Stenogramm der Rede Außenministers Russlands Lawrow in MGIMO (U) Außenministeriums Russlands, 1. September 2010
Sehr geehrte Anatoli Wassiljewitsch und Alexander Nikolajewitsch,
Sehr geehrte Kollegen, Freunde,
Ich schlieЯe mich den Glьckwьnschen an, die hier anlдsslich des neuen Studienjahres ertцnen. Ich gratuliere allen, wer in diesem Jahr immatrikuliert wurde und hier anwesend ist.
Vielen von uns hat MGIMO (das Staatliche Moskauer Institut fьr Internationale Beziehungen) den Weg ins Leben freigegeben, mit wertvollen Kenntnissen ausgerьstet. Es gibt viele Beispiele dafьr, welche Erfolge Absolventen unserer Universitдt erreicht haben. Es gibt also viele Muster, nach denen Sie sich richten, von denen Sie lernen kцnnen.
Die wissenschaftlichen und pдdagogischen Fachkrдfte der Universitдt entsprachen immer und entsprechen den hohen Forderungen, die an die moderne Hochschulbildung gestellt werden. Die Lehrprogramme spiegeln wichtige Prozesse im sozialpolitischen und wirtschaftlichen Leben des Landes und der ganzen Welt wieder. Gerade dank dieser Verschmelzung – hochqualifizierte Professoren und Dozenten, kreative Verwaltung, Disziplin und Orientierung auf innovative Bildungsformen – bildet MGIMO gute Fachkrдfte fьr staatliche Einrichtungen, wissenschaftliche und wirtschaftliche Strukturen sowie andere Bereiche aus, in denen die Absolventen gute Leistungen erreichen kцnnen.
Dabei ruht MGIMO auf seinen Lorbeeren nicht aus. Es entwickelt sich aktiv weiter, nimmt einen festen Platz unter den fьhrenden Hochschulen des Landes, genieЯt einen hohen internationalen Ruf und passt sich wirksam den Дnderungen im sozialцkonomischen Leben an, beispielsweise wenn wir Folgen der globalen Wirtschaftskrise tragen mussten.
Es ist kein Geheimnis, dass die Universitдt nach wie vor Hauptlieferant der Fachkrдfte fьr das AuЯenministerium ist. Beinahe zwei Drittel der in diesem Jahr in den diplomatischen Dienst eingestellten Mitarbeiter sind MGIMO-Absolventen.
Im September beginnt nicht nur das neue Studienjahr, sondern auch das neue politische Jahr. Fьr uns bedeutet dieses politische Jahr vor allem genaue und effiziente Erfьllung von Aufgaben, die auf der Beratung der russischen Botschafter und stдndigen Vertreter im Juli vom Prдsidenten der Russischen Fцderation Dmitri Medwedew gestellt wurden. Die Beratung wurde zu einem konkreten Gesprдch, bei dem auch der Lehr- und Lernprozess und die wissenschaftliche Tдtigkeit des MGIMO und der Diplomatischen Akademie behandelt wurden. Es handelte sich um praktische Angelegenheiten angesichts der Verдnderungen im Weltgeschehen, insbesondere angesichts der Anforderungen, die das Leben an unsere innere Entwicklung stellt.
Auf Auftrag des Prдsidenten wurde die Arbeit am Einsatz der AuЯenquellen fьr die Modernisierung entfaltet. Auf diese Aufgabe ist jetzt unsere ganze auЯenpolitische Tдtigkeit ausgerichtet. Es wurden Kriterien festgelegt, nach denen die Effektivitдt der in unserer diplomatischen Arbeit getroffenen Entscheidungen gemessen werden kann. Es werden Beschlьsse ьber die weitere Festigung der koordinierenden Rolle des AuЯenministeriums vorbereitet.
Die vom Prдsidenten auf der Beratung der Botschafter dargelegte Analyse der internationalen Entwicklung ist ein starkes Zeugnis fьr die positive, moderne Ausrichtung der russischen AuЯenpolitik. Dadurch werden Positionen unserer Partner, Gleichgesinnten gestдrkt, die an der schnellen Ьberwindung der Nachfolge des Kalten Krieges interessiert sind, und zwar sowohl auf der Ideenebene, als auch im praktischen Sinne.
Wenn wir von der Modernisierung unserer Diplomatie sprechen, heiЯt es aber nicht, dass wir die grundlegenden Prinzipien unserer auЯenpolitischen Philosophie - den Pragmatismus, die Offenheit, die Vielfдltigkeit, die konfrontationslose Durchsetzung unserer nationalen Interessen - aufgeben. Im Gegenteil, es geht um die maximale Berьcksichtigung dieser Prinzipien in den Aufgaben der Entwicklung unseres Landes. Das hat der Prдsident betont.
