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Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, mit der Nachrichtenagentur TASS für den Film aus der Reihe „Formula Wlasti“ „Vereinte Nationen – 70 Jahre“ am 14. September 2015 in Moskau

1713-14-09-2015

Frage: Worin besteht die Besonderheit der Jubiläumssession der UNO, die dem 70. Jahrestag der Organisation gewidmet ist, welche Entscheidungen sollen dabei getroffen werden? Was erwarten Sie persönlich von dieser Session?

Sergej Lawrow: Die UNO ist vor allem eine Organisation, die über einmalige Legitimität verfügt, der einzige Mechanismus der internationalen Kooperation, das sich auf feste Grundlage der menschlichen Tätigkeit stützt und alle Bereiche der menschlichen Tätigkeit umfasst – den militärpolitischen Bereich, Sicherung, Konfliktregelung, Entwicklung der wirtschaftlichen und humanitären Kooperation sowie eine sehr wichtige Funktion – Modernisierung des Völkerrechts. Es gibt einen speziellen Ausschuss, der sich damit befasst. Der 70. Jahrestag der Bildung der UNO ist natürlich ein Datum, das Begreifung nicht nur aus der Sicht der Tatsache erfordert, was gemacht wurde, und der Lehren, die in diesem Jahrzehnten gezogen werden mussten, sondern auch aus der Sicht des Blickes in die Zukunft. Die Lehren sind offensichtlich. Die UNO wurde auf Trümmern des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufen, der der blutigste Ereignis in der Geschichte der Menschheit war, nichts ähnliches kann wiederholt werden. Dafür wurde die UNO geschaffen. An deren Gründung nahm die Sowjetunion teil als einer der aktivsten Teilnehmer dieses Prozesses der Bildung dieses Herangehens. Gleich nach dem Abschluss der Abkommen von Beloweschskaja Puschtscha wurde die RSFSR zu Russland. Einer der ersten und wichtigsten Schritte war die Benachrichtigung darüber, dass Russland der Nachfolger der Sowjetunion in Bezug auf alle Verpflichtungen ist, die sich aus dem UN-Statut ergeben. Wir wurden dabei von den Kollegen aus der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten  völlig unterstützt, die damals erst entstand und von allen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft völlig unterstützt wurde. Deswegen bedeutet die Fortsetzung unserer  ständigen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat, dass Russland von allen als Gründer der UNO wahrgenommen wird.

Der 70. Jahrestag hängt unmittelbar mit den Lehren zusammen, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen haben und den Anstrengungen, die jetzt die meisten Staaten unternehmen, damit die menschenfeindliche Ideologie des Faschismus und Nazismus nicht wiederbelebt wird. Das wird der Gegenstand einer weiteren Resolution sein, die Russland zusammen mit Dutzenden Mitverfassern jedes Jahr in der UN-Vollversammlung fördert – die Heroisierung von Nazismus, neuen Formen der Rassendiskriminierung, Fremdenhass und jeden menschenfeindlichen Ideologien nicht zuzulassen. Darüber hinaus wird die Session voll von Ereignissen sein. Kurz vor Diskussion zu allgemeinen politischen Fragen, an denen die Staats- und Regierungschefs teilnehmen, findet der Gipfel statt, der einer nachhaltigen Entwicklung gewidmet ist, bei dem ein neues 15-jähriges Programm für die Zeit  bis 2030 verabschiedet wird, das internationale Anstrengungen zur Lösung der Probleme im Bereich Wirtschaft und Finanzen bei einer Ankopplung an die Lösung der sozialen Aufgaben und Aufgaben im Bereich Umweltschutz umfasst. Russland ist im September der Vorsitzende im UN-Sicherheitsrat und wir bereiten eine spezielle Ministersitzung vor, die einer komplexen Analyse der Terrordrohungen gewidmet sein wird, die aus der Region Naher Osten und Nordafrika stammen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Thema sehr laut bei den Diskussionen der UN-Vollversammlung lauten wird. Wir werden versuchen, den Ton bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu geben, darunter angesichts der von Russlands Präsident Wladimir Putin aufgestellten Initiative in Bezug auf die Bildung einer einheitlichen Front zum Kampf gegen Terrorstrukturen wie „Islamischer Staat“ bei einer parallelen Förderung der Prozesse der politischen Regelung in der Region, darunter in Syrien.

Frage: Unter UN-Statut steht die Unterschrift unseres Landes von Andrej Gromyko. Er leitete fast 30 Jahre lang das Außenministerium hier, im Gebäude auf Smolenskaja Platz. Sie begannen die Arbeit im Außenministerium und in der UNO, als Gromyko Minister war. Wie ist seine Rolle in der Aufstellung dieser Organisationen, in der Festigung der Beziehungen zwischen unserem Land und der UNO? Wie ist die Rolle der Sowjetunion, Russlands bei der Aufstellung, Festigung dieser Organisation, Verleihung eines größeren Ansehens?

