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Interview des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow,  für die Sendung „Das große Spiel“ im TV-Sender „Perwy Kanal“, Moskau, 28. Dezember 2022

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Frage: Ich sprach vor einigen Jahren mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger. Damals kehrte ich gerade aus Moskau zurück und sagte ihm, dass, falls die Politik der USA und Nato – das Ignorieren der russischen Besorgnisse, und das mit großem Vergnügen – fortgesetzt wird, muss Russland Gewalt anwenden. Henry Kissinger sagte, dass wenn wir das machen, werden wir einen großen Schaden erleiden und sich gegen uns die ganze Nato zusammenschließt.

Er hatte Recht: Der „kollektive Westen“ schloss sich zusammen als Antwort auf die militärische Spezialoperation und zeigte sogar mehr Geschlossenheit, als viele von uns erwartet hatten. Russland steht stolz und sicher. Moskau macht eindeutig nicht den Eindruck einer „Stadt“, die ins Schlingern geriet und an der eigenen Richtigkeit und Kraft Zweifel hat.

Welche Aussichten der Eskalation der militärischen Handlungen, auf der einen Seite, und ernsthafter Gespräche im nächsten Jahr, auf der anderen Seite, sehen Sie?

Sergej Lawrow: Sie haben Recht damit, wie der „kollektive Westen“ sich zusammenschloss. Doch das ereignete sich nicht nach dem Ruf der Seele jedes Teilnehmers der Allianz. Sie wurden vor allem durch die USA zusammengeschlossen. Die Mentalität des Dominierens verschwand nicht.

Vor einigen Wochen wurde ich auf eine Erklärung eines Stanford-Professors aufmerksam, dass die USA ein globaler Polizist sein sollen, um die Welt zu retten. Nicht nur die Nato, sondern auch die EU als Vereinigung, die in ihren Reden noch nicht vor langer Zeit eine strategische Autonomie beanspruchte, unterwarfen sich dem einheitlichen westlichen Kurs. Es werden Zentren zur Koordinierung der Handlungen der Nato und EU geschaffen, werden neutrale Staaten einbezogen (Finnland, Schweden). Lange zuvor wurde damit begonnen, das Programm der „Mobilität“ zu implementieren, das es ermöglichte, die Verkehrs- und andere Infrastruktur der Nicht-Nato-Länder nach ihrer Zweckbestimmung zur Bewegung der Technik der Allianz in den Osten, näher zu unseren Grenzen zu nutzen.

Vor einigen Tagen wurde in der Sendung „Das Große Spiel“ das Thema der tiefen Änderungen in der EU und in Europa im Ganzen in Bezug auf die Verlegung des Schwerpunktes zugunsten des Wohlstandes der Europäer, vor allem Polen, Baltikum-Länder, Tschechien, Slowakei, besprochen. Eurogrands sind in dieser Situation verwirrt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte vor vier Jahren über die Notwendigkeit für Europa, sich auf eigene Kräfte zu stützen, eigene Armee zu haben. Es wurde ein „Strategischer Kompass“ als Schritt auf dem Wege zur strategischen Autonomie erfunden. Emmanuel Macron sagte, dass das Gehirn der Nato tot sei, wobei die Enttäuschung von den Prozessen, die aus der Übersee aufgedrängt wurden, gezeigt wurde. Jetzt ist davon keine Rede. Frankreichs Präsident sagte, dass man einst eine Sicherheitsarchitektur in Europa unter Berücksichtigung der Interessen aller Länder, darunter Russland, bauen muss. Aber er wurde sofort von „jüngeren“ Mitgliedern der westlichen Allianz zurechtgewiesen. Das wird von allen als eine natürliche Entwicklung wahrgenommen.

Zur Frage darüber, wie Russland in all diesen Jahren wahrgenommen wurde, darunter die Periode, als Sie mit Henry Kissinger dieses Thema aufgegriffen haben. Die westlichen Kollegen sagten, dass „Russland seinen Platz kennen soll“. Das wurde mit Vergnügen gemacht. Das „Vergnügen“ zeigte sich fast in allen Jahren nach der Auflösung der Sowjetunion. Zunächst wurden wir auf Schulter geklopft. Man meinte, dass wir in der Tasche der „Goldenen Milliarde“ sind, ein Teil des westlichen Systems der Globalisierung werden. Jetzt wird es das System der „Regeln“, auf denen die Weltordnung beruhen soll, genannt. Wir wurden als gewöhnlicher „jüngerer“ Partner betrachtet, der über die für den Westen notwendigen Ressourcen verfügt und dem der Westen Technologien geben wird, wobei die Positionen des Partners in seinem Koordinatensystem festgelegt werden. Dort spielen die erste Geige die westlichen Anführer, vor allem die USA und ihre engsten Verbündeten in Europa, die sich für berechtigt halten, weitere Wege zur Entwicklung dieses Kontinents zu diktieren.

Vor kurzem löste ein Artikel von Henry Kissinger viele Kommentare aus. Wir wurden auf Einschätzungen, Prognosen, darunter Varianten, wie er die endgültige Regelung betrachtet, aufmerksam. Es ist erstaunlich, dass niemand auf eine Phrase aufmerksam wurde, die in diesem Artikel als etwas Selbstverständliches erwähnt wird. Da heißt es: „Zwei Atommächte sind im Wettbewerb um ein Land (Ukraine), das nur über konventionelle Waffen verfügt“. Das ist wohl nach Freud. Allerdings ist Henry Kissinger ein weiser Mann, er sagt nichts umsonst.

Das ist aber eine offene Anerkennung davon, wer gegen wen kämpft. Gegen uns kämpft der „kollektive Westen“ mit einer Atommacht, USA, an der Spitze. Dieser Krieg wurde uns seit langem erklärt: Nach dem Ende des Staatsstreich in der Ukraine, der von den USA geleitet und der EU unterstützt wurde, nachdem die Minsker Abkommen (wie sich endgültig herausstellt) niemand erfüllen wollte. Angela Merkel bestätigte das erneut.

Einige Jahre vor dem Ende ihrer Amtszeit sagte sie in einem Gespräch mit dem Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, als er sie erneut darauf aufmerksam machte, was schwarz auf weiß geschrieben wurde – die Notwendigkeit der Lösung der Fragen über Sonderstatus in einem direkten Dialog zwischen Kiew, Donezk und Lugansk - dass es eine „konstruktive Doppelsinnigkeit“ sei. Russland entscheide alles im Donbass und sollte sich damit darüber Kiew einigen. Das war gar keine Offenbarung, kein Wunsch, im letzten Moment einen russophoben Zug zu nehmen. Das hatte tiefe Wurzeln.

Zum Gipfel des Normandie-Quartetts in Paris im Dezember 2019 bereiteten Experten aus der Präsidialadministration und dem Außenministerium einen abgestimmten Text der Vereinbarungen, der prinzipielle Punkte der Minsker Abkommen bestätigt, vor. An Nummer Eins stand der Waffenstillstand und die Trennung der Kräfte entlang der ganzen Kontaktlinie. Das wurde von allen abgesprochen.

Als sich vier Anführer an den Runden Tisch im Elysee-Palast setzten, und Begleiter sich rundherum setzten, sagte der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenski, dass er die Trennung entlang der ganzen Kontaktlinie nicht erfüllen und da seine Unterschrift nicht setzen werde. Maximal – drei experimentelle Abschnitte wählen und dort versuchen, die Trennung umzusetzen. Es entstanden sofort Verdächtigungen, aber wir klärten den Grund, aus dem sich solche Metamorphose zwischen einem Konsens der Experten und seinem Zusammenbruch auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs ereignete. Die Amerikaner schickten ein Signal, dass wenn Selenski die Kräfte entlang der ganzen Kontaktlinie trennt, werden die Russen nie Donbass übergeben.