Heute steht die Welt an der Evolutionswende. Der liberale Kapitalismus hat in den letzten 300 Jahren einen Kreis gemacht und ist auf die gleichen Begrenzer gestoЯen, vor allem moralische und motivationsbezogene, die einmal Bestandteil seiner „Wehen" waren. Und das gleicht uns alle angesichts unserer gemeinsamen Aufgabe - der Modernisierung - aus. Neue Realien erfordern eine vereinigende Agenda in den internationalen Beziehungen, denn man kann den gemeinsamen Herausforderungen nur zusammen standhalten, also im Geiste der solidarischen Verantwortung.
Durch die Krise wurden Bedingungen der Debatten in den Schlьsselfragen der Weltentwicklung stark geдndert, d.h. wer und wie in der internationalen Finanzarchitektur Musik bestellt, wie optimale Modelle der sozialцkonomischen Entwicklung aussehen sollen, welche gemeinsamen Werte es gibt. Wenn sie schon „gemeinsame Werte" sind, so mьssen sie auch gemeinsam bestimmt werden.
Von der realen Agenda im Euroatlantischen Raum zeugen beispielsweise Debatten ьber das s.g. Ende des Fortschritts, also zu solchen Fragen, wie die Suche nach dem Weg zur Aufrechterhaltung des in Europa erreichten Lebensstandards, wie man Bedьrfnisse der Menschheit mit der Ressourcenbasis des Planeten in Ьbereinstimmung bringen kann, die Kupplung der nationalen Entwicklungsstrategien mit der globalen Entwicklung. Es geht eigentlich um die Umdeutung des Begriffs „Fortschritt".
Das hдngt mit solchem Thema der internationalen Debatten unmittelbar zusammen, wie „die Umformatierung" der Rolle des Staates in der nationalen und globalen Wirtschaft. All diese Fragen werden auf der Agenda des politischen Forums in Jaroslawl stehen, dessen zweite Sitzung nдchste Woche stattfinden wird und an welcher der russische Prдsident, Fьhrer einiger anderer Staaten, prominente Politiker, Wissenschaftler, Unternehmer teilnehmen werden.
Angesichts der umfangreichen historischen Erfahrungen und der Erkenntnisse aus der Krise, kommt auch das Verstдndnis, dass die wichtigste Pflicht jedes Mitglieds der internationalen Gemeinschaft darin besteht, im eigenen Heim Ordnung zu schaffen. Das stimmt auch mit der tiefen christlichen Wahrheit ьber das tдgliche Brot ьberein. Es heiЯt nicht, dass wir keine Zukunftsplдne haben dьrfen, nur soll das unser gemeinsames Projekt sein.
Der Status Russlands, wie auch jedes anderen Landes in der modernen Welt wird von dessen Fдhigkeit zur komplexen Modernisierung abhдngen. Der Modernisierung, die nicht nur die sozialцkonomische Politik, Stabilisierung im Finanzsektor und strukturelle Umgestaltung der Wirtschaft, sondern auch alle anderen Seiten des Lebens der Gesellschaft, u.a. Bildung, Lebensweise, цffentliches Bewusstsein, Philosophie der politischen Eliten, umfassen wird. Es setzt voraus, dass die AuЯenpolitik aufgrund von genau bestimmten nationalen Interessen, kreativ, pragmatisch, ohne ideologische oder sonstige Voreingenommenheit gefьhrt werden muss.
Wir haben es mit einer qualitativ neuen Situation zu tun. Sie stellt vor uns die Aufgabe der Harmonisierung unserer Beziehungen mit allen Partnern, die AuЯenquelle unserer Modernisierung werden kцnnen. Und diese Partner brauchen Russlands Mцglichkeiten, dessen Potential der Entwicklung und des Wirtschaftswachstums, dessen Markt, finanzielle und geistige Ressourcen. Das gegenseitige Interesse fьhrt zur Logik der Verflechtung der Wirtschaften und Kulturen, der korporativen politische Praxis und Ethik.
Dabei geht es nicht um die Lossage von unserer Geschichte, Verzicht auf unsere moralische und geistige Werte, Aufgabe von dem Guten, was die jahrhundertelange historische Entwicklung unseres Landes uns und der ganzen Welt gegeben hat. Es geht um die Nationalisierung der AuЯenpolitik, die, wie Kanzler A.M.Gortschakow sagte, immer der Zeit der Erschьtterungen folgt. Und fьr Russland waren das die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Alle Kritiker der Reformen Peter des GroЯen weichen beharrlich der Frage aus, was aus Russland wдre, wenn sie nicht den von ihm geplanten Weg gegangen wдre. Und es war eine lebenswichtige Frage: Entweder Modernisierung und gleichberechtigte Teilnahme an europдischen Angelegenheiten, oder Verwandlung in eine Ressource fьr die territorial-politische Umgestaltung Osteuropas. Ich sage offen, dass bei allen Unterschieden zwischen unserer Zeit und jener Epoche, heute diese Frage nicht weniger aktuell ist.