Sergej Lawrow: Ich denke, dass die Sowjetunion eine entscheidende Rolle zusammen mit Amerikanern und Engländern spielte. Zum ersten Mal im Herbst 1943 fand in unserer Residenz in der Spiridonowka-Straße das Treffen der Außenminister der Sowjetunion, der USA und Großbritanniens statt, bei dem zum ersten Mal in den dort unterzeichneten Dokumenten das Ziel der Schaffung der internationalen Organisation erwähnt wurde. Damals gab es sogar keine solche Bezeichnung wie UNO, doch es gab die Notwendigkeit, eine internationale Organisation nach Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zu schaffen (schon damals hatten Verbündete keine Zweifel daran, dass sie gegen Hitler gewinnen), die die Menschheit von der Wiederholung solcher Tragödie versichern würde. Die Sowjetunion förderte aktiv die Prinzipien des Statuts, die heute am lebensfähigsten sind – Gleichberechtigung der Seiten, Souveränität aller Staaten, Respekts des Rechtes der Völker auf Selbstbestimmung als grundlegendes Prinzip der UNO und Verpflichtung jedes Staates, die Rechte der Völker zu sichern, damit sie nicht unterdrückt werden. Dieses Prinzip ist auch heute aktuell. Wir gaben die 29. Ratifikationsurkunde am 24. Oktober ab. Das war eine Urkunde, die eine notwendige Zahl der Ratifizierungen zum Inkrafttreten des UN-Statuts gewährleistete. Deswegen ist der 24. Oktober ebenfalls ein Datum, das mit der Ratifizierung dieses wichtigsten Dokumentes durch die Sowjetunion zusammenhängt. Später verteidigten wir solche wichtige Prinzipien der Vereinten Nationen wie die Kompromiss-Kultur, die Notwendigkeit alles zu machen, damit der UN-Sicherheitsrat das Hauptorgan wird, das für die Sicherung des internationalen Friedens zuständig ist, und auf kollektiven Grundlagen funktioniert – Vereinigung der Anstrengungen. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass das Veto-Recht, das oft kritisiert wird, in der Tat der größte Garant zur Sicherung der Checks and Balances ist, die in jedem demokratischen System notwendig ist. Eine andere Sache, dass man Situationen zu provozieren beginnt, die in eigennützigen politischen Zielen genutzt werden, wie dies mehrere Male der Fall war, als unsere westlichen Partner Resolutionen wie das Jubiläum der Ereignisse in Srebrenica einreichten. Bei aller Tragödie der damaligen Ereignisse ist es nicht die Sache des UN-Sicherheitsrats, eine Seite bei den Erinnerungen an den Konflikten vor 20 Jahren einzunehmen. Es ist auch nicht die Sache des UN-Sicherheitsrats, sich in die strafrechtliche Untersuchung der Katastrophe mit der malaysischen Boeing einzubeziehen. Ich werde nicht auf diese Details eingehen. Das Wichtigste ist, dass der UN-Sicherheitsrat seine Lebensfähigkeit und alles notwendige beibehält, um auch in der Zukunft eine zentrale Rolle bei der Lösung der internationalen Krisen zu spielen. Er wurde bereits reformiert, die Zahl der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats stieg von elf auf 15, jetzt wird von einer neuen Erweiterungswelle gesprochen. Wir unterstützen diesen Prozess. Wir denken, dass die Schwellenländer Asiens, Afrikas und Lateinamerikas nicht ausreichend im UN-Sicherheitsrat vertreten sind, weshalb wir die Anträge Indiens und Brasiliens für die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat auf ständiger Grundlage unterstützen. Wir denken, dass auch die ständige Präsenz des Afrikanischen Kontinents in dieser Struktur gewährleistet werden soll, weil ich betone es noch einmal, die Schwellenländer nicht ausreichend vertreten sind und ihre Rolle bei der Arbeit dieses Hauptorgans nicht ausreichend ist. Doch zugleich soll die Reform gefördert werden, die den UN-Sicherheitsrat nicht ungesteuert, aufgeblast machen wird. Die Schnelligkeit der Arbeit ist ein weiteres wichtiges Prinzip neben einer gehörigen Vertretung aller Regionen, aller Zentren der globalen Entwicklung. Ungefähr etwas mehr als 20 Mitglieder – ich denke, dass ist die Grenze, auf die man sich richten sollte.