Frage: Wissen Sie das als Fakt, dass er solchen Rat, Anweisung aus den USA bekommen hat?

Sergej Lawrow: Ich weiß nicht, von wem konkret. Aber sie sagten ihm, was ich erwähnte: Wenn er die Kräfte trennt, werden seine Chancen, diese Gebiete mit Gewalt zu nehmen, deutlich geringer. Sie wollten sie mit Gewalt aus einem Grund nehmen – sie wollten die Minsker Abkommen im Teil, wo die Bedingungen für die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine enthalten waren, nicht erfüllen. Sie sind einfach: russische Sprache, eigene lokale Polizei (wie in den USA in verschiedenen Bundesstaaten), die Verpflichtung der Zentralbehörden, bei Ernennung der Richter, Staatsanwälten Konsultationen abzuhalten, besondere Wirtschaftsverbindungen mit Nachbarregionen Russlands.

So was gibt es in der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina, zudem ist das durch eine Vereinbarung Pristinas und Belgrads (die unter Vermittlung der EU 2013 erreicht wurde) über die Schaffung einer Gemeinschaft serbischer Munizipalitäten des Kosovo vorgesehen. Ungefähr gleiche Rechte wurden den Serben im Norden dieser Region bereitgestellt, wie auch in den Minsker Abkommen für die Russen, die in den Gebieten wohnten, um die es damals ging.

Wladimir Selenski weigerte sich damals, die territoriale Integrität der Ukraine via Bereitstellung einem Teil seiner Bevölkerung der Rechte, die in zahlreichen internationalen Übereinkommen und Verfassung des Landes festgelegt sind, wo die Verpflichtung des Staates, die Rechte der nationalen Minderheiten zu gewährleisten, und die Russen einzeln erwähnt sind, festgeschrieben ist, wiederherzustellen. Plan B existierte seit langem, bereits 2019 in Paris. Manchmal sagten ukrainische Anführer, dass die Minsker Abkommen nicht in ihrem Interesse sind, schlugen vor, die Gebiete mit Gewalt zu nehmen.

Die ukrainische Tragödie hat eine lange Geschichte. Jetzt versucht man, ihren Teil, der das Geschehene erklärt, zu canceln, wie auch vieles andere. Die russische Kultur wird in der Ukraine seit langem gecancelt. Entsprechende Gesetze wurden unter Pjotr Poroschenko angenommen und werden weiterhin unter Selenski verabschiedet. Vor einigen Jahren wurde ein Gesetz über den Status der ukrainischen Sprache als Amtssprache gebilligt. Das löste Besorgnisse sogar in der Venedig-Kommission des Europarats, in der EU, OSZE aus. Doch sie sagten nur den Ukrainern, dass das Gesetz beibehalten werden kann, doch zugleich die aktuelle Gesetzgebung über nationale Minderheiten erneuert werden soll.

Vor einigen Wochen verabschiedete die Oberste Rada in der zweiten Lesung das Gesetz über nationale Minderheiten. Das ist das Beispiel der ukrainischen Gesetzgebung. Dort steht geschrieben, dass der Staat die Rechte aller Minderheiten im Umfang der sich aus der aktuellen Gesetzgebung ergibt, garantiert. Alles, was bereits zerstört wurde (Bildung, Medien, Kultur) wurde im neuen Gesetz über nationale Minderheiten als Basis der Rechte, die das Kiewer Regime Nationalen Minderheiten verleihen kann, bezeichnet. Es empörte sich bereits die rumänische Führung. Es wurde laut über die Notwendigkeit der Konsultationen, dass sie nicht gefragt wurden, gesprochen. Es ist gut bekannt über das Verhalten gegenüber den Ungarn und wie sich das Kiewer Regime zur ungarischen Minderheit verhält. Von den Russen ist gar nicht die Rede.

Entschuldigung, dass ich so eine Präambel zur Antwort auf Ihre Frage mache. Es handelt sich um die Festlegung bzw. Nicht-Festlegung einer neokolonialen Weltordnung, über die Russlands Präsident Wladimir Putin sprach. Der Westen verdeckt das unter dem Motto des Respektes der „auf Regeln beruhenden Weltordnung“. Als dieser Begriff entstand, bat ich die westlichen Kollegen (wir kommunizierten damals noch), eine Liste der „Regeln“ zu überreichen, wo das festgelegt ist. Es hat keinen Sinn, sich zu erstaunen. Niemand überreichte Hinweise auf konkrete „Regeln“, wo man lesen könnte, wie man sich benehmen soll. Die Antwort ist einfach: Diese „Regeln“ bedeuten, dass sich alle den USA unterordnen sollen.

Frage: Diese Regeln wurden vom Westen aufgestellt, aber nie in der UNO gebilligt.

Sergej Lawrow: Nirgendwo, nie. Niemand hat sie gesehen. Als sie das erstmals in internationalen Diskus brachten, machten wir uns sofort Sorgen und versuchten, sie in eine vernünftige Diskussion einzubeziehen. Doch sie wollten das nichts machen.

Diese „Regeln“ widerspiegeln am besten eine Erklärung eines Stanford-Professors, dass die USA den Weltpolizisten spielen müssen, um die Welt zu retten. In vielen amerikanischen doktrinären Dokumenten ist Russland als eine unverzügliche Bedrohung eingestuft. Nicht weil wir jemanden irgendwie angreifen wollen, sondern weil wir diese Weltordnung herausgefordert haben. Jetzt ist China an der Reihe. Eine langfristige System-Herausforderung. Die einzige Macht, die die USA fast in allen Bereichen überholen kann. Peking wird bald das Niveau Moskaus und Washingtons bei Vorräten an Atomwaffen und Entwicklung des Atompotentials erreichen.

Die Antwort auf die Frage, ob eine Eskalation zu erwarten ist, kann in verschiedenen Aussagen, Einschätzungen der Politologen gesucht werden. Die Führung Russlands spricht nicht über die Absicht, das Herangehen durchzusetzen, das Eskalation vorsieht. Wir sind gestimmt, die Erfüllung der Ziele der militärischen Spezialoperation zu gewährleisten. Wie Russlands Präsident Wladimir Putin betonte, ist unsere absolute Priorität – vier neue Regionen der Russischen Föderation. Sie sollen von den Bedrohungen der Nazifizierung, denen sie seit vielen Jahren ausgesetzt waren, befreit werden. Man soll die Sicherheit aller dort wohnenden Menschen und die Einhaltung ihrer Rechte gewährleisten.

Ein weiteres sehr wichtiges Ziel – die Nichtzulassung der Schaffung und Aufrechterhaltung in der Ukraine irgendwelcher Bedrohungen für unsere Sicherheit. Jetzt wird gesagt, dass der Westen nicht beabsichtigte, die Ukraine zu Kampfhandlungen gegen Russland irgendwie zu bewegen, doch die Erstickung der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine halte ich für eine wahre Aggression.

Frage: Ich möchte präzisieren. Wenn Sie über vier Regionen sprechen, sprechen Sie über ihre administrativen Grenzen oder den Teil, der heute unter realer Kontrolle des Staates Russlands steht?

Sergej Lawrow: Nein. Ich spreche über ihre Grenzen in der Russischen Föderation gemäß der Verfassung unseres Landes. Das ist ein offensichtliches Ding.

Frage: Also diese Gebiete sollen noch von Russland befreit werden?

Sergej Lawrow: Natürlich. Das ist die Forderung der Willensäußerung, die in allen vier Regionen stattfand. In den Volksrepubliken Donezk und Lugansk vor langer Zeit, und in den Gebieten Saporoschje und Cherson im Herbst 2022.

Frage: Ist das, was Sie am Ende der Verhandlungen erreichen wollen oder die Anerkennung dieses Faktes durch die Ukraine, eine Voraussetzung für die Aufnahme der Verhandlungen?