Fьr die Modernisierung braucht Russland Bьndnisse mit den fьhrenden Staaten, solchen wie Deutschland, Frankreich, Italien bzw. mit der ganzen Europдischen Union. Frьher verstand sich die gegenseitige Ergдnzung unserer Wirtschaften als Umtausch der Rohstoffe gegen Industriegьter, heute ist ein qualitativ anderes Herangehen nцtig. Es soll auf die Bildung eines gemeinsamen handelswirtschaftlichen, technologischen, humanitдren und Investitionsraums ausgerichtet sein. Von groЯer Bedeutung fьr die europдische und euroatlantische Politik und Praxis wдre der gegenseitige Verzicht auf das Visaregime zwischen Russland und der Europдischen Union. Dessen Erhaltung kann bei der Umsetzung unserer gemeinsamen Plдne Probleme schaffen. Auf dem Gipfel in Rostow vor drei Monaten haben wir unseren Partnern ein Projekt des entsprechenden Abkommens ьbergeben. Wir erwarten von ihnen eine konstruktive Reaktion.
Auf dem Rostower Gipfel Russland-EU wurde Kurs auf die „Partnerschaft fьr Modernisierung" genommen. Er sieht gemeinsame GroЯprojekte vor, die es erlauben sollen, vergleichende Vorteile der Seiten maximal zu nutzen und, Immunitдt unserer Wirtschaften zu den neuen globalen Krisenwellen zu sichern.
Der neuliche Besuch des Prдsidenten Medwedew in den USA hat gezeigt, dass durch die innovative Zusammenarbeit eine positive Agenda fьr unsere Beziehungen zu Amerika geschaffen wird. GroЯe Weltmдchte werden nie in allem miteinander ьbereinstimmen. Aber der Wille, den Partner zu hцren und zum gemeinsamen Verstдndnis der gegenwдrtigen Etappe der Weltentwicklung zu kommen, also zu verstehen, in welcher Welt wir leben und in welcher Richtung sie sich entwickelt, schafft Bedingungen fьr die Verstдndigung auch auf der Ebene der praktischen Politik, bei konkreten internationalen Problemen.
Wir kцnnen nicht immer zustimmen, zum Beispiel, dem Inhalt der im Mai bekanntgegebenen US-Sicherheitsstrategie nicht. Sie beinhaltet recht viele traditionelle Elemente der auЯenpolitischen Philosophie, die veraltet sind. Wichtig ist etwas anderes, und gerade das vereinigt uns: das Verstдndnis, dass stabile innere Entwicklung Grundlage der Staatssicherheit ist. Auch das amerikanische komplexe Herangehen an die Sicherheit fдllt mit unserem Herangehen zusammen. Wir gehen davon aus, dass nicht alles mit Militдrgewalt gemacht werden kann und darf. Wir begrьЯen auch die Wendung der USA zur multilateralen Diplomatie und zum kollektiven Vorgehen zwecks Lцsung der fьr alle Staaten gemeinsamen Probleme. Das alles enthдlt die US-Sicherheitsstrategie.
In diesem Zusammenhang will ich auf das Buch von Peter Beinart „Ikarus-Syndrom" hinweisen, das unter der Дgide des New Yorker Rates fьr internationale Beziehungen herausgegeben wurde und eine hцchst kritische Studie der auЯenpolitischen Philosophie der USA enthдlt, die Amerikas Rolle in der Weltgeschichte des vorigen Jahrhunderts in ihren Triumphen und Tragцdien bestimmte. Die Haltung des Verfassers, seine Aufrichtigkeit kann niemanden kalt lassen. Ich halte es fьr einen hohen Standard der geistigen Ehrlichkeit. Das ist eine Bestдtigung dafьr, dass es in Amerika unter derzeitiger Administration wirklich Verдnderung geben kann. Und dadurch werden Grundlagen fьr einen gemeinsamen pragmatischen Nenner in der AuЯenpolitik zwischen Russland, den USA und Europa, fьr die Entwicklung der Kultur der kollektiven Fьhrung im Weltgeschehen zusammen mit anderen fьhrenden Mдchten gestдrkt werden.