Ich würde auch andere Richtungen der UN-Tätigkeit erwähnen. Wir treten aktiv dafür ein, dass die UNO im Bereich der präventiven Diplomatie arbeitet. Es wurde eine reiche Erfahrung im Bereich Friedensförderung gesammelt. Es geschehen sehr ernsthafte Prozesse, manchmal bekommen die Friedensmissionen der UNO solche Mandate, die in vielen Hinsichten die Funktion einer äußeren Steuerung im Bereich der staatlichen Verwaltung, Gewährleistung der Sicherheit, Rechtsschutz bedeutet, was auch mehr Verantwortung bedeutet. Solche Mandate werden in der Regel nach langen Konsultationen unter Teilnahme der Länder beschlossen, die ihre Truppen zur Friedensoperation entsenden werden. Das ist auch eine Neuigkeit, die nicht sehr lange in der Tätigkeit des UN-Sicherheitsrats im Kontext der Erweiterung seiner Tätigkeit mit anderen Ländern vertreten ist, die zu diesem Organ gehören. Ich betone ebenfalls die Aufmerksamkeit, die in der UNO der Unterstützung der Länder gewidmet wird, die aus den Konflikten aussteigen, also Friedensaufbau. Dieses Konzept soll die Staffel von Friedenstruppen übernehmen und den Spezialisten im Bereich zivile Administration und Wirtschaft helfen.

Frage: Ist es ebenfalls eine UN-Institution?

Sergej Lawrow: Das ist ebenfalls eine UN-Institution. Es wurden die Kommission und der Fonds zum Friedensaufbau geschaffen – das ist ein gemeinsames Organ der UN-Vollversammlung und ECOSOS. Eine weitere Richtung der Reformen sind die Menschenrechte. Vor einigen Jahren wurde das Organ reformiert, das sich mit den Menschenrechtsschutzfragen beschäftigt, es wurde der UN-Menschenrechtsrat geschaffen. Der größte Unterschied von seinem Vorgänger besteht darin, dass in diesem neuen Rat das Prinzip der Gleichberechtigung der Länder gewährleistet wird, weil jedes Land nach neuen Gründungsdokumenten ohne Ausnahme in einer bestimmten Periode Berichte dem UN-Sicherheitsrat vorlegen muss, wobei über die Erfüllung der universellen Dokumente berichtet wird, die den Respekt der Menschenrechte regeln.

Russland legte bereits zweimal erfolgreich solche Berichte vor, vor kurzem waren es auch die USA, wobei mehrere Dutzend Empfehlungen formuliert wurden, die beantwortet werden sollen. Im Unterschied vom vorherigen Schema, als sich die ehemalige Menschenrechtskommission vor allem auf spontane Prinzipien stützte (wenn man ein Land kritisieren wollte, wurde es gerufen und ihm Empfehlungen gegeben), legt jetzt jedes Land ohne Ausnahme einen Bericht in eine bestimmte Periode vor. Das diszipliniert.

Das diszipliniert unter anderem unsere westlichen Kollegen, die es versuchten, sich in der Welt als Vorbild im Menschenrechtsbereich darzustellen. Doch niemand ist perfekt, das betrifft auch sie. Diese Reformen helfen der UNO, die Prinzipien zu fördern, die im Statut festgeschrieben sind und internationale Beziehungen zu beeinflussen. Ein weiteres Beispiel – ich erwähne ein Dokument, das vor den allgemeinen Debatten bei der UN-Vollversammlung gebilligt werden soll – das Dokument zur Entwicklung der Kooperation in Bereichen Wirtschaft, Finanzen, humanitärer Bereich – die Tagesordnung für nachhaltige Entwicklung bis 2030. Es werden Standards festgelegt, die auch von Mechanismen berücksichtigt werden sollen, die Beschlüsse zur Führung des Internationalen Währungs- und Finanzsystems treffen – die Gruppe der Weltbank, IWF. Die G-20 als informelle Struktur kann bei ihrer Tätigkeit universelle Prinzipien der Entwicklung der Weltwirtschaft und sozialen Bereichs nicht ignorieren, die von allen Staaten der Welt gebilligt werden.

Frage: Sie haben eine mögliche Reform des UN-Sicherheitsrats erwähnt. Doch ehrlich gesagt, habe ich vor zehn Jahren die Ehre gehabt, mit Ihnen in diesem Saal zu diesem Thema gesprochen zu haben. Bereits damals sprachen Sie von einer möglichen Reform des UN-Sicherheitsrats. Schon damals wurde eine mögliche Erweiterung via Asien, Länder Lateinamerikas erwähnt, es wurden sogar irgendwelche Länder Europas genannt. Ich erinnere mich an Ihren Scherz, als Sie sagten, dass ein Vertreter eines europäischen Landes Ihnen sagte, dass man ebenfalls eine Rolle im UN-Sicherheitsrat beanspruche, weil man ebenfalls den Krieg verloren habe. Warum geschah das innerhalb von zehn Jahren nicht? Ist jetzt die Ziellinie zu sehen?