Sergej Lawrow: Russlands Präsident Wladimir Putin sagte mehrmals, dass wir nie Vorschläge der diplomatischen Vereinbarungen ablehnen. Die Bedingungen, unter denen wir bereit sind, sie zu besprechen, sind gut bekannt. Ein unabdingbarer Teil dieser Bedingungen ist die Zugehörigkeit von vier Gebieten, Regionen der Russischen Föderation. Das ist nicht alles, was besprochen werden soll.

Der zweite große Block der Probleme, neben dem Schicksal der Staatsbürger, die nicht unter dem jetzigen Regime mir einer offenen nazistischen und rassistischen Ausrichtung und Philosophie wohnen wollen, ist die Sicherheit der ganzen Russischen Föderation, die zahlreichen Bedrohungen, die in der Ukraine geschaffen wurden, ausgesetzt war. Wenn jemand jetzt sagt, dass dem nicht so ist, dass alle diese Übungen in der Ukraine, darunter im Schwarzen Meer, eine „militärische Zusammenarbeit für friedliche Ziele“ waren. Das Territorium der Ukraine wurde ziemlich aktiv „erschlossen“, darunter die Planung (wir wissen das auch) und die Schaffung eines Marinestützpunktes im Asowschen Meer. Sie verstehen, dass dieses Meer damals das Meer von zwei Staaten war. Die Entstehung eines Marinestützpunktes angelsächsischer Herkunft hat dort die Situation im Sicherheitsbereich stark verändert. Genau so, wie es vor dem Staatsstreich und dem Referendum die Pläne zur Schaffung des Militärstützpunktes damals noch auf der ukrainischen Krim mit dem Ziel, unsere Möglichkeiten im Schwarzen Meer zu neutralisieren, gab.

Wir gehen nicht mit plötzlichen, offensiven und grellen Operationen vor, wie das die ukrainische Seite in der Regel macht, ohne mit Verlusten zu rechnen. Es wird ein sofortiger Medieneffekt angestrebt. Der Westen würde die jetzige Führung weiterhin „loben“ als Vertreter der wahren Demokratie, Selenski sei demnach ein wahrer Held, weshalb man ihm nichts verweigern kann. Etwas wird ihm aber verweigert. Im Westen gibt es kluge Menschen, die verstehen, dass man diesem Regime nicht bestimmte Waffentypen übergeben soll.

Nicht genannte Spezialisten aus Pentagon sagten mehrmals, dass sie kein Recht haben, Selenski zu verbieten, Schläge gegen die Gebiete zu versetzen, die international als Ukraine eingestuft sind, darunter wird direkt die Krim genannt. Es gab einige anonyme, aber glaubwürdige Beweise, dass die Modernisierung entsprechender Mehrfachraketenwerfer, damit ihre Reichweite bis 1000 km ausmacht, direkt von amerikanischen Spezialisten erfolgte. Niemand verheimlicht, dass Angaben von Satelliten, sowohl militärischer, als auch ziviler, die US-Besitzern gehören, in der Echtzeit aktiv zur Zielbeobachtung genutzt werden. Die Zielbestimmung erfolgt direkt mit Einbeziehung der US-Spezialisten. Man fragte bei Amerikanern via Kanäle, die unsere Botschaft noch hat, ob der Beschluss, einen Patriot-Komplex angesichts der Schwierigkeit seines Einsatzes bedeutet, dass dort US-Spezialisten sein werden, wurde uns ziemlich vage erklärt, dass es nicht geplant werde, weil die USA nicht beabsichtige, direkt gegen Russland zu kämpfen. Patriot-Systeme werden im Laufe von einigen Monaten in Betrieb genommen, die ukrainischen Militärs werden diese Technologie erlernen. Aber es gibt dort Dutzende und vielleicht sogar hunderte US-Militärs. Sie waren in der Ukraine noch vor dem Staatsstreich. CIA-Mitarbeiter belegten zumindest eine Etage im Sicherheitsdienst der Ukraine. Jetzt funktioniert dort ein Apparat des Militärattachés. Militärische Spezialisten befassen sich eindeutig nicht nur mit Besuchen im Verteidigungsministerium der Ukraine. Es werden direkte konsultative Dienstleistungen (vielleicht sogar mehr als konsultative) erwiesen. Dort gibt es auch eine Gruppe der Spezialisten, die (wie Pentagon im US-Kongress erklärte) in diesen Monaten kontrollierte, wie US-Waffen genutzt werden. Deswegen als Kongress versuchte, die Schaffung eines Sondermechanismus zu fordern, sagte Pentagon, dass sie das alles bereits verfolgen. Es ist eine ziemlich interessante Situation. Es gibt viele Fakten, wie die westlichen Waffen auf Schwarzmärkten in Europa auftauchen (vielleicht auch in anderen Regionen). Ich bat meine Mitarbeiter, ein Material aus offenen Quellen zu erstellen, damit man unseren Gesprächspartnern zeigt, was verheimlicht wird.

Wir beeilen uns nicht. Das sagte Russlands Präsident Wladimir Putin. Man will diesen Krieg, den der Westen vorbereitete und im Ergebnis via die Ukraine gegen uns entfachte, möglichst schnell beenden. Priorität für uns ist das Leben der Soldaten und friedlichen Einwohner, die im Gebiet der Kampfhandlungen bleiben. Wir sind ein geduldiges Volk. Wir werden ausgehend von diesen Prioritäten unsere Landsleute, Staatsbürger und Gebiete verteidigen, die seit Jahrhunderten russisch waren.

Frage: Sie sagten absolut zu Recht, dass der Westen gegen uns einen Krieg via die Ukraine, und nicht nur, führt. Aber der Westen und die USA behaupten heuchlerisch (weil sie offiziell ihre Truppen nicht schicken, um gegen Russland in der Ukraine zu kämpfen), dass sie keine Konfliktseite sind. Also ohne Angst vor dem Dritten Weltkrieg, darunter dem Atomkrieg, zu haben, können sie an die Ukraine alle möglichen Waffen liefern, ihnen Aufklärungsdaten bereitstellen und auf dem Kampffeld beraten. Wir sehen, dass auch die Zahl und Qualität der Waffen, die der Westen der Ukraine bereitstellt, zunimmt. Der Westen lässt eigene Tabus fallen, die noch vor einigen Monaten eingeführt wurden.

Was wird Russland 2023 machen, um den Westen davon zu überzeugen, diese gefährliche Logik aufzugeben und diese Tendenz einzustellen?

Sergej Lawrow: Ich denke, dass wir unseren Kurs fortsetzen, der von Russlands Präsident Wladimir Putin auf dem Boden genannt wurde, unsere Möglichkeiten festigen, sowohl technologische, als auch aus der Sicht der Militärs, die nach der Teilmobilisierung ernsthaft vorbereitet wurden, sollen. Ein bedeutender Teil von ihnen befindet sich bereits dort, aber die Mehrheit nicht an der Frontlinie (wo professionelle Militärs, Vertragssoldaten kämpfen). Ein bedeutender Teil ist in Reserve. Wir werden unsere Gruppierung weiterhin stärken. Dieser Beschluss wurde im September 2022 getroffen. Es wurde der Kommandeur der Gruppierung der Vereinigten Kräfte ernannt. Wir befassen uns mit Handlungen, die uns in der nächsten Zeit ermöglichen werden, deutlich effektiver auf diesen Gebieten zu arbeiten. Ich habe keine geringsten Zweifel daran.

Zudem möchte man darauf aufmerksam machen, was Sie sagten – das Vollpumpen der Ukraine mit immer mehr westlichen modernen Waffen. Ich verfolge die Diskussion in unserer Gesellschaft und in Ihrer Sendung, anderen politologischen Kreisen und Formaten.

