Interview Staatssekretaers bzw. stellvertretendes Aussenministers der Russischen Foederation G.B.Karassin der Nachrichtenagentur Interfax zu Ergebnissen der Sitzung Unterausschusses zur Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf dem ukrainischen Territorium
Frage: Sehr geehrter Grigorij Borissowitsch, am 14.Februar haben Sie die russische Delegation auf der ersten Sitzung des neuen zwischenstaatlichen Verhandlungsgremiums zur Stationierung der Schwarzmeerflotte in der Ukraine geleitet.
Am Vorabend kuendigte Kiew an, die Pacht fuer die Stationierung der Schwarzmeerflotte muesse vielfach gesteigert werden, und die Flotte muesse sich schon jetzt auf den Abzug aus Sewastopol nach 2017 vorbereiten. Die Situation war also keinesfalls einfach. Mit welchen Zielen, mit welchem Mandat sind Sie zu den Verhandlungen gekommen?
Antwort: Zunaechst will ich sagen, dass der Unterschuss zur Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf dem ukrainischen Territorium zur „grossen" Russisch-Ukrainischen zwischenstaatlichen Kommission gehoert. Diese Kommission wurde Ende des vorigen Jahres gegruendet, und wird von den Praesidenten beider Laender geleitet. Unser Treffen hat also den Hauptmechanismus in den russisch-ukrainischen Beziehungen praktisch gestartet.
Die Tatsache, dass ausgerechnet die Sitzung des Schwarzmeerunterausschusses erste Massnahme war, zeugt von der Bedeutung dieser Probleme fuer Russland und fuer die Entwicklung der russisch-ukrainischen Beziehungen im Allgemeinen.
Ich will Sie daran erinnern, dass Russland und die Ukraine 1997 die sogenannten grundlegenden Schwarzmeerabkommen unterzeichnet haben. Durch diese Abkommen wurde die Schwarzmeerflotte der UdSSR aufgeteilt, Bedingungen der Stationierung der russischen Flotte auf dem ukrainischen Territorium und die Pachthoehe fuer jeweilige Grundstuecke und die darauf liegenden Objekte fuer Russland festgelegt und das Verfahren der gegenseitigen Abrechnungen vereinbart.
Diese Basisabkommen haben sich bewaehrt, es hat keinen Sinn und ist verantwortungslos, ueber ihre Revision zu reden. Dies bezieht sich sowohl auf die Fristen der Stationierung der Schwarzmeerflotte auf dem ukrainischen Territorium als auch auf die Pachthoehe.
Die Aufgabe des Unterausschusses besteht darin, praktische Fragen der Stationierung zu loesen. Mehrere noch offenbleibende Fragen werden zum Anlass fuer Gefuehlsausbrueche bzw. fuer die nervoese Atmosphaere um den Aufenthalt unserer Seemilitaers auf der Krim.
Wir wollten alle vorhandenen Probleme behandeln und einen Mechanismus fuer deren Loesung ausarbeiten, und zwar professionell, ohne Politisierung und unnoetige Emotionen. Dies soll auf Grund der Basisabkommen gemacht werden. Das ist nicht nur fuer die Schwarzmeerflotte, sondern auch fuer die russisch-ukrainischen Beziehungen im Allgemeinen von grosser Bedeutung.
Wir sind ueberzeugt, dass normale Bedingungen fuer die Stationierung der Schwarzmeerflotte, ihr Zusammenwirken mit ukrainischen Seeleuten fuer die Sicherheit in der Schwarzmeerregion zu einem Bindeglied zwischen Russland und der Ukraine, zum Faktor der Festigung der guten nachbarschaftlichen Beziehungen werden soll.
Frage: Ist es der russischen Delegation gelungen, dieses Mandat zu erfuellen?
Antwort: Meiner Meinung nach hat unsere gemeinsame Arbeit gut angefangen. Es ist uns gelungen, praktische Fragen ins Rechtsfeld zu fuehren. Wir werden versuchen, sie auf Grund der gegenseitigen Achtung zu loesen, wie es sich fuer zwei Nachbarlaender gehoert.
