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Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, nach den Verhandlungen mit dem Außenminister der Türkei, Mevlüt Cavusoglu, und dem Außenminister der Ukraine, Dmitri Kuleba, Antalya, 10. März 2022

483-10-03-2022

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute hatten wir ein Treffen mit dem Außenminister der Türkei, Mevlüt Cavusoglu. Danach fand ein trilaterales Gespräch unter Teilnahme des Außenministers der Ukraine, Dmitri Kuleba, das auf Vorschlag der türkischen Seite zustande kam, statt. Diese Initiative wurde von Präsident der Republik Türkei, Recep Tayyip Erdogan, im Gespräch mit Präsident Wladimir Putin dargelegt. Wir stimmten diesem Vorschlag unserer türkischen Kollegen zu, ausgehend davon, dass wir im Prinzip für jegliche Kontakte zu Problemen, die die Grundlage der aktuellen ukrainischen Krise bilden, und zu Fragen, die die Ausarbeitung der Wege zur Überwindung dieser Krise betreffen, sind.

Das Einzige, was wir sofort dazu erklärten – diese Kontakte müssen einen Mehrwert haben. Wir gehen davon aus, dass sie nicht dazu genutzt werden, vor allem durch unsere ukrainischen Kollegen, die solche Dinge regelmäßig machen, um einen realer Verhandlungsweg, der sich auf dem belarussischen Territorium auf der Ebene der beiden Delegationen, die von den Präsidenten Russlands und der Ukraine gebilligt wurden, zu ersetzen bzw. entwerten.

Das heutige Gespräch bestätigte, dass dieser Weg alternativlos sei. Wir sprachen vor allem bezüglich der Initiative unserer türkischen Freunde über humanitäre Fragen. Wir erklärten, welche Maßnahmen unsere Militärs auf dem Boden ergreifen, um die Erleichterung des Schicksals der Zivilisten zu voranzubringen, die sich in vielerlei Hinsicht als Geisel erwiesen, die sogenannte ukrainische Freiwilligenbataillons und Kräfte der „territorialen Verteidigung“ als lebendiges Schild nutzen. Diese Fakten sind Ihnen gut bekannt. Unsere Offiziellen, darunter im Verteidigungsministerium, machen regelmäßig, mehrmals pro Tag entsprechende Mitteilungen für die Massenmedien. Wir bestätigten, dass die Initiative, die einst von der russischen Seite zur täglichen Öffnung der humanitären Korridore aufgebracht wurde, in Kraft bleibt. Die Routen dieser Korridore, die Zeit ihrer Öffnung, werden von jenen bestimmt, die die Lage auf dem Boden kontrollieren, ausgehend von der Analyse der Situation und der Notwendigkeit, die sichersten, effektivsten Routen für den Abzug der Zivilisten zu wählen.

Wir erinnerten unsere Kollegen daran, dass die russische Seite auf der letzten Runde der Verhandlungen in Belarus äußerst konkrete (bereits in Form eines Entwurfs eines juridischen Dokuments) Ideen vorlegte, und die ukrainische Seite, indem diese Vorschläge nach Kiew zur Analyse mitgenommen wurden, zusicherte, dass die demnächst eine konkrete Antwort darauf geben werden.

Wir wollen ein ernsthaftes Gespräch auf der belarussischen Plattform führen, ohne irgendwelche informelle Papiere zu erstellen, sondern Dinge abzustimmen, die bereits anerkannt wurden und im Kontext der allumfassenden Regelung der ukrainischen Krise und Gewährleistung der Sicherheit auf dem europäischen Kontinent mit bedingungsloser Berücksichtigung der Interessen ausnahmslos aller  Seiten gelöst werden müssen.

Das kurz dazu, worüber wir heute sprachen. Ich bin bereit, ihre Fragen zu beantworten.

Frage (übersetzt aus der türkischen Sprache): Haben Sie bereits den Schaden für Russlands wegen des Kriegs kalkuliert? Ist er geringer oder größer, als Sie erwartet haben? Würden Sie die Möglichkeit einer Intervention außerhalb der Ukraine angesichts der Tatsache betrachten, dass Waffen (die Sie entdeckten) in die ukrainische Armee aus dem Westen kamen? Werden Sie die Stationierung der Patriot-Komplexe in Polen als eine direkte Bedrohung bezeichnen? Lassen Sie die Option einer militärischen Vergeltung offen?

Sergej Lawrow: Ich habe Ihre Frage in der Übersetzung nicht ganz verstanden. Wenn man darüber spricht, wie sich die militärische Sonderoperation entwickelt, werden diese Einschätzungen von Vertretern unseres Verteidigungsministeriums gegeben, und am wichtigsten, von Russlands Präsident als Oberbefehlshaber. Er betonte mehrmals, dass die Operation im Ganzen nach Plan verläuft.

Was Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Ausland betrifft, sehen wir, inwieweit unsere westlichen Kollegen jetzt gefährlich handeln, darunter die EU, die als Verstoß gegen alle ihren Prinzipien und so genannte „Werte“ de facto Lieferungen von „tödlichen“ Waffen an die Ukraine, darunter Tausende mobile Luftabwehrraketen, die „auf Schulter“ an jedem beliebigen Ort gebracht werden können, organisieren. Sehr häufig nutzen die Terroristen sie dazu, um Bedrohungen für zivile Fliegerkräfte zu schaffen. Wohin werden diese Tausende mobile Luftabwehrraketen dann gelangen? Diese Frage stellen wir an unsere Kollegen in der EU, wenn sie Interesse daran zeigen, wie man eine Politik beenden soll, die seit vielen Jahren eine Bedrohung für die Russische Föderation aus der Ukraine schuf. Es kommt keine Antwort. Wie werden diese Luftabwehrraketen dann kontrolliert? Deswegen werden für viele Jahre Risiken für zivile Fliegerkräfte und nicht nur im ukrainischen Himmel, sondern über ganz Europa geschaffen.