Militärs außer Dienst sprechen über die Notwendigkeit, die Kanäle für westliche Waffenlieferungen zu sperren. Ich meine Eisenbahnen, Brücken, Tunnels. Ich gehe davon aus, dass Profis darauf aufmerksam machen. Sie machen das seit Langem. Sie werden professionelle Beschlüsse darüber treffen, mit welchen Methoden die Lieferungen erschwert und bestenfalls gestoppt werden können. Eine Methode wird bereits genutzt – Schaden für die Infrastruktur, darunter die Energieinfrastruktur, die diese Waffenlieferungen bedient. Ich bin sicher, dass es auch andere Pläne gibt, die dazu auch eingesetzt werden.

Wir haben jetzt wenig Möglichkeiten, mit dem Westen zu sprechen. Es entsteht kein besonderer Wunsch, wenn man die Erklärungen der Außenminister, Premier, Präsidenten darüber, dass man sich mit der Sicherheit Europas gegen Russland befassen soll, liest. Früher sagte man „ohne Russland“, jetzt sagt man schon „gegen Russland“. Die Idee des Präsidenten Frankreichs, Emmanuel Macron, über die Schaffung der Europäischen Politischen Gemeinschaft, grob gesagt, OSZE minus Russland und Belarus. Das sagte der Mann, der etwas später sagte, dass es wichtig ist, die Möglichkeit eines Aufbaus irgendwelcher Sicherheitsstrukturen mit Russland nicht zu verlieren. Aber die Europäische politische Gemeinschaft wird sich festigen. Sie planen einen weiteren Gipfel im Frühjahr und versuchen, alle unsere Nachbarn außer Belarus einzubeziehen.

Vor diesem Hintergrund haben wir keinen besonderen Wunsch, mit dem Westen zu sprechen. Wenn eine konkrete Situation entsteht, und der Westen offen rechtswidrige Sachen macht, stellen wir Fragen. Vor kurzem tauchten Informationen auf, dass Griechenland der Ukraine ihre S-300-Komplexe übergeben wolle. Wir beauftragten unseren Botschafter, der wandte sich an das Außenministerium und Verteidigungsministerium Griechenlands, und erinnerte daran, dass diese Komplexe Griechenland übergeben worden waren. Erinnern Sie sich daran, dass sie an Zypern geliefert werden sollten, aber der Westen machte alles, um dies nicht zuzulassen angesichts der Insellage von Zypern und es damals kein Nato-Mitglied war. Im Ergebnis wurde ein Kompromiss erreicht, der allen passte. Dieser Komplex wurde von Griechenland gekauft. Laut dem Vertrag ist das Land nicht berechtigt, diesen Komplex ohne unsere Zustimmung weiter zu übergeben. Wir erinnerten daran die Griechen. Sie sagten, dass sie über ihre Verpflichtung wissen. Wir verfolgen sehr aufmerksam solche Dinge. Weil sich das Verbot für die Übergabe unserer Waffen an Dritte auf die meisten Waffen ausdehnt, die sich in Osteuropa befanden, wo diese nach Lizenz hergestellt wurden (in den Ländern des ehemaligen Warschauer Vertrags). Man muss aufpassen. Es werden viele rechtswidrige Sachen gemacht unter dem Motto „Ukraine retten“, weil „Ukraine Europa sei“ und „Europa sei Ukraine“.

Frage: Irren sich die USA, wenn sie davon ausgehen, dass sie in Sicherheit sind, eine Eskalation, direkte militärische Kollision mit Russland nicht befürchten sollen, und sie vor dem Eintritt in einen unmittelbaren Krieg gegen Russland alles Mögliche in Bezug auf die militärische Hilfe an die Ukraine machen können?

Sergej Lawrow: Darüber sprach vor einiger Zeit Russlands Präsident Wladimir Putin auf dem erweiterten Kollegium des Verteidigungsministeriums. Als Oberbefehlshaber formulierte er unsere Position (ich werde nichts hinzufügen) in Bezug auf neue Systeme für unsere Kriegsflotte, die jetzt in Betrieb genommen wurden.

Frage: Dimitri Simes begann unser Gespräch damit, dass „sich der Westen zusammenschloss“. Mir scheint, dass das vergangene Jahr eine noch wichtigere Tendenz ans Licht brachte. Das ist die Bildung der Weltmehrheit. Das sind die Länder von Ost und Süd, die mit der westlichen Hegemonie nicht einverstanden sind und sich weigerten, sich dem Westen gegen Russland anzuschließen. Ich nehme dieses Jahr als das Moment der Wahrheit in Bezug auf die Beziehungen zum Westen und Nicht-Westen wahr. Ist unsere Wendung in Richtung Weltmehrheit eine nicht konjunkturbedingte, sondern strategische Richtung der russischen Außenpolitik, die 2023 beibehalten und sich festigen wird? Was wird Russland im nächsten Jahr machen, um seine Verbindungen mit der Weltmehrheit und seine Rolle in Weltangelegenheiten zu festigen?

Sergej Lawrow: Ich würde Analysten zustimmen, die bei der Analyse dieses Jahres sagen, dass der Zwiespalt zwischen dem Westen, der die Hegemonie und Kontrolle der Erfüllung „eigener Regeln“ überall beansprucht, und der Weltmehrheit einen objektiven Charakter hat. Er reifte lange und hätte früh oder spät materielle Konturen bekommen sollen. Unser Beschluss, dass wir nicht mehr dulden können, wie Russen erniedrigt und in der Ukraine Sicherheitsbedrohungen für unser Land geschaffen werden,  weshalb wir die militärische Spezialoperation begannen,  war ein Antriebsfaktor und beschleunigte stark diesen Prozess.

Mir scheint, dass die Mehrheit der „nichtwestlichen“ Länder bereits zum damaligen Zeitpunkt, nach der Einführung der Sanktionen nach dem provozierten Staatsstreich gegen Russland, nach dem Referendum auf der Krim, die fehlende Zuverlässigkeit des Systems sahen, wo sie sich befinden. Das ist das System der internationalen Währung, Finanzen, Globalisierung, logistischer Ketten, Versicherung der internationalen Beförderung, Frachtsätze und technologische Dinge, die einige Länder produzieren. Zum Beispiel die Leiter, für die die Amerikaner jetzt auch ein Veto einlegen wollen. Es wurden Sanktionen gegen chinesische Unternehmen eingeführt, die Leiter herstellen, wobei sie die Entwicklung Chinas verlangsamen wollen. Alles ereignete sich deutlich schneller.

Viele Länder erwiesen sich vor der Notwendigkeit, hier und jetzt eine Wahl zu treffen. Es ist wohl schwer, das zu machen, angesichts davon, dass alle auf das Globalisierungssystem, das von Amerikanern geschafft und von ihnen auch diskreditiert wurde, weil Washington seine Unzuverlässigkeit als Kurator und Betreiber dieses Systems zeigte, ausgerichtet waren.

Wir hörten die Erklärungen der chinesischen Führung darüber, dass sie gegen Hegemonie seien und man eine gerechte Weltordnung aufbauen soll; die Erklärungen der indischen Führung, dass sie sich nach Interessen Indiens richten werden und es keinen Sinn hat, sie davon zu überreden, an die eigenen Interessen wegen amerikanischer geopolitischer Interessen zu vergessen. Die Türkei, Algerien, geschweige denn Venezuela, Kuba, Nicaragua. Mexiko, Argentinien und Brasilien schließen sich Sanktionen ebenfalls nicht an. Der Prozess der Bildung einer neuen Weltordnung beschleunigt sich natürlich. Er wird objektiv eine ganze historische Epoche sein.