Das 20. Jahrhundert war durch eine sehr hohe Ideologiebezogenheit gekennzeichnet. Das hatte katastrophalen Folgen fьr Europa und die ganze Welt. Denken wir nur an die zwei Weltkriege und den Kalten Krieg. Jetzt erkennen wir, wie wahnsinnig der Kampf der gegenьberstehenden Ideologien war, die konfrontationelle, hдufig utopische Projekte durchsetzten sollten und wie viele Menschenleben und materielle Ressourcen dieser Kampf kostete. Das lenkte von realen, existentiellen Problemen der Menschheit ab, wie z.B. globale Armut, Degradation der Umwelt, Klimawandel, natьrliche und anthropogene Katastrophen.
Fьr die heutigen Bedrohungen der Sicherheit kann es keine einfachen Lцsungen geben, wie beispielsweise Maginot Linie oder einseitige Projekte der Raketenabwehr. Sie kцnnen nicht zur Alternative fьr die Lцsungen durch Verhandlungen werden. Zu hohe Sдtze lassen keinen Platz fьr rationale Analyse und durchdachte, realistische Entscheidungen. Dieses enge Herangehen soll durch eine breite, aber zugleich realitдtsbezogene, auf realen Fakten beruhende Sicht auf die Dinge ersetzt werden. Das ist auch fьr die Lцsung solcher Aufgabe aktuell, wie Modernisierung der Kontrolle ьber konventionelle Rьstungen, Festigung des Vertrauens und der Sicherheit im Militдrbereich.
Heute gibt es allen Grund, ьber den Trend zur Konvergenz auf der Ebene der Ideen und der Politik zu sprechen. Aber nicht im Sinne der Unifizierung, wie Mitte des vorigen Jahrhunderts, sondern im Sinne der kulturellen und konfessionellen Vereinbarkeit der Welt. Wie Prдsident Medwedew auf der Beratung der Botschafter sagte, erfordert das den Wechsel des Paradigmas der internationalen Beziehungen, deren Grundlage nicht Gleichgewicht der Krдfte, sondern Gleichgewicht der Interessen sein soll.
Unsere Initiative ьber den Abschluss des europдischen Sicherheitsvertrags ist darauf ausgerichtet, in der euroatlantischen Politik von der alten Agenda zu einer neuen ьberzugehen, und unter das in den 90er Jahren ausgerufene Prinzip der gleichen Sicherheit fьr alle im Euroatlantischen Raum eine feste Rechtsbasis zu legen. Ohne Abschied von der Vergangenheit werden lebensnotwendige, lebenswichtige Interessen der OSZE-Lдnder noch lange Geiseln der alten Instinkte und Vorurteile, der geistigen und politischen Trдgheit des Kalten Krieges bleiben. Deshalb hдngt der Erfolg des OSZE-Gipfels Ende dieses Jahres vom politischen Willen aller Staaten ab, diesen gemeinsamen Durchbruch in die Zukunft zu schaffen, und somit einen Strich unter die Unbestimmtheit der letzten 20 Jahre zu ziehen.
Alle Vцlker der euroatlantischen Familie brauchen Klarheit in unseren gemeinsamen Angelegenheiten. Und verschiedene Diskussionsforen, u.a. die auswдrtige Sitzung der Mьnchener Sicherheitskonferenz im Oktober in Moskau, bieten uns die Mцglichkeit fьr solches kollektive Brainstorming.
Wir erwarten mehr Klarheit von unseren NATO-Partnern. Die doppelgleisige Existenz der NATO – zwischen der Vergangenheit und der Zukunft – hat sich in die Lдnge gezogen. Leider zeugen davon auch Diskussionen ьber die Vorbereitung eines neuen strategischen Konzepts der NATO. Ich gebe Wolfgang Ischinger und Ulrich Weisser recht, die meinen, dass der als Beitrag zum neuen strategischen Konzept der NATO vorbereitete Bericht der Weisengruppe kaum als eine strategische Antwort auf die russischen Initiativen ьber europдische Sicherheit dienen kann und dass stabile Sicherheitsarchitektur in Europa erst dann entstehen wird, wenn NATO Beziehungen zu Russland richtig aufbauen wird.
Es wдre schцn, wenn NATO ihre politische Transformation zu einer modernen Organisation auf dem Gebiet der Sicherheit beenden wьrde und zur gleichberechtigten Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, u.a. Russland und OVKS, bereit wдre, und zwar unter bedingungsloser Achtung akker Vцlkerrechtsnormen, insbesondere der UN-Charta.
Unsere wichtigste Aufgabe in den praktischen Beziehungen zu NATO ist der Fortschritt im Kampf gegen afghanischen Drogentraffic, der mit der Finanzierung des Extremismus und Terrorismus unmittelbar verbunden ist und eine Bedrohung fьr den internationalen Frieden darstellt, die in Russland und anderen Lдndern schon zum Vorschein kommt.