Zur Frage, ob wir planen, andere Länder anzugreifen. Wir haben nicht vor, andere Länder anzugreifen. Wir haben auch die Ukraine nicht angegriffen. In der Ukraine ist, wie wir mehrmals erklärten, eine Situation entstanden, die direkte Sicherheitsbedrohungen für die Russische Föderation schafft. Trotz unserer langjährigen Mahnungen, Hinweise, Aufrufe, Vorschläge, hörte uns niemand. Präsident Wladimir Putin äußerte sich mehrmals ausführlich zu diesem Thema. Neue Fakten, die jetzt in den befreiten Gebieten aufgedeckt werden, darunter in den Gebieten Donezk und Lugansk, zeigen, dass der Angriff auf diese Volksrepubliken für diesen Monat detailliert geplant wurde.

Absolut empörende Fakten darüber, womit sich Pentagon in den für sein Geld geschaffenen Biolaboren befasst, indem das ukrainische Territorium genutzt wird, um pathogenen Experimenten zu machen, die anschließend als biologische Waffen genutzt werden können. Es ist klar, dass Vertreter Washingtons die Gerüchte öffentlich dementierten, dass sie sich mit irgendwelcher verbotenen Tätigkeit in der Ukraine befassen. Dass EU-Länder dann unisono sagen, dass sie keine Angaben haben, dass sich die Amerikaner in der Ukraine mit irgendwelcher militärischen biologischen Tätigkeit befassen, ist auch nicht verwunderlich. Dass die Vertreter der Vereinten Nationen auch keine solchen Informationen haben, ist nicht verwunderlich. Natürlich führten die Amerikaner diese Tätigkeit absolut geheim. Genau so arbeiten sie auch in anderen Staaten des postsowjetischen Raums, indem ihre militärische Biolabore direkt entlang den Grenzen der Russischen Föderation und der Volksrepublik China geschaffen werden. Deswegen kann man sich da nicht heraus schwindeln. Es gibt die Biowaffenkonvention. Demnach sollen die Staaten über jede Tätigkeit berichten, die sie auf dem eigenen Territorium und außerhalb dieses Territoriums führen.

Jene, die die Ukraine mit Waffe aufpumpen, sollten verstehen, dass sie für ihre Handlungen Verantwortung tragen. Ebenso wie jene, die die Entsendung von Söldnern in die Ukraine, um im Geiste der Traditionen zu kämpfen, die Ultraradikale, Bataillone in das ukrainische Alltagsleben implementierten.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Russland nutzte verschiedene Worte, um die Invasion in die Ukraine zu rechtfertigen, aber Sie sagten, dass es zum Wohle des ukrainischen Volkes ist. Wie können Sie den Beschuss des Entbindungsheim und Krankenhauses, wo Kinder behandelt wurden, rechtfertigen? Sind Sie mit Präsident Wladimir Selenski einverstanden, dass es grausam ist, auf Mütter und Kinder zu schießen? Was das russische Volk betrifft, droht Russland Staatsinsolvenz – 40 Mrd. Dollar – das würde Russland in das Jahr 1917 zurückbringen, in die Zeiten der bolschewistischen Revolution. Was würden Sie sagen, indem man sich vor russischen Staatsbürgern rechtfertigt, dass Sie ihre Wirtschaft wegen der Invasion ruinierten, die, wie die ganze restliche Welt meint, es nicht geben werden sollte?

Sergej Lawrow: Zum Entbindungsheim – wir sehen nicht zum ersten Mal pathetisches Geschrei über so genannte „Gräueltaten“ der russischen Streitkräfte. Vor drei Tagen, am 7. März, wurden von unserer Delegation auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrats Fakten vorgelegt, dass dieses Entbindungsheim schon lange her vom ultraradikalen Bataillon „Asow“ ergriffen ist, von wo alle Gebärende, Krankenschwester, das ganze Personal ausgeführt wurden. Mögen sie selbst Schlussfolgerungen machen, wie die öffentliche Meinung in der ganzen Welt manipuliert wird.

Ich habe heute Reportagen auch Ihres TV-Senders und anderer westlicher Massenmedien gesehen. Sehr emotionell. Leider wird auf die zweite Seite jeder Situation, die eine objektive Vorstellung erstellen lässt, nie aufmerksam gemacht.