In einer Ihrer Sendung machte ich auch auf irgendwelche Aussage darüber aufmerksam, dass wo die Globalisierung endet, beginnt die Regionalisieruing, dass es einige große Blöcke, die sich um regionale Anführer, bilden werden. In diesen Blöcken wird ein Ersatz für alle Instrumente und Mechanismen geschafft, die jetzt einen globalen Charakter haben, aber jene missbrauchen, die diese Instrumente schufen. Die Diskussion war darüber, ob die USA das begreifen. Jemand sagte, ja. Zudem möchten die Amerikaner den Prozess dieser Regionalisierung der Weltwirtschaft und der internationalen Beziehungen im Ganzen beschleunigen. China versteht auch die Notwendigkeit solcher Regionalisierung, hat nichts dagegen, wobei eigene Instrumente und Strukturen gebildet werden, möchte, dass dieser Prozess länger dauert.

Als ich das hörte, dachte ich, dass es eine interessante Beobachtung ist. Aber hätten die Amerikaner tatsächlich die Regionalisierung des Weltsystems beschleunigen wollen, hätte das bedeutet, dass sie sich schnellstmöglich einigen wollen. Je schneller man sich einigt, desto mehr Chancen hat man, die Hebel beizubehalten, die sie hatten und die einen globalen Umfang hatten. Dass der Prozess eingeleitet wurde, daran gibt es keine Zweifel. Hier geht es sogar nicht um eine Wahl zwischen der Weltmehrheit und dem Westen, wir wählen jene, die zuverlässig und verhandlungsfähig sind, die aus der Sicht langfristiger Projekte aussichtsreich sind, die nicht konjunkturbedingt sehen werden, wo man Profite bekommen kann und wo nicht.

Ich besprach das einst mit US-Kollegen (als wir Kanäle für regelmäßigen Dialog hatten). Viele in der US-Administration gaben nach Beginn der Pandemie zu, dass die Demokratie in der westlichen Deutung Beschränkungen hat, und jene Vorteile haben, die die Amerikaner „Autokratie“ nennen. „Autokratie“ ist de facto ein zentralisierter Staat mit einer starken Vertikale, die schnell und operativ Beschlüsse treffen kann, die auf dem ganzen Territorium umgesetzt werden. Wenn man vergleicht, wie Covid-19 von verschiedenen Ländern bekämpft wurde, gibt es viele Beispiele auf beiden Seiten. Unsere chinesischen Kollegen gaben im Ergebnis zu, dass es nicht richtig war, sofort vollständig zu schließen, weil das die Entwicklung der Herdenimmunität verhinderte. Jetzt korrigieren sie das. Doch nach der Zahl der Betroffenen liegen die USA weit vorne.

Ich sprach darüber noch mit der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice. Ich fragte, ob ein Präsentschafts- bzw. Parlamentswahlrennen jede zwei Jahre nicht davon ablenkt, ein großes umfangreiches (obwohl ein Schmelztiegel alle in Amerikaner verwandelt) Land zu leiten. Sie sagte, dass es natürlich ablenkt. Sie haben ein massives System, aber das seien ihre Probleme. Sie wissen, wie sie gelöst werden sollen. Das sind zwar ihre Probleme, aber auch Probleme der restlichen Welt. Denn jedes Mal, wenn Wahlkampagnen laufen, sollen die Amerikaner irgendwelches Außenthema erfinden – eine Bedrohung bzw. Aufgabe. Angesichts ihres Gewichts in der Weltarena werden globale Prozesse zu Geiseln unter einem starken Einfluss ihrer inneren Gespräche und innenpolitischen Kampfes. Autokratische Staaten (wie die USA sie nennen) mit einem zentralisierten Machtsystem haben zumindest einen Vorteil, dass der Horizont deutlich voraussagbarer ist. Zum Beispiel in China. Man kann darüber diskutieren, inwieweit das den Prinzipien der Demokratie entspricht, aber wer sagte, dass die Demokratie in den USA die beste Regierungsform ist?

Vielleicht hatte Winston Churchill zum Teil Recht, als er sagte, dass die Demokratie die schlechteste aller Staatsformen sei. Dann fügte er hinzu, „ausgenommen alle anderen, die bislang erfunden sind“. Die Welt steht nicht an einem Ort, vielleicht wird noch etwas erfunden.

Frage: Mir scheint, dass Winston Churchill noch eine interessante Aussage zugeschrieben wird: „Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminutiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler“. Also wenn man die Fehlerhaftigkeit der US-Demokratie verstehen will, sollte man wohl mit dem durchschnittlichen Kongressmitglied sprechen, und vieles wird klar.

Vor einigen Tagen haben Sie erwähnt, dass es in der US-Presse Mitteilungen gab (unter anderem in „New York Times“), dass es in der Administration Bidens Menschen gibt, die sich ernsthaft Gedanken über einen Präventivschlag gegen die höchste Führung Russlands machen. Ich rief Washington an und sprach mit zwei Personen in der Administration, die nicht genannt werden wollten.

Sergej Lawrow: Ich zitierte auch eine anonyme Quelle.

Frage: Sie sagten, dass sie zwar nicht für alle in der Administration (sie ist groß) bürgen können, aber es gebe natürlich keine solchen Pläne, einen Schlag gegen die höchste Führung zu versetzen. Glauben Sie daran, auf Grundlage davon, was Sie wissen, dass in Washington tatsächlich jemand, der über reale Macht verfügt, Pläne für einen Schlag gegen die russische Führung entwickelt?

Die zweite Frage. In Washington sagten der Außenminister Antony Blinken und der Sicherheitsberater Jake Sullivan mehrmals, dass Washington Russland warne, dass er nicht irgendeinen Weg gehen sollte, sonst würden sehr ernsthafte Folgen kommen. Wollen Sie die Möglichkeit nutzen und der Administration sagen, was wäre, wenn jemand versuchen würde, solchen Schlag zu versetzen?

Sergej Lawrow: Ich nutzte eine nicht genannte Quelle, aber im Unterschied von Ihnen (sie kennen doch ihre Quellen), kenne ich sie nicht. Ich weiß, dass sie hochrangig genannt wurde.

Frage: Nannte die Zeitung „The New York Times“ sie so?

Sergej Lawrow: Ja.

Frage: Also die Zeitung „The New York Times“ nahm sie ernsthaft wahr?

Sergej Lawrow: Wir haben uns daran gewöhnt, dass es ernstzunehmende Journalistik ist. Allerdings gibt es immer mehr Hinweise, dass es nicht immer so ist. Ich wollte dieses anonyme Leck bewusst übertreiben, weil diese Quelle sagte, dass solche Drohung zu hören war, und sich der Kreml im Prinzip nicht in Sicherheit fühlen soll. Dort gab es nichts persönlich über Wladimir Putin. Aber alles war klar. Ich beschloss, das bewusst hervorzuheben, weil das vor dem Hintergrund der andauernden Aussagen der „sprechenden Köpfe“ gesagt wurde. „Ein sprechender Kopf“ ist wohl, wenn man nur sprechen kann, nicht denken. In Kiew ist es Alexej Danilow…

Frage: Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine.

Sergej Lawrow: Ja, ein großer Experte für internationalen Beziehungen. Michail Podoljak..

Frage: Der Berater des Leiters der Präsidialadministration der Ukraine.

Sergej Lawrow: „Die Krim wird zurückerobert“ und „Möge der Kreml wissen, dass wir auch ihn erreichen und dort unsere Bomben abwerfen werden“. Sie sagen das jeden Tag.

Als eine ähnliche, etwas weniger saloppe These von einer „nicht genannten Quelle in Washington“ zum Ausdruck gebracht wurde, wurde das alles ohne jegliche Reaktion der Administration wahrgenommen. Journalisten fragten nicht auf dem Pressebriefing von Karine Jean-Pierre, was sie dazu denken.

Als über die Krim gefragt wurde, war eine Antwort des nicht genannten Pentagon-Vertreters, dass sie den Ukrainern nicht verbieten können, ihre Streitkräfte gegen die Gebiete einzusetzen, die sie als Ukraine bezeichnen. Das ist eine bedeutende Änderung der Position.

