellen wollen, nach ihrer Meinung.
Und hinsichtlich Lateinamerikas erklärte man in Washington bereits, die „Monroe-Doktrin“ würde immer noch in Kraft bleiben, das Regime in Venezuela sollte entmachtet werden, und Kuba und Nicaragua wären „die nächsten an der Reihe“. Wenn man das alles bedenkt, entsteht der Eindruck, dass die Personen, die solche Dinge sagen und in die Tat umsetzen wollen, in einer anderen Epoche leben (ob in der kolonialen oder postkolonialen) und die Realität der modernen Welt gar nicht einsehen. In diesem Zusammenhang muss ich auch die jüngsten doktrinären Dokumente der USA erwähnen, die die Schwelle für die Anwendung der Atomwaffen wesentlich niedriger machen und Atomsprengsätze geringer Stärke entwickeln.
Im Allgemeinen gehen die USA den Weg (das kann man schon mit voller Verantwortung sagen) zur Zerstörung des ganzen Systems der Rüstungskontrolle und der internationalen strategischen Sicherheit. Nach dem ABM-Vertrag, aus dem die USA noch Anfang des 21. Jahrhunderts ausgetreten waren, haben sie jetzt auch den INF-Vertrag zerstört. Und inzwischen sind auch Erklärungen zu hören, dass der START-Vertrag, der im Februar 2021 abläuft, „veraltet“ wäre und den Interessen der USA nicht entsprechen würde, so dass es „sinnlos wäre, bilaterale Kanäle der Rüstungskontrolle mit Russland aufrechtzuerhalten, und es sollte auch China einbezogen werden“. Dabei versteht man sehr gut, dass China so etwas keineswegs akzeptieren würde. Angesichts einiger Erklärungen in Washington kann man schließen, dass inzwischen die Basis dafür gebildet wird, dass die Teilnahme der USA am Kernwaffenteststopp-Vertrag (CTBT) endgültig durchkreuzt wird, der einst eine der größten Errungenschaften der internationalen Diplomatie war.
Das Ziel solcher negativen, kontraproduktiven Schritte könnte nur eines sein: Die USA wollen die absolute Freiheit bei der „Lösung“ von verschiedenen Fragen ihrer Militärpolitik genießen, ohne jegliche internationale Verpflichtungen zu haben. Das ist bedauernswert. Das ist ein riesiger Schritt zurück von den Errungenschaften auf dem Gebiet Rüstungskontrolle, die in der zweiten Hälfte des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts erreicht worden waren.
Frage: Ich bin Vertreter der selbsternannten, nicht anerkannten Moldawischen Republik Transnistrien. Ich möchte eine Frage hinsichtlich des Status unserer Republik stellen. Das einzige Land, das unsere Unabhängigkeit von Moldawien anerkannt hat, ist die Russische Föderation. Russland unterstützt uns in verschiedenen Hinsichten. Nach einem Referendum möchten die Einwohner unserer Republik sich Russland anschließen. Hat die russische Regierung diesbezügliche Pläne?
Sergej Lawrow: Ich muss das, was Sie gesagt haben, präzisieren: Die Russische Föderation erkannte die Moldawische Republik Transnistrien nicht an. Russland ist Teilnehmer des Prozesses, dessen Aufgabe ist, diesen Konflikt auf Basis entsprechender Prinzipien zu regeln.
Erstens ist das der mit Tiraspol abgesprochene Sonderstatus der Moldawischen Republik Transnistrien als Bestandteil der Republik Moldawien, wobei man zustimmt, dass Moldawien seine Souveränität beibehält (also wird als Staat von niemandem verschluckt) und weiterhin neutral bleibt, also keinen militärpolitischen Bündnissen beitreten wird.