Was den Zustand der Wirtschaft der Russischen Föderation betrifft – wissen sie, darüber werden wir uns selbst kümmern. Damit befassen sich Russlands Präsident und unsere Regierung. Sie sagen, dass wir viele Worte nutzten, um das zu rechtfertigen, was wir in der Ukraine machen. Wir machten darauf aufmerksam, dass aus der Ukraine seit vielen Jahren „Anti-Russland“ gemacht wird. Der Westen forderte von den Ukrainern, seit Beginn der 2000er-Jahre, vor jeder Wahl, eine Wahl zu machen – mit wem sind sie, mit dem Westen oder mit Russland. Also, entweder bist du mit uns, oder gegen uns. Was sind es für westliche Werte, die in den Kopf des ukrainischen Volkes gelegt wurden? Zudem beobachten wir auch solche Situation: sobald der prowestliche Kandidat sich am letzten Platz erwies, wie es 2009 war, zwang der Westen als Verstoß gegen die Verfassung der Ukraine das Verfassungsgericht des Lande, den Beschluss über die dritte Runde der Abstimmung zu organisieren. Es gab sehr viele solche Manipulationen in den „besten Jahren“. Letzten Endes forderte die Nato, dass die Ukraine volle Freiheit hat, sich diesem Block anzuschließen, in der Ukraine wurden Marinestützpunkte geschaffen, es ging um die Stationierung von Raketen dort, die eine direkte Bedrohung für die Russische Föderation schaffen. Jetzt stellen wir fest, dass dort geheim vom ukrainischen Volk und der Weltöffentlichkeit noch militärbiologische Labore funktionierten. Als über die Notwendigkeit für die Ukraine, den atomfreien Status aufzugeben, gesprochen wurde, riefen wir zur Vernunft und Gewissen unserer westlichen Partner auf und schlugen vor, die Sicherheitsprinzipien auf dem europäischen Kontinent zu vereinbaren. Uns wurde gesagt – man kann über alles Mögliche sprechen, doch sie sollen sich in die Fragen der Erweiterung der Nato nicht einmischen. Machen sie sich keine Sorgen, ihre Sicherheit werde durch die Nato-Erweiterung nicht bedroht. Wieso werden die Fragen unserer Sicherheit und Interessen unserer Sicherheit von der Nato bestimmt? So geht es nicht. Man darf mit Russland nicht so sprechen. Wir haben nicht vor, unsere Handlungen in der Ukraine mit etwas zu rechtfertigen. Ihre Ziele sind äußerst konkret: Wir wollen keine Militarisierung der Ukraine in der Nato oder ohne die Nato, weil man dorthin auch ohne die Nato US-Systeme liefern kann, die unser Territorium ins Visier nehmen werden. Wir wollen keinen Aufbau eines neonazistischen Staates in der Ukraine mit Traditionen, wenn Bataillonen mit SS-Emblemen vor dem Präsidenten der Ukraine marschieren. Wenn diese Extremisten zur Umsetzung der Terrorhandlungen trainieren. Wir wollen, dass die Ukraine neutral ist. Präsident Wladimir Putin sagte mehrmals, dass wenn wir auf der Nichterweiterung der Nato beharren, wollen wir gar nicht dem ukrainischen Volk und dem ukrainischen Staat die Sicherheit verweigern. Wir sind bereit, die Sicherheitsgarantien des ukrainischen Staates zusammen mit den Sicherheitsgarantien der europäischen Länder und Sicherheit Russlands zu besprechen. Dass jetzt, gemäß den Auftritten des Präsidenten Wladimir Selenski, das Verständnis von gerade solchem Herangehen sich allmählich den Weg findet, flößt gewissen Optimismus ein.

Was unsere Wirtschaftsprobleme betrifft – werden wir sie meistern. Wir überwanden Schwierigkeiten auf allen Etappen unserer Geschichte, als sie entstanden. Diesmal werden wir, ich kann ihnen zusichern, aus dieser Krise mit absolut genesenen Psychologie und Bewusstsein kommen. Wir werden keine Illusionen haben, dass der Westen ein zuverlässiger Partner sein kann, wir werden keine Illusionen haben, dass der Westen nicht zu jedem Zeitpunkt verraten kann – egal wen, auch eigene Werte. Wieso kann es sein, dass das Recht des privaten Eigentums auf einmal mit Füßen getreten wird? Wieso kann es sein, dass die Unschuldsvermutung, wie eine Stütze des Rechtssystems des Westens, einfach ignoriert und grob verletzt wird? Ich kann ihnen zusichern, dass wir das unbedingt meistern werden. Doch wir werden alles machen, um nichts mehr vom Westen in den Bereichen unseres Lebens abzuhängen, die von einer entscheidenden Bedeutung für unser Volk sind.

Frage: Der stellvertretende Leiter des Präsidialbüros der Ukraine sagt, dass Kiew zur diplomatischen Regelung bereit sei, doch die einzig möglichen Verhandlungen mit den Russen nur auf der Ebene der Präsidenten möglich wären. Halten Sie es für zweckmäßig in diesem Moment oder in der Zukunft, die Verhandlungen der Präsidenten von zwei Staaten zu organisieren?

Sergej Lawrow: Ich denke, dass allen sehr gut bekannt ist, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nie auf Kontakte verzichtet. Wir wollen nur, dass diese Kontakte nicht wegen Kontakte organisiert werden, sondern damit man konkrete Vereinbarungen fixiert werden. Heute wurde dieses Thema angeschnitten. Ich erinnerte Dmitri Kuleba daran, dass wir immer dafür sind, sich zu treffen, wenn das dabei helfen wird, das Problem zu lösen. Die ukrainische Führung bevorzugt in den letzten Jahren nach dem verfassungswidrigen Staatsstreich, Treffen wegen Treffen zu organisieren, konkrete Beschlüsse vor TV-Kameras nachzuahmen. Als die Minsker Abkommen vom Kiewer Regime blockiert wurden, rief Präsident Wladimir Selenski auf: „Wollen wir uns treffen“, „wollen wir uns endlich wieder versammeln“. Damals erinnerten wir die ukrainischen Kollegen, dass im Dezember 2019 in Paris der Gipfel des „Normandie-Formats“ stattfand, alle Beschlüsse wurden an Kiew adressiert und keiner davon wurde erfüllt. Wozu sollte man sich in Paris treffen, wenn man zur Erfüllung der Pariser Beschlüsse noch einen Gipfel durchführen soll? Dieser Manier, das Wesen jedes Problem mit verschiedenen Außeneffekten zu ersetzen – sie schlugen auch vor, das Normandie-Format erweitert zu machen, dorthin Briten, Amerikaner und Polen zu rufen. Auch die Türkei. Dann beschlossen sie, etwas parallel zur Kontaktgruppe zu schaffen, in die Kontaktgruppe Franzosen und Deutschen einzuladen. Die Kiewer Führung brachte Initiativen auf wie aus dem Springbrunnen. Auf den heutigen Treffen bestätigten wir, dass Präsident Wladimir Putin sich nicht weigert, sich mit Präsident Wladimir Selenski zu treffen. Einst wird hoffentlich solche Notwendigkeit entstehen. Doch dazu soll Vorbereitungsarbeit gemacht werden, die in der belarussischen Richtung erfolgt. Es fanden bereits drei Runden statt. Unsere ziemlich konkreten Vorschläge wurden der ukrainischen Seite übergeben. Sie teilte uns mit, dass es äußerst konkrete Antworten geben wird. Wir warten.