Im April 2014 versammelten wir uns nach dem Staatsstreich und Referendum auf der Krim (ich erwähnte das bereits, es soll kein Geheimnis sein) in Genf. US-Außenminister John Kerry, ich, die Chefin der EU-Diplomatie Catherine Ashton und Andrej Deschtschitsa, der bei Putschisten für außenpolitischen Dienst zuständig war.

Wir besprachen das Papier, das aus einer Seite bestand, wo die Hauptthese die Unterstützung der Föderalisierung der Ukraine und Aufnahme eines Prozesses unter Teilnahme aller Regionen der Ukraine war. Das wurde von der EU-Delegierten und John Kerry absolut natürlich wahrgenommen. Dieses Papier verschwand nicht. Aber es bekam nicht irgendwelchen Status. Parallel hatten wir mit John Kerry lange bilaterale Gespräche. Er sagte in so einem Gespräch, dass sie sehr gut verstehen, dass die Wahl der Krim-Bewohner aufrichtig sei und es hier keine Zweifel gebe. Aber man sollte das irgendwie gestalten, nochmals ein Referendum abhalten, wobei OSZE, UNO u.a. eingeladen werden. Es soll quasi eilig gemacht worden sein. Ich erklärte ihm, dass es so gemacht wurde, weil das stattfand, gleich nachdem Putschisten auf die Krim „die Züge der Freundschaft“ mit bewaffneten Hooligans geschickt hatten. Der „Rechte Sektor“ und andere neonazistische ultraradikale Gruppierungen, die das Gebäude des Obersten Rats der Krim erstürmten. Die Bevölkerung wollte nicht die Wiederholung solcher aggressiver Provokationen erleben.

Präsident Joe Biden sagt ständig, dass zur Verhinderung des Dritten Weltkriegs notwendig sei, dass die Ukraine „gewinne“. Er sagte das vor kurzem. Ich verstehe nicht ganz diese Logik, denn dann sagt er, dass „wir nicht direkt gegen Russland kämpfen werden, sonst wird es der Dritte Weltkrieg sein“. Dann fügte er hinzu, dass zur Vermeidung davon notwendig sei, dass die Ukraine gewinne. Wir haben keinen Dialogkanal. Der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte Mark Milley ruft ab und zu den Leiter des Generalstabs der Streitkräfte Russlands, Waleri Gerassimow, an. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach in dieser Zeit ein Paar Mal mit unserem Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Das ist gut und nützlich. Aber alles beschränkt sich damit, dass man vorsichtig sein sollte.

Frage: Als Hillary Clinton US-Außenministerin war, hat sie ein Prinzip der US-Diplomatie formuliert, das immer noch gilt: „Gehen und gleichzeitig Kaugummi kauen.“ Was die russisch-amerikanischen Beziehungen angeht, so sieht es vor, dass die USA Russland eindämmen, die Ukraine in jeder Hinsicht unterstützen und versuchen, der Ukraine zu helfen, „Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen“. Aber gleichzeitig wollen sie mit Russland über Fragen reden, die für sie selbst wichtig sind. Jetzt wollen sie mit Russland eine Wiederaufnahme von Inspektionen von nuklearen Objekten im Rahmen des neuen START-Vertrags sprechen. Die USA verweisen darauf, dass wir beide Atom-Supermächte sind und dass im Interesse der strategischen Stabilität Inspektionen wichtig wären. Meines Erachtens ist das scheinheilig. Ich sehe die größte Gefahr für die strategische Stabilität eben im Hybridkrieg, denn die USA gegen uns führen und nicht darin, ob es Inspektionen gibt oder nicht. Aber egal: Brauchen wir das? Das ist zwar eine der Möglichkeiten in Verbindung mit dem Dialog mit den USA, aber sind sie wirklich nötig in dem Kontext, in dem die USA das darstellen?

Sergej Lawrow: Als ich jung war, ging ich auch leicht herum und kaute Kaugummi, ohne dass es unbequem für mich war. Das ist ein amerikanisches Idiom, und bei uns äußert man so etwas anders, wobei Konsumenten der Fischindustrie erwähnt werden.

Sie haben völlig Recht. Die Amerikaner interessieren sich für eine Wiederaufnahme der Inspektionen. Natürlich analysieren wir die Situation. Nach unserer Einschätzung brauchen sie das, um zu verstehen, was sie eventuell zu erwarten hätten – und das  trotz der permanenten Behauptungen, ein Atomkrieg wäre unzulässig, denen wir nach wie vor zu 100 Prozent treu bleiben. Vor kurzem haben wir das in unserer Sondererklärung abermals bestätigt, als wir  auf die von Russland initiierte Erklärung der fünf Atommächte verwiesen, dass es bei einem Atomkrieg keinen Sieger geben würde und dass er nie entfesselt werden darf. Im Juni 2021 hatten die Präsidenten Biden und Putin auf unsere Initiative die diesbezüglichen Erklärungen Ronald Reagans und Michail Gorbatschows aus den späten 1980er-Jahren bestätigt.

Die Amerikaner wollen diese Inspektionen durchführen. Sie senden Signale an uns; bei uns melden sich Vertreter des US-Sicherheitsrates und sagen, dass sie sie wiederaufnehmen möchten. Wir zitieren diesen Vertrag (und das stimmt im Grunde mit Ihrer Analyse überein, dass die Stabilität nicht durch Inspektionen gesichert wird). In der Präambel steht geschrieben, dass die Russische Föderation und die USA „an der Festigung der neuen strategischen Beziehungen arbeiten, die sich auf gegenseitiges Vertrauen, auf gegenseitige Offenheit, Vorhersagbarkeit und Kooperation stützen“. Die USA haben das alles jetzt durchkreuzt. Wir wurden praktisch zum Feind abgestempelt. Es gibt kein Vertrauen mehr – man sagt uns das direkt. In der Präambel steht darüber hinaus geschrieben, dass die Seiten eine untrennbare Verbindung zwischen strategischen Offensiv- und strategischen Defensivwaffen sehen. Ja, das war das Maximum, das die Amerikaner akzeptieren könnten, um ihr Verständnis für unsere Besorgnisse über ihre Pläne im Bereich der Raketenabwehr, über ihre Absichten zur Einrichtung einer globalen Raketenabwehr  zu zeigen. Dennoch ist diese Verbindung im Vertrag verankert. Noch in der vorigen Phase, also vor den aktuellen Ereignissen, hatten wir bei gegenseitigen Beratungen über die Umsetzung des Vertrags darauf hingewiesen, dass es diese Verbindung gibt. Dort steht auch geschrieben, dass es diese Verbindung nicht nur gibt, sondern dass sie die entscheidende Bedeutung für weitere Gespräche über Reduzierung strategischer Rüstungen spielt. Die Amerikaner sagen, das wäre „nur“ die Präambel. Wir machen sie darauf aufmerksam, dass unsere Staatsduma bei der Ratifizierung des Vertrags eine Erklärung veröffentlicht hat, dass die Ratifizierung ohne die Erwähnung der engen Verbindung zwischen strategischen Offensiv- und Defensivwaffen unmöglich gewesen wäre. Das ist kein unwichtiges „Vorspiel“, sondern ein juristischer Fakt. Natürlich verletzen sie diesen Umstand. Die globale Raketenabwehr wird an unseren und an den chinesischen Grenzen aufgestellt. Das ganze Gerede, dass wir uns keine Sorgen machen müssen, weil sie gegen den Iran und Nordkorea gerichtet sei, ist inzwischen Vergangenheit. Das erwähnt niemand mehr. Man erklärt offen, dass diese Raketenabwehrsysteme bei der Eindämmung Russlands und Chinas helfen sollen.

