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Interview des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, für die Nachrichtenagentur TASS, Moskau, 28. September 2023

1899-28-09-2023

Frage: Die erste Frage betrifft natürlich die Ukraine. Es ist bereits klar, dass die „Gegenoffensive“ der Ukraine gescheitert ist. In der westlichen Presse sind immer häufiger Thesen darüber zu hören, dass Verhandlungen bereits in diesem Herbst möglich sind. Gibt es dafür irgendwelche Voraussetzungen?

Sergej Lawrow: Wir sehen diese nicht. Es gab viele Kommentare zu diesem Thema sowohl vom Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin als auch von mir und dem Sprecher des Präsidenten Russlands, Dmitri Peskow. Der Westen scheint uns auf die Bereitschaft zu überprüfen, seinen Bedingungen zuzustimmen, wenn er solche provokativen Gerüchte verbreitet. Und sie verheimlichen diese nicht besonders. Eine mehrmonatige Pause nehmen und keine Vereinbarungen außer einem zeitweiligen Waffenstillstand, während die Ukraine mit neuen Waffen gepumpt wird, zusätzlich zu dem, was bereits geliefert wurde und von unseren Streitkräften planmäßig zerstört wird. Die Logik ist gleich wie bei den Minsker Abkommen.

Sie haben doch eingestanden, dass niemand die Minsker Abkommen umsetzen wollte: weder Deutschland, noch Frankreich, geschweige denn die Ukraine. Sowohl die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch der ehemalige französische Präsident Francois Hollande und der ehemalige ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko erklärten bereits 2022 offen, dass diese Abkommen nur dazu notwendig waren, Zeit zu gewinnen, um das militärische Arsenal des ukrainischen Regimes gegen die Russische Föderation aufzurüsten. Wenn sie die Minsker Abkommen umgesetzt hätten, wäre die territoriale Integrität der Ukraine gewährleistet worden, denn gerade darin bestand ihr Wesen. Die territoriale Integrität sollte durch die Gewährung eines besonderen Status für die Volksrepubliken Donezk und Lugansk wiederhergestellt werden. Die Mitverfasser des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei den Minsker Abkommen haben offen zugegeben, dass sie ihn in die Irre geführt und nicht die Absicht hatten, sie umzusetzen, und dass gerade sie die territoriale Integrität der Ukraine zerstört haben, um die sie sich jetzt ständig kümmern.

Wir sehen diese Pläne. Wir waren nicht nur während der Vorbereitung der Minsker Abkommen zur Konfliktlösung bereit, sondern auch im April 2022, als der Ukraine ein Vorschlag zur Einstellung der Kampfhandlungen und zur Regelung der Situation auf Grundlage gegenseitiger zuverlässiger Sicherheitsgarantien gemacht wurde. Aber auch er wurde auf Anforderung von Washington und London zurückgezogen. Das ist jetzt schon gut bekannt. Deshalb soll man uns nicht des fehlenden guten Willens beschuldigen. Präsident Wladimir Putin spricht ständig darüber. Im April 2022, als wir bereit waren, die Vereinbarungen zu unterzeichnen, sicherten uns die Ukrainer zu, dass sie diese ebenfalls unterschreiben würden. Als Geste des guten Willens stellten wir die Kämpfe ein und verlegten sogar unsere Streitkräfte in gewissem Maße. Das wurde von denen ausgenutzt, die diese Vereinbarung torpedierten.

Präsident Putin hat das jetzt auch erwähnt. Wir sind bereit zu Verhandlungen und würden alle ernsthaften Vorschläge erörtern, aber es kann keine Rede von Waffenruhe während der Verhandlungen sein, denn wir wurden bereits einmal damit betrogen.

Was die Frage betrifft, womit das alles enden könnte, sehen wir keine ernsthaften Vorschläge seitens des Westens. Ja, es gab Besuche einer afrikanischen Delegation bei uns, die sich für eine friedliche Lösung aussprach, sowie Vorschläge von China, Brasilien und einer Reihe anderer Länder, einschließlich der Liga arabischer Staaten. Alle waren mit dem aufrichtigen Wunsch verbunden, dabei zu helfen, sich zu einigen, unter Berücksichtigung der indigenen Ursachen der aktuellen Situation, ihrer Behebung und der Sicherheit aller Seiten unter gleichen Bedingungen.

Der Westen spricht jetzt über die Möglichkeit der Aufnahme von Verhandlungen. Gleichzeitig erklärt er laut und rücksichtslos, dass die einzige Grundlage für Verhandlungen die „Friedensformel von Wladimir Selenski“ ist. Hier kann nichts besprochen werden. Es ist ein reines Ultimatum. Kein vernünftiger Mensch kann ein solches Ultimatum als alternativlose Grundlage für Verhandlungen vorantreiben, es sei denn, er möchte diese Verhandlungen zum Scheitern bringen und verhindern. Das ist die Situation.