Vor eineinhalb Jahren haben wir festgestellt, dass die Weltpolitik zur Festigung der regionalen Verwaltungsebene in der vorьbergehenden „Deglobalisierung" tendiert. Und dieser Trend ist nicht nur auf die Finanzkrise, sondern auch auf die Krise des gesamten internationalen Systems zurьckzufьhren. Es handelt sich um die Intensivierung der Prozesse der regionalen und subregionalen Zusammenarbeit und Integration. Regionale Strukturen wollen mehr Verantwortung fьr die Entwicklung ihrer Regionen ьbernehmen, wie es die UN-Charta vorsieht. Solche Dezentralisierung soll eine feste Grundlage fьr die neue Runde der Globalisierung legen, deren Vorteile unter den Lдndern und Regionen gleichmдЯiger verteilt werden sollen.
Die Regionalisierung der globalen Politik bezieht sich direkt auch auf den GUS-Raum. Die Integrationsprozesse in der Region stьtzen sich nicht nur auf unsere gemeinsame riesige historische Ressource, sondern auch auf gemeinsame Aufgaben der Entwicklung. Die Modernisierung ist fьr alle aktuell. Von besonderer Bedeutung sind Bedingungen fьr die Entwicklung eines innovativen zwischenstaatlichen Raums in der GUS, der mit dem europдischen wissenschaftlichen-technologischen Raum vereinbar wдre. Darauf ist das Zwischenstaatliche Zielprogramm der innovativen Zusammenarbeit der GUS-Staaten bis 2020 ausgerichtet, das momentan entwickelt wird.
Dabei mьssten sich die Lдnder der Gemeinschaft und andere Interesse fьr unsere Region bekundenden Staaten auf den Tagesaufgaben der Entwicklung konzentrieren, und nicht versuchen, geopolitische Vorteile im Sinne der „Spiele mit Nullergebnis" zu erlangen. Wohin solche Spiele fьhren, haben wir im August 2008 gesehen.
Stabilitдt ist ein absoluter Wert, eine obligatorische Voraussetzung fьr die Lцsung von vorhandenen Problemen sowohl in den internationalen Angelegenheiten, als auch innerhalb der jeweiligen Staaten. Die Ereignisse der letzten Jahre im GUS-Raum zeigen, dass positive Prozesse – ob sozialpolitische oder sozialцkonomische – sich unter nicht stabilen Bedingungen nicht entwickeln kцnnen. Ein klares Beispiel ist Kirgisien, das eine zweite „Revolution" in den letzten fьnf Jahren erlebt hat. Wir versuchen dem Land sowohl auf der bilateralen Ebene, als auch auf der Ebene des OVKS und SOZ zu helfen, die Lage zu entschдrfen. Wir sind bereit, auch zusammen mit anderen Partnern fьr die Normalisierung zu arbeiten.
In der Weltpolitik und -Wirtschaft steigt die Rolle der Asiatisch-Pazifischen Region. Heute entwickelt sich hier eine neue, vollkommenere Architektur der Sicherheit und der Zusammenarbeit. Russland unterstьtzt diesen Prozess. Auf der Beratung in Chabarowsk im Juni dieses Jahres hat unser Prдsident die Aufgabe gestellt, nach der vollen Integration der цstlichen russischen Regionen in den Asiatisch-Pazifischen Raum zu streben. Das ist eine wichtige Ressource fьr die innovative bzw. sozialцkonomische Entwicklung Sibiriens und des Fernen Ostens. Uns steht eine groЯe Arbeit fьr die Umsetzung unserer Plдne fьr die Zusammenarbeit mit unseren Schlьsselpartnern im Asiatisch-Pazifischen Raum – China und Indien - sowie Japan, Sьdkorea, Vietnam, Singapur und anderen ASEAN-Staaten bevor.
Wir haben recht gute Ergebnisse auf der lateinamerikanischen Richtung zu verzeichnen. In den letzten Jahren haben politische Beziehungen Russlands zu den Lдndern dieser immer wichtiger werdenden Region ein qualitativ neues Niveau erreicht. Heute mьssen wir dieses politische Kapital in gemeinsame gegenseitig vorteilhafte Projekte in den fortschrittlichen Bereichen ьberweisen.
Auch unsere Beziehungen zu Afrika haben sich belebt. Mit der Lцsung der schweren Probleme dieses Kontinents wird dessen riesiges Ressourcenpotential zu einem der Schlьsselfaktoren der Weltentwicklung. Wir sind bereit, unseren afrikanischen Partnern zu helfen, die Solidaritдt unseres Landes mit ihren rechtmдЯigen Erwartungen weiter zu entwickeln und zu stдrken.