Sergej Lawrow: Ich würde Ihnen sogar sagen – hätten wir uns vor 20 Jahren getroffen, hätte ich Ihnen ebenfalls gesagt, dass der Reformprozess bereits begonnen hat.

Frage: Das ist eine schwierige Frage.

Sergej Lawrow: Der Prozess wurde meines Erachtens 1993 mit der Verabschiedung der Resolution der UN-Vollversammlung begonnen, als beschlossen wurde, Konsultationen aufzunehmen, um ein allgemein akzeptables Ergebnis zu erreichen, das eine gerechte geografische Vertretung aller Regionen in diesem Organ sichern würde, was seine Effizienz erhöhen würde u.a.

Frage: Handelt es sich um ständige Mitglieder?

Sergej Lawrow: Nein. Dort wurde einfach über die Reform des UN-Sicherheitsrats gesagt, darunter seine Erweiterung. Die Frage besteht darin, in welchen Kategorien die Erweiterung geschehen soll – ständige bzw. nicht ständige Mitglieder. Das ist der Gegenstand sehr harter Diskussionen. Der Prozess kann jetzt nicht die Ziellinie erreichen, weil es Widersprüche zwischen zwei Gruppen der Länder gibt und die Versuche unternommen werden, zu behaupten, als ob die fünf ständigen Mitglieder sich darauf nicht einigen können, weshalb es auch kein Ergebnis gibt.

Das Hauptproblem besteht darin, dass es zwei unversöhnliche Positionen gibt. Eine Gruppe der Länder besteht darauf, dass neue ständige Plätze geschaffen werden sollen, die zweite Gruppe ist der Ansicht, dass die Schaffung der neuen ständigen Plätze nicht zugelassen werden und man nach Lösungen via Erweiterung der nichtständigen Mitglieder suchen soll.

Frage: Decken Sie das Geheimnis auf, wer ist die zweite Gruppe der Länder? Soviel ich verstehe, gehören wir zur ersten Gruppe, die für die Erweiterung ist.

Sergej Lawrow: Nein, sowohl die erste als auch die zweite Gruppe ist für die Erweiterung. Die erste Gruppe sagt, dass unter denjenigen Plätzen, die zu den jetzigen 15 hinzugefügt werden sollen, es unbedingt auch ständige Plätze geben soll. Die zweite Gruppe sagt – „Nein, man soll nicht neue ständige Plätze schaffen, wollen wir das Problem via Erweiterung der nichtständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats lösen“.

Frage: Quantitativ?

Sergej Lawrow: Nein, nicht quantitativ sondern qualitativ. „Das ständige Mitglied“ bedeutet, dass das Land im UN-Sicherheitsrat ständig vertreten ist wie Russland, die USA, Großbritannien, Frankreich…

Frage: Mit dem Vetorecht?

Sergej Lawrow: Solcher Status wird, wie ich bereits sagte, von Indien und Brasilien beantragt. Wir halten sie für sehr würdige und starke Konkurrenten. Solcher Status wird von Deutschland und Japan beansprucht. Die Gruppe der vier Länder, die ein starkes Team zur Unterstützung der eigenen Ansprüche bildete, sagt – „Wollen wir abstimmen!“. Laut dem UN-Statut gibt es Regeln, dass solche Fragen mit Zwei Drittel der Stimmen der Mitglieder der UN-Vollversammlung gelöst werden. 

Eine andere Gruppe der Länder, die sich für einen Konsens vereinigten – Italien, Mexiko, skandinavische Länder, Spanien und mehrere asiatische Länder darunter Pakistan, Malaysia, Indonesien, viele lateinamerikanische Länder. Sie meinen, dass neue ständige Mitglieder ein nicht logischer Schritt ist, weil einige Länder erneut Platz einnehmen und die anderen seltener in den UN-Sicherheitsrat gewählt werden, weil das, was nach einem Rotationsprinzip verteilt werden könnte, wird jetzt von ständigen Mitgliedern besetzt. Man soll nach einem Kompromiss suchen.