Diese Prinzipien wurden schon vor vielen Jahren, noch in den frühen 2000er-Jahren, abgesprochen. Auf ihrer Basis wurde ein Dokument entwickelt, das inzwischen unterzeichnungsreif ist: der so genannte „Kosak-Plan“, der vom aktuellen Vizepremier Russlands, Dmitri Kosak, vorbereitet und in Tiraspol und Chisinau paraphiert wurde. Aber im letzten Moment, praktisch wenige Stunden vor der Unterzeichnung, untersagten unsere EU-Kollegen dem damaligen Präsidenten Moldawiens, Wladimir Woronin, dieses Dokument zu signieren – aus einem einfachen Grund: weil das ein diplomatischer Erfolg Russlands wäre. Sie sehen ja die Kriterien, an denen sich unsere westlichen Partner oft richten, und zwar im Kontext vieler Krisensituationen in der Welt. Deshalb ist das Prinzip, das ich eben erwähnte – der Sonderstatus im Rahmen des souveränen und neutralen Moldawiens – optimal. Auf seiner Basis funktioniert der so genannte „5+2“-Mechanismus (2 steht für Tiraspol und Chisinau und 5 für Russland und die Ukraine als Vermittler und Garanten der Regelung, die OSZE als Vermittler, die USA und die EU als Beobachter). Dieser Mechanismus kommt ab und an zum Einsatz, dann wird eine Pause eingelegt, dann wird gestritten, ob es sich im Rahmen dieses Mechanismus gleich um politische Regelung handeln sollte oder ob man lieber mit kleineren Schritten beginnen sollte: Wiederaufnahme des Verkehrs, Kfz-Kennzeichen, Brückenumbau usw.
Unseres Erachtens sollte man parallel vorgehen. Natürlich sind kleinere Schritte für die Vertrauensfestigung zwischen den beiden Dnister-Ufern günstig, aber das Ziel sollte konstant bleiben. Jedenfalls besteht darin die Position Russlands, an der wir uns bei unseren Kontakten sowohl mit den Freunden aus Tiraspol als auch mit der moldawischen Regierung richten.
Frage: Es erscheinen immer öfter Beiträge über die so genannte „prädestinierte“ geopolitische Einsamkeit Russlands. Darin steht geschrieben, dass unser Land wegen seiner Größe keine Freunde haben könne, sondern nur Konkurrenten. Ist dieser Standpunkt Ihres Erachtens nahe der Wahrheit? Und kann es in der Weltpolitik überhaupt Freundschaft geben?
Und ich möchte die Gelegenheit nutzen und sagen, dass ich Studentin auf dem Gebiet internationale Beziehungen bin und gerne Praktikantin im Außenministerium würde.
Sergej Lawrow: Soweit ich verstehe, die erste Frage muss ich nicht beantworten. Aber im Ernst: Von welcher Isolation kann überhaupt die Rede sein? Sehen Sie sich die Zahl der Gäste an, die zu uns kommen! Was das Außenministerium angeht, so haben uns allein im scheidenden Jahr etwa 50 Minister besucht, und dabei werden noch Vizeminister und Abteilungsdirektoren nicht berücksichtigt. Ich werde regelmäßig ins Ausland eingeladen – dabei dränge ich mich niemandem auf. Also von was für einer politischen Einsamkeit könnte es sich handeln?
Ich habe in diesem Jahr acht Länder in Afrika, neun in Lateinamerika und mehrere europäische Länder besucht. Und auch ihre Vertreter kamen zu uns. In wenigen Tagen werden der Außenminister Deutschlands, Heiko Maas, und der Außenminister Maltas, Carmelo Abela, zu Besuch erwartet. Solche Besuche werden permanent abgestattet.
Wenn wir uns einmal die Kontakte auf höchster Ebene ansehen, kann man bemerken, wie viele internationale Spitzenpolitiker an Kontakten mit dem Präsidenten Russlands interessiert sind und bitten, sie in Russland zu empfangen – oder laden Präsident Putin selbst ein. Am kommenden Montag findet ein Treffen in der Sommerresidenz des französischen Präsidenten Emmanuel Macron statt, das grundsätzlichen Problemen der globalen und europäischen Politik gewidmet sein wird, unter anderem auch dem Thema strategische Stabilität.
Wenn wir uns die Ergebnisse der Abstimmung in der UNO ansehen, können wir bemerken, wie ich schon erwähnte, dass die absolut meisten UN-Mitgliedsländer uns unterstützen und mit unseren Positionen solidarisch sind.
Ich muss aber extra betonen, dass wir natürlich keineswegs unsere Selbstständigkeit aufgeben. Russland ist eines der wenige Länder, die sich den Luxus leisten kann, selbstständig und selbstgenügsam zu sein. Solche Länder gibt es wenige. Wir werden immer unser Recht auf eigene Stimme verteidigen, die unsere Vorgehensweisen und Interessen in den internationalen Beziehungen widerspiegelt. Wir werden unsere Interessen bei allen möglichen Verhandlungen verteidigen, sind aber immer zu Kompromissen bereit, die sich auf die Interessenbalance stützen würden. Wenn die Interessenbalance der Unterhändler fair ist und völkerrechtlich verankert wird, dann bedeutet das Fortschritte, Festigung der Stabilität in den internationalen Angelegenheiten und Vorhersagbarkeit auf dem Gebiet, auf dem die Verhandlungen geführt wurden. Wie gesagt: Wir können keineswegs unsere Selbstständigkeit aufgeben. Aber sie wurde nicht einfach so von uns ausgedacht, sondern stützt sich auf den Respekt für das Völkerrecht, in dem das Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten und der Unzulässigkeit der Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten verankert ist.