Wir haben gespuert, dass auch Kiew darueber ernsthaft nachdenkt.
Frage: Gehen Sie bitte auf die Fragen ein, die auf den Verhandlungen in Kiew eroertert wurden.
Antwort: Diese Fragen koennen in drei Hauptbereiche aufgeteilt werden: Militaer-politische Fragen, Vermoegensfragen und humanitaere Fragen.
Im militaer-politischen Bereich ist fuer Russland die Frage nach der technischen Modernisierung der Schwarzmeerflotte besonders aktuell, denn sonst kann die Flotte seine Aufgaben einfach nicht erfuellen. Die Basisabkommen geben Russland das Recht, die Zusammensetzung der Flotte in genau festgelegten Mengen zu wechseln. Die Ukraine soll darueber einmal jaehrlich informiert werden. Auf den Verhandlungen wurde u.a. der Wechselmechanismus behandelt.
Zu den fuer Russland vorrangigen Fragen gehoert auch Vereinbarung ueber das eventuelle Vorgehen der Schwarzmeerflotte vom ukrainischen Territorium in Krisensituationen. Dies ist besonders aktuell im Hinblick auf die erweiterte Teilnahme der Flotte an der internationalen Zusammenarbeit im Militaerbereich, insbesondere zur Bekaempfung des internationalen Terrorismus.
Im Laufe der Verhandlungen hat die ukrainische Seite einen Abkommensentwurf zu dieser Frage unterbreitet. Wir werden ihn studieren und Kiew ueber unsere Meinung benachrichtigen.
Was Vermoegensfragen betrifft, so meine ich vor allem die endgueltige Regelung von Fragen, die sich auf die Aufteilung der Schwarzmeerflotte der UdSSR zwischen Russland und der Ukraine beziehen. Die jeweiligen Abkommen wurden vor neun Jahren unterzeichnet, es gibt jedoch einige Luecken. Wir moechten diese noch nicht abgeschlossenen Fragen endgueltig schliessen.
Bedauerlicherweise ist das Problem, mit dem sich uebrigens Experten befassen sollen, zum Gegenstand von Spekulationen – auch politischen - geworden. Es wird beispielsweise bekanntgegeben, Schwarzmeerflotte nutze Hunderte von Hektaren Boden in Sewastopol nicht legitim und bekomme riesige Ertraege aus deren Verpachtung.
Bei der Vorbereitung auf die Sitzung des Unterausschusses und auf der Sitzung versuchten wir zu klaeren, worauf diese Behauptungen zurueckfuehren. Die Pruefung der von der ukrainischen Seite vorgelegten Angaben hat gezeigt, dass unsere Amtskollegen keine genauen Vorstellungen davon haben. Fuer Russland ist dabei jedoch auch nicht alles klar. Aus dem Wortlaut der Basisabkommen mietet Russland von der Ukraine fuer die Schwarzmeerflotte 4591 Objekte, in Wirklichkeit jedoch verfuegt und nutzt die Flotte nach unserem Wissen 4512 Objekte. Das heisst, dass 79 Objekte, fuer die Russland Miete zahlt, im ukrainischen Besitz bleiben. Diese Frage ist zu klaeren. Wir haben die ukrainische Seite aufgefordert, dies Experten pruefen zu lassen und keine voreiligen oeffentlichen Erklaerungen zu machen.
Frage: Und was ist mit der Unterverpachtung, ueber die in der Ukraine viel gesprochen wurde?
Antwort: Wir haben auch diese Frage geklaert. Die Schwarzmeerflotte lebte sicherlich nicht von der Vermietung seiner Gebaeude. Nach den von der Leitung der Schwarzmeerflotte vorgelegten Angaben wurde die Untervermietung bzw. Unterverpachtung auch im Interesse der sozial-wirtschaftlichen Entwicklung und Beschaeftigung der Bevoelkerung in den Orten genehmigt, wo die Schwarzmeerflotte stationiert war. Diese Frage wurde mit der ukrainischen Regierung und oertlichen Behoerden abgestimmt. Die Hoehe der Miete bzw. der Pacht wurde nach dem von der ukrainischen Regierung bewilligten Verfahren berechnet. Die oertlichen Haushalte erhielten Steuereinnahmen. Bis Ende 2005 wurden 139 Untermietvertraege geschlossen, und ihre Rechtmaessigkeit wird von den ukrainischen Gerichten bestaetigten. Da aber solche Bedingungen der Untervermietung der ukrainischen Seite nicht passten, hat die Leitung der Schwarzmeerflotte mit der Aufloesung dieser Vertraege begonnen.