Unsere Position besteht darin, dass wir bereit sind, jede Entscheidung zu unterstützen. Ich scherze jetzt nicht und sage sehr ernsthaft. Entweder sollen nur ständige Plätze hinzugefügt werden oder nur nicht ständige oder einige ständige und einige nicht ständige. Das Wichtigste an unserer Position ist, dass das ursprüngliche Mandat der UN-Vollversammlung aufrechterhalten werden soll. Laut dem Mandat soll die endgültige Entscheidung breit unterstützt werden, da sind nicht Zwei Drittel der Stimmen. Wir sprechen nicht von einem 100-Prozentigen Konsens. Ein bzw. zwei Länder können immer eigene Vorstellungen haben und sich dem Konsens nicht anschließen, doch eine breite Zustimmung ist nicht Zwei Drittel. Eine breite Zustimmung ist aus einem einfachen Grund notwendig – Falls man zur Erweiterung des UN-Sicherheitsrats abstimmt, wenn man annimmt, dass es Anhänger solcher Reform mit obligatorischen ständigen, mit zusätzlichen Plätzen geben wird, wird es juridisch eine richtige Entscheidung aus der Sicht der Prinzipien des UN-Statuts sein, doch politisch wird es Länder geben, die die Minderheit also Ein Drittel bilden, die dagegen abstimmen. Das sind nicht Außenseiter-Staaten, das sind sehr respektvolle Staaten, die so genannten mittelgroßen Länder. Italien, Spanien, Mexiko, Lateinamerika, Asien – diese Länder werden in dieser Situation unbegründet isoliert. Sie zahlen in den Haushalt der UNO und der Friedensoperationen. Skandinavien, die zu dieser Gruppe gehört, sind sehr große Spender in mehrere Fonds, die auf die Lösung Sozialprobleme gerichtet sind wie UNICEF u.a. In ihren Augen, falls der UN-Sicherheitsrat trotz ihrem Streben nach Konsens reformiert wird, wird der erneuerte Rat weniger legitim als jetzt sein.

Deswegen sind viele vernünftige Mitglieder der Weltgemeinschaft (wir treten ebenfalls von diesen Positionen auf) für die Idee, dass man nach einem Kompromiss suchen soll. Falls es solche polare Positionen gibt, soll man einen mittleren Weg wählen. Es gibt bereits Ideen einiger Länder, die eine dritte Gruppe der Länder zu schaffen vorschlagen, die halb ständig sein werden.

Frage: Die ab und zu kommen?

Sergej Lawrow: Nein, halb ständig. Nicht ständige Mitglieder werden jede zwei Jahre ohne Recht einer sofortigen Wiederwahl gewählt. Es wird vorgeschlagen, eine neue Kategorie zu schaffen, die für eine längere Zeit gewählt werden kann – acht Jahre, einige sprechen sogar von zehn Jahren mit dem Recht einer sofortigen Wiederwahl, was de facto bedeutet, dass bei einer guten Arbeit mit den Partnern ein Kandidat auf ständiger Grundlage im UN-Sicherheitsrat vertreten sein kann. Ich sage nicht, dass dieser Beschluss sofort gefördert werden soll, doch das zeigt, dass Menschen sich darüber Gedanken machen, wie man unversöhnliche Positionen näher zueinander bringt.

Frage: Ihre Einbeziehung in die Angelegenheiten der UNO hängt anscheinend damit zusammen, dass die zehn Jahre am Gebäude am East River verbracht haben. Sie leiteten zehn Jahre lang unsere UN-Mission. Ich verstehe, dass der Botschafter und vor allem der UN-Botschafter die Aufträge des Zentrums erfüllt, doch wo sind die Grenzen? Inwieweit ist der Botschafter frei bei der Möglichkeit, irgendwelche Beschlüsse zu beeinflussen? Falls man sich an die damalige Zeit erinnert, welche Ihre Beschlüsse waren am schwierigsten? Was sorgte für schlaflose Nächte in New York?

Sergej Lawrow: Falls man so nervös wird, dass man kaum schlafen kann, dann kann man nicht arbeiten. Man soll sich lieber abgewöhnen, bei dieser Arbeit nervös zu sein, weil hier am wichtigsten Geduld, Kontinuierlichkeit, ständige Überprüfung von sich selbst ist – inwieweit deine Argumente präzis sind, inwieweit sie auf Verständnis stoßen, ständig dem Gesprächspartner zuhören und in seinen Worten und Gedanken Möglichkeiten für die Annäherung der Positionen und Förderung der eigenen Positionen zu suchen.