Frage: Überall, wo Russland „mit Frieden“ und Entnazifizierung kommt, kommt es zu Entführungen, Folterungen. So war es auf der Krim. Wir wissen über 200 Krimtataren und den Vizevorsitzenden von „Medschlis des krimtatarischen Volkes“, N. Dscheljalow. Auf den besetzten Gebieten des Südens von Asowgebiet wurden heute Frauen entführt. Eine von ihnen ist die Abgeordnete des Gebietsrats Saporoschje, Krimtatarin L. Ibragimowa. Sie kamen bereits auf ein neues Niveau. In diesen acht Jahren wurden keine Frauen entführt. Es ist wichtig, dass meine Kollegen aus der Türkei wissen, was Russland mit Krimtataren nicht nur im Laufe von acht Jahren auf der Krim macht. Was würden sie dazu sagen? Das sind Fakten. Das ist meine Heimatregion: Genitschensk, Melitopol (wo meine Kindheit verlief).

Sergej Lawrow: Sie sagten, dass es Fakten sind. Ich denke, dass es in vielerlei Hinsicht ein anderes Wort ist, das auch mit „F“ beginnt – Fake. TV-Sendungen, Internet und Medien im Ganzen sind voller Fakes. Ich wusste nicht über diese Geschichte, angebliche Entführung einer Vertreterin des Abgeordnetenkorps, weiß aber über die Geschichten, mit denen das Kiewer Regime bekannt ist. Gestern hörte ich, dass der Abgeordnete J. Schewtschenko vermisst wird. Wurde er nicht entdeckt? Ein Mitglied der Delegation auf den belarussischen Verhandlungen, der an der ersten Runde teilnahm, D. Kirejew, wurde getötet. Zunächst wurde gesagt, dass der Sicherheitsdienst der Ukraine ihn ohne Gerichtsverfahren wegen Staatsverrat hingerichtet hat, dann wurde gesagt, dass es irgendwelche Auseinandersetzungen waren. Wenn man sich mit solchen individuellen Geschichten befasst, kann man viel Interessantes und Empörendes finden. Ich gehe davon aus, dass wenn man versucht, eine Episode nimmt, die wohl ausgedacht ist, und versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, darunter hier in der Türkei, um antirussische Politik aufzubauen, ist es erneut ein Ersatz eines ernsthaften Gesprächs, der Verhandlungen und Handlungen durch solche äußere Effekte. Über den konkreten Fall mit Abgeordneten habe ich nicht gehört. Ich werde darüber Auskunft bekommen. Ich habe über J. Schewtschenko gehört, der nicht in Saporoschje, sondern in Kiew vermisst wird.

Ich denke, dass Sie schon im Video aufgenommen wurden und in Ihrer Heimat mit viel Aufsehen gezeigt werden. Sie haben ihr Ziel erreicht.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Jetzt wird von der Nutzung von Biowaffen während des Angriffs gesprochen. Was können Sie dazu sagen?

Sergej Lawrow: Uns besorgen die aufgedeckten Informationen darüber, dass Pentagon einige Dutzend militärische Biolabore auf dem ukrainischen Territorium im Rahmen seines Programms zur Schaffung solcher Objekte in der ganzen Welt als Verstoß gegen entsprechende Biowaffenkonvention schuf. Wir schickten eine offizielle Anfrage. Wir werden Erklärungen fordern.

In Bezug darauf, dass sie diese Waffe schon einsetzten, habe ich keine Angaben. Doch dass es gar nicht friedliche Experimente waren, sondern auf die Schaffung von Biowaffen, die ethnisch ausgerichtet sind, gezielt waren, ist beinahe außer Zweifel.

Frage: Die USA sagen offen, dass sie ihren Botschaftern Anweisungen gegeben haben, die Regierungen der Welt dazu zu überreden, sich Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Gaben sie entsprechende Anweisungen an unsere Botschafter, dass sie dazu überreden sollen, sich nicht anzuschließen?

Sergej Lawrow: Wir berichten unseren Botschaftern in jeder Situation möglichst ausführlich über unsere Position, Fakten, die mit einer gewissen Situation verbunden sind, die im Zuständigkeitsbereich des Außenministeriums sind. Unsere Botschafter teilen diese Informationen den Behörden des Aufenthaltslandes mit, damit sie ein objektives Bild haben.