Angesichts dessen ist es nicht ganz fair, dass die Amerikaner unter diesen Bedingungen nur ein für sie wichtiges Ding sehen: „Lasst uns kommen und gucken“. Aus technischer Sicht haben die Sanktionen unsere Möglichkeiten bei gegenseitigen Inspektionen wesentlich beschränkt. Selbst wenn unser Flugzeug die Genehmigung für den (hypothetischen) Flug nach Genf erhalten sollte, werden unsere Delegationsmitglieder und Crews vermutlich Schwierigkeiten haben, wenn sie für Hotel, für Essen und für den Flugzeugtreibstoff zahlen müssen. In diesem Sinne kann man uns nichts garantieren. Man sagt nur: „Lasst uns die Inspektionen wiederaufnehmen, und dann werden wir es sehen.“ Rein technisch ist dieses Thema absolut nebensächlich.

Strategisch wichtig ist eine andere Frage: Die Amerikaner haben alle Grundlagen zerstört, auf die sich dieser Vertrag stützte. Dennoch sagten wir  unseren US-Kollegen, dass wir unseren Verpflichtungen im Sinne dieses Vertrags voll und ganz treu bleiben – in dem Teil des Vertrags, in dem sie gleichberechtigt umgesetzt werden können. Wir werden ihnen rechtzeitig die im Vertrag vorgesehenen Informationen zur Verfügung stellen und sie entsprechend benachrichtigen.

Frage: Was das Thema reale Gefahr für die strategische Stabilität angeht, so erklärte Joe Biden, dass die Ukraine „auf dem Schlachtfeld siegen muss“, um den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Was werden die USA  nach Ihrer Meinung tun, wenn die Ukraine auf dem Schlachtfeld verliert? Mir scheint das unvermeidlich zu sein. Sie haben ja sich selbst überredet, dass es bei diesem Krieg nicht nur um die Ukraine geht, sondern vielmehr um die amerikanische Führung, um die umstrittene „Ordnung auf Basis von Regeln“, also um die amerikanische Herrschaft usw. Was werden die Amerikaner also tun, wenn die Ukraine verliert?

Sergej Lawrow: Ich muss sagen, dass Sie mich mit Ihrer Frage in die Sackgasse getrieben haben. Üblicherweise versuche ich, mir meine Antwort zu überlegen, bevor ich sie zum Ausdruck bringe. Und, ehrlich gesagt, klappt das nicht immer. Wenn man solche Dinge sagt, hat man wohl etwas auf Lager für den Fall, wenn das eine bewusste Erklärung war.

Jetzt reden alle wieder von der Notwendigkeit der Verhandlungen. Aber gleichzeitig wirft man uns vor, wir würden sie verweigern, obwohl Präsident Putin öfter sagte, dass wir keine ernsthaften Vorschläge erhalten.

Das Beispiel der Geschichte von Istanbul zeigt ganz deutlich, dass man ihnen auf die Finger geklopft und gesagt hat: „Es ist noch zu früh – Ihr habt Russland noch nicht ganz erschöpft, und wir Amerikaner finden es nicht genug.“  Wenn man sagt, Kiew wäre „bereit“, während Russland „nicht will“, sagt man das vor dem Hintergrund, dass Kiew erklärt, es würde sich nie an den Verhandlungstisch setzen, solange es die „ursprünglich ukrainischen Territorien“ und die Krim nicht befreit hat. Und solange Russland nicht „kapituliert“ und „Reparationen“ bezahlt hat, wird man uns nicht in diese oder jene Gesellschaft aufnehmen. Und auch solange kein Tribunal einberufen worden ist. Und im Februar 2023 wird man sich wieder zusammenschließen. Ich bin ja gespannt, wie das verlaufen wird.

Das alles wird inzwischen außerhalb der UNO besprochen. Die Franzosen und Deutschen bildeten schon irgendwelche Plattformen für humanitäres Völkerrecht. Dann wurde noch eine „Allianz der Multilateralisten“ mit der EU an der Spitze gebildet. Auf die Frage, warum diese Themen nicht in der UNO behandelt werden sollten, in der das Format maximal multilateral ist, sagt man uns, dort wäre alles altmodisch, und die Multilateralisten wären fortgeschritten in diesem Sinne.

Dann berief Joe Biden einen „Gipfel der Demokratien“ ein, indem er selbst entschied, wer ein Demokrat ist und wer nicht. Jetzt sind für die Amerikaner diejenigen „Demokraten“, die nicht nur einmal gegenüber den USA loyal sind, sondern gegenüber der Demokratischen Partei. Aus linguistischer Sicht ist das klar. Dann wurde die Europäische politische Gesellschaft einberufen. Vor kurzem organisierten die Amerikaner einen USA-Afrika-Gipfel. Im Unterschied zu uns (und wir hatten zum ersten und auch zum zweiten Gipfel, der im Sommer 2023 stattfinden wird, alle eingeladen) entschieden die Amerikaner selbst, was Afrika aus geografischer Sicht ist. Sechs oder sieben Länder wurden nicht eingeladen, weil die Regierungen dort „illegitim“ an die Macht gekommen sind, also nicht durch Wahlen. Aber in der Ukraine war die neue Regierung nach einem blutigen Staatsstreich an die Macht gekommen.

Frage: Ich bin erst vor kurzem aus Washington gekommen und könnte mit Ihnen darüber streiten. Wenn Bidens Administration beschlossen hat, dass „etwas“ kein Afrika ist, dann das nun einmal kein Afrika. Sie fordern gerade ihre absolute Basis heraus. Wenn jemand beschlossen hat, dass das kein Afrika ist, warum will man das in Moskau nicht akzeptieren?

Sergej Lawrow: Um diesem Gerede, bei dem all diese „Nuancen“ über Einberufung eines  neuen Sicherheitsforums ohne Russlands Beteiligung aufgezählt werden, ein Ende zu setzen, hat Wladimir Selenski einen Plan aus zehn Punkten veröffentlicht, und Dmitri Kuleba spricht schon über westliche Betreuer im Kontext jedes von diesen zehn Punkten. Und diese werden wieder diese oder jene Aufträge geben.

Frage: Zurück zu Henry Kissinger: Er hat vor vielen Jahren geschrieben, dass Spitzenpolitiker selten einander anlügen, denn im Unterschied zur öffentlichen Diplomatie, wenn man es mit einem Gegner zu tun hat, ist es nicht gerade vorgesehen, die absolute Wahrheit zu sagen. Aber wenn Spitzenpolitiker miteinander reden, lügen sie einander normalerweise nicht an, denn irgendwann werden sie sich wieder treffen, aber einander nicht mehr vertrauen. Und das ist das fundamentale Prinzip der Diplomatie.

Wir haben aus meiner Sicht die Situation erreicht, in der es kein gegenseitiges Vertrauen gibt, wenn man selbst in Washington und Brüssel offen sagt, dass man Russland nicht vertraut und dass es vertrauensvolle Beziehungen nicht gibt und auch nicht geben kann. Wenn man gleich nach Verhandlungen mit Ihnen oder mit dem Präsidenten Russlands veröffentlicht, was dabei besprochen wurde. Wenn man erklärt, es hätte während der Georgien-Krise 2008 Warnungen gegeben, dass man Saakaschwili „beseitigen“ sollte. Und man behauptet, Sie und Präsident Putin hätten Erklärungen gemacht, die Sie aber nie machten (das stellt sich später heraus).

Ich habe folgende Frage: Wie arbeitet es sich unter solchen Bedingungen mit Ihren amerikanischen Ex-Kollegen, die dennoch eine Großmacht bleiben, mit denen Sie es auch bei dem minimalen Dialog (egal ob in der Öffentlichkeit oder vertraulich) es zu tun haben? Was könnten Sie den Personen wünschen, die Washingtons Politik bestimmen? Und zwar nicht rhetorisch, sondern ernsthaft, damit im kommenden Jahr doch ein ernsthafter Dialog geführt wird.