Der Botschafter ist natürlich der Vertreter des Präsidenten. Die Außenpolitik wird vom Präsidenten bestimmt. Was unsere Botschafter in einzelnen Staaten und ständige Vertreter in der UNO, OSZE, Europa-Rat und anderen internationalen Strukturen betrifft, haben sie alle Richtlinien, mit denen sie bei der Abreise ausgestattet werden. Die Richtlinien werden im Außenministerium auf Basis der Prinzipien der Außenpolitik und vorrangigen Richtungen bestimmt, die von Präsident im Rahmen des außenpolitischen Konzepts der Russischen Föderation sowie im Rahmen anderer Doktrin- und Konzept-Dokumente festgelegt werden. Das sind Grundlagen unserer Arbeit, der Botschafter soll immer auf diese Richtlinien Rücksicht nehmen. Doch in keinem Dokument können alle Entwicklungsvarianten vorgesehen werden, so was geschieht sehr oft. Der Botschafter verfügt über außerordentliche Vollmachten, und hat ausreichende Erfahrung und Weitsichtigkeit, um bei jeder Situation die Entwicklung der Ereignisse mit den festgelegten grundlegenden Prinzipien zu vergleichen, die er in einem Staat bzw. einer Organisation fördern soll.

Ich erinnere mich jetzt nicht an alle Details meines Falls. Doch sehr oft bei nächtlichen und außerordentlichen Sitzungen, wenn Moskau schläft, wurde von uns gefordert – „Rufen Sie an!“. Man sagt darauf, dass man nicht anrufen wird, weil man bereits Anweisungen hat. Das Wichtigste ist hier, die Grenzen zu sehen, doch wenn man versteht, dass auf dem Spiel prinzipielle Sachen, prinzipielle Interesse stehen, greift man manchmal zum Veto-Recht.

Es gab einen Fall, als ich ein Problem lösen musste, das von niemandem vorgesehen werden konnte. Es war Mitte der 90er-Jahre, ich kam erst nach New York, es vergingen ein bzw. anderthalb Jahre nach meinem Erscheinen. Kubanische Einwanderer aus US-Bundesstaat Florida absolvierten Flüge mit kleinen Flugzeugen und warfen über Kuba Flugblätter, indem der Luftraum des kubanischen Staates verletzt wurde. Die Kubaner protestierten ständig, verbreiteten Noten, warnten, dass es nächstes Mal einen physischen Schutz des Luftraums eines souveränen Staates geben wird. Kuba schoss ein Flugzeug ab, in Moskau war damals Nacht. Die US-Botschafterin in der UNO, Madeleine Albright, berief dringend den UN-Sicherheitsrat ein und rief zur Verurteilung der kubanischen Regierung wegen des Terroranschlags auf. Die Formulierungen waren sehr hart. Wir mit meinen Kollegen aus unserer Vertretung, zusammen mit den chinesischen Kollegen und mehreren anderen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats aus den Schwellenländern traten dafür ein, dass diese Erklärung ausgewogen wird und niemanden unbegründet anklagte. Wir haben einen Text ausgearbeitet, der danach sogar von der kubanischen Regierung begrüßt wurde. Das hat mich eingeprägt, weil es eine sehr lange mehrstündige Arbeit war. Madelaine Albright rief Washington an, doch im Ergebnis setzten wird das durch.

Frage: Und diese Symbolik, von der Sie gesprochen haben… Die Welt kennt das Bild des UN-Sicherheitsrats. Doch neben dem Hauptraum des UN-Sicherheitsrats gibt es einen kleinen Raum, der, wie Sie mir sagten, das „russische Zimmer“ heißt, wo geschlossene Sitzungen des UN-Sicherheitsrats stattfinden.

Sergej Lawrow: Ja.

Frage: Was ist das für ein spezieller Raum?

Sergej Lawrow: Ja. Dieses Zimmer wurde von Anfang an von Architekten konzipiert, die das UN-Gebäude bauten. Dort gab es sowjetische Architekten, weil die Gruppe international war. Dieser Raum heißt „Konsultationsraum“.

Frage: Für den UN-Sicherheitsrat?

Sergej Lawrow: Ja, dort gibt es jeweils einen Sessel für jeden ständigen Vertreter, sie stehen viel näher zu einander, als im Hauptraum – dem Saal der offiziellen Sitzungen. Hinter dem Rücken des Sessels des ständigen Vertreters gibt es noch zwei Sessel für seine Assistenten. Entlang der Wand stehen noch einige Sessel. Also jede Delegation kann maximal aus dem Vertreter plus drei Assistenten bestehen. Der Raum ist sehr klein.