Die multivektorale Netzdiplomatie ist unsere Antwort auf die neue Realitдt. Und zu dieser Realitдt gehцrt auch die Dezentralisierung der globalen Kraft – der militдrpolitischen, цkonomischen, finanziellen, „weichen" und anderer. Diese Realitдt setzt flexible Formen des Zusammenwirkens verschiedener Staatengruppen voraus. Somit sollen zusammenfallende Interessen wahrgenommen werden. So ist es in G20, in G8, in BRIC. Wir mьssen verschiedene Varianten der Entwicklung dieser Prozesse berechnen und optimale Konfigurationen zur Lцsung von konkreten Aufgaben bestimmen.
Ich will auf die Situation mit Iran eingehen. Nicht nur, weil sein Nuklearprogramm die ganze Welt beunruhigt, nicht, weil dieses Thema sogar ьber die Rahmen der Nichtverbreitung hinausgeht, sondern auch, weil sie zu einem der akutesten Fragen der globalen Politik wird.
Natьrlich muss die iranische Seite das erforderliche Niveau der Offenheit und der Zusammenarbeit mit der IAEA sichern, die im Namen der internationalen Gemeinschaft und mit Unterstьtzung des UN-Sicherheitsrats arbeitet. Wir haben es unseren iranischen Partnern mehrmals direkt gesagt. Es ist notwendig in allen verbleibenden Fragen Klarheit zu verschaffen, das wьrde vor allem den iranischen Interessen entsprechen.
Gleichzeitig liegt eine groЯe Verantwortung auf allen, von wem die Suche nach einer gegenseitig akzeptablen Lцsung abhдngt. Ich meine vor allem die Teilnehmer der s.g. G6, die manchmal auch „fьnf + eins" oder „drei + drei" genannt wird. In dieser Gruppe arbeiten Russland, die USA, China und die Europдische Union zusammen. Sie ist reprдsentativ, und auf ihren Empfehlungen beruht die ganze Politik der Weltgemeinschaft in der iranischen Frage. Hier gehen wir vor allem von der grundlegenden Wahrheit aus, dass Probleme der modernen Welt keine Gewaltlцsungen haben.
Auf der Beratung der Botschafter hat der Prдsident unsere Sicht auf die komplexe Regelung dargelegt. Sie ist objektiv nur im regionalen Kontext mцglich, muss also alle Faktoren dieser groЯen und unruhigen Region berьcksichtigen. Das Problem des iranischen Nuklearprogramms ist ein Systemproblem. Ich sage offen, dass es auch auf die Unvollkommenheit des geltenden Nichtverbreitungsregimes zurьckzufьhren ist. Also muss auch das Herangehen an dessen Lцsung systemhaft sein und sich auf das Vцlkerrecht stьtzen. Es ist wie im Gericht. Es soll nicht nur das Recht gesprochen werden, sondern es soll fьr alle offensichtlich sein, dass gerade das Recht im vollen Sinn dieses Wortes gesprochen wird.
Wir wiesen mehrmals darauf hin, dass Sanktionen in der Regel nicht zu den erwьnschten Ergebnissen fьhren. Sie mьssen nur signalisieren, den Verhandlungsprozess fцrdern. Geschweige denn, es ist unmцglich, solch ein Land, wie Iran, ohne schwere Folgen fьr die Region und die ganze Welt zu isolieren.
Man muss die ganze Strategie der internationalen Gemeinschaft nьchtern und ehrlich analysieren, ehe etwas zu unternehmen, was uns zu Geiseln der nicht kontrollierbaren Entwicklung machen wьrde. Welche Schwierigkeiten auf unserem Weg auch stehen werden (es werden bestimmt viele sein), man muss verhandeln, und je schneller wir ernste Verhandlungen aufnehmen, desto besser.
Deshalb bin ich erfreut, dass US-Prдsident Barack Obama neulich die Linie auf die Normalisierung von Beziehungen mit Iran bestдtigt hat. Wahrscheinlich versteht Washington, dass man Schritte zur Irans Heranziehung zu den Verhandlungen, u.a. zur Lцsung von regionalen Problemen vereinbaren soll. Dadurch kцnnte man dann auf Berechnungen und Absichten der iranischen Seite positiv einwirken.
Wir kцnnten mit VertrauensmaЯnahmen beginnen – solchen, wie die Brennstofflieferung fьr den Teheraner Forschungsreaktor (wir haben entsprechende Initiativen Brasiliens und der Tьrkei sehr positiv beurteilt), das Zusammenwirken fьr die Stabilisierung in Afghanistan. Iran kann da eine sehr positive Rolle spielen.