Unsere Position bleibt in Kraft. Wir sind bereit zu Verhandlungen, aber unter Berücksichtigung der aktuellen Realitäten auf dem Boden und unserer Position, die allen gut bekannt ist. Auch unter Berücksichtigung unserer Interessen, unserer Sicherheitsinteressen und Nichtzulassung der Schaffung eines feindlichen nazistischen Regimes an den Grenzen Russlands, das offen erklärt hat, die gesamte russische Bevölkerung auf den Gebieten auszurotten, die sowohl auf der Krim als auch in Noworossija jahrhundertelang von russischen Menschen besiedelt, entwickelt und bewohnt wurden. Das ist jetzt das Wesen des Problems. Wir sehen keine ernsthaften Bewegungen auf der westlichen Seite. Das Kiewer Regime handelt und verhält sich so, als ob es die Musik bestellt, und der Westen unisono sagt – „Kein Wort über die Ukraine ohne die Ukraine“ und „Die Bedingungen für den Beginn der Verhandlungen werden von Wladimir Selenski bestimmt“.

Der Kreis hat sich geschlossen. Das ist eine absolut aussichtslose Position. Entweder bedeutet sie das Fehlen gesunden Menschenverstands bei denen, die diesen Krieg gegen Russland lenken, oder sie bedeutet ihre unerschütterliche Überzeugung davon, dass sie Russland „besiegen“ werden. Beides macht wenig Ehre dem Westen, westlichen Diplomaten und Denkern.

Frage: Ich will eine Frage zum „heißen“ Thema stellen - Armenien. Wie denken Sie, kann es sein, dass Armenien Russland verliert?

Sergej Lawrow: Dort gibt es viele, die Russland verlieren und neue Freunde finden möchten.

Historisch, geografisch und geopolitisch ist es unmöglich, Russland in dem Sinne zu verlieren, dass seine Interessen in Transkaukasien vollständig ignoriert werden. Aber einige Führungskräfte in Jerewan haben solche Hoffnungen. Sie sagen das direkt.

Diese Idee wurde auch in einer jüngsten Rede des Premierministers Nikol Paschinjan zum Ausdruck gebracht, der von der Notwendigkeit sprach, die „gescheiterten“ Bündnisse zu kompensieren, auf die Armenien im Hinblick auf ihre Sicherheit gehofft hatte, und den Kreis der Partner zu erweitern, die diese Sicherheit gewährleisten würden.

Wenn sie auf die USA setzen (das ergibt sich direkt aus den Äußerungen vieler Vertreter der armenischen Führung), sollten sie sich die jüngere Geschichte anschauen, wie die Vereinigten Staaten mit denen umgingen, die sie unter Schutz nehmen wollten, wobei ihre geopolitischen Interessen in Regionen fern von der amerikanischen Küste durchgesetzt wurden. Das Schicksal dieser Menschen ist äußerst bedauerlich.

Frage: Ich möchte eine Frage über Georgien stellen. Wie bekannt, wurde vor kurzer Zeit direkte Flugverbindung zwischen unseren Ländern wiederhergestellt. Es wurde auch ein Erlass über Visumfreiheit für georgische Staatsbürger unterzeichnet. Sehen Sie die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen in absehbarer Zukunft?

Sergej Lawrow: Es waren nicht wir, die die diplomatischen Beziehungen abgebrochen haben. Das war eine Initiative des Regimes von Michail Saakaschwili, das mit Unterstützung der USA seine Hand gegen seine eigenen Bürger und Osseten erhob (die er als seine eigenen Bürger betrachtete) und auch gegen Friedenstruppen. Als er eine angemessene Antwort erhielt, versuchte er, seine politische und militärische Niederlage mit antirussischen Maßnahmen auszugleichen.

Wir verhielten uns nie negativ zum georgischen Volk. Wir lieben das georgische Volk aufrichtig, wie auch alle Völker Transkaukasiens. Die Georgier nehmen einen besonderen Platz in der Geschichte Russlands, der Sowjetunion, unserer Kunst, Kultur und Wissenschaft ein.

Wir haben gesehen, dass die gegenwärtige Regierung in Tiflis an der Normalisierung der Beziehungen interessiert ist, zumindest im Interesse einfacher Bürger. Die Menschen wollen miteinander kommunizieren, zueinander zu Gast kommen, als Touristen beide Länder besuchen und Geschäfte betreiben, die traditionell unsere Wirtschaftssysteme miteinander verbunden haben.