Es gab solch eine Geschichte. Als ich erst begonnen habe, als Ständiger Vertreter zu arbeiten, wurde Renovierung geplant. Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats wurden gefragt: „Vielleicht soll Ihr Raum umgebaut werden?“. Neben eines offiziellen Raums und Konsultationsräume gibt es einen Vorraum, wo es eine Sofa, Fernseher gibt, wo man bei Tasse Kaffee sitzen kann, und es gibt noch einen Raum, der von diesem Vorraum durch eine Wand getrennt wird, wo sich ungefähr zehn Menschen versammeln können. Wir wurden gefragt, ob man diesen Konsultationsraum durch die Vereinigung mit dem Vorraum erweitern und die Wand verschieben soll, damit er größer wird. Ich möchte niemanden verraten, doch eines der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, ein Botschafter (nicht der russische) sagte: „Nein, wollen wir diese Wand jetzt nicht verschieben, weil sobald wir dies machen, entsteht sofort eine Versuchung, die Erweiterung des UN-Sicherheitsrats aktiver zu fördern, weil es Platz zur Erweiterung geben wird“. Es war natürlich ein Scherz …

Frage: Also deshalb wird die Reform des UN-Sicherheitsrats nicht angepackt?

Sergej Lawrow: Menschen haben Humor, ohne dies wäre es im UN-Sicherheitsrat schwierig gewesen.

Frage: Einer der Menschen mit gutem Humorgefühl ist der jetzige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Er lacht viel. Doch jedenfalls muss er weggehen. Hat Russland, das Außenministerium Russlands in diesem Zusammenhang irgendwelche Prioritäten in Bezug auf den künftigen UN-Generalsekretär? Bekannt ist, dass sich Regionen ändern u.a. Ban Ki-moon sagte in einem Interview, dass auf diesem Posten seit langem eine Frau erwartet wird. Inwieweit ist das im kommenden Jahr realistisch?

Sergej Lawrow: Ich weiß nicht, wer auf eine Frau wartet…

Frage: Das sagte Ban Ki-moon.

Sergej Lawrow: Ja, vielleicht. Doch das Geschlechtsthema soll nicht zum Selbstzweck werden. Unter den UN-Reformen gibt es auch die Schaffung einer Hybrid-Struktur unter dem Titel „UNO-Frauen“, wo Regierungen und NGOs vertreten sind. Zu den Themen gehören – Rechte der Frauen in Familie, Gleichberechtigung, Rechte der Frauen und Kinder in verschiedenen Situationen, Konfliktgebieten u.a. Das ist ein wichtiges Thema, es soll gefördert werden.

Doch wenn wir über den UN-Generalsekretär sprechen, sollen hier vor allem solche Kriterien wie Professionalismus und Erfahrung beachtet werden. Angesichts der zahlreichen Richtungen der UNO ist es nicht einfach, sich sofort auf diesen Posten ohne Kenntnisse über das System der Organisation zu setzen. Es sollen natürlich auch die Prinzipien der Universalität der UNO beachtet werden, es soll also Rotation geben, obwohl das Statut dies auch nicht vorsieht. Dort steht nur, dass der UN-Generalsekretär als größter Beamte das Funktionieren der Organisation sichern soll, das Recht hat, mit den Leitern der Zwischenregierungsorganen der UNO zu beraten und eigene Ideen dem UN-Sicherheitsrat vorzulegen, darunter in Bezug auf die Probleme des Friedens und Sicherheit. Es gibt viele Funktionen. Sie sind sehr umfangreich formuliert und bieten freien Handlungsspielraum. Es wäre auch gut, das Niveau der Berichterstattung des Sekretariats im Ganzen vor den Zwischenregierungsorganen zu erhöhen, weil es  manchmal an Transparenz mangelt. Ich verstehe, dass viele Sachen vertraulich sind, doch man soll vor dem UN-Sicherheitsrat immer fair sein, das Sekretariat soll keine Geheimnisse vor der Organisation haben.

Was die Wahl eines neuen UN-Generalsekretärs betrifft, möchte ich betonen, dass wir Ban Ki-moon sehr respektieren, wir haben gute Beziehungen, er war mehrmals in Russland, mit ihm traf sich mehrmals auch Russlands Präsident Wladimir Putin. Doch im nächsten Jahr geht seine zweite Amtszeit zu Ende und er kann gemäß dem UN-Statut nicht wiedergewählt werden. Es entsteht die Frage, dass die Universalität und Gerechtigkeit in Bezug auf den geografischen Faktor gewährleistet werden soll. Auf diesem Posten waren mehrmals die Vertreter Westeuropas, Asiens, des Afrikanischen Kontinents (Boutros Ghali und Kofi Annan) und Lateinamerikas. Doch kein einziges Mal wurde die in der UNO seit der Sowjetzeit offiziell existierende Osteuropäische regionale Gruppe vertreten.