Dabei mьssen aber alle Mitglieder der Weltgemeinschaft solidarisch vorgehen, also aufgrund der gegenseitigen Verantwortung. Wir sind nicht einverstanden, wenn unsere Partner parallel zu den kollektiven Anstrengungen im UN-Sicherheitsrat einseitige Beschlьsse ьber Sanktionen - auch exterritoriale - fassen, die die Grundlage unseres weiteren gemeinsamen Vorgehens sprengen.
Die Region des Nahen und Mittleren Ostens weist zu viele Krisen auf. Man braucht nur den arabisch-israelischen Konflikt zu nennen. Es kann aber fьr diese Konflikte keine Grьnde geben, besonders jetzt, wenn die Konfrontation der Blцcke in der Vergangenheit geblieben ist. Die Seiten mьssen mittelalterliche, ja gar alttestamentliche Vorstellungen voneinander aufgeben und zu vereinbaren beginnen. Eine Chance dafьr gibt die Wiederaufnahme von direkten palдstinensisch-israelischen Verhandlungen, die hoffentlich morgen beginnen werden. Eine Grundlage fьr ein Abkommen stellen auch UN-Resolutionen, die arabischen Friedensinitiative und Dokumente des Quartetts dar.
Im breiteren Sinne wдre eine komplexe Strategie zu Lцsung von allen sich verflechtenden Schlьsselproblemen des Nahen und Mittleren Ostens erforderlich. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafьr ist Verhinderung des nuklearen Wettrьstens. Die Geschichte darf sich nicht wiederholen. Atomwaffen garantieren nicht die Sicherheit. Deshalb unterstьtzten wir auf der Ьbersichtskonferenz des Atomwaffensperrvertrags (NVV) in diesem Frьhjahr aktiv den Beschluss, 2012 eine internationale Konferenz ьber die Bildung im Nahen Osten einer Zone, die frei von nuklearen sowie anderen Arten von Massenvernichtungswaffen, Mitteln ihrer Zustellung ist, durchzufьhren.
Es wurde schon versucht, diese Region von auЯen zu destabilisieren, um sie in fremden Interessen, nach fremden Mustern „umzugestalten". Niemand wird von einer neuen groЯangelegten Konfrontation gewinnen. Alle werden verlieren.
Wie bekannt bedeutet die Politik vor allem die Fдhigkeit, Entscheidungen zu treffen. Es wдre gut, wenn alle sich fьr eine verantwortungsvolle kollektive Strategie entscheiden wьrden, die Probleme lцsen und nicht neue schaffen wьrde.
Morgen - am 2. September – ist der 65. Jahrestag des Sieges im Fernen Osten, das Ende des Zweiten Weltkrieges. Ich bin ьberzeugt, dass das Andenken an den Sieg der Vцlker der UdSSR im GroЯen Vaterlдndischen Krieg immer eine Quelle unseres Glaubens an uns, des Glaubens an die Zukunft Russlands wird. Die Sowjetunion hat den Horden des dritten Reichs das Rьckgrat gebrochen, trotz des Stalinismus, trotz seiner Verbrechen, die das Kreuz unserer GroЯvдter und Vдter, der ganzen Militдrgeneration noch viel schwerer gemacht haben. Der Hauptfaktor des Sieges war die Fдhigkeit des Volkes zur Selbstaufopferung. Nicht zufдllig wird gerade dieses Thema vцllig von denen ignoriert, wer die Geschichte dieses Krieges verfдlscht, wer in den internationalen Beziehungen keinen Platz fьr Moral sieht. Zu einer wьrdigen Antwort solchen Fдlschern wurde die Parade in Moskau am 9. Mai dieses Jahres. Da haben auf dem Roten Platz Militдreinheiten aller GUS-Staaten, GroЯbritanniens, Polens, Frankreichs und der USA feierlich marschiert.
Auf allen Etappen des sehr komplizierten historischen Weges unseres Landes, der reich an tragischen Ereignissen und einzigartigen Errungenschaften war, kann man Russland nicht isoliert, ohne die Umgebung vorstellen. Ebenso unmцglich ist es, die europдische bzw. Weltgeschichte – mit allen ihren Katastrophen und Triumphen der menschlichen Vernunft, des menschlichen Geistes – ohne Russland, ohne dessen Beitrag vorzustellen: цkonomischen, finanziellen, kulturell-zivilisationellen, ohne Beitrag, der mit Blut und SchweiЯ, Opfern und Zerstцrungen geleistet wurde.
Jetzt, nach der nдchsten Runde der Globalisierung kann man die Zukunft Russlands kaum ohne die Umgebung vorstellen. Andererseits kann man auch die Zukunft der Welt ohne Zukunft unseres Landes nicht vorstellen.