Wir haben mit der Regierung von Irakli Garibaschwili die Wiederaufnahme von Flügen vereinbart und die Visapflicht für georgische Staatsbürger aufgehoben. Die Visumsfreiheit für russische Staatsbürger besteht bereits seit ziemlich langer Zeit. Viele unserer Bürger nutzten das. Die Einführung des Visumsfreiheit nun schon auf gegenseitiger Grundlage auch für georgische Staatsbürger und die Aufnahme des Flugverkehrs machen unsere Beziehungen wesentlich bequemer und komfortabler. Die Anzahl der Flüge nimmt zu, ebenso wie die geografische Reichweite der Direktflüge. Der Handelsumsatz wächst. Viele traditionelle georgische Exportprodukte wie Wein, Borjomi u.a. sind beliebt bei unseren Staatsbürgern.

Frage: Russlands Präsident Wladimir Putin verkündete über die Bereitschaft Russlands, die BRICS-Spiele im Sommer 2024 auszutragen. Ich möchte präzisieren: Ist Russland bereit, Sportler nur aus den BRICS-Ländern aufzunehmen (wie wir wissen, erweitert sich die BRICS) oder auch aus Ländern, die erst bereit sind, diesem Bündnis beizutreten? Könnten diese Spiele in Zukunft eine Art Alternative zu den Olympischen Spielen sein?

Sergej Lawrow: Nein. Genau wie die BRICS als zwischenstaatliche Vereinigung gestärkt und erweitert wird (und weiterhin erweitert wird), nicht gegen jemanden, sondern ausschließlich im Interesse der Teilnehmerländer, genauso sind die BRICS-Sportspiele nicht gegen die Olympischen Spiele gedacht, sondern als Ergänzung dazu.

Leider verwandelt sich diese Bewegung wegen der Position des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, in ein Instrument der Politik des Westens. Das ist offensichtlich. Genauso wie die Welt-Anti-Doping-Agentur einst in so ein Instrument verwandelt wurde und seit vielen Jahren versuchte, Konkurrenten aus unserem Land auf verschiedenen internationalen Plattformen zu unterdrücken, wobei Anti-Doping-Regeln grob missbraucht wurden, unsere großen Sportler mehrfach und unbegründet für schuldig erklärt wurden. Genau so nutzt das Internationale Olympische Komitee jetzt die Situation um die Ukraine, um die Olympische Charta grob und direkt zu verletzen. Wobei die Mehrheit unserer Sportler aus Wettbewerben ausgeschlossen wird, wird „als immenser positiver Schritt“ eine Ausnahme für bestimmte Sportarten, Altersgruppen im neutralen Status ohne Flagge und Hymne gemacht.

Thomas Bach betonte mehrmals, dass die Olympische Charta respektiert werden müsse. Aber nicht in dem Maße. Der Sinn seiner Aussagen besteht darin, dass das IOC nicht gleichgültig gegenüber dem bleiben kann, was in der Ukraine vor sich geht. Im Laufe von vielen Jahren war das IOC gleichgültig zu all dem, was der Westen getan hat. Das alles war Zehntausende Meilen von seinen eigenen Grenzen entfernt, und er machte es. Russland warnte seit vielen Jahren die internationale Gemeinschaft davor, dass die NATO die Angelegenheit zu einem großen Krieg führt, indem sie direkt militärische Bedrohungen an den Grenzen der Russischen Föderation schafft und das Regime unterstützt, das von Washington eindeutig zur Abschreckung Russlands und Angriff auf unser Land vorbereitet wurde. Damals beschloss das Olympische Komitee, seine unverständliche Prinzipientreue entgegen seinen Verpflichtungen gemäß der Olympischen Charta zu zeigen. Gleichzeitig äußerte sich Thomas Bach vor kurzem zur Olympischen Charta und der Notwendigkeit, ihre Politisierung zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund erklärte er, dass das IOC die Einbeziehung von Transgender-Personen in Olympische Spielen allumfassend fördern werde. Also sie sehen in diesem Sinne keine Politik, oder? Gott möge sie richten.

Zurück zu den BRICS-Spielen. Sie sind für Juni 2024 in Kasan geplant. Alle diese Wettbewerbe sind für Sportler aus jedem Land offen, sogar aus „unfreundlichen“ Ländern. Wir haben keine unfreundlichen Sportler, Bürger oder sogar Länder. Es gibt unfreundliche Regierungen, die für einige Zeit an die Macht in Staaten gelangt sind, deren Völker und Bürger immer gute und freundliche Beziehungen zu uns hatten. Die Spiele werden für alle Sportler in voller Übereinstimmung mit den Prinzipien der Olympischen Charta offen sein. Das Internationale Olympische Komitee kann seine Schlüsse ziehen.

 


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