Das ist eine ernsthafte Frage. Können Sie sich daran erinnern, dass es am Anfang der Epoche des modernen Russlands, nach dem Zerfall der Sowjetunion und bis zur zweiten Hälfte der 1990er-Jahre, noch Illusionen gab, dass man auf uns in der Europäischen Union, in der Nato warten würde? Viele Vertreter unseres Establishments hatten damals die Versuchung, sich der westlichen Welt anzuschließen, dort einen gewissen Platz einzunehmen und Teil der westlichen Zivilisation zu sein. Aber auf uns hatte niemand gewartet. Und als man im Westen Anfang der 2000er-Jahre begriff, dass Russland sein Gesicht nicht verlieren will, dass es sich in der westlichen Welt nicht auflösen will (und dort ist vorgesehen, dass es nur einen „Boss“ geben kann – und Sie verstehen, wo der „Boss“ sitzt), dass es sich in dieses liberale System nicht integrieren will, ließ sich der Westen immer neue Vorwürfe gegen der neue Russland einfallen. Man begann sofort, irgendwelche Bedingungen an uns zu stellen, was dazu führte, dass Präsident Putin in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 die Dinge beim Namen nannte und zeigte, dass wir unter den Bedingungen, die der Westen uns aufzwingen will (wobei für uns die Rolle eines Untergeordneten bestimmt wäre), nicht arbeiten können. Der russische Präsident lud alle zu einem ehrlichen, demokratischen und fairen Zusammenwirken auf Basis der Gleichberechtigung ein. Dass der Westen nicht bereit war und ist, dieses Angebot anzunehmen, ist der wichtigste Grund dafür, was wir jetzt in unseren Beziehungen mit den USA, der Europäischen Union und anderen westlichen Ländern beobachten.
Man sagt manchmal, Russland wäre vom Westen enttäuscht und hätte sich dem Osten zugewandt. Das ist eine ziemlich primitive Deutung der Situation. Wir hatten nie dem Osten den Rücken gekehrt. Wir können das einfach nicht tun, weil wir dort liegen. Wir sind ein großer Teil des eurasischen Kontinents. Ich sagte schon, dass wir diesen Teil intensiver erschließen müssten. Die Maßnahmen, die aktuell ergriffen werden, müssen Ergebnisse bringen. Nachdem sich die „Lokomotive“ der globalen Entwicklung aus Europa in den Asien-Pazifik-Raum bewegt hat, achten wir auf die östliche Richtung viel mehr.
Als wir und die Volksrepublik China etliche beiderseitig nützliche Projekte auf Gebieten wie Atom- und Kohlenwasserstoff-Energetik, Weltraumforschung, diverse High-Tech-Branchen begannen, als bei uns ein sehr aussichtsreiches Potenzial in den Beziehungen mit den ASEAN-Ländern entstand, als man uns in verschiedene Strukturen im Asien-Pazifik-Raum (Ostasiatische Gipfel, Regionales ASEAN-Forum für Sicherheit, ADMM-plus) einlud, konnten wir das natürlich nicht ablehnen. Wir waren daran interessiert, dass der Teil unseres Landes, der im Asien-Pazifik-Raum liegt, sich an allen Integrationsprozessen vollwertig beteiligt, so dass das ganze Russland davon profitiert.
Angesichts unseres Schicksals, unserer Geografie, Geschichte, der Heldentaten unserer Vorfahren können wir uns unmöglich entweder dem Westen oder dem Osten zuwenden. Es ist ja nicht umsonst, dass auf unserem Wappen der zweiköpfige Adler abgebildet ist – noch seit den Zeiten des Russischen Zarenreiches. Uns wird nie die Perspektive drohen, einsam zu bleiben. Wir werden immer Verbündete, Gleichgesinnte und Freunde haben, wenn man begreift, dass unsere Interessen immer gesichert werden.