Schliesslich humanitaere Fragen. Wir behandeln sie auch als vorrangig. Die Flotte besteht nicht nur aus Schiffen und Haefen, sondern vor allem aus lebendigen Menschen. Es ist also sehr wichtig, wie sie sich fuehlen.
In diesem Bereich haben sich wirklich viele Probleme angehaeuft, z.B. das Problem der doppelten Staatsangehoerigkeit. Einige praktische Probleme haengen mit den ukrainischen Gesetzen ueber den Aufenthalt der Auslaender auf dem ukrainischen Territprium zusammen. Es gibt auch sonstige Probleme.
Deshalb haben wir unseren ukrainischen Kollegen eine komplexe Loesung vorgeschlagen: Einen Sondervertrag ueber den Status der Militaers der Schwarzmeerflotte auf dem ukrainischen Territorium zu schliessen. Solche Abkommen hat Russland mit einigen GUS-Staaten, und diese Abkommen haben sich als wirksame Rechtsinstrumente bewaehrt.
Wir haben auch vorgeschlagen, die Arbeit am Abkommen ueber die Gerichtsbarkeit und Rechtshilfe in Straffaellen wiederaufzunehmen. Aus unserer Sicht koennte die Untrezeichnung dieses Abkommens die Rechtslage der russischen Seeleute und ihrer Familien in der Ukraine staerken sowie Fragen beilegen, die sich auf Widersprueche aus der Taetigkeit der russischen Rechtsbehoerden auf dem ukrainischen Territorium beziehen.
Wir sind gewillt, uns damit auch kuenftig zu befassen. Dabei rechnen wir mit dem flexiblen und konstruktiven Herangehen der ukrainischen Seite. Es geht ja um Menschen, um die Gewaehrleistung eines normales Lebens fuer sie, um ihre Faehigkeit ihre Buergerrechte voll wahrzunehmen.
Frage: Was war bei den Verhandlungen besonders schwierig?
Antwort: Besonders akut ist heute die Frage um die nautischen und hydrographischen Objekte der Schwarzmeerflotte auf dem ukrainischen Territorium. Im Januar dieses Jahres wurden um diese Objekte ca. zwanzig fuer unsere Seeleute feindliche Aktionen registriert, die normale Arbeit des zur Gewaehrleistung der sicheren Seefahrt notwendigen Systems gefaehrdet haben und zu Zwischenfaellen mit schwer prognosierbaren Folgen fuehren konnten. Und dass die Leitung des Seehafens in Jalta, wo sich ein Objekt des Hydrographischen Dienstes der Schwarzmeerflotte – der Leuchtturm von Jalta – befindet, den Eingang auf das Territorium des Hafens fuer das Personal dieses Objekts verbietet, ist ueberhaupt aussergewoehnlich.
1997 wurde die Frage ueber das nautisch-hydrographische System prinzipiell geloest, die Einzelheiten wurden leider nicht abgestimmt. Bei der Aufteilung der Schwarzmeerflotte der UdSSR erhielt die Ukraine den groessten Teil des nautischen Systems. Die Schwarzmeerflotte behielt Objekte, die Seefahrt zwischen Kap Tarkhun-Kut und Kap Aju-Dag sichern, also ca. 250 km an der Krimkueste. Dabei wurde vereinbart, dass die endgueltige Aufteilung nautischer Objekte, das Verfahren der Abrechnung fuer ihre Nutzung sowie der Mechanismus der Gewaehrleistung der sicheren Seefahrt im Schwarzen und Azowschen Meer in einem oder mehreren Einzelabkommen festgelegt werden sollen.
Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung von Baisisabkommen wurden von der ukrainischen Seite keine Einsprueche erhoben. 1998 haben die Seiten beinahe den entsprechenden Vertrag unterzeichnet. Die ukrainische Seite erklaerte sich fuer einverstanden, einen gemeinsam vorbereiteten Entwurf zu unterzeichnen, hat jedoch spaeter ihre Haltung geaendert und verlangt, ihr alle Objekte zugleich zu uebergeben. Die Verhandlungen gerieten deshalb in die Sackgasse, und die ukrainische Seite versuchte nautische Objekte der Flotte ueber eigenes Gerichtssystem und ausfuehrende Behoerden zu entziehen, was aus der voelkerrechtlichen Sicht ganz falsch ist.
Wir muessen Meinungsverschiedenheiten auf dem Verhandlungsweg beilegen (in den Basisabkommen gibt es den jeweiligen Mechanismus), nicht aber durch einseitige Schritte, wie es unsere ukrainischen Partner zu machen versuchen.
Wir haben darueber auf den Verhandlungen aufrichtig gesprochen. Wir haben beteuert, dass wir bereit sind, uns an den Verhandlungstisch zu setzen, um entsprechende Vereinbarung auszuarbeiten. Wir sind ueberzeugt, dass beim guten Willen Partner Loesungen finden koennen, die im Interesse der Schwarzmeerflotte liegen und gegen internationale Verpflichtungen der Ukraine nicht verstossen.
Wir konnten natuerlich nicht umhin, das Thema der andauernden „Protestaktionen" um die Leuchttuerme der Schwarzmeerflotte zu behandeln. Praktisch vor der Sitzung des Unterausschusses kam es zu einem unangenehmen Zwischenfall in der Naehe des Leuchtturmes von Chersones. Welche Absichten die Teilnehmer dieser Aktionen auch haben, sie muessen verstehen, dass es um Militaerobjekte geht, also um gefaehrliche Objekte. Auch diejenigen, die Jugendliche zu solchen unueberlegten Schritten veranlassen. Sie muessen begreifen, dass sie fuer die Folgen Verantwortung tragen.
Frage: Worin bestehen praktische Ergebnisse der Verhandlungen?
Antwort: Erstens haben wir bei aufrichtigen Auseinandersetzungen so zu sagen das Territorium aufgeraeumt, um weiterzukommen, und jetzt verstehen wir besser, wo wir sind und was zu machen ist.
Zum zweiten haben wir vereinbart, fuenf Arbeitsgruppen zu bilden, die sich mit der Vorbereitung von praktischen Empfehlungen zu Einzelbereichen befassen sollen. Es geht um folgende Bereiche: Inventur der Grundstuecke und des ukrainischen Staatsvermoegens, das der russischen Schwarzmeerflotte zur Nutzung uebergeben worden ist; Nutzung von nautischen und hydrographischen Objekten zur Gewaehrleistung der sicheren Seefahrt; oekologische Sicherheit und Umweltschutz; Gerichtsbarkeit und Rechtslage der Militaers der Schwarzmeerflotte.
Es geht um die Aktivierung des Verhandlungsprozesses zu Problemen der Schwarzmeerflotte. Die Arbeitsgruppen sollen schon in den naechsten Tagen gebildet werden und mit der praktischen Arbeit im Maerz beginnen.
Die naechste Sitzung des Unterausschusses ist fuer April 2006 geplant. Sie wird in Moskau stattfinden.
Frage: Mit welchen Gefuehlen haben Sie Kiew verlassen? Mit optimistischen oder pessimistischen?
Antwort: Mit dem Glauben, dass wir diese Aufgaben mit unseren ukrainischen Kollegen loesen werden.
Unsere Schwarzmeerflotte ist nach Sewastopol nicht als Fremde gekommen. Sie wurde da geboren und hast einen heroischen Weg zurueckgelegt, also hat sie guenstige Bedingungen verdient.
Und wir muessen uns darum bemuehen.
17. Februar 2006