Sergej Lawrow: Was den Dialog angeht, so wünschen wir nichts. Man weiß genau, dass der Dialog nicht von uns unterbrochen wurde. Wir haben gar nicht vor, um eine Wiederaufnahme des Dialogs zu bitten – das gehört nicht zu unseren Traditionen. Zu unseren Traditionen gehört es, immer auf vernünftige Vorschläge zu reagieren, falls ein Vorschlag zu einem Treffen kommen sollte.

In dieser Zeit gab es mehrere informelle Vorschläge. Wir stimmten immer zu. Einer dieser Vorschläge wurde am Ende Realität, und zwar das Treffen des CIA-Chefs William Burns mit dem Leiter des Außenaufklärungsdienstes, Sergej Naryschkin, in Ankara. Es hätte vertraulich sein sollen, doch sein Inhalt wurde veröffentlicht. Heutzutage gibt es nicht so viele Informationen, die wirklich vertraulich bleiben, obwohl wir uns immer darum bemühen, solche Vereinbarungen einzuhalten. Es gab auch andere Vorschläge, auch „im Auftrag“ Washingtons. Wir sagten nie „nein“ darauf. Aber dann wurde aus diesen Vorschlägen nichts.

Ich könnte den Amerikanern wünschen, etwas „demokratischer“ in der internationalen Arena zu werden. Wenn wir über eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen reden, und zwar nicht über etwas Außerordentliches und Neues, sondern darüber, dass diese Beziehungen sich auf die UN-Charta stützen sollten, in der geschrieben steht, dass sich die UNO auf die souveräne Gleichheit der Staaten stützt. Es ist im Grunde nichts mehr nötig. Man sollte ja nur diese Verpflichtung einhalten, die die amerikanischen (und auch unsere) Autoren in diesem grundlegenden Dokument verankert haben. Denn andernfalls glauben sie, berechtigt zu sein (ich habe schon solche Beispiele angeführt, und alle kennen sie), spontan zu entscheiden, dass die Situation um die Sicherheit der USA schlimmer geworden ist oder von den Ereignissen in Jugoslawien abhängt; davon, dass jemand geglaubt hat, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen entwickeln würde; dass Muammar al-Ghaddafi nicht „sympathisch“ genug war oder viel zu viel über die Finanzierung der Wahlkampagne des französischen Präsidenten in diesem oder jenem Jahr wusste. Und das war alles. Aus einer Entfernung von 10 000 Meilen wurde ein Expeditionskorps losgeschickt – und Libyen wurde total zerstört. Jetzt versucht man, es wieder „zusammenzubasteln“. Erwähnenswert ist auch, dass die Amerikaner irgendwann darauf bestanden hatten, dass Sudan in zwei Teile gespalten werden sollte, und dann beklagten sie  sich, dass weder der eine noch der andere Teil ihnen zuhörte.  Und jetzt verlangen sie Sanktionen gegen Sudan und auch Südsudan. Und diese werden auch schon verhängt.

Was den Irak angeht, wo Hunderttausende Menschen getötet und ganze Städte von der Erdoberfläche ausradiert wurden, aber keine Massenvernichtungswaffen entdeckt wurden, so räumte Tony Blair in seinen Erinnerungen ein, dass man es dort übertrieben hatte, relativierte es aber zugleich, so etwas könnte jedem einmal passieren. Und das alles über den Ozean. Und über die Gründe für die Einmischung der Amerikaner in die Situation in der Dominikanischen Republik oder in Grenada will ich jetzt gar nicht reden. Damals sagte Präsident Reagan, es würde eine Gefahr für das Leben der Amerikaner entstehen. Eine Gefahr – und das war es! Und Amerikaner gab es dort Tausende. Sie mischen sich ein, treiben Machtwechsel voran usw.

In unserem Fall ging es um Russen und russischsprachige Menschen in der Ukraine, deren Rechte auf Sprache, Ausbildung, Medien und Kultur auf gesetzgebender Ebene zertreten wurden. Dann kam es zum Staatsstreich. Dann erklärten die Putschisten sofort, man sollte  die russische Sprache verbieten, man sollte aufhören, mit der russischen Sprache zu „arbeiten“, und die Russen sollten von der Krim überhaupt verjagt werden. Wir unterzeichneten die Minsker Vereinbarungen, die einen geringen Teil der Territorien betrafen, um die es sich jetzt handelt. In der Ukraine wurde nichts unternommen (egal ob unter Pjotr Poroschenko oder Wladimir Selenski), ohne dass man von den USA Ratschläge einholte. Und wenn der Westen (und vor allem die USA) damals diese im Grunde einfachen Vereinbarungen erfüllt hätte, dann hätte das alles gar nicht gegeben. Es hätte den Putsch und den Staatsstreich nicht gegeben, wenn die Deutschen, Franzosen und Polen, die den Deal zwischen Viktor Janukowitsch und der Opposition garantieren sollten, darauf bestanden hätten, dass die Putschisten den Unfug einstellen und das Abkommen erfüllen sollten. Dann würden fünf oder sechs Monate später Wahlen stattfinden, die die Opposition auch gewinnen würde – das war ja klar. Warum hat man das alles getan?! Da habe ich nur  eine Antwort: Weil dann auch die von Zbigniew Brzeziński formulierte Theorie revidiert werden könnte. Und dann könnten die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine unter der Bedingung, dass die getroffenen Vereinbarungen in Erfüllung gegangen wären und alles innerhalb der Grenzen von 1991 geblieben wäre, normal bleiben (ich denke, das wäre durchaus möglich gewesen).

Aber man wollte unbedingt Russlandhasser an die Macht stellen, die Vereinbarungen mit Viktor Janukowitsch zum Scheitern bringen und das beginnen, was gerade auch getan wird: die nazistische Theorie auf legislativer Ebene rechtfertigen und die nazistische Praxis durch Bataillone ins Leben umsetzen.

Als im US-Kongress der Militärhaushalt abgestimmt wurde, wurde in den entsprechenden Gesetzentwurf schon wieder (das tun die Kongressmitglieder jedes Jahr) das Verbot für jegliche Unterstützung (militärische, materielle etc.) des „Asow“-Regiments aufgenommen. Im Pentagon tritt man jedes Mal dagegen auf und besteht auf dem Ausschluss dieses Verbots aus dem US-Haushalt. Das allein spricht Bände.

Frage: Wie ist Ihre Prognose für das kommende Jahr? Ich bitte Sie nicht, zu fantasieren – es gehört sich nicht, wenn ein Minister so etwas tut. Aber könnten Sie Ihre persönlichen Erwartungen mit uns teilen?

Sergej Lawrow: Wir müssen immer Realisten bleiben. Ich bin kein Pessimist, obwohl man sagt, ein Pessimist ist nur ein gut informierter Optimist. Dasselbe gilt für das Glas, das halbvoll oder halbleer ist. Aber es ist auch wichtig, um welche Flüssigkeit es dabei geht.

Meine Erwartungen sind realistisch. Ich bin überzeugt, dass wir  durch unsere Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit die  edlen Ziele, die für unser Volk und unser Land lebenswichtig sind, konsequent verteidigen werden, gleichzeitig aber auch zu einem gleichberechtigten Dialog und zu Vereinbarungen bereit sein werden, die eine wirklich gleiche und unteilbare Sicherheit in Europa ermöglichen würden.

Dabei ist eine Berücksichtigung der Interessen Russlands vorgesehen. Das ist nicht etwas, was wir erfunden haben und verlangen. Das ist etwas, was alle westlichen Spitzenpolitiker 1999 in Istanbul und 2010 in Astana unterzeichnet haben, sowie in den Dokumenten des Russland-Nato-Rats vorgesehen ist. Man hat uns Unwahrheiten erzählt, wenn ich mich diplomatisch ausdrücke.


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