In der ganzen Welt herumlaufen und souveräne, unabhängige Länder, Mitgliedstaaten der UNO dazu zwingen, den Auftrag des Großen Bruders zu erfüllen – das sind nicht unsere Traditionen. Wir sind doch höfliche Menschen, wie sie wissen. Die Amerikaner verheimlichen nicht, dass sie von der Türkei, Indien, Ägypten, Ländern Südostasiens und sogar China fordern, US-amerikanische einseitige illegitime Sanktionen zu erfüllen. Solcher fehlende Respekt gegenüber großen Ländern, Zivilisationen konnte ich mich nicht vorstellen. Doch für die Amerikaner eignet sich alles, um ihren Russlandhass bis an den Höhepunkt zu bringen. Wir befassen uns mit solchen Dingen nicht.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Sie haben heute gesagt, dass Russland in die Ukraine nicht eingreift, doch das kommt in Realität vor. Sie sagten auch, dass Sie den Zivilisten keinen Schaden zufügen werden, doch Tausende Menschen wurden betroffen, es wurden Krankenhäuser attackiert. Warum müssen die Ukrainer dem glauben, was Sie ihnen und der ganzen Welt sagen?

Sergej Lawrow: Über Krankenhäuser und Entbindungsheime habe ich schon gesagt, aber sie hören nicht. Das wird nie gezeigt, niemand von westlichen Medien wird sagen, dass wir vor drei Tagen im UN-Sicherheitsrat erklärten, was mit diesem Entbindungsheim passierte.

Was die Erklärungen betrifft, wer und was machen wird oder wer und was nicht machen wird, wollten wir bis zum letzten Moment die Frage auf dem diplomatischen Wege lösen. Es wurde ein umfassendes Dokument über unser bilaterales Gespräch mit den USA und ein Entwurf eines Russland-Nato-Abkommens zu allen wichtigsten Fragen der europäischen Sicherheit unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen aller ohne Ausnahme Länder des Kontinents, darunter Ukraine vorgestellt. Uns wird gesagt, dass die Ukraine ihnen zugehöre und sie mit der Ukraine selbst über ihr Schicksal entscheiden werden und werden so machen, wie sie wollen. Vieles andere davon, was wir vorschlugen, darunter die Nichtzulassung der Schaffung auf dem Boden physischer militärischer Bedrohungen für die Russische Föderation, wurde auch abgelehnt. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte eindeutig, warum er den Beschluss über die Durchführung der militärischen Sonderoperation traf. Ich hoffe, dass Sie (auch wenn es ihnen nicht erlaubt wird, darüber ihren Hörern, Zuschauern zu erzählen) unser Dokument selbst lesen und unsere Logik verstehen können. Sie ist dort erklärt. Wir wollen eine Ukraine, die freundlich, entmilitarisiert ist, wo es keine Bedrohung für die Schaffung eines weiteren Nazistaates, Verbot für die russische Sprache, Kultur, orthodoxe Kirche geben wird. Leider wurde schon alles gegründet, in der Gesetzgebung widerspiegelt. Alle unseren Aufrufe in den letzten acht Jahren nach dem Staatsstreich, Appellen an die westlichen Kollegen, damit sie die ukrainischen Behörden zur Vernunft bringen, stießen auf Stillschweigen. Ganz offensichtliche Dinge mit der russischen Sprache. Es wurde das Gesetz „Über Gewährleistung des Funktionierens der ukrainischen Sprache als Amtssprache“ angenommen, wo nur die ukrainische Sprache als tauglich für den Gebrauch erklärt wurde, und alle anderen Sprachen beeinträchtigt wurden, darunter beim Unterricht in der Grundschule und an Hochschulen. Nicht nur wir, sondern auch Ungarn, Bulgarien, Rumänien brachten ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck. Damals gingen die ukrainischen Behörden einfach vor. Sie machten einfach eine Ausnahme aus diesem diskriminierenden Gesetz für die Sprachen der EU. Sehr elegant. Es blieb nur die russische Sprache, dem die Rechte vollständig entnommen wurden, obwohl diese Rechte für die russische Sprache in der Verfassung der Ukraine garantiert sind. Der Westen beruhigte sich und schwieg. Das zeigte wieder einmal, was genau der Westen von der Ukraine braucht – damit sie ständig gegen Russland, gegen alles Russische arbeitet.

Beim Verhalten des Westens zum Referendum auf der Krim ging es auch um Doppelstandardpolitik. Im Kosovo hatte es kein Referendum gegeben. Die Nato provozierte damals mit ihren Bombenangriffen eine solche Situation, in der Jugoslawien auseinandergefallen ist. Als das kosovarische legislative Gremium Unabhängigkeit ausrief, klatschte der ganze Westen (naja, fast der ganze) Applaus und feierte das als Äußerung der Demokratie und Wahlfreiheit. Aber warum durften die Albaner das tun, und die Russen auf der Krim durften das nicht?! Den Albanern in Jugoslawien wurde das nicht nur erlaubt, sondern sie wurden dazu inspiriert, diesen Weg zu gehen. Denn das alte Ziel eines solchen Landes mit einer solch reichen Geschichte wie Großbritannien war immer, dass es auf dem Balkan und generell in Europa keine zu großen Staaten gibt. Wir wissen das gut. Dieses Ziel wurde wohl auch in Bezug auf die Russische Föderation verfolgt.

Wir haben verstanden, dass es gar nicht um die Ukraine geht, sondern um Aggression gegen alles, was russisch ist: Interessen, Religion, Kultur, Sprache, Sicherheit usw. Die verbissene Reaktion des Westens auf unser Vorgehen zeigt, dass es tatsächlich um Leben oder Tod geht, um Russlands Recht, auf der politischen Weltkarte zu bleiben, wobei seine legitimen Interessen respektiert werden sollten.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Der ukrainische Außenminister erklärte, dass es keine Fortschritte bei den Verhandlungen über Feuereinstellung gebe. Wurden bei den heutigen Verhandlungen bestimmte Ergebnisse erreicht? Wie sind Ihre weiteren Pläne?

Sergej Lawrow: Wir sind hierhergekommen, nicht um den Verhandlungsprozess auf dem weißrussischen Territorium zu ersetzen, den die Präsidenten Russlands und der Ukraine eingeleitet haben. Dort werden alle praktischen Fragen besprochen. Es wurde sehr ausführlich erklärt, was gemacht werden muss, damit diese Krise ein Ende findet. Es geht um die Demilitarisierung und Entnazifizierung sowie um den neutralen Status der Ukraine. Dort wird sachlich verhandelt. Wir haben unsere Kollegen gleich am Anfang des heutigen Treffens gewarnt, dass wir keinen parallelen Verhandlungsprozess beginnen wollen, wie das die ukrainische Seite möchte. Sie ziehen es immer vor, konkrete Arbeit an der Umsetzung von getroffenen Vereinbarungen durch neue Formate zu ersetzen, die für Schlagzeilen sorgen, aber eine reale Arbeit nur simulieren.                           

Es ist für mich gar nicht überraschend, dass Dmitri Kuleba gesagt hat, die Vereinbarung zur Einstellung des Feuers konnte nicht getroffen werden. Hier wollte auch niemand über Feuereinstellung verhandeln.  Alle diese Vorschläge und die Reihenfolge der Schritte, die in diesen Vorschlägen geschildert sind, sind der ukrainischen Seite bekannt.

Wenn das Ziel des Treffens war, Fragen zu stellen: „Lasst uns das Feuer einstellen!“, „Lasst uns humanitäre Korridore nicht so einrichten, wie die russische Seite vorschlägt, sondern so, wie die ukrainische Seite will“ – dann wurde das alles dafür getan, dass man Journalisten später sagt, dass unsere guten Absichten gescheitert sind. Das passt durchaus in die Logik der ukrainischen Diplomatie, die ich schon erwähnte. Effekte nach außen, die auf momentane Wahrnehmung durch das Publikum ausgerichtet sind und die reale Arbeit vortäuschen.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Meine Frage gilt dem amerikanischen Verbot des Öl- und Gasimports aus Russland. Wie ist Russlands Ölpolitik gegenüber Europa? Wie reagiert Russland auf die Sanktionen verschiedener Unternehmen und Länder?

Sergej Lawrow: Ich habe schon gesagt, dass wir dieses Problem in den Griff bekommen werden, und zwar so, dass wir nie wieder von unseren westlichen Partnern abhängen werden, egal ob von Regierungen oder von Unternehmen, die sich nicht an ihren eigenen geschäftlichen Interessen richten, sondern sich als Instrument der politischen Aggression einsetzen lassen, der Russland vom Westen gerade ausgesetzt wird. Wir werden so tun, dass wir nie wieder in eine solche Situation geraten, wenn der „Uncle Sam“ oder sonst jemand keine Entscheidungen treffen kann, die unsere Wirtschaft zerstören. Wir finden einen Weg, wie wir von niemandem abhängen werden. Wir hätten das schon längst tun müssen.

Was Öl und Gas angeht, so überlassen wir das unseren westlichen Kollegen, die dann ein schlechtes Gewissen haben sollten. Wir setzten Öl und Gas nie als Waffe ein, obwohl man uns das immer wieder vorwirft. 2010 passierte die erste Krise, als die ukrainischen Machthaber das für Europa bestimmte Transitgas stahlen, weil sie für ihr Gas nicht mehr zahlten. Wir lieferten das Transitgas nach Europa – voll und ganz in Übereinstimmung mit unseren Verpflichtungen (das galt sowohl für die Menge als auch für den Preis), und sie stahlen es.  Europa sagte aber, Russland würde das Gas als Waffe einsetzen, obwohl man ganz genau wusste, worum es in Wahrheit ging. In Bezug auf die Ukraine wird alles an einem Kriterium gemessen: Wie könnte man durch dieses Land Russland schaden? Diese Eindämmung unseres Landes begann noch bevor das offiziell erklärt wurde. Das ist ein interessanter Moment, der die europäischen Werte charakterisiert: Man beschimpft uns wüst, man belegt uns mit Sanktionen, man untersagt eigenen Unternehmen, bei uns zu bleiben. Dabei sagt man aber: „Wir werden Öl und Gas kaufen, denn sonst müssten wir frieren.“ Der russische Vizepremier Alexander Nowak, der für den energetischen Bereich zuständig ist, erzählte schon sehr ausführlich,  dass wir niemanden überreden werden, unser Öl und Gas zu kaufen. Wenn man es durch etwas ersetzen will, dann unseretwegen! Wir werden auch andere Absatzmärkte finden – wir haben sie ja bereits.                                       

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Hat Russland gewisse „rote Linien“, was die Länder angeht, die der Ukraine militärische Hilfe leisten?

Sergej Lawrow: Ich habe schon die Frage beantwortet, ob wir darauf reagieren werden, dass manche Länder die Ukraine aufrüsten. Unseres Erachtens provozieren diese Länder kolossale Gefahren für sich selbst, indem sie äußerst gefährliche Waffen (beispielsweise mobile Fla-Komplexe) der Ukraine überlassen und passiv zusehen, wie die ukrainischen Behörden Hunderttausende Stück Schusswaffen unter einfachen Menschen verteilen, ohne zu wissen, was das eigentlich für Menschen sind. Wir sprachen nie von unseren Plänen bezüglich der Nato-Länder. Davon sprach meine neue britische Amtskollegin Elizabeth Truss. Sie sagte, wenn Präsident Putin in der Ukraine nicht verlieren sollte, würden seine Ambitionen überhaupt keine Grenzen kennen, und seine nächsten Ziele wären dann die Baltischen Länder und Moldawien. Das sagen nicht wir, sondern Elizabeth Truss, die für ihre Aphorismen bekannt ist. Wenn sie einen Angriff auf das Baltikum und Moldawien prophezeit, dann ist das durchaus typisch für die englische Kultur, Politik, Diplomatie – denn es waren ja die Engländer, die ein Fake-Testament Peter des Ersten geschrieben haben. Das passt durchaus dazu.

Frage: Heutzutage wird etwas möglich, was erst gestern unvorstellbar war. Sagen Sie, glauben Sie daran, dass ein Atomkrieg ausbrechen könnte?

Sergej Lawrow: Ich will nicht daran glauben und glaube auch nicht. Ich muss Ihnen darauf hinweisen, dass das „nukleare“ Thema im Kontext der Ereignisse der letzten Jahre in der Ukraine, die sich in den letzten Monaten und Wochen zugespitzt haben, nur westliche Vertreter ansprachen, vor allem Nato-Vertreter. Ich darf auch erinnern, dass Elizabeth Truss (wir reden heute viel über sie) erklärte, sie würde einen Konflikt zwischen der Nato und Russland nicht ausschließen. Wie kann man denn auf so eine Idee kommen?! Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg handelt aus meiner Sicht viel zu selbstständig handelt, ohne seine Erklärungen mit allen Nato-Mitgliedern abzusprechen, was er eigentlich tun sollte – und er sagte, dass wenn die Nato nur  entscheiden würde, dann könnte sie Atomwaffen auf dem Territorium der osteuropäischen Mitgliedsländer der Allianz stationieren. Mein französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian warnte Präsident Putin, dass Frankreich auch Atomwaffen hat. Übrigens erklärte der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire stolz, dass der Westen Russland den totalen Krieg erkläre. US-Präsident Joe Biden sagte auf die Frage, ob es eine Alternative für diese „Sanktionen aus der Hölle“ gäbe, es würde nur eine Alternative geben, und zwar einen Dritten Weltkrieg. Das hat man im Westen immer im Hinterkopf. Wir selbst sprachen nie davon. Natürlich ist das beunruhigend, wenn der Westen immer und immer wieder von diesem Thema redet – im Sinne der Freud-Theorie.

Frage: Der kasachische Präsident Kassymschomart Tokajew bot Kasachstan als Plattform für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine an. Überlegt sich Russland dieses Angebot, und wann wären die nächsten Verhandlungen der Konfliktseiten möglich?

Sergej Lawrow: Russland ist allen Ländern dankbar, die es gut meinen und sich um die Regelung der äußerst schweren innenpolitischen Krise in der Ukraine bemühen, und bereit sind, die Suche nach Auswegen zu fördern, und zwar unter Berücksichtigung der Besorgnisse aller Seiten und auf Basis der Interessenbalance. Die Hauptsache ist, dass diese Vorschläge (mit denen unsere türkischen und kasachischen Freunde es sicherlich gut meinen, wie ich schon sagte) nicht von der ukrainischen Seite ausgenutzt werden, die es gewohnt ist, reale Taten zur Umsetzung ihrer Verpflichtungen durch äußere Effekte zu ersetzen. Ich weiß noch, wie sie auch die Kontaktgruppe nach Kasachstan verlegen wollten, als die Minsker Vereinbarungen noch „am Leben blieben“. Auch die Türkei schlugen sie als Plattform vor. Aber dahinter stand (und auch jetzt steht – da bin ich mir ziemlich sicher) die Weigerung, ihren Job zu machen, der eigentlich abgesprochen war. Aber wenn ein Mehrwert vorhanden ist, sind wir (wie Präsident Putin sagte) und ganz verschiedenen Formaten bereit, die gebildet werden sollten, nicht um einfach umsonst zu quatschen.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Ist Russland tatsächlich entschlossen, nach Auswegen aus dieser Situation auf dem Verhandlungsweg zu suchen? Wenn ja, dann welche Vorschläge haben Sie gemacht? Und welche Fortschritte wurden dabei gemacht?

Wie können Sie von Diplomatie, Feuereinstellung und von Verhandlungen reden, wenn Raketenschläge gegen Entbindungsheime versetzt werden und wenn so viele Zivilisten leiden?

Sergej Lawrow: Ich wurde schon zum dritten Mal über das Entbindungsheim gefragt, und das bedeutet, dass Sie gar nicht gehört haben, was ich zu diesem konkreten Fall gesagt habe, und den Ihre Korporation und auch andere westliche Medien an die große Glocke hängen. In diesem Entbindungsheim (das sagten wir am 7. März im UN-Sicherheitsrat) gab es schon seit langem weder Frauen noch Kinder, noch Personal. Es wurde von Kämpfern des Bataillons „Asow“  und anderen Radikalen eingenommen, so dass dort ihr Stützpunkt lag. Eigentlich tun sie das in der ganzen Ukraine, indem sie Menschen zu ihren „lebenden Schutzschildern“ machen, weil sie ihre Waffen in Wohnvierteln aufstellen, um die Stellungen der russischen Truppen und der Kräfte der Volksrepubliken Donezk und Lugansk zu beschießen. Was unsere Initiativen angeht, die wir noch am 15. Dezember 2021 formuliert hatten, so meinten wir es maximal ernst. Es ging bzw. geht dabei um Entwicklung eines Sicherheitssystems, und zwar nicht eines neuen Systems, sondern um Verwirklichung davon, was auf höchster politischer Ebene vereinbart wurde, insbesondere bei den OSZE-Gipfeltreffen in Istanbul 1999 und in Astana 2010, wo schwarz auf weiß festgeschrieben wurde, dass jedes Land das Recht hat, sich Bündnisse auszuwählen, wobei aber niemand seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer festigen darf. Diese Formel wurde damals komplexweise vereinbart. Das war der Höhepunkt der Diplomatie. Das war die Entscheidung, die von den Spitzenpolitikern Russlands und unserer Nachbarn – und (pardon für unbescheidene Worte) der freien Welt. Kein einziger Staat, keine Gruppe von Ländern, keine Organisation im europäischen Raum darf die dominierende Rolle beanspruchen, wie das gerade die Nato tut, indem sie die  alle Verpflichtungen ihrer Mitgliedsländer verletzt. Auf unsere Initiative, ein Abkommen zwischen Russland und der Nato zu unterzeichnen, in dem die von mir eben geschilderten Prinzipien, die aus den auf höchster Ebene unterzeichneten Dokumenten genommen werden, kodifiziert werden und juristisch verbindlich werden sollten, haben wir jedoch von Jens Stoltenberg und Josep Borrell formelle Antworten erhalten (für je eine halbe Seite), wo geschrieben stand: „Macht euch keine Sorgen, wir sind bereit, zu verhandeln.“ Dass wir diese Antworten nicht von der Führung einzelner Staaten, sondern vom Nato- und vom EU-Chef bekommen haben, hieß bzw. heißt, dass auch Großbritannien und die anderen Führungsländer des Westens ihnen alle Vollmachten delegiert hatten, so dass sie die ganze Verantwortung für die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der Versprechen tragen, die in den OSZE-Dokumenten enthalten sind. Das ist, was Ihre Vertreter, Vertreter des Westens mit der Diplomatie gemacht haben.

Wir wollen auch jetzt, dass alle Fragen ausgerechnet auf diplomatischem Wege gelöst werden. Aber diesmal haben wir klar und deutlich erklärt, dass die Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine unbedingt nötig ist. Das darf man nicht verzögern. Die unmittelbare militärische, kulturelle, sprachliche, zivilisatorische und Informationsgefahr, die von diesem Territorium für die Russische Föderation ausging, wurde unübersehbar. Wenn wir es mit anständigen und ehrlichen Menschen zu tun hätten, dann wäre wohl schon alles gelöst worden – und die Vereinbarungen wären schon getroffen worden. Aber wir sehen keine Partner, die bereit wären, Geschäfte mit uns fair zu führen, auch wenn es solche Versuche gab. Ich hoffe, dass die westlichen Leader, die jetzt so emotional auf die Ereignisse in der Ukraine geworden sind, die existenzielle Gefahr für die europäische Sicherheit einsehen werden, die sich auf ihre totale Passivität und auf ihre Weigerung zurückführen lässt, frühere Vereinbarungen in die Tat umzusetzen. Wir wollten nie einen Krieg – und wollen ihn auch jetzt nicht. Wir wollen diesem Krieg ein Ende setzen, auch ausgehend von den Interessen der Republiken, die sich 2014 geweigert hatten, den blutigen verfassungswidrigen Staatsstreich und das Regime zu akzeptieren, das schnöselhaft und grinsend beobachtete, wie seine Vertreter in Odessa Menschen lebendig verbrannten, das das Stadtzentrum von Donezk mit Bomben bewerfen ließ, das all diese acht Jahre Wohnviertel, Dörfer, Schulen und Kindergärten bombardieren ließ. Dafür gibt es etliche Beweise – weil wir, unsere Journalisten (ich kann mich nur vor allen verneigen, die dort ihre Leben lassen mussten) alles zeigten, was dort passierte – rund um die Uhr. Und westliche Journalisten haben die Trennungslinie praktisch nie besucht. Sie zeigten, wie das Leben auf der anderen Seite war – und es war eigentlich nicht schlecht. Zu 70, ja zu 80 Prozent waren die Zerstörungen auf der Seite des Volksheeres konzentriert, und das ist ein klares Zeichen dafür, wer üblicherweise Angriffe begann. Ein einziges Mal haben Vertreter ihrer Korporation, der BBC, für ein paar Tage dieses Gebiet besucht und eine durchaus objektive Reportage gemacht – das muss ich einräumen. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemand im Westen die Aggression des ukrainischen Regimes gegen sein eigenes Volk, die Sabotage der vom UN-Sicherheitsrat gebilligten  Minsker Vereinbarungen, direkte Erklärungen über Weigerung, dieses äußerst wichtige Dokument zu erfüllen, tagtäglich beleuchtet hätte. Wenn wir alles nehmen, was Sie jetzt über die Ereignisse in der Ukraine schreiben, und damit vergleichen, was Sie diese acht Jahre lang erzählten, würde, glaube ich, ein sehr belehrendes Bild entstehen, das der Meinungsfreiheit, dem Zugang zu Informationen und vielen anderen Dingen gewidmet wäre, die in den auf höchster politischer Ebene in der OSZE getroffenen Entscheidungen verankert sind. Und das, was wir sehen, wird von unseren westlichen Kollegen nicht ganz respektiert.

 


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