In der UNO wurden fünf Gruppen geschaffen: Asiatische, Lateinamerikanische, Afrikanische, Westeuropäische (wohin die USA, Australien, Neuseeland gehören) und Osteuropäische. Diese Gruppen wurden von Anfang an nicht zur Abstimmung irgendwelcher politischen Fragen konzipiert, sondern um effektiver und rationeller die Zusammensetzung der UN-Organe zu bestimmen. Beispielsweise in den Wirtschafts- und Sozialrat sollen 54 Länder gewählt werden. Im Menschenrechtsrat gibt es auch nicht so viele Länder, wie dies viele wünschen. Es gibt viele Strukturen, wohin man aus den vorhandenen Mitgliedern der UNO wählen soll. Doch damit alle Regionen in den Wirtschafts- und Rechtsschutzorganen mehr oder weniger gleich vertreten werden, wurden diese Gruppen geschaffen, die untereinander Kandidaturen abstimmen, darunter im Sicherheitsrat, ECOSOS, Menschenrechtsrat u.a. Als die Sowjetunion und der Warschauer Vertag nicht mehr existierten, blieb die Osteuropäische Gruppe bestehen, weil sie keinen politischen Charakter hat und für die Organisierung solcher Wahlen notwendig ist.

In der Osteuropäischen Gruppe bildete sich eine einheitliche Meinung, die von uns und allen Mitgliedern unterstützt wurde, unabhängig von der Zugehörigkeit zur NATO. Es wurde ein Schreiben unterzeichnet, das unter allen Mitgliedern der UNO verbreitet wurde. Wir sind davon überzeugt, dass der nächste UN-Generalsekretär der Vertreter eines Osteuropäischen Landes sein soll. Es gibt rund zehn solche Kandidaten (darunter gibt es auch Frauen) aus verschiedenen Ländern. Die Gruppe wird kaum zu einer einheitlichen Meinung kommen, doch das Verfahren der Wahl des UN-Generalsekretärs und die Aufstellung der Kandidaten ist ein sehr flexibler Prozess. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Osteuropäische Gruppe der UN-Vollversammlung einige Kandidaten vorlegen wird. Es wird sicher mehr als einen Kandidat geben, doch ich sehe nichts Schlimmer daran, dass die UN-Vollversammlung eine Liste mit einigen Namen bekommt.

Frage: Ist der Konsens des UN-Sicherheitsrats nicht erforderlich?

Sergej Lawrow: Das muss nicht sein. Die Liste geht in erster Linie in den UN-Sicherheitsrat. Dort gibt es eigene Arbeitsmethoden sowie eine nicht verbindliche geheime Rankings-Abstimmung, wenn man nicht weiß, wer für wen abstimmt, doch man versteht, wer die notwendigen neun Stimmen bekommt. Doch in der jetzigen Situation ist die wahrscheinlichste Lösung die Übergabe der UN-Vollversammlung einiger Kandidaten.

Frage: Muss dieser Kandidat die Mehrheit oder Zwei Drittel der Stimmen bekommen?

Sergej Lawrow: Es gab immer nur einen Kandidat, weil der UN-Sicherheitsrat eine Wahl via erwähnte Mechanismen machte. Diesmal, wenn man einige Kandidaten schon kennt, weiß ich nicht, wie man macht, damit nur ein Kandidat bleibt, ohne andere würdige Kandidaten nicht zu beleidigen.

Frage: Wir sprechen mit Ihnen im Museum des Außenministeriums. Das ist eine einmalige Einrichtung. Gibt es in der Welt noch welche Museen des Außenministeriums?

Sergej Lawrow: Anscheinend, ja.

Frage: Doch ich bin davon überzeugt, dass es in keinem anderen Museum so was gibt, was ich hier gefunden habe.

Sergej Lawrow: Wenn Sie weggehen, vergessen Sie bitte nicht, das zurückzubringen.

Frage: Das ist ein Sammelbuch der Gedichte der russischen und sowjetischen Diplomaten. Dort gibt es Ihre Gedichte, was den Geist des Ministeriums charakterisiert. Das ist anscheinend das einzige Museum, wo es ein Buch mit Gedichten der Diplomaten gibt. Weil wir vom Programm sprechen, das mit der Jubiläumssession der UNO und der UNO im Ganzen zusammenhängt, nehme ich an, dass es im Laufe der zehn Jahre am East River bei Ihnen eine poetische Muse gab.

Dieses Buch heißt „Otduschina“, hier gibt es Ihr Foto, hier sind Sie sehr jung, ohne graue Haare.

Sergej Lawrow: Ja, diese Stellen wurden zur Hymne der MGIMO, die am 1. September gesungen wird. Es ist sehr angenehm für mich, doch ich habe mit dem Treffen dieser Entscheidung nichts zu tun, sie wurde vom Rektor getroffen.

Frage: Über die MGIMO wurde in Berichten, Dissertationen sehr viel geschrieben, doch in Gedichten hat meines Erachtens kaum jemand besser geschrieben. Vielen Dank, Herr Lawrow.

Sergej Lawrow: Vielen Dank.

 

 

 

 


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