Der Kurs auf Modernisierung stellt vor unserer Diplomatie klare Ziele, die im Inland und im Ausland verstдndlich sind. Er gibt uns einen breiten strategischen Raum in den internationalen Angelegenheiten, erweitert unseren auЯenpolitischen Horizont in allen Richtungen, erlaubt uns unsere Politik praktisch zu festigen, die auf die Durchsetzung einer positiven internationalen Agenda gerichtet ist.
Die Modernisierung sieht die Weiterentwicklung der demokratischen Institute, der Zivilgesellschaft, die Entwicklung von modernen konstruktiven Mechanismen der Verbindung mit ihnen, das Zusammenwirken der Kulturen und Religionen vor. Die Rolle des AuЯenministeriums in diesem Prozess besteht einerseits im Erfahrungsaustausch mit den Partnern, in der Durchsetzung von fortschrittlichen Ideen und Entwicklungen zur Realisierung unserer Plдne, und andererseits den Schutz der Rechte und Interessen der Russen im Ausland, aktive Teilnahme an der Vervollkommnung der internationalen Standards im humanitдren Bereich und natьrlich in der Kontrolle ьber ihre Einhaltung.
Eine wichtige Ressource stellt eine breite Einbeziehung der parlamentarischen Diplomatie, der russischen politischen Parteien, der Nichtregierungsorganisationen, der Expertengemeinschaft, der Geschдftskreise in den auЯenpolitischen Prozess. Zu diesem Zweck werden der Russische Rat fьr internationale Angelegenheiten und Gortschakow-Stiftung zur Fцrderung der цffentlichen Diplomatie gegrьndet. Unsere Zusammenarbeit mit religiцsen Organisationen ist fьr den Dialog der Konfessionen und Kulturen, fьr die internationale Verstдndigung, fьr die Fцrderung der Friedensprozesse wichtig.
Wir mьssen das geistige und berufliche Potential der im Ausland lebenden Russen sowie ihre Idee und Vorschlдge, die das Kennen Russlands, und Erfahrung im Aufenthaltsland berьcksichtigen, voller nutzen.
Wie Prдsident Medwedew auf der Beratung der Botschafter betonte, soll die moderne Diplomatie manцvrierfдhig, flexibel, beweglich sein. Sie soll das ganze Spektrum der Aufgaben lцsen, die vor Russland als einem Bestandteil der globalen Welt stehen. Es ist hцchst aktuell, Instrumente der AuЯenpolitik stдndig zu festigen und zu erneuern.
Heute ist die Diplomatie viel praxisbezogener geworden, sie geht in heiЯe Herde, wirkt mit den Militдr- und Zivilexperten, mit dem Business zusammen. Zu einem der wichtigsten auЯenpolitischen Instrumente ist das Institut der internationalen Wahlbeobachtung geworden.
Das alles erfordert ausgezeichnete Beherrschung der modernen Verfahren der auЯenpolitischen Arbeit, die Fдhigkeit, Ressourcen auf strategischen Richtungen schnell zu konzentrieren. Die Bedeutung der Arbeit mit den Massenmedien ist stark gestiegen. Ich begrьЯe herzlich ihre Vertreter, die hier anwesend sind. Sie mьssen schnell, genau, klar, ohne Klischees die unternommenen Schritte, die Einstellung des Landes zu konkreten internationalen Problemen erlдutern.
Diejenigen von Ihnen, wer sich fьr die diplomatische Laufbahn entscheiden wird, mьssen diese Kunst im AuЯenministerium, in unseren auslдndischen Konsulaten beherrschen lernen, und dabei auf die Kenntnisse und Fertigkeiten stьtzen, die Sie in MGIMO, in der Diplomatischen Akademie bekommen haben.
Es ist keine Ьbertreibung zu sagen, dass MGIMO an und fьr sich eines der realen Instrumente unserer Diplomatie ist. Es ist ein groЯes Bildungs- und Forschungszentrum im WeltmaЯstab. Heute studieren hier mehr als 700 Studenten aus mehr als 50 Staaten. Viele frьhere MGIMO-Absolventen haben in ihren Lдndern Erfolge in der groЯen Politik und in der Diplomatie, in anderen Bereichen des Staatsdienstes, in der Journalistik, im Business erreicht, viele arbeiten in internationalen Organisationen. Das Netzwerk der freundschaftlichen Kontakte, die MGIMO-Absolventen untereinander weltweit pflegen, festigt den heute so wichtigen menschlichen Faktor in den internationalen Beziehungen.
Gerade das nennt man weiche Gewalt. Diese Rolle des MGIMO fцrdert das weltweite geistige, wissenschaftliche, kulturelle Potential und trдgt zur objektiven Wahrnehmung Russlands im Ausland bei.
Ich gratuliere Ihnen allen noch einmal und wьnsche gute Leistungen den Leitern, Professoren und Studenten.
